My love bite on your neck von Fara_ThoRn ================================================================================ Love bite 03 - Mach mir doch kein Knutschfleck ---------------------------------------------- Love bite 03 - Mach mir doch kein Knutschfleck Fast eine Woche ist es her und noch immer sehe ich sie: Die dunklen Flecken, die meinen Hals zieren. Zwar sind sie schon heller geworden, und verblassen sicher bald ganz, aber sie wecken in mir immer noch die Erinnerung an die Nacht mit Meilo. "Mission erfüllt", sage ich zu mir selbst und fahre mit den Fingerspitzen über die dunklen Male. "Damit geisterst du immer noch in meinem Kopf herum, Meilo." Dieses alberne Lied kommt mir in den Sinn. 'Mach mir doch kein Knutschfleck, denn der Fleck hat nur den einen Zweck, der Knutschfleck bleibt und du bist weg.' Oder so ähnlich. Der Satz ist ja so wahr! Er ist weg, aber dank der dunklen Male auf meiner Haut ist Meilo immer noch allgegenwärtig. Sie halten die Erinnerung an unsere gemeinsame Nacht lebendig und jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, könnte ich schwören, dass ich sie spüre, diese Flecken auf meiner Haut. Spüre, wie sie pochen und kribbeln, und schon bin ich wieder mitten drin, in unserer gemeinsamen Nacht. "Als ob er es genau darauf angelegt hat", überlege ich laut und fahre erneut mit dem Zeigefinger über einen der Flecken. Mein Herz schlägt augenblicklich schneller. Die Bilder in meinem Kopf werden immer präsenter, fast greifbar. Ich könnte schwören, dass ich den leichten Druck fühlen kann, den seine Lippen auf meinem Hals ausgeübt hatten … die Feuchtigkeit … die kühle Luft, die anschließend darüber gestrichen ist … die Gänsehaut, die sich dort danach gebildet hat ... "Schluss jetzt damit!" Ich höre auf, in den Badezimmerspiegel, und somit auf die dunklen Stellen auf meinem Hals zu starren, und drehe den Wasserhahn auf. Etwas kaltes Wasser wird mich ablenken von Knutschflecken und leuchtend grünen Augen. Von wunderschönen, weichen Lippen und zarten Fingern, die über sensible Haut wandern. "Shit!" Ich knalle den Wasserhahn nach unten. Ich muss auf andere Gedanken kommen! Und was wäre dafür besser geeignet, als mein kleines aber feines Programm? Darauf sollte ich mich konzentrieren und meine gesamte Energie richten, und nicht auf eine längst vergangene Nacht mit einem mir beinahe Unbekannten. Mit einem Unbekannten, der mir einfach nicht aus dem Kopf will. "Daran sind nur die Knutschflecken schuld!" Was auch sonst? *** "Wenn ich hier den Wert eingebe und dann hier das Ergebnis kontroll... Oh nein! Nicht schon wieder!" Genervt lehne ich mich in meinem knarrenden Bürostuhl zurück. Kreischende Töne dröhnen zu mir ins Zimmer. Das bedeutet, Mama ist ausgeflogen und das Küken Nicole dreht wieder völlig am Rad. Am Lautstärke-Rad. "Na warte Püppi! Dir gebe ich jetzt mal Retour!", beschließe ich händereibend. Wie praktisch, dass ich gestern meine guten Boxen aufgestellt habe und meinen Plattenspieler schon perfekt austariert habe. "Jetzt bekommst du auch mal was Ordentliches auf die Ohren!" Mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen schmeiße ich mein gutes Stück an, lege die wiedergefundene Queen-Platte drauf, und suche mir eins meiner Lieblingslieder raus. Nach einem kurzen Knistern schallt Hammer to Fall durch die Boxen und ich drehe voll auf. Woll'n doch mal sehen, wer jetzt wen nervt, denn meine Boxen blasen ihre mickrigen PC-Lautsprecher noch auf der niedrigsten Lautstärke vom Schreibtisch. Es geht doch nichts über analog. Es dauert wirklich nicht lange, da fliegt meine Tür auf und eine mehr als angepisste Nicole steht im Türrahmen. Lässig liege ich auf meinem Bett, wippe mit den Füßen im Takt mit und grinse noch eine Spur gehässiger. "MACH DIESE SCHEIßE AUS!" Ich schüttle mit dem Kopf. "ICH KANN DRÜBEN GAR NICHTS VERSTEHEN!" Ich sag es doch. Gegen meine Anlage kommen ihre Pups-Boxen nicht an. He he. "Und ich kann nicht arbeiten, wenn dein Angebeteter schreit wie eine abgestochene Katze", sage ich ruhig, schließe die Augen und pfeife die Melodie mit. "Ohhhhraaahhh!" Kampfgebrüll hört sich normal anders an, dennoch stürmt mein Schwesterlein kampfeslustig auf meine Anlage zu. Ich springe auf und kann sie gerade so noch aufhalten, bevor sie nach meiner kostbaren Platte zu grapschen kann. "Wenn die einen Kratzer bekommt, hacke ich mich in deinen PC und formatiere dir die Festplatte!" Das wirkt. Sie hört auf sich gegen mich zu wehren, ist aber rot vor Wut. "Du bist so ein Arsch!", brüllt sie und dampft davon. Ich kaue mir auf der Unterlippe herum. War ich etwa zu gemein zu ihr? "Oh Mann!" Ich drehe die Musik leiser. Mama hatte recht. Ich verhalte mich im Moment wirklich wie ein kleiner Junge. Dann eben anders. Schließlich bin ich der Erwachsene hier, altersmäßig gesehen. Und wie heißt es so schön? Der Klügere gibt nach. Ich laufe zu meinen Schreibtisch rüber und hebe den Karton, den ich immer noch ausgeräumt habe, hoch und suche nach meinen Kopfhörern. Ich finde sie auf Anhieb und ziehe sie aus dem Kabelwust, als dabei ein Zettel hervor flattert und vor mir auf den Boden segelt. Neugierig bücke ich mich danach. Den habe ich ganz bestimmt nicht eingepackt! Zettelkram wandert bei mir gleich in den Mülleimer, es sei denn, es ist was Wichtiges, was in einen Aktenordner gehört. Und für den Rest: Für was gibt es Smartphones? Der perfekte Notizblock. Ich drehe das kleine Stückchen Papier um und lese neugierig, was dort geschrieben steht. "Das kann nicht sein ...", flüstere ich, merke aber, wie sich meine Mundwinkel nach oben ziehen, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. 'Wenn du mal wieder jemanden zum Reden brauchst. Meilo', steht da. Darunter seine Handynummer. "Ich habe seine Handynummer", flüstere ich noch recht ungläubig. Das macht mich plötzlich total kribbelig und aufgeregt. Und das ärgert mich gleichzeitig unheimlich. Seit Tagen verdränge ich jeden Gedanken an ihn, weil ich mir einfach nicht eingestehen will, dass ich ihn auf eine merkwürdige Art vermisse. Das ich jetzt seine Nummer habe, beruhigt mich irgendwie. Genauso sehr, wie es mich beunruhigt. Noch keine Ahnung, was ich mit der Telefonnummer anstellen soll, wandert sie erstmal in mein Handy. Sicher ist sicher. Und der Zettel? Mein Blick fällt auf die leere Pinnwand über meinem Schreibtisch. Wieso nicht? Dann ist die auch mal zu was nütze. Wie gesagt, Zettelkram wandert bei mir sonst immer in den Papierkorb. Doch bei diesem Zettel mache ich mal eine Ausnahme. Ihn einfach in den Müll zu schmeißen, dazu kann ich mich nicht überwinden. Mit neuer Energie aufgeladen (das Meilos Zettel an meiner guten Laune schuld ist, will ich mir im Moment nicht eingestehen), schnappe ich mir meine Kopfhörer und laufe auf Nicoles Zimmer zu. "Nicole? Darf ich reinkommen?" Fest klopfe ich an ihre Tür. "HAU AB, DU PENNER!" Nicht aufregen Niclas! Denk dran: Du bist der Klügere. Und der Ältere. Und natürlich derjenige, der mit reicher Schönheit gesegnet wurde. Hust. "Ich will dir ein Friedensangebot machen", starte ich einen weiteren Versuch. "NEIN!" Nein? Wie unhöflich. Ich gebe trotzdem noch nicht auf. "Ach komm schon! Ich hab was für dich." Ruhe kehrt ein. Damit meine ich, dass sie die Musik auf normale Lautstärke herunter gedreht hat. "Komm rein. Aber wehe, du verarschst mich!" Würde ich doch niemals tun! Hust. Ich sollte mal zum Arzt. Ganz langsam öffne ich ihre Tür. Ich will ja nicht Gefahr laufen, mir einer ihrer Schuhe ab zu bekommen, den sie mir vor Wut gen Kopf schleudert. Doch dazu besteht zum Glück kein Anlass, denn sie sitzt mit verschränkten Armen vor ihrem PC und starrt mich grimmig an. Keine Schuhe in Wurfweite. "Hier." Ich wedle mit den Kopfhörern und stelle mich vor sie. "Die schenke ich dir." "Was will ich damit? Die sind potthässlich!" Ich knirsche mit den Zähnen. Ganz ruhig! "Probiere sie wenigstens mal aus. Die waren damals nicht gerade billig und haben einen fetten Sound." Nicole verzieht angewidert den Mund. Bin ich etwa zu alt, um 'fetten Sound' zu sagen? Sieht so aus, und ehrlich gesagt, klang das auch für meine Ohren befremdlich und angsteinflößend. "Teste sie wenigstens mal aus." Ich halte ihr meine Kopfhörer unter die Nase, bis sie unwillig zugreift. Sie stöpselt meine guten Kopfhörer in ihren PC, zieht dabei eine Miene wie sieben Tage Hagel und Gewitterblitze, und setzt sie sich auf. Volle Pulle aufgedreht bekomme sogar ich vom Passivmithören fast einen Hörsturz und verdrehe die Augen. Wenn sie jetzt taub wird, ist das bestimmt wieder meine Schuld. "Sind ganz okay", fällt schließlich ihr mürrisches Urteil aus, als sie sich die Kopfhörer wieder absetzt. "Oh welch wundersame und seltene Begebenheit! Ein Lob des Teufels persönlich!" Wenn Blicke töten könnten ... Sagen tut sie nichts dazu. Wahrscheinlich fürchtet sie, ich könnte ihr sonst die Kopfhörer wieder abnehmen. "Viel Spaß damit", wünsche ich ihr, deute eine Verbeugung an, und drehe mich um, bleibe dann jedoch stehen und drehe mich nochmal zurück. Nicole hat wieder ein Video von diesem geschminkten Heini laufen und für eine Sekunde dachte ich, den Typen zu kennen, der da wie ein eitler Pfau über die Bühne stolziert. Doch der Eindruck verschwindet wieder so schnell, wie er gekommen ist. Klar kenne ich ihn. Nicht so gut wie meine Schwester, aber dank ihr kenne ich seine Stimme gut genug. Ein Erlebnis, auf das ich gerne verzichtet hätte. Kopfschüttelnd und ohne noch mal nach links oder rechts zu sehen, verlasse ich Nicoles Zimmer des Transen-Grauens und bin froh, als ich wieder vor meinem Bildschirm sitze. Diesmal ohne von lärmenden Popgedudel gestört zu werden. Dafür jedoch, lacht mich nun der kleine Zettel auf meinem Pinnwand frech an, auf dem Meilos Telefonnummer steht. Nebenbei fällt mir auf, was für eine schöne Handschrift er doch hat. Total bekloppt, oder? Aber noch bekloppter ist es, dass dadurch nun meine Konzentration völlig dahin zu sein scheint. Jedenfalls hocke ich vor meinem Laptop, endlich mit seliger Ruhe gesegnet, und bekomme keinen klaren Gedanken zusammen. "Verdammt noch mal!" Verärgert klappe ich meinen Laptop zu. Irgendwas ist doch immer! *** Seit zwei Tagen grüble ich schon vor meinem Handy sitzend herum. Soll ich ihm eine SMS schreiben? Ihm mitteilen, dass ich seine Notiz gefunden habe und ihm meine Nummer geben? Das Kinn auf die Hand gestützt tippe ich im Gleichtakt auf meine Wange. Soll ich, oder soll ich nicht? Soll ich? … Soll ich nicht? … Soll ich? … Soll ich nicht? … Himmel und eins! Ich benehme mich wie ein liebeskranker Teenager! Das gibt's doch nicht! Sauer auf mich und meine Gefühlsschwankungen, die mich schon viel zu lange heimsuchen und von meiner Programmierarbeit abhalten, tippe ich eine SMS ein. *Hallo Meilo. Habe deinen Zettel gefunden. Vielen Dank, Niclas.* Zack und weg damit! Ich schaue zu, wie die SMS versendet wird und dann wird mir schlecht. Was habe ich denn da für einen Müll geschrieben?! Vielen Dank?! Ach komm schon Niclas! Das kannst du doch normal viel besser! Aber dazu ist es jetzt zu spät, fürchte ich. Die SMS ist raus und ... Mein Handy piepst. Er hat mir zurückgeschrieben! Das ging ja schnell. *Ich habe zu danken. Für deine wirklich nette Gastfreundschaft ;) Schön, dass du dich bei mir gemeldet hast.* Ich lasse die Hand mit dem Handy sinken. Er hat zu danken, und schön, dass ich mich bei ihm gemeldet habe? Meint er das so, wie er es geschrieben hat, oder war das eine Anspielung auf mein Vielen Dank? Mist! Eigentlich habe ich die SMS doch geschrieben, damit ich mit dem Grübeln aufhöre. Tja, Pech gehabt! Danke Meilo! Vielen Dank! Ich lasse das Handy erst mal Handy sein, schnappe meine fertigen Bewerbungsunterlagen, die ich nachher noch auf die Post bringen will, und gehe in die Küche, um nachzuschauen, ob von Mamas leckerem Gulasch noch was übrig ist. Jackpot! Schnell einen Teller gefüllt und damit die Mikro gefüttert, lehne ich mich an den Küchenschrank und warte, bis mein Essen erhitzt ist. "Hast du schon wieder Hunger?" "Du kennst mich doch Mama." "Wie wahr!", lacht sie und legt ein Bündel frische Blumen auf den Küchentisch. "Wie geht es dir?" "Mir? Gut. Warum fragst du?" "Du bist seit Tagen so still und lungerst nur in deinem Zimmer herum. Irgendwas ist da doch im Busch." "Nö", lüge ich. "Lüge mich nicht an!" Mütter und ihre geheimen hellseherischen Kräfte! Haben sie die schon immer, oder bekommen sie die erst bei der Geburt ihrer Sprösslinge? "Geht es um Kilian? Denkst du noch immer an ihn?" Gute Frage. Eigentlich denke ich fast gar nicht mehr an ihn. Was ganz sicher an einem gewissen jemand liegt, der mir Kilian aus dem Kopf gevögelt hat. "Nein", antworte ich ihr daher wahrheitsgemäß. "Kilian ist nicht schuld an meinem stillen Herumlungern, wie du meinst an mir bemerkt zu haben." "Dann kann es ja nur wegen deinem gutaussehenden Besucher letztens sein. Hat er dir doch den Kopf verdreht?" Ich schlucke den Kommentar runter, der mir gerade auf der Zunge liegt und setzte mich mit meinem Teller voll Gulasch an den Küchentisch. "Ich liebe es, wenn ich recht habe", gluckst sie und setzt sich neben mich. Ertappt rühre ich im Teller herum. Irgendwie ist mir der Appetit abhanden gekommen. "Es ist nur ... Ach ich weiß nicht! Wir haben uns nur gegenseitig etwas getröstet. Mehr war da nicht!" Eigentlich ist das auch schon wieder gelogen, dank der SMS. "Und warum denkst du dann noch immer an ihn?" Meine Mutter legt ihre Hand auf meinen Unterarm und zwingt mich damit, das monotone Rühren sein zu lassen. "Wenn du damit weiter machst, wird meinem armen Gulasch noch schlecht." "Dann wird es ihm eben schlecht", nuschle ich und lasse die Gabel fallen. "Ich habe keine Ahnung, wieso ich noch immer an ihn denken muss. Die Nacht mit ihm war zwar schön, aber vor ihm und Kilian gab es auch schon schöne Nächte mit heißen Jungs. Ich weiß es einfach nicht." Betrübt lasse ich den Kopf hängen, während ungewollt kurze Erinnerungsfetzen der Nacht mit Meilo aufblitzen. Insgeheim weiß ich, dass die Nacht mit ihm nicht nur schön gewesen ist. Doch dies einzugestehen, würde Dinge auslösen, die ich jetzt echt nicht gebrauchen kann. "Ihr hattet also miteinander Sex?" Beim Wort Sex zucke ich zusammen. "Mama!" "Was denn? … Und? Hattet ihr?" "Ja", gebe ich klein bei. "Das ist doch gut. Kilian ist somit Geschichte. Oder?" Ist er das wirklich? Schon irgendwie, aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich dadurch besser fühle. "Keine Ahnung", antworte ich daher bloß. "Ich weiß nur, dass ich nichts weiß. Ach, es ist eh egal! Meilo ist weg und reist durch die ganze Weltgeschichte wegen seines Jobs. Ich werde ihn wohl nie wiedersehen." Die Erkenntnis trifft mich hart. Klar, das wusste ich auch schon vorher, doch es auszusprechen ist was ganz anderes, macht es so verdammt real. "Hast du ihn nicht nach seiner Handynummer gefragt?" "Nein." "Das ist ja mal wieder typisch für dich!", blafft sie mich an und lehnt sich mit verschränkten Armen zurück. "Fahr mich nicht so an! Er hat mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer dagelassen. Hab ihn vor Kurzem entdeckt." "Wenigstens einer der mitdenkt!" Sollte eine Mutter nicht zu ihrem Sohn halten? "Hast du ihn schon angerufen?" "Nein." "Warum nicht?!" "Weil ..." Ja warum eigentlich nicht? "Ich habe ihm eine SMS geschrieben." "Äsämäs!", spottet sie hämisch und spricht diese hübsche Abkürzung so aus, als hätte sie noch nie etwas davon gehört. "Ihr und euer Textgeschreibe! Das ist so unpersönlich! Ruf ihn an! Rede mit ihm. Höre seine Stimme. Ich wette mit dir, dass du dann klarer siehst und weißt was du willst." "Und dann?", frage ich sie ein wenig angesäuert. Sie hat gut reden! "Was und dann?" "Mama! Meilo reist durch die ganze Weltgeschichte und lebt in Berlin. Wie soll das deiner Meinung nach gehen?" Mal ganz abgesehen davon, dass ich mich unmöglich gleich wieder in irgendeine Liebschaft stürzen möchte. … Eigentlich ... Sie hebt eine Augenbraue und guckt mich an, als wäre ich wieder ein kleiner Junge, der seine Hausaufgaben nicht kapiert. "Du bist ohne Job, hast keine Wohnung." "Schön, dass du mir jetzt auch noch das vorhältst!" Also wirklich! Ich fühle mich gleich viel besser. "Das meine ich doch damit gar nicht! Das soll bedeuten, du könntest dir auch Arbeit in Berlin suchen, oder ..." "Stopp mal!", würge ich sie ab. "Erstens: Nur weil ich eine schöne Nacht mit Meilo verbracht habe, ziehe ich nicht gleich zu ihm, oder in die Stadt in der er lebt. Und Zweitens: ..." "Lass mich doch mal ausreden!", unterbricht sie nun mich. "Solange du keine Arbeit hast, kannst du ihn doch mal besuchen. Ihn besser kennenlernen." Mir rutscht eine Augenbraue nach oben. "Ihn besser kennenlernen?!" "Was spricht dagegen? Wenn er es auch will, und glaube mir, dass will er, sonst hätte er dir nicht seine Nummer dagelassen, dann ergreife deine Chance." So gerne ich was dagegen sagen würde, mir fällt nichts gegen ihre Argumentation ein. Vielleicht, weil ich es selbst gerne möchte. Die Vorstellung, ihn wiederzusehen, bringt mein Blut zum Kochen und ich könnte schwören, dass die fast verblassten Knutschflecken auf meiner Haut schon wieder zu kribbeln beginnen. Insgeheim habe ich ja schon das Gleiche gedacht. 'Ihn einfach besuchen ...' "Ich weiß nicht. Vielleicht war ich nur eine einmalige Sache für ihn, und er will mich einfach nur warm halten, falls er mal wieder in unsere Gegend kommt. Was weiß ich?" Kost, Logis und Sex gratis, oder sowas in der Art. Meine Mutter lacht auf und drückt meine Hand. "Ach Niclas. Du denkst immer viel zu viel nach. Lass dir von mir gesagt sein: Das er dir seine Nummer dagelassen hat, ist ein Zeichen. Er will dich ganz sicher nicht bloß 'warm halten'. Er will mit dir in Kontakt bleiben." Ungläubig schüttle ich leicht den Kopf. So ganz traue ich dem ganzen noch nicht, aber ich lasse es gut sein. Bei meiner Mutter ist sowieso jeder Widerstand zwecklos. "Du weißt auch auf alles eine Antwort, was?", sage ich stattdessen. "Natürlich! Ich bin deine Mutter! Ich weiß was gut für dich und deine Schwester ist. Und jetzt iss, dass du ja nicht vom Fleisch fällst vor lauter Griesgrämerei!" Oh man! Mütter! Wie befohlen habe ich dann auch brav meinen Teller geleert und bin nun zu Fuß auf dem Weg zum Postamt. Ich muss mich beeilen, denn es schließt in einer halben Stunde. Der Plausch mit meiner Mutter war nicht eingeplant gewesen. Endlich dort angekommen, stöhne ich genervt auf. Wieso stellen alle immer kurz vor Feierabend fest, dass die Post gleich zumacht?! Das ich mir jetzt an die eigene Nase fassen müsste, verdränge ich geflissentlich, denn wie gesagt, ich hatte schließlich noch ein dringliches Gespräch mit meiner Mutter zu führen! Genervt stelle ich mich ganz hinten an und warte darauf, dass ich endlich drankomme. Am Besten, ich kaufe noch gleich einen Schwung Briefmarken, damit ich die nächsten Bewerbungen einfach in den Briefkasten werfen kann. Dann bleibt mir das hier in Zukunft erspart. Nachdem ich endlich dran gekommen bin, meine Briefe abgegeben, und die Briefmarken eingesteckt habe, verlasse ich schnell wieder das immer noch überquellende Postamt, und laufe langsam nach Hause. Da ich nichts besseres zu tun habe, lasse ich mir das Gespräch mit meiner Mutter nochmal durch den Kopf gehen, und überlege, ob ich Meilo wirklich anrufen soll. Meint sie echt, das würde mir mehr Klarheit verschaffen? Und wenn ja, was mache ich dann? Ihm hinterher reisen, wie sie mir vorgeschlagen hat? Meine Schritte werden langsamer. Und was, wenn es was Ernstes wird und ich nicht mehr gehen kann? Wenn ich bei ihm bleiben möchte? Ich klatsche mir mental gegen's Hirn. 'Jetzt mach mal halblang!', schimpfe ich mich selbst. 'Falls es überhaupt mal soweit kommen wird, dann kannst du immer noch darüber nachdenken!' Normal mache ich mir keine Gedanken über ungelegte Eier. 'Genauso wenig wie über eigentlich unbedeutende ONS', denke ich bitter. Meine Mutter hatte recht. Ich denke darüber viel zu viel nach. Ich sollte meine Freiheit einfach genießen. Zum ersten Mal seit Jahren bin ich wieder ungebunden. Ganz und gar frei. Kein Job, keine Beziehung. Ich könnte all das machen, was ich schon immer tun wollte. Demnach auch nach Berlin reisen, um mit Meilo ein paar heiße Nächte zu verbringen. Nur so als Beispiel. Aber mal im Ernst: Was hat Meilo nur an sich, dass ich nicht mehr von ihm loskomme? Was hat er mit mir angestellt? Was war so besonders an dieser Na... "AHHHH!!!!" Mein Herz bleibt stehen und ich schrecke aus meiner nachdenklichen Trance auf. Vor mir stehen drei Mädchen, ungefähr so alt wie meine Schwester, und kreischen sich die Seele aus dem Leib. Dabei recken sie ihre Hälse gen Himmel. Ich folge genervt ihrem Blick, nachdem ich meinen Herzschlag wieder auf Normalrhythmus gebracht habe, weil ich wissen will, was diese Gänse zum Schnattern und Quietschen bringt. Werden wir etwa von Außerirdischen angegriffen? Ich blinzle wegen den Sonnenstrahlen einige Male und halte mir die Hand über die Augen, damit ich was erkennen kann. Kein Raumschiff einer außerterrestrischen Lebensform das über uns kreist, sonder eine schnöde Werbetafel türmt sich vor mir auf. Zwei Männer sind momentan dabei ein Plakat daran festzupappen und gerade, als das Ergebnis sichtbar wird, überläuft es mich heiß. Ein paar leuchtend grüne Augen starren verrucht auf mich nieder, die mich natürlich wieder an IHN erinnern. Die, mit Sicherheit nachbearbeiteten Augen, strahlen so grün, dass es schon fast unnatürlich wirkt. Sie sind mit schwarzem Eyeliner und dicker Wimperntusche umrandet, was den Effekt nur noch zu verstärken scheint. Natürlich weiß ich sofort, wer das ist. Dazu muss ich noch nicht mal den Namen lesen, der darunter steht. Keith Kandyce. Nicoles Liebling prangt in Übergröße auf der Werbetafel. Die drei Mädchen geraten richtig in Ekstase, machen Fotos und brabbeln darüber, wie sie sich das Werbeplakat am besten und unauffälligsten aneignen könnten, um sich anschließen darin einzuwickeln. Pubertierende Kleinkinder! "Oh mein Gott! Er kommt hier her! Er gibt nächsten Monat ein Überraschungskonzert!", kreischt eines der Mädchen mit ausgestreckter Hand, wobei mir fast die Ohren wegfliegen. Wenn das Nicole spitz bekommt! Noch einmal schaue ich mir diese grünen Augen an, lasse mich dazu hinreißen, erneut an Meilo zu denken, und daran, wie mich seine Augen angesehen, und wie sich seine Küsse angefühlt haben. Wie es war, seine Hände auf mir zu spüren, und vor allem, wie es war, ihn in mir zu spüren, reiße mich dann aber schnell wieder von diesen Gedanken los und laufe nach Hause. Mal sehen, wie lange es dauert, bis Nicole von Keith Kandyce Überraschungskonzert erfährt. *** "MAMA! MAAAMA!" "OH Gott!" Mama, Papa und ich springen gleichzeitig von der Couch auf und eilen hinaus in den Flur. Was ist denn passiert? Nicole schreit wie am Spieß und stürmt auf uns zu. Blutet sie? Hat sie sich irgendeinen Finger abgesäbelt? Ist ein Irrer ins Haus gestürmt, der sie kidnappen will?! "Was ist denn?" Mama ist als erste bei ihr und ich überlege schon, wie nochmal die Nummer des Notrufs war. Die 110 oder die 112? "ER KOMMT! MAMAAAA ER KOMMT!!!" "Wer kommt?" Notrufnummern ade. Es sei denn, Nicole hyperventiliert gleich. "Keith Kandyce", kläre ich meine anscheinend nicht mehr ganz so allwissende Mutter auf. "Woher weißt du das?!", fragt mich mein Schwesterherz und glotzt mich mit ihren Kuhaugen an. "Hinten am Sportplatz hängt ein riesiges Plakat von ihm." "AAAAHHHH!!!" Oh Fuck! Jetzt bin ich taub! "Gott Nicole! Deshalb so ein Aufriss? Weißt du eigentlich, was du uns eben für einen Schrecken eingejagt hast? Wir dachten, es sei sonst was passiert!" "Mama, Mama! Darf ich da hin? Darf ich? Es ist quasi vor der Haustür!", quengelt meine Schwester ungeachtet meiner erschrockenen Mutter drauf los. Nun schaltet sich mein Vater ein, und dessen Kommentar dazu kenne ich leider nur zu gut. "Du bist dafür noch zu jung! In deinem Alter gehst du noch auf kein Rockkonzert!" Der selbe Satz wie vor Jahren bei mir, als ich auf ein 'Rockkonzert' wollte. Nicht, dass ich auf ihn gehört hätte. Im Davonschleichen war ich einsame Spitze. "Aber Papa!" Nicole fängt tatsächlich gleich an zu heulen. Ich seufze. Auch wenn ich nicht auf Nicoles Seite bin, und ihren tuntigen Sänger nicht leiden kann, muss ich jetzt doch für sie Partei ergreifen. Von Fan-Schwester zu Fan-Schwester sozusagen. "Sie ist vierzehn Papa. Damals war ich auch schon überall unterwegs und habe mich auf Konzerten und in Clubs herumgetrieben." "Was?!" Ups. "Ich lebe noch", erwidere ich lapidar und kann mich an einige Episoden in meinem jugendlichen Leben erinnern, in denen ich heimlich aus dem Kellerfenster gestiegen bin. Meist ging es um Jungs oder Clubbesuche. Doch auch das ein oder andere Konzert war darunter, und wenn ich so drüber nachdenke, ich würde meine vierzehnjährige Tochter vielleicht auch nicht alleine dorthin lassen. "Bitte Papa! Mama! Sag doch auch was dazu!" Nicole gibt nicht auf und übt kleines, kulleräugiges Mangamädchen. "Ich weiß nicht. Du bist wirklich noch zu jung um alleine auf ein Konzert zu gehen." "Aber meine Freundinnen gehen bestimmt auch hin!" "Das ist mir egal!" Drohend hebt mein Vater DEN Finger. Den Zeigefinger, um es genauer zu erklären. Eben der Finger, der keinen Widerspruch duldet und uneingeschränkten Gehorsam verlangt. Wie oft hatte ich den schon bewundern dürfen in meiner Jugend? "Du gehst mir da nicht alleine hin. Verstanden?" "Ach Mensch!" Nicole ist wieder den Tränen nahe. "Niclas könnte dich doch begleiten." HÄ?! Entgeistert kippt mir die Kinnlade runter und ich sowie Nicole schreien gleichzeitig meine Mutter ein "Niemals!" entgegen. "Dann wird eben Zuhause geblieben, junge Dame!" Papas Wort ist Gesetz und somit unbestreitbar. "Ihr seid so gemein! Ich hasse euch!" Wumms! Die Tür war zu. Dass das die Türangeln noch aushalten ... "Ach herrje", bläst meine Mutter. "War ich als Teen auch so furchtbar?", will ich wissen. "Ja." "Kann nicht sein!" Also ehrlich! "Schatz? Du warst ein verdammt gutaussehender junger Mann, der jedem Knackarsch nachgewackelt ist, den er vor die Glotzerchen bekommen hat! Du warst teilweise sogar noch schlimmer!" "Also ...! Das stimmt doch gar nicht!" Daran würde ich mich erinnern! "Und ob das stimmt! Was war ich erleichtert, als ich beim Waschen deiner Lieblingsjeans zwei Kondome gefunden habe. Wenigstens hast du dich geschützt." Wo ist das Loch im Boden, in das man unauffällig verschwinden kann, wenn man es braucht? Nach dem ganzen Trubel habe ich mich erst mal hinter meinen Laptop verkrochen. Arbeit ist immer gut, um auf andere Gedanken zu kommen, weshalb ich mich gerade besonders auf eben diese stürze. Ich will den wirren Bildern in meinem Kopf entkommen. Von grünäugigen Traummännern und geschminkten Transen, sowie meinen frühen Anfängen in Sachen Liebe unter Männern und der Vorstellung, wie meine Mutter die geklauten Kondome (sie zu kaufen, davor hatte ich damals viel zu viel Schiss und es war mir unglaublich peinlich) in meiner Lieblingsjeans gefunden hat. Es gibt schönere Dinge, an die man sich aus seiner Jugendzeit erinnern kann. Zum Beispiel an Boris. Die kleine geile Sau. Er ist der Erste gewesen, der mir einen geblasen hat. Ich war damals gerade mal fünfzehn gewesen und so aufgeregt, dass ich sofort gekommen bin. Aber es war geil gewesen und die anschließende Revenge ebenso. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass sich ein fremder Schwanz so fantastisch in meinem Mund anfühlen konnte. Selige Jugenderinnerungen! Kurz gerät mein Programm in den Hintergrund, als ich mir als nächstes Pauls runden Hintern in Erinnerung rufe, den ich kurz danach bestaunen durfte. Mit ihm durfte ich so einiges anstellen. Nicht das volle Programm, wenn ihr versteht, aber es war sehr lehrreich gewesen. Mit entfleucht ein leises Seufzen. Bin ich wirklich so umtriebig gewesen? Im Vergleich zu meinem jetzigen Sexualleben auf jeden Fall. Früher bin ich viel forscher gewesen, obwohl meist ich angesprochen wurde, weil ich dann doch nicht so viel Mut hatte, die Kerle, die ich geil fand, aufzureißen. Trotzdem hatte ich komischerweise niemals Angst, mich könnte einer dumm anmachen, weil ich auf Kerle stehe. Es war eben alles so neu und aufregend gewesen. Ich wollte alles ausprobieren und die Typen, mit denen ich das auch tat, fanden immer ihren Weg zu mir. … Oder in mir ... Noch tiefer in meine ersten sexuellen Erfahrungen versunken, bekomme ich zuerst gar nicht mit, wie draußen im Flur eine Zimmertür aufschwingt. Erst als ich das verräterische Knarren der Treppenstufen vernehme, schaue ich auf. Ein schneller Blick auf die Uhrzeit. Halb zwölf schon. Wo will denn mein liebes Schwesterlein zu so später Stunde noch hin? Ich klappe meinen Laptop zu, da an Arbeiten jetzt erst recht nicht mehr zu denken ist, und setzte ihr nach. Sie ist zwar eine kleine Nervensäge, aber wenn sie nachts draußen umherstreift, habe ich doch besser ein Auge auf sie. Sicher ist sicher. Leise folge ich ihr, bis sie das Haus verlässt und die Tür hinter sich schließt. Ich zähle bis zehn und folge ihr. Auf der Straße schaue ich mich kurz um und entdecke sie, wie sie gerade links um eine Ecke verschwindet. Nichts wie nach! Es dauert nicht lange, da weiß ich, wohin sie geht. Richtung Sportplatz, wo die Werbetafel ihres Angebeteten aufgestellt ist. Soll ich ihr den Spaß gönnen, und sie ihn Ruhe lassen? Andererseits ist sie mitten in der Nacht alleine unterwegs. Was, wenn ihr etwas passiert? Besser, ich dackle ihr weiter nach, halte aber einen gebührenden Abstand zu ihr ein. An der Werbetafel angekommen, bleibe ich hinter einer Thujahecke stehen und warte ab. Nicole steht ganz verloren da, schaut zu diesem geschminkten Schnösel auf und ... heult! Mein kleines Schwesterchen steht da und heult! Das kann doch nicht angehen. Das hält doch keine Kuhhaut aus! Und eine schwule schon mal gar nicht. "Nicole?" Erschrocken dreht sich meine Schwester zu mir um. "Was willst du denn hier?!" Hastig wischt sie sich mit dem Arm über die Augen. "Dir beim Heulen zugucken", sage ich achselzuckend. "Arsch!" Beschämt wendet sie sich von mir ab. Gut, das habe ich verdient. Laut lasse ich meine Atemluft entweichen und stelle mich neben sie. Den Kopf hochgestreckt mustere ich den überdimensionalen Typen in enger Jeans und Glitzertop. "Warum stehst du nur so auf diesen Typen?" "Das verstehst du nicht", schnieft sie. "Hm. Vielleicht schon. Ich war auch mal ein Teenager." "Hör auf mich zu verarschen! Lass mich in Ruhe!" Sie wischt sich abermals mit ihrem Ärmel über die Nase. Lecker. "Wieso darf ich nicht auf das Konzert? Da passiert doch nichts! Da sind doch überall Sicherheitsleute und Polizei." "Warst du denn schon mal auf einem richtigen Konzert? Auf einem großen, mit über tausend Leuten?" Sie schüttelt den Kopf. "Habe ich mir gedacht." "Kommt jetzt so eine großer Bruder Ansprache?", giftet sie mich an. "Nein. Aber weißt du was bei meinem ersten Konzert passiert ist?" "Was'n?" "Ich bin umgekippt." Nicole lacht auf. "Hey! Das war nicht witzig!" "Nur Mädchen fallen in Ohnmacht", gackert sie. "Ich bin nicht in Ohnmacht gefallen!", verteidige ich mich. "Das lag einfach daran, dass man auf sowas nicht vorbereitet ist. Du bist umgeben von einem Haufen Menschen, stehst dir ewig die Beine in den Bauch, noch bevor das eigentliche Konzert richtig anfängt. Davor hast du natürlich vor Aufregung kaum was gegessen, getrunken auch nicht, denn man will ja nicht während dem Konzert pullern gehen müssen. Dann, wenn das Konzert endlich anfängt, hast du vorher schon mindestens eine Stunde vor der Bühne gestanden. Die Aufregung kommt zurück und du guckst nur nach vorn, reckst den Hals und es wird immer heißer und enger und ... dann hatte ich Sternchen vor den Augen und mir wurde ganz schwummrig. Zum Glück hatte ich zwei Freunde dabei, die mich gestützt haben." Nicole schaut mich nachdenklich an, dann wieder diesen Keith. "Sicher gehen Wendy und Penelope auch hin." "Das überzeugt Papa aber nicht." "Sicher nicht." Mit einem Hündchenblick fixiert sie die Werbetafel. "Ich will ihn aber sehen, verstehst du? Nur einmal." Klar verstehe ich sie. Ich kenne das Gefühl, unbedingt seinen Lieblingsstar sehen zu wollen, mit eigenen Augen und nicht nur im Fernsehen. Jeder war mal jung, und ich glaube, jeder hat so eine Phase schon durchmachen müssen. Und selbst heute ist es noch schön, wenn man zu seiner Lieblingsband auf das Konzert geht, in alten Erinnerungen schwelgt, auch wenn man dabei nicht mehr so aufgedreht ist, wie in eben jenen alten Erinnerungen. "Soll ich mit?" Ich glaube es nicht, dass ich das gerade frage! Der Moment muss mich mitgerissen haben. "Du?! Echt?!" Ich zucke mit den Schultern. "Du magst seine Musik doch gar nicht." "Tue ich auch nicht." "Du wirst von kreischenden Mädchen umgeben sein." "Öfter mal was Neues", lache ich und erhalte einen Knuff in die Seite. "Ich versuche auch mein Bestmöglichstes zu tun, um dich nicht in peinliche Situationen zu bringen." "Und die wären?" "Babyfotos von dir auf die Bühne schmeißen, zum Beispiel ... AU!" "Du Arsch! Wehe!" Grinsend wehre ich ihre Schläge ab. "Das machst du nicht! Sag, dass du das nicht tun wirst!" "Werd ich schon nicht!", lache ich und schubse meine zeternde Schwester ein Stück von mir weg. "So! Und jetzt ab nach Hause. Ich friere mir hier langsam den Arsch ab." "Als ob du einen hättest!" "Hey!" Gespielt angesäuert stemme ich meine Hand in die Hüfte und die andere wedelt perfekt übertrieben in der Luft herum. "Also hör mal! Ich habe einen Prachtarsch! Ganz im Gegensatz zu diesem Keith Kandyce!" "Wie kannst du es wagen?!" Ihr Fuß verfehlt mich nur knapp. Vielleicht sollte ich aufhören ihren Liebsten zu kritisieren, wenn ich lebend aus dem Konzert kommen will. Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt? *** Drei Tage später sind die Konzertkarten schließlich da und ich lege den noch verschlossenen Umschlag auf Nicoles Schreibtisch. Auf das Gekreische, wenn sie die Karten in ihre Krallen bekommt, habe ich null Bock. Besser, sie kreischt ihre eigenen vier Wände zusammen, als meine. Deshalb sind die Tickets hier am besten aufgehoben. Wie immer wenn ich dazu genötigt bin hier einen Fuß hineinzusetzen, in dieses Keith Kandyce wunderglitzer Fanland, schaue ich mich halb fasziniert und halb angeekelt um. Wie kann man nur so besessen von einem Kerl sein, den man niemals näher kommen kann, als für höchstens zwei Sekunden, wenn er unzählige Unterschriften auf klebrige, kleine Mädchenhände verteilt? Mysterien der Teeniewelt! Ja, ich war auch mal jung und verliebt in ein Idol meiner Jungendzeit gewesen. Trotzdem: So schlimm war ich auf keinen Fall! Muss so ein Mädchending sein, von dem ich nichts verstehe. Eigentlich will ich jetzt erstmal in die Küche tigern und mir einen Eistee genehmigen, doch mein klingelndes Handy vereitelt diesen Plan. Ich hechte in mein Zimmer und hebe ab, ohne auf die Nummer gesehen zu haben. "Ja?" /Hallo Niclas! Wie schön deine Stimme zu hören./ Das ist doch ...! "Meilo! Hey!" Oh Mann! Da denkt man einmal nicht an ihn, und dann ruft er einfach so an! Frechheit! Macht er das extra? /Störe ich? Du hörst dich so gehetzt an./ "Nein, nein, tust du nicht. Ich war nur ... Egal. Du störst nicht." Mit gummiweichen Knien setzte ich mich aufs Bett, das Handy fest in meiner feuchten Hand. Bin ich aufgeregt! /Schön. Wie geht es dir?/ Keine Ahnung! "Gut. Und dir?" /Hab ein bisschen Stress, aber das ist eigentlich normal bei mir./ "Oh, gut!" Ich verziehe das Gesicht. Dämliche Antwort. /Wie man es nimmt/, lacht er, wobei ich mich noch dämlicher fühle. Allerdings habe ich es auch nicht anders verdient, nach diesem geistreichen Gesprächserguss. /Und dein Ex? Konntest du ihn endlich vergessen, oder hast du noch immer Liebeskummer?/ Ja! Aber nicht wegen Kilian! ... Ähm. Und auch nicht wegen dir! Das wüsste ich doch ... oder? "Es geht. Dank dir", sage ich leise und schlucke nervös den wachsenden Klos in meinem Hals runter. Habe ich das eben wirklich gedacht? Das ich Liebeskummer wegen ihm habe? Zu meiner zugeschnürten Kehle gesellt sich nun auch eine zugeschnürte Brust. So ein Mist! Wo kommt das denn nun wieder her? Meilo lacht leise und in meiner Körpermitte regt sich was. Doppel-Mist! Ein kleines Lachen von ihm, und ich werde hart! Das gibt es doch nicht! /Dank dir könnte ich auch sagen/, meint er und mir wird heiß. /Weswegen ich eigentlich anrufe .../ Gespannt drücke ich mein Ohr fester gegen das Plastik des Handys. /In drei Wochen bin ich mal wieder bei dir in der Gegend und ich dachte ... Also ich hab mich gefragt .../ Mein Herz schlägt schneller und noch ehe ich es verhindern kann: "Klar kannst du vorbeikommen!" Am anderen Ende der Leitung beginnt es schallend zu lachen. Oh verflucht! Ich vorschneller Idiot! /Eigentlich wollte ich was anderes fragen./ Shit! Ich Dummkopf! Ich voreiliger Trottel! Ich ... /Darf ich wieder bei dir übernachten?/ Ich plappernder ... Glückspilz! "Ja ...", flüstere ich ungläubig. "Auf jeden Fall." /Ich werde aber erst ziemlich spät ankommen. Dafür könnte ich dann aber auch zwei Nächte bleiben./ Kribbelnde Vorfreude treiben mich auf die Beine und ich fange an, wie von sinnen in meinem Zimmer auf und ab zu laufen. Zwei Nächte! Er bleibt ganze zwei Nächte! "Kein Problem! Wenn du da bist, lass es einfach auf meinem Handy klingeln und ich mach dir auf. Egal wie spät." Klingt das irgendwie so, als ob ich es kaum noch erwarten könnte ihn zu sehen? Ja! Aber scheiß drauf! /Klasse! Das wäre dann am Freitag den 14. August./ Freitag der 14. August? War da nicht was? "Das Konzert", flüstere ich und schlage mir gegen die Stirn. /Was?/ "Ähm ... Um welche Uhrzeit wirst du denn ungefähr da sein? Ich bin nämlich abends noch weg." Ich könnte mir echt in den Arsch treten! Wieso habe ich nur gesagt, dass ich Nicole zu dem dämlichen Konzert begleite?! /So gegen zwei Uhr Nachts./ Das müsste zu schaffen sein! Dicke! "Das passt!" /Wunderbar!/ Du ahnst ja gar nicht wie wunderbar das ist Meilo! /Niclas?/ "Ja?" /Ich freue mich schon auf dich./ Das Kribbeln in meinem Bauch verstärkt sich und ich halte mich am Rand meiner Schreibtischplatte fest. /Ich musste sehr oft an dich denken./ Ich bekomme keinen Ton heraus. Sein Geständnis raubt mir regelrecht die Luft zum Atmen. Er hat also auch an mich gedacht! /Ich weiß ja, dass du noch an der Beziehung mit Kilian zu knabbern hast, aber ich würde dich gern öfter sehen. Ginge das?/ Ich plumpse auf meinen Bürostuhl. /Niclas? Bist du noch da?/ Wie unsicher sich Meilos Stimme anhört! Er ist ebenfalls nervös. Irgendwie beruhigt mich das. Ich bin scheinbar nicht der Einzige, der sich ständig Gedanken um den Anderen macht. "Ja, bin noch da", krächze ich. Was sage ich denn jetzt? Er will mich öfter sehen? Aber: "Und deine Arbeit? Bist du nicht die ganze Zeit unterwegs?" Wie will er mich da öfter sehen? /Nicht mehr lange. Ich habe vor, das zu ändern. Mein Vertrag läuft ende des Jahres aus und ich werde ihn nicht mehr verlängern lassen./ "Du willst dir was anderes suchen?" /Ja./ "Dann gefällt dir dein Job nicht mehr?" /Doch ... Nein! Nicht direkt jedenfalls./ Er seufzt leise. /Ganz ehrlich? Ich hasse ihn./ Meilo hört sich gar nicht gut an. Sein Job muss ihn echt stressen. Eigentlich auch kein Wunder, nachdem, was er mir über sein ständiges Umherreisen erzählt hat. "Das tut mir leid", sage ich schließlich und meine es auch so. "Ich hoffe, du hast schon eine Alternative." Ich weiß nur zu gut, wie es ist, in seinem Traumberuf keine Stelle zu finden. /Die habe ich!/, sagt er und klingt endlich wieder wie der Meilo, denn ich kennengelernt habe. /Und ich freue mich schon riesig drauf meine Ideen umzusetzen./ "Dann reist du nicht mehr quer durchs Land?" /Nein! Jedenfalls nicht ständig./ Hört sich gut an. /Sorry Niclas, aber ich muss jetzt Schluss machen./ "Ist gut." Schade. Ich hätte gern noch länger mit ihm telefoniert. /War schön, wieder deine Stimme zu hören./ Mein Herz gerät kurz ins Stolpern. "Finde ich auch." Ein kleiner Seufzer entkommt mir. "Telefonieren wir nochmal miteinander?" /Unbedingt!/ Lachend verabschiede ich mich von ihm, verspreche nicht ganz ernsthaft, vor meinem Handy auf seinen nächsten Anruf zu warten, und lege auf. "Meilo kommt", sage ich zu mir selbst und springe von meinem Bürostuhl auf. "Meilo kommt!!!" Jetzt habe ich auch was, auf das ich mich die nächsten drei Wochen freuen kann. Und nicht nur Nicole kann sich wie ein verliebter Teenager aufführen! Das wird sie schon noch sehen. Wobei "Ich bin doch gar nicht verliebt!" ... Oder? ****** Fara: Nein, Niclas! Gar nicht! Niclas: Was solln das heißen, hä? Fara: Nix. *unschuldig in die Luft starre* Niclas: Dumme K... Meilo: Lass sie doch und komm lieber zu mir. Niclas: Meilo! *_* Fara: Überhaupt nicht verliebt, der Gute. Nein, nein. XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)