A Mermaid's Kiss von Flordelis ================================================================================ Prolog: Prolog: Habe ich was geerbt? ------------------------------------ „Leben ist einfach.“ Die gesamte Gruppe hob den Kopf, wandte den Blick von dem wärmenden Feuer ab, und sah Faren an, der beim Aussprechen dieser Weisheit aufgestanden war. Er genoss den Moment, den er im Rampenlicht verbringen durfte, spürte bereits aber wieder den kalten Wind, der an ihm zu zerren schien, deswegen zog er ihn nicht zu lange hin: „Ihr müsst einfach immer nur weiter ein- und ausatmen.“ Die anderen gaben ein nervöses Lachen von sich, manche von ihnen klangen heiser. Sie hatten schon lange nicht mehr gelacht, weil es auf der Straße auch keinen Grund dafür gab. Dass sie das gerade überhaupt getan hatten, war wohl hauptsächlich der abfallenden Anspannung zu verdanken. „Ich meine es ernst“, fuhr Faren fort und deutete in die Flammen hinein. „Seht euch doch nur das Feuer an.“ Sie sahen alle wieder zu der alten Tonne, deren blaue Farbe bereits abblätterte und darunter Rost enthüllte. Darin hatten sie zerkleinerte hölzerne Paletten, die jemand einfach irgendwo abgelegt und vergessen hatte, aufgestapelt, mit alten Zeitungen und Werbeprospekten unterfüttert und das alles schließlich angezündet, um sich warmzuhalten. Es mochte wie ein Klischee aus zahlreichen Filmen über Obdachlose wirken, aber es tat seinen Zweck für die zehn gebrochenen Gestalten, die sich darum versammelt hatten und zitternd nach Wärme suchten, während sie auf alten Getränkekisten saßen, die als improvisierte Bänke dienten. Die Flammen knisterten, während sie sich durch das knackende Holz fraßen, gierig ihre Nahrung verschlangen. Aber keiner schien wirklich zu verstehen, worauf er hinauswollte, denn schon nach kurzer Zeit lenkten sie alle ihren Blick wieder ratlos in seine Richtung. Er seufzte theatralisch, aber nicht wirklich frustriert. „Die Flammen atmen. Egal, was um sie herum geschieht, solange sie Sauerstoff und Nahrung haben, leben sie einfach. Genau so sollten wir es auch machen.“ An Luft hatte es ihnen glücklicherweise noch nie gemangelt, Nahrung war da ein ganz anderes Problem, aber normalerweise, mit genug Talenten in der Gruppe, funktionierte auch das. Verhungert war jedenfalls noch keiner von ihnen, gefährlich abgemagert waren sie auch nicht, aber einige Kilo waren durchaus verlorengegangen. In ihrer Lage störte man sich aber nicht wirklich daran, da gab es andere Dinge, die wichtiger waren. Zum Beispiel, wo man heute Nacht schlafen sollte. Durch den plötzlichen Kälteeinbruch war es ihnen unmöglich, in ihrem üblichen Lager zu schlafen. Das Gespräch darüber hatte die Stimmung auch erst derart gedrückt. „Faren.“ Orlando klang wie immer ernst, manchmal war er ratlos, wie dieser junge Mann auf der Straße gelandet war. „Das ist nur ein Feuer. Warum siehst du darin so eine philosophische Lebensart?“ Vor allem war Orlando kein Träumer, was ihn noch ratloser darüber machte, weswegen er wohl fror, statt sich in einem gemütlichen Apartment einfach vor seine Heizung zu setzen. Aber da Orlando auch nur ungern über sich selbst sprach, konnte Faren das nicht weiter beurteilen. Die anderen schienen sich nicht ganz so einig darüber, was sie tun sollten und tauschten nur Blicke miteinander. Faren seufzte leise. „Ich will nur ein wenig Aufmunterung verteilen. Die können wir wohl alle gebrauchen, oder?“ Er lächelte den anderen zu, aber keiner von ihnen erwiderte es. Betreten sahen sie zu Boden oder wieder ins Feuer, um seinem Blick auszuweichen. Dennoch behielt er sein Lächeln bei, wenn auch nur um seine eigene Motivation nicht zu gefährden. Um die anderen aber nicht zu sehr aufzuwühlen, wollte er sich gerade wieder setzen – als ihm eine Person auffiel, die in der Gasse zu ihrem Hinterhof stand. Es war ein Mann in einem Anzug, ein feiner Geschäftsmann mit sorgsam gekämmten schwarzen Haar und mit einem übermüdet aussehenden Gesicht. Faren wollte ihm zurufen, dass er sich mit Sicherheit verlaufen hatte und dass ihm doch kalt sein müsste, da kam er bereits einige Schritte näher. Sein Blick wanderte über die einzelnen Anwesen, von denen keiner ihn zu beachten schien – außer eben Faren, der jede Bewegung des Mannes aufmerksam beobachtete. Wenige Schritte von Faren entfernt, hielt er schließlich wieder inne, die braunen Augen nun gänzlich auf ihn gerichtet. Aus der Nähe sahen sie nicht mehr müde, sondern viel mehr überraschend wach und immerzu vorbereitet aus. „Faren Griffin.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, in einem Ton, der Faren nicht behagte, obwohl die Stimme des anderen überraschend angenehm klang. Er hob die Schultern hoch. „Hat mein Alter Sie geschickt? Ich komme nicht wieder nach Hause, das können Sie ihm direkt sagen und außerdem kann er mich-“ „Timothy Griffin ist verstorben.“ Diese Nachricht erstaunte ihn derart, dass er sich nicht einmal daran stören konnte, dass er unterbrochen worden war. „Bitte?“ „Timothy Griffin ist verstorben“, wiederholte der Mann im selben Tonfall noch einmal. „Vor wenigen Wochen erst. Ich war seitdem auf der Suche nach dir.“ „Weswegen? Habe ich was geerbt? Hatte er ein geheimes Bankkonto?“ Als ob sein Vater so etwas jemals besessen hätte, als ob er jemals richtig gearbeitet hätte. „Geerbt trifft es gut.“ Der Mann zog das Wort lang, als wolle er es eigentlich gar nicht verwenden, weil er sich über die Bedeutung nicht im Klaren war. „Aber es handelt sich dabei um keine Wertgegenstände oder Geld, fürchte ich.“ Das einzige, was Faren dann noch einfiele, wäre etwas, das mit seiner DNA zusammenhing, aber er hoffte, dass er nicht irgendeine Krankheit geerbt hatte, die man nun in ihm erforschen wollte. Für einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, einfach wegzulaufen, aber wohin sollte er schon gehen? Irgendwann müsste er wieder zur Gruppe zurückkehren und spätestens dann wäre er geliefert. Also konnte er es auch gleich hinter sich bringen. „Worum geht es dann?“ „Du hast eine Gabe geerbt, die wir gern nutzen möchten.“ „Wer ist wir?“ Der Mann zog seine Börse aus seiner Tasche, klappte sie locker auf und hielt Faren einen Ausweis unter die Nase. Dadurch erfuhr er immerhin, dass der Fremde Kieran Lane hieß und für etwas arbeitete, das sich Abteracht nannte. Was auch immer das sein sollte. Es schien, als lese er Farens Gedanken: „Sonderspezialeinheit der Regierung. Wir sind für ganz … spezielle Fälle zuständig und könnten dafür deine Gabe gebrauchen.“ Mehrere Fragen drängten sich Faren dabei auf, so dass er sich für keine entscheiden konnte, denn sie schienen ihm alle gleich wichtig. Oder zumindest gab es keine wirklich sinnvolle Reihenfolge, die sich ihm offenbaren wollte, da die Unterschiede nur sichtbar wurden, wenn er die Gewichtung änderte, aber er wusste nicht, was ihm wichtiger sein sollte. Sollte er darauf bestehen, zu erfahren, was das für Fälle waren? Oder wie man ihn hier gefunden hatte? Oder war nicht wichtiger, welche Gabe es denn sein sollte, die man von ihm verlangte? Statt irgendetwas davon zu fragen, sah er diesen Kieran einfach nur weiter an, bis dieser mit der Hand ausholte – und damit problemlos durch die Person hindurchglitt, die neben ihm saß. Erst in diesem Moment fiel Faren auf, dass keiner der anderen Notiz von Kieran zu nehmen schien. Zuerst nahm er an, dass es sich bei dem Fremden um einen Geist oder eine Halluzination von ihm handelte, aber das erklärte immer noch nicht, weswegen sie auch nicht darauf reagierten, dass er mit jemandem sprach, den sie nicht sehen konnten. Sie ignorierten dieses Gespräch vollkommen. Verwirrt sah er wieder Kieran an, der diesen Anblick wohl bereits gewohnt war, genau wie die dazugehörigen Fragen, denn er beantwortete sie, ohne dass Faren sie aussprechen musste: „Du bist nicht tot, genausowenig wie ich. Wir sind beide am Leben. Aber der Rest deiner Gruppe … nicht so sehr.“ Kaum hatte er das gesagt, lösten sie sich nacheinander auf, ihre Körper zersetzten sich einfach in Funken und schwirrten davon als wären sie ein aufgeschreckter Fliegenschwarm, der sich nun lieber andere Verstecke suchen wollte. „Aber … aber wann …?“ Könnte Faren wirklich verpasst haben, dass seine Freunde gestorben waren? Nein, es hätte ihm doch auffallen müssen, wenn sie eines Tages nicht mehr aufgestanden waren. „Sie waren schon tot, als du sie das erste Mal getroffen hast“, sagte Kieran. „Sie sind nur Verlorene Seelen, die sich anscheinend von dir angezogen fühlen.“ Es kam Faren vor, als wäre sein Inneres soeben mit Eiswasser gefüllt worden, das nie wieder Wärme zulassen wollte, nicht einmal wenn er sich direkt ins Feuer stellte. „U-und das …?“ „Du hast sehr viel Talent im Umgang mit Geistern und anderen Wesen“, erklärte Kieran, „und das möchten wir gern nutzen.“ Faren wich zurück. Eigentlich hielt ihn nun nichts mehr davon ab, wegzurennen, aber das Eiswasser in seinen Eingeweiden ließ seine Bewegungen träge werden. Deswegen hörte er – glücklicherweise – auch noch Kierans nächste Worte: „Natürlich nicht umsonst. Abteracht bietet dir nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz und eine Krankenversicherung, sondern auch eine Wohnung.“ Während Faren sich noch vorstellte, wie wunderbar es sein könnte, sich nicht mehr Sorgen um die einfachsten Dinge machen zu müssen und immer in einer sicheren Umgebung einschlafen und auch wieder aufwachen zu können, streckte Kieran ihm die Hand entgegen. „Also, sind wir im Geschäft?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)