SHaRKY SCaM von King_of_Sharks (SouRin) ================================================================================ Kapitel 1: Wenn deine Welt auseinander fällt -------------------------------------------- Da war ein Klopfen. Es war leise, wurde immer lauter. Ganz viele kleine Hände schienen gegen etwas zu hämmern; unablässig, in schnellen, undefinierbaren Rhythmen. Die roten Augen öffneten sich langsam, noch immer benebelt von den Drogen, die sie ihm eingeflößt hatten, dass er auch bloß keinen Ton von sich gab. Und das alles nur, weil er der war, der er war. War es eine so große Sünde, überhaupt zu exilierten? War er so obszön für sie, dass sie ihn loswerden wollten? Hätte Rin die Kraft gehabt, hätte er sich weiter diese und ähnliche Fragen gestellt, doch momentan bereitete es ihm große Mühe, überhaupt wach zu bleiben. Seine Sicht war noch verschwommen und er konnte kaum die Augen aufhalten - so schwer fühlten sich seine Lider an. Es regnete anscheinend, der Geräuschkulisse nach zu urteilen. Die kleinen Tropfen trommelten auf die Autoscheiben um ihn herum. Er nahm zwei Männerstimmen wahr, die sich ganz in seiner Nähe unterhielten; was sie allerdings sagten, verstand er nicht. In seinem derzeitigen Zustand konnte er nicht ausmachen, ob es Japanisch, oder eine andere Sprache war, die er nicht kannte. Nach einiger Zeit schienen die Drogen langsam nachzulassen, sodass Rin nun zumindest sagen konnte, dass sie kein Japanisch sprachen. Das bestärkte das beklemmende Gefühl von Angst in seiner Brust zusätzlich. Er hatte großen Durst, aber gerade ganz andere Sorgen: Wohin wurde er gebracht? Wer waren die Leute auf den Vordersitzen? Was würde man mit ihm anstellen…? Sie wollten ihn doch nicht etwa- Nein, das konnten sie nicht! Das durften sie nicht! Rin spürte, dass er langsam in Panik geriet und wusste sich nicht zu helfen, um das zu verhindern. Sein Atem ging jetzt schon viel zu schnell und heftig, sodass er Angst hatte, sie könnten bemerken, dass er wach war. Das war alles nicht real! Er hatte einfach nur einen schlechten Traum und bald würde er schweißgebadet in seinem Bett erwachen und sich dann ins Zimmer seiner Mutter schleichen, sodass sie ihm eine warme Milch machen konnte. Aber Rin war keine acht mehr und das war auch kein Traum. Er saß gerade wirklich in einem kleinen Auto, das nachts irgendwo im Nichts bei strömendem Regen eine unebene Straße in gemächlichem Tempo fuhr und ihn weiß Gott wo hin brachte! Zu allem Überfluss fehlten Rin jegliche Erinnerungen daran, wie er in diese missliche Lage gekommen war. Das Letze, an das er sich erinnerte, war dass er sein Elternhaus am frühen Abend verlassen hatte, weil er auf eine Party hatte gehen wollen. Danach war einfach nichts mehr. Dass er sich zu erinnern versuchte, half gegen seine Panik, sodass seine Brust sich wieder in normalem Tempo hob und senkte. Rin konzentrierte sich jetzt darauf herauszufinden, wo er war, indem er aus dem Fenster sah. Seine Augen waren noch immer müde, doch gehorchten sie ihm wieder. Das half aber auch nichts, denn draußen war schwarze Nacht, die von keiner Straßenlaterne, oder sonstigen Lichtquelle, erhellt wurde. Das einzige, das er sah, waren die Regentropfen, die an die Scheibe knallten und diese hinabliefen. Schon sank er im Sitz zusammen und mit ihm seine Hoffnungen auf Rettung, oder eine Fluchtmöglichkeit, denn auch wenn er nicht angebunden war, so konnte er schlecht aus dem fahrenden Wagen springen. Was würde ihm das mitten im Nirgendwo, ohne Taschenlampe, Karte, oder Fluchtplan nützen? Sie würden ihn sofort wieder einfangen und ihm vielleicht sogar weh tun – wenn sie das nicht schon längst getan hatten. Dieses Risiko wollte Rin nicht eingehen. Als ein Lichtschein in sein Blickfeld trat und ihn blendete, blitzte der Funke der Hoffnung wieder in ihm auf und er richtete sich im Sitz auf, um dessen Ursprung ausmachen zu können. Er glaubte die Umrisse eines großen Gebäudes erkennen zu können; wenn er sich anstrengte und die Augen zusammenkniff sogar ein paar Fenster, in denen teilweise Licht brannte. Als sie näher kamen, wurde dem Rothaarigen bewusst, dass das Gebäude von einer hohen Mauer umzäunt war, die man durch ein Tor passieren konnte, das geschlossen war und auf das sie zuhielten. Rins Herz rutschte in die Hose und sein Magen begann sich schmerzhaft zu melden, dass dieses Gebäude keine gute Entwicklung seiner Lage zu verheißen hatte; von Hoffnung ganz zu schweigen. Die war längst dahin. Der Wagen hielt und ein Mann trat an die Fahrerseite. Der Fahrer wiederum ließ die Scheibe herunter und steckte dem anderen irgendetwas zu, woraufhin sich dieser entfernte. Keine zwei Minuten später öffnete sich das automatische Tor und sie fuhren hindurch, in das eingezäunte Gelände, das das unheimliche Gebäude umringte. Spätestens in diesem Moment war Rin klar, dass er so schnell wohl nicht mehr nach Hause kommen würde… Der Wagen hielt und ehe Rin sich versah, wurde die Seitentür aufgerissen. Eine starke Hand packte ihn fest am Oberarm und zerrte ihn aus dem Wagen. Die Stelle, an der er festgehalten wurde, fing an weh zu tun. Der Fahrer stieg nicht aus, dafür tat es der Beifahrer und ging wortlos voran. Der Rothaarige stand so unter Schock, dass ihm kein Ton über die Lippen kommen wollte und er auch kaum protestierte. Seine Augen waren erschrocken geweitet, als man ihn in Richtung des Gebäudes schleife, das eine größere Schiebetür vorne hatte. Sie steuerten allerdings auf einen kleineren Nebeneingang zu, der der aus einer schweren Metalltür bestand. „Hey, was-“, meldete sich Rins Stimme brüchig zu Wort, als der eine Mann die Tür öffnete und er vom anderen hineingezerrt wurde. „Shut up“, kam es von dem Kerl, der ihn am Arm festhielt und ein gutes Stück größer war als er. Nicht unbedingt ein Muskelprotz, aber schwer war er und besaß unter der Masse offenbar doch viel Kraft. Irritiert davon, dass man ihm auf Englisch antwortete, blieb Rin auch erstmal still, wehrte sich aber nun körperlich, indem er versuchte stehen zu bleiben, daraufhin aber brutaler zum Weitergehen gebracht wurde. Es half alles nichts. Sein Körper war viel zu schwach, als dass er sich hätte wehren, geschweige denn fliehen können. Die Wirkung der Drogen war noch nicht gänzlich abgeklungen. Außerdem hatte er keine Ahnung wie lange es her war, dass er etwas gegessen hatte. Man brachte ihn in einen kleinen, steril aussehenden Raum mit weißen Kacheln und einer Liege, sowie einem Stuhl und einem kleinen Schreibtisch mit PC. Es sah wie ein kleines Behandlungszimmer beim Arzt aus, nur irgendwie beängstigender. Der massige Kerl ließ ihn nun los und schupste ihn in Richtung Liege. „Stay“, wies er ihn an, als wäre er ein Hund; ein wild gewordenes Tier. Danach drehte er ihm den breiten Rücken zu, der in einem weißen Pflegerkittel steckte und verließ den Raum. Die Tür schloss sich lautlos hinter ihm. Der andere Kerl stellte sich neben die Tür und beobachtete ihn aus emotionslosen Augen. Rin traute sich keinen Muskel zu regen und stand unschlüssig neben der Liege. Da ihm aber nichts anderes gesagt wurde, verharrte er in seiner Position. Das Blut in seinen Ohren rauschte und er hatte das Gefühl jeden Moment umzukippen; seine Beine fühlten sich schwach an. Er war kaum fähig zu denken, so von Angst durchzogen war jede Faser seines Körpers. Die Tür öffnete sich wieder und der Pfleger trat wieder ein, diesmal in Begleitung eines Mannes, der wie ein Arzt gekleidet war. Rin hätte aber nicht sagen können, wie viel Zeit seit dem vergangen war. Es hätten fünf Minuten oder eine halbe Stunde sein können, es machte keinen Unterschied. „You’re Japanese, right?“, fragte der Mann in Arztkleidung, woraufhin Rin mechanisch nickte und ihn starr anblickte. „At least you understand what I’m saying…“, sprach er nun mehr zu sich selbst als zu dem Rothaarigen und trat an den Schreibtisch heran. Im Stehen tippte er auf der Tastatur herum und musterte den Bildschirm eindringlich, ehe er sich wieder zu Rin umwandte. „So you’re Rin Matsuoka“, lächelte die Weißrobe nun, doch das Lächeln erreichte seine kalten, blauen Augen nicht. Rin bemerkte das in seinem tranceartigen Zustand allerdings nicht, sondern nickte wieder. Dass das vielleicht keine so gute Idee war, und er damit seine Identität bestätigte, darüber machte er sich gerade keine Sorgen. „Do we have any free rooms left?“, unterhielt sich der Mann im Arztkittel mit dem Pfleger, welcher einen Akzent hatte. „We should have…there should be some free space on the second floor…in a two person room. Just check.“ Nachdem sie im Computer nachgesehen hatten, wo sie Rin unterbringen konnten, wurde diesem die Aufmerksamkeit wieder zu teil. In der Zeit, in der sich die beiden Männer unterhalten hatten, hatte sein Gehirn zu arbeiten begonnen. Ihm wurde langsam bewusst, in welcher Lage er sich befand, doch auch gleichzeitig, dass es momentan keinen Ausweg aus dieser gab. Panik machte sich erneut in ihm breit, als sie auf ihn zuschritten. Er wich automatisch einen Schritt zurück und stieß an die Liege hinter ihm. „Don’t be afraid…we just want to ask you some questions“, lächelte der Arzt noch immer sein kaltes Lächeln. „And we have to check, if you carry anything dangerous with you.” Diese Worte ließen Rin schlucken. Der Pfleger hielt ihn wieder fest, während der andere ihn abtastete. Das war ihm schrecklich unangenehm, doch was sollte er dagegen machen? An seiner Hosentasche verweilte sich der Typ länger und schlüpfte dann mit einer Hand in diese. Die Berührung, die er durch den Stoff fühlte, weckte in ihm ein Ekelgefühl, das er nie zuvor empfunden hatte. Er dachte schon, der Kerl würde sonst was mit ihm anstellten, doch dann zog dieser ‚nur‘ sein Handy aus der Tasche heraus. Fuck…wenn sie ihm das abnahmen, konnte er sich das mit dem Fliehen komplett abschminken. „Mobile devices are not allowed in this area“, informierte ihn der Arzt und öffnete die Hülle des Handys mit geübten Fingern, entfernte den Akku und danach die SIM Karte, ehe er diesen wieder einsetzte. „…ones with reception at least.“ Dann drückte er es Rin einfach wieder in die Hand, der ihn ungläubig anstarrte. Was um alle sin der Welt lief hier? War das so eine Art Gefängnis, das vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, oder was? Ehe er sich weiter aufregen konnte, fuhr der Arzt auch schon fort: „Since you’re Japanese, Miss Amakata will mainly be in charge of taking care of you from now on. And if you’re wondering why you’re here: let’s say, we just want the best for you…and to cure you from this unfortunate burden.“ Was sollte das bitte heißen? Dachten sie, er wäre psychisch krank, oder warum sagte der Kerl sowas? Offenbar machte er auch keine Witze, so seriös wie er dreinschaute. „But I’m not mentally ill!“, versuchte Rin sich zu wehren, um den Grund zu erfahren, weswegen er angeblich geheilt werden sollte und weswegen er überhaupt hier her gebracht worden war – wo auch immer ‚hier‘ war. Glücklicherweise konnte er sehr gut Englisch, da sie auf seiner Schule in Japan darin unterrichtet worden waren und er diese Sprache in seinem Sportalltag auch öfter gebrauchte, was ihm hier zugute kam. „The young ones are always in deny…but you know: A fault confessed is half redressed“, gab der seltsame Typ ihm ein dämliches Sprichwort zur Antwort, das ihn auch nicht weiter brachte. „But why should I be cured? Why am I here?“, versuchte der Rothaarige erneut mehr über seine missliche Situation zu erfahren. „As if you wouldn’t know that liking other men is not only a sin, but also a mental illness that we can free you from.“ Rin glaubte sich verhört zu haben. Woher in aller Welt wusste sein Gegenüber, dass er schwul war? Das hatte er noch niemandem gesagt und was sollte das heißen, dass das eine psychische Krankheit war? Das war es eindeutig nicht und heilen konnte man seine Orientierung ebenfalls nicht…außerdem konnte das unmöglich der Grund sein, weswegen man ihn an diesen Ort gebracht hatte. Das ergebe absolut keinen Sinn…da musste eindeutig mehr dahinter stecken. Vielleicht war es aber auch ein Fehler gewesen, immer wieder in den gleichen Club feiern zu gehen, der zu einem bekannten Treffpunkt in der LGBT-Szene – speziell beim jüngeren Publikum der schwulen Männern - in Tokyo geworden war… Wenn Rin so darüber nachdachte, konnte es gut sein, dass sie ihn dort abgefangen hatten, auch wenn er sich noch immer nicht erinnerte. Trotzdem ergab es keinen Sinn, dass man ihn entführte und mitten im Nirgendwo in eine Anstalt brachte, in der man ihn von seiner ‚Abart‘ heilen wollte. Vor allen konnte er sich nicht vorstellen, wem er ein so großer Dorn im Auge war, dass er ihn um jeden Preis aus dem Weg schaffen wollte. Viel Zeit zum Nachdenken blieb dem Rothaarigen ohnehin nicht… „You can take him to his room now“, ordnete die Weißrobe dem massigen Mann an, der Rin erneut am Arm packte. „I can walk on my own!“, beschwerte sich dieser sich daraufhin, wurde aber gekonnt ignoriert. Der andere festigte seinen Griff einfach und brachte Rin somit zum Schweigen. Sie gingen einen langen, weißen Flur entlang, Bogen um eine Ecke und erreichten bald drei Aufzüge. Er wurde zum rechten gedrängt und in die Kabine geschoben. Der Pfleger drückte zuerst den Knopf, der die Türen schloss, bevor er das Stockwerk auswählte. Die ‚2‘ leuchtete mattorange auf und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Im zweiten Stock angekommen, geleitete ihn der Pfleger wortlos einen dunklen Gang entlang, in dem die Beleuchtung entweder kaputt, oder ausgeschaltete war, weil es anscheinend mitten in der Nacht war. Um sie herum war auch alles ruhig, aus keinem der Zimmer drang ein laut. Ganz ohne Licht mussten sie nicht auskommen, denn offenbar war doch für eine kleine Nachtbeleuchtung, in Form von Energiesparlampen in Bodennähe, gesorgt. Diese waren kleine, runde Lämpchen im Abstand von drei Metern in der Wand, ein paar Zentimeter über dem Boden, eingefasst. Rins Augen gewöhnten sich langsam an das spärliche Licht und hatte sich damit abgefunden, dass man ihn durch die Gegend schleifte. Ihn hatte ohnehin jegliche Kraft verlassen, sodass er kaum noch selbstständig laufen konnte, was es ziemlich unnötig machte, ihn so fest zu fixieren. Am Ende des Gangs bogen sie nach rechts und der Pfleger blieb vor einer Zimmertür mit der Aufschrift ‚207‘ stehen. Mit einer Schlüsselkarte öffnete er diese und stieß Rin ins Zimmer. „Don’t make any nose or you’ll get yourself in trouble“, war das einzige, das der Kerl sagte, als sich Rin zu ihm umdrehte und die Tür dann auch schon vor seiner Nase zufiel. Total am Ende mit den Nerven sank er vor dieser zusammen und hielt sich am kalten Metall fest. Es wirkte fast so, als hoffe er dadurch nach draußen gelangen zu können, doch in Wahrheit brauchte er nur irgendeine Stütze. Viel vom Zimmer hatte Rin noch nicht gesehen, da er sich so schnell umgewandt hatte, doch dies war momentan zweitrangig für ihn. Er wollte einfach nur hier raus…zurück nach Hause in sein Bett. Wäre er doch ein Mal abends zuhause geblieben! Vorwürfe drängten sich ihm auf und ergriffen Besitz von dem ohnehin schon ausgezehrten Körper. Die Klamotten, die er trug – eine schwarze Röhrenjeans, ein graues Tank-Top mit Halskette, eine schwarze Sweatshirtjacke und ein paar Armbänder an seinen Handgelenken – wärmten ihn nur mäßig. Auch wenn es gar nicht so kalt im Gebäude war, zitterte er am ganzen Körper. Dieser war wohl einfach so erschöpft, dass er sich kaum mehr selbstständig wärmen konnte. Völlig fertig mit der Welt, bahnten sich die ersten Tränen der Verzweiflung ihren Weg die bleichen Wangen hinab. Ein erschöpftes Schluchzten durchzuckte seinen Körper und machte ihm klar, dass ihm sogar zum Weinen die Kraft fehlte. In dem Moment, als Rin seinen Kopf gegen die Tür sinken ließ, vernahm er eine Männerstimme hinter sich und drehte sich erschrocken um. „Все в порядке с вами?“, wollte der Typ wissen, der keine zwei Meter von ihm entfernt stand und ihn misstrauisch musterte. Dessen Gesicht, oder sonstige Details konnte Rin nicht erkennen, da dieser mit dem Fenster im Rücken stand. Kaum Licht fiel also auf die Vorderseite des jungen Mannes, der sich nun zu ihm herunterbeugte. Rin hatte ihn nicht verstanden, da die Sprache, die dieser benutzte, weder Japanisch, noch Englisch war und etwas anderes konnte er nicht. Dafür hatte er zu schluchzen aufgehört, wenn seine Tränen auch nicht versiegt waren. „Was?“, kam es leise vom Rothaarigen, der auf dem Boden in Schutzhaltung saß. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, wiederholte der andere seine Frage auf Japanisch, sehr zu Rins Überraschung. Die Stimme war eher tief, klang aber angenehm und nicht bedrohlich. „I-ich weiß nicht…“, erwiderte der Kleinere trotz dem Wohlklang vorsichtig. „Brauchst du Hilfe?“, wurde ihm nun eine Hand entgegengestreckt, die er zögerlich annahm. Diese war größer als seine eigene und angenehm warm. Er wurde hochgezogen, was für den anderen ein Leichtes zu sein schien. Als er stand, bemerkte Rin erst wie kalt ihm eigentlich war…die Drogen verloren wohl endlich ganz ihre Wirkung. „Danke“, nuschelte der Rothaarige, traute sich aber nicht aufzuschauen. Er wusste nicht, was er sonst tun oder sagen sollte. Das hier war eine Irrenanstalt, oder? Wer wusste schon, mit wem sie ihn in ein Zimmer gesteckt hatten und wie der Typ drauf war? Auch wenn dieser nicht geistig gestört, oder bedrohlich wirkte, war Rin skeptisch – und das obwohl er den anderen noch nicht einmal richtig angesehen hatte. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse im Raum gewöhnt, doch sein Blick war noch immer gesenkt. „Bist du verletzt?“, fragte die ruhige Stimme, nachdem sonst nichts weiter von ihm kam. „Ich glaube nicht, aber-“, begann Rin seinen Satz und sah dann nach oben. Rote Augen trafen auf türkis scheinende und er brach seinen Versuch zu antworten augenblicklich ab. Nicht nur, dass die Augen seines Gegenübers ihn sofort in ihren Bann gezogen hatten, der Kerl an sich sah total gut aus. Dunkle Augenbrauen, die einen ernsten, aber auch besorgten Ausdruck mimten, fassten helle Augen ein, die auf ihn gerichtet waren. Kurzes, braunes Haar hing ihm in die Stirn, das zu dem kantigen Gesicht passte, von dem ein muskulöser Nacken ab ging. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet… Sie schauten sich für geraume Zeit gegenseitig einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen. Es wäre übertrieben von ‚Liebe auf den ersten Blick‘ zu sprechen, doch sie spürten wohl beide, dass da etwas zwischen ihnen war, oder begann aufzukeimen. Hätte der andere nicht die Initiative ergriffen, wären sie wohl noch lange Zeit schweigend herumgestanden und hätten sich angestarrt. „Wie heißt du?“, wollte er wieder mit ruhiger Stimme wissen. „Ich bin Sousuke.“ ‚Sousuke‘ also…das erklärte, warum er Japanisch konnte, auch wenn er auf den ersten Blick nicht ganz Asiatisch wirkte, was wiederum die andere Sprache erklären würde, mit der er ihn zuerst versucht hatte anzusprechen. Wahrscheinlich war er Halb-Japaner, oder so etwas in der Richtung. „Rin…Rin Matsuoka“, stellte sich der Rothaarige nervös vor, was man an seiner holprigen Stimme erkennen konnte. Er hoffte aber, dass der andere es darauf schieben würde, dass er geweint hatte und deswegen so klang. Sousuke nickte leicht und wiederholte leise: „Rin…“ Die Art, auf die der Größere seinen Namen sagte, ließ Rin angenehm erschaudern, sodass er eine Gänsehaut bekam, die aber auch daher rühren konnte, dass ihm kalt war. „Hab ich dich geweckt?“, wollte der Rothaarige wissen und brauchte auch etwas, das er sagen konnte, weil ihm seine eigene Reaktion unangenehm war…auch wenn Sousuke sie höchstwahrscheinlich nicht bemerkt hatte – hoffentlich. Am Ende war dieser auch einer dieser homophoben Typen, die einen zusammenschlugen, nur weil man schwul war. Dieses Risiko wollte er dann doch lieber nicht eingehen. Da er gerade ohnehin bei diesem Thema war, ließ Rin seinen Blick nun so unauffällig wie möglich über den Körper des anderen gleiten. Dessen Gesicht hatte ihn schon sehr angesprochen, doch der Rest war auch nicht zu verachten. Er schätzte ihn auf etwa 1,90 m – vielleicht etwas ‚kleiner‘ – mit denen er so ziemlich jeden, den Rin kannte, übertrumpfte. Die breiten Schultern in Kombination mit dieser Größe und den gut definierten Oberarmen ließen eigentlich darauf schließen, dass dieser sportlich aktiv war, oder es zumindest vor seinem Aufenthalt gewesen war. Wer wusste schon, welche Möglichkeiten man hier hatte Sport zu treiben? Der Rest von Sousukes Körper dürfte ebenfalls muskulös sein, soweit Rin das durch die lose sitzende Kleidung erkennen konnte. Eins stand fest: Er war definitiv total sein Typ. „Ich hab sowieso nicht schlafen können“, erwiderte Sousuke und riss Rin aus seinen Gedanken. „O-okay“, war das einzige, das er zustande brachte und sich dabei furchtbar bescheuert vorkam. Hoffentlich hatte der andere nichts von seiner Begutachtung mitbekommen… „…bist du müde?“, kam es dann aber recht zügig von Sousuke, der sich ebenfalls für sein Gegenüber interessierte, es aber besser zu verstecken wusste. Er war einfach neugierig darauf zu erfahren, wer der Rothaarige war und weswegen man ihn in die Anstalt gebracht hatte. Auf dessen Körper hatte er noch gar nicht richtig geachtet, nur die Haare und Augen – beide in seltener Farbe – hatte er sofort registriert. Sousuke war allgemein kein Mensch, der als erstes aufs Äußere achtete. Rin nickte. Die Anspannung fiel von ihm ab und damit bemerkte er, dass er verdammt erschöpft war: Seine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. Er musste sich setzten, wenn er nicht wieder auf dem Boden landen wollte und so sah sich um, wobei ihm auffiel, dass sie schon die ganze Zeit neben einem gemachten Bett standen, auf das er sich nun sinken ließ. Rin ging davon aus, dass er es benutzen konnte, da ihm ein anderes ins Auge gefallen war, das weiter beim Fenster stand und so aussah, als hätte vor kurzem jemand darin gelegen. Kaum mehr fähig sich zu bewegen, streifte er seine roten Revolution 3 Nikes, die er so gut wie zu jedem Anlass trug, von den Füßen und kuschelte sich in die Decke. Sousuke schritt nun auch wieder zu seinem Bett, aus dem er vor ein paar Minuten aufgestanden war, weil man seine Zimmertür aufgerissen und diesen rothaarigen Jungen hineingeworfen hatte. Gerne hätte er ihm noch ein paar Fragen gestellt, doch ihm fiel es nicht so ganzleicht mit anderen Menschen zu sprechen und ihr bisheriges Gespräch hatte ihn schon große Überwindung gekostet. Außerdem wirkte Rin nicht so, als würde er noch viel reden wollen. Der Rothaarige war so k.o., dass er sich nicht einmal mehr darum sorgte, dass er in einer Anstalt für psychisch Kranke in einem Bett auf einem Zimmer mit einem anderen Insassen lag, über den er nichts außer dessen Vornamen wusste. Als sich Sousuke hingelegt hatte und zum anderen Bett sah, hatte sich der Rothaarige auch schon unter die Decke gekuschelt und war eingeschlafen. Er war wohl wirklich sehr erschöpft, denn er hatte es nicht einmal mehr geschafft seine Straßenklamotten auszuziehen. Der Brünette versuchte nun wieder zu schlafen, das aber auch jetzt nicht so ganz funktionieren wollte. Ihn machte die Anwesenheit des anderen unruhig, doch er versuchte sich einzureden, dass dieser schon nichts in der Zeit anstellen würde, in der er schlief. Nach einer halben Stunde gab sein Körper die Schutzhaltung dann aber endlich auf und ließ ihn einschlafen. Sousuke wusste einfach nicht, wie er sich gegenüber anderen Menschen verhalten sollte, deswegen war auch er vorhin sehr nervös gewesen und hatte vielleicht ein wenig seltsam auf den anderen gewirkt. Auch hätte er nie gedacht, dass man jemanden in sein Zimmer stecken würde; vor allem wenn man sich seine Akte durchlas… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)