Märchenstunde von CharleyQueens ================================================================================ Kapitel 1: -----------   Erschöpft ließ sich Belle auf einen der Polsterstühle fallen und seufzte laut auf. Wie anstrengend es doch war diese großen Räume – von denen Belle sich sicher war, dass sie nicht einmal alle kannte – sauber zu halten. „Kaum ist man mal fertig mit allen Zimmern, schon taucht wieder neuer Dreck auf“, schimpfte sie, als ihre Augen einen Fleck auf der vor nur wenigen Stunden geputzten Tischplatte entdeckten. Hatte sie denn etwa übersehen? Sicherlich nicht. Kopfschüttelnd rieb sie mit dem Tuch über die Stelle, bis sie wieder blank war und nichts mehr von dem Fleck zu sehen war. „Es geht doch nicht, dass ich hier länger bleib!“, klagte sie, während sie durch den Saal wirbelte. So viele große Räume und nur ein Bewohner. Naja, und sie, natürlich auch. Eingesperrt in diesem riesigen Anwesen. Obwohl, eigentlich sollte sie nicht mehr klagen. Schließlich war sie vor wenigen Wochen noch im Keller eingesperrt gewesen. Nun hatte Rumpelstilzchen ihr jedoch erlaubt, sich frei in dem Schloss zu bewegen. Solange sie auch dafür sorgte, dass jeder Raum einwandfrei und sauber blieb. Und so verbrachte Belle die meiste Zeit eines Tages damit die Böden zu wischen, die Fensterscheiben zu reinigen, Staub zu putzen und die Gardinen zu waschen. Und wenn sie dann mit allen Räumen fertig war, fing die ganze Prozedur wieder von vorne an. Beim ersten Mal hatte Belle ohne längere Unterbrechung, abgesehen von ein paar wenigen Stunden Schlaf pro Tag, die Räume durchgeputzt. Nun aber ließ sie sich Zeit beim Säubern, sie musste sowieso wieder von vorne anbringen. Und außerdem waren die Bücher hier so viel mehr interessanter als das stetige Saubermachen. Zu verlockend waren die Geschichten, die hier auf sie warteten. Belle legte das Staubtuch über die Lehne eines Polsterstuhls und trat ans Regal. Erst gestern hatte sie einen Roman über eine junge Heldin, die auf der Flucht vor einer arrangierten Ehe, einen Zauber aussprach, mit dem sie ihre Mutter in ein wildes Tier verwandelt hatte, beendet. Sie mochte die Heldin mit den wilden, roten Locken. Wie sie sich der Tradition querstellte und ihren eigenen Weg ging. Belles Blick glitt über die Reihen auf der Suche nach diesem Buch. Sie wollte die Geschichte von vorne beginnen. Sie las ein Buch oft mehrmals, wenn es ihr gefiel. Ne Fueris Curoisus *) Belle stockte. Normalerweise hätte sie es übersehen, dieses kleine, schwarze Buch mit verblassten Goldlettern die die Worte Ne Fueris Curoisus bildeten. Ihr Blick ruhte auf dem Einband und neugierig streckte sie die Hand danach aus. Sie kannte die Worte nicht, vielleicht war es irgendeine fremdartige Sprache. Sie griff nach dem Buch und wollte es herausziehen, doch als es zur Hälfte draußen war, traf Belle auf einen Widerstand. Verärgert zog sie kräftiger, nahm ihre zweite Hand zur Hälfte, doch nichts geschah. Das Buch bewegte sich kein einziges Stück vom Fleck. „Dann eben nicht!“ Frustriert schob sie das Buch wieder zurück – wobei sie ein kleines bisschen zu heftig dagegen schlug – und das Buch fiel nach hinten. Heute war definitiv nicht ihr Tag. Belle wollte gerade einen Stuhl ans Regal holen um besser an das Buch zu kommen. Doch da hörte sie ein lautes Klacken und dann ein Scharren, so als würde jemand einen schweren Gegenstand, einen Schrank oder ähnliches, über den Boden schleifen. Und als sie sich umdrehte, hatte sich ein Teil des Regals zur Seite gedreht - und gab den Blick auf einen geheimen Raum frei. Belle trat neugierig einen Schritt näher. Sie hatte so oft in ihren Romanen davon gelesen – von versteckten Zimmer, Geheimgängen und dergleichen. Und sie hatte auch gelesen, dass der Hausherr immer davor gewarnt hatte, diese Räume zu betreten.  Und wenn man es tat, dann … nun, wenn sie Glück hatte, dann kam die Heldin mit einer Verbannung davon. In einem anderen Roman hatte sie jedoch davon gelesen, dass der verbotene Raum eine Kammer war, in der der Hausherr seine einstigen Verlobten folterte und tötete. Und Letzteres würde eindeutig zu Rumpelstilzchen passen. Nicht, dass er jemals verlobt gewesen war. Aber das Foltern, das passte zu ihm. Belle ahnte, dass es sicher war, wenn sie das Zimmer einfach verließ und so tat, als würde sie nichts wissen. Allerdings … „Er wird bestimmt herausfinden, dass ich den Raum entdeckt habe“, sprach sie zu sich selbst. Nun, dann könnte sie genauso gut sich in dem Zimmer umsehen. Entschlossen betrat sie den Raum. Er war eng und klein, Belle musste sich ducken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu kommen. Nur spärlich fiel das Sonnenlicht hinein und es reichte gerade mal so aus um die Wände leicht zu erhellen. Und trotzdem konnte die junge Frau erkennen, dass dort Bücher standen. Sie wirkten alt, von einigen löste sich schon der Einband, die Lettern waren verblasst und es roch leicht nach Moder. Der Neugier folgend griff Belle blind nach einem Buch mit beigefarbigem Einband und zog es nach draußen. Die Schöne und das Biest. Nur schwer konnte sie die Buchstaben entziffern. Sie pustete den Staub ab und trat dann wieder zurück in den großen Saal. In dem geheimen Zimmer – wobei es eher einer Kammer glich – war das Licht nicht hell genug. Sie setzte sich auf einen der Polsterstühle und legte das Buch vor sich auf den Tisch. Unter dem Titel war eine einzelne Rose abgebildet, und ein einzelnes Blütenblatt war im Begriff auf den Boden zu fallen. Neugierig schlug sie das Buch auf. Unsre Stadt ist ein ruhiges Dörfchen / Jeder Tag bringt dasselbe nur / Unsre Stadt vol- Erschrocken schlug Belle das Buch wieder zu. Hatte da gerade wirklich jemand gesungen? Sie blickte auf den Einband, der vollkommen normal aussah. Vorsichtig klappte sie das Buch auf und erneut erklang der Gesang, dieses Mal nur etwas leiser. -ler kleiner Leute / Stets borniert und stur Die Stimme, sie war weiblich, verstummte, sobald das Buch wieder zugeklappt war. Belle nahm es hoch und betrachtete es eingehend von außen. Es war wohl ein magischer Gegenstand, wie so vieles hier in dem Anwesen. Na toll, dachte sie frustriert. Nicht mal die Bücher waren normal. Aber, wenn sie normal wären, dann hätte Rumpelstilzchen sie nicht verstecken müssen. Ob noch mehr Bücher sangen? Neugierig ging Belle zurück zum Regal und griff einige Bücher hervor, legte sie auf den Tisch neben das Erste. Arielle – Die kleine Meerjungfrau war der Titel eines Buches mit grünem Einband. Sie schlug es auf und es erklangen mehrere, weibliche Stimmen. Auch beim nächsten und übernächsten Buch erklang Gesang aus den Seiten. Bei einigen Büchern musste sie ein paar Seiten umblättern, bis ein Lied zu hören war. Nachdenklich schüttelte Belle den Kopf. Diese Bücher waren sehr … interessant. Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne näherte sich dem Horizont, bald würde es dunkel werden. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Zeit so schnell vergangen war. Rumpelstilzchen würde bald zurückkommen. Intuitiv spürte die junge Frau, dass sie besser nichts verriet. Es würde ihm nicht gefallen, dass sie diese geheime Kammer entdeckt hatte. Entschlossen bei der nächsten Gelegenheit eines der Bücher zu lesen, nahm sie den Stapel und stellte die Bücher an ihren Platz zurück. Den Eingang verschloss sie, indem sie das kleine, schwarze Buch wieder gerade hinstellte. Kontrollierend stand sie vor ihrem Werk und lächelte zufrieden. Wirklich nichts deutete daraufhin, dass sich dort mehr verbarg. Die junge Frau ahnte nicht, dass der Hausherr schon seit einiger Weile wieder zurückgekehrt war…   ~~**~~   In den nächsten Tagen wagte es Belle nicht, die geheime, kleine Bibliothek erneut aufzusuchen. Es war nicht, weil Rumpelstilzchen sie dabei ertappt hatte. Es war eher die Vorsicht, die ihr einbläute, bloß nicht zu früh zurückzukehren. Und ein kleiner Teil ihres Bewusstseins fürchtete sich davor, dass sich alles als ein Hirngespinst oder dergleichen herausstellen sollte. Stattdessen widmete sie sich dem Haushalt, beinahe schon akribisch säuberte sie das Schloss von oben nach unten und mied dabei die Bibliothek. Er machte sich einen Spaß daraus, darauf zu bestehen, dass sie beide gemeinsam in ebendiesem Raum ihr Essen zu sich nahmen. Sie dabei zu beobachten, wie sie in einem gemeint unbeobachteten Moment ihre Augen auf das schwarze Buch richtete, erheiterte ihn. Er fragte sich, wann sie es wohl wieder wagen würde. Zwar hätte er ihr sagen können, dass er von ihrem kleinen Geheimnis wusste, jedoch machte es zu viel Spaß, sie zu beobachten und mit sich selbst zu wetten, wann sie es wohl wagen würde und ihre Neugier obsiegte. Er wollte sie in Sicherheit wiegen. Zudem – was er jedoch niemals freiwillig zugegeben hätte – war ihm der Zugang versperrt geblieben. Wieder und wieder hatte er jegliche Magie angewendet, hatte sogar solch lächerliche, normalbürgerliche Sachen wie ein Brecheisen verwendet, doch nichts davon half. Das kleine, schwarze Buch rührte sich kein Stück, egal mit welchen Zaubern und Flüchen er es bombardierte. Es wurmte ihn, dass so ein unscheinbarer Gegenstand mehr Macht zu besitzen schien wie er – der Dunkle. Das ganze Schloss bestand aus magischen Objekten, die er gesammelt hatte. Die Bücher hatte er mehr oder weniger von seinem Vorgänger übernommen und sich nicht wirklich um sie gekümmert. Und nun war es ausgerechnet ein Buch, das ihm auf der Nase herumtanzte. Am liebsten hätte er Belle dazu gezwungen, ihm den Eingang zu öffnen. Doch er tat es nicht. Als er sie einmal nachts verzaubert hatte und sie so schlafwandelt in die Bibliothek gegangen war, hatte auch sie das Buch nicht verrücken können. Er ahnte also, dass eine Drohung nicht viel bringen würde. Und sie einfach zu fragen, nein, so etwas kam unter keinen Umständen in Frage. Er würde sich nicht die Blöße geben und ihr eingestehen, dass es einen Raum gab, den er nicht betreten konnte. Nein, stattdessen wartete er lieber. Egal, wie lange es dauerte. Geduld war eine Tugend. Er wusste, dass sie früher oder später zurückkehren würde.   Belle indes ahnte nichts von alldem. Sie mied die Bibliothek, was eindeutig leichter gewesen wäre, wenn Rumpelstilzchen nicht ständig darauf bestand, mit ihr dort zu speisen. Normalerweise gehörte es sich nicht in einem Raum voll mit Büchern zu essen, aber als Belle ihn darauf ansprach, war alles, was er entgegnete, dass sie danach ja saubermachen könnte. Es verging ein halber Monat, ehe Belle den Mut auffasste, wieder den Raum zu betreten. Sie tat es in einer Vollmondnacht, Rumpelstilzchen hatte zuvor beim abendlichen Mahl angekündigt, dass er für einige Zeit nicht da sein würde. Und so schlich sie sich um kurz nach Mitternacht in die Bibliothek, schob das Buch zurück und nahm einige Bücher heraus. Nur das Mondlicht, das durch die großen Fenster fiel und die kleine Kerze, die sie mitgebracht hatte, spendeten ihr Licht. Es war das Buch Die Schöne und das Biest, welches sie zuerst in die Hand nahm und es aufschlug. Er stand hinter ihr und las den Text, der auf den vergilbten Seiten des Buches abgebildet war. Die Geschichte begann mit einer alten Frau, die Schutz vor einem Sturm suchte und einen jungen Prinzen um Unterschlupf bat. Als dieser ihr allerdings verweigerte, verfluchte sie den Prinzen, der daraufhin ein Leben als grässliches Monster führen sollte, während seine Bediensteten in Möbelstücke verwandelt wurden. Belle blätterte die Seite um und wieder erklang das Lied. Er ignorierte es, soweit es ging und las weiter. Irritiert musste er feststellen, dass die Protagonistin dieses Buches auch Belle hieß. Zudem wurde sie als junge Frau mit lockigem, braunem Haar beschrieben. Aber, das war bestimmt ein Zufall. Wenn die Geschichte schon Die Schöne und das Biest hieß, dann war der Name Belle wirklich passend. Und außerdem gab es viele weibliche Personen mit braunen Haaren. Belle – die Heldin des Buches – lebte zusammen mit ihrem Vater Maurice, einem Erfinder, in einem kleinen Dorf und litt unter ihren kleinkarierten Nachbarn. „Maurice?“ Belle blickte irritiert auf. Wieso trug der Vater dieser Person den gleichen Namen wie ihrer? Sie blätterte weiter, überflog die Seiten. Nachdem ihr Vater sich mit einer Erfindung in die nächste Stadt aufgemacht hatte, wurde er von Wölfen angegriffen und floh in das Schloss des Prinzen. Zur gleichen Zeit lehnte Belle den Antrag eines gewissen Gaston ab. Was ist das für ein verrückter Zauber, fragte sich Rumpelstilzchen und trat näher an sein Hausmädchen heran. Zu nah, denn Belle drehte sich um als sein Atem ihre Nackenhaare kitzelten. Doch da sie ihn nicht sehen konnte, widmete sie sich wieder der Geschichte zu. Um ihren Vater zu retten, ging Belle einen Handel mit dem Biest ein. An seiner Stelle bleibt sie als Gefangene in dem Schloss zurück. „Arme Belle“, seufzte sie niedergeschlagen. „Ich kann so verstehen, wie du dich fühlst…“ Während die Schlossbewohner sich freundlichst und mit einem Lied – Sei hier Gast, sei hier Gast / wir bedienen ohne Hast / Die Serviette um den Hals, Chérie – um die neue Bewohnerin kümmerten, dauerte es erst einige Weile bis auch das Biest sich ihr annäherte. Und auch diese Szene wurde besungen … Sie schaut hierher / Was ist das nur? /Denn Angst hat sie vor meiner Tatze keine Spur „Was für ein Schund!“, schimpfte Belle und schlug das Buch zu. Die Heldin hatte begonnen sich in den Prinzen zu verlieben. Sie wusste, worauf es hinaus laufen würde. Im letzten Moment würde sie das Biest von seinem Fluch befreien. Wie konnte man so dumm sein und sich in denjenigen verlieben, der sie gefangen nahm? Sie griff nach einem weiteren Buch – Schneewittchen und die sieben Zwerge. Doch auch die Geschichte über eine junge Prinzessin, deren Stiefmutter sie aus Eifersucht töten wollte und die sich dann innerhalb weniger Stunden in einen dahergelaufenen Prinzen verliebte, sagte ihr nicht zu. Und über das Mädchen Cinderella war sie noch weniger begeistert, machte sie doch nichts anderes als sich von ihrer Stiefmutter tyrannisieren zu lassen und heulend darauf zu warten, dass ein Prinz sie aus ihrem Elend befreite. „Und so etwas wird als wahre Liebe verkauft!“ Verärgert schlug Belle das Buch zu. Rumpelstilzchen war erstaunt über ihre Gedanken. Vielleicht war dieses dumme Mädchen ja doch klüger als er gedacht hatte. Belle gähnte und brachte die Bücher zurück an ihren Platz. Sie hatte nicht vor, weiterzulesen. Zu uninteressant waren die Geschichten. Das waren keine starken und selbstständigen Heldinnen, wie es vorgegaukelt wurde. Letztendlich taten sie nichts anderes, als den ersten Mann, der ihnen über den Weg lief, zu heiraten, ihre Träume davon die Welt zu entdecken regelrecht zu vergessen und als seine Frau glücklich zu werden. Sie schloss die Tür und verließ dann leise die Bibliothek. Rumpelstilzchen lächelte zufrieden, während das helle Mondlicht auf die Buchreihen schien. Sie würde den Ort garantiert nicht mehr aufsuchen.   ~~**~~   Nachdenklich betrachtete Belle die Tasse, die neben den anderen Tassen des Teeservices in einer Glasvitrine aufgereiht waren. Sie hatte einen kleinen Sprung, genau wie Tassilo, eine Figur aus dem Märchen. Diese Zufälle, waren sie bloß Zufälle oder steckte da mehr dahinter? In diesem Schloss war nichts normal. „Dürfte ich Euch eine Frage stellen?“ Sie legte das Staubtuch zur Seite und ging zum Hausherrn, der sein Spinnrad heute in die Bibliothek gebracht hatte um dort seiner Leidenschaft, dem Stroh-zu-Gold-spinnen nachging. Er nickte nur kurz, blickte allerdings nicht auf. „Also, wenn ihr ein Geheimnis entdeckt, aber dann einseht, dass dieses Geheimnis gar nicht so interessant ist, wie es ist, was …“ „Meine Teuerste, habt Ihr etwa ein Geheimnis vor mir?“ Er blickte sie an und kicherte, das Spinnrad drehte sich derweil munter weiter. „Denkt Ihr nicht auch, dass es nichts bringt, etwas vor mir zu verbergen?“ „Nun, ja…“ Die junge Frau spielte nervös mit ihren Fingern. Sie wollte noch etwas sagen, fand jedoch nicht die passenden Worte. „Wenn Ihr nichts mehr zu tun habt, dann geht gefälligst!“ Rumpelstilzchen machte mit seiner Hand verscheuchende Bewegungen vor ihrem Gesicht. „Müsst Ihr nicht noch den Boden wischen?“ Und mit einem Fingerschnipsen bildete sich auf dem Boden eine zentimeterdicke Staubschicht, die Belle entsetzt und auch wütend aufstöhnen ließ. „Was soll das?“, fragte sie verärgert. „Ich hatte gerade erst saubergemacht!“ „Nun, anscheinend ja nicht sauber genug“, meinte er belustigt. „Also, macht Euch an die Arbeit, bevor ich auf die Idee komme, euch die Zunge für euer loses Mundwerk herauszuschneiden!“ Belle schluckte und berührte ihren Kehlkopf. Sie wusste, Rumpelstilzchen würde seine Drohungen wahrmachen und für den Rest ihres Lebens stumm zu sein, war nun nicht gerade die beste Aussicht. Widerstrebend verließ sie die große Bibliothek, um am Brunnen einen Eimer Wasser und aus einer Kammer einen Wischmop zu holen. Als sie wieder zurückgekehrt war, bemerkte sie, dass Rumpelstilzchen die Arbeit an seinem Spinnrad niedergelegt hatte. Er stand vor dem Bücherregal – ausgerechnet vor dem verborgenen Eingang.  Ahnte er etwa, dass sie etwas über diesen geheimen Raum wusste? „Kommt herein, meine Teuerste!“, rief er laut und ihr eigentliches Vorhaben, ihn leise zu beobachten, fiel ins Wasser. Nervös trat sie ein und machte sich daran, den Boden zu kehren und zu wischen. „Haltet Ihr es für möglich, dass sich eine junge Frau, die in einem großen Schloss gefangen ist, in ihren Entführer verlieben könnte?“ Die Frage Rumpelstilzchen zerschnitt wie ein scharfes Schwert die Stille zwischen den beiden. „Ich denke nicht“, erwiderte sie zögernd. „Nun, und wenn dieser Jemand wie ein Biest aussieht und sie erkennt, dass es auf die inneren Werte ankommt? Was, wenn dieser Jemand verflucht worden ist?“ Es gab eindeutig keinen Zweifel mehr. Rumpelstilzchen wusste Bescheid. Sie entschied sich, auf das Spiel einzugehen und nicht zu verraten, dass sie über den geheimen Raum Bescheid wusste. „Nun, was für innere Werte? Er hat sie entführt und ihrer Freiheit beraubt. Wenn er seinen Fluch lösen wollte, dann hätte er es auf eine andere Art und Weise probieren können!“ „Nun, vielleicht hat er ja jede erdenkliche Art versucht und nichts davon hat funktioniert?“ Es machte ihm Spaß, zu beobachten, wie nervös sie bei seinen Fragen wurde. „Es war klar, dass Ihr so denken würdet“, entgegnete Belle verärgert. „Die ganze Szenerie ist doch so, wie mein grausames Los hier. Das Mädchen wurde von einem grässlichen Monster ihrer Freiheit beraubt. Erhofft Ihr, dass ich Euch von dem Fluch befreie? Dass Ihr in Wahrheit ein edelmütiger Prinz seid? Nein, dass seid Ihr bestimmt nicht. Ihr mordet und entführt und foltert, wie es Euch gefällt. Auch wenn ich dieses Monster nicht ausstehen kann, es hat wenigstens für seine Taten Buße empfunden. Ihr hingegen…“ Sie verstummte, als ihr klar wurde, was sie Rumpelstilzchen da eben an den Kopf geworfen hatte.  So etwas bedeutete den Tod für sie. Sie wusste, was mit Menschen geschah, die schlecht über den Dunklen redeten. Spurlos verschwunden, bis man eines Tages über ihre Leiche stolperte. „Ihr habt Recht, ich bin kein edelmütiger Prinz in Strumpfhosen. Aber denkt Ihr nicht auch, dass Ihr mit mir das bessere Los gezogen habt? Ich gaukle euch schließlich nicht vor, ein guter Mensch zu sein.“ „Ich bin mir sicher, in jedem Menschen steckt etwas Gutes“, meinte Belle nachdenklich. „Allerdings sollte man für Falsches bestraft werden“, fügte sie leise hinzu. Auf eine skurrile Art und Weise hatte Rumpelstilzchen wirklich Recht. Sie hatte es hier besser als die Buchheldin Belle. Und wenn es nur deswegen war, weil die Möbelstücke hier einfach nur Möbelstücke und keine verzauberten Menschen waren. Denn immerhin konnten die Bediensteten des Prinzen nichts für seine Kaltherzigkeit. Rumpelstilzchen missbrauchte sie nicht für seine Zwecke. Er blieb das Monster, das er war. Sie beendeten ihre Unterhaltung stillschweigend. Während er sich wieder dem Spinnen widmete, machte sie sich an ihre Putzarbeit. Als sie sich nach unten beugte, um den Wischmop auszuwringen, stieg ihr Staub in die Nase und ließ sie laut niesen. Irritiert putzte Belle sich die Nase und blickte sich um. Vor wenigen Sekunden hatte sie noch mit Rumpelstilzchen geredet, doch nun war die Erinnerung an ihr Gespräch vollkommen verblasst. Sie richtete den Blick auf die Bücherregale, so als erhoffte sie, dort eine Antwort zu finden. Doch die Buchrücken sagten ihr nichts. Merkwürdig, dachte sie verwundert. Es fühlte sich an, als würde dort ein Buch fehlen. Doch je mehr sie nach dieser Erinnerung greifen wollte, desto weniger gelang es ihr. Seufzend widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.   ~~**~~   „Ein Kuss der wahren Liebe? Glaube mir, Rumpelstilzchen, du wirst schon bald merken, dass du sehr wohl ein edelmütiger Prinz sein kannst!“ Und mit einem hämischen Lachen verließ die Böse Königin ihr Schlafgemach.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)