Das eiskalte Herz von Tsuki_no_Hime ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war tiefschwarze Nacht, welche nur von den gleißenden Blitze zerschnitten wurde, die wie scharfkantige Klingen vom Himmel herab zischten. Lautes Donnergrollen erschallte hoch oben über seinem Kopf und der Regen prasselte wie Nadelstiche unaufhörlich auf ihn hernieder. Schon seit Stunden irrte er durch die Straßen und Gassen der nächtlichen Stadt. Irreführend war sein Weg, der ihn einfach nicht zum Stillstand kommen ließ. Er wollte weg. Einfach nur ganz weit weg von diesen Gefühlen und Gedanken, die ihn schon seit jeher quälten. Zitternd schlang er die dünne Jacke enger um seinen abgemagerten Körper. Schneller, immer schneller, wurden seine Schritte. Doch seine Umwelt verschwamm immer mehr vor seinen müden Augen. Er hatte kaum noch Kraft sich auf den Beinen zu halten und doch blieb er nicht stehen. Viel zu weit war er nun schon gekommen, um noch einen Rückzieher machen zu können. Panisch huschten seine Augen von links nach rechts. Ob sie schon nach ihm suchten? So gut es ging, wurden seine schwerfälligen Schritte noch schneller, bis er eine stickige Seitengasse erreichte, in die er einbog. Erschöpft lehnte er sich an die kalte, raue Wand und rutschte schließlich an dieser herab, bis er auf dem schmutzigen Boden ankam. Es störte ihn nicht. Weder der Gestank, noch der Dreck. Doch diese Kälte... Er merkte schon seit geraumer Zeit einen deutlichen Temperaturanstieg von sich ausgehen. Wenn er nicht bald eine Bleibe finden würde, dann... Seine Gedanken brachen abrupt ab, als er Schritte näher kommen hörte. Klackende Schritte, wie die einer Frau, die auf hohen Schuhen unterwegs war. Aber was trieb eine Frau zu solch einer späten Stunde in solch einer schäbigen Gegend, vor der selbst die Ratten Reißaus nahmen? Er war zu müde sich dies bezüglich Gedanken zu machen. Stattdessen lauschte er aufmerksam weiter diesen Schritten, die immer näher zu kommen schienen, und hoffe, das sie – wer auch immer sie war – ihn nicht entdecken würde. Er war bekannt. Nicht nur einmal war sein Bild in den Medien zu sehen gewesen. Man würde unnötige Fragen stellen, wenn man ihn hier und in solch einer Verfassung auffinden würde. Fragen, die er nicht beantworten wollte. Die Schritte verklangen. „Du frierst.“ Erschrocken und überrascht zugleich, hob er den Kopf. Unweit von ihr stand eine junge Frau. Schwarzes Haar. Strahlende, rote Augen. Das Linke wurde von einer Narbe geschmückt. Sie war schön, doch strömte sie auch gleichzeitige eine eisige Aura aus. Sein Zittern verstärkte sich. Er hatte sie nicht kommen hören. „Wer sind Sie?“ Ein leises Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen, als sie langsam – und vollkommen geräuschlos – näher trat und schließlich vor ihm in die Hocke ging. „Was möchtest du denn, wer ich sein soll?“ Er war irritiert. Was meinte sie mit dieser Frage? Wer war sie nur – diese Frau, deren blutrote Seen, die Finsternis durchbrachen? „Hab keine Angst. Ich bin hier, um dir zu helfen.“ Langsam erhob sie sie sich wieder und steckte ihm auffordernd ihre Hand entgegen, die er nach kurzem zögern ergriff. Hand in Hand verschwanden sie in der Dunkelheit... +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ „Kai?“ Murrend öffnete er die Augen. Er musste wohl eingeschlafen sein. Ein leiser Fluch drang über seine Lippen. Wie konnte er sich nur so eine Blöße geben? „Was willst du, Kon?“ Angesprochener zuckte zwecks der schneidenden Stimme ein Stück weit zurück, bis er sich wieder weitestgehend im Griff hatte und tief durchatmete. Das Kai auch immer gleich so schlecht gelaunt reagieren musste. Der Russe würde ihm wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. „Ich wollte dir nur Bescheid sagen, das die Anderen nun weg sind. Max Mutter hatte sie doch für eine Woche eingeladen...“ Mehr als ein Brummen erhielt der Chinese jedoch nicht als Antwort. Doch wenn Kai ehrlich war, hatte es ihn damals ziemlich verwundert, das Rei die Einladung ohne ersichtlichen Grund abgelehnt hatte. Nun, im Endeffekt konnte es ihm egal sein, solange der Andere in Ruhe ließ. Damit erhob er sich, was seine Knochen ungesund knacken ließ, und drängte sich an Rei vorbei. Kurz darauf verließ er das Haus, welcher er bereits seit einigen Monaten mit seinem Team bewohnte. Seufzend blieb Rei zurück und setzte sich nun stattdessen auf den Sessel, der noch vor kurzem von dem Russen in Anspruch genommen wurde. Warum war Kai nur immer so abweisend? Besagter schlenderte gemütlich durch die abendlichen Straßen Tokios. Das tat er oft, wenn er Zeit zum nachdenken brauchte oder einfach nur Ruhe haben wollte. Ruhe, die ihm selten zu gute kam, seit er sich mit diesen Kindern ein Heim teilte. Obwohl sie rechtlich gesehen schon lange keine Kinder mehr waren... Seine Schritte stoppten, als er den Park erreichte, der von einzelnen Laternen in einem dämmrigen Licht erstrahlte. Schon lange war er nicht mehr hier gewesen. Zwei Jahre sicherlich. Obwohl er doch schon länger wieder in dieser Stadt wohnte. Irgendwas hatte ihn bisher immer davon abgehalten, diesen Ort zu betreten. Waren es seine Träume, in denen sich die Vergangenheit widerspiegelte? Warum ausgerechnet jetzt, fragte er sich, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzte und schließlich vor einem kahlen Apfelbaum erneut inne hielt. Es war Sommer und dennoch trug er weder Früchte noch Laub. Sommer... Auch damals war es jene Jahreszeit, in der er unter diesem Bauch erwacht war. Orientierungslos und verwirrt. Ohne jegliche Erinnerung an das, was die Nacht zu vor geschehen war. Alles an was er sich erinnerte, war ein ziehender Schmerz in seiner Brust. Bedächtig legte er eine Hand auf die raue Rinde. Fast war ihm, als könnte er einen Herzschlag spüren. Über sich selbst schmunzelnd, schüttelte er den Kopf. So ein Schwachsinn, würde es doch bedeuten, das dieser Baum lebte. Dabei war er nichts weiter als morsches Holz. Gerade noch gut genug, um es zu verfeuern. Seufzend machte er Kehrt. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Zitternd klammerte er sich in die kalte Hand, die ihn führte. Wohin, das blieb ihm verwehrt. Immer näher kamen sie einem Ziel, welches wohl nur die Fremde kannte. Mittlerweile hatte der Regen gestoppt, doch seine Schritte auf dem regennassen Asphalt hallten dafür umso deutlicher in seinen Ohren wieder. Das Rauchen des Windes vermischte sich mit diesem Geräusch. Ein leises Wimmern entrann seiner kratzenden Kehle. „Hab Geduld. Bald wird es dir besser gehen.“ Er zweifelte nicht an ihren Worten, dennoch wusste er nicht, ob er ihr auch wirklich trauen konnte. War es wirklich richtig ihr zu folgen? Abschätzend blickte er hinauf in ihr Gesicht, welches von Monotonie beherrscht wurde. Keine Gefühlsregung konnte er auf ihren Zügen ausmachen. Schließlich blieb sie stehen. Er schaute auf. Vor ihm stand ein kleines Haus. Es wirkte unscheinbar und heruntergekommen. Efeuranken schlängelten sich fast über die ganze Fassade. Die Fensterläden hingen schief und lose herunter. Und der Putz bröckelte langsam ab. Drinnen würde es wohl nicht besser aussehen. „Komm mit mir.“ Schüchtern nickte er, war zu nichts anderem mehr im Stande, und folgte ihr schließlich ins Innere des Hauses, welches Wiedererwarten völlig Intakt war. Hell und einladend strahlte der Innenraum ihm entgegen. Weiße Wände mit abstrakten Verzierungen. Eine verschnörkelte Holztreppe, die in den zweiten Stock hinauf führte. Und ein Spiegel mittig zweier Türen, die in angrenzende Zimmer führten. An der Decke ein teuer aussehender Kronleuchter. Wahrscheinlich aus Messing. Richtige Kerzen steckten in den Fassungen. „Der erste Eindruck ist nicht immer der Richtige. Das solltest du dir gut merken.“ Sie löste seine Hand aus ihrer und ging auf eine der Türen zu, um diese zu öffnen. Zaghaft folgte er ihr, auf ihren Wink hin, und betrat eine Art Wohnraum. Viel gab es jedoch nicht zu sehen. Sein einziges Augenmerk galt der riesigen Couchgarnitur, welche fast den ganzen Raum einnahm. „Setz dich. Ich werde dir derweil einen Tee zubereiten.“ Folgsam kam er dieser Aufforderung nach. Erst jetzt registrierte er, das seine Sachen komplett trocken waren. Dabei war er doch kürzlich noch... Verwundert zog er die Stirn kraus, bevor er beschloss nicht weiter darüber nachzudenken und sich stattdessen weiter umsah. Interessiert besah er sich das Bild welches ihm gegenüber an der Wand hing. Als hätte es der Teufel persönlich erschaffen... Es strahlte etwas Düsteres aus. Etwas, dessen er sich einfach nicht entziehen konnte. Fast schien es, als würde es genau seine Seele widerspiegeln. Schwarz und verloren. Denn trotz seines jungen Alters hatten seine Augen bereits Dinge erblickt, die manch einen Menschen seines Verstandes beraubt hätten. Und je weiter er auf das Bild sah, umso mehr nahm es ihn gefangen. „Gefällt es dir? Mein Bruder hat es gemalt.“ +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Keuchend erwachte Kai aus einem Traum, der eigentlich keiner war. Zwölf Jahre lag es nun schon zurück. Damals war er gerade erst sechs gewesen. Ein kleiner verängstigter Junge, der sich vor den Schatten der Nacht fürchtete und zuhause weggelaufen war, weil... Nein, ein Zuhause war es nie für ihn gewesen. Es war stets ein Ort des Graues, der ihn mit eisigen Klauen gefangen hielt und ihn jäh seiner Kindheit beraubt hatte. Flucht war die einzige Lösung, die ihm blieb. Und noch heute fragte er sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ein zaghaftes Klopfen an seiner Tür, durchbrach seine Gedankengänge. „Kai, darf ich rein kommen?“ Er sprach eine kurze Erlaubnis, die Rei dazu veranlasste, die Tür zu öffnen und einzutreten. Unschlüssig blieb er kurz darauf stehen. „Was willst du?“ „Ich... Der Sturm ist mir nicht geheuer und... Darf ich die Nacht bei dir bleiben?“ Erst jetzt vernahm Kai das tobende Brausen des Windes, welcher die Äste des Baumes vor dem Haus, gegen die Fenster peitschen ließ. Dennoch wusste er, das Rei log. Er sah keine Angst in seinen Augen, stattdessen ehrliche Sorge in einem Blick, mit dem er ihn bedachte. Er gab dem Schwarzhaarigen ein Zeichen, das dieser näher treten sollte, was er auch sofort tat. „Warum bist du wirklich hier, Rei?“ Schuldbewusst senkte der Angesprochene seinen Blick. Er benahm sich zu auffällig. Viel zu auffällig, nach Kais Geschmack. Längst schon hatte er ihn durchschaut und wusste um die Gefühlswelt des Chinesen. Er hätte es nie so weit kommen lassen dürfen... „Ich...“ Ein Seufzen entrann Kais Kehle. Es fiel ihm immer schwerer die Maskerade aufrecht zu erhalten. Es waren diese Momente, in denen er seine Entscheidung bereute. Ob es ein Zurück gab? Nein, nicht für ihn. Nicht für seine Seele, die der Dunkelheit versprochen war. Nicht für sein Herz, welches schon viel zu lange nicht mehr in seiner Brust schlug. Nicht für seinen Geist, der längst schon gebrochen war. „Ich kann dich nicht lieben...“ ...auch wenn er sich manchmal nichts sehnlicher wünschte. Und noch ehe Rei im Stande war etwas zu sagen, war Kai verschwunden. Unauffällig und lautlos, so wie ein Schatten in der Nacht. Es war nun schon das zweite Mal innerhalb eines kurzen Zeitraums, das Kai den Apfelbaum aufsuchte. Und obwohl der eisige Wind an seiner Kleidung zerrte, verspürte er weder Kälte, noch anderweitige Empfindungen, die ihn an dieser Stelle wohl heimsuchen müssten. Er fühlte nichts. - Nichts außer endloser Leere. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Er war so unsagbar müde und doch schaffte er es mit letzter Kraft seine Augen offen zu halten. Diese Frau – auch wenn sie noch so nett zu ihm war – machte ihm Angst. Ihr Blick, mit dem sie ihn bedachte, war so kalt und unergründlich, wie ein bodenloses, schwarzes Loch, welches mit Blut durchtränkt wurde. „Man sollte nichts fürchten, außer der Furcht selbst. Also sag mir, wovor fürchtest du dich, kleiner Kai?“ Sein Atem stockte. Woher kannte sie ihren Namen? Schützend schlang er die Arme um seinen zitternden Körper, wie als könnte sie das davon abhalten, ihm etwas anzutun. Er wusste es besser. Er sah es in ihrem Blick. Dieses lodernde Feuer, welches ihn zu verbrennen schien. Das eiskalte Feuer der Hölle. Dennoch blieb er sitzen. „Ich weiß es nicht...“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, als sie näher kam und sich neben ihn setzte. Sanft umfasste sie seine Hand. Und auf einmal – er konnte es sich selbst nicht erklären – verspürte er keine Angst mehr. Sie war wie weggeblasen, so als hätte sie nie existiert. Verwundert erwiderte er ihren stechenden Blick. „Lass mich dir helfen. Ein Leben ohne Angst und ohne jegliche Gefühle, die dich schwach machen.“ Ein Leben ohne Angst... Wie ein Mantra hallten diese Worte in seinen Ohren wieder. War so etwas möglich? Konnte sie ihm wirklich die Angst nehmen? Er fand die Antwort in ihren Augen und sie ihre in den seinen. Es war also beschlossen. „Alles was ich dafür verlange, ist dein Herz.“ Ein Pakt den er ohne nachzudenken einging und somit sein Schicksal besiegelte. +~+~+~+~+~+~+~+~+~+ Seufzend lehnte er seine Stirn an die harte, raue Rinde, während seine Hand auf seiner Brust zum erliegen kam. Er spürte einen regelmäßigen Herzschlag, der sich doch so falsch anfühlte. Ein Gefühl, welches Kai selber nicht erklären konnte. Vielleicht war es die Nähe zu diesem Baum, die ihn dieses Gefühl vorgaukelte. Vielleicht war es auch etwas gänzlich Anderes. Jedoch hatte er sich lang nicht mehr so lebendig gefühlt, wie in diesem Augenblick. Seine Lider sanken herab. Mit Wehmut dachte er an das, was er verloren hatte. Sein Herz. Seine Seele. Sein Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)