Das eiskalte Herz von Tsuki_no_Hime ================================================================================ Kapitel 2: ----------- „Kai!“ Seine Augen öffneten sich. Ihm war als hätte er etwas gehört. Ein Stimme, die unnachgiebig seinen Namen rief. „Kai!“ Tatsächlich. Seine Sinne hatten ihm also keinen Streich gespielt. Er trat einen Schritt zurück und drehte sich um. Unweit von seinem Standpunkt entfernt, sah er eine Gestalt näher kommen. Und je näher diese kaum, desto mehr überfiel ein Zittern Kais Körper. Rei. Was machte er hier? Keuchend blieb der Schwarzhaarige wenige Meter vor ihm stehen. „Ich habe dich überall gesucht.“ Er wollte nach dem Warum fragen, doch kannte er die Antwort längst schon. Er sah die Liebe in Reis Augen. Ein Gefühl welches ihm galt und welches mit so viel Schmerz verbunden war. „Du solltest nicht hier sein, Rei.“ Kopfschüttelnd trat der Angesprochene näher. Nun waren es nur noch Zentimeter, die sie voneinander trennen. Eine unüberwindbare Spanne, wie Kai empfand. Dabei war es doch so einfach, den Anderen zu berühren. Er müsste nur seine Hand nach ihm ausstrecken. Eine schimmernde Träne perlte aus Reis Augenwinkel. „Weißt du, Kai: Du bist nicht der Einzige, der Angst hat. Mir geht es genauso, aber-“ „Du weißt nicht, was du sagst. Ich habe keine Angst. Vor nichts.“ Zumindest nicht mehr... Ein Gedanke, den er jedoch nicht laut aussprach. „Was ist es dann? Warum quälst du mich so?“ Erst jetzt bemerkte Kai das Zittern des Schwarzhaarigen. Er fror. Kein Wunder in Anbetracht der derzeitigen Wetterlage. Noch immer tobte der Wind und zog unnachgiebig an jeglichen Hindernissen. Mittlerweile hatte auch ein feiner Nieselregen eingesetzt, der immer stärker zu werden schien. „Du solltest gehen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und wollte diesen Ort verlassen, doch hatte er die Rechnung ohne seinen Teamkameraden gemacht, der zügellos seine Hand ergriff und ihn zurück hielt. Bewegungsunfähig hielt Kai inne, drehte sich jedoch nicht um. „Ich verlange nicht von dir, dass du meine Gefühle erwiderst, Kai. Doch lass mich wenigstens dein Freund sein. Lass mich dir helfen.“ Lass mich dir helfen... Worte, die auch sie einst verwendete. Worte, die sein ganzes Leben veränderten. Worte, die alles zerstörten. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Sie versprach ihm Macht und ein Leben ohne Schmerz. Hingegen verlangte sie nur sein Herz. Ein fairer Deal, wie er befand. Was wollte er auch mit Gefühlen, die ihn schwach machten? Er wollte nicht schwach sein. Nie mehr. Angst... Hass... Liebe... All diese Emotionen würden auf ewig aus seinem Bewusstsein verschwinden. Endlich würde er perfekt sein. Eine Perfektion, die sein Großvater schon lange bei ihm anstrebte. Ob er wohl stolz auf ihn wäre? Mit einem Kopfschütteln vertrieb er diesen Gedanken schnellstmöglich wieder. „Bist du bereit?“ Fast schon liebevoll konnte man jenen Blick beschreiben, mit dem sie ihn bedachte. Ein Wort, welches so gar nicht zu ihr zu passen schien. Nein, liebevoll war sie keineswegs. Eher eiskalt und berechnend. Wie der, des Satans jüngerer Schwester... „Wird es weh tun?“ Sanft strich sie ihm über den Kopf. Eine Geste, die seine Mutter oft zu tun pflegte. Damals, als sie noch bei ihm war. Vor dem Unfall, der sie ihm für immer entriss. „Es werden Höllenqualen, doch du wirst dich danach an nichts mehr erinnern.“ Sie war ehrlich, versprach nichts, was sie nicht halten konnte. Eine Eigenschaft, die sie ihm durchaus sympathisch machte. Und doch entrann ein leises Wimmern seiner Kehle. „Was...was wird mit meinem Herz geschehen?“ Sie sprach von 666 Monaten und von einem Gefäß, welches ebenso tot sein würde, wie sein Innerstes. Worte, die er erst viel zu spät begriff... +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ 522 Monate, die ihm noch verblieben. In denen er weiterhin, wie ein Geist auf der Erde wandeln würde. Ein ewiger Teufelskreis, der ihn einfach nicht zur Ruhe kommen ließ. „Warum liebst du mich?“ Zuerst war Rei verwirrt über diese Frage, dann beschloss er diese jedoch ehrlich zu beantworten. Für Kai. Das war er ihm schuldig. „Weil du etwas ganz Besonderes bist. Vielleicht bist du nach außen hin stark, mutig und aufopferungsvoll, doch innerlich bist du noch immer ein kleiner, verängstigter Junge, der vor den Geistern der Vergangenheit flieht.“ Ein leises Seufzen drang über Reis Lippen. „Es lässt sich schwer in Worte fassen, aber- … Kai, was ist mit dir?“ Halt suchend hatte Kai eine Hand in die Rinde des Apfelbaumes verkrampft, während sein Körper unaufhörlich zitterte. ...doch innerlich bist du noch immer ein kleiner, verängstigter Junge, der vor den Geistern der Vergangenheit flieht... Wie hatte es Rei geschafft, ihn so leicht zu durchschauen? Niemand wusste etwas über seine Vergangenheit. Niemanden hatte er sich je anvertraut. Woher wusste er also darüber Bescheid? Und warum quälte ihn der Gedanke daran nur so sehr...? Um ihn herum begann sich alles zu drehen, während die Zeit gleichzeitig wie eingefroren schien. Und dann wurde alles schwarz. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Er fand sich in einem großen, kahlen Saal wieder. Lediglich ein Schreibtisch mit einem Bürostuhl waren darin vorhanden. Die Wände waren blutrot, während der Boden aus schwarzem Stein bestand. Die Fackeln an den Wänden spendeten nur spärliches Licht, welches geradeso ausreichte, um alles erkennen zu können. „Tritt näher.“ Er hatte keine Gewalt über seinen Körper, als er der herrischen – und eindeutig weiblichen – Stimme tatsächlich nachkam. Es war, als handelte sein Geist eigenständig. Übelkeit stieg in ihm auf. Erst jetzt registrierte er den leichten Hauch Schwefel, der in der Luft lag. War er etwa in der Hölle? Der Stuhl drehte sich ihm langsam entgegen. In ihm erkannte er eine Frau. - Schwarzes Haar. Blutrote Augen. Ein kaltes Lächeln auf den Lippen tragend. Sie war es. Sie, die ihm diesen Fluch auferlegt hatte. „Hast du unsere Abmachung denn bereits vergessen?" Sie lehnte sich ein Stück über den Tisch und stützte ihr Kinn auf ihre zusammengefalteten Hände. Abwartend sah sie ihn an, bis sie ein leises Seufzen ausstieß und kurz – nur für wenige Sekunden – die Augen schloss. „Ich habe mich an den Vertrag gehalten und dir gegeben, wonach du verlangt hast. Und nun forderst du tatsächlich zurück, was mir rechtmäßig zusteht?“ Ihre Worte ergaben gar keinen Sinn und doch wusste er sofort, was sie meinte. Es gab nichts daran misszuverstehen. Sie hatte ihn durchschaut, noch bevor er selber begriffen hatte, was er sich am sehnlichsten erwünschte. Sein Herz. „Sag mir, was gedenkst du, das ich nun tun soll?“ Nachdenklich blickte er gen Boden, wagte es nicht auszusprechen, was ihm auf der Zunge brannte. Konnte er es wirklich wagen, mit dem Teufel zu verhandeln? Nein! Man durfte ihr einfach nicht trauen. Sie kicherte leise. Es machte ihr keinerlei Mühe, seine Gedankengänge zu erraten. Sie sah ihm den Zwiespalt an seiner Haltung an. Und hätte sie einen Blick in seine Augen erhaschen können, hätte sie ihre Bestätigung erhalten. Menschen waren doch alle gleich. Sie waren einfältig und dumm. Ein spöttisches Lächeln zierte ihre zinoberroten Lippen. Langsam hob er seinen Blick wieder. Seine Augen wirkten den ihren plötzlich gar nicht mehr so unähnlich. Sie waren kalt und leer und doch erkannte sie etwas in ihnen, ganz tief unter der Oberfläche verborgen, was sie nie geglaubt hatte, darin vorzufinden. Etwas, das es selbst vermochte, ihr – der Höllenfürstin – einen eiskalten Schauer über den Rücken zu jagen. Sie sah das abgrundtief Böse in seinen Augen... „Lucifer, was...?“ Anmutig und erhaben trat er näher, bis er schließlich dicht vor dem Schreibtisch stehen blieb. Eine flammende Fontäne schoss aus dem Boden hervor und als diese erloschen war, befand sich an deren Stelle ein majestätischer Thron, auf dem er sich sogleich niederließ. „Du hast verloren, kleine Schwester. Das Herz dieses Menschen ist zu stark, als du es es verunreinigen hättest können.“ Ihr Gesicht war von Wut und Unglauben gekennzeichnet. Kein menschliches Herz besaß eine solch immense Macht, das es der Dunkelheit widerstehen konnte. Das war einfach unmöglich. „Aber seine Seele...“ Er schüttelte den Kopf und brachte sie somit zum schweigen. „Es ist wahrlich enttäuschend, dass du es scheinbar immer noch nicht begriffen hast. Nun, lass es mich dir erklären.“ Kurz machte er eine Pause, so als wäge er sorgfältig seine Worte ab, die er ihr sogleich näher bringen wollte, während sie weiterhin angespannt auf ihrem Platz verharrte. „Die Seele dieses Menschen mochte zwar schwarz gewesen sein, doch unrein war sie keineswegs. Stattdessen war sie allenfalls von Schmerz und Leid besudelt. Gefühle, die du ihm jedoch genommen hast. Verstehst du es jetzt?“ Eine tiefe Furche entstand in ihrer Stirn, als sie seine Worte auf sich wirken ließ und sorgfältig über das Gesagte nachdachte. „Das würde ja bedeuten...“ „Ganz Recht, Lilith. Du hast ihn erlöst. Eine schwache Leistung für eine Dämonin, meinst du nicht auch?“ Hohn schwang in seinen Worten mit. Es traf sie schlimmer, als Lucifers anderweitige Bestrafungen es je könnten. Wie konnte ihr nur so ein dummer Fehler unterlaufen? „Und bevor ich es vergesse:“ Er beugte sich ihr entgegen. Seine Augen blitzten ihr mit spöttischer Belustigung entgegen. „Was ist dir über den Engel Rhamiel bekannt?“ Bevor sie seine Worte gänzlich auffasste, schoss erneut eine Flammenfontäne empor, die Lucifer mit sich nahm. Lediglich ein kleiner Junge mit blaugrauen Haaren blieb zurück und sah sie aus trüben rotbraunen Augen an. Seufzend lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. Das durfte doch alles nicht wahr sein... +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Ruckartig schoss Kai in die Höhe, die Augen dabei weit aufgerissen. Jedoch fuhr ihm gleich darauf ein höllischer Schmerz durch seinen Schädel, weswegen er wieder gepeinigt die Augen schloss und sich langsam zurück in die Kissen sinken ließ. Was war geschehen? „Schön, du bist endlich wach.“ Mit einem Tablett beladen, betrat Rei sein Zimmer und kam geradewegs auf ihn zu. Vorsichtig lud der Schwarzhaarige das Tablett – auf dem eine dampfende Kanne, sowie zwei Tassen standen – auf dem Nachtisch neben dem Bett ab und setzte sich anschließend auf den Stuhl, der gleich in unmittelbarer Nähe dort platziert wurde. „Wie geht es dir?“ Zaghaft öffnete Kai wieder die Augen, brauchte kurze Zeit um sich an die Helligkeit zu gewöhnen, bevor er seine ganze Aufmerksamkeit auf Rei lenkte, der ihn abwartend und liebevoll zugleich ansah. Und auf einmal schien seine Kopfschmerzen wie weggeblasen. „Ging mir schon mal weniger beschissen.“ Eine Aussage, die Rei zum lachen brachte. Kai mochte dieses Geräusch. Das tat er schon immer, doch erst jetzt registrierte er die Wärme, die sich dabei in seinem ganzen Körper auszubreiten schien. Wärme, die er viel zu lange schon vermisst hatte. „Rei, wegen dieser Sache...“ Sanft legte der Angesprochene ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn zum schweigen zu bringen. Er wusste doch eh schon, was der Andere sagen wollte. Also warum unnötig Worte verschwenden, wenn doch Taten um so vieles schöner waren? Damit beugte er sich herab und legte seine Lippen tastend auf die von Kai. Nur eine kurze Berührung, die das Herz des Russen fast zum zerbersten brachte, so schnell und kraftvoll, wie es plötzlich in seiner Brust schlug. Und als Kai am nächsten Tag mit Rei den Park aufsuchte, legte sich ein warmes Lächeln auf seine Lippen. Zärtlich ergriff er die Hand seines Geliebten, während ihrer beiden Augenpaare auf dem Apfelbaum lagen, der endlich wieder Früchte trug. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Und weiter oben, über den Wolken, schaute Gott auf seinem fleißigsten Engel herab, während er belustigt an die Wette zurück dachte, die er einst mit Lucifer geschlossen hatte. „Ich sagte doch, es gibt mehrere Möglichkeiten, ein Herz zu stehlen...“ Amüsiert lauschte er den wüsten Schimpftiraden Liliths, die sogar noch im Himmelsreich gut verständlich empfangen wurden. Noch einmal würde es Lucifer wohl nicht wagen ihn herauszufordern, oder...? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)