Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Es endete in einem Wettlauf gegen die Zeit. Kaum hatte mich Johnny entlassen, eilte ich von einem Raum zum nächsten und einige Minuten meiner ohnehin schon knappen Zeit opferte ich trotzdem noch für eine Dusche. Schnell den Kopf unter den rauschenden Strahl gesteckt und fast tropfte das Wasser noch aus meinem Haar, als ich keuchend in den Speiseraum trat. Auch ohne Johnny wäre es wohl knapp geworden aber als ich durch die Tischreihen zog, sah es noch nicht nach einer Besprechung aus. Flüchtig spähte ich um mich, erkannte jedoch kaum ein bekanntes Gesicht. Nur vereinzelte Finder. Entschlossen richteten sich meine Augen auf den Tresen und von ihm aus auf die Wanduhr. Eine halbe Stunde noch. Ich tastete nach den Knöpfen meines Hemdes und drehte den Obersten ins Loch. Es wäre mehr, würde mir Kanda einen Teil seines Charmes abgeben. Als ich dann Jerry vor mir sah, war mein Ziel zum Greifen nahe. Es war ein Morgen ohne Umwege, ohne Verzierungen. Nur für einen knappen Gruß nahm ich mir Zeit. „Mach mir alles, wofür du nicht viel Zeit brauchst“, bat ich ihn dann und erntete eine perplexe Kopfbewegung. Seinem Gesicht entsprang eine stumme Frage und bevor sie über seine Lippen kam und mich weitere Momente kostete, drückte ich mich deutlicher aus. „Irgendetwas“, ächzte ich und wischte mir einen hinab rinnenden Wassertropfen von der Wange. Mir gegenüber wurden die Brauen gehoben. „Ist etwas passiert?“ Nun kam die Frage doch und das besorgte Gesicht Jerrys mir näher. „Wurdest du aufgehalten? Hast du verschlafen? Ich habe dich früher erwartet! Aber weißt du was?“ Er fuhr voller Entschlossenheit in die Höhe. „Ich schaue, was sich machen lässt!“ Erleichtert ließ ich den Kopf hängen und unter einem letzten unbeugsamen Schnaufen machte Jerry kehrt und rannte zur Küche zurück. Auf ihn war Verlass. „Allen!“ Plötzlich und unvorbereitet traf mich eine Wucht. Sie presste sich gegen meinen Rücken sowie meinen Bauch gegen die Kante des Tresens und bevor ich mich versah, steckte ich in einer Umarmung. „Lavi!“ Der Schmerz war sofort vergessen, die Freude überwiegte und nur schwerlich sicherte ich mir den Halt auf meinen Beinen, als er mich mit sich zog und mit mir schunkelte. Wie lange war es her? Zwei Monate? Der Zufall hatte es nicht gut mit uns gemeint. Wir waren uns so selten über den Weg gelaufen, dass ich ihn wirklich vermisst hatte. Und nicht nur ihn. Als seine Nase in meinem nassen Haar badete, ließ er von mir ab und präsentierte mir das breite, ehrliche Grinsen, das mir in manch düsteren Stunden gefehlt hatte. Er hatte diese Wirkung. Einen fast befreienden Einfluss, der vielen Dingen die Kompliziertheit nahm. „Wie geht’s?“ Sein Grinsen war unermüdlich und ich ließ mich fallen und war von einem Moment zum nächsten ein anderer. Vergessen die Hast, vergessen die Nachdenklichkeit sowie die Neugierde, die mich in jedem ruhigen Augenblick heimsuchten. Alle Fragen waren einfach nicht mehr von Belang. „Wie geht es dir?“, stellte ich ausgelassen die Gegenfrage aber wenn man von dieser Mimik ausging, störte ihn in diesen Momenten herzlich wenig. „Ach, du weißt schon“, er gestikulierte mit der Hand. „Man tut das eine oder andere. Von dem einen mehr, von dem anderen weniger.“ „Ja, ich weiß schon.“ Sofort nickte ich. „Seit wann bist du da?“ Ich konnte es nicht verhindern, dass meine Augen kurz zur Küchentür drifteten. Auch zur Uhr. Mein Zeitgenosse ächzte. „Seit drei Stunden.“ Er schloss sich meiner Beobachtung an. „Nein, seit vier. Himmel, wo ist die Zeit geblieben?“ „Frag nicht. Meine ist auch verschwun...“ Augenblicklich versagte meine Stimme und mit offenem Mund starrte ich auf die Teller und Schalen, die Jerry aus der Küche balancierte. Er keuchte und ächzte, als er die beiden Tabletts ablud aber das Essen war wirklich da und wieder erhob sich neben mir das klare, heitere Lachen Lavis. „Man, Allen.“ Ein Schlag traf meine Schulter. „Du hast dich echt nicht verändert.“ Das sagte er nach acht Wochen und auch noch auf meine Essangewohnheiten bezogen? Diese Form der Nostalgie war fehl am Platz. „Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht auftreiben!“ Erschöpft präsentierte mir Jerry seine Fundstücke und in den ersten Momenten konnte ich nur den Kopf schütteln. „Jerry.“ Ich war gerührt aber der emotionale Moment endete mit einem Ellbogen, der meine Seite traf. „Na, komm. Wenn du vor der Besprechung fertig werden willst, ist Eile geboten.“ „Hast du was gehört?“ Lavi rutschte weiter, ließ mir Platz auf der Bank. „Weißt du, worum es geht?“ Sobald ich still saß und das Besteck zwischen den Fingern hatte, verlor ich einen nicht sehr geringen Teil meiner Aufmerksamkeit. Nur knapp schüttelte ich den Kopf, zog einen Teller zu mir und versenkte den Löffel im Milchreis. Neben mir wurde gebrummt. Lavi stützte sich auf den Tisch und das Kinn in die Hand. „Das frage ich mich schon die ganze Zeit“, murmelte er. „Die Mission, von der man mich abgezogen hat, war nicht gerade unwichtig.“ „Du hast abgebrochen?“ Verwundert spähte ich zu ihm, versenkte den Löffel im Mund und tastete nach dem Becher. Er nickte. „Muss etwas Wichtiges sein.“ Natürlich irritierte es mich. Nicht viel weniger, als ich all das als zu verlockend ansah. Fast verfiel ich dieser alten Neugierde und mein nächster Blick zur Uhr war von anderer Natur. Entgegen der Teller und Schalen, die ich noch zu leeren hatte, könnte die Besprechung schon beginnen. Wenn die Problematik so ernst war, wie ich vermutete, würde ich Prioritäten setzen. Die darauffolgende Stille gab mir die Gelegenheit zu grübeln. Während ich kaute, trank und mir über den Mund fuhr, drifteten meine Pupillen ziellos von einer Seite zur anderen. Wenn man Lavi von einer ernsthaften Mission abzog und möglicherweise auch andere, was hatte Komui vor? Ich griff nach einem Schälchen, doch ein dumpfer Laut riss mich aus den Gedanken. Lavi war neben mir hinab auf den Tisch gerutscht, bewegte das Gesicht zwischen den Armen und stöhnte. „Ah, ich hätte schlafen sollen.“ Ich starrte ihn an und dirigierte den Löffel zum Mund. Seine Hand durchfuhr den roten Schopf. „Aber irgendwie konnte ich nicht ablehnen, als mich Linali fragte, ob ich mit ihr trainieren möchte.“ Nichts, das mich verwunderte. Unbeteiligt fixierte ich mich auf das Schälchen und darauf, den Inhalt so schnell wie möglich in meinen Mund zu stopfen. Linali war vermutlich die Einzige, die das Hauptquartier in letzter Zeit nicht verlassen hatte. Ich erinnerte mich. Als ich vor einer Woche aufbrach, hatte sie ihre Zeit im Krankenflügel verbracht, um sich von einer Verletzung zu erholen. Viel hatte ich nicht mitbekommen. Wie immer hatte die Zeit gefehlt aber bei meinem Besuch wirkte sie schwächlich. Jedenfalls nicht so, als wäre Training in nächster Zeit das Richtige für sie. Lavi wendete das Gesicht, bettete die Wange auf dem Unterarm und begann den Tisch mit den Fingernägeln zu bearbeiten. Es erhob sich ein permanentes Kratzen, das sich mit dem Scheppern des Geschirrs verband. „Wir waren im Wald“, begann er zu erzählen und klirrend landete das leere Schälchen wieder auf dem Tablett. „Sie hat sich angestrengt und gute Resultate erzielt. Sie strengt sich wirklich an, verstehst du?“ „Mm-mm.“ Eilig riss ich ein Croissant auseinander und tunkte es in den Joghurt. „Sie hat wirklich hart trainiert und es lief gut aber dann bekamen wir Besuch vom Freundlichsten aller Geschöpfe.“ Wen er damit meinte, das wusste ich nicht aber wenn ich einfach weiter aß, würde die Erklärung bestimmt folgen. Ich hatte keine Zeit, um Fragen zu stellen. „Dass Yu ausgerechnet zur selben Zeit im Wald sein musste“, stöhnte er. Perplex hielt ich inne. Glaubte er, bei der Beschreibung dachte ich zuerst an ihn? Der Sarkasmus war ihm nicht gelungen. Er ächze erneut, bevor ich mich wieder meinem Essen zuwandte und den Joghurt schlürfte. „Du kannst dir nicht vorstellen, was für Gemeinheiten er Linali an den Kopf geworfen hat.“ Das konnte ich allerdings nicht. Wenn jemand vor Kandas Zynismus sicher war, dann war es Linali. „Er meinte, sie sollte im Wald lieber spazieren gehen anstatt zu trainieren. Normal laufen, du weißt schon. Das ´Herumgehüpfe´, wie er es nannte, würde nichts bringen außer weiteren Verletzungen.“ Ich schluckte, runzelte die Stirn und als ich erneut zu Lavi spähte, blähte er die Wangen auf. Ich hatte abermals innegehalten und auch jetzt bewegte sich meine Hand nur langsam auf den Eiersalat zu. „Sie trainierte an einem Baum und laut Yu wäre es das erste Mal, dass ein Exorzist von einer Pflanze besiegt werden würde. Weil Linali mehr Schaden nimmt als die Rinde. So etwas.“ Ich rümpfte die Nase, kurz drifteten meine Augen gen Decke und dann begann ich den Salat zu löffeln. Diese Szenerie konnte ich mir bildlich vorstellen. Das Seltsame daran war etwas ganz anderes. „Dabei strengt sie sich wirklich an aber Antrieb und guter Wille spielen in Yus Welt keine Rolle. Ganz gleich, mit welchem Fuß er aufsteht, es ist der Falsche.“ Es war ein bizarres Gefühl und fast fühlte ich mich fremd in meinem Körper, als ich mir eingestand, Kandas Meinung in allen Facetten zu teilen. Derselbe Grundgedanke kam mir auch, als ich von diesem Training hörte. Vermutlich hätte ich es nur anders zum Ausdruck gebracht. Wenn überhaupt. Selbstüberschätzung war eine gefährliche Eigenschaft. Es gab doch keinen, der sie zu den Maßnahmen zwang. Zu tun gab es immer viel aber letztendlich kam es nicht auf einen Exorzisten an. Vor allem nicht auf einen Schwächelnden. Sie wusste, dass der Grad überaus schmal war zwischen der Unterstützung, die man seinen Kameraden sein konnte und dem Punkt, an dem man zur Last für sie wurde. Die Zeiten waren zu gefährlich, um so ein Wagnis einzugehen. Neben mir erhob sich Lavis maulende Stimme unaufhörlich, doch ich hörte nicht mehr zu. Es war mir schon früh aufgefallen. In Zeiten, in denen man die Wahrheit nicht sehen und sich hinter falschem Optimismus verstecken wollte; an Tagen, an denen man von vielem sprach, um ein Thema zu umgehen; auch in Stunden, in denen man blind und taub hoffte, um nicht realistisch denken zu müssen. Früher oder später war immer er es, der es präzise und gnadenlos auf den Punkt brachte und vielen damit eine Hilfe war, die nicht sofort, wenn überhaupt, registriert wurde. Er, der aussprach, was niemand hören wollte und damit an viele Grenzen stieß. Strikt holte er jeden zurück an den einzigen Ort, der Fortschritte brachte: Die Realität. Er sagte es einfach. Es war schon oft so gewesen und ich unter jenen, die gereizt reagierten. Er sagte es und scherte sich nicht um das Echo. Eine seltsame Fähigkeit, die ich schweigend, also gar nicht teilte. Ich senkte den Kopf und rührte im Quark. „Was sagst du dazu?“ Mit einem Schlag kam ich zu mir und bemerkte, wie erwartungsvoll ich gemustert wurde. Die Wange auf die Hand gestützt, starrte mich Lavi an und vorerst starrte ich nur zurück und steckte mir den Löffel in den Mund. „Wozu?“ „Dazu. Würdigst du ihr Engagement?“ Unentschlossen saugte ich den Quark vom Löffel und kratzte mich mit ihm am Kinn. Was sollte ich sagen? Um zu handeln wie Kanda, fehlte mir die Bereitschaft, mich mit den Reaktionen auseinanderzusetzen und für meine Worte geradezustehen. Ein knappes Lächeln zog an meinem Mundwinkel und Schulterzuckend hob ich den Löffel. „Tja“, seufzte dann ich. „So ist Kanda eben.“ „Ja.“ Brummend wandte sich Lavi ab und ich mich dem letzten Teller zu. „Wenn er mich fertig macht, ist das in Ordnung. Ich fordere es ja auch irgendwie heraus. Aber vor Linali könnte er sich zusammenreißen.“ Dazu musste ich nichts mehr sagen. Außerdem blieben nur noch wenige Minuten und die verbrachten wir damit, das Geschirr zum Tresen zu tragen. Die Schlepperei brachte Lavi auf andere Gedanken. Jedenfalls fluchte er nicht mehr über das Freundlichste aller Geschöpfe und spätestens als wir auf Crowley trafen, lenkten sich die Themen in eine ganz andere Richtung. Angenehme Gebiete, die nicht viel bedeuteten und als wir wieder am Tisch saßen und warteten, da bemerkte ich, dass allmählich Bewegung aufkam. Eine Seltsame, in der es sämtliche Finder sowie Köche und anderes Personal aus dem Speiseraum zog und stattdessen die leitenden Wissenschaftler hinein. Die Besprechung entpuppte sich als nicht öffentlich und wie aufmerksam verfolgte ich all das, während die Worte neben mir flossen und dem Lachen kein Abbruch getan wurde. Eine geringe Zahl von Weißkitteln trat ein und suchte sich ihren Platz. Auch Bookman tauchte auf. Mit einer Tasse Tee setzte er sich auf eine nahe Bank und nach einem knappen, grüßenden Zunicken begann er zu nippen. All das schürte meine Neugierde. Beinahe steigerte sie sich schon in eine Anspannung und mir stand nicht der Sinn, mich an den Gesprächen zu beteiligen, als ich mir dieser Ernsthaftigkeit bewusst wurde. So eine Besprechung hatte es hier nur selten gegeben. Es roch nach Veränderungen, nach Risiken und Themen, die prekär waren. Im Schneidersitz saß ich dort, stemmte die Ellbogen auf die Knie und blickte Johnny nach, der sich in der Nähe des Einganges niederließ und einen mangelhaften Teil der alten Heiterkeit offenbarte. Schon jetzt wurde dort vorne diskutiert und nachdenklich begann ich die Fingernägel mit den Zähnen zu bearbeiten. Es blieben nur noch wenige Minuten und pünktlich traf auch Kanda ein. Ich bemerkte ihn sofort, doch kurz darauf entzog er sich meinem Blick, wählte eine Bank auf der anderen Seite des Saales und ging unter im Meer der sich regenden Köpfe. Es herrschte eine recht verhaltene Geräuschkulisse, die ich analysierte. Genau wie die Gesichter der Menschen, die in meiner Nähe saßen. Selbst Marie war hier. Seine große Gestalt zu übersehen, war ein Unmögliches. Man hatte offenbar jeden gerufen, dessen Mission nicht von allerhöchster Wichtigkeit war und ich reckte mich in die Höhe, als die sinkende Lautstärke davon zeugte, dass Komui auch eintrat. Unter seinem Arm klemmte eine Mappe. Er sah sich um, nickte in die Runde und hatte kaum ein Lächeln für die Anwesenden übrig, als er durch die Tischreihen zog und sich einen guten, zentralen Punkt suchte. Sorgfältig musterte ich sein Gesicht, betrachtete mir auch Linali, die ihn gemeinsam mit River begleitete. Unter einem dumpfen Laut wurde die Tür des Saales geschlossen. Nun waren wir unter uns. Selbst die Küchentür blieb verschlossen und ich nahm mir Zeit, mir die junge Frau näher zu betrachten. Ihre Schritte wirkten tatsächlich unsicher. Mit gesenkten Schultern schien sie nach der erstbesten Sitzgelegenheit zu suchen und wie zufällig traf mich ihr Blick. An einer Bank hatte sie innegehalten, ließ sich schon auf sie sinken und grüßte mich mit einem strahlenden Lächeln. Auch ihre Hand hob sich und sofort winkte ich zurück. Neben River blieb Komui stehen. Er fand seinen Standort nicht weit entfernt, wurde die Mappe auf einem Tisch los und während die letzten Gespräche verstummten, wandte er sich an River. Ich sah sie flüstern, River nicken und wandte mich ab, als die große Tür mit einem Mal geräuschvoll aufgestoßen wurde. Langsam neigte ich mich nach vorn sowie eine allgemeine Bewegung durch die Masse ging, sich annähernd jeder Kopf drehte und ich kam nicht um ein Schmunzeln, als ich den dunklen Lockenschopf erkannte, der sich durch den Türspalt streckte. „Oh Gott!“ Im Angesicht der Masse aus Aufmerksamen erstarrte Miranda zu Eis. „Oh Gott, ich bin zu spät! Es tut mir leid! Ihr habt schon angefangen und ich habe euch gestört!“ „Weder noch. Komm, setz dich zu mir.“ Versöhnlich winkte Linali die Frau zu sich und während sie demütig die Tür hinter sich schloss, verlor sich das Interesse an ihr. Die Anwesenden wandten sich wieder Komui zu und auch ich stemmte den Ellbogen auf den Tisch, sah ihn in der Mappe blättern und die letzten Worte mit River wechseln. Auch in meinem Rücken waren die Gespräche verstummt und nur Crowleys mitfühlendes Seufzen drang an meine Ohren, als sich Miranda durch die Tischreihen schlich und sich zu Linali gesellte. Somit waren alle anwesend und ich konnte die Augen in der Zwischenzeit nicht mehr von Komui lösen. Ich verfolgte die Bewegungen seiner Lippen, seine Pupillen, die ein letztes Mal den Saal durchschweiften, bevor sie sich auf uns, die Zuhörer und Erwartungsvollen, richteten. Und so wie er sich dann an uns wandte, so richtete ich mich auf. „Gut.“ Unter einem tiefen Durchatmen zog er die Unterlagen zu sich und blickte prüfend in die Runde. Neben ihm trat River zurück, verschränkte die Arme vor dem Bauch und machte keinen Hehl aus seinen Grübeleien. Deutlich zeichneten sie seine Mimik und als Komui fortfuhr, starrte er zu Boden. „Erst einmal vielen Dank, dass ihr es alle geschafft habt.“ In der hinteren Ecke knarrte eine Bank unter einer verhaltenen Bewegung. „Ich weiß, dass es bei einigen von euch knapp war und die Rückkehr plötzlich kam. Aber es handelt sich um eine Notwendigkeit sowie diese Besprechung, zu der ich euch zusammengerufen habe.“ Wie ich es mir dachte. Und während eine weitere Bank knarrte, regte ich mich kaum. „Nach reichlichen Überlegungen möchte ich euch eine Mitteilung machen. Vor allem an die Exorzisten wende ich mich.“ Komuis Augen fanden zu mir, schweiften auch zu Linali und mit jedem Augenblick wurde seine Mimik der seines Nebenmannes ähnlicher. Seine Stirn legte sich in Falten, kurz bearbeitete er die Unterlippe mit den Zähnen und rückte an seiner Brille, bevor er sich aufrichtete. „Die Ereignisse der letzten Wochen, insbesondere das Aufeinandertreffen mit dem Grafen und die Episoden von katastrophalen Geschehnissen, haben mich dazu veranlasst, eine Entscheidung zu treffen, die uns alle angeht.“ Ich bemerkte kaum, wie es meinen Oberkörper langsam und stetig nach vorn zog, ich mich seinen nächsten Worten förmlich entgegen neigte und den Sinn für die Umwelt verlor. Komui senkte den Kopf, starrte zu seinen Unterlagen und regte die Finger auf der glatten Oberfläche der Mappe. „Wir werden in die Offensive gehen“, verkündete er dann und blickte auf. Mein Gesicht regte sich, meine Schultern sanken und unter einem Stirnrunzeln richtete ich mich auf. Und ich besah mir Komui eindringlich, während sich das Murmeln um mich herum erneut erhob. Es waren Reaktionen, die ich noch nicht recht zu deuten wusste. Ebenso wenig wie diese Worte. Hatten wir nicht immer offensiv gearbeitet? Wir waren nie untätig gewesen und dem Feindkontakt nie aus dem Weg gegangen. Was meinte er damit? Auch auf der Nebenbank wurde gemurmelt. Mich erreichten nur undeutliche Wortfetzen und kurz spähte ich zu den Wissenschaftlern, die sich zueinander neigten. In meinem Rücken erhob sich Räuspern. Die Frage war überflüssig, denn Komui ließ den Zuhörern wenig Zeit, sich eigene Zusammenhänge und Erklärungen zu suchen. „Wir können es nicht zulassen, dass uns der Graf erneut so einen Schaden zufügt. Dass er unser Herz angreift, anstatt unsere robuste Hülle. Wir waren zu ungeschützt, weshalb wir den Ort der Entscheidung demnächst selbst wählen und damit im Vorteil sind.“ Lautlos öffnete ich den Mund. Meine Miene entgleiste mir nun vollends und während die Atmosphäre mehr und mehr von unentschlossenen Geräuschen und Regungen bestimmt wurde, löste ich mich von Komui und starrte sinnierend zu Boden. „Seit den jüngsten Zwischenfällen hat die Einmischung und die Offensive des Grafen stark nachgelassen“, drang seine Stimme zu mir. „Die Gegner, die sich den Exorzisten in vergangenen Missionen entgegenstellten, erschienen nach deren Einschätzung planlos und unstrukturiert. Anders als früher. Des Weiteren haben wir die Tatsache beachtet, dass der Kreis der Noah um den Grafen an Festigkeit verlor. In den vergangenen Kämpfen wurden einige von ihnen vernichtet. Wo sich der Graf auch immer aufhält, seine Verteidigung ist um einiges schwächer und ich denke, wir sollten diese vielleicht einmalige Gelegenheit nutzen, um den Kampf, der schon lange tobt, ein für allemal zu beenden. Ich denke, wir sollten uns seine Schwäche zunutze machen und eine Offensive zeigen, die er höchstwahrscheinlich nicht erwartet.“ In der Zwischenzeit war die Ruhe der Anwesenden weiterhin gewichen. Von überall her drangen Worte zu mir. Die Menge regte sich, Gesichter wandten sich einander zu und ich spähte nur kurz auf und anschließend hinter mich. Die Hand am Mund, blieb Lavis Interesse einzig und allein auf Komui gerichtet. Er rieb sich die Lippen, senkte den Kopf und vertiefte sich in eine undeutliche Kopfbewegung. Ich wandte mich weiter, sah Crowley tief einatmen und meinen Blick unentschlossen erwidern. Was dachten sie? Mit jedem weiteren Wort Komuis vermutete ich mich in einer irrsinnigen Situation. Einfach an einem Ort, an dem man nichts so meinte, wie man es sagte. Und mit derselben Sprachlosigkeit kehrte ich den beiden den Rücken und suchte in der Masse nach anderen. Die Hände auf der Brust geballt, saß auch Linali dort und ihr Gesicht war eines der vielen, dem ich nicht viel entnehmen konnte. Es schien sie zu bewegen. Natürlich, uns alle bewegte es. Nur vermutlich in verschiedene Richtungen und als sich Miranda aufgewühlt durch den Schopf fuhr, starrte ich auf den Boden zurück. Die letzte Begegnung mit dem Grafen hatte in keinem von uns angenehme Erinnerungen hinterlassen und in dem Meer der Aufregung schüttelte ich den Kopf. „Sie wollen es ein für allemal beenden?“, meldete sich ein Wissenschaftler auf der benachbarten Bank zu Wort. „Denken Sie, es wird gelingen?“ „Was wäre das nur?“, wurde auf einer anderen geächzt. Ja, was wäre das? Gar kein übler Gedanke, den schwarzen und bedrohlichen Schatten loszuwerden. Zu verlockend. Wäre da nur ein Quäntchen Zuversicht, ein kleiner Teil an Freude in meinem dumpfen Meer aus Skepsis und Unglauben. Schwarz. Für mich war es das. Alles was in diese Richtung führte. Schaden hatte es gegeben. Mehr als wir vertrugen und bis heute waren wir nicht vollends dem alten Rhythmus verfallen. Nicht den alten Ansichten, bevor all das geschah. „Ich bin zuversichtlich“, stand Komui hinter seinen Worten. Seine Stimme machte auf mich den Eindruck, als täten ihm die hoffnungsvollen Reaktionen gut, als würde er sich durch sie notwendig bestätigt sehen. „Bisher war es der Graf, der uns zu sich lockte und uns auflauerte. Diesmal übernehmen wir diese Rolle.“ Er hob die Mappe und als meine Pupillen zur Seite drifteten, traf mich die Hoffnung in den Augen dieser Menschen annähernd schmerzhaft. „Wir“, fuhr Komui nach einem tiefen Durchatmen fort, „werden nach dem Grafen suchen!“ Permanent erhoben sich diese Stimmen. Es war aufwühlend und langsam hob ich die Hand und rieb mir die Stirn. „Wann?“, wollte einer der Zuhörer wissen. Das Meer der Laute, der Stimmen und Gefühle umfing mich dumpf, ließ mich fast versinken im Morast meiner Zweifel. Letztendlich ging es doch um uns, die Exorzisten. Von uns sprach man, wenn man das ‚wir’ erwähnte. Wie dachten die anderen darüber? War ich der Einzige, der in diesem Vorhaben keine Hoffnung sah, sondern einzig und allein ein unverantwortliches, unkalkulierbares Risiko? Spätestens jetzt wirkte Komui um einiges entspannter. „So früh wie möglich. Natürlich werden wir umfassende Planungen vornehmen, um dann…“ „Wie hast du dir das vorgestellt?“ Eindringlich durchschnitt eine Stimme die Masse aus Worten, ließ Komui verstummen und mich die Hand senken. Ich öffnete die Augen und vernahm diesen abklingenden Fetzen der ersten Euphorie. Durchschnitten von diesen wenigen, nachdrücklichen Worten, verstummten viele und ich folgte dem Laut der Stimme und spähte durch die Reihen der Anwesenden, die sich regten. Köpfe wandten sich, Körper lehnten sich zurück und durch die Reihe der Bewegung fiel mein Blick auf Kanda. Ja, wie stellte sich Komui all das vor? Es waren berechtigte Worte, die mich vor allem durch ihren Unterton interessierten. Kanda stellte keine Frage, er formulierte scharfe Kritik. Es kam zu einer Stille, die zu lange andauerte und Momente, die er nutzte, ohne dass ich ein Zögern wahrnahm. „Du willst, dass die nächste Herausforderung von uns kommt? Wir sind nur noch acht.“ Kandas Stimme erhob sich mit Nachdruck und von Komui sah ich zurück zu ihm und erkannte die Verbitterung in seinem Gesicht. „Die Neulinge sind für so etwas noch nicht bereit. Die loszuschicken wäre dasselbe, wie Lämmer zur Schlachtbank zu führen. Hast du das vor? Das ist genauso schlimm, wie acht Leute zu einem unsicheren Ziel aufbrechen zu lassen. Seit wann stützt du dich so auf Pläne, die nur aus vagen Vermutungen aufgebaut sind?“ „Kanda, etwas anderes bleibt uns nicht.“ Mit deutlich aufgezwungener Ruhe versuchte Komui es zu erklären. Mit einer solchen Reaktion rechnete er offenbar nicht. „Unsere Arbeit basiert häufig auf Vermutungen.“ „Bei den bisherigen Vermutungen gab es nicht so viel zu verlieren“, folgte sofort und strikt die Antwort, die weiterhin an Komuis Konzept kratzte. Und es geschah ein weiteres Mal. Kanda sagte, was ich dachte und tat es soviel schneller. „Deine Entscheidung ist zu einseitig“, protestierte er. „Du gehst einfach von einem Erfolg aus und vergisst die völlige Niederlage, wenn es schiefgeht. Wer verteidigt euch, wenn es uns nicht mehr gibt?“ „Ich bin nicht festgewachsen auf den Erfolgserwartungen“, antwortete Komui, doch machte in meinen Augen längst den Eindruck, sich viel eher zu verteidigen. Er hob die Mappe, während um ihn herum geflüstert wurde. „Ich orientiere mich an unseren Möglichkeiten. Er ist in letzter Zeit so tatenlos, dass man davon ausgehen muss, dass er Gefechten aus dem Weg gehen will. Aus welchem Grund auch immer. Wir können einen Vorteil daraus ziehen.“ „Das ist nur das, worauf du hoffst“, wurde gnadenlos widersprochen. „Komui“, ergriff ich beinahe unwillkürlich das Wort sofort wandte er sich mir zu. „Wie groß ist neben der Aussicht auf Erfolg die Möglichkeit, dass es sich um eine Falle handelt?“ „Glaubst du wirklich, dass er in der letzten Zeit untätig war?“, ertönte es abermals kritisch von der anderen Seite des Saales. „Wir waren es auch nicht.“ „Der Graf nimmt sich viel Zeit für die Entwicklung neuer Waffen“, fuhr ich fort. „So wie er jeden Tag unzählige und verzweifelte Seelen zu sich lockt. Solange es den Tod gibt, gibt es seine Armeen und warum sollte er sich die Umstände machen, nach uns zu suchen, wenn er ebenso darauf warten kann, dass wir zu ihm kommen?“ Ein Zucken durchfuhr Komuis Miene. Lautlos öffnete sich sein Mund und kurz wirkte er, als würden Kanda und ich von Dingen sprechen, die bisher zu wenig Beachtung fanden. Aus welchen Gründen auch immer. Aber es war unser aller Problem, wenn er diese Scheuklappen trug. „Wir würden ihm die einmalige Möglichkeit bieten, uns alle auf einmal auszumerzen.“ Kaum war ich verstummt, da meldete sich Kanda wieder zu Wort. „Das einzige, was wir damit erreichen, ist, ihm einen Gefallen zu tun und ihm die Zeit zu ersparen, einzeln nach uns zu suchen! Das sollen all die Jahre des Kampfes jetzt wert gewesen sein?“ Er sagte es. Vermutlich hätte ich all das Gewirr in mir nicht besser formulieren können. Ich nahm Regungen in meinem Rücken wahr, hörte die Worte der Irritierten deutlich und ließ sie vorbeidriften. Viele waren aufgebracht, ebenso viele schweigsam durch diesen Umschwung. Der Sturz von der Hoffnung, die man ihnen hier predigte, hinab zur Realität, war tief und schmerzhaft. Von Komuis anfänglicher Ruhe war nicht vielmehr geblieben, als der gescheiterte Gesichtsausdruck, zu dem er sich zwang. Er rang mit sich, führte einen Kampf, der vermutlich ebenso grundschlecht ausfiel, wie der, zu dem er uns zu schicken gedachte. Es war eine Sackgasse und inmitten des aufkeimenden Chaos ließ Kanda Komui nicht erneut die Möglichkeit, sich zu verteidigen. „Und Linali willst du auch schicken? So wie sie jetzt ist?“ Abrupt und unerwartet nahm er einen festen Bezug und eine allgemeine Bewegung erfasste die Menge, als sich viele Augen auf die junge Frau richteten. Sichtlich erschrocken richtete sie sich auf und starrte von Komui zu Kanda, der knapp in ihre Richtung wies. „Dann gehen wir doch gleich davon aus, dass wir zu siebt sind und während des Kampfes zu sechst, weil einer sie beschützen muss, wenn ihre Kräfte nachlassen!“ „Ich kann kämpfen!“ Verzweifelt fuhr Linali zu ihrem Bruder herum und gleichzeitig in die Höhe. „Das solltest du aber nicht.“ Sofort spähte sie zu mir und besonnen erwiderte ich ihren verzagten Blick. Auch Komuis Aufmerksamkeit lastete dabei auf mir. „Kanda hat Recht. Du bist noch nicht in der Verfassung für so einen Kampf.“ Fast spürte ich auch ihn - Lavis Blick, der Linalis ähnlich sein musste. Ich fühlte Unglauben und Bestürzung und wandte mich an Komui. Dessen Lippen waren seit geraumer Zeit aufeinander gepresst. Auch jetzt sah er mich nur schweigend an. Wenn er den Zustand Linalis nicht hatte sehen wollen oder sich von ihrer Entschlossenheit hatte blenden lassen, spätestens jetzt war er zu sich gekommen. Dem Räuspern, das sich hinter mir erhob, schenkte ich keine Beachtung. „Vor allem für sie ist das Risiko zu groß“, sagte ich stattdessen. „Und in der Zahl, in der wir sind, können wir überhaupt nichts ausrichten.“ „Ist das ein Befehl von oben?“ Beinahe unterbrach mich die barsche Stimme Kandas und in einer allgemeinen Regung lenkte sich die Aufmerksamkeit zurück auf ihn. Auch Komui kehrte mir den Rücken und fand sich ein weiteres Mal in dieser eisernen Taxierung wieder. Ja, natürlich. Es war eine der wichtigsten Fragen, die gestellt werden konnten. Letztendlich bildete sie die Grundlage, denn unter diesen Umständen wäre unsere Kritik bedeutungslos. In bestimmten Situationen hatten wir uns zu fügen und würde Komui jetzt mit einem Nicken antworten, wären uns die Hände gebunden. „Komui!“ Kanda dauerte es zu lange. „Nein.“ Matt ließ Komui die Schultern sinken und schüttelte den Kopf. Gleichsam wie Kandas Hand geräuschvoll auf den Tisch niederging und sich der junge Mann von der Bank erhob. „Ich fasse es nicht.“ Nur gedämpft drangen seine Worte zu mir, als er sich als einziger in der sitzenden Masse bewegte, sich von der Besprechung zurückzog. „Und dafür bin ich zurückgekommen. Eine sinnlose Kamikaze-Aktion. Ein erbärmlicher Märtyrertod!“ Er ging tatsächlich und ich war unter jenen, die ihm nachsahen. Komui hielt ihn nicht auf, entschied sich für den Boden, als sich die Tür schloss und sich die Masse der Zuhörer um einen verringert hatte. Es war ihm zuwider. Ich begriff es und nutzte die folgende Stille, um mir Gedanken zu machen. Jeder wusste, wie bedacht Kanda auf seine Arbeit war und wie strikt, wenn er einer Mission gegenüberstand. Ein Märtyrertod. Resigniert drifteten meine Augen zur Seite. Die wahre Bitterkeit des Sterbens lag in der Bedeutungslosigkeit. Ich vernahm Komuis Ächzen. Er rieb sich die Stirn, zog sich die Brille von der Nase und lehnte sich an die Kante des nahen Tisches. So hielt die Stille an und auch durch Rivers Räuspern änderte sich nicht viel. Der Wissenschaftler kratzte sich im Schopf und unter einem tiefen Durchatmen richtete ich mich auf. „Komui“, hob ich so erneut an und fand zu einem matten Lächeln. „Das Vorhaben verstehe ich nicht aber bei deinen Beweggründen sieht es anders aus. Wir wünschen uns alle das Ende dieses Krieges aber auf Biegen und Brechen schaffen wir es nicht. Wir sind immer bereit, in den Kampf zu ziehen.“ So hob ich die Hand und maßte mir an, für all meine Kameraden zu sprechen. „Wir versuchen auch in der schlimmsten Lage optimistisch zu sein aber wenn es in Selbstbelügung endet, gehen wir unter. Wir kämpfen, wenn es auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg gibt. Aber hier sehe ich keine.“ Eine undeutliche Regung ging durch Komuis Gesicht, bevor er sich an die Mappe klammerte. „Allen hat Recht.“ Es war Crowley, der sich plötzlich zu Wort meldete. Ich hörte ihn in meinem Rücken seufzen. „Wir haben in letzter Zeit so viele verloren.“ „Mm“, brummte Lavi. „Es ist, wie Kanda sagte“, fuhr ich fort. „Wenn wir sterben, ist das Hauptquartier ungeschützt. Eine wirkliche Defensive wird es von euch aus nicht mehr geben.“ Zermartert zog es Komuis Leib zur Seite und unter einem resignierenden Kopfschütteln rieb er sich das Gesicht. Die Realität war schmerzhaft aber der einzige Ort, an den wir gehörten. Unsere Existenz war einfach von diesem logischen Denken abhängig. Sie war von Komui abhängig und letztendlich hatte er die schweren Entscheidungen zu treffen. Was hatte ihn binnen der letzten Tage und während der Vorbesprechungen nur gelenkt? „Gut.“ Letztendlich straffte er seine Haltung und wirkte dennoch nicht, als hätte er jedes Fragment seiner Fassung wieder. „Ich denke, mehr muss an diesem Punkt nicht gesagt werden. Eure Worte habe ich zur Kenntnis genommen und ich werde sie berücksichtigen, was die weitere Planung anbelangt.“ Ein knapper Blick zu River, dann setzte er sich in Bewegung. All das weiterzuführen, schien ihm ab diesem Punkt unmöglich zu sein und ich verstand nur zu gut, dass er jetzt seine Zeit brauchte, um die alten Überlegungen zu überholen. Ihm sah ich nicht nach, als er an mir vorbeizog, starrte noch auf den Punkt, an welchem er gestanden hatte. Nach seinen Worten erhob sich um mich herum eine Lautstärke, die kaum zu mir drang. Noch bevor Komui die Tür erreicht hatte, erhoben sich die Stimmen in einem wilden Inferno. Aus allen Richtungen drifteten die Meinungen, ebenso in völlig unterschiedliche und ich handelte automatisch und erhob mich von der Bank. Es war viel gewesen. Fast zu viel für den Augenblick. Ich rieb mir die Mundwinkel, rieb mir das Kinn und schob mich hinaus in den kühlen Gang. War es wirklich an der Zeit, solche Entscheidungen zu treffen? „Allen!“ Abrupt erhob sich die bekannte Stimme neben mir und ich blickte nur kurz auf, als sich Lavi neben mir einfand. Er keuchte, rückte an seinem Stirnband und teilte meine nächsten Schritte vorerst stumm. „Wow“, ächzte er dann. „Damit hätte ich nicht gerechnet.“ Ich spürte eine Verspannung im Nacken und begann ihn zu reiben. „Es wäre wirklich gut, wenn Komui das Ganze noch einmal durchdenkt. Es passt alles nicht zusammen, findest du nicht auch? Es ist lange her, dass wir den normalen Alltag erlebten.“ Lavi zischte auf. „Das passt einfach nicht. Nicht jetzt.“ „Mm“, stimmte ich zu. Wieder wurde neben mir geächzt und nicht viel später trafen unsere Schultern aufeinander. Er streifte mich verhalten. „Was Linali angeht.“ Er kratzte sich im Schopf. „Da hattet ihr irgendwie doch Recht.“ Ach, war das so? Hatte er so viel Angst, in ihrer Gegenwart etwas scheinbar Falsches zu sagen? Er schnalzte mit der Zunge und damit schien das Thema auch schon abgehakt. Leise hallten unsere Schritte in dem Gang wider. In unseren Rücken erhoben sich noch immer vereinzelte Stimmen und für die nächsten Momente waren es die einzigen Laute, die uns begleiteten. Ich erkannte das Treppenhaus, da erhob sich neben mir abrupt ein Lachen. „Aber jetzt mal ehrlich.“ Lavis Ellbogen traf meine Seite. „Komuis Plan ist grotesk aber deine Wahl an Alliierten ist nicht viel besser.“ „Was für ein Alliierter?“ Ich verzog das Gesicht, löste die Hände aus dem Nacken und versenkte sie in den Hosentaschen. Lavi kam von seinem Grinsen nicht los, während ich mir dabei nicht viel dachte. War es so erschreckend, dass man dieselbe Meinung teilte, wenn es um so etwas ging? Es hatte doch nichts mit uns zu tun. Es gab keine anderen Beweggründe als unsere Meinungen. Für Lavi schien die Sache nicht so simpel. „Welch Brüderlichkeit und Eintracht“, grinste er und so erreichten wir das Treppenhaus. „Ihr wart eine Einheit. Dieselbe Meinung zu vertreten, ist von gewaltiger Bedeutung, wenn Yu Teil der Gleichung ist.“ Er lachte und ich runzelte nur die Stirn. Die Reaktion bemerkte er und wieder wurde ich angerempelt. „Fühl dich geehrt, Allen. Das muss ihn eine immense Überwindung gekostet haben.“ Meine Schritte verlangsamten sich und dann erfassten meine Augen diesen Punkt, ließen mich stehenbleiben und an Lavi wenden. „Eine gewaltige Bedeutung, ja?“ Kaum hatte er genickt, bekam ich seinen Ärmel zu fassen und lenkte seine Aufmerksamkeit zur Seite. „Dann pass mal auf.“ Locker hob ich den Arm. „Kanda!“ Aus seinem Zimmer war er gekommen und sah dabei nicht aus, als hätte sich sein Gemüt eine Besserung erfahren. Wieder hielt er nur unwillig inne und unter einem überschwänglichen Grinsen hob ich den Daumen und präsentierte ihn mit all meinem Stolz. „Danke für die gute Zusammenarbeit!“ „Wovon redest du?“ Eine andere Antwort hätte mich verwundert und seiner Mimik nach zu urteilen, wusste er es tatsächlich nicht. Sich zu verstellen überließ er anderen wie mir. Neben mir windete sich Lavi in seiner schmählichen Niederlage. „Bei der Besprechung!“, rief ich. „Wir waren doch eine Einheit!“ Spätestens jetzt machte Kandas Gesicht die fehlende Geduld deutlich. Er schien zu grübeln aber es vergingen kaum zwei Sekunden, da wandte er sich ab. „Verschwende nicht meine Zeit.“ Kaum hatte er den nächsten Gang erreicht, da stemmte ich die Hände in die Hüften und labte mich an dieser Bestätigung. Es gab Dinge, die liefen niemals nach Plan aber diesmal war ich mir sicher gewesen, dass alles genauso passierte, wie ich es erwartete. Das Ziel war erreicht und neben mir rieb sich Lavi die Nase. In vielen Dingen verstand ich Kanda nicht. Ich stieg nicht hinter die Verhaltensweisen, die er uns täglich servierte und sah auch oft keinen Grund, es zu versuchen. Aber in Situationen wie diesen konnte ich völlig mit seiner Mitarbeit rechnen. Was gewisse Dinge anbelangte, war er angenehm unkompliziert. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)