Herzenswille von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 14: Regen ----------------- Regen...   So viel Regen wie in diesem Jahr hatten die Menschen schon lange nicht mehr erlebt – wenn überhaupt. Die Ernten werden zweifelsohne zerstört sein und die schon genug hungernden und verzweifelnden Bürger aus dem dritten Stand würden noch mehr als bisher in Not und Elend versinken. Im Parlament stritt man sich dagegen weiter. Die Vertreter des Volkes forderten neue Gesetze, die alle Menschen gleich stellten und der Adel wollte aber das monarchische System beibehalten. Heute wird Robespierre eine richtige Rede halten, sauste es in Oscars Kopf, während sie bei diesem unerträglichen Wetter die Reihen ihrer Soldaten vor dem Parlament nachging. Wer weiß, vielleicht hat er eine Lösung für diese verfahrene Situation. Ja, vielleicht...   Oscar ging weiter, passierte den letzten Soldaten und bog um das Parlamentsgebäude. Leichte Übelkeit stieg in ihr wieder hoch und es wäre nicht klug, wenn jemand ihren Umstand bemerkte, falls sie sich erbrechen musste. Zur Übelkeit gesellte sich ein unwohles Brennen und Rasseln in ihren Lungen und erschwerte ihr das Atmen. Das hatte sie seit das Parlament fortgesetzt wurde und seit es unablässig regnete. Eine Erkältung hatte ihr gerade noch gefehlt! Oscar lehnte sich an eine Säule, schlang einen Arm um ihre Mitte und musste husten. Gut dass im Rauschen des strömenden Regens sie dabei niemand aus der Nähe hören konnte... Der Husten war diesmal so stark, dass er sie in die Knie zwang und Oscar war einigermaßen erleichtert, dass sie sich wenigstens an der Wand des Gebäudes lehnen konnte. Sie beugte sich vornüber, hustete und keuchte, als hätte sie nicht genug Luft zum Atmen, aber es kam nichts von dem kargen Frühstück von heute früh. Das war das erste Mal und das verwunderte sie leicht. „Halte durch, du schaffst es.“, redete Oscar sich zuversichtlich ein, strich mit einer Hand über ihre Bauchwölbung, die noch immer unter ihrer Uniform gut verborgen war, und mit der anderen Hand fuhr sie über ihren Mund. Aber was war das?   Ihre Augen weiteten sich erschrocken vor Entsetzen und ihr Inneres beschlich die Angst – Angst davor, was der Husten hinterlassen hatte und was das Rasseln und Brennen in ihren Lungen zu bedeuten hatte: Auf dem weißen, vom Regen feuchten Handschuh hefteten sich kleine Blutstropfen. Nein! Oscar wollte am liebsten aufschreien, denn wenn man Blut hustete, dann... Sie vermochte die schreckliche Vorstellung, was ihr bevorstand, wenn der Bluthusten zunehmen würde, nicht einmal zu Ende ausmalen. Bitte nicht! Ihre Hand auf dem Bauch umschloss fester den Stoff ihrer Uniform und sie versuchte tiefer durchzuatmen. Es würde gleich vergehen! Das hatte nichts zu bedeuten! Es waren nur die Anstrengungen der letzten Wochen! Zumindest versuchte Oscar sich das einzureden. Das Parlament hatte ein neues, ein besseres Frankreich geboren und es oblag ihrer Verantwortung, dass es im Parlament unter den Abgeordneten nicht zu Streitereien kam! Da konnte sie nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Und nicht jetzt, wo sie so viele Pläne für die Zukunft mit ihrem André und dem ungeborenen Wesen bereits ausgearbeitet hatte...   „Oscar?“   Oscar fuhr erschrocken hoch und schloss gerade noch rechtzeitig die verräterischen roten Flecken auf dem Handschuh in ihrer Faust. André beugte sich schon umsorgt zu ihr vor. „Mir geht es gut“, versicherte sie ihm, bevor er noch nachfragen konnte und ließ es willens zu, dass er ihr beim Aufstehen half. „Die Übelkeit ist vorbei...“   „Du siehst blass aus...“ André beschaute sorgenvoll ihr Antlitz. Ihre Blässe war nämlich nicht nur ihm sondern auch Alain aufgefallen und deshalb war er ihr jetzt gerade gefolgt. „Du brauchst unbedingt eine Pause...“, meinte er etwas mit Nachdruck – auch wenn ihm bewusst war, dass sie auf ihn nicht sonderlich hören würde. In dieser Hinsicht war ihr Starrsinn unüberwindbar, leider...   „Es geht schon.“ Oscar entfernte sich von ihm. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass er ihr mit dem Bluthusten auf die Schliche kam – der durchdringende Blick seines sanft grünen Auges schien sie bis in ihr tiefstes Inneres hindurchzusehen und sie fühlte sich dabei ertappt. Das konnte sie nicht länger ertragen – ihre Krankheit, was auch immer das war und zu bedeuten hatte, würde sie vorerst mit sich selbst ausmachen! Erst wenn es schlimmer werden und es nicht anders gehen würde, dann würde sie ihn einweihen! Oscar zog ein ernstes Gesicht und nahm wieder einen kühlen Ton an. „Was ist passiert? Wieso bist du nicht auf deinem Posten?“   „Das Parlament ist für heute beendet, die Abgeordneten verlassen das Gebäude und die Soldaten warten auf deine weiteren Befehle.“   „Danke.“ Oscar eilte unverzüglich zurück und sobald der letzte Mann das Gebäude verlassen hatte, gab sie ihren Soldaten für heute frei.   Das Parlament wurde genauer gesagt auf den 17. Juni verlegt, aber auch an dem Tag kamen die Abgeordneten zur keiner Einigung. Wenigstens regnete es nicht mehr und Oscar fühlte sich etwas besser. Die ein paar Tage auf dem Anwesen hatten ihr gut getan – der Husten und Rasseln in ihren Lungen ließen nach, bis auf die Morgenübelkeit, die ihr allerdings viel erträglicher vorkam.       - - -       „Ihr gibt mir den Befehl, sämtliche Gänge zu versperren?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. Sie hatte sich schon am Parlamentsgebäude gewundert, warum der oberste General sie so plötzlich und dringend nach Versailles bestellen ließ. Nun hatte sie die Antwort und ein ungutes Gefühl stieg in ihr wieder einmal hoch.   General de Bouie saß gefällig in seinem gepolsterten Stuhl wie eine dicke Spinne im Netz und sah sie musternd an. Vernahm er gerade ein Protest aus ihrer Stimme? „Ja, Ihr habt richtig gehört, versperrt sofort die Eingänge!“, wiederholte er in etwas verschärftem Ton. „Das ist ein Befehl seiner Majestät, des Königs!“   Oscar konnte es noch weniger fassen. „Aber das wird bedeuten, dass die Volksvertreter nicht mehr rein kommen.“   „Ihr sagt es.“ Also doch! Er hatte sich nicht getäuscht – der ehemalige Kommandant der königlichen Garde wagte zu protestieren! Das durfte er ihr nicht erlauben! „Die Nationalversammlung muss endlich ein Ende haben!“, fügte er betonend hinzu.   „Das ist völlig unmöglich!“ Oscar platzte langsam der Kragen. Nur um das Wohl des kleinen Wesens unter ihrem Herzen, mühte sie sich um Beherrschung. „Eine Parlamentssitzung kann nur durch das Parlament selbst einberufen und abgesetzt werden, egal was seine Majestät befiehlt!“   De Bouie hob und senkte sein Amtsschwert vor sich, um sein Missfallen zu bekunden. „Was heißt hier einberufen oder absetzen?“ Wenn sie nicht sofort dem Befehl Folge leisten würde, dann würde er sie als Befehlshaber und Bewacher des Parlaments absetzen und jemand anderes an ihrer Stelle einsetzen! „Die gesamte Nationalversammlung wird geschlossen!“   „Ich widerspreche Euch ungern, General, aber die Abgeordneten der Nationalversammlung wurden ordnungsgemäß vom Volk gewählt!“ Oscar konnte ihr Missfallen nicht mehr länger unterdrücken, in ihr brodelte es schon genug wie in einem heißen Kessel. „Euer Befehl ignoriert auf schändlichste Weise den Willen des französischen Volkes!“   „Pöbel bleibt Pöbel, und Adlige bleibt Adlige! Und so soll es auch bleiben!“ General de Bouie beschlich langsam den Verdacht, als würde Kommandant Oscar Francois de Jarjayes auf der falsche Seite stehen. „Oder sieht Ihr das anders, Oberst de Jarjayes?“ Er schaute schon etwas zufriedener aus, als sie am Ende doch noch sein Offizierszimmer verließ, um den Befehl auszuführen. Aber er würde sie trotzdem im Auge behalten lassen müssen, denn ihr merkwürdiges Verhalten stellte die Loyalität der gesamten Familie der de Jarjayes gegenüber dem Königshaus in Frage.           - - -           Regen - dieser verdammte, graue und nichts Gutes bringende Regen... Erneut schüttete er über die Landschaften wie aus Eimern und überflutete die Straßen. Oscar vermochte nicht daran zu denken, was in den letzten Stunden vorgefallen war, während sie mit ihrem André an der Seite dem gesamten königlichen Garderegiment gegenüber stand: Sie hatte den Befehl des obersten Generals gezwungenermaßen erfüllt, hatte durch ihre Söldnertruppe sämtliche Eingänge versperren lassen und erstaunt festgestellt, dass dieses schändliche Vergehen, wie sie das beim obersten General genannt hatte, die Gemütsverfassung der Volksvertreter trotzdem nicht trübte. Unter der Führung von Robespierre, versammelten sie sich alle im Ballhaus und diskutierten dort weiter - Ballhausschwur nannte man das danach...       Oscar saß gerade im Sattel, Regentropfen trieften ihr in Strömen von den Haaren, dem Gesicht und der blauen Uniform. Sie verdeckte die Parlamentarier mit ihrem Rücken und schaute ihrem ehemaligen Untergebenen, Graf de Girodel entschlossen ins Gesicht. Unwillkürlich musste sie daran denken, was passiert war: Nach dem Ballhausschwur wollte man die Parlamentarier erneut hintergehen und sie vor dem Gebäude im Regen, der zur abendlichen Stunde wieder eingesetzt hatte, stehen lassen. Oscar hatte solch einen Verrat an dem Volk nicht mehr ertragen können und hatte ihren Männern befohlen, die Eingänge zu öffnen und alle Vertreter ins Gebäude hereinzulassen, was ihre Soldaten mit Freude auch sofort erfüllten...       In ihren Lungen rasselte es, in ihrem Bauch spürte sie einen kleinen Tritt des ungeborenen Wesens und trotzdem ließ sie sich nichts anmerken. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, wenn sie ausgerechnet jetzt klein beigeben würde! Wenigstens blieb sie aber von der Übelkeit verschont! Und wieder kamen ihr vor dem innerem Auge die Bilder des Geschehens: Für ihre Befehlsverweigerung wurde sie sofort zum obersten General befohlen und unter Hausarrest gestellt. Ihre Männer sollten zum Parlament zurückkehren und die Volksvertreter mit Waffengewalt aus dem Gebäude fortjagen. Alain und elf weitere seiner Kameraden verweigerten das und wurden verhaftet – ihnen drohte die Exekution. Das hatte Oscar alles aus dem Fenster des Offizierszimmer des Generals de Bouie beobachtet und kaum hatte man ihre Männer abgeführt, nahm sie Reißaus. Zum Glück war ihr André in der Nähe und half ihr aus der Bewachung zu entkommen... Das königliche Garderegiment sollte diesen Befehl, den sie und ihre Männer verweigert hatten, durchführen. Sie musste dem königlichen Garderegiment einfach zuvorkommen!   Nun hatte sie das geschafft, breitete ihre Arme vor dem königlichen Garderegiment aus, als wollte sie damit alle Parlamentarier in ihrem Rücken schützen und rief energisch dem Kommandanten Victor de Girodel zu: „Was ist Graf? Habt Ihr den Mut, Euch gegen mich zu stellen? Und ihr Soldaten? Würdet ihr es wagen mir eine Kugel in die Brust zu schießen?“ Keiner Antwortete ihr – sie sah nur Fassungslosigkeit und Unglaube in allen bekannten Gesichtern aus ihrem ehemaligen Garderegiment, was sie zur weiteren Rede anspornte und motivierte: „Bevor ihr eure Gewehre gegen unbewaffnete Parlamentarier einsetzt, müsst ihr erst einmal mich umbringen!“ Sie war so entschlossen, dass sie für einen kurzen Augenblick über ihren Umstand nicht nachdachte.   Dafür aber André. „Oscar, nicht...“ Er wollte einschreiten, griff schon die Zügel seines Braunen fester und wollte ihn gerade antreiben, als Girodel dann plötzlich seinen Blick senkte und mit seiner Rede ihn dazu erst gar nicht kommen ließ. „Bitte verzeiht mir Oscar, ich wusste nicht, dass Ihr hier anwesend seid.“ Victor sprach ruhig, aber auch deutlich und klar: „Ich kann doch nicht mein Schwert gegen den ehemaligen Kommandanten des königlichen Garderegiments erheben. Ihr habt recht, gegen Unbewaffnete vorzugehen wäre äußerst Feige. Aber wir werden warten, bis sie zu den Waffen greifen und dann zuschlagen. Eins solltet Ihr Wissen: Euch zu Liebe würde es mir sogar nichts ausmachen, die Seiten zu wechseln.“ Girodel hob seinen Blick und lächelte Oscar an. Diese verstand, dass er noch immer tiefe Gefühle für sie hegte, aber konnte darauf ihm nichts erwidern. Victor zog mit seinen Soldaten ab und Oscar, so wie auch ihr André, atmete erleichtert auf. Das eine war getan und nun stand es bevor, Alain und seine Kameraden aus dem Gefängnis zu befreien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)