Desires 2.0 von Black_Harmonics (Rak'al Tek'lah) ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Am nächsten Morgen war Reika schon früh auf den Beinen. Nach dem Frühstück und noch bevor das geschäftige Treiben in der Gilde begann, sattelte sie im Innenhof bereits ihr Pferd. Der Hauptsitz "Zenobias" befand sich zwar in Nedros, jedoch abgelegen am Stadtrand. Ein Anwesen, welches etwas mehr als fünftausend Mann beherbergte brauchte viel Platz, auch wenn sich nicht alle immer dort befanden. Einige waren mit ihren eigenen Aufträgen beschäftigt, andere hatten Urlaub oder taten sonst irgendetwas, was sie vom Hauptquartier wegführte, dennoch waren knapp fünftausend Mann eine beeindruckende Zahl, zumal längst nicht alle Mitglieder "Zenobias" in Nedros stationiert waren. "Zenobia" hatte, abgesehen vom Hauptquartier, noch vier weitere Zweigstellen, die ebenfalls dreitausend Mann stark waren und auf jedem Kontinent Rak'al Tek'lahs vertreten waren. Die Zweigstellen lagen allerdings weit abgelegen von den Städten und kleineren Siedlungen und kaum einer wusste über die Zweige Bescheid, denn so tüchtig und ehrhaft "Zenobia" auch war, genauso viele Feinde hatten sie auch. Wenn jemand einen Auftrag für die Gilde hatte, kam man meist nur über Informanten an die Gilde heran. Das Hauptquartier bildete jedoch eine Ausnahme. Zwar hatten Zivilisten keinen Zugang zum Hauptgebäude, jedoch gab es eine Anlaufstelle in Nedros selbst, von wo aus die Anfragen an das Hauptanwesen weitergeleitet wurden. Ziemlich kompliziert, fand Reika, aber sie verstand auch, wieso. Die Elfen hielten es mit ihren Städten genauso. Unfreiwillige Besucher waren dort nicht willkommen, um es freundlicher auszudrücken. Mühelos schwang sie sich auf ihre schwarze Stute Lichtstern. Diese schnaubte fröhlich und Reika empfing einen Gruß von ihr. "Wie ist es dir ergangen, Liebes? Du freust dich bestimmt darauf, wieder laufen zu können, nicht wahr?" Eine warme Empfindung durchfloss sie. "Das freut mich. Dann lass uns aufbrechen. Wir haben nicht viel Zeit und einiges zu tun." Es dauerte nicht besonders lange, ins Stadtinnere zu kommen. Reika und Lichtstern trabten durch das innere Stadttor. Um nicht direkt erkannt zu werden, hatte sie sich bei einem der Krieger in der Gilde einen dunklen Umhang besorgt, dessen Kapuze sie tief über ihr Gesicht gezogen hatte. Jeder, der das Zentrum Nedros' betreten wollte, wurde einer strengen Untersuchung unterzogen. Sie kramte in ihrer Tasche, die sie immer um ihre Schulter trug, wenn sie das Gildenhaus verließ. Als einer der Wachleute auf sie zukam - ein junger Wachmann, den Reika noch nie zuvor gesehen hatte - zeigte sie ihm ihr Siegel, worauf das edel verzierte Wappen "Zenobias" prangte, ein roter Drache, der sich einen Kampf mit einer blauen Schlange bot. Der junge Mann nickte und winkte sie hindurch. Lange war es her, dass Reika zuletzt in Nedros gewesen war. Hier hatte sich nichts verändert. Die tanzenden Leuchtfeuer, die sowohl tagsüber als auch nachts brannten, säumten die breiten Straßen. Geschäfte, welche dieses und jenes anboten, tummelten sich eng aneinander, während ihre Besitzer mit allen Mitteln versuchten, Kunden in ihr Geschäft zu locken. So manches Mal gerieten sie auch arg aneinander, sodass die Stadtwache entschlossen einschreiten musste. Nedros war eine große Stadt, die vor allem für ihren florierenden Handel und ihre ausdrucksstarken Kunstwerke bekannt war. Zudem begegnete man hier nicht nur Menschen. Einige Zwerge tummelten sich in den zahlreichen Kaufhäusern und Leihstuben, um ihre Edelsteine feilzubieten, selbst einige wenige Elfen sah man umherhuschen. Was sie hier taten, war allerdings nicht leicht zu durchschauen, da sie nicht viel Wert auf Materielles legten. Sie verkauften höchstens ihre handgefertigten Waren in der Stadt, um ein wenig Geld für die Grundbedürfnisse aufzutreiben. Grundsätzlich lebten sie zwar von den Erzeugnissen der Natur, aber mit der Zeit erkannten auch sie den Wert magischer Artefakte im Alltag. Reika meinte sogar den einen oder anderen Werwolf zu sehen, doch mochte das vielleicht auch Einbildung sein, da sie sich anderen selten in ihrer Wolfsform zeigten - es sei denn, man stand zufällig auf ihrem Speiseplan. Werwölfe in ihrer menschlichen Form wiesen einige Unterschiede zu den Menschlichen Zügen auf. So waren ihre Gesichter markanter und ihre Körper stärker und stämmiger. Vampire und Werwölfe galten zwar offiziell als Teil der fünf Zivilisierten Völker, doch konnte man bei ihnen kaum sagen, ob sie nicht doch böse Absichten hegten. Die Jagd auf andere Lebewesen war Teil ihrer Natur und konnte widersprüchlich ausgelegt werden. Allerdings musste man ihnen zugute halten, dass sie sich an das Friedensabkommen der fünf Nationen hielten, was besagte, dass Angehörige der Nationen von ihren Jagdaktionen ausgeschlossen wurden, weshalb sie zumeist nur Tiere oder einige ausgewählte Monster jagten. Nur einige wenige Abtrünnige brachen dieses Abkommen. Diese wurden dann dementsprechend behandelt. Eigentlich hielt Reika dieses Gesetz für sinnlos, da es ein Naturgesetz war, nach welchem der Stärkere überlebte. Sollte ein Werwolf einen Menschen, Zwerg oder Elfen attackieren, so konnte dieser sich noch verteidigen. Andererseits verhinderte dieses Gesetz unnötiges Blutvergießen und Vergeltungsaktionen. Und für seinen Speiseplan konnte man schließlich nichts. Reika stieg vor einem unscheinbaren Haus ab, welches an einer Ecke zu einer Seitenstraße stand. Kurz sah sie sich um, doch niemand schien sie zu beobachten, also nahm sie Lichtsterns Zügel in die Hand und marschierte geradewegs auf das Haus zu, welches keinen Eingang zu besitzen schien. Hätte jemand sie beobachtet, würde er denken, dass sie jeden Moment gegen die Wand prallen musste, doch stattdessen glitt sie aalglatt hindurch. Hinter der Mauer öffnete sich eine breite Halle, die schon alleine von der Größe her gar nicht in das winzige Haus passen konnte. Kurz nachdem sie einen Schritt in die Halle gesetzt hatte, heulte in der Ferne eine Sirene auf, einige Sekunden später näherten sich ihr etwa fünf Mann mit gezogenen Waffen. Reika ließ Lichtsterns Zügel los - sie würde nicht Reißaus nehmen - und hob gelangweilt ihre Hände. "Kommandantin "Zenobias", Reika Scythe", ertönte es mechanisch aus der Nähe. Solcherlei Identifizierungszauber fand man oft in mehr oder weniger öffentlichen Gebäuden vor. Langsam ließ sie ihre Hände sinken, da auch die Männer, die nun knapp einen Meter vor ihr standen, die Waffen wegsteckten. Auf der Höhe ihres Gesichts hielt sie inne, um ihre Kapuze zurück zu ziehen, damit man auch ihr Gesicht erkennen konnte. "Kommandantin Scythe, lange ist es her. Glückwunsch zu Eurer Beförderung", begrüßte sie ein junger Mann, etwa in Dylans Alter. Seine Augen strahlten blass violett, seine grasgrünen Haare ergossen sich seidig über seine linke Schulter, bis sie an seiner Brust von einem kunstvoll gewebten Haarband, in dem eine gläserne Perle eingearbeitet war, zusammen gehalten wurden. Seine spitzen Ohren kennzeichneten ihn vollends als einen Elfen. Lächelnd trat sie auf ihn zu und legte ihre Stirn an seine, wie es unter den Elfen Brauch war, wenn man sich begrüßte. "Llandorin, schön Euch zu sehen. Wie ist es Euch ergangen?" Ebenfalls lächelnd richtete er sich wieder auf - da Reika kleiner war als er, musste er sich ein wenig hinabbeugen. "Gut soweit. Was führt Euch her? Ihr habt Euch nicht angemeldet." "Ich muss Kontakt nach Dragseel aufnehmen und hatte keine Zeit, mich vorher anzukündigen, da ich erst gestern Abend den Auftrag erhalten habe. Sicherlich habt Ihr bereits von dem Turnier gehört, welches in elf Wochen stattfinden soll." Beinahe hätte sie das schwache Funkeln in Llandorins Augen übersehen. "Wie Ihr wünscht. Folgt mir." Die Botschaft der Elfen war aus Sicherheitsgründen versteckt, sodass niemand zufällig hier rein kommen konnte. Nur Elfen konnten damit rechnen, hier einigermaßen herzlich begrüßt zu werden. Reika folgte dem Elf durch die Halle in einen Nebenraum, wo es nicht mehr gab, als eine große, gläserne Kugel, die mitten auf einem mit schönen Gravuren verzierten hölzernen Tisch ruhte. Ein schwaches Schimmern ging von ihr aus. "Verbindung herstellen", befahl Llandorin knapp. Das Schimmern wurde stärker. Rauch schien in der Kugel eingeschlossen zu sein, denn das Schimmern wurde von den wabernden Massen in der Kugel mal heller, mal dunkler. Eine beachtlich tiefe Frauenstimme drang leise aus der Kugel hervor. "Dragseel, mein Herr?" "Ja. Verbinde mich mit Königin Lunaria." Zur Antwort leuchtete die Kugel grün auf und ein schemenhaftes Gesicht zeichnete sich in der Kugel ab. Nach einigen Sekunden war es deutlich zu erkennen. Reika trat vor. "Meine Königin", begrüßte Reika sie und legte ihre Hand an ihre Stirn. Da ihr Gegenüber nicht vor ihr stand, war dies das Mindeste. "Reika", ertönte die unendlich sanfte Stimme der Herrscherin Dragseels. "Was führt dich zu mir?" "Majestät, sicherlich habt Ihr von dem Turnier gehört, das in elf Wochen stattfinden soll. Stimmt es, dass Ihr daran teilnehmen werdet?" "Ganz Recht, meine Liebe. Wie ich sehe, bist du damit nicht zufrieden." Reika zögerte und schluckte schwer. "Das trifft es nicht ganz, Majestät. Ich frage mich, warum Ihr diese Gefahr für eine - verzeiht meine obszöne Wortwahl - solch lächerliche Dummheit eingeht." Das Gesicht der Königin zeigte ihr wunderschönes Lächeln. Ebenmäßige weiße Zähne blitzten hervor. "Mein geliebtes Kind, es gibt Dinge, die getan werden müssen. Du hast mich verlassen, weil du es für das Richtige hieltest. Nun tue ich, was ich für richtig halte." "Und das wäre, Leyara?" Nun ließ sie alle Höflichkeit beiseite. "Er lebt, verstehst du, mein Kind? Er lebt." Alle Farbe war aus Reikas Gesicht gewichen. "Unmöglich", brachte sie entsetzt heraus. "Das ist völlig unmöglich. Er ist tot! Ich habe es -", wollte Reika einwenden, doch die Königin unterbrach sie. "Nein, ist er nicht. Aber wir wissen derzeit auch nicht, wo er sich aufhält. Vor sechs Monaten griff er Dragseel an. Er hat sich sehr verändert." Trauer und großer Schmerz zeichneten das wunderschöne Gesicht der Königin. Ihre Worte konnten keine Lüge sein. Das würde sie Reika nie antun. Sie schwieg. "Reika, du musst dort sein. Es wäre möglich, dass er auch dort ist. Irgendetwas ist mit ihm passiert. Er ist nicht mehr er selbst. Rette ihn. Du kannst das. Du bist wahrscheinlich sogar die Einzige, welche dazu fähig ist." Reika antwortete nicht direkt. Sie kämpfte mit ihren Tränen, doch schließlich gewann sie den Kampf. Nun war nicht die Zeit, sich in Selbstmitleid versinken zu lassen. "Wie Ihr wünscht, Majestät", antwortete sie tonlos. "Waren es große Schäden, die er hinterlassen hat?" "Nur Häuser wurden zerstört. Keiner musste sterben." "Ich werde ihn finden." "Da bin ich mir sicher, mein Kind. Deine Mutter hätte es so gewollt." "Ja, das hätte sie wohl. - Verbindung beenden." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Botschaft. "Rei! Hey, Rei!" Reika reagierte nicht. Sie wollte niemanden sehen und erst recht mit niemandem reden. "Rei!" Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Genervt drehte sie sich herum und traktierte den Sprecher mit bösen Blicken. "Was ist?", spieh sie erbost hinaus. "Rei, was ist denn los?", fragte das rothaarige Mädchen mit den grünen Augen, welches vor ihr stand. Mileena war ebenfalls Kommandantin "Zenobias", obwohl sie bei weitem nicht danach aussah. "Nichts. Lass mich bitte alleine." "Nichts da. Du wirst jetzt mit mir essen", entgegnete Mileena fröhlich, beinahe aufgedreht. Reika seufzte tief. "Mileena, mir ist gerade nicht nach Essen - oder Konversation. Lass mich bitte alleine." Das Mädchen kniff die Augen zusammen. Statt einer Antwort ergriff sie entschlossen Reikas linke Hand und zog sie überraschend stark hinter sich her, bis sie schließlich in der großen Halle standen, in der gerade gefrühstückt wurde. Reika hatte die letzte Nacht nicht geschlafen, dicke Augenringe zierten ihre roten Augen, die nun mehr blutrot schimmerten. Mileena zog sie hinter sich her, bis sie einen freien Tisch gefunden hatten und manövrierte die unwillige Reika geschickt auf die Bank, dann eilte sie weiter, um das Frühstückstablett zu holen. Nach kurzer Zeit kam sie wieder zurück, zwei Tabletts auf ihren Händen balancierend. Ohne ein Wort zu sagen, stellte sie eines vor Reika ab, mit dem anderen setzte sie sich neben ihr. "Iss", war alles, was sie sagte, dann stopfte sie sich schon zwei dicke Brotscheiben und ein großes Stück Käse in den Mund. Mileena war nun wirklich nicht das, was man als gesittet oder anmutig bezeichnen würde. Allerdings legte sie auch nicht viel Wert darauf. Ihre hervorragenden Schwertkünste und ihr Umgang mit der Beschwörungsmagie waren allseits bekannt und geschätzt. Da drückte man so manches Mal gerne ein Auge zu, wenn sie sich daneben benahm. Mit müdem, angewidertem Blick betrachtete Reika das Tablett, welches vor ihr stand. Brot, Käse, Früchte. Lustlos nahm sie einen schönen roten Apfel und biss halbherzig hinein. Der süßlich saure Geschmack, den sie sonst so bevorzugte, hatte heute keine Wirkung auf sie. Er lebte. Ihr Bruder lebte. Dabei- "Rei! Nun iss schon. Du bist Kommandantin und egal, was vorgefallen ist, du musst dich zusammenreißen. Du hast eine gewisse Verantwortung, an die du dich halten musst. Und in elf Wochen wirst du all deine Kräfte und noch mehr brauchen. Also hör auf Trübsal zu blasen und komm wieder zu dir." "Was weißt du schon", murmelte sie deprimiert und legte den angebissenen Apfel wieder zurück. Gerade wollte sie aufstehen, als Mileena schon auf den Füßen stand, sich zu ihr gedreht hatte und ihr eine deftige Ohrfeige verpasste. "Du verdammte...! Was sollte das?", fuhr Reika nun zornig auf. "Reiß dich zusammen, Kommandantin Scythe! Du bist im Dienst!" Reika riss die Augen auf. Sie hatte Recht. Private Probleme hatten im Dienst nichts zu suchen. Sie wandte sich wieder dem Tablett zu, nahm den Apfel und schob ihn sich zur Hälfte in den Mund. Mileena setzte sich wieder, zufrieden grinsend, dann wandte sie sich wieder ihrem eigenen Frühstück zu. Dieses temperamentvolle Mädchen hatte die Neigung, ihre Gefühle sehr offen zu zeigen und nahm kein Blatt vor dem Mund. Hatte sie einen Gedanken erst gefasst, so sprach sie ihn unverwandt aus - eine Eigenschaft, die Reika sowohl respektierte, aber auch verachtete. Manchmal war es klüger, seine Gedanken für sich zu behalten. Reika und Mileena verließen nach dem Frühstück die große Halle und gingen Seite an Seite durch den Gang in die Eingangshalle und von dort aus raus in den Außenhof. Beide trugen ihre Schwerter bei sich. Wortlos zog Reika ihr Schwert und fuhr mit dem Daumen über die Klinge, um zu überprüfen, ob sie denn auch scharf war. Natürlich war die schwarze Klinge noch genauso scharf, wie am ersten Tag, als sie das Schwert von Dylan geschenkt bekam. Mileena mochte vielleicht nicht über gute Manieren oder Anstand verfügen, aber sie war äußerst taktvoll und fragte Reika keine Löcher in den Bauch. Stattdessen verstand sie sich darauf, ihre Kameradin und Freundin abzulenken. Dafür war ein Sparringskampf genau das Richtige. Beide nahmen in einem Abstand von etwa zwei Metern ihre Kampfposition ein, ihre Schwerter vor sich haltend und sich verbeugend. Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatten, stürmte Mileena auch schon los, ihr rotes Schwert angriffsbereit vor sich ausgestreckt. Reika trat schnell einen Schritt beiseite und schon prallten die Klingen melodisch aufeinander. "Schnell wie immer", bemerkte das redselige Menschenmädchen. Reika schwieg. Lediglich ein Grinsen zeigte, dass sie die Bemerkung zur Kenntnis genommen hatte. Schon ließ die ruhige Elfin ihre Klinge scharrend an der Klinge ihrer Gegnerin entlang gleiten, machte einen Ruck und drückte das Schwert ihrer Kontrahentin so von sich weg, dass sich ihr eine Angriffsmöglichkeit bot. Mileena jedoch verstand sich darauf, schnell auszuweichen und machte zwei Schritte nach hinten, wodurch beide wieder neutrale Positionen hatten. Reika fackelte nicht lange und stürmte sogleich wieder auf sie zu, täuschte einen Schlag von oben an, änderte jedoch blitzartig die Schlagrichtung, als sie zufrieden feststellte, dass ihre kleinere Freundin parieren wollte und landete schließlich mit der flachen Klinge einen Schlag auf ihre linke Seite. "Au!", quiekte Mileena, während sie sich mit ihrer freien Hand über ihre Rippen rieb. "Du bist zwar schnell, aber fällst immer noch auf Finten rein", bemerkte Reika knapp. Beide gingen wieder in die Ausgangsposition. Dieses Mal wartete Reika ab und wartete auf die Reaktion ihrer optimistischen Gegnerin, denn aufgeben würde sie wegen eines kleinen Treffers auf keinen Fall. Dafür war sie zu hartnäckig. Ursprünglich war die vor Energie strotzende Mileena einen Rang höher als sie, was vor allem auf ihren Fähigkeiten im Kampf und ihrer Erfahrung beruhte. Dennoch war die eher ernstere Reika ihr in der Schwertkunst minimal überlegen. Mileena machte einen schnellen Satz nach vorne, wobei sie ihre Klinge frontal vor sich hielt, wie zum Stich bereit, dann aber drückte sie sich mit ihrem rechten Bein ab, rollte sich über ihre Schulter auf dem Boden, kam hinter Reika zum Stehen und schlug zu. Reika, die etwas überrascht von der plötzlichen Finte war, reagierte gerade noch rechtzeitig, indem sie ihr Schwert hinter ihrem Rücken hielt. Daraufhin erklang ein metallisches Klirren, als die Schwerter aufeinander prallten. Sofort machte sie zwei Sätze nach vorne, um Mileena nicht noch einmal die Chance zu geben, sie zu treffen. Auf dem Absatz drehte die nun kampflustige Elfin sich herum und schnellte direkt wieder vor. Mit blitzenden Augen hob sie ihr Schwert und holte zum Schlag aus, während Mileena eine Blockhaltung annahm, um den Schlag abzuwehren. Wieder prallten die Klingen aufeinander, doch nun gab es Kräftemessen, welches Reika schnell gewann. Elfen verfügten natürlicherweise über größere Körperliche Kraft und Ausdauer als Menschen, weshalb sie letztendlich aber noch lange nicht überlegen waren. Schon oft genug wurde sie von Menschen überrascht, welche sie zuerst unterschätzt hatte. Seitdem unterschätzte sie grundsätzlich niemanden mehr, egal wie klein oder schmächtig die Person wirken mochte. Mileena hatte sichtlich mit der körperlichen Stärke zu kämpfen, die ihre Freundin ihr entgegen brachte. Verkrampft biss sie sich auf ihre Unterlippe. Langsam ging sie auf ein Knie herunter, ihre Arme zitterten leicht. Mit ihrer freien Hand stützte Mileena ihre Klinge, doch Reika tat es ihr schnell nach. So in ihr Kräftemessen vertieft, bemerkte Reika die Rufe nicht, die über den Vorhof schallten. "Kommandantin Scythe!" Reika blinzelte, dann erwachte sie aus ihrer Kampfeslust - ein wenig enttäuscht. „Kommandantin!“, rief ein junger Laufbursche gehetzt, während er auf schnellen Beinen den Vorhof überquerte. „Was ist?“, fragte Reika mürrisch. Ja, sie nahm es ihm übel, dass er sie unterbrochen hatte, als sie fast vor ihrem Sieg stand. „V-verzeiht, Kommandantin“, antwortete der Junge, als er bei den beiden Frauen zum Stehen kam, „aber es ist dringend. In der Eingangshalle erwartet Euch jemand. Den Namen hat er nicht erwähnt, aber er sagte, er kenne Euch und Ihr wüsstet, wer er ist, wenn Ihr ihn sehen würdet.“ Stirnrunzelnd nickte sie und entließ ihn mit einem schwerfälligen Winken. „Was meinst du, wer es ist?“, fragte Mileena und trat neben sie. „Ich weiß es nicht, aber ich werde es wohl gleich herausfinden.“ In der Eingangshalle angekommen, hielt Reika nach einer Person Ausschau, welche augenscheinlich erst einmal nicht hier her gehörte. Letztendlich bemerkte sie jedoch niemanden, den sie nicht zumindest vom Sehen her kannte. Plötzlich lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Ich habe auf Euch gewartet“, flüsterte eine tiefe Stimme nahe an Reikas linkem Ohr. Augenblicklich klingelten sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf. Wie konnte er so plötzlich hinter ihr erscheinen? „Wer bist du und was willst du von mir?“, entgegnete Reika sichtlich darum bemüht, nicht angespannt wirken. Die Stimme stieß ein tiefes, kurzes Lachen aus. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass Ihr mich nicht mehr erkennt?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue drehte Reika leicht ihren Kopf in die Richtung der Stimme. Aus den Augenwinkeln erkannte sie einen dunklen Umhang, dessen Kapuze tief in das Gesicht des Sprechers gezogen war. „Wer...“, setzte sie an, doch der Mann unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Nicht hier. Wir reden, wo wir weniger auffallen.“ Reika nickte. Sie wurden bereits von einigen Mitgliedern der Gilde teils neugierig, teils misstrauisch beobachtet. „Folge mir. Ich bringe dich in mein Zimmer“, sagte sie knapp, dann ging sie auch schon los. „Also gut, wer bist du und woher kennst du mich?“, schoss Reika sofort los, als sie die Tür zu ihrem kleinen Zimmer verschlossen hatte. Der verhüllte Mann stand mit dem Gesicht zum kleinen Fenster, das hinaus auf den Außenhof zeigte. Da er keinerlei Anstalten zu machen schien, um ihr zu antworten, näherte sie sich ihm mit leisen Schritten, bis sie schließlich unmittelbar hinter ihm stand. Als sie ihren Arm gerade zur Hälfte nach seiner Kapuze ausgestreckt hatte, drehte er sich unvermittelt um. Das, was sie von seinem Gesicht sehen konnte, war bleich und ebenmäßig, aber auch in einem dunkleren Farbton gehalten, wie es ihn unter den Menschen nicht gab. Das zeichnete ihn wohl als einen der ihren aus, wobei es selbst in ihrem Volk wenige mit dieser Hautfarbe gab. Eine dünne feine Linie, die sich von seiner linken Kinnhälfte bis hoch zur Wange zog, war der einzige Makel seines Gesichts, soweit Reika es ausmachen konnte. Erschrocken und beschämt, weil sie ihn so lange angestarrt hatte, zog sie ihre Hand zurück und senkte verlegen ihren Blick. „Diese Narbe“, murmelte sie nachdenklich. Seine vollen, dunklen Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, dann hob er seine linke Hand und streifte sich zu Reikas Überraschung die Kapuze zurück. „Xiodir!“, rief Reika ungläubig. „Es ist lange her, Herrin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)