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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die FF hat zwei Prologe, die ich beide zusammenlegen werde, weil Animexx nur einen Prolog erlaubt. Da sie beide aber eh nicht sehr lang sind, ist das nicht so schlimm. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da das erste Kapitel recht kurz ist, poste ich es schon heute. Das nächste folgt dann wie angekündigt am Sonntag. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Gott, ich liebe Felix. <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da dieses Kapitel etwas kürzer ist, gibt's diese Woche wieder ein Zwischen-Update... das nächste kommt aber wie gehabt am Sonntag. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dorian lernt fereldische Gastfreundschaft kennen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
In diesem Kapitel kommt nun auch der dritte, reguläre POV dazu. Im Moment sind es vier, zwischen denen ich mich regelmäßig abwechsle, wobei aber Cullen und Dorian weiterhin im Mittelpunkt stehen. :)
Seht es mir bitte nach, dass Vivienne in diesem Kapitel auftaucht, obwohl sie eigentlich erst nach dem Besuch in Val Royeaux zur Inquisition stößt. Das hatte ich damals beim Schreiben nicht bedacht. *hust* Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal gibt es das neue Kapitel schon einen Tag früher, da ich morgen nicht da bin.
Dieses Kapitel (sowie Kapitel 4) spielen zeitlich etwas später, als die restlichen Kapitel, wie aus dem Kontext sicher auch ersichtlich ist. :)
... und ich kann nur wiederholen, wie sehr ich Felix liebe. <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
... und da bin ich wieder. Verzeiht mir die Verspätung diese Woche, ich war am Wochenende auf einer Hochzeit und bin erst gestern Abend wieder eingetroffen.
Dafür ist das Kapitel dieses Mal auch ein kleines bisschen länger. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Shit gets weird!
... oh, und neue Perspektive. Solas wird ebenfalls einer der Erzähler sein, die noch öfter vorkommen werden. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe das Ritual der Besänftigung in den Spielen in dieser Geschichte durch das (von mir erfundene) Brandmarken ersetzt. Der Effekt ist im Prinzip der gleiche, allerdings wird Brandmarken immer im Kontext mit Seelennamen angewandt und kann jeden betreffen, nicht nur Magier. Eine genauere Erklärung dazu findet ihr im Kapitel. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry für die Verspätung, meine Lieben, ich war ein paar Tage nicht zu Hause und bin darum nicht zum Posten gekommen. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass sich das neue Kapitel um einen Tag verspätet, aber aufgrund der Connichi hat es keinen Sinn gemacht, es schon am Sonntag hochzuladen. :)
Im Übrigen noch mal eine große (!) Spoiler-Warnung für dieses Kapitel! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ser Delrin Barris ist ein Charakter aus dem Spiel, den man nur trifft, wenn man sich mit den Templern verbündet. Falls er nicht während des Quests stirbt, wird er später der Anführer der Templer auf der Himmelsfeste.

Dass Dorian früher seine Mitschüler terrorisiert hat, ist übrigens auch canon, was... vermutlich niemanden überrascht. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry für den Aussetzer letzte Woche, ich war schlichtweg nicht da. :)

Zu diesen Kapitel:
Lyriumentzug ist eine sehr, sehr unangenehme Sache. Don't try it at home, kids. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Achtung, Kitsch! ;)

Die Beschreibung von Solas' Aussehen im Traum basiert auf dem Concept Art der Entwickler zu ihm.

Die verwendeten elfischen Begriffe im Kapitel sind:
Ma nuvenin. = Wie Ihr wünscht.
(em)ma lath = mein/e Liebe/r, wobei eine mögliche Bedeutung/Interpretation von lath je nach Kontext auch Geliebte/r oder Liebling sein kann Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Plot! Angst! Dorian! - Was will man mehr. :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
... ich hab's getan. *hust* Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
... und hier hätten wir dann das Gegenstück zum letzten Kapitel. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, aber ich denke, das ist aus dem Kontext ersichtlich. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
... es war nur eine Frage der Zeit, bis er mal dran ist. ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Aufgrund der Festtage habe ich es dieses Mal leider nicht pünktlich geschafft, aber hier ist nun endlich das neue Kapitel. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Es wird wieder kitschig. *hust* xD

Relevantes Elfisch in diesem Kapitel:

ma vhenan = mein Herz
Ar lath ma. = Ich liebe dich. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dorian hat so viele Issues. *hust*
Und Cullen schafft es endlich mal, sich zusammenzureißen. :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben, da bin ich wieder.
Sorry für den Aussetzer letzte Woche, ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen. Als Ausgleich gibt es neben dem neuen Kapitel diese Woche noch einen kleinen One-Shot zu "Dragon Age" von mir. Würde mich freuen, wenn ihr mal reinlesen würdet. :D

Relevantes Elfisch in diesem Kapitel:

Ma serannas = Ich danke dir. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Uuuuund Halbzeit. :D
Wenn alles klappt, werden es noch mal genauso viele Kapitel werden... wenn alles klappt. xD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich liebe die zwei. ;3;

... oh, und es gibt wieder einen neuen One-Shot von mir. :D
Würde mich riesig freuen, wenn ihr auch dort mal reinschauen würdet. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Kurze DUB!CON-Warnung für den ersten Absatz!
Es geht nicht zu sehr ins Detail, aber es liegt definitiv kein explizites Einverständnis einer der beiden Parteien vor. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,
erst einmal ein großes Sorry für die unangekündigte Verzögerung. Ich habe leider in den nächsten paar Monaten eine Menge privater Sachen um die Ohren und werde darum wenig bis gar nicht zum Schreiben kommen. Damit mir die Kapitel nicht so schnell ausgehen, will ich die, die ich noch auf Lager habe, nur noch im 10- bzw. 11-Tage-Rhythmus posten. Das nächste Kapitel nach diesem hier kommt also erst am Sonntag in eineinhalb Wochen, das danach dann am Donnerstag elf Tage darauf usw.
Ich hoffe, dass sich der Rhythmus wieder normalisieren wird, sobald der Stress hinter mir liegt. Bitte habt Geduld mit mir. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So... endlich gibt es ein paar lang erwartete Offenbarungen, sowie neue Rätsel und eine Riesenportion Fluff. ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ugh, diese beiden... ;3; Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier noch mal die gekürzte, jugendfreie Fassung des letzten Kapitels. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nachdem ich gestern Abend noch ewig an einer anderen FF gearbeitet habe, habe ich die Zeit etwas aus dem Auge verloren, darum verschiebt sich der Upload auf heute. Ich hoffe, das Kapitel gleicht das Warten etwas aus. ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und wieder mal eine neue Perspektive. :)
Ich hoffe, das Kapitel ist nicht allzu inkohärent, es fiel mir schwer, die angesprochenen Problematiken in Worte zu fassen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Eeeep, 100.000 Wörter! :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Verwendete elfische Begriffe in diesem Kapitel:
Dareth shiral. = Lebe wohl.

Diese Woche ist das Kapitel nur sehr kurz, aber keine Sorge, es wird wieder länger. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier noch mal die gekürzte Fassung des letzten Kapitels ohne Sex.

Ein Großteil des Kapitels wird in Rückblenden erzählt, die ich dieses Mal jedoch nicht extra markiert habe (außer durch Absätze). Ich denke aber, es wird aus dem Kontext ersichtlich sein, was Vergangenheit ist und was Gegenwart. ;)
Außerdem gibt es in diesem Kapitel noch mal ein paar Diskussionen über Einvernehmen/Einverständnis bzw. Consent, weil mir dieses Thema wichtig ist und es mir an dieser Stelle passend schien. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Warnung: Gespräche über Suizid und Suizidgedanken.

Desweiteren:
Hawkes Mi vino es su vino ist eine Variation des spanischen Sprichwortes Mi casa es su casa ("Mein Haus ist dein Haus" oder im übertragenen Sinne: "Fühl dich wie daheim"). Vino ist dabei das spanische Wort für Wein.
Mein Headcanon ist, dass Antivanisch unserem Spanisch gleicht, weil der Akzent sowohl bei Zevran als auch bei Josephine für mich sehr nach Spanisch klingt, weshalb ich diese Sprache als Grundlage genommen habe. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben. :)
Tut mir leid für die Verspätung, ich hatte letzte Woche echt viel um die Ohren. Ich hoffe, dieses Kapitel ist wenigstens ein kleiner Ausgleich dafür. Komplett anzeigen

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Cullen, Dorian

Cullen

 

Cullens Hände zitterten.

Seit einer halben Stunde starrte er schon auf das breite Lederarmband, das sich fest um sein rechtes Handgelenk schmiegte. Er trug es schon seit so vielen Jahren, dass das Leder mit der Zeit nachgedunkelt und brüchig geworden war, doch trotz seines abgenutzten Zustandes hatte er es nie entfernt. Es war eines der wenigen Dinge, die von seiner Vergangenheit geblieben waren und ihn durch Kinloch und das Blutbad in Kirkwall begleitet hatten – es abzulegen bedeutete endgültig ein Kapitel zu beenden, das mehr als fünfzehn Jahre seines Lebens in Anspruch genommen hat.

Doch nun, da er kein Templer mehr war, bestand keine Notwendigkeit mehr, es weiter zu tragen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er sein eigener Herr und bestimmte selbst, wie es mit seinem Leben weiterging. Und zum ersten Mal wagte er zu hoffen, dass es noch mehr zu bieten hatte, als Dämonen, Lyriumwahn und Bürgerkrieg.

All seine Hoffnung ruhte auf dem Namen auf der Innenseite seines Handgelenks. Ein Name, den er schon seit seiner Geburt auf der Haut trug, der jedoch nach der Tradition Fereldens mit einem Lederarmband verdeckt worden war, welches schließlich in einer feierlichen Zeremonie an seinem fünfzehnten Geburtstag hätte entfernt werden sollen – wäre er nicht mit dreizehn Jahren den Templern beigetreten. Obwohl der Orden es nie direkt verboten hatte, wurde es nicht gerne gesehen, wenn die jungen Rekruten ihre Armbänder entfernten, lenkte es sie schließlich von ihrem heiligen Auftrag ab, der Disziplin und Wachsamkeit erforderte, und bei dem Partnerschaften eher hinderlich waren, als alles andere.

Auch Cullen hatte zu jenen gehört, die aus Loyalität zur Kirche ihr Armband nicht abgelegt hatten, um sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren zu können, weshalb er nun, mit fast dreißig Jahren, noch immer nicht den Namen kannte, der auf seine Haut geschrieben war:

Den Namen seiner Seelenpartnerin, jener Person, die ihm das Schicksal zugeteilt hatte und die ihn, wenn er den Aussagen seiner Familie Glauben schenken konnte, in allem, was er war, ergänzen würde.

Für gewöhnlich war es jemand, der in der gleichen Region lebte, wie man selbst, so dass zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass man ihm früher oder später begegnete. Doch Cullen hatte nie lange am gleichen Ort gelebt, falls er seiner Partnerin also schon einmal begegnet war, dann unwissentlich.

Langsam griff er nach dem Messer, das neben ihm auf dem schmalen Bett lag.

Seine Hände hatten aufgehört zu zittern, doch die Nervosität saß noch immer in seinem Bauch und bescherte ihm ein flaues Gefühl.

Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er den Namen tatsächlich wissen wollte. Er war nicht mehr der Jüngste, und wer auch immer seine Partnerin sein würde, es war durchaus möglich, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte, sondern in der Zwischenzeit einen anderen Lebensgefährten gefunden und mit ihm eine Familie gegründet hatte.

Auch bestand die Möglichkeit, dass der Name auf seiner Haut silbern war, ähnlich einer verblassenden Narbe, was bedeutete, dass sein Partner bereits gestorben war.

Zweifel ließen Cullen zögern, als er das Messer ansetzen wollte.

Spielte es wirklich eine Rolle, wer seine Partnerin war? Er hatte den Namen dreißig Jahren lang ignoriert, er konnte ihn gut noch weitere dreißig Jahre ignorieren und sterben, ohne jemals zu erfahren, wer seine Partnerin hätte sein können.

Und doch... hatte er nicht auch ein Recht darauf, den Namen zu erfahren? Er hatte nur dieses eine Leben, und wenn trotz seines Alters und seiner ereignisreichen Vergangenheit als Templer noch immer eine Möglichkeit bestand, den Rest seines Lebens mit der Frau zu verbringen, die ihrerseits seinen Namen auf der Haut trug, dann wollte er sie nicht ungenutzt lassen.

Kurzentschlossen schob Cullen die Messerspitze unter das Lederarmband und durchtrennte es mit einem raschen Schnitt.

Die Haut darunter war so blass, dass die Adern zu erkennen waren, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, wie lange sie kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Langsam drehte Cullen sein Handgelenk, während sein Herz so heftig klopfte, dass jede Faser seines Körpers im Rhythmus seines Herzschlages zu vibrieren schien.

Buchstabe für Buchstabe kam schließlich in zierlicher, schwarzer Schrift der Name zum Vorschein, und Cullens Augen weiteten sich.

Nicht, weil sein Partner der Schrift nach zu urteilen offensichtlich noch am Leben war. Auch nicht, weil der Name so fremdartig klang, dass er unmöglich fereldischer Herkunft sein konnte. Nein, dies waren nicht die Gründe für seine Reaktion.

Womit Cullen nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass es der Name eines Mannes war.

 

 
 

~*~

 

 

Dorian

 

 

Für Dorian hatten nie Zweifel daran bestanden, dass er etwas Besonderes war.

Mit vier Jahren, als er Lesen und Schreiben lernte, las er zum ersten Mal den Namen auf dem Handgelenk seiner Mutter – einen Namen, den er noch nie zuvor gehört hatte. Als er seine Mutter danach fragte, nahm sie ihn mit einem Lächeln auf den Schoß, das ihre Augen nicht erreichte, und erklärte ihm, was Seelennamen waren, und dass es sich nicht schickte, sie mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Dorian zupfte an dem Band an seinem eigenen Handgelenk und sah sie dann fragend an.

„Aber ich habe keinen Namen“, sagte er. „Warum muss ich trotzdem ein Band tragen?“

„Damit niemand weiß, dass du keinen hast“, erwiderte sie.

Die Antwort verwirrte ihn nur noch mehr. „Das verstehe ich nicht.“

„Seelennamen sind etwas sehr Persönliches, und oft wird das Wissen um den Namen einer Person gegen sie verwendet, um ihr und ihrem Ansehen zu schaden“, erklärte seine Mutter. „Auch die Tatsache, dass du keinen Namen hast, kann dich angreifbar machen, darum darfst du niemals jemandem davon erzählen, Dorian. Niemals. Hast du verstanden?“

Er nickte mit großen Augen, auch wenn er ihre Worte erst viele Jahre später wirklich begreifen sollte.

„Warum habe ich keinen Namen?“, fragte er dann. „Heißt das, ich bin ein Sklave?“

Er rümpfte die Nase, als er an all die Bediensteten in ihrem Haushalt dachte, die mit Narben auf den Handgelenken und leerem Blick ihren Aufgaben nachgingen. „Ich will kein Sklave sein.“

Seine Mutter starrte ihn einen Moment lang mit einer Mischung aus Entsetzen und Verständnislosigkeit an, dann begann sie zu lachen.

„Nein“, entgegnete sie, „du bist kein Sklave, Dorian. Auch die Sklaven hatten einst Namen, doch sie wurden ihnen entfernt, um sie friedfertig und gehorsam zu machen. Du hingegen hattest nie einen.“

„Gibt es mehr wie mich?“, fragte Dorian eifrig. „Die nie einen Namen hatten?“

Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nie von einem gehört.“

Wieder schenkte sie ihm dieses Lächeln, das keines war.

„Du bist etwas ganz Besonderes, Dorian.“
 

Wenige Monate später setzte Dorian mit der Kraft seiner Gedanken eine Gardine in Brand, in der er sich beim Spielen verfangen hatte, und konnte gerade rechtzeitig von einem der Diener gerettet werden. Während die Sklaven die Flammen löschten und der Junge sich noch von seinem Schock erholte, betrat sein Vater den Raum. Dorian sah ihn nur sehr selten, da er viel Zeit mit seiner Arbeit für das Magisterium verbrachte und seinen Sohn in der restlichen Zeit zu meiden schien, doch an diesem Tag kam er mit einem Lächeln auf ihn zu und nahm ihn auf den Arm.

Dorian, der Zärtlichkeiten wie diese nicht von seinem Vater gewohnt war, starrte ihn an, als wäre er ein Fremder in ihrem Haus.

„Selten manifestiert sich Magie in einem solch jungen Alter“, sagte sein Vater und seine Augen funkelten vor Stolz. „Vielleicht bist du doch nicht verflucht, wie ich immer geglaubt habe, sondern gesegnet.“

Und schon damals spürte Dorian einen Stich bei dem Wort „verflucht“, doch die Freude darüber, von seinem Vater gelobt zu werden, war in diesem Moment größer und er schlang die Arme um seinen Hals.

„Mein Sohn“, hörte er die Stimme seines Vaters an seinem Ohr, „ich glaube, du wirst es noch weit bringen...“

Cullen

Die Kirche von Haven war ein willkommener Anblick.

Cullen seufzte innerlich auf, als er die runde Kuppel in der Ferne erblickte, und er musste nicht zu Cassandra hinübersehen, um zu wissen, dass er ihr ebenso erging. Sie alle waren erschöpft nach dem Kampf um den Riss und dem langen Marsch zurück nach Haven. Selbst Varric schien müde und in sich gekehrt, und es war das erste Mal, seitdem er den Zwerg kennengelernt hatte, dass Cullen ihn so wortkarg erlebte.

Ihre Truppe war stark geschrumpft, seitdem sie sich dem Riss gestellt hatten. Von den knapp vierzig Kämpfern, die sie begleitet hatten, war nur noch die Hälfte übriggeblieben, und viele von den überlebenden Männern und Frauen waren im Kampf verwundet worden.

Der einzige, der von den Ereignissen völlig unberührt schien, war der abtrünnige Magier, der zu ihnen gestoßen war, als sie seine Hilfe am meisten gebraucht hatten – Solas war sein Name, wenn Cullen sich recht erinnerte. Der Elf lief mit erhobenem Haupt neben ihnen her, den Blick auf das Dorf in der Ferne gerichtet. Cullen fragte sich, was in ihm vorging und ob es ihn beunruhigte, an der Seite von Templern zu kämpfen, die unter anderen Bedingungen Jagd auf ihn gemacht hätten, doch Solas‘ Miene war undurchdringlich.

Cullen sah wieder nach vorn und sein Blick fiel auf den Karren, der vor ihm fuhr. Auf ihm lag, auf ein provisorisches Lager aus Stroh und Fellen gebettet, eine zierliche Elfe. Es war Stunden her, seitdem sie das Bewusstsein verloren hatte, und ihrem flachen Atem und dem blassen Gesicht nach zu urteilen würde sie so bald auch nicht wieder erwachen.

Cullen starrte auf das Mal an ihrer Hand. Es glühte noch immer in einem schwachen Grün und er konnte die Adern um das Mal herum in der gleichen Farbe pulsieren sehen. Doch es leuchtete nicht mehr so hell, wie noch mehrere Stunden zuvor, und Cullen befürchtete nicht länger, dass es die Hand der jungen Frau verbrennen würde. Was auch immer das Mal war, das sie trug, es hatte sich wieder beruhigt, was vermutlich auch an der wachsenden Distanz zu dem Riss im Himmel lag, mit dem es auf seltsame Art verbunden zu sein schien.

Der Riss. Cullen musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass er noch immer da war; er war wie ein Gigant, dessen warmen Atem er im Nacken spüren konnte. Doch seine Existenz erfüllte ihn nicht länger mit Grauen und Panik, auch wenn sie ein anhaltendes Unbehagen in ihm auslöste. Aber seitdem Lavellan ihn mit dem Mal berührt hatte, war er zumindest nicht weiter gewachsen. Und in ihrer momentanen Situation war das etwas, wofür sie dankbar sein konnten.

Eine halbe Stunde später erreichten sie Haven, wo sie bereits von Leliana erwartet wurden. Nach einer kurzen Begrüßung führte sie sie durch das Dorf und erklärte ihnen, welche Häuser man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, damit sie sich ausruhen und ihre Wunden pflegen konnten.

„Wir haben auch Zelte organisieren können“, sagte sie, nachdem Cullen Lavellan in eine der Hütten getragen hatte und einen Heiler angewiesen hatte, sich um sie zu kümmern. „Für die Männer und Frauen, die nicht ganz so schwere Verletzungen davongetragen haben und kein Problem damit haben, außerhalb der Stadtmauern ihr Lager aufzuschlagen.“

„Danke.“ Cullen nickte ihr zu. Er war zu Tode erschöpft und seine Rüstung schien mit jedem Schritt schwerer zu wiegen, doch er bemühte sich, sich seine Müdigkeit nicht anmerken zu lassen. Leliana schien sie dennoch nicht zu entgehen und ihr Blick wurde weich.

„Ich habe außerdem einen Teil der Räumlichkeiten in der Kirche für uns beschlagnahmen können“, fuhr sie fort. „Ich denke, es wird uns allen gut tun, uns für den Rest des Abends einzurichten und eine Nacht voll Schlaf zu bekommen, bevor wir uns morgen früh in der Kirche treffen und beraten, wie es weitergeht.“

Cassandra seufzte und nickte. „Du hast vermutlich Recht. Etwas Erholung kann uns nicht schaden. –Cullen?“

Cullen sah die beiden Frauen nicht an, sondern blickte stattdessen zum Stadttor hinüber.

„Ich möchte noch einen Rundgang machen und sehen, ob es unseren Leuten gut geht und alle versorgt sind.“ Er zögerte für einen Moment. „Ich werde draußen bei den Truppen bleiben, wenn ich fertig bin. Wir haben Verwundete, die die Betten in der Kirche weitaus dringender benötigen, als ich. Es wird sich schon ein Zelt finden, in dem ich schlafen kann.“

„Cullen...“ Cassandra machte einen Schritt auf ihn zu. „Das ist nobel von dir, doch die Kirche von Haven hat bereits ein paar Schwestern geschickt, die sich um die Verletzten kümmern werden. Außerdem wurdest du ebenfalls verwundet.“

Sie deutete auf seinen Oberarm, der von der Klaue eines Dämons aufgerissen worden war, nachdem sie die Rüstung wie Papier zerfetzt hatte. Der Verband, den einer der Heiler eilig in der Hitze des Kampfes angebracht hatte, hatte sich in den letzten Stunden dunkelrot gefärbt und musste dringend gewechselt werden.

Doch Cullen spürte die Wunde kaum. Oder vielmehr – der Schmerz verblasste neben den stechenden Kopfschmerzen, die seit dem Gefecht zugenommen hatten und mittlerweile kaum noch zu ertragen waren.

„Es ist nichts“, sagte er schwach und wandte sich ab, um zu gehen. Doch schon beim ersten Schritt begann er zu taumeln.

„Cullen!“, rief Cassandra und war sofort an seiner Seite, um ihn zu stützen.

„Ich denke, das beantwortet die Frage, wo du heute Nacht schlafen wirst“, meinte Leliana trocken und hob eine schmale Augenbraue. „Lass deine Wunde behandeln und ruh dich aus. Wir sprechen uns morgen wieder.“

Sie und Cassandra tauschten einen wortlosen Blick, dann drehte sich Leliana um und folgte dem Pfad hinab ins Dorf.

„Es... es geht mir gut“, murmelte Cullen, während er schwer auf Cassandras Schulter gestützt die Kirche betrat.

Cassandra machte sich erst gar nicht die Mühe, ihm eine Antwort zu geben, sondern warf ihm nur einen kühlen Blick zu, und Cullen kapitulierte schließlich und ließ sich von ihr in eines der Zimmer führen. Mit Cassandras Hilfe legte er seine Rüstung ab und ließ sich dann auf das schmale Bett in der Ecke sinken, um für einen Moment die Augen zu schließen und sich auszuruhen, während Cassandra einen Heiler holte.

Cullen driftete an der Schwelle zum Schlaf entlang, während er auf ihre Rückkehr wartete. Die Kopfschmerzen hatten nicht weiter zugenommen, doch sie waren noch immer so unerträglich, dass er kaum klar denken konnte. Alles, was er brauchte, war ein Fingerhut voll Lyrium, und sie würden verschwinden. Es wäre so leicht... er wusste sogar, wo er selbst in seinem momentanen Zustand noch welches herbekommen würde...

Doch bevor er diesen Gedankengang weiter verfolgen konnte, drehte Cullen sich zur Seite und presste die Hand gegen seine Stirn.

Nein. Die Kopfschmerzen waren etwas, was er ertragen konnte. Ein Schluck von dem bitteren Heiltrank, den er in seinem Gepäck bei sich trug, und der Schmerz würde zu einem dumpfen Pochen abklingen.

Doch den Alpträumen konnte er nicht entgehen, sie verfolgten ihn jede Nacht. Ein Schaudern ergriff ihn, während er sich fragte, womit ihn seine inneren Dämonen dieses Mal quälen würden...

„Cullen?“ Er zuckte zusammen, als sich eine kühle Hand auf seine Schulter legte. Er hatte nicht gehört, wie Cassandra den Raum betreten hatte.

„Der Heiler wartet draußen“, sagte sie leise. Sie zögerte, als sie den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht sah.

„Gibt es etwas, was ich wissen sollte, abgesehen von der Wunde?“, fragte sie dann. Sie überlegte kurz, und fuhr dann fort: „Was machen die Kopfschmerzen?“

Cullen hätte fast gelächelt. Manchmal war es fast unheimlich, wie gut sie ihn mittlerweile kannte.

„Präsent“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „aber erträglich.“

Eine Lüge. Doch alles andere hätte Cassandra nur unnötig Sorgen gemacht.

Und sie schien ihm zu glauben, denn nun spielte ein schwaches Lächeln um ihre Lippen.

„Gut“, erwiderte sie. Dann sah sie sich um und ihr Blick fiel auf sein Gepäck. „Brauchst du etwas? Du hattest doch noch ein paar Heiltränke bei dir, oder...?“

Für einen Moment überlegte Cullen, ihr zu sagen, dass er keine weitere Hilfe benötigte. Doch das wäre dumm gewesen. Er war müde und er hatte Schmerzen und es bestand kein Grund sich mehr zuzumuten, als nötig war.

„Vorderste Tasche ganz rechts“, sagte er. „Die Flasche ist halb leer, doch es sollte reichen.“

Cassandra nickte und holte die kleine Flasche aus seinem Gepäck. Er warf ihr einen dankbaren Blick zu, bevor er mit den Zähnen den Korken aus der Flasche zog und ihren Inhalt ohne Zögern trank.

Die Wirkung setzte sofort ein und sowohl die Kopfschmerzen, als auch die Schmerzen in seinem Arm und seinen Gelenken ließen augenblicklich etwas nach.

„Danke“, sagte er und schloss mit einem Seufzen die Augen.

„Jederzeit“, erwiderte Cassandra und drückte kurz seine Hand, bevor sie sich erhob und den Raum verließ.

Der Heiler trat ein, um die Wunde an seinem Arm zu behandeln, doch er hörte seine Worte nicht mehr. Noch bevor der andere den Verband um seinen Oberarm entfernt hatte, war Cullen schon eingeschlafen.

Dorian

Der Sturm schien kein Ende nehmen zu wollen.

Gischt regnete durch das kleine Fenster auf Dorian hinab und er wandte ihm mit einem leisen Fluch den Rücken zu.

Schon seit Tagen regnete es ununterbrochen, fast als hätte der Himmel selbst beschlossen, ihn daran zu hindern, sein Ziel zu erreichen. Nicht, dass er sich die Mühe überhaupt hätte machen müssen – Dorian bereute auch so schon jede Sekunde lang den Moment, in dem er an Bord des Schiffes gestiegen war.

Stöhnend rollte er sich auf seiner Matte zusammen und wartete, bis die Übelkeit wieder etwas nachgelassen hatte und er nicht länger das Bedürfnis hatte, seinen Mageninhalt auf den Planken zu entleeren. Er hätte eh nicht viel hochwürgen können, da er schon seit Tagen außer Wasser und warmer Suppe nichts hinunterbekam. Zwar hatte er sich, seitdem er seine Reise begonnen hatte, daran gewöhnt, manchmal tagelang ohne Nahrung auskommen zu müssen, doch aus den zwei Tagen, die die Überfahrt nach Orlais hätte dauern sollen, waren aufgrund des Sturms mittlerweile vier geworden, und der Hunger machte ihm nun doch langsam spürbar zu schaffen.

Noch war er nicht gänzlich entkräftet, doch wenn sie nicht bald Land erreichten, würde er seinen Selbsterhaltungstrieb gewiss über Bord werfen – und sich selbst gleich hinterher. Dann würde das Elend wenigstens endlich ein Ende haben.

Dorian gab ein Lachen von sich, das rau und ohne Humor war. Den Ketten seines Vaterhauses zu entkommen, nur um anschließend als freier Mann auf See zugrunde zu gehen...? Was für eine bittere Vorstellung.

Er schlang seinen Umhang fester um seinen Körper und zog die Knie an seine Brust. Nein, er würde nicht sterben. Nicht hier und ganz gewiss nicht so. Pure Sturheit würde ihn selbst dann noch am Leben erhalten, wenn sein Körper versagte. Denn er hatte gewiss nicht so hart gekämpft, diesen Punkt zu erreichen, um jetzt zu scheitern.

Er würde nicht scheitern. Er durfte nicht scheitern.

Dorian schloss erschöpft die Augen und nachdem er den klammen Stoff seines Umhangs mit Magie etwas angewärmt hatte, sank er schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 

Als Dorian wieder erwachte, fielen ihm zwei Dinge auf: zum einen die Stille – sah man von dem gelegentlichen Knarren der Planken und den Schritten der Seeleute auf dem Deck ab – und zum anderen das Licht der Sonne, das durch das runde Fenster hoch oben in der Bordwand in die kleine Kammer fiel.

Der Sturm war vorbei.

Mit bleiernen Gliedern und blassem Gesicht stand Dorian nach ein paar Minuten auf und stellte fest, dass die Übelkeit vom Vorabend fast völlig nachgelassen hatte. Zwar spürte er weiterhin ein flaues Gefühl im Magen, doch für den Augenblick konnte er es ignorieren, und trotz seiner körperlichen Erschöpfung und des überwältigenden Hungers fühlte er sich so gut, wie schon seit Tagen nicht mehr.

Auf wackeligen Beinen ging er zur Tür. Bevor er sie öffnete, fuhr er sich aus Gewohnheit mit der Hand durch die Haare und stellte fest, dass sie sich fettig und verschwitzt anfühlten. Dorian verzog angewidert das Gesicht. Was er nicht alles geben würde für ein warmes Bad und die Möglichkeit, sich endlich wieder zu rasieren... aber damit musste er wohl warten, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Nachdem er seine kurze Selbstinspektion beendet hatte, verließ er seine Kammer und trat auf das Deck hinaus. Weder die Besatzung, noch der Rest der Passagiere schenkten ihm Beachtung, nur der Kapitän, ein Hüne mit der Statur eines Felsblocks und einem nicht uncharmanten orlaisianischen Akzent, begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln und einem kräftigen Klaps auf den Rücken, der Dorian fast wieder die Stufen hinunterstolpern ließ, die er sich kurz zuvor hinaufgeschleppt hatte.

„Ah, schön, Euch zu sehen, Serah Pavus“, sagte er, während Dorian sich noch von der überschwänglichen Begrüßung erholte. „Wie geht es Euch?“

„Besser“, murmelte Dorian nur und versuchte, die Erinnerung an die letzten Tage zu verdrängen, die er in so kläglichem Zustand unter Deck verbracht hatte. „Ich befürchte, nicht jeder von uns ist dafür gemacht, sein Leben auf dem Wasser zu verbringen.“

Die Bemerkung brachte den anderen zum Lachen.

„Da habt Ihr nicht Unrecht“, entgegnete er mit einem Zwinkern, das Dorian unter anderen Bedingungen mit einem Zwinkern seinerseits, sowie einem lasziven Lächeln erwidert hätte. Doch im Moment fühlte er sich nicht danach, und so nickte er nur wortlos.

„Nun, es freut mich, Euch wieder unter den Lebenden zu wissen“, fuhr der Kapitän fort und nickte dann in Richtung der Treppe, die unter Deck führte. „In der Kombüse gibt es noch Brühe von gestern und Rauchwurst, falls Ihr Hunger habt. Es ist nicht mehr viel da, aber für Euch dürfte es reichen.“

Dorian bezweifelte, dass er trotz seines Hungers viel hinunterkriegen würde, doch er nickte dem anderen Mann dankbar zu.

Dann ließ er den Blick über das Meer schweifen. Der Himmel war strahlend blau und außer einem leichten Dunstschleier war am Horizont nichts zu sehen.

„Wie weit ist es noch?“, fragte er.

„Wir sind bald da“, entgegnete der Kapitän.

„Woher wisst Ihr das? Es ist kein Land zu sehen“, entgegnete Dorian mit zweifelnder Miene.

„Aber Seevögel“, erklärte der andere und deutete auf eine Reihe weißer Punkte am Himmel. „Und wo Seevögel sind, da ist auch Land. Ich verspreche Euch beim Grabe meines Vaters, dass Ihr heute Abend wieder auf festem Boden stehen werdet, Serah Pavus.“

„Gut“, war alles, was Dorian dazu einfiel, doch der andere Mann schien ihm die wortkarge Antwort nicht übel zu nehmen, sondern nickte nur zufrieden.

Dorian wandte sich ab und stieg erneut in den Bauch des Schiffes hinab, um sich zur Schiffsküche zu begeben.

Der kleine Raum war leer, was Dorian nur recht war, und er füllte sich eine Schale mit Brühe und setzte sich an den Tisch. Nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten, bei denen ihm das Essen beinahe wieder hochgekommen wäre, schaffte er es schließlich, die komplette Schale zu leeren und ihren Inhalt auch in seinem Magen zu behalten. Nachdem die Leere in seinem Bauch halbwegs gefüllt war und der Hunger ihn nicht mehr ganz so sehr quälte, nahm er sich auch das Stück Rauchwurst, das vom Frühstück übrig geblieben war, und verspeiste es in kleinen Bissen. Dieses Mal behielt er die Nahrung problemlos unten, und als er seine Mahlzeit schließlich beendet hatte, fühlte er sich wesentlich gestärkter, als zuvor.

Er kehrte zu seiner Kammer zurück und machte eine kurze Bestandsaufnahme seines Gepäcks. Viel war es nicht, was er besaß: außer seinem Umhang, dem Stab, seinem Lederbeutel und den Kleidern, die er am Leib trug, hatte er nichts bei sich. Selbst das kleine Säckchen an seinem Gürtel, das seine letzten Ersparnisse enthalten hatte, war seit dem Beginn seiner Seereise leer.

Während er den Beutel in der Hoffnung durchwühlte, wenigstens ein frisches Unterhemd samt Unterhosen zu entdecken, die er anziehen konnte, flatterte ein zusammengefaltetes Stück Pergament zu Boden.

Dorian zögerte kurz, bevor er danach griff und es vorsichtig auseinanderfaltete. Es war ein Brief, den er in den letzten Monaten so oft gelesen hatte, dass die Kanten brüchig geworden waren.

 

Dorian,

 

wenn du diese Zeilen liest, dann bin ich schon längst nicht mehr hier. Es schmerzt mich, dass ich so plötzlich verschwinden muss und dir nicht Lebewohl sagen kann, du bist mir stets ein guter Freund gewesen der beste, den ich je hatte und hast Besseres verdient.

Seitdem du uns verlassen hast, ist mein Vater rastlos und scheint sich Tag für Tag mehr in sich selbst zurückzuziehen. Ich mache mir große Sorgen um ihn, besonders seitdem er Kontakt mit einer Gruppe von Magiern aufgenommen hat, die sich selbst als „Venatori“ bezeichnen. Was auch immer die Ziele sind, die sie mit dieser Zusammenarbeit verfolgen, er ist seitdem wie ausgewechselt. Er legt ein fast manisches Verhalten an den Tag, das mit einer Fröhlichkeit gepaart ist, die so künstlich ist, dass man es kaum ertragen kann.

In letzter Zeit hat er oft davon gesprochen, wie sehr er es bedauert, dass du gegangen bist, und dass er wünschte, du würdest zurückkehren. Ich glaube allerdings, dass es weniger mit dir zu tun hat, als damit, neue Mitglieder für die Venatori zu rekrutieren. Bislang habe ich nicht herausfinden können, was die Absichten dieser Gruppe sind, aber mein Gefühl sagt mir, dass ihnen nicht zu trauen ist.

Vor ein paar Tagen äußerte mein Vater dann plötzlich den Wunsch, Tevinter für eine Weile zu verlassen und in den Süden zu gehen. Er schob meine Gesundheit als Grund für diese Entscheidung vor und meinte, die kalte Luft würde mir gut tun, doch ich vermute, dass mehr dahintersteckt.

Ich werde mit ihm gehen, auch wenn ich das Ziel unserer Reise nicht kenne. Doch er ist immer noch mein Vater und ich liebe ihn, und wenn eine Möglichkeit besteht, ihn vor den Venatori und sich selbst zu beschützen, dann werde ich sie nicht ungenutzt lassen.

Pass gut auf dich auf, Dorian. Ich weiß, dass die letzten Jahre nicht einfach für dich waren, doch ich vertraue auf deine Stärke, deinen Intellekt und deinen Charme, um auch die schwierigen Momente zu meistern.

Ich vermisse dich mehr, als ich in Worte fassen kann, mein Freund, und ich hoffe, dass sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen werden.

 

Bis dahin verbleibe ich in Liebe und Achtung,

Felix

 

Dorian ließ den Brief sinken und starrte für einen Moment blicklos ins Leere, bevor er ihn langsam wieder zusammenfaltete und ihn sicher in seinem Beutel verwahrte.

Wie immer, wenn er ihn gelesen hatte, spürte er auch dieses Mal ein Brennen in den Augen, während er sich fragte, wohin es seinen besten Freund wohl mittlerweile verschlagen hatte.

Es war fast sieben Monate her, seitdem ihm ein Diener der Familie Alexius den Brief übergeben hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die Spur von Felix und Gereon Alexius schon längst verloren, und in seinem Schmerz und seiner Verzweiflung hatte sich Dorian im nächsten Gasthaus besinnungslos getrunken. Wenig später hatten ihn dann die Diener seines Vaters gefunden und ihn gegen seinen Willen zurück zum Anwesen der Familie Pavus gebracht. Die Monate, die er danach in Gefangenschaft in seinem eigenen Vaterhaus verbracht hatte, waren die schlimmste Zeit in Dorians bisherigem Leben gewesen und hatten beinahe seinen Willen gebrochen.

Erst, als sein Vater versucht hatte, Blutmagie gegen ihn zu verwenden, um ihn gefügig zu machen und ihn unwiderruflich zu verändern, war Dorian wieder aus der Starre seiner Verzweiflung erwacht und hatte die erstbeste Möglichkeit genutzt, um sich davonzumachen.

Seitdem war er auf dem Weg nach Süden, in der Hoffnung, Felix wiederzufinden – und dabei so weit wie möglich von dem Ort wegzukommen, an dem sich sein Vater befand.

Und anders als die Male zuvor war er sich sicher, dass er dieses Mal Erfolg bei seiner Flucht haben würde. Sein Vater mochte zwar ein einflussreicher Mann sein, aber dieser Einfluss reichte gewiss nicht bis nach Orlais.

Dorian spielte sogar mit dem Gedanken, nach seiner Ankunft in der orlaisianischen Hafenstadt Jader nach Ferelden weiterzureisen. In einem derartig wilden und unzivilisierten Land würde sein Vater ihn niemals finden, ein Umstand, für den Dorian sogar bereit war, weiterhin auf sämtlichen Luxus und alle Annehmlichkeiten zu verzichten, die das Leben zu bieten hatte, bis er einen Ort gefunden hatte, an dem er dauerhaft bleiben konnte.

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Es mochte kein großartiger Plan sein, aber es war ein Plan, und solange er sich aus dem anhaltenden Konflikt zwischen Magiern und Templern im Süden heraushielt, sollte er auf der sicheren Seite sein.

 

Und dieser Ansicht blieb Dorian auch – bis ein paar Tage später der Himmel aufriss und sich alles verändern sollte.

Cullen

Wieder bei Kräften und in eine goldbestickte Uniform gekleidet hatte Ellana Lavellan nur noch wenig mit der verängstigten jungen Frau gemeinsam, die wenige Tage zuvor aus dem Riss gefallen war.

Sie trug ihr langes, kupferrotes Haar nun in einem Zopf, der auf ihrem Hinterkopf hochgesteckt und mit goldenen Spangen verziert war. An ihrem Gürtel hing ein Langschwert aus Silberit, das sie von der Quartiermeisterin erhalten hatte, und von ihrer Körperhaltung bis hin zu der Selbstverständlichkeit, mit der sich ihre Hand auf den Schwertgriff legte, wies alles darauf hin, dass Lavellan nicht zum ersten Mal eine solche Waffe trug. Cullen zweifelte keine Sekunde lang daran, dass die junge Frau tödlich sein konnte, wenn sie es wollte, ungeachtet der Tatsache, dass sie einen Kopf kleiner war, als er.

„Kommandant... Cullen, richtig?“, fragte sie, als sie zu ihm trat, während er den Rekruten bei ihren Schwertkampfübungen zusah. In ihren dunklen, grünen Augen flackerte für einen Moment Unsicherheit auf.

„Das ist korrekt“, entgegnete Cullen und schenkte ihr ein offenes Lächeln. Augenblicklich wich die Anspannung aus ihren Schultern und ein Ausdruck der Erleichterung huschte über ihr Gesicht.

„Ihr glaubt gar nicht, wie gut es tut, das zu hören“, sagte sie und erwiderte das Lächeln. „In den letzten Stunden habe ich so viele neue Gesichter gesehen, dass ich vermutlich noch Wochen brauchen werde, um mir die dazugehörigen Namen zu merken. Schön, dass wenigstens ein paar davon schon hängengeblieben sind.“

„Dann sollte ich mich wohl geehrt fühlen, dass der meine einer davon ist“, meinte Cullen und rieb sich den Nacken – eine unbewusste Geste.

Hör auf damit, du Narr, wisperte sein Unterbewusstsein, und verlegen ließ er die Hand wieder sinken, als er merkte, was er tat.

„So...“, sagte Lavellan, nachdem sie den Blick über die Rekruten hatte schweifen lassen. „Ein ehemaliger Templer als Kommandant der Inquisitionsarmee... Wie ist das passiert?“

Cullen verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, eine populäre Theorie unter den Rekruten ist, dass Lady Cassandra mich persönlich nach Haven geschleift hat...“

„Was für ein Bild“, meinte Lavellan und lachte auf. Cullen mochte ihr Lachen, es war tief und warm und erfrischend ungezwungen.

„Sie war in der Tat nicht ganz unbeteiligt“, fuhr er mit einem Schmunzeln fort. „Genau genommen war sie diejenige, die mich gebeten hat, das Kommando über die Streitkräfte der Inquisition zu übernehmen. Also kehrte ich dem Templerorden in Kirkwall den Rücken und stieg an Bord des nächsten Schiffs nach Ferelden.“

„Geht das so einfach?“, fragte sie und sah ihn aufmerksam an. „Den Templern den Rücken zu kehren, meine ich.“

Cullens Blick wanderte zum Riss hinüber, dessen grüner Mahlstrom bedrohlich in der Ferne über den Berggipfeln flackerte.

„Es geht, wenn eines Tages plötzlich der Himmel über unseren Köpfen aufreißt und Dämonen ausspuckt, die die Welt ins Chaos stürzen“, sagte er leise.

Mit einem Kopfschütteln wandte er den Blick wieder ab.

„Außerdem gab es nichts, was mich in Kirkwall hielt. Dies...“ Er machte eine Geste, die das ganze Lager und Haven einschloss. „... ist wichtiger. Hier kann ich helfen. Darum fiel mir die Entscheidung nicht schwer.“

Was auch immer Lavellan für eine Antwort erwartet hatte, seine Worte schienen sie zu berühren, denn ihre Miene wurde mit einem Mal sanft.

„Ihr seid ein ehrenvoller Mann, Cullen“, meinte sie. „Wir können uns glücklich schätzen, Euch zu haben.“

Dieses Mal konnte Cullen den Impuls, sich vor Verlegenheit den Nacken zu reiben, nicht unterdrücken.

„Ihr schmeichelt mir“, murmelte er und räusperte sich dann. „Vor allem, wenn man bedenkt, was Ihr, die Ihr unfreiwillig in diese ganze Sache hineingezogen worden seid, selbst schon alles geleistet habt.“

„Ah.“ Ihre Wangen röteten sich, während sie auf ihre Hand hinabsah, die in einem schwachen Grün leuchtete. „Ihr meint das hier.“

Sie schenkte ihm ein selbstironisches Lächeln. „Nun, ich habe sicher nicht damit gerechnet, eines Tages aus dem Nichts zu fallen und zu einer Symbolfigur zu werden, die Risse zwischen den Welten schließt und Dämonen bekämpft, das ist wahr... Aber wie meine Mutter immer zu sagen pflegte, als ich noch klein war: was einen nicht umbringt, macht einen nur stärker. Damit bezog sie sich zwar eher auf Mückenstiche oder aufgeschlagene Knie, aber irgendwie erscheinen mir ihre Worte auch in der derzeitigen Situation nicht ganz unpassend.“

Dieses Mal war es Cullen, der lachen musste. Es war unmöglich, die junge Frau mit ihrer offenen Art und der Bodenständigkeit, die sie sich trotz der Ereignisse der letzten Tage bewahrt hatte, nicht ins Herz zu schließen.

„Eure Mutter war in der Tat eine weise Frau“, entgegnete er.

„Oh, wer allein ein Kind im Armenviertel von Denerim großzieht, der eignet sich früher oder später ein paar Lebensweisheiten an“, meinte sie nur, ohne ihn dabei anzusehen.

„Denerim?“ Cullen hob überrascht die Augenbrauen. „Ich dachte, Ihr wärt–“

„Dalish?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nur zur Hälfte. Mein Vater war Dalish, während meine Mutter in der Stadt geboren und aufgewachsen ist. Sie liebte ihn sehr, doch sie musste eine kranke Mutter und einen Säugling pflegen und konnte sich den Luxus nicht leisten, ihr bisheriges Leben für meinen Vater aufzugeben. Sie verbrachten nur zwei Sommer miteinander, bevor er mit seinem Clan weiterzog und sie ihn nie wiedersah.“

Ihre Stimme war immer leiser geworden, während sie sprach, und als sie schließlich verstummte, herrschte eine fast unangenehme Stille zwischen ihnen. Die Geschichte, die sie ihm erzählt hatte, war so persönlich, dass Cullen nicht wusste, was er dazu sagen sollte.

Schließlich war es Lavellan selbst, die die Stille durchbrach.

„Verzeiht mir“, sagte sie. „Ich wollte Euch nicht meine Lebensgeschichte aufdrängen.“

Sie atmete tief durch und hob dann mit einem zurückhaltenden Lächeln den Kopf, um ihn anzusehen.

„Bei Andraste, mir scheint, ich bin noch immer völlig durcheinander. Vielleicht sollten wir einfach noch mal von vorn anfangen...?“

Sie hielt ihm ihre Hand hin.

„Ellana Lavellan“, sagte sie. „Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen.“

Was für eine seltsame Frau, dachte Cullen nicht ohne Zuneigung, während er beschloss, auf das Spiel einzugehen, und nach ihrer Hand griff.

„Cullen Rutherford“, entgegnete er und deutete eine Verbeugung an. „Die Freude ist ganz meinerseits.“

Sie sahen sich an und mussten plötzlich beide leise lachen, wie zwei Kinder, die gemeinsam Äpfel im Nachbargarten gestohlen hatten und nur knapp dem Zorn des Besitzers entkommen waren.

„Es freut mich zu sehen, dass Ihr Euren Humor nicht verloren habt“, hörten sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Hastig ließ Cullen Lavellans Hand wieder los, bevor sie sich beide zu dem Neuankömmling herumdrehten.

„Solas“, sagte Cullen und nickte dem Elf zu, als er nähertrat. Er traute dem abtrünnigen Magier zwar noch immer nicht besonders, doch er respektierte sein Wissen und seine Erfahrung und schätzte seine Unterstützung im Kampf gegen die Kreaturen des Nichts. „Was gibt es?“

Lavellan war mit einem Mal sehr still geworden, und Cullen entging nicht, wie sie nervös an dem geflochtenen Armband an ihrem Handgelenk zupfte, während ihr Blick ruhelos umherirrte und alles zu streifen schien, nur nicht den kahlköpfigen Elf, der vor ihr stand.

Oh...?, dachte Cullen. Und dann, als er zu ahnen begann, was der Grund für ihr Verhalten war: OH!

Konnte es etwa sein, dass Lavellan-? – Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit...?

Er fragte sich, ob Solas das seltsame Benehmen der Heroldin ebenfalls aufgefallen war, doch der Gesichtsausdruck des anderen Mannes war wie immer unergründlich.

Dann wandte sich Solas an Lavellan.

„Ihr hattet mich um meine Einschätzung der Gefahr gebeten, die von eurem Mal ausgeht, und mir erlaubt, es noch einmal näher zu untersuchen“, sagte er geduldig, bevor das Schweigen sich noch länger ausdehnen konnte.

„Ja, das habe ich wohl“, murmelte Lavellan, die ihn immer noch nicht ansah, mit hochrotem Gesicht. Dann verstummte sie wieder.

An dieser Stelle hob Solas eine Augenbraue und warf Cullen einen fragenden Blick zu.

Doch Cullen war ebenso verwirrt, wie er. Wenn Lavellan tatsächlich Solas‘ Namen auf dem Handgelenk trug, dann bedeutete das, dass Solas umgekehrt ihren Namen trug. Und man musste keine Gedanken lesen können, um zu verstehen, weshalb die junge Frau sich plötzlich so unwohl fühlte. Solas‘ ausbleibende Reaktion war Cullen deshalb in diesem Moment völlig unbegreiflich. Entweder hatte der Mann keine Gefühle, oder er hatte sich sehr gut unter Kontrolle und trennte persönliche Beziehungen klar von seiner Arbeit für die Inquisition.

Doch was auch immer der Grund für Solas‘ Verhalten war, Lavellan würde ihm nicht ewig ausweichen können, und so berührte Cullen nur sanft ihre Hand und nickte ihr aufmunternd zu, als sie ihn ansah.

„Geht nur“, sagte er. „Wir sehen uns später wieder.“

Ich denke, ihr habt einiges zu besprechen.

Er sprach die Worte nicht aus, aber Lavellan schien sie dennoch zu hören, und sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln.

Dann straffte sie die Schultern und hob das Kinn.

„Lasst uns gehen.“ Mit diesen Worten schritt sie an Solas vorbei in Richtung des Stadttores, ohne noch einmal zurückzublicken.

Solas warf Cullen einen undeutbaren Blick zu, bevor er sich wortlos umdrehte und ihr folgte.

Während er den beiden Elfen nachsah, schlossen sich Cullens Finger unbewusst um sein eigenes Handgelenk. Er hatte in den letzten Wochen kaum einen Gedanken an den Namen darauf verschwendet, da seine Arbeit ihn zu sehr in Anspruch genommen hatte. Doch für diesen Abend nahm er sich vor, nach dem täglichen Gebet das historische Archiv der Kirche von Haven zu durchstöbern.

Mit etwas Glück würde er vielleicht auf den Ursprung des Familiennamens „Pavus“ stoßen.

Dorian

Der Regen schien sich zu seinem ständigen Begleiter zu entwickeln.

Fröstelnd zog sich Dorian die Kapuze seines Umhangs über den Kopf, als die ersten Tropfen vom Himmel fielen. Der kalte Wind, der stetig vom Calenhad-See herüberwehte, war gerade an der Grenze zur Unerträglichkeit, und er hoffte, dass sie ihr Ziel erreichten, bevor er bis auf die Knochen durchgefroren war.

Der Alte, der neben ihm auf dem Karren saß, warf ihm einen flüchtigen Blick zu.

„Nehmt mir die Bemerkung nicht übel, Serah“, sagte er, „aber ich bezweifle, dass Euch ein dünnes Stück Stoff vor der Kälte schützen wird. Ihr seid einfach nicht wettergerecht gekleidet.“

Dorian seufzte leise. Eines der ersten Dinge, die er über die Bewohner von Ferelden gelernt hatte, war, dass sie gnadenlos ehrlich und direkt waren.

„Sieht man mir das so sehr an? Dann wird es Euch sicher auch nicht überraschen zu hören, dass ich aus wärmeren Gefilden stamme“, entgegnete er trocken. „Mit einer solchen Kälte im Spätsommer hatte selbst ich nicht gerechnet, als ich für die Reise gepackt habe.“

Das war nur die halbe Wahrheit. Der andere Grund war, dass er schlichtweg nicht die Zeit gehabt hatte, mehr als ein paar Sachen in seinen Beutel zu stopfen, bevor er aus seinem Elternhaus geflohen war. Warme Kleidung für die schier unzumutbare Kälte Fereldens einzupacken hatte dabei mit Sicherheit nicht zu seinen obersten Prioritäten gehört.

Doch anstatt ihm die spitze Antwort übel zu nehmen, gab der Alte nur ein bellendes Lachen von sich.

Dann wandte er sich erneut Dorian zu, ein amüsiertes Funkeln in den hellen, blauen Augen.

„Ihr könnt ein paar meiner alten Sachen haben, wenn wir den Hof erreichen“, sagte er. „Sie werden Euch vermutlich etwas zu weit sein, aber sie dürften Euch eher vor der Kälte schützen, als das, was Ihr gerade am Leibe tragt.“

Dorian blinzelte überrascht.

„Das... würdet Ihr tun?“, fragte er. „Aber Ihr kennt mich noch nicht einmal.“

Der andere zuckte nur mit den Schultern. „Ihr habt die letzten Stunden neben mir auf dem Karren gesessen und geduldig das Gerede eines alten Mannes über seine Kühe ertragen. Ich denke, ich bin Euch etwas dafür schuldig.“

Dorian biss sich auf die Zunge, bevor er den Alten darauf hinweisen konnte, dass er ihm nur deshalb geduldig zugehört hatte, weil der andere so freundlich gewesen war, ihn überhaupt erst auf seinem Karren mitzunehmen. Doch er war klug genug, seine Gedanken für sich zu behalten.

Sie schwiegen eine Zeit lang, während der Karren weiter in gemütlichem Tempo über die Straße zuckelte.

„Hier, haltet das mal für einen Augenblick“, sagte der Alte nach einer Weile plötzlich und drückte Dorian die Zügel des Esels in die Hand. Dann öffnete er die obersten Knöpfe seiner dicken Wolljacke und zog eine Pfeife aus einer der Innentaschen. Aus einer anderen Tasche holte er einen kleinen Klumpen Tabak und begann, die Pfeife zu stopfen. Als er damit schließlich fertig war, knöpfte er die Jacke wieder zu und warf Dorian einen nachdenklichen Blick zu.

„Könntet Ihr vielleicht...?“

Dorian lächelte schwach. „Gewiss.“

Er streckte die Hand aus und eine kleine Flamme sprang von seiner Fingerspitze auf den Tabak über und entzündete ihn.

Mit einem zufriedenen Brummen zog der Alte ein paar Male an seiner Pfeife, bis das Kraut zu glühen begann.

„Ich danke Euch, Serah.“

Dorian nickte nur. Dabei fiel sein Blick auf den Namen am Handgelenk des Alten.

Anders als in Tevinter schien es in Ferelden üblich zu sein, dass verheiratete Paar offen ihre Seelennamen zeigten. Dorian vermutete, dass es daran lag, dass füreinander bestimmte Partner hier auch tatsächlich zusammenlebten, während Seelennamen in seiner Heimat kaum eine Rolle spielten und Ehen in erster Linie eine politische Angelegenheit waren.

Manchmal fragte sich Dorian, ob seine Eltern, die sich verachtet hatten, solange er denken konnte, tatsächlich glücklich gewesen wären, wenn sie mit dem Partner zusammengelebt hätten, der ihnen vorherbestimmt war.

Wie es wohl sein musste, einen Seelenpartner zu haben? Er hatte sich diese Frage oft gestellt, und sowohl seine Mutter als auch Felix, den er als einzigen außerhalb seiner Familie je in sein Geheimnis eingeweiht hatte, hatten ihm erklärt, dass das Band zum Partner stets spürbar war – wie eine fremde, aber nicht unwillkommene Präsenz, die im Kopf einer jeden Person saß und sie daran erinnerte, dass sie nicht allein war.

Es gab Tage, an denen Dorian sie für diese Gewissheit beneidete, während er an anderen Tagen wieder froh darüber war, dass er die Freiheit hatte, seinen Partner selbst zu wählen, ohne dabei daran erinnert zu werden, dass irgendwo ein anderer auf ihn wartete.

In den Jahren, in denen er Gereon Alexius‘ Schüler gewesen war, hatte er sich manchmal gewünscht, dass Felix sein Seelenpartner wäre. Doch obwohl Dorian ihn liebte, wie einen Bruder, und sie einen sehr innigen Umgang miteinander gepflegt hatten, wäre ihm nie eingefallen, ihn in sein Bett zu holen, und er war insgeheim doch froh darüber gewesen, dass Felix einen anderen Namen auf dem Handgelenk trug.

„Da vorne ist es“, riss ihn plötzlich die Stimme des Alten aus seinen Gedanken.

Sein Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Mannes und sah in einiger Entfernung einen Hof, hinter dem auf der Weide ein halbes Dutzend Kühe grasten. Da der Abend bereits dämmerte, schätzte Dorian, dass sie ihn bei Einbruch der Nacht erreichen würden.

Dann schweifte sein Blick über den Hof hinweg, und als er die Augen zusammenkniff, konnte er in der Ferne eine dunkle Silhouette ausmachen, die sich vom Blau des Sees abhob. Eine Burg womöglich, oder ein Schloss.

Der alte Mann bemerkte seinen Blick.

„Redcliffe“, sagte er. „Wenn ich mich recht erinnere das Ziel Eurer Reise...?“

Dorian nickte.

„Wenn die Gerüchte stimmen und dies der Ort ist, wo sich die Magier versammeln, dann werde ich meinen Freund dort finden“, entgegnete er.

„Dann wünsche ich Euch Erfolg“, meinte der Alte. „Redcliffe ist noch ungefähr einen Tagesmarsch entfernt. Wenn Ihr morgen in aller Frühe aufbrecht, könnt Ihr es am Abend erreichen.“

„Ich danke Euch für Eure Hilfe“, sagte Dorian. „Wenn wir den Hof erreicht haben, will ich Euch nicht länger stören. Nur falls Ihr für die Nacht noch einen Platz im Stall entbehren könntet, wäre ich Euch überaus–“

„Unsinn“, unterbrach ihn der alte Mann brummend. „Ihr könnt diese Nacht bei uns im Haus schlafen. Wir haben ein freies Bett für die Tage, an denen unsere Tochter uns besucht. Ihr dürft es gerne für die Nacht haben.“

„Ich...“ Dorian spürte, wie seine Kehle enger wurde. Es schien ein ganzes Zeitalter zurückzuliegen, dass er das letzte Mal in einem Bett geschlafen hatte.

„Ihr seid zu großzügig“, sagte er schließlich gerührt.

„Ich gestehe, ich konnte mich nie besonders für Eure Sorte begeistern“, meinte der Alte schulterzuckend und warf dabei einen vielsagenden Blick auf Dorians Stab. „Aber Ihr scheint das Herz am rechten Fleck zu haben, und außerdem seht Ihr so aus, als hättet Ihr in letzter Zeit mehr Nächte unter freiem Himmel verbracht, als Euch guttut.“

Dorian spürte Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln, aber das lag vermutlich am Regen.

„... danke“, wiederholte er, da es alles war, was er in diesem Moment sagen konnte.

Die Bewohner Fereldens mochten offen und direkt sein, doch zugleich waren sie auch die herzlichsten Leute, denen Dorian jemals begegnet war, und das versöhnte ihn wieder ein wenig mit diesem wilden, unerträglich kalten Land.

 

„Vielleicht solltet Ihr Euch der Inquisition anschließen“, sagte der Alte später, als Dorian mit ihm und seiner Frau, einer grauhaarigen, alten Zwergin, beim Abendessen in der kleinen Stube am Tisch saß.

„Verzeihung?“ Dorian hatte schon von der Inquisition gehört, aber es waren nur bruchstückhafte Informationen gewesen, zu wenig, um genau sagen zu können, was davon der Wahrheit entsprach, und was lediglich ein Gerücht war.

Der Alte warf seiner Gemahlin einen Blick zu und sie nickte.

„Mein Cousin ist ein Händler aus Orzammar, der oft nach Haven reist“, sprach die Zwergenfrau. „Bei seinem letzten Besuch erzählte er uns von der Inquisition. Er sagte, dass Andraste selbst ihre Heroldin geschickt hat, um das Loch im Himmel wieder zu versiegeln und die Dämonen, die es ausgespuckt hat, zu vernichten. Die Inquisition wurde ins Leben gerufen, um sie dabei zu unterstützen.“

Dorian sah nachdenklich auf sein Essen hinab. Die Beschreibung deckte sich mit dem, was er selbst bereits gehört hatte. Und er musste zugeben, dass der Gedanke verlockend war. Die Inquisition schien eine Institution zu sein, die jedem eine Heimat bot, der sie dabei unterstützte, die Welt zu retten, auch wenn es sich dabei wie im Falle von Dorian um einen verarmten Magier aus Tevinter handelte.

Er würde also nicht nur Schutz finden, sondern gleichzeitig die Gelegenheit bekommen zu zeigen, wozu ein Altusmagier fähig war.

„Ich werde darüber nachdenken“, entgegnete er schließlich. Dann wurde seine Stimme leiser. „Doch zuerst muss ich Felix finden. Er... er ist die einzige Familie, die ich noch habe.“

Die Zwergin schenkte ihm einen mitfühlenden Blick.

„Er muss ein ganz besonderer junger Mann sein, wenn Ihr halb Thedas durchquert, um ihn zu finden“, sagte sie.

„Das ist er.“ Dorian lächelte wehmütig.

Als er wieder den Kopf hob, bemerkte er, dass die Blicke der beiden Alten auf seinem Armband ruhten.

„Oh nein“, sagte er und lachte auf. „Oh nein, nein – ganz sicherlich nicht. Nein! Nicht Felix.“

„Wenn man erst mal lange genug gelebt hat, überrascht einen irgendwann nichts mehr“, meinte der Alte nur schulterzuckend.

„Wir wollten Euch nicht beschämen, Serah“, fügte seine Frau hinzu. „Wir freuen uns nur zu hören, dass dieser Felix einen solch loyalen Freund in Euch hat.“

Doch Dorian winkte nur ab.

„Es war eine gerechtfertigte Annahme“, erwiderte er. „Es gibt nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsstet.“

Die beiden Alten tauschten einen amüsierten Blick, doch sie sprachen danach nicht weiter davon und das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu.

 

Nach dem Essen zeigte ihm die Zwergin die Kammer, in der er schlafen konnte.

Dorian bedankte sich vielmals bei der Bauersfrau, bevor er sich auf das Bett setzte. Die Matratze war hart und das Bett insgesamt zu kurz für jemanden seiner Größe, doch verglichen mit den letzten Nächten, die er frierend unter freiem Himmel verbracht hatte, war es eine fast schon königliche Unterkunft. Er legte seinen Stab auf den Boden und daneben seinen Beutel, dann begann er, die zahllosen Knoten und Schnallen seines Oberteils zu öffnen, und streifte es sich schließlich über den Kopf. Er legte seine Armstulpen ab und zog die Ringe von seinen Fingern, und nachdem er sich auch seiner Hose entledigt hatte, ließ er sich mit einem Seufzen auf die Matratze sinken.

Seitdem der Himmel aufgerissen war, wurde er fast jede Nacht von Alpträumen geplagt, doch er war zu müde, als dass er den Schlaf noch länger hinauszögern konnte, und kaum hatte er die Decke über seine Schultern gezogen, war er auch schon eingeschlafen.

 

Er träumte auch in dieser Nacht, doch es war ein ruhiger Traum, in dem er allein durch weite, leere Hallen und kühle, schattige Wälder schritt. Als er am nächsten Morgen erwachte, war alles, woran er sich erinnern konnte, der ferne Ruf einer Eule und das Flattern von dunklen Schwingen am Himmel.

 

Die Bäuerin weckte ihn bei Sonnenaufgang und brachte eine Schale mit warmem Wasser und ein Handtuch mit. Dorian bedankte sich für beides, und wollte gerade anfangen, sich zu waschen, als die Zwergenfrau noch einmal zurückkam, eine dicke Tunika aus Wolle im Arm.

„Mein Mann erzählte mir, dass Ihr warme Kleidung benötigt, und da fiel mir ein, dass wir noch das hier haben“, sagte sie und hielt ihm die Tunika hin. Dorian nahm sie vorsichtig entgegen und befühlte den schweren, dunkelblauen Stoff.

„Meinem Mann passt sie nicht mehr, aber vielleicht könnt Ihr etwas damit anfangen?“

Dorian hielt die Tunika hoch und schätzte die Maße.

„Sie sollte passen, ja“, entgegnete er schließlich. Dann legte er sie wieder zusammen.

„Doch ich kann ein solches Geschenk nicht annehmen, Serah“, sagte er. Selbst auf einem der hiesigen Märkte würde der Verkauf des Kleidungsstücks wenigstens ein halbes Dutzend Silbermünzen einbringen – Geld, das die beiden alten Leute sicher selbst gut gebrauchen konnten.

„Nehmt ihn“, meinte die Zwergin beharrlich. „Wir haben keine Verwendung mehr dafür, und solltet Ihr Euch tatsächlich der Inquisition anschließen, werdet Ihr warme Kleidung für Eure Reise durch das Gebirge brauchen.“

Demütig nahm Dorian die Tunika schließlich an sich.  

„Ich danke Euch vielmals, Serah, und werde Euer Geschenk in Ehren halten“, erwiderte er.

„Findet Euren Freund“, sagte die Zwergin jedoch nur und lächelte. „Das wäre uns Dank genug.“

 

Nachdem er sich gewaschen und angezogen und ein kurzes Frühstück zu sich genommen hatte, verabschiedete sich Dorian schließlich von den Bauersleuten und dankte ihnen noch einmal überschwänglich für ihre Hilfe.

Der Alte lachte jedoch nur und wünschte ihm eine gute Reise, und ausgeruht und mit neuem Optimismus setzte Dorian seinen Weg fort, stets die ferne Stadt im Blick, wo er Felix finden würde.

Cullen

Es vergingen fast zwei Wochen, bis Cullen wieder die Gelegenheit bekam, sich allein mit der Heroldin zu unterhalten.

Es dämmerte bereits, als er seinen letzten Rundgang durch das Lager der Inquisitionstruppen beendete und beschloss, an diesem Abend noch einen Spaziergang am Ufer des zugefrorenen Sees vor den Toren von Haven zu machen. Für einen Moment hatte er mit dem Gedanken gespielt, Varrics Einladung vom späten Vormittag anzunehmen und sich mit dem Zwerg und dem neuesten Mitglied des inneren Kreises, einem hünenhaften Qunari namens Eiserner Bulle, zu einem Bier in der Taverne zu treffen, doch ihm war an diesem Abend nicht nach Wein und Gesang zumute. Zudem hätte der Alkohol die hämmernden Kopfschmerzen, die ihn schon den ganzen Tag über gequält hatten, nur verstärkt, und darauf konnte Cullen gut verzichten.

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt schlenderte er am Ufer des Sees entlang, dessen gefrorener Sand bei jedem Schritt unter seinen Füßen knirschte, und versuchte, seinen Kopf frei von jeglichen Sorgen und Gedanken zu machen. Mit der Zeit beruhigte sich sein Atem, und als er schließlich auf einem der Stege verharrte, die in den See hineinragten, und zum nächtlichen Himmel hinaufsah, befand er sich in einem fast meditativen Zustand.

So hörte er auch die Schritte nicht, die sich ihm näherten, und die Stimme, die wiederholt seinen Namen rief. Erst, als er spürte, wie Finger nach seiner Hand griffen, erwachte er aus seiner Trance, und drehte sich überrascht um.

„Wer–? Ah, Ellana!“ Er räusperte sich, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Ich hatte Euch nicht erwartet.“

„Für einen Moment dachte ich, ich hätte den falschen Mann erwischt, weil Ihr nicht geantwortet habt“, erwiderte sie und lächelte. „Wie peinlich das für beide Seiten gewesen wäre...“

„Verzeiht, ich... ich war mit den Gedanken woanders“, murmelte Cullen und sah sie dabei nicht an.

Lavellan musterte ihn für einen Moment wortlos und schüttelte dann den Kopf.

„Nein, ich sollte mich entschuldigen. Das war gedankenlos von mir. Ich hätte nicht ungefragt Eure Ruhe stören sollen.“

Doch Cullen winke nur ab. „Mach Euch keine Sorgen darum. Um ehrlich zu sein freue ich mich über etwas Gesellschaft.“

Lavellan atmete erleichtert auf und trat nach kurzem Zögern an seine Seite, und gemeinsam sahen sie für eine Weile schweigend auf den zugefrorenen See hinaus – zwei Krieger, die nach einem langen Tag einen Moment der Ruhe genossen. Es war eine Stille, die Cullen begrüßte, denn sie war nicht angespannt, sondern kameradschaftlich und ungezwungen, als würden sie einander schon seit vielen Jahren kennen.

Nach ein paar Minuten begann er schließlich wieder zu sprechen, leise, und ohne Lavellan dabei anzusehen.

„Wie geht es Euch, Ellana?“

Er spürte ihren Blick auf sich und zögerte für einen Moment fortzufahren, doch dann überwand er sich und stellte die Frage, die ihn in den letzten Tagen häufig beschäftigt hatte.

„Das letzte Mal, als wir miteinander sprachen, wirktet Ihr aufgebracht, als–“ Er machte eine vage Geste und sprach den Satz nicht zu Ende, doch sie schien auch so zu verstehen, was er meinte. „Geht es euch mittlerweile wieder besser?“

„Oh“, meinte sie. Und dann, nach kurzem Schweigen: „Nun...“

Sie rieb unbewusst ihr Handgelenk, eine Bewegung, die Cullen nicht entging.

„Es gab ein Missverständnis“, sagte sie schließlich. „Nichts weiter.“

Sie sah auf die gefrorene Fläche des Sees hinaus.

„Ich dachte, ich würde ihn kennen“, fuhr sie leise fort. „Doch offenbar habe ich mich geirrt.“

Also hatte Cullen mit der Vermutung, dass ihr Verhalten Solas gegenüber etwas mit den Namen auf ihrem Handgelenk zu tun gehabt hatte, richtig gelegen.

„Und was sagt Euch Euer Gefühl?“, fragte er und hätte sich aus Verärgerung über seine Direktheit fast auf die Zunge gebissen.

Das geht dich verdammt noch mal nichts an, Rutherford.

Doch Lavellan schien sich nicht an seiner Neugier zu stören. Stattdessen begannen ihre Augen feucht zu glänzen, als sie erwiderte:

„Mein Gefühl sagt mir, dass ich dennoch Recht habe.“

Sie klang so hilflos und verletzt, dass Cullen nicht anders konnte, als nach ihrer Hand zu greifen und sie sacht zu drücken.

„Sagt mir, wie ich im Unrecht sein kann, wenn ich jedes Mal all diese Dinge fühle, wenn ich ihn ansehe...?“

Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, beschämt von ihrer Reaktion. Cullen tat, als hätte er die Geste nicht gesehen, und wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

„Verzeiht“, sagte sie, dieses Mal wieder etwas gefasster. „Ich dachte, ich hätte mich mittlerweile besser unter Kontrolle.“

Doch Cullen schüttelte nur den Kopf.

„Eure Gefühle sind nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsstet.“

„Wäre ich nicht in meiner derzeitigen Position, würde ich Euch fast glauben“, erwiderte sie jedoch nur und zwang sich zu einem Lächeln.

Ihre Worte stimmten Cullen traurig, doch ihr zu widersprechen hätte bedeutet, sie anlügen zu müssen. Denn es stimmte, dass Lavellan sich nicht ausgesucht hatte, die Heroldin Andrastes zu sein, und sich fortan an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten halten zu müssen, die damit einhergingen, wollte sie – und damit auch die Inquisition – erfolgreich sein.

Während er noch überlegte, ob er weitere Fragen stellen oder das Thema lieber gänzlich ruhen lassen sollte, war es Lavellan, die sich stattdessen an ihn wandte.

„Darf ich Euch eine Frage stellen, Cullen? Sie ist sehr persönlich und Ihr müsst sie nicht beantworten, wenn Ihr nicht wollt...“

„Nach dem, was Ihr mir gerade anvertraut habt? Gewiss“, entgegnete Cullen und schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Was wollt Ihr wissen?“

Lavellan zögerte für einen Moment, bevor sie sprach:

„Habt Ihr jemals ähnliche Zweifel gehegt, wie ich? Als es um diejenige ging, die das Schicksal Euch zugeteilt hat?“

Cullen rieb sich den Nacken.

„Nein“, erwiderte er. Er sah, wie Lavellan bei dieser Antwort entmutigt die Schultern hängen ließ, und bevor er seinen Mund daran hindern konnte, fügte er hinzu: „Doch sollte ich ihm jemals begegnen, lasse ich es Euch wissen.“

Für einen Moment herrschte absolute Stille, als sie sich wortlos ansahen – Lavellan mit weit aufgerissenen Augen und Cullen mit zunehmendem Entsetzen über das, was er gerade gesagt hatte.

Dann stahl sich ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau und sie sah mit leisem Lachen wieder auf den See hinaus.

„Mir scheint, das Schicksal hält für jeden von uns Überraschungen bereit, mit denen wir nicht gerechnet haben“, sagte sie.

Und das war alles, was sie dazu sagte. Sie stellte ihm keine weiteren Fragen oder machte gar abfällige Bemerkungen, sondern akzeptierte seine Aussage als das, was sie war. Cullen räusperte sich.

„Ellana“, begann er. „Was ich eben–“

„Euer Geheimnis ist bei mir sicher, Kommandant“, erwiderte sie nur und drückte nun ihrerseits beruhigend seine Hand, die noch immer ihre Finger hielt. „Das verspreche ich Euch.“

„Ich...“ Er holte tief Luft. „Danke.“

Und es war, als würde plötzlich eine Last von ihm abfallen, und Cullen wurde bewusst, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, sein Geheimnis jemandem anvertrauen zu können.

Sie unterhielten sich noch für eine Weile über andere Dinge – ihren Tagesablauf, den inneren Kreis, die bevorstehende Reise Lavellans nach Val Royeaux – bevor sie nach Haven zurückkehrten, jeder von ihnen mit einem Lächeln auf den Lippen.

Keiner von ihnen bemerkte dabei den Elf, der an einem der Lagerfeuer saß und ihnen einen nachdenklichen Blick zuwarf.

 

Die Wochen vergingen.

Lavellan verließ Haven in Begleitung von Cassandra, Varric und Vivienne, um sich der Kirche in Val Royeaux zu stellen und ihre Unterstützung zu erbeten, während Cullen sich in ihrer Abwesenheit mit den logistischen und organisatorischen Problemen herumschlug, die die stetig wachsende Inquisitionsarmee mit sich brachte.

Es gab ein Limit an Aufgaben, die er Threnn und Leliana übertragen konnte, und er erreichte es schon seit längerem immer häufiger. Obwohl er bereits begonnen hatte, auch seine Nächte seiner Arbeit zu opfern, quoll sein Schreibtisch bald über von Dokumenten und Cullen sah schließlich ein, dass es nicht so weitergehen konnte. Er bat Josephine, ihm zwei Sekretäre zur Seite zu stellen, die die Anfragen nach Dringlichkeit sortierten und kompetent genug waren, sich um Probleme zu kümmern, die nicht seine unmittelbare Aufmerksamkeit oder Anwesenheit erforderten. Damit schaffte er sich wieder etwas mehr Raum zum Atmen, und nachdem er seine Helfer eingearbeitet hatte, konnte er sich hin und wieder auch wieder anderen Dingen zuwenden.

Dazu gehörte auch seine stetige Suche nach dem Ursprung des Namens auf seinem Handgelenk.

Die bisher größte Übereinstimmung hatte er in einem dicken Band über die Handelsbeziehungen von Antiva entdeckt, wo der Familienname „Pavi“ weit verbreitet zu sein schien.

Doch die Endung wollte nicht so recht passen, und als er den Teil des Buches erreichte, in dem es speziell um die Beziehungen zu Tevinter ging, erkannte er auch, wieso: Namen, die auf der Silbe -us endeten, schienen eher für das Imperium typisch zu sein.

„Oh, bitte nicht“, murmelte Cullen, als er das Buch wegpackte und einen schmalen, reichverzierten Band aus dem Regal zog, in dem die wichtigsten Dynastien Tevinters aufgeführt waren. „Bitte lass es keinen dieser Maleficare sein...“

Er kämpfte für einen Moment mit sich selbst, doch der Drang, die Wahrheit zu erfahren, war schlichtweg zu groß, und so schlug er schließlich das Buch auf.

Marius, Oktavius, Titus... Nein, zu weit.

Er blätterte zögernd wieder ein paar Seiten zurück und fand schließlich den Namen, den er gesucht hatte.

Pavus.

Cullen schloss die Augen. Er atmete für eine Weile tief ein und aus und wandte dabei die Meditationstechniken an, die er bei seiner Templerausbildung gelernt hatte.

Nach ein paar Minuten hatte sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigt und er war gefasst genug, um fortzufahren.

Sein Zeigefinger fuhr über die Liste von Namen, die sich unter dem Familiennamen fanden. Hinter jedem von ihnen stand in Klammern der Zusatz „Magisterium“, bis hin zum letzten Mitglied der Familie.

Die Aufzählung endete bei einem Lucian Pavus, geboren im Jahr 59 des Gesegneten Zeitalters, Todesjahr unbekannt. Nachkommen waren keine verzeichnet, aber das war nicht überraschend, da das Buch aus dem Jahr 83 desselben Zeitalters stammte und der Mann zu dem Zeitpunkt vermutlich noch keine Kinder in die Welt gesetzt hatte.

Seitdem mussten jedoch mindestens zwei weitere Generationen hinzugekommen sein – und eine davon war für Cullen bestimmt.

Ihn, einen ehemaligen Templer, der Blutmagie mehr als alles andere verabscheute. Der Erbauer hatte einen seltsamen Sinn für Humor, anders konnte sich Cullen sein Schicksal nicht erklären.

Er klappte das Buch wieder zu, überwältigt von der Entdeckung, die er gemacht hatte, und starrte für eine Weile ins Leere.

Schließlich erhob er sich wieder von seinem Sitz.

„Verzeiht“, wandte er sich an die Schwester, die die Bibliothek der Kirche verwaltete, „aber dieser Band ist schon recht alt. Gibt es möglicherweise noch eine neuere Version?“

„Tut mir leid, Messere“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. „Leider nicht. – Ich kann jedoch eine Anfrage an die Kirche von Recliffe schicken, deren Bibliothek um einiges umfangreicher ist, als die unsere. Dies könnte jedoch ein paar Wochen dauern.“

„Das wird nicht nötig sein“, sagte Cullen mit einem höflichen Lächeln. „Ich danke Euch für Eure Hilfe.“

„Gewiss, Messere“, entgegnete die Frau und nahm den Band von ihm entgegen, um ihn wieder zurück an seinen Platz im Regal zu stellen.

Cullen verließ die Bibliothek und kehrte in sein Zimmer zurück, wo er seine Rüstung ablegte, bevor er sich schwerfällig auf sein Bett sinken ließ.

Sein Seelenpartner war ein Magister aus Tevinter – Bürger eines Reiches, das Blutmagie tolerierte. Allein der Gedanke daran ließ ihn verbittert auflachen. Wie oft würde ihn das Schicksal noch strafen, bevor er seine Sünden abbezahlt hatte...?

Er dachte an Lavellan, die den Namen eines Mannes auf dem Handgelenk trug, der sie entweder ablehnte oder aus unerklärlichen Gründen nicht zu erkennen schien, und er fühlte sich ihr in diesem Moment näher als je zuvor.

Ihr hattet Recht, dachte er, als er die Augen schloss. Mit manchen Dingen rechnen wir nicht. Ich wünschte nur, ich hätte wenigstens auf diese Überraschung verzichten können...

Lavellan

Val Royeaux war nicht das, was sie erwartet hatte.

Ellana war mit Denerim vertraut und hatte auf ihrer Reise nach Haven auch viele der anderen größeren Städte Fereldens kennengelernt. Doch keine davon ließ sich mit der Pracht und Dekadenz der orlaisianischen Hauptstadt vergleichen.

Val Royeaux breitete sich endlos vor ihnen aus. Prunkvolle Paläste wechselten sich ab mit malerischen Parkanlagen und lebendigen Marktplätzen, und goldene Brücken spannten sich über die zahlreichen Flüsse und Kanäle der Stadt, auf denen buntgeschmückte Gondeln fuhren.

Wo sie auch hinsah, trugen die Menschen Masken – vergoldete oder versilberte, schlicht gehalten oder mit zahlreichen Details, mit Tiergesichtern oder Pflanzenmotiven.

Es wurde schwerer und schwerer, ihr Erstaunen über die vielen verschiedenen Eindrücke zu verbergen. Ihr innerer Kampf musste sich deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnen, als sie eine der überlebensgroßen Marmorskulpturen anstarrte, die die breiten Prachtstraßen flankierten, denn sie konnte Varric an ihrer Seite leise lachen hören.

„Zu viel des Guten?“, fragte er.

Ihr Blick richtete sich auf die Plakette am Sockel der Skulptur, die verkündete, dass es sich dabei um einen bedeutenden orlaisianischen Schriftsteller handelte.

„Das wäre eine Untertreibung“, erwiderte sie kopfschüttelnd und setzte ihren Weg fort. „Der Reichtum, der hier öffentlich zur Schau gestellt wird, ist schlichtweg obszön... Bitte verzeiht mir die Wortwahl, Madame Vivienne.“

„Oh, Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, meine Liebe“, entgegnete die Magierin jedoch nur amüsiert, „Ihr habt vollkommen Recht.“

„Aber wenn dies der Sitz der Kirche ist“, fuhr Ellana fort, „sollten die Prioritäten nicht woanders liegen? Wenn ich tatsächlich die Heroldin Andrastes bin...“ Ihre Stimme wurde leiser. „... dann kann diese Dekadenz doch nicht das sein, wofür ich stehe.“

Cassandra schenkte ihr einen mitfühlenden Blick.

„Val Royeaux ist nichts als ein verzerrtes Bild der Realität“, sagte sie. „Eine Illusion. In vielen anderen Städten von Orlais haben die Menschen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie in Ferelden. Aber als Hauptstadt muss Val Royeaux ein gewisses Bild wahren... auch wenn es nicht jedermanns Geschmack ist.“

Die Elfe seufzte auf. „Ich nehme an, Ihr habt Recht.“

„Ich verstehe, dass es Euch nicht leicht fällt“, sprach Cassandra. „Aber Ihr macht Eure Arbeit gut. Denkt an das, was Euch Josephine gesagt hat, und man wird Euch Gehör schenken.“

Ellana nickte. „Ich will es versuchen.“

Vor ihrer Abreise hatte sie einen Nachmittag mit Josephine verbracht und versucht, möglichst viele der Ratschläge zu verinnerlichen, die sie ihr ans Herz gelegt hatte.

„Verkauft Euch und Euer Anliegen niemals für unter Wert“, hatte die Beraterin gesagt. „Steht zu dem, was Ihr denkt und fühlt. Ihr seid eine Frau mit einer Vielzahl von Erfahrungen, die Euch niemand nehmen kann. Tragt sie wie eine Rüstung.“

Als sie sich Josephines Worte wieder in Erinnerung rief, kehrte ein Teil ihrer Selbstsicherheit zurück und eine tiefe innere Ruhe begann sie zu erfüllen.

„Lauft stets mit geradem Rücken und erhobenem Kopf. Eure Haltung allein wird Euch Respekt einbringen.“

Ellana straffte die Schultern und hob das Kinn, Entschlossenheit im Blick.

„Sehr gut“, hörte sie Cassandras leise Stimme. „Genau so.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Passanten stehenblieben und ihnen neugierig nachsahen, und Ellana musste innerlich vor Stolz lächeln. Wenn Cullen sie jetzt sehen könnte...

„Verdammt“, sagte Varric, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und lachte auf. „Wenn Ihr mich auf diese Weise anseht, könntet Ihr mir befehlen, mich nackt auszuziehen und in einem dieser Springbrunnen zu baden, und ich würde es mit Freude tun.“

Cassandra gab einen angewiderten Laut von sich. Varrics Grinsen wurde breiter.

„Oh, seht mich nicht so an, ich habe nicht gesagt, dass ich es tun werde, Sucherin“, fuhr er fort. „Nur, dass es mir eine Freude wäre, sollte die Heroldin es je von mir verlangen. – Oder hättet Ihr etwa ebenfalls Interesse?“

„Ich glaube, Ihr vergesst Euch, Ser Tethras“, sagte Cassandra nur mit eisiger Stimme.

Ellanas Mundwinkel zuckten. Die Sticheleien zwischen dem Zwerg und der Sucherin hatten sich zu einem anhaltenden Spektakel entwickelt, und sie war sich schon längst nicht mehr sicher, ob Cassandra Varrics Bemerkungen tatsächlich als unangenehm empfand oder sie schlichtweg nur noch aus Gewohnheit abschmetterte, während sie tief im Inneren ihre Freude daran hatte.

Bevor das Gespräch jedoch weiter ausarten konnte, wechselte Vivienne das Thema.

„Ihr wart bei der Stadtwache in Denerim, habe ich gehört?“, fragte sie, während sie an Ellanas Seite trat. „Bitte erzählt doch mehr darüber.“

„Ich-... Selbstverständlich“, erwiderte sie mit einem Lächeln.

Dies war vertrautes Terrain, diese Geschichte hatte sie schon oft erzählt.

„Ich war Teil der Stadtwache, die im Gesindeviertel gearbeitet hat“, begann sie. „König Alistair hatte diese Wache extra ins Leben gerufen, um die Kriminalität in dem Viertel unter Kontrolle zu bekommen und den Elfen eine Gelegenheit zu geben, sich selbst zu überwachen. Darum wurde jedem menschlichen Wachmann ein elfischer Partner des gleichen Geschlechts zur Seite gestellt, der mit den hiesigen Bewohnern vertraut war und ihre Sprache sprach. Im Gegenzug sollte der menschliche Wächter verhindern, dass sein elfischer Partner Selbstjustiz verübten. Auch wenn es hin und wieder ein paar unglückliche Missverständnisse gab, war es doch eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit, die viele Vorurteile zwischen den Rassen abbaute.“

Ellanas Augen leuchteten. Sie war so stolz darauf gewesen, als man sie in die Wache aufgenommen hatte.

„Es war das erste Mal überhaupt, dass man Elfen einen Platz in der Wache gewährt hat. Mittlerweile patrouillieren sie auch in anderen Teilen der Stadt und allmählich gewöhnen sich die Menschen an ihren Anblick... Denerim ist in den letzten zehn Jahren sehr viel offener geworden. Es gibt noch immer viele Konflikte, und ich erfuhr trotz meiner menschlichen Partnerin manchmal noch immer Anfeindungen,  aber der Fortschritt ist dennoch unaufhaltsam.“

Darüber zu sprechen hatte wieder die Sehnsucht aufkommen lassen – nicht nur nach Denerim, sondern auch nach ihrem Leben dort. Ein Leben, das sie in dieser Form nie wieder führen würde.

Ellana schüttelte seufzend den Kopf.

„Das ist beeindruckend“, meinte Vivienne, und es war kein Sarkasmus in ihrer Stimme, sondern ehrliches Erstaunen. „Ich hatte gehört, dass der König und die Königin Fereldens sich für viele solcher Projekte eingesetzt hatten, aber es ist das erste Mal, dass ich einen persönlichen Erfahrungsbericht höre.“

„Ich habe auch davon gehört“, sagte Cassandra und nickte. „Die Kommandantin der Stadtwache von Kirkwall war davon so begeistert, dass sie überlegt hatte, das Experiment ebenfalls durchzuführen, um die bisherigen starren Strukturen etwas zu lockern.“ Sie senkte die Stimme. „Andraste allein weiß wie bitter nötig Kirkwall es hätte.“

„Das war die Idee“, entgegnete Ellana mit einem Lächeln. „Anderen ein Vorbild zu sein. Es freut mich, dass es uns gelungen ist.“

„Nun, das erklärt auch Euren Umgang mit dem Schwert“, meinte Varric und grinste. „Cullen sagte mir, dass Ihr ganz schön schmutzig kämpft.“

„Hat er das?“ Sie konnte spüren, wie ihre Ohren heiß wurden.

„Er schien sehr beeindruckt“, erwiderte Varric. „Ihr scheint während Eurer Zeit bei der Wache eine Menge nützlicher Tricks aufgeschnappt zu haben.“

„Nun...“ Ellana senkte verlegen den Blick. „Meine menschliche Partnerin – Delilah war ihr Name – brachte mir vieles bei. Ihr müsst verstehen: bevor ich der Wache beitrat, hatte ich noch nie im Leben ein Schwert in der Hand. Und ich hatte vieles gutzumachen für meine mangelnde Körpergröße. Fairness in einem Kampf gegen mehrere ausgewachsene Männer war darum leider nicht immer eine Option...“

„Oh, davon kann ich ein Lied singen“, entgegnete Varric und winkte nur ab. Ellana musste lachen.

„Ihr müsst Eurer Partnerin sehr dankbar sein“, sagte Cassandra. „Wisst Ihr, wo sie jetzt ist?“

Schlagartig erstarb das Lächeln auf Ellanas Lippen.

Delilah.

Oh, sie wusste, wo sie war. Und sie würde auf ewig dankbar dafür sein, dass sie ihren verbrannten Leichnam nie hatte sehen müssen.

„Sie war wie ich Teil der Eskorte, die die Ehrwürdige Mutter der Kirche von Denerim zum Tempel der Heiligen Asche begleitet hat“, erzählte sie leise. „Was dann passierte... das wisst Ihr.“

Stille legte sich über die kleine Gruppe.

„Ich hatte nicht-... Bitte verzeiht mir.“ Cassandra schüttelte bedauernd den Kopf und seufzte. „Ich habe Euch durch meine unüberlegte Frage Schmerz zugefügt.“

„Das konntet Ihr nicht wissen“, erwiderte Ellana sanft.

Doch ihr Lächeln kehrte für den Rest der Unterhaltung nicht wieder zurück.

 

Das Gespräch mit den überlebenden Mitgliedern der Kirche verlief nicht so, wie gehofft, und die kurze Begegnung mit den Templern eröffnete nur mehr neue Fragen.

„Etwas stimmt nicht mit den Templern“, sagte Cassandra, nachdem Lordsucher Lucius mit seinen Anhängern den Sommerbazar verlassen hatte. „Lucius ist nicht mehr derselbe Mann, den ich in Erinnerung habe. Wir sollten vorsichtig sein.“

Ellana stimmte ihr zu. Sie hatte geahnt, dass der Dialog mit der Kirche schwierig werden würde, doch obwohl sie sich im Vorfeld innerlich dagegen gewappnet hatte, hatten sie manche der Bemerkungen dennoch tief getroffen.

‚Ihr wollt die Heroldin Andrastes sein? Eine Elfe?‘

Delilah hatte ihr die Lehren Andrastes nähergebracht, nachdem sie der Wache beigetreten war, und obwohl Ellana sich nicht als gläubig bezeichnen würde, verstand sie doch, weshalb das Wort der Prophetin so vielen Menschen Hoffnung gab.

Es waren gute und wichtige Grundsätze, nach denen zu leben einer Person Frieden bringen konnte. Sie musste nur an Cullen denken, den sie so oft bei den täglichen Messen mitbeten sah, völlig versunken in seine Rezitation des Gesangs des Lichts. Dieser Mann hatte Schreckliches durchstanden, das spürte sie, doch die Worte Andrastes gaben ihm die Kraft, um weiterzumachen.

Die Kirche war eine Macht, die nicht zu unterschätzen war, und die sich mit ihr als Heroldin von Andraste vielleicht auch allmählich den anderen Rassen öffnen würde. Zumindest war dies eine Chance, die sie nicht ungenutzt lassen konnte.

„Mit den Templern auf unserer Seite wird uns auch die Kirche freundlicher gesinnt sein“, sagte sie, als sie später am Nachmittag Val Royeaux den Rücken kehrten.

„Ich denke, wir sollten uns zuerst um Lucius und den Orden kümmern.“

Cassandra nickte, offenbar froh darüber, dass sie diese Entscheidung getroffen hatte.

Varric hingegen schien wenig begeistert. Vivienne schenkte ihr jedoch ein Lächeln.

„Was auch immer die Magierrebellen in Redcliffe planen, sollte nicht ignoriert werden“, sagte sie. „Doch die Templer als Verbündete zu gewinnen, ist ebenso wichtig. Ich denke, Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen, meine Liebe.“

„Ich danke Euch, Madame Vivienne“, erwiderte Ellana, erfreut und erleichtert über ihren Zuspruch.

„Lasst uns also zunächst nach Haven zurückkehren“, fuhr sie fort und richtete den Blick wieder nach vorn. „Danach werden wir Therinfals Schanze einen Besuch abstatten und dieses Mysterium hoffentlich klären können...“

Dorian

Die Sonne berührte noch nicht einmal den Horizont, als Dorian Redcliffe schließlich erreichte.

Es war ein entspannter Marsch gewesen und er war auf der Straße nur wenigen Menschen begegnet. Die dicke, blaue Tunika, die das Paar ihm geschenkt hatte, mochte zwar nicht sein modischstes Kleidungsstück sein, doch sie hatte ihn wie erhofft trocken – und vor allem warm – gehalten, und Dorian hatte den Bauersleuten innerlich noch unzählige weitere Male für ihre Großzügigkeit gedankt. Die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen, um neugierigen Blicken auszuweichen, war er der Straße gefolgt, die am Ufer des Sees entlanggeführt hatte und schon bessere Tage gesehen hatte. Dorian hatte bei seiner Wanderung lange überlegt, ob sie einst Teil des imperialen Straßennetzes gewesen war, das in der Vergangenheit ganz Thedas umspannt hatte, doch sie war in zu schlechter Verfassung gewesen, um es mit Sicherheit sagen zu können.

Redcliffe stellte sich als kleine, aber sehr lebendige Stadt heraus. Es wurde schnell offensichtlich, dass die vielen Magier, die sich hier versammelten, die Kapazitäten der Stadt bei weitem überstiegen. Für Dorian stellte ihre Menge einen Vorteil dar, schenkte man einem weiteren Wanderer mit Stab doch keine Beachtung. Er fragte sich jedoch, wo sie alle untergebracht waren, und wie lange die Bürger von Redcliffe diese Invasion abtrünniger Magier noch hinnehmen würden.

Während er sich auf einer Bank am Ufer des Sees ausruhte, hungrig von seiner Reise, aber auch voller Tatendrang, und überlegte, wie er Felix in diesem Chaos finden sollte, hörte er hinter sich plötzlich eine leise, nur allzu vertraute Stimme.

„Bitte sagt mir, dass das Euer Stab ist und Ihr ihn nicht einem anderen Mann abgenommen habt.“

„Felix!“ Dorian war so überrascht, dass ihm für einen Moment die Worte fehlten.

Stattdessen machte er Anstalten, sich umzudrehen, doch er hielt inne, als der andere ein warnendes Geräusch von sich gab.

„Sieh mich nicht an!“, sagte er. „Ich habe nicht viel Zeit, und ich weiß nicht, ob ich beobachtet werde. Bleib ruhig sitzen, als wärst du völlig unbeteiligt. Für einen Außenstehenden sollen wir wie zwei Fremde wirken.“

Das sagte sich leicht, wenn alles in Dorian danach schrie, sich umzudrehen und seinen lange vermissten Freund in die Arme zu schließen. Doch er konnte sich beherrschen und nickte stattdessen.

„Gut“, fuhr Felix fort, Erleichterung in der Stimme. Dann wurde sein Tonfall sanfter.

„Ich hatte gehofft, du würdest kommen. Du glaubst nicht, wie gut es tut, dich zu sehen, mein Freund. Es gab in den letzten Monaten keinen Tag, an dem ich dich nicht vermisst habe.“

Dorian schloss die Augen. Tränen brannten in seinen Augenwinkeln.

„Und ich dich“, erwiderte er mit rauer Stimme. „Du glaubst nicht, was dein plötzliches Verschwinden-... du glaubst nicht, was das mit mir gemacht hat.“

„Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe“, wisperte Felix und Dorian konnte an seiner Stimme hören, dass er ebenso ergriffen war.

Doch dann schien er sich einen Ruck zu geben und räusperte sich.

„Wir können uns morgen ausführlicher unterhalten“, sagte er. „Komm bei Sonnenaufgang zur Kirche, dann werde ich dir alles erzählen. Versuche bis dahin die Stadt zu meiden, hier bist du nicht sicher. Es gibt vor Redcliffe eine Reihe verlassener Gehöfte, schlage am besten dort dein Nachtlager auf.“

Er holte zitternd Luft. „Bis dann, mein Freund.“

Und dann war er ebenso lautlos wieder verschwunden, wie er an ihn herangetreten war.

Dorian saß noch für mehrere Minuten wie versteinert auf der Bank. Er hatte sich ihr Wiedersehen auf tausend verschiedene Arten ausgemalt, von einer tränenreichen Begrüßung bis hin zu verbitterten Wortgefechten. Doch jetzt, wo er Felix tatsächlich wiedergefunden hatte, waren seine Gedanken plötzlich wie leergefegt, und er erkannte, dass er nicht über diesen Zeitpunkt hinaus geplant hatte.

Doch hier konnte er auch nicht bleiben, und schließlich gab er sich einen Ruck und erhob sich von der Bank.

Der Hunger machte ihm mittlerweile schwer zu schaffen und für einen Moment spielte Dorian mit dem Gedanken, die Tunika auf dem Markt zu verkaufen, um sich wenigstens ein warmes Abendessen leisten zu können. Doch dann verdrängte er den Gedanken wieder, beschämt darüber, dass er in Betracht zog, das Vertrauen der beiden Alten auf diese Weise mit Füßen zu treten, und kehrte stattdessen Redcliffe den Rücken, so wie Felix es ihm geraten hatte.

In einem halbverfallen Bauerngehöft mehrere Kilometer vor der Stadt fand er auf dem Dachboden schließlich einen trockenen Ort zum Schlafen. Der Garten des Hofes war verwildert, doch Dorian hatte Glück und entdeckte im abendlichen Dämmerlicht einen Walnussbaum, der reiche Ernte trug. Mit einer Tasche voller Walnüsse zog er sich auf den Dachboden zurück und begann im grünen Licht eines Schleierfeuers die Nüsse zu knacken und hungrig zu verspeisen. Es war kein Ersatz für eine vollwertige Mahlzeit, doch für den Moment war zumindest sein gröbster Hunger gestillt, und wenig später schlief er erschöpft ein.

Sein Schlaf sollte zum ersten Mal seit langem traumlos sein.

Als Dorian wieder erwachte, war es noch immer dunkel. Müde suchte er seinen Sachen zusammen und schwang seinen Beutel über die Schulter, bevor er den Dachboden verließ. Am Horizont tauchten die ersten Sonnenstrahlen den Himmel in ein zartes Rot, als er ins Freie trat, und nach einem kurzen Frühstück aus Walnüssen und einigen überreifen Birnen, die er nach etwas Suchen ebenfalls im Garten entdeckte, machte er sich gestärkt wieder auf den Weg nach Redcliffe.

Etwas war jedoch anders an diesem Morgen und es dauerte eine Weile, bis Dorian erkannte, was es war. Die Natur um ihn herum schien zu neuem Leben erwacht zu sein und der Gesang der Vögel war so fröhlich und unbeschwert, wie er ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Es war, als traute sich die Welt wieder freier zu atmen, und als Dorian nach einer Weile auf einer Lichtung zwischen den Bäumen stehenblieb und sich umdrehte, erkannte er schließlich, wieso.

Der Riss im Himmel war verschwunden.

Lediglich ein feines, grünes Flimmern in der Luft zeugte davon, dass er existiert hatte, so als hatte der Himmel selbst eine Narbe davongetragen. Doch der Riss war geschlossen, unwiderruflich, und mit ihm war der stete Strom von Alpträumen und Dämonen, die sich aus dem Nichts in diese Welt gedrängt hatten, zum Erliegen gekommen.

Was auch immer die Inquisition getan hatte, sie war erfolgreich gewesen.

Mit neuem Mut setzte Dorian seinen Weg fort.

In Redcliffe herrschte trotz der frühen Stunde bereits ein reges Treiben. Gruppen von Magiern debattierten auf offener Straße miteinander und deuteten dabei immer wieder zum Himmel über den Bergen empor, wo sich noch am Abend zuvor der Riss geöffnet hatte. Dorian konnte ihre Worte jedoch nicht verstehen und wusste nicht, weshalb sie stritten. Er schlich durch die Hintergassen, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, während er sich Stück für Stück der Kirche näherte.

Schließlich gelang es ihm, unbemerkt durch einen Seiteneingang in das leerstehende Kirchengebäude zu schlüpfen – nur um entsetzt nach seinem Stab zu greifen, als sich mitten im Raum ein grüner Riss vor ihm auftat. Während er hastig auf die Magie in seinem Körper zugriff und mit der Hand bereits den ersten Feuerball formte, begann der Riss jedoch plötzlich zu flackern und sich nach und nach aufzulösen.

Dorian blinzelte. Es war nur eine Illusion.

„Ich streue seit ein paar Tagen das Gerücht, dass sich in der Kirche ein Riss geöffnet hat“, sagte Felix, der in diesem Moment aus dem Schatten einer Säule trat. „Seitdem hat sich niemand mehr hierher gewagt.“

Dorian lachte auf. „Kein Wunder. Du hast mir eben mit diesem Trick eine Heidenangst eingejagt.“

Felix schmunzelte. „Wenn die Illusion sogar dich überzeugen konnte, dann muss sie gut sein. Ich sollte mir auf die Schulter klopfen.“

Er wollte noch mehr sagen, doch er kam nicht dazu, denn in diesem Moment trat Dorian auf ihn zu und zog ihn in eine feste Umarmung.

„Oh Felix... Felix“, raunte Dorian, während seine Hände ruhelos Felix‘ Rücken entlangwanderten, als müsste er sich davon überzeugen, dass sein Freund tatsächlich hier war, bei ihm. „Du glaubst gar nicht, wie sehr...“ Er unterbrach sich. „Ich dachte, ich würde dich nie–“

„Ich weiß“, murmelte Felix jedoch nur, der sich ebenso haltsuchend an ihn klammerte. „Ich weiß...“

Für eine Weile standen sie engumschlungen da, während die Erleichterung darüber, dass sie sich wiedergefunden hatten, sie den Rest der Welt für einen Moment vergessen ließ.

Schließlich wischte sich Dorian mit einer Hand über die Augen und schob seinen Freund wieder auf Armlänge von sich, um ihn anzublicken. Was er sah, beunruhigte ihn jedoch und erfüllte sein Herz mit Gram.

„Verzeih mir die Offenheit“, sagte er und schenkte dem anderen ein halbherziges Lächeln, „aber du siehst grauenhaft aus.“

Felix seufzte. Er hatte in den letzten Monaten sichtbar an Gewicht verloren und selbst seine weite Robe konnte nicht verbergen, wie ausgemergelt er war. Seine Haut hatte einen fahlen, grauen Ton angenommen, und seine Wangen waren eingefallen. Wäre nicht das Feuer in seinen dunklen Augen gewesen, Dorian hätte gedacht, er würde einem Toten gegenüberstehen.

„Fang du nicht auch noch damit an“, entgegnete Felix und erwiderte das Lächeln schwach. „Es reicht, wenn mein Vater mich rund um die Uhr bemuttert, ich muss diese Dinge nicht auch noch von meinem besten Freund hören.“

„Natürlich.“ Dorian senkte den Blick und nickte. „Verzeih mir. Du bist sicher ein großes Risiko eingegangen, um dich hier mit mir zu treffen; so viel Respekt sollte ich dir schuldig sein.“

„Du schuldest mir nichts, Dorian“, sagte Felix sanft. „Du bist aus Tevinter hierhergekommen, um mich zu finden, nachdem ich dich ohne ein Wort verlassen habe...“

„Ich habe deinen Brief gelesen.“ Dorian sah wieder auf. „Stimmt es? Was du über deinen Vater geschrieben hast?“

„Leider ja.“ Felix wandte sich ab und fuhr sich seufzend mit einer Hand über den Kopf. „Und es ist noch schlimmer, als ich gedacht hätte. Der Einfluss der Venatori reicht weiter, als ich je befürchtet hatte, und die Verbrechen, die sie begangen haben... oh, Dorian, ich finde keine Worte dafür.“

Dorian verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig, bis sein Freund sich wieder beruhigt hatte und fortfuhr.

„Ihr Anführer ist ein... Wesen, das sich der ‚Älteste‘ nennt. Ich glaube, er war einst ein Mensch – ein Magister, um genau zu sein – doch was auch immer menschlich an ihm war, ist schon vor langer Zeit gestorben. Jetzt ist er nur noch ein Monster.“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, als befürchtete er, der Älteste könnte ihn hören.

„Seitdem es der Inquisition letzte Nacht gelungen ist, den Riss zu schließen, tobt er“, erzählte Felix. „Er hat die ganze Nacht damit zugebracht, die Magier zu mobilisieren, damit sie gegen die Inquisition in den Krieg ziehen. Dabei werden sie von einer Frau namens Calpernia angeführt, die eng mit dem Ältesten zusammenarbeitet.“

Felix trat an Dorian heran und griff nach seinen Handgelenken, die er mit überraschend starken Fingern umfasste.

„Du bist gerade im richtigen Moment gekommen, Dorian.“ Seine Augen musterten den anderen intensiv. „Die Magier werden im Laufe des Tages nach Haven aufbrechen – und jemand muss die Inquisition warnen. Wenn die Heroldin Andrastes erst tot ist, wird der Älteste einen neuen Riss im Himmel öffnen und ganz Thedas ins Verderben stürzen.“

Dorian starrte ihn an. Er konnte nicht glauben, was sein Freund ihm damit sagen wollte.

Ich soll die Inquisition warnen“, sagte er mit tonloser Stimme. „Nachdem ich dich gerade erst wiedergefunden habe, soll ich ein Wettrennen gegen die Zeit beginnen, in dem das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel steht...?“

„Dorian, hör mich an! Ich weiß, du bist anderer Meinung, aber ich bin nicht wichtig. Das hier, das ist wichtig!“ Felix‘ Stimme war eindringlich. „Würde es mir körperlich besser gehen, hätte ich mich schon längst selbst auf den Weg gemacht. So hingegen bleibt mir nur, dich anzuflehen, es an meiner statt zu tun, und zu hoffen, dass du mir eines Tages vergeben kannst...“

„Oh Felix“, murmelte Dorian. „Das habe ich doch schon längst getan...“

Er zog seinen Freund an sich und presste einen trockenen Kuss auf seine Lippen.

„Versprich mir, dass du am Leben bleibst, bis all das hier vorüber ist, hast du verstanden?“ Seine Stimme war rau.

„Ich danke dir, Dorian.“ Felix schloss die Augen.

Dorian hob die Hand und wischte mit dem Daumen sanft die Tränen weg, die über die Wangen seines Freundes liefen. Dann küsste er ihn erneut.

„Leb wohl, Felix.“

„Leb wohl, Dorian.“

Und das war alles, was Dorians Herz ertrug, bevor er sich ruckartig abwandte, um die Kirche zu verlassen, wohlwissend, dass er alle Pläne über Bord werfen und sofort zu Felix zurückkehren würde, sollte er sich nur einmal umdrehen.

Doch er drehte sich nicht um.

Während er Redcliffe hinter sich ließ und den langen, steinigen Weg nach Haven betrat, hatte er das Gefühl, dass dies das letzte Mal gewesen war, dass er Felix Alexius gesehen hatte.

Dorian betete, dass er sich irrte.

Cullen

Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge.

Lavellan kehrte mit beunruhigenden Neuigkeiten aus Val Royeaux zurück, doch sie wirkte gefasst und entschlossen, als sie verkündete, dass sie den seltsamen Geschehnissen nachgehen und die Templer in Therinfals Schanze aufsuchen würde, um Lordsucher Lucius erneut zu konfrontieren und dem Orden eine Zusammenarbeit mit der Inquisition vorzuschlagen.

Obwohl Cullen ihren Vorschlag voll und ganz unterstützte, hatte er doch ein mulmiges Gefühl bei der Sache.

Die Templer in Haven aufzunehmen würde eine Verschärfung der Aufsicht und der Verhaltensregeln erfordern, damit eine friedliche Koexistenz mit den bereits anwesenden Magiern gewährleistet werden konnte. Auch würde die Inquisition deutlich mehr Lyrium importieren müssen, damit die Templer ebenfalls versorgt werden konnten, und es war bereits jetzt schon schwierig genug, die von den Inquisitionsmagiern benötigten Mengen an Lyrium zu beschaffen.

Hinzu kam die Möglichkeit, dass manch ein Templer ebenfalls beschließen würde, seiner Lyriumsucht ein Ende zu setzen und auf Entzug zu gehen, und Cullen hatte keine Ahnung, wie er andere darin unterstützen sollte, wenn ihm schon sein eigener Entzug so sehr zu schaffen machte.

Er wandte sich an Josephine, um einige der Problematiken mit ihr zu besprechen, und sie versprach ihm, dass sie sämtliche Beziehungen spielen lassen würde, um sowohl Templern als auch Magiern eine ausreichende Menge an Lyrium zur Verfügung zu stellen.

Was den Umgang mit möglichen Entzugskandidaten anging, hatte sie noch keine Idee, aber sie versicherte Cullen, dass sie über das Problem nachdenken würde.

„Ich denke, das Beste wird vorerst sein, wenn Ihr weiterhin mit gutem Beispiel vorangeht, Kommandant“, sagte sie. „Die Männer beobachten Euch, und sie schätzen Euch. Eure Taten spornen sie dazu an, bessere Kämpfer zu sein... und bessere Menschen.“

„Das...“ Cullen spürte, wie seine Wangen warm wurden. „Denkt Ihr nicht, das ist ein bisschen weit hergeholt...?“

Josephine lächelte. „Ihr seht Euch selbst nicht mit den Augen der anderen, aber glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass Ihr den Respekt der Truppen habt, und dass sie, solltet Ihr je das Wort an sie richten, Euren Wünschen nachkommen werden.“ Sie sah ihm offen ins Gesicht. „Loyalität wie diese ist oft mehr wert, als strikte Befehle von oben, das wisst Ihr ebenso gut, wie ich.“

Cullen nickte, in der Hoffnung, dass sie ihm seine Überraschung nicht zu sehr ansah. Er war in den letzten Monaten so sehr in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, wie andere ihn sahen. Sicher, er hatte gewusst, dass sie Achtung vor ihm hatten, aber das hatte er allein auf seinen Rang geschoben, und ganz sicherlich nicht auf seine gewinnende Persönlichkeit. Dass er einen solchen Eindruck hinterlassen hatte, wäre ihm darum niemals in den Sinn gekommen. Alles, was für ihn gezählt hatte, war die Truppen zu trainieren, und für ein Mindestmaß an Disziplin und Ordnung innerhalb der stetig wachsenden Inquisitionsarmee zu sorgen...

Auf dem Rückweg in sein Quartier begann der Name auf seinem Handgelenk plötzlich zu brennen. Es war bereits das vierte Mal in den letzten Tagen, dass dies geschah, und wie die letzten Male verging das Gefühl nach wenigen Sekunden wieder. Cullen fragte sich, ob es ein Omen war, dass der Name auf seiner Haut, an den er fast dreißig Jahre lang nie einen Gedanken verschwendet hatte, ausgerechnet in dieser chaotischen Zeit zum Leben erwachte.

Wo bist du, Dorian?, dachte er, während er seine Rüstung für diesen Tag ablegte und in bequemere Sachen schlüpfte. Bist du ebenfalls in diesen unseligen Krieg verwickelt? Oder bist du noch immer in Tevinter, behütet und unbesorgt, fernab von all diesem Wahnsinn...?

Seitdem der Name zum ersten Mal erwacht war, waren seine Gedanken oft um den Mann gekreist, der für ihn bestimmt war.

Er nahm schon seit einer Weile keinen Anstoß mehr daran, dass sein Seelenpartner männlich war. Tief im Inneren hatte Cullen schon immer geahnt, dass sein Interesse in beide Richtungen lief, er hatte seiner Neugier nur nie nachgegeben, da das Templerleben all seine Aufmerksamkeit gefordert hatte und er stets mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war.

Doch wenn er jetzt durch das Lager schritt, fiel ihm manchmal auf, dass nicht nur die Blicke vieler weiblicher Rekruten, sondern auch die einiger Männer auf ihm ruhten, und er hatte schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, der Versuchung nachzugeben und einen davon mit in sein Bett zu nehmen.

Niemand hätte ihm diese Entscheidung zum Vorwurf gemacht; schließlich war auch er nur ein Mann, der Bedürfnisse hatte, und zu sehen, dass ihr Kommandant sich einem solch menschlichen Akt hingab, hätte ihm vermutlich sogar die Sympathien der Truppen eingebracht.

Doch etwas hinderte Cullen daran: der Name auf seinem Handgelenk.

Und obwohl er wusste, dass es lächerlich war, und dass er diesem Fremden nichts schuldig war – am wenigsten von allem Treue – konnte er sich doch nicht dazu überwinden, sich einen anderen Partner zu nehmen.

Wer auch immer du bist, dachte er, als er sich an diesem Abend zur Ruhe legte und sein Handgelenk gegen die Lippen presste, ich hoffe, du bist es wert.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufblicken. Er hatte keinen Besuch erwartet.

„Cullen?“, hörte er eine leise Stimme. „Bist du da?“

Es war Cassandra.

Cullen überlegte für einen Moment, ob er sie ignorieren und sich schlafend stellen sollte, doch dann schämte er sich für seine Feigheit und setzte sich seufzend auf.

„Herein“, sagte er, nachdem er sich ein Hemd übergestreift hatte.

Cassandras Augen weiteten sich kurz, als sie ihn auf seinem Bett sitzen sah, doch dann trat sie entschlossen in sein Zimmer, ein Tablett in der Hand.

„Die Bediensteten in der Küche teilten mir heute mit, dass sie dich seit Tagen nicht mehr gesehen haben“, erzählte sie, während sie das Tablett auf dem kleinen Tisch neben dem Bett absetzte. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“

Der würzige Geruch von Eintopf und frischgebackenem Brot stieg Cullen in die Nase und sein Magen erinnerte ihn plötzlich mit einem Grollen daran, wie hungrig er war.

„Zu lange, wie mir scheint“, beantwortete Cassandra trocken ihre eigene Frage, als sie das Geräusch hörte.

„Ich war beschäftigt“, erwiderte Cullen, weil es die Wahrheit war, aber er sah sie nicht an, als er nach der Schale mit Suppe griff und sie hungrig auszulöffeln begann.

Cassandra sah ihm eine Weile schweigend beim Essen zu, dann schüttelte sie den Kopf.

„Wir haben darüber gesprochen, Cullen“, sagte sie. „Die Kopfschmerzen sind eine Sache. Ich kann dich mit Heiltränken versorgen, wann immer du welche brauchst. Aber ich kann dich nicht auch noch jeden Tag ans Essen erinnern, ich habe selbst genug zu tun. Du musst diesen Teil auch irgendwann ohne mich schaffen.“

Cullen stockte und starrte zu Boden.

„Der Hunger hilft“, entgegnete er leise, als würde er ihr ein Geheimnis anvertrauen – als würde sie nicht schon all seine finsteren Geheimnisse kennen. „Hunger, Müdigkeit, Schmerz... sie machen den Entzug erträglicher.“

„Ich weiß“, sagte Cassandra sanft. „Und ich verstehe, dass du tust, was du tun musst, um das durchzustehen. Aber Cullen... du hilfst niemandem, wenn du nicht wenigstens von Zeit zu Zeit auf dich selbst achtgibst.“

Cullen aß langsam weiter.

„Ich helfe der Inquisition“, erwiderte er. Der Einwand klang selbst in seinen Ohren kindisch.

Cassandra verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn scharf an.

„Das ist eine Lüge, und ich denke, das weißt du selbst.“

Daraufhin sagte er nichts mehr, sondern konzentrierte sich wieder auf sein Essen. Erst, als er alles aufgegessen und die leere Schale wieder auf das Tablett gestellt hatte, sah er erneut zu ihr auf.

„Danke“, sagte er mit ruhiger Stimme.

Cassandra seufzte auf und machte eine Geste, die alles oder nichts bedeuten konnte. Sie wollte gerade nach dem Tablett greifen, als Cullen fragte:

„Der Name auf deinem Handgelenk... hat er dir jemals Schmerzen bereitet? Als ob er brennen würde?“

Cassandra erstarrte und warf ihm einen undeutbaren Blick zu, als versuchte sie zu ergründen, worauf er hinauswollte.

„Einmal, vor langer Zeit“, erwiderte sie schließlich. „Der Name brannte fast eine Minute lang. Wie ich später herausfand, war mein Partner zu dieser Zeit gerade in einer... schwierigen Lage gewesen.“

Ein gramerfüllter Ausdruck huschte über ihr Gesicht, doch er war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Dann zogen sich ihre Augenbrauen besorgt zusammen.

„Schmerz ist nie ein gutes Zeichen, Cullen“, fuhr sie fort. „Weißt du, ob deine Partnerin–“

„Ich weiß nicht, wer sie ist oder wo sie sich aufhält“, unterbrach er sie jedoch nur, ohne sie in Bezug auf das Geschlecht seines Partners zu korrigieren, und schüttelte den Kopf. „In letzter Zeit hat der Name mehrmals kurz gebrannt und ich habe mich gefragt, ob ich mir Sorgen machen muss.“

Cassandra senkte den Blick und griff nach dem Tablett.

„Das musst du erst, wenn er weiß wird“, sagte sie leise. Dann schloss sie für einen Moment die Augen.

„Verzeih mir“, sprach sie, als sie sie wieder öffnete, und schenkte Cullen ein kurzes Lächeln. „Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich bin mir sicher, deiner Partnerin geht es gut.“

Cullen erwiderte das Lächeln, satt und ein wenig entspannter, als zuvor.

„Danke Cassandra“, wiederholte er.

Sie nickte ihm nur wortlos zu, dann wandte sie sich ab und ging.

Erst nachdem sie verschwunden war, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag in die Magengrube.

Das musst du erst, wenn er weiß wird.

Cassandras Partner war tot. Sie hatte es ihm vor langer Zeit einmal erzählt und Cullen musste es danach wieder vergessen haben, doch die kurze Unterhaltung hatte die Erinnerung wieder ans Licht geholt.

Der Moment, in dem der Name auf ihrem Handgelenk gebrannt hatte, musste der Moment gewesen sein, in dem er gestorben war. Es war so offensichtlich gewesen in der Art, wie sie auf seine Frage reagiert hatte, doch Cullen hatte es nicht gesehen. Jetzt hätte er sich für seine unsensible Art am liebsten geohrfeigt.

Er starrte auf das Lederband an seinem Handgelenk herab. Wenn das Brennen des Namens bedeutete, dass Dorian in Gefahr war, dann sollte er vielleicht die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sein Partner starb, bevor Cullen je die Gelegenheit bekam, ihn kennenzulernen.

Und für einen Moment wusste er nicht, ob er erleichtert oder besorgt sein sollte.

 

Das Bündnis mit den Templern in Therinfals Schanze war ein voller Erfolg. Nur mit einer Sache hatte Cullen nicht gerechnet.

„Auf keinen Fall!“, sagte er scharf, als er die Kirche verließ, die Heroldin an seiner Seite. „Ein solches Risiko können wir nicht eingehen!“

Lavellan setzte ihre unschuldigste Miene auf, und er wusste in diesem Moment, dass er diesen Kampf nicht gewinnen würde. Doch seine Sturheit trieb ihn dazu, es trotzdem zu versuchen.

„Er ist nur ein Junge“, entgegnete sie. „Ich gebe zu, er ist etwas eigen, aber alles, was er will, ist helfen...“

„Er ist ein Dämon!“ Cullen musste sich zwingen, seine Stimme nicht zu sehr zu erheben, wenn nicht das halbe Dorf ihr Gespräch mit anhören sollte. „Was, wenn er einen der Magier in eine Abscheulichkeit verwandelt und unsere Leute angreift?“

„Das würde ich niemals tun!“, mischte sich der Dämon – Cole – ein, der sich genau in diesem Moment aus dem Nichts materialisierte. Sein Tonfall klang gleichermaßen empört wie entsetzt.

„Seht Ihr?“, sagte Lavellan, als wäre das Problem damit erledigt. „Das würde er nicht tun.“

„Und das glaubt Ihr ihm so einfach?“ Cullen konnte es nicht fassen. „Ein Dämon würde seine eigene Mutter verkaufen, wenn es ihn retten würde!“

„Ich bin kein Dämon!“, protestierte Cole. „Und ich habe keine Mut–“

„Du“, sagte Cullen und seine Augen verengten sich, als er den Jungen ansah, „bist für einen Moment still und unterbrichst mich nicht ständig! Mit dir rede ich später.“

Während Cole sich mit einem vorwurfsvollen Blick wieder in Luft auflöste, sah Cullen die Heroldin an, die sich mittlerweile ein Lachen verkneifen musste. „Ellana, ich bitte Euch...!“

„Cole war in meinem Kopf, und er hätte viele Dinge anrühren können, die ihn nichts angingen. Doch er tat es nicht.“ Lavellan sah ihn herausfordernd an. „Sagt mir, Cullen – welcher Dämon tut so etwas? Welcher Dämon erweist demjenigen, von dem er Besitz ergreift, so viel Respekt? Ganz davon abgesehen,  dass Cole mein Mal für seine eigenen Zwecke hätte verwenden können, wenn er gewollt hätte. Doch auch das hat er nicht getan.“

Cullen starrte sie an. „Und deshalb vertraut Ihr ihm?“

„Deshalb vertraue ich ihm“, bestätigte sie.

Cullen gab auf.

„Ich kann nicht glauben, dass ich das zulasse“, murmelte er und senkte den Blick.

„Cullen“, sagte sie und legte sanft eine Hand auf seinen Arm. „Wenn die Inquisition nicht der Ort für einen Neubeginn ist, an dem selbst Geister wie Cole die Möglichkeit haben, Gutes zu tun... dann sagt mir: was ist sie dann?“

Seufzend fuhr sich Cullen mit der freien Hand durch die Haare und nickte schließlich.

„Na schön“, sagte er. „Meinetwegen.“

Lavellan schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Cullen versuchte zu widerstehen, doch ihre Freude war so ansteckend, dass er nicht anders konnte, als das Lächeln zu erwidern.

Die Heroldin schien eine Schwäche für exzentrische Charaktere zu haben: Leute, die nirgendwo wirklich dazugehörten, wie man am besten an ihrem inneren Kreis von Gefährten sehen konnte.

Und Cullen fragte sich, wen sie wohl als nächstes von ihren Reisen mitbrachte...

 

Wenige Tage später brachen sie gemeinsam mit den verbündeten Templern zu den Ruinen des Tempels der Heiligen Asche auf, um den Riss zu schließen.

Es war fast schon zu einfach. Lavellan schloss ohne größere Komplikationen das Loch im Himmel mit dem Mal an ihrer Hand, und noch am selben Abend waren sie wieder zurück in Haven und feierten ihren Erfolg. Cullen konnte kaum glauben, dass nach all den Rückschlägen in letzter Zeit endlich mal wieder etwas nach Plan lief.

Vermutlich war er deshalb auch nicht überrascht, als er in dieser Nacht zahllose fackeltragende Gestalten über die östlichen Berghänge strömen sah.

„Könnt Ihr sehen, wer es ist?“, fragte Josephine neben ihm angespannt, die Augen auf die Armee gerichtet, die ins Tal hinabströmte.

Cullen verneinte. „Sie tragen keine Banner.“

Entsetzt sah sie ihn an. „Das ist nicht möglich!“

Ein lautes Geräusch am Tor ließ sie aufblicken. Gleißend helles Licht drang durch den Spalt unter dem Portal, dann wurde es mit einem Mal wieder dunkel.

Cullen und Lavellan tauschten einen Blick.

„Ich würde es sehr begrüßen, wenn jemand das Tor öffnen könnte!“, hörten sie plötzlich eine gedämpfte Stimme von der anderen Seite des Portals.

Lavellan bedeutete den Wachen, das Tor zu öffnen.

Auf dem Platz davor kniete, umgeben von den reglosen Körpern von einem Dutzend Kriegern unidentifizierbarer Herkunft, ein Mann. Die Luft um ihn herum schien zu kochen und Cullen spürte einen warmen Windhauch im Gesicht, als er nähertrat. Der Fremde war in eine einfache, blaue Tunika gekleidet, die abgetragen wirkte, doch sowohl die goldenen Ringe an seinen Fingern, als auch sein extravaganter Haarschnitt ließen Cullen keinen Moment daran zweifeln, dass er einst sehr wohlhabend war.

Cullen zögerte kurz, dann steckte er sein Schwert wieder weg. Der Fremde war offensichtlich ein mächtiger Magier; wenn er vorgehabt hätte, sie anzugreifen, dann hätte er es schon längst getan.

„Ich bin hier, um Euch zu warnen“, sagte der andere in diesem Augenblick und stützte sich schwer auf seinen Stab, während er sich erschöpft erhob.

Cullen trat zu ihm, als er taumelte, und hielt ihn an der Schulter fest, bevor er umfallen konnte. In dem Moment, in dem er den Mann berührte, begann der Name auf seinem Handgelenk plötzlich zu brennen, und Cullen musste mit aller Macht die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien.

Der Fremde schien davon jedoch nichts zu merken, sondern richtete seinen Blick stattdessen auf Lavellan.

„Mein Name ist Dorian Pavus“, sagte er. „Und ich bringe Neuigkeiten aus Redcliffe.“

Cullens Herz schien stillzustehen.

Er hatte sich geirrt. Es gab doch noch etwas, was ihn überraschen konnte.

Solas

Lethallan.“

Er sah, wie sich ihre Schultern anspannten, als sie seine leise Stimme hörte, doch sie drehte sich nicht um. Seine Schritte verlangsamten sich, bis er schließlich einige Meter von ihr entfernt stehenblieb.

„Ich hatte gehofft, Ihr hättet einen Moment Zeit für mich“, fuhr er behutsam fort.

Unten im Dorf lachten und feierten die Menschen, doch in dem kleinen Garten neben der Kirche war es dunkel und still, und man konnte von hier aus deutlich das schmale, grüne Band sehen, das hoch über den Bergen am Himmel leuchtete – die letzte Erinnerung an den Riss, den sie nicht mal einen halben Tag zuvor endgültig geschlossen hatten.

Seit ihrer Rückkehr nach Haven wirkte Lavellan entspannter, als Solas sie seit langer Zeit erlebt hatte, und er hatte sich vorgenommen, die Gelegenheit zu nutzen, um mit ihr zu sprechen. Schon seit Wochen hatte er das Gefühl, dass sie ihm auswich, und nur selten hatte er sie in dieser Zeit auf ihren Reisen begleiten dürfen. Er konnte sich auf ihre plötzlich so abweisende Art keinen Reim machen, und bald begannen ihm ihre Gespräche zu fehlen, sowie die Neugier und Offenheit, die die Heroldin seinen Erzählungen über Magie und seinen Erlebnissen im Nichts anfangs noch entgegengebracht hatte.

Er hatte lange überlegt, woher der plötzliche Wandel gekommen war, und schließlich hatte er das kurze Gespräch, das er mit Lavellan über das Mal an ihrer Hand geführt hatte, als Auslöser identifizieren können. Er selbst hatte sich bei seinen Antworten auf ihre Fragen nicht viel gedacht, doch im Nachhinein war ihm aufgefallen, wie betroffen und am Boden zerstört sie gewirkt hatte. Doch dann war es schon längst zu spät gewesen, um die Sache aufzuklären.

„Wie kann ich Euch helfen?“, fragte sie schließlich ohne ihn anzusehen.

Der Elf hob besorgt eine Augenbraue. Vielleicht hätte er doch einen anderen Zeitpunkt wählen sollen. Er beschloss, ihr die Dinge zu sagen, die er sich vorgenommen hatte zu sagen, und ihre Ruhe dann nicht weiter zu stören.

„Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen“, entgegnete er. Er wagte einen kleinen Schritt näher, bevor er erneut stehenblieb.

Endlich zeigte Lavellan eine Reaktion.

Sie wandte sich zu ihm herum und sah ihn mit undeutbarem Gesichtsausdruck an.

„Zu entschuldigen“, wiederholte sie. „Wofür?“

„Für die Dinge, die ich zu Euch gesagt habe.“ Er sah sie ruhig an und hielt ihrem Blick stand. „Es liegt schon eine Weile zurück, doch vielleicht erinnert Ihr Euch an das Gespräch, das wir führten, als ich Euer Mal untersuchte.“

Er sah, wie sie die Lippen zusammenpresste, doch sie nickte und von ihrer Reaktion ermutigt fuhr er fort.

„Ihr fragtet mich, ob wir uns schon einmal begegnet seien, und ich verneinte. Danach schient Ihr sehr aufgebracht, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Auch wenn es unbewusst war, habe ich Euch mit meinen Worten sehr verletzt, und ich möchte, dass Ihr wisst, dass es mir leid tut. Falls ich etwas tun kann, um Euren Schmerz zu lindern, dann lasst es mich wissen. Euer Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen, Ellana, und nichts würde mich glücklicher machen, als mich eines Tages wieder zu Euren Vertrauten zählen zu können.“

Als er schließlich verstummte, war Lavellan still. Seine Offenheit schien sie überwältigt zu haben.

Solas starrte auf einen Punkt über ihrer Schulter und wartete für eine Weile auf ihre Antwort... doch es kam keine. Ergeben senkte er den Blick.

„Das war alles, was ich sagen wollte“, meinte er schließlich und deutete eine Verbeugung an, bevor er sich zum Gehen wandte. „Bitte entschuldigt die Störung.“

„... wartet“, drang ihre Stimme plötzlich durch die Stille.

Solas blieb stehen und sah sie an.

Dieses Mal huschten eine Vielzahl von Emotionen über ihr Gesicht, als sie seinen Blick erwiderte. Ihre anfängliche Überraschung wich Unsicherheit, Zweifel, Resignation... und schließlich einer unerschütterlichen Entschlossenheit.

„Ihr habt nichts falsch gemacht“, sagte sie nach einem Moment und trat näher. „Ich ging von falschen Annahmen aus, darum sollte ich diejenige sein, die sich entschuldigt, nicht Ihr. Ich habe Euch zu Unrecht gemieden, und ich hoffe, Ihr könnt mir mein furchtbares Benehmen verzeihen.“

Sie senkte den Blick. „Um ehrlich zu sein, würde ich mich freuen, Euch in Zukunft wieder an meiner Seite zu wissen. Euer Rat und unsere Unterhaltungen haben mir in den letzten Wochen oft gefehlt.“

Eine unerwartete Wärme erfüllte ihn bei diesen Worten.

„Es wäre mir eine Ehre, lethallan“, entgegnete er sanft.

Sie hob den Kopf und sah ihn an, Hoffnung im Blick.

„Solas, ich–“, begann sie.

Plötzlich fingen in der Ferne die Alarmglocken an zu läuten.

Lavellans Kopf fuhr hoch und ihre Hand legte sich auf den Griff ihres Schwertes.

Auch Solas sah auf und blickte in Richtung des Dorfes. Angsterfüllte Rufe hallten durch Haven und besorgt tauschte er einen Blick mit der Heroldin.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren liefen sie Seite an Seite los, um zu sehen, was den Aufruhr verursacht hatte.

 

Solas blieb an Lavellans Seite, als sie Haven gegen die erste Welle von Angreifern verteidigten. Er schützte Cassandra, Varric und sie mit magischen Barrieren und nadelspitzen Eisgeschossen, und für einen Moment fühlte er sich wieder an jene frühen Tage nach der Zerstörung der Tempels erinnert, in denen ihre Gruppe nur aus ihnen bestanden hatte.

Wie viel sich seitdem verändert hatte...

Während er die Magie mit seinem Stab kanalisierte und den Angreifern mit traumwandlerischer Sicherheit Zauber um Zauber entgegenschleuderte, drehten sich Solas‘ Gedanken unaufhörlich um die dunkle Gestalt, die den Kampf aus der Ferne von einer Anhöhe aus beobachtete. Er hätte schwören können, dass Corypheus‘ brennender Blick auf ihm ruhte, und als er sein Bewusstsein weiter öffnete, konnte er den Hass und die verbitterte Entschlossenheit des Ältesten spüren. Nicht zum ersten Mal bereute er den Moment, in dem er beschlossen hatte, dem wiederauferstandenen Magister seinen wertvollsten Besitz anzuvertrauen. Es war nur einer von vielen Fehlern, die er seit seinem Erwachen begangen hatte, doch es war der mit Abstand schwerwiegendste, und selbst mit Hilfe der Inquisition würde es Jahre dauern, bis er seine Auswirkungen beseitigt hatte.

Umso größer war seine Erleichterung darüber, dass Lavellan ihm vergeben hatte. Ohne die Unterstützung der Heroldin würde sich seine Aufgabe sehr viel schwieriger gestalten.

Solas schätzte die junge Frau, auch wenn er sich mit manchen ihrer Entscheidungen, wie etwa dem Bündnis mit den Templern, sehr schwer getan hatte. Doch so entschlossen und stur sie manchmal auch war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, so offen für Neues war sie auch. Und obwohl sie in ihrem bisherigen Leben viele Verluste hatte erleiden müssen, hatte sie sich einen unerschütterlichen Optimismus bewahren können, der nicht nur ihre engsten Freunde, sondern auch die Truppen ansteckte und motivierte, so dass sie ihr in Momenten wie diesen trotz der überwältigenden Übermacht mit grimmiger Entschlossenheit in die Schlacht folgten.

Es war Glück im Unglück gewesen, dass der Anker gerade sie gefunden hatte, und Solas war jeden Tag aufs Neue dankbar dafür. Lavellan vertraute ihm weit genug, dass es leicht war, sie zu beeinflussen – auch wenn er sich dabei von Mal zu Mal unwohler fühlte und die Grenze zwischen dem, was getan werden musste, und dem, was er selbst wollte, jeden Tag mehr zu verschwimmen schien...

 

Der Drache war eine Überraschung, die selbst Solas nicht hatte kommen sehen.

Lavellan und Cullen riefen die Truppen zum Rückzug auf, und nach und nach versammelten sich alle Überlebenden in der Kirche.

Als sie ihr weiteres Vorgehen besprachen, kam es zu einem kurzen, aber heftigen Meinungsaustausch zwischen dem Neuankömmling – Dorian, erinnerte sich Solas – und Cullen, der angespannter und blasser wirkte, als der Elf ihn je erlebt hatte. Die rettende Lösung verdankten sie schließlich Kanzler Roderick, der sich an einen schon lange nicht mehr betretenen Pfad in die Berge erinnerte, über den die Pilger einst nach Haven geströmt waren. Er würde ihnen die sichere Flucht ermöglichen – vorausgesetzt, sie konnten Corypheus und seinen Drachen lange genug ablenken, um den Überlebenden die nötige Zeit zur Flucht zu verschaffen.

Schließlich teilte Lavellan der Runde mit ruhiger Stimme mit, dass sie eines der Katapulte auf die Berghänge oberhalb von Haven richten würde, um das Dorf und sämtliche Angreifer unter einer Lawine zu begraben.

„Seid Ihr sicher, dass Ihr das tun wollt?“, fragte Cullen besorgt. „Wenn Ihr Euch nicht rechtzeitig zurückzieht, könnte dies Euer Ende bedeuten.“

„Wenn ich es nicht tue, wird es unser aller Ende bedeuten“, entgegnete sie nur. Dann wandte sie sich an Solas.

„Ich möchte, dass Ihr mit Cullen geht, lethallin“, sagte sie. Es war das erste Mal, dass sie ihm gegenüber diesen Ausdruck der Vertrautheit verwendete, und Solas‘ Augen weiteten sich unmerklich. „Wir haben nur wenige Heiler, und für die Verwundeten könnte Eure Unterstützung den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.“

Solas nickte. Es missfiel ihm, sich vom Kampf zurückziehen zu müssen und den Anker nicht länger beschützen zu können, doch sie hatte Recht. Die Überlebenden gingen vor.

Lavellan bat an seiner Stelle Vivienne, sie zu begleiten, und gemeinsam mit Varric und Cassandra verließen sie die Kirche, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Dorian sah ihr auf seinen Stab gestützt nach.

„Was für eine bemerkenswerte Frau“, meinte er kopfschüttelnd. „Wenn ich nur wüsste, ob ich ihre Tollkühnheit inspirierend oder besorgniserregend finden soll.“

Cullen warf ihm einen undeutbaren Blick zu, bevor er sich abwandte und einem der Verwundeten auf die Beine half, um sich mit ihm auf den Weg zum Fluchttunnel zu machen.

„Ich sehe, ich habe mir bereits Freunde gemacht.“ Dorian seufzte. Auf seinen Stab gestützt folgte er dem Kommandanten. Jeder Schritt schien ihn große Mühe zu kosten, und es war offensichtlich, dass er am Ende seiner Kräfte war.

„Braucht Ihr Lyrium?“, fragte Solas, der neben ihm herging, für den Fall, dass der andere straucheln und fallen sollte.

„Was ich brauche, mein guter Mann, sind ein warmes Bett und zwei Tage Schlaf“, erwiderte der andere mit erschöpftem Lächeln. Er überlegte für einen Moment und fügte dann hinzu: „Und Wein. Wein ist auch akzeptabel.“

Solas schüttelte nur den Kopf, doch er konnte nicht verhindern, dass sein Mundwinkel bei der Bemerkung zuckte. Was für einen Gewaltmarsch der Tevinteraner auch hinter sich haben mochte, seinen Sinn für Humor hatte er noch nicht verloren.

Sie erreichten die Treppe, die in die Keller hinunterführte, und Dorian stieg sie vorsichtig hinab, gefolgt von Solas. Auf der vorletzten Stufe verlor er jedoch für einen Moment das Gleichgewicht, und der Elf streckte reflexartig die Hand aus, um ihn festzuhalten.

Für einen Moment schien die Welt stehenzubleiben, als eine Welle von Bildern und Eindrücken sein Bewusstsein fluteten.

Über ihm spannte sich das Blätterdach eines endlosen Waldes, dessen Bäume schwarz waren und rote Blätter trugen. Hin und wieder konnte er durch sie hindurch den Himmel sehen, der von einer kränklich orangen Farbe war und von dem heiß eine blaue Sonne auf ihn herabbrannte. Im ganzen Wald rührte sich kein einziges Lebewesen, und es herrschte abgesehen vom Rascheln der Blätter eine fast gespenstische Stille. Nur das Rauschen großer Schwingen war zu hören, doch als er suchend emporblickte, war weit und breit kein Vogel zu sehen. Dennoch hätte er schwören können, den fernen Ruf einer Eule vernommen zu haben.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Weg zuwandte, sah er, wie sich ein roter Bach vor ihm durch das Unterholz wand. Als er nähertrat erkannte er, dass sein Wasser ungewöhnlich dickflüssig war, und ein ekelhaft süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Solas machte einen Schritt zurück, doch das Wasser schien ihm zu folgen, und der Bachlauf trat über die Ufer und wuchs zu einem breiten Strom heran, der bald seine Füße umspülte. Als er fliehen wollte, stellte er jedoch fest, dass er seine Füße nicht bewegen konnte, so als würde das Wasser sie festhalten. Immer höher und höher stiegen die Wogen und umspülten bald seine Knie, dann seine Hüften und schließlich seine Schultern. Solas öffnete den Mund, um einen Hilfeschrei auszustoßen, doch niemand hörte ihn, und das Wasser drang ihm bald auch in Kehle und Lungen. Es war klebrig und schmeckte bitter, und panisch stellte Solas fest, dass er Blut schluckte. Er schloss die Augen und würgte, während seine Lungen brannten, und als er dachte, er würde endgültig das Bewusstsein verlieren...

... wurde er plötzlich mit aller Macht in seinen Körper zurückgeschleudert.

Japsend sank er gegen die feuchte Wand des Kellers und versuchte, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sein Herz pochte rasend schnell und er hätte schwören können, noch immer den ekelhaft süßen Geruch des Blutes in der Nase zu haben.

Dorian lehnte einige Meter entfernt an der Wand und musterte ihn besorgt.

„Geht es Euch gut?“, fragte er leise, als wollte er den Elf nicht verschrecken.

Wer um alles in der Welt SEID Ihr?, wollte Solas fragen, doch als er Dorians verwirrte Miene sah, wurde ihm klar, dass der andere seine Vision nicht geteilt hatte. Was auch immer passiert war, Dorian hatte keine Ahnung, was die simple Berührung bei Solas ausgelöst hatte.

„Nur... nur ein kurzer Schwächeanfall“, erwiderte er schließlich, als er wieder halbwegs zur Ruhe gekommen war, und richtete sich auf. „Lasst uns weitergehen.“

Was auch immer er gerade erlebt hatte, dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Während sie den restlichen Flüchtenden durch die Tunnel folgten, achtete Solas jedoch darauf, Dorian kein zweites Mal zu berühren.

Dorian

Er konnte seine Füße schon lange nicht mehr spüren.

Der Gewaltmarsch schien kein Ende zu nehmen, und hin und wieder drehte sich ihm alles vor Augen und sein Blickfeld wurde schwarz, und Dorian musste für einige Sekunden innehalten, bis sich sein Kreislauf wieder beruhigt hatte. Hatte er sich anfangs noch mit dem Elf unterhalten, fehlte ihm selbst dafür bald die Energie, und verbissen konzentrierte er sich nur noch darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um in dem kniehohen Schnee nicht zu stürzen und aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen zu können.

Solas bot ihm zwar keine Hilfe an, doch er wich auch nicht von seiner Seite, und Dorian war ihm insgeheim dankbar dafür. Er war sich nicht sicher, ob er den Marsch allein hätte bewältigen können.

Je höher sie den Pfad hinaufstiegen, desto mehr nahm das Heulen des Sturms zu, und als Dorian das nächste Mal den Kopf hob, um an die Spitze des Zuges der Flüchtenden zu blicken, konnte er kaum ein Dutzend Meter weit sehen, so dicht fiel der Schnee.

Als sie eine kleine Talsenke zwischen zwei hohen Berggipfeln erreicht hatten, in der sie vor dem Sturm geschützt waren, erklärte Cullen, der sie bis dahin mit Rodericks Hilfe angeführt hatte, dass sie an dieser Stelle ihr Nachtlager aufschlagen würden. Kaum hatte er die Worte vernommen, ließ Dorian sich erleichtert gegen einen Baumstamm sinken und schloss die Augen. Um ihn herum herrschte Geschäftigkeit, als die Soldaten begannen, die mitgebrachten Zelte aufzubauen und Lagerfeuer zu errichten, um für die hungrigen Wanderer Essen zuzubereiten.

Niemand schenkte Dorian Beachtung, der ein Stück abseits saß, den Umhang fest um die Schultern geschlungen, und obwohl er mit aller Macht dagegen ankämpfte, fielen ihm nach einer Weile vor Erschöpfung die Augen zu.

 

Als er einige Zeit später nach unruhigem Schlaf wieder erwachte, war es im Lager stiller geworden und an den Feuern saßen nur noch wenige Männer und Frauen. Dorian erhob sich schwerfällig und hinkte zum nächsten Lagerfeuer hinüber. Die junge Frau, die dort saß, schüttelte jedoch nur den Kopf, als sie ihn sah.

„Tut mir leid, Serah“, sagte sie. „Die Töpfe sind leer und es gibt leider keine Reste mehr.“

Obwohl Dorian schrecklich hungrig war, winkte er nur ab.

„Das ist in Ordnung“, erwiderte er. „Ich will mich nur für einen Moment aufwärmen.“

Und damit ließ er sich mit steifen Gliedern vor dem Feuer nieder und seufzte auf, als die Wärme der Flammen wieder Gefühl in seine tauben Füße brachte. Entgegen seiner Befürchtungen hatte er keine Erfrierungen erlitten, und nachdem er eine Weile am Feuer gesessen hatte, wurde ihm wieder warm, wenngleich seine Kleidung nach der Wanderung durch den Schneesturm noch immer feucht war.

Schließlich erhob sich Dorian wieder und betrat eines der großen Zelte, die als Schlafplatz für die Männer und Frauen der Inquisition dienten. Dutzende Menschen drängten sich bereits dort zusammen, und nur am Zeltausgang gab es noch einen freien Platz zum Schlafen. Für Dorian war es mehr als ausreichend.

Er war gerade dabei, seinen Umhang auf dem Boden auszubreiten, als ihm ein breitschultriger Mann mit finsterer Miene auf die Schulter tippte.

„Hier ist kein Platz für Euch“, sagte er.

Dorian blinzelte und sah ihn einen Moment lang verständnislos an.

„Falls Ihr befürchtet, dass ich mich im Schlaf herumrollen werde, kann ich Euch beruhigen“, entgegnete er schließlich und lächelte schwach. „Ihr werdet nicht einmal merken, dass ich hier bin, das verspreche ich Euch.“

Er drehte sich um in der Annahme, dass das Gespräch damit beendet sei, und wollte sich gerade hinlegen, als ihm der Mann erneut auf die Schulter tippte, dieses Mal grober als zuvor.

„Ich glaube, Ihr habt mich nicht recht verstanden, Serah“, sagte er finster. „Hier ist kein Platz für einen Blutmagier.“

Plötzlich verstummten sämtliche Gespräche im Zelt und alle Augen richteten sich auf Dorian.

Fantastisch, dachte er und biss die Zähne zusammen. Er hatte gehofft, Situationen wie diese vermeiden zu können, doch wie es aussah, war seine Herkunft mittlerweile in aller Munde.

Dies wäre der Zeitpunkt gewesen, seine Sachen zu nehmen und einfach zu gehen, doch so schnell gab Dorian nicht auf. Er hatte nicht Felix zurückgelassen und war all diese Meilen nach Haven geeilt, um sich beim ersten Anzeichen von Problemen vertreiben zu lassen.

Den Blick auf den anderen Mann gerichtet erwiderte er mit fester Stimme:

„Dann ist es ja gut, dass ich keiner bin.“

Und ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, setzte er sich auf sein Lager.

Der Mann starrte ihn mit zunehmendem Hass an. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen und packte Dorian am Arm, um ihn grob auf die Beine zu ziehen.

„Ihr mögt die Heroldin mit Eurer Magie verhext haben, doch mich könnt Ihr nicht täuschen!“, grollte er. „Ich hatte jahrelang mit Abschaum wie Euch zu tun, ihr seid alle nichts als Sklavenhalter, die finstere und perverse Magie praktizieren!“

„Fasst mich nicht an!“, zischte Dorian und riss sich los. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse, doch ob vor Furcht oder Wut, wusste er nicht zu sagen. „Ihr wisst nichts über mich, rein gar nicht!“

„Ich weiß genug!“, rief der Mann und trat mit geballten Fäusten auf ihn zu.

Dorian warf einen hilfesuchenden Blick in die Runde, doch niemand rührte sich oder wagte gar einzugreifen.

Plötzlich spürte er einen kühlen Lufthauch am Rücken, als die Zeltplane zurückgeschlagen wurde und jemand hinter ihm eintrat.

„Was ist hier los?“

Obwohl die Stimme des Kommandanten ruhig war, war die Härte darin nicht zu überhören. Dorian schloss vor Erleichterung die Augen und dankte sämtlichen ihm bekannten Göttern, dass Cullen gerade diesen Moment gewählt hatte, um das Zelt zu betreten.

Als er ihn sah, ließ der Mann sofort die Fäuste sinken und trat einen Schritt zurück, um Haltung anzunehmen.

„Es ist alles bestens, Herr Kommandant“, erwiderte er steif. „Nur ein kleines Missverständnis.“

„Das scheint mir auch so“, erwiderte Cullen trocken und trat neben Dorian.

Er ließ den Blick durch das Zelt schweifen und über die Männer und Frauen, die beschämt die Gesichter abwandten, als sie seinen bohrenden Blick auf sich spürten.

Zu Dorians großer Erleichterung schien Cullen die Situation richtig zu interpretieren – und zu dem Entschluss zu kommen, die erschöpften Soldaten nicht weiter unter Druck zu setzen. Stattdessen wandte er sich an Dorian.

„Hier gibt es keine Schlafplätze mehr“, sagte er. „Aber vielleicht hab Ihr woanders mehr Glück.“

Und mit einer Handbewegung bedeutete er dem Magier, ihm zu folgen.

Das ließ Dorian sich nicht zweimal sagen. Hastig hob er seinen Beutel und seinen Umhang auf und trat hinter Cullen hinaus in die Kälte.

Während sie Seite an Seite das Lager durchquerten, ließen die Anspannung und das Zittern, das während der Konfrontation von Dorian Besitz ergriffen hatte, langsam wieder nach.

„Danke“, sagte er leise. „Dafür, dass Ihr sie nicht dazu gezwungen habt, mich aufzunehmen.“

„Die Nerven der Truppen sind angespannt“, entgegnete Cullen ebenso leise. „Viele der Soldaten haben beim Angriff der Magier auf Haven nicht nur ihre Heimat, sondern auch viele ihrer Kameraden verloren. Das ist der einzige Grund, weshalb ich ein solches Verhalten heute Nacht toleriere.“

Obwohl Cullens Gesicht reglos war, konnte Dorian die Wut in seinen Augen lodern sehen.

„Sollte so etwas jedoch noch einmal vorkommen, wendet Euch sofort an mich“, fuhr der Kommandant fort. „Situationen wie diese sind absolut inakzeptabel. Die Inquisition steht nicht für ein solches Verhalten.“

„Ich werde versuchen, daran zu denken“, sagte Dorian und lächelte erschöpft. „Vorausgesetzt, dass sie mich nächstes Mal nicht sofort steinigen.“

Cullen erwiderte nichts, doch Dorian entging der besorgte Ausdruck nicht, der über sein Gesicht huschte.

Zu Dorians Überraschung führte der Kommandant ihn nicht zu einem der anderen Gemeinschaftszelte, sondern etwas abseits an ein Lagerfeuer, um das in einem Halbkreis ein halbes Dutzend kleinerer Zelte errichtet war.

An dem Feuer saß ein Zwerg, der gerade dabei war, mit einem Stock in den brennenden Ästen zu stochern, als Cullen und Dorian sich näherten. Er hob den Kopf, als er ihre Schritte hörte, und seine Augen leuchteten auf.

„Cullen!“, rief er aus. „Seid Ihr etwa immer noch wach?“

Der Kommandant rieb sich müde den Nacken. „Ich werde erst dann Ruhe finden, wenn die Heroldin zu uns zurückgekehrt ist.“

Der Zwerg seufzte auf und nickte. „Ich wünsche Euch Erfolg. Cassandra und der Elf suchen schon seit Stunden nach ihr. Ohne sie–“

Er beendete seinen Satz nicht, doch das musste er auch nicht. Sie alle wussten, dass sie ohne Lavellan verloren waren.

Nach einer Weile hob der Zwerg wieder den Kopf und sein Blick fiel auf Dorian.

„Ihr seid der, der uns gewarnt hat, richtig? Dorian?“, fragte er. „Varric Tethras ist mein Name. – Verzeiht meine Neugier, doch es wird gemunkelt, dass Ihr ein Magister aus Tevinter wäret. Ist etwas dran an diesem Gerücht?“

Dorian rümpfte entrüstet die Nase, nun wieder ganz in seinem Element.

„Ich bin kein Magister, sondern ein Altus-Magier“, entgegnete er. „Auch wenn vermutlich niemand hier im Süden jemals den Unterschied begreifen wird.“

Cullen verschränkte die Arme vor der Brust.

„Altus-Magier?“, fragte er und hob eine Braue.

„Der Nachfahre einer der alteingesessenen Magier-Dynastien Tevinters“, erklärte Varric zu Dorians großer Überraschung.

„Was?“ Der Zwerg zuckte mit den Schultern, als er seinen und Cullens verwirrten Blick bemerkte. „Fenris hat damals in Kirkwall oft genug über Tevinter geflucht, dass ein paar Dinge hängengeblieben sind.“

„Fenris“, sagte Cullen und runzelte die Stirn. „Meint Ihr Hawkes Gefährten?“

„Euer Gedächtnis ist wahrhaft bemerkenswert“, meinte der Zwerg fröhlich.

An Cullens Kopfschütteln erkannte Dorian, dass der andere Varric die Stichelei nicht übel nahm. Die beiden kannten sich offenbar schon lange und hatten mittlerweile einen Grad an Vertrautheit erreicht, bei dem sogar der sonst so steife und humorlose Kommandant ein wenig auftaute. Und obwohl Dorian sie erst seit einem Tag kannte, führte er sich in ihrer Gesellschaft gleich etwas wohler.

„Varric, ich habe eine Bitte an Euch“, sprach Cullen dann.

Der Zwerg nickte. „Wie kann ich helfen?“

„Dorian hier hat Schwierigkeiten, einen Schlafplatz zu finden“, erklärte Cullen. „Ich würde mich freuen, wenn Ihr diese Nacht das Zelt mit ihm teilen könntet. Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll.“

Dorian sah ihn überrascht an. Mit einem solchen Vorschlag hatte er nicht gerechnet. Ganz im Gegenteil – er hatte sich innerlich bereits darauf eingerichtet, die Nacht notfalls auch unter freiem Himmel an einem der Lagerfeuer verbringen zu müssen.

„Klar, warum nicht“, entgegnete Varric, ohne auch nur einen Augenblick lang über seine Antwort nachdenken zu müssen.

„Es sei denn, Ihr schnarcht“, fügte er an Dorian gewandt hinzu. „Wenn Ihr schnarcht, schmeiße ich Euch sofort wieder raus.“

„So laut, wie Ihr immer schnarcht, bezweifle ich, dass Ihr ihn überhaupt hören würdet“, meinte Cullen amüsiert.

Dorian wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm. Er schluckte kurz und versuchte es dann erneut.

„Ich danke Euch.“

Varric schenkte ihm ein Lächeln. „Nichts zu danken.“

„Dann wäre das also geklärt“, sagte Cullen und nickte dem Zwerg zu. „Danke, Varric.“

Er wünschte den beiden eine gute Nacht und stapfte dann durch den Schnee wieder davon.

„Steht nicht wie angewurzelt da“, meinte Varric nach einer Weile und warf Dorian, der noch immer neben dem Feuer stand, seinen Beutel und den Umhang an die Brust gepresst, einen belustigten Blick zu. „Kommt, setzt Euch doch. – Habt Ihr Hunger?“

Er hielt ihm ein Stück Brot hin. Dorian nickte dankbar und setzte sich neben Varric an das Feuer.

„Sehr“, entgegnete er.

Und während er aß und dabei Varrics farbenfrohen Erzählungen lauschte, hatte er das erste Mal seit langem das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Lavellan

Ellana erwachte.

Sie lag auf der Seite, die Knie an die Brust gezogen, unter ihr nichts als kalter, felsiger Boden. Es gab keinen Teil ihres Körpers, der nicht schmerzte, und allein der Versuch, die Augen zu öffnen und den Kopf zu drehen, stellte sich als enormer Kraftakt heraus.

Das grüne Licht des Mals an ihrer Hand – „Anker“, so hatte Corypheus es genannt – wurde auf gespenstische Art von den feuchten, glatten Wänden der Höhle zurückgeworfen, in der sie sich befand. Kein Lufthauch regte sich, und außer dem gelegentlichen Tropfen von Wasser war es so still, wie in einem Grab.

Nicht mein Grab, dachte sie.

Sie schloss die Augen und sammelte sich für einen Moment. Jeder Atemzug rasselte in ihrer Brust und das konstante Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen, sagte ihr, dass sie sich bei ihrem Sturz mindestens zwei Rippen gebrochen hatte. Ihre Arme und Beinen schienen jedoch trotz einiger oberflächlicher Verletzungen noch immer zu funktionieren.

Steh auf, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Wenn du aufstehen kannst, dann kannst du auch laufen. Wenn du laufen kannst, dann wirst du überleben.

Sie stand auf.

An die Wand des schmalen Tunnels gelehnt, der von der Höhle wegführte, holte sie für einen Moment keuchend Luft, bevor sie sich auf den Weg konzentrierte, der vor ihr lag.

Heb den Fuß. Kleine Schritte. Spielt keine Rolle, wie schnell. Hauptsache, du läufst.

Langsam humpelte sie den Tunnel entlang, immer eine Handbreit von der Wand entfernt, um sich notfalls daran abzustützen.

Sie wusste nicht, wie lange sie so durch die Dunkelheit lief, nach den ersten hundert Schritten verlor sie jedes Zeitgefühl.

Doch ihr Wille trieb sie weiter an. Ihr Wille und...

Das Band. Die Verbindung zu dem Mann, der dich nicht erkannt hat, der deinen Namen noch nie zuvor gehört hat.

Selbst jetzt konnte sie ihn spüren, auch wenn viele Meilen zwischen ihnen lagen – konnte spüren, dass er noch lebte. Auch wenn es alles war, was sie durch das Band fühlen konnte, reichte es, um ihr Kraft und Hoffnung zu geben.

Vor allem Hoffnung.

Ellana machte sich keine Illusion. Solas mochte sein Interesse bekundet haben, eine engere Beziehung zu ihr aufzubauen, doch in erster Linie war sie für ihn lediglich die Trägerin des Mals, das Risse schließen konnte.

Bei ihrem letzten Gespräch hatte sie jedoch für einen kurzen Moment den Eindruck gehabt, dass dies nicht alles war, was er in ihr sah. Ihm selbst war es vermutlich nicht einmal bewusst gewesen, doch ihr war die Zuneigung in seinem Blick nicht entgangen, als sie seine Entschuldigung angenommen und ihn ihrerseits um Vergebung gebeten hatte.

Sie mochte nur für wenige Sekunden da gewesen sein, doch sie war echt gewesen, und sie hatte Ellana neuen Mut gegeben – Mut und genug Hoffnung, dass sie beschlossen hatte, in Zukunft weiter daran zu arbeiten, sein Vertrauen und seine Freundschaft zu erringen... und eines Tages vielleicht sogar mehr als das.

Doch dafür musste sie erst zur Inquisition zurückkehren.

Mit der Zeit wurde der Gang vor ihr breiter und mündete schließlich in einer großen, runden Höhle.

Licht drang durch Risse im Gestein und am anderen Ende der Höhle erblickte sie einen weiteren kurzen Gang, der ins Freie führte.

Plötzlich rasten Schatten auf sie zu, und Ellana riss instinktiv die Hände hoch, um ihr Gesicht vor den scharfen Klauen der Kreaturen zu schützen. Dabei begann das Mal an ihrer Hand zu summen und zu knistern, und plötzlich öffnete sich über ihrem Kopf ein Riss in der Luft. Ein unmenschliches Heulen ertönte, als die Dämonen in den grünen Mahlstrom gesogen wurde, der sich wenige Sekunden später wieder schloss.

Keuchend sank Ellana auf die Knie und starrte ungläubig auf den Anker. Hatte sie etwa den Riss geöffnet? Sie war sich bisher nicht bewusst gewesen, dass sie dessen überhaupt fähig war.

Das Mal pulsierte noch für einen Moment hell auf ihrer Hand, dann flackerte es kurz auf und das Licht wurde wieder schwächer, so als wäre es wieder zur Ruhe gekommen.

Ellana schloss kurz die Augen, dann stemmte sie sich hoch und lief weiter.

Eine heftige Windböe riss sie fast von den Füßen, als sie ins Freie hinaustrat. Innerhalb weniger Sekunden waren ihre Kleidung, Haare und Wimpern von winzigen Eiskristallen bedeckt, und der beißende Wind zwang sie, die Augen zu schmalen Schlitzen zu verengen, damit sie überhaupt etwas sehen konnte.

Nicht, dass es viel zu sehen gab. Der Sturm machte es nahezu unmöglich, weiter als ein paar Schritte zu sehen. Doch sie hatte keine Wahl. Wenn sie die Inquisition einholen wollte, musste sie die Sicherheit der Höhle verlassen.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog den Kopf zwischen die Schultern, dann lief sie los.

Nach wenigen Minuten wusste sie schon nicht mehr, aus welcher Richtung sie gekommen war oder wohin sie ging. Erst, als sie eine Reihe von Bäumen vor sich sah, hatte sie wieder einen festen Anhaltspunkt, und sie lief am Rande des Waldes entlang, in der Hoffnung, auf Spuren der Männer und Frauen zu treffen, die Cullen in das Gebirge gefolgt waren.

Der Wind heulte ohne Unterlass, und auf Dauer gegen ihn anzukämpfen war für die eh schon erschöpfte junge Frau sehr ermüdend. Immer häufiger musste sie kurze Pausen einlegen, in denen sie sich zwischen die Bäume zurückzog und sich an einen der dunklen Stämme lehnte, um dem Wind wenigstens für einen Moment zu entgehen.

Du wirst sterben, dachte sie mit seltsamer Gleichmütigkeit und schloss die Augen. Du wirst sterben, und niemand wird je wissen, dass du den Kampf überlebt hast...

Sie riss die Augen wieder auf.

„Nein!“, rief sie aus und ballte die Hände zu Fäusten, so dass sich ihre Fingernägel in die weiche Haut gruben. Der Schmerz brachte sie wieder zur Besinnung.

Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich. Dies wird nicht dein Ende sein!

Sie trat wieder zwischen den Bäumen hervor und sah in das Schneegestöber hinaus.

Dieses Mal versuchte sie, das Problem logisch anzugehen.

Es müssen Hunderte von Personen gewesen sein, die geflüchtet sind, überlegte sie. Und sie haben Verwundete bei sich, Alte, Kinder... eine Schar dieser Größe kommt nur langsam voran. Vermutlich sind sie dir nur wenige Meilen voraus.

Nur ein paar Meilen... das war etwas, was sie schaffen konnte.

Ellana biss die Zähne zusammen und begann zu laufen.

 

Sie wusste nicht, wie lange sie gelaufen war, als sie das nächste Mal stehenblieb, doch es mussten Stunden vergangen sein.

Sie hatte zwischendurch die Reste mehrerer Lagerfeuer entdeckt, und ein Stein war ihr vom Herzen gefallen, denn nun wusste sie, dass sie wenigstens auf dem richtigen Weg war. Doch wie weit es auch noch sein mochte, sie brauchte dringend eine Pause, denn von dem langen Marsch zitterten ihre Beine vor Erschöpfung und sie taumelte bei jedem Schritt.

Wie auch zuvor schon zog sie sich in die Sicherheit der Bäume zurück und lehnte sich an einen Stamm. Sie brauchte nur einen Augenblick zum Luftholen, lediglich einen kurzen Moment, um die Augen zu schließen...

 

Als sie wieder erwachte, war es dunkel, und in der Ferne ertönte das Heulen eines Wolfes.

Um sie herum hatte sich eine Schneewehe aufgetürmt und sie war so durchgefroren, dass sie weder ihre Hände noch ihre Füße spüren konnte.

Sie wollte aufstehen, doch ihre Beine gaben sofort nach und sie stürzte zurück in den Schnee. Mehrmals versuchte sie sich hochzustemmen, doch das Ergebnis war jedes Mal das gleiche. Sie hatte schlichtweg keine Kraft mehr.

Während Tränen der Verzweiflung über ihre Wangen liefen und in der Kälte sofort gefroren, hörte sie wieder das Heulen, dieses Mal wesentlich näher. Sie wollte nach ihrem Schwert greifen, doch sie konnte ihre Finger nicht krümmen, so dass sie immer wieder vom Griff abrutschten.

Und plötzlich wusste sie mit absoluter Gewissheit, dass dies ihr Ende sein würde.

Sie schloss die Augen und ließ sich zurück gegen den Baumstamm sinken. Jegliche Ängste und Sorgen waren mit einem Mal verschwunden und alles, was sie spürte, war eine tiefe, innere Ruhe.

Bitte lass es schnell vorbei sein, dachte sie.

Sie hatte getan, was sie konnte. Die Inquisition war gerettet und würde auch ohne sie überleben, und dieses Wissen spendete ihr auf seltsame Art Trost.

Zweige knackten, als sich der Wolf näherte, und bald war er so nah, dass sie sein Hecheln hören konnte.

Doch nichts geschah. Die Attacke, mit der sie gerechnet hatte, blieb aus.

Tu es, dachte sie. Worauf wartest du noch...?

Auf einmal stupste sie eine warme Schnauze an.

Überrascht schlug Ellana die Augen auf.

Vor ihr stand der größte Wolf, den sie jemals gesehen hatte; seine Schultern mussten ihr im Stehen mindestens bis zur Taille reichen. Sein Fell war schneeweiß und seine grauen Augen sahen mit einer Ruhe und Intelligenz auf sie herab, die für ein solches Tier ungewöhnlich waren.

Starr vor Schreck rührte sie sich nicht von der Stelle, und nach einer Weile senkte er erneut den Kopf und stieß sie an – eine stumme Aufforderung. Zögernd streckte sie den Arm aus, und der Wolf schob den Kopf darunter. Sein Fell war weich, und der Körper darunter warm. Ellana vergrub das Gesicht in seiner Seite und weinte stumm. Sie wusste nicht, was vor sich ging und wieso das Tier sie nicht angriff, doch eines spürte sie: der Wolf würde ihr keinen Schaden zufügen.

Für einen Moment verharrten sie in dieser Position, und der Wolf wartete geduldig, bis sie sich wieder gefasst hatte.

Dann winselte er leise und Ellana verstand den Hinweis. Sie legte auch den anderen Arm über den Rücken des Tieres und mit seiner Hilfe gelang es ihr schließlich, sich auf die Beine zu ziehen.

Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, doch Schritt für Schritt setzte sie ihren Weg fort. Der Wolf wich keinen Moment lang von ihrer Seite, und wann immer sie strauchelte, war er zur Stelle, damit sie sich auf ihn stützen konnte.

Mit der Zeit kehrte wieder Leben in ihre unterkühlten Gliedmaßen zurück, und sie vergrub eine Hand in dem weichen Fell und ließ sich von dem Wolf durch den Schneesturm führen.

 

Einige Meilen und eine gefühlte Ewigkeit später ließ der Sturm endlich etwas nach, und ohne den ständigen Gegenwind wagte Ellana es, das Fell loszulassen und auf eigenen Beinen weiterzulaufen. Der Wolf leckte ihr ermutigend die Hand, und nur wenige Minuten später entdeckte sie erneut Überreste eines Lagerfeuers. Dieses Mal war die Asche noch warm und Ellanas Herz schien vor Aufregung einen Sprung zu machen.

Sie drehte sich um, um dem Wolf vor Freude die Arme um den Hals zu schlingen... doch von dem Tier war weit und breit nichts zu sehen, und als sie zurückschaute, entdeckte sie nur eine einzige Fußspur im Schnee – ihre eigene.

Sie starrte noch für eine Weile in die Dunkelheit hinaus, doch sie konnte spüren, dass sie ihrem Ziel mittlerweile sehr nahe war, und so drehte sie sich schließlich um und setzte ihren Weg fort, ohne sich über die seltsame Begegnung weiter den Kopf zu zerbrechen.

Als sie eine Anhöhe hinaufstieg, sah sie plötzlich Fackelschein in der Ferne, und die Lichter Dutzender Lagerfeuer, die die Nacht erhellten. Sie sank auf die Knie und hätte vor Erleichterung fast geweint.

Sie hatte es geschafft.

„Dort!“, schallte in diesem Moment eine Stimme aus dem Tal zu ihr hinauf. Es war Cullen. „Es ist die Heroldin!“

„Dem Erbauer sei gedankt!“, rief Cassandra. Und dann war Ellana plötzlich von Menschen umgeben, die ihre Ankunft bejubelten und ihr alle gleichzeitig helfen wollten. Cassandra scheuchte die Menge mit einer unwirschen Geste fort, und gestützt von ihr und Cullen stieg die junge Frau schließlich den Hang hinab.

Solas erwartete sie zusammen mit den anderen Mitgliedern des inneren Kreises am ersten größeren Lagerfeuer, das sie erreichten, und ihr entging das kleine Lächeln nicht, das um seine Lippen spielte. Sie erwiderte das Lächeln, und als wäre damit ein Damm gebrochen, überwältigten sie auf einmal die Erschöpfung und Müdigkeit nach ihrem langen Marsch.

Das letzte, was sie spürte, bevor sie das Bewusstsein verlor, war die Wärme seiner Hände, als er sie auffing.

Cullen

Stille hatte sich über das Lager gesenkt.

Nachdem Solas ihnen versichert hatte, dass es vor allem Erschöpfung gewesen war, die Lavellan hatte zusammenbrechen lassen, und sie die junge Frau in das Zelt der Heiler getragen hatten, hatte sich die Menge wieder aufgelöst, und nach und nach waren die Männer und Frauen in ihre Zelte zurückgekehrt.

Auch Cullen hätte schon längst im Bett sein können, doch seine innere Anspannung ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Es war ein langer und ereignisreicher Tag gewesen, und er würde nicht abschalten können, bis er nicht wenigstens damit angefangen hatte, einige der Geschehnisse der letzten Stunden zu verarbeiten – allen voran der Verlust von Haven und seine Begegnung mit Dorian.

Ohne eine feste Heimat war die Inquisition dem Untergang geweiht. Selbst unter der Voraussetzung, dass sie Glück im Unglück hatten und Corypheus ihre Spur nicht durch das Gebirge verfolgt hatte: wohin sollten sie sich wenden? Nach Ferelden, in dem der anhaltende Krieg zwischen Templern und Magiern heftiger tobte, als in jeder anderen Nation von Thedas? Oder nach Westen, nach Orlais, das durch den Bürgerkrieg zwischen den Anhängern der Kaiserin und denen ihres Cousins Gaspard gespalten war?

Ohne Haven gab es keine neutrale Mitte mehr, und sie konnten nur hoffen, dass die Regierung des jeweiligen Landes ihre Anwesenheit tolerierte. Die Vernunft sagte Cullen, dass es vermutlich das Beste sein würde, sich nach Ferelden zu wenden. Dort würden sie zwar auf mehr Widerstand von Seiten der Bevölkerung und des Adels stoßen, doch Cullen hatte die Hoffnung, dass König Alistair, der sich damals auf seinen Reisen mit der Heldin von Ferelden in einer ähnlich misslichen Lage befunden hatte, Verständnis für ihre Not zeigte und ihnen Unterstützung gewähren würde. Den Rest würden Josephines politische Verbindungen erledigen, die sie gnadenlos zum Wohle der Inquisition nutzen würde.

Es war mit Sicherheit kein perfekter Plan, aber es war zumindest ein Plan, und sobald Cassandra und die anderen Berater wieder wach waren, würde Cullen ihnen seinen Vorschlag unterbreiten.

Während er so seinen Gedanken nachhing, ertappte er sich dabei, wie er bei seinem Rundgang durch das Lager bereits zum vierten Mal in Folge einen Abstecher zu Varrics Zelt machen wollte. Nicht, dass er keinen Grund dafür gehabt hätte – sein eigenes Zelt stand schließlich direkt daneben – doch er wusste nicht, ob sich Varric und Dorian bereits zur Ruhe gelegt hatten, und er wollte nicht riskieren, dass Dorian Verdacht schöpfte. Weshalb ihn der Gedanke beunruhigte, konnte er allerdings nicht sagen.

Cullen wusste nicht, was er von seinem Seelenpartner erwartet hatte, aber jemand wie Dorian war es mit Sicherheit nicht gewesen. Der andere Mann mochte ein Vint und ein Magier sein, doch er wurde bislang keinem der Vorurteile gerecht, die man jemandem wie ihm gegenüber gehegt hätte. In der Zeit, seitdem er ihn kennengelernt hatte, hatte Cullen den Eindruck bekommen, dass er zwar arrogant war, aber selbstlos; kritisch, aber kompromissbereit; spöttisch, aber ohne die Fähigkeit verloren zu haben, auch über sich selbst lachen zu können.

Und in den wenigen Momenten, in denen er Dorian beim Angriff auf Haven hatte kämpfen sehen, war er atemberaubend gewesen – ein Magier, der seine nicht unbeträchtlichen Fähigkeiten absolut unter Kontrolle hatte und sie mit ruhiger Sicherheit anwandte.

Sein Anblick hatte etwas in Cullen zum Klingen gebracht, von dem er nicht gewusst hatte, dass es existierte. Es hatte das völlige Ausbleiben einer Reaktion von Dorians Seite aus fast erträglich gemacht.

Aber nur fast.

Sich dem anderen in Haven mit seinem vollen Namen vorzustellen, hatte Cullen enorme Selbstüberwindung gekostet. Damit, dass Dorian nicht einmal mit der Wimper zucken würde, als er ihn hörte, hatte er nicht gerechnet. Cullen erinnerte sich an seine Unterhaltungen mit Ellana zurück und wurde das Gefühl nicht los, ein bizarres Déjà-vu zu erleben. Dorian erkannte ihn schlichtweg nicht und schien keine Ahnung zu haben, wer er war. Und dieser Umstand war kaum auszuhalten, denn seitdem Cullen Dorians Schulter berührt hatte, hatte sich das Band verfestigt, und der Drang, bei seinem Seelenpartner zu sein und ihn zu beschützen, war von Stunde zu Stunde immer stärker geworden.

Es war der Grund gewesen, weshalb Cullen ihm in das Gemeinschaftszelt gefolgt war: er hatte spüren können, dass Dorian sich dort unwohl und bedrängt gefühlt hatte. Danach war sein erster Instinkt gewesen, dem anderen einen Platz in seinem eigenen Zelt anzubieten, doch das stand außer Frage. Nicht nur wegen der Alpträume, die ihn jede Nacht plagten, sondern auch, weil Cullen sich selbst kaum traute – nicht in seinem momentanen Zustand – und er Angst hatte, Dorian auf eine Weise zu nahe zu treten, die dem anderen unangenehm war. Ihn stattdessen zu Varric zu bringen und ihn bei dem Zwerg zu lassen, war die naheliegendste Lösung gewesen, doch sie hatte ihm viel Kraft abverlangt, da alles in ihm danach geschrien hatte, bei Dorian zu bleiben.

Bei Andraste, macht das etwa JEDER von uns durch?, fragte er sich mit zusammengebissenen Zähnen, während er seinen Rundgang beendete. Wie sind wir in der Lage, irgendetwas zu schaffen, wenn wir ständig diese Dinge fühlen...?

Dass Dorian nicht das gleiche für ihn empfand, erschien Cullen dabei als der Gipfel der Ironie, und er hoffte, dass die starke Verbindung zu dem anderen mit der Zeit wieder etwas nachlassen würde. Er wusste nicht, wie er sonst seine Arbeit erledigen sollte, wenn seine Gedanken ständig um Dorians Wohlbefinden kreisten.

Cullen blieb stehen und rieb für einen Moment seufzend seine Schläfen. Die Kopfschmerzen waren stärker geworden, wie sie es zu dieser Stunde immer taten, doch noch war das dumpfe Pochen hinter seiner Stirn auf einem erträglichen Level.

Er ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Bis auf mehrere bewaffnete Patrouillen war niemand mehr auf den Beinen. Er könnte einen erneuten Rundgang beginnen, aber wo lag der Sinn darin? Seine Leute wussten auch so, dass sie ihn beim ersten Anzeichen von Gefahr unverzüglich zu informieren hatten.

Bis zum Sonnenaufgang waren es noch mehrere Stunden hin. Zeit genug für Cullen, sich wenigstens für eine Weile zur Ruhe zu legen. Cassandra hatte ihn oft genug ermahnt, dass er sich mehr um sich selbst kümmern musste, wozu auch gehörte, wenigstens einmal am Tag für ein paar Stunden zu schlafen. Sein Blick wanderte zu dem Halbkreis von Zelten hinüber, die am Rande des Lagers errichtet worden waren. Es wäre so einfach, seiner Müdigkeit und dem Band nachzugeben, und sich dorthin zu begeben...

Während er noch mit sich selbst haderte, schien sich auf einmal etwas in seiner Wahrnehmung von Dorian zu verschieben. Cullen wusste nicht, was es war, doch von einem Moment auf den anderen hatte sich etwas geändert, und es betraf seinen Seelenpartner.

Eine tiefe Unruhe erfasste ihn und ohne länger zu zögern machte sich Cullen auf den Weg zu seinem Zelt.

Seine Schritte verlangsamten sich erst, als er das Lagerfeuer davor erreicht hatte, an dem er Varric vorfand, während von dem Magier jegliche Spur fehlte.

Cullen hob demonstrativ eine Augenbraue, und Varric schien seinen Blick richtig zu deuten. Er machte eine Kopfbewegung zu seinem Zelt hinüber, aus dem leises Schnarchen zu hören war.

„Dorian schläft“, sagte er und bedeutete Cullen mit einer Geste, sich zu ihm zu setzen, eine Einladung, die der andere dankbar annahm. „Er war vor Erschöpfung schon halb im Delirium; es erstaunt mich, dass er überhaupt so lange durchgehalten hat.“

Cullen hoffte, dass man ihm seine Erleichterung nicht zu sehr ansah, als er sich neben Varric setzte.

Dorian war eingeschlafen. Das hatte sich geändert.

Kein Grund zur Sorge.

„Mir scheint, Ihr könntet ebenfalls etwas Ruhe gebrauchen“, fuhr Varric nach einer Weile fort, als er Cullens blasses Gesicht sah. „Geht nur. Sollte Corypheus angreifen, seid Ihr der erste, der es erfährt, das verspreche ich.“

Cullen lächelte schwach.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich schlafen kann“, erwiderte er. „Nicht in der derzeitigen Lage, in der wir uns befinden.“

Der andere gab ein Brummen von sich.

„Kein Grund, nicht wenigstens für ein paar Stunden die Augen zu schließen“, sagte er. „Morgen früh könnt Ihr Euch immer noch den Kopf darüber zerbrechen, wie es mit uns weitergehen soll.“

„Das kann ich ebenso an Euch zurückgeben“, entgegnete Cullen leise. „Geht schlafen, Varric. Es liegt nicht in Eurer Verantwortung, Nachtwache zu halten und Euch um unsere Zukunft zu sorgen.“

Varric stieß ein freudloses Lachen aus. „Erzählt das Cassandra. Sie schien sehr überzeugt davon zu sein, dass sich alles ändern würde, wenn ich ihr Hawke liefere.“

„Sie sah keinen anderen Ausweg.“ Cullen starrte in die Flammen des Lagerfeuers. „Menschen tun die seltsamsten Dinge, wenn sie nicht mehr weiterwissen.“

„Wohl wahr“, murmelte der Zwerg, und dann schwiegen sie wieder für eine Weile.

Schließlich erhob Cullen erneut die Stimme.

„Darf ich Euch eine persönliche Frage stellen?“ Er sah Varric dabei nicht an, doch er konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie der andere mit den Schultern zuckte.

„Sicher.“

Cullen legte sich seine Worte sorgfältig zurecht, bevor er sie aussprach.

„Das Band zu Eurem Seelenpartner... erinnert Ihr Euch noch daran, wie es sich am Anfang angefühlt hat?“

Er merkte, wie Varric ihn anstarrte, doch er hielt den Blick beharrlich auf die Glut des Feuers gerichtet, während er auf eine Antwort wartete.

Der andere schien schließlich zu spüren, dass Cullen die Frage ernst meinte, und nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, begann er zu sprechen.

„Als ich meiner Partnerin zum ersten Mal begegnete, war ich wie im Rausch“, erzählte er. „Mein ganzes Denken wurde von ihr beherrscht und ich hatte häufig Schwierigkeiten, mich auf die einfachsten alltäglichen Aufgaben zu konzentrieren. Ich war wie besessen davon, ihr nahe zu sein.“ Er lachte leise. „Hätte ich nicht gewusst, dass sie ebenso empfand, wäre ich mir wie ein Narr vorgekommen. Es war eine seltsame, verwirrende Zeit für uns beide.“

Er schüttelte den Kopf.

Cullen schwieg, während er über diese Worte nachdachte. Varrics Beschreibung dieses rauschähnlichen Zustandes deckte sich mit dem, was er selbst für Dorian empfand.

„Wie lange hielt dieses Gefühl an?“, fragte er leise.

„Warum das plötzliche Interesse?“, erwiderte der Zwerg jedoch nur verwundert.

Cullen wandte ihm das Gesicht zu, und es musste etwas in seinem Blick gewesen sein, das Varric scharf die Luft einziehen ließ.

Jetzt?“, stieß er schließlich hervor. „Von allen Momenten, in denen dies hätte passieren können, findet Ihr ausgerechnet jetzt–?“

Varric“, unterbrach Cullen ihn und sein Tonfall ließ den anderen augenblicklich wieder verstummen. „Bitte beantwortet einfach nur die Frage.“

Der Zwerg seufzte.

„Die ständige Sorge um sie hielt noch für eine Weile an“, sagte er, „doch das Schlimmste war nach zwei Wochen wieder vorbei, wenn ich mich recht entsinne.“

„Zwei Wochen“, wiederholte Cullen mit hohler Stimme. Zwei Wochen, in denen weiter dieser Sturm von Gefühlen in ihm toben würde, den er mit aller Macht ignorieren musste, damit er sich auf das Überleben der Inquisition und die damit zusammenhängenden Aufgaben konzentrieren konnte, die vor ihm lagen.

Er hatte keine Ahnung, wie um alles in der Welt er das anstellen sollte. Der Lyriumentzug war schon kaum zu ertragen, und nun auch noch das... Vielleicht war nun der Moment gekommen, in dem er Cassandra auf Knien anflehen sollte, einen Ersatz für ihn zu finden.

„Es ist schneller vorbei, wenn Ihr die Zeit mit Eurem Partner verbringt“, sagte Varric leise. „Ihr wisst schon – geteiltes Leid ist halbes Leid...“

„Das ist leider keine Option“, erwiderte Cullen und senkte den Blick.

Der Zwerg runzelte die Stirn. „Sicher kann selbst der Kommandant der Inquisition in Begleitung seiner Partnerin gesehen werden...“

„Ihr versteht nicht“, erwiderte Cullen schärfer, als beabsichtigt. „Es ist nicht so, dass ich nicht will! Es ist nur im Moment schlichtweg nicht möglich. –Die Situation ist... kompliziert.“

Varric hob abwehrend die Hände.

„Ich glaube Euch“, sagte er beruhigend. „Es war nicht meine Absicht, Euch zu erzürnen.“

Cullen rieb sich erschöpft das Gesicht.

„Verzeiht meine Worte“, entgegnete er. „Dieser Zustand... er ist nur schwer zu ertragen.“

„Ich weiß“, sagte Varric mitfühlend. „Ich erinnere mich.“

Für eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort, und nur das leise Knacken und Knistern des Feuers durchbrach hin und wieder die Stille.

Schließlich erhob sich Cullen schwerfällig und klopfte den Schnee von seiner Kleidung.

„Danke, dass Ihr meine Fragen beantwortet habt“, sagte er leise und nickte dem Zwerg zu. „Ihr habt mir sehr geholfen, Varric.“

„Es war nichts“, entgegnete der andere nur, doch er erwiderte das Nicken.

Cullen wollte sich gerade abwenden, um sich zu seinem Zelt zu begeben, doch etwas ließ ihn zögern.

„Die Dinge, über die wir gesprochen haben...“, begann er.

„... gehen niemanden außer Euch und mich etwas an“, sagte Varric und schenkte ihm ein Lächeln. „Sorgt Euch nicht, Cullen. Ich kann sehr verschwiegen sein, wenn ich will.“

„Danke“, wiederholte Cullen, und er meinte es auch so. Dann wandte er sich endgültig ab und zog sich in sein Zelt zurück.

Das Gespräch mit Varric hatte zwar nichts an seinem Problem geändert, doch er fühlte sich etwas besser, nun, nachdem er mit jemandem darüber gesprochen hatte.

Und vielleicht war es das Wissen, dass Dorian nur wenige Meter entfernt sicher in Varrics Zelt lag und schlief, das ihn nach und nach zur Ruhe kommen und schließlich in den Schlaf sinken ließ.

Solas

Solas schlug die Augen auf.

Über ihm spannte sich ein mondloser Nachthimmel, an dem unzählige Sterne funkelten. Die Lagerfeuer waren erloschen und für einen Augenblick war er vollkommen orientierungslos, doch dann spürte er unter sich das harte Pflaster einer Straße und ihm wurde bewusst, dass er nicht mehr in den Bergen war. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und er sah, dass sich vor den Sternen dunkel die Umrisse zahlreicher, hoher Gebäude abhoben. Doch sie waren unbeleuchtet und in den Straßen der Stadt, die sich um ihn herum ausbreitete, war es totenstill. Als er sich schließlich erhob und wahllos eine Richtung einschlug, war das Klacken seines Stabes auf dem gepflasterten Weg das einzige Geräusch, das die nächtliche Stille durchdrang.

Der Ort war ihm völlig unbekannt, was nur eines bedeuten konnte: dass er träumte.

Das Wissen, dass er sich in einem Traum befand, versetzte ihn augenblicklich in einen Zustand der Gelassenheit und Ruhe. Im Nichts mochten viele Gefahren lauern, doch es war zumindest eine Umgebung, die er kontrollieren konnte, und Solas blieb hin und wieder stehen, um sich aufmerksam umzuschauen.

Die Häuser der dunklen Stadt waren bei näherem Hinsehen in einem weitaus schlechteren Zustand, als er ursprünglich angenommen hatte. Viele von ihnen reckten sich krumm und schief zum Himmel empor, so als wären Teile des ursprünglichen Baus erst später hinzugefügt worden, um Platz für mehr Bewohner zu schaffen. Überall sah man Spuren der Abnutzung und des Verfalls, und Solas erkannte, dass dies das Armenviertel der Stadt sein musste, deren leere Straßen er durchschritt.

Plötzlich ahnte er, in wessen Traum er sich befand.

Seine Vermutung wurde kurze Zeit später bestätigt, als er um eine Hausecke bog und vor sich ein schmales, unscheinbares Gebäude erblickte, in dessen unterstem Fenster eine einzelne Kerze brannte.

Daneben saß eine junge Elfe, die nicht älter als vierzehn Jahre sein konnte, und sah mit besorgter Miene hinaus in die Nacht.

„Ella“, ertönte eine leise, sanfte Stimme aus der Wohnung. „Geh ins Bett. Sie wird schon noch kommen.“

Die Elfe drehte sich um. Solas konnte nicht erkennen, wen sie ansah, doch er konnte die leise Konversation, die folgte, klar und deutlich hören.

„Sie war noch nie so lange fort, Großmutter“, entgegnete das Mädchen. „Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? In letzter Zeit sind so viele von uns spurlos verschwunden...“

„Um ihr Glück woanders zu suchen“, entgegnete die alte Frau. „Doch deine Mutter würde weder dich noch mich je im Stich lassen. Das weißt du.“

„... ja.“ Ellana gab ein Seufzen von sich und senkte den Kopf. „Es sieht ihr dennoch nicht ähnlich, so lange fortzubleiben.“

„Als du noch klein warst, war sie oft lange fort“, sagte ihre Großmutter. „Ich sorgte mich jede Nacht um sie, doch sie kam immer zu uns zurück. Vertrau auf deine Mutter, Ella. Sie ist klug und stark. Ihr wird nichts geschehen.“

Das Mädchen schwieg für einen Moment, doch schließlich nickte es.

„Du hast vermutlich Recht“, meinte Ellana. „Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Sorgen.“

Sie stand auf und trat vom Fenster fort, so dass Solas sie nicht mehr sehen konnte. Er nahm an, dass die Kerze erlöschen würde und der Traum entweder enden oder in einen anderen Traum übergehen würde, und wollte seinen Weg gerade fortsetzen, als Ellana wieder zurückkehrte und sich erneut ans Fenster setzte.

Und dieses Mal sah sie ihn an.

„Ich dachte, ich hätte mich geirrt, doch nun sehe ich, dass Ihr kein Traumgespinst seid“, sagte sie. „Wer seid Ihr? Und was macht Ihr in meinem Traum?“

„Verzeiht“, entgegnete Solas und trat ein paar Schritte näher, blieb jedoch in respektvollem Abstand stehen, um ihr keine Angst zu machen. „Es war nicht meine Absicht, Euren Schlaf zu stören. Ich bin lediglich ein Wanderer im Nichts und selbst ein wenig überrascht, dass es mich hierher verschlagen hat.“

„Seid Ihr ein Dämon?“, fragte das Mädchen. Es waren weder Misstrauen noch Furcht in ihrer Stimme, doch Solas spürte, dass sie sich vor ihm in Acht nahm.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein“, erwiderte er und lächelte. „Ich bin lediglich ein Träumer wie Ihr.“

„Und wer ist dann er?“ Sie deutete auf etwas, was sich hinter ihm befand, und Solas drehte sich um.

Ein riesiger weißer Wolf stand vor ihm auf der Straße und erwiderte seinen Blick aus klugen, grauen Augen. Hechelnd trat er näher und presste seine Schnauze gegen Solas‘ Hand. Überrascht hob der Elf seinen Arm, doch der Wolf schmiegte sich nur mit leisem Winseln an seine Seite. Schließlich senkte Solas zögernd wieder die Hand und ließ die Finger durch das weiche Fell des Tieres gleiten.

Das hätte nicht passieren dürfen. Für gewöhnlich hatte er sich genug unter Kontrolle, um diesen Teil seiner selbst im Nichts zu unterdrücken, insbesondere wenn er durch die Träume anderer wanderte.

Nur nicht hier, wie es schien.

„Mein Gefährte im Nichts“, erwiderte er schließlich, als ihm bewusst wurde, dass sie auf seine Antwort wartete. „Sorgt Euch nicht. Er wird Euch nichts tun.“

Er sah Verwunderung in ihrem Blick.

„Er kommt mir bekannt vor“, sagte sie. Und dann hoben sich ihre Augenbrauen, als sie ihn erneut musterte. „Ihr kommt mir bekannt vor. Doch woher kenne ich Euch...?“

Er sah sie ruhig an und erwiderte mit sanfter Stimme:

„Ich bin mir sicher, es wird Euch wieder einfallen, wenn Ihr aufwacht, lethallan.“

Und mit diesen Worten erlosch die Kerze.

 

Solas schlug die Augen auf.

Dieses Mal wusste er, dass er wach war und nicht länger träumte, noch bevor er den eisigen Wind spürte, der durch die Ritzen des Zeltes drang.

Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, um die Müdigkeit abzuschütteln, dann setzte er sich auf. Neben ihm lag Lavellan auf einem Bett aus Decken und Fellen und schlug ihrerseits blinzelnd die Augen auf. Als sie ihn sah, schenkte sie ihm ein schläfriges Lächeln, das Solas unbewusst erwiderte – etwas, was ihm in letzter Zeit häufiger passierte, wie er vor kurzem festgestellt hatte.

„Ihr wart in meinem Traum“, sagte sie leise.

„Und ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen“, erwiderte er ebenso leise. „Manchmal werde ich in die Träume anderer gezogen, gerade wenn sie für diese von großer Bedeutung sind und starke Emotionen darin vorherrschen. Glaubt mir, es war nicht meine Absicht, mich in Eure persönlichsten Erinnerungen zu drängen.“

Sie schwieg für einen Moment, ohne ihn dabei anzusehen.

„Ich bin Euch nicht böse, Solas“, erwiderte sie schließlich. „Es war keine angenehme Erinnerung. Wenn überhaupt, dann hat Eure Anwesenheit sie nur erträglicher gemacht.“

Solas gab keine Antwort, da er spürte, dass sie noch mehr sagen wollte, doch die Bemerkung rührte ihn.

Lavellan schloss für einen Moment die Augen und nach einer Weile fuhr sie schließlich fort:

„Es war die Nacht, in der meine Mutter verschwand. Nachdem meine Großmutter sich zur Ruhe gelegt hatte, saß ich noch bis zum Morgengrauen am Fenster und wartete auf sie. Doch sie kehrte nicht zurück.“

Einem plötzlichen Impuls folgend streckte Solas die Hand aus und ergriff vorsichtig die bandagierten Finger der jungen Frau.

„Es tut mir leid“, sagte er leise. „Es muss furchtbar sein, eine geliebte Person so plötzlich zu verlieren.“

Sie gab keine Antwort, doch sie erwiderte den Griff seiner Hand mit sanftem Druck.

„Habt Ihr je erfahren, was aus ihr wurde?“, fragte Solas.

„Ja“, entgegnete sie flüsternd.

Doch sie schien nicht weiter darüber sprechen zu wollen und Solas war klug genug, sie nicht danach zu fragen. Sie würde über diesen Teil ihrer Vergangenheit sprechen, wenn sie bereit war.

Die beiden Elfen hingen für eine Weile schweigend ihren eigenen Gedanken nach. Nach einigen Minuten wurde Solas bewusst, dass er Lavellans Hand noch immer festhielt, doch es schien sie nicht zu stören und so zog er sie nicht zurück.

Eine einzelne Stimme durchbrach plötzlich die Stille, die sich über das Lager gelegt hatte, und ließ sie aufblicken.

Lavellan stützte sich mühsam auf die Ellenbogen, um hinauszusehen, während Solas aufstand und die Zeltplane anhob.

Eine stumme Prozession von Menschen passierte das Zelt, angeführt von einer alten Frau, die ein Klagelied sang. Sie alle waren in Weiß gekleidet – die Farbe der Trauer. Solas sah über das Lager hinweg und erblickte am Rande der kleinen Zeltstadt mehrere Scheiterhaufen, die in sicherem Abstand errichtet worden waren. Zweifellos das Ziel des Trauerzuges.

„Was tun sie?“, fragte Lavellan, die nicht sehen konnte, was er sah.

„Sie verbrennen ihre Seelengefährten“, entgegnete Solas leise, während er in die leblosen Gesichter der Männer und Frauen sah, die lautlos wie Geister an ihm vorbeischritten.

Viele hatten den Angriff auf Haven und die anschließende Flucht in die Berge nicht überlebt. Es war keine Zeit gewesen, all die Toten zu betrauern, doch der Verlust eines Seelenpartners bedeutete eine Dimension von Schmerz, die mit nichts auf der Welt zu vergleichen war, und es wäre einem Sakrileg gleichgekommen, keinen gebührenden Abschied zu nehmen.

Schließlich erreichte die Prozession die Reihe der Scheiterhaufen und nacheinander traten einzelne Männer und Frauen vor und entzündeten die Scheiterhaufen ihrer verstorbenen Seelenpartner. All dies geschah in absoluter Stille, sah man von dem anhaltenden Klagegesang und dem leisen Knacken und Knistern der brennenden Scheite ab.

Nach einem Monat der Trauerzeit würden die Trauernden die einmalige – und nur unter diesen Bedingungen zulässige – Wahl bekommen, sich brandmarken zu lassen, was bedeutete, dass der Name auf ihrem Handgelenk durch ein Brandzeichen entfernt werden würde. Obwohl dies furchtbare Schmerzen bedeutete und die Gebrandmarkten danach gelassen, fast schon gleichgültig wurden, gab es immer wieder Personen, die sich dafür entschieden, da es den furchtbaren Schmerz über den Verlust ihres Partners als einziges erträglich machte.

Solas hielt nichts von diesem barbarischen Ritual, das schon viele kluge und tatkräftige Menschen die Persönlichkeit gekostet hatte, und, wenn er den Gerüchten Glauben schenken konnte, von den Templern in den Zirkeln der Magi oder den Sklavenhaltern von Tevinter missbraucht wurde. Doch es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Jeder musste selbst entscheiden, wie er mit seinem Verlust umging.

Und nicht zum ersten Mal, seitdem er aus seinem jahrtausendelangen Schlaf erwacht war, war Solas froh darüber, dass er diese Art von Schmerz nie erfahren würde.

Als er die Zeltplane wieder sinken ließ und sich Lavellan zuwandte, sah er Tränen in ihren Augen schimmern. Sie hielt ihr Handgelenk umklammert und sah ihn nicht an, als er sich neben sie setzte.

„Sich auf diese Weise von seinem Partner zu verabschieden...“, sagte sie mit heiserer Stimme. „Ich weiß nicht, ob ich das jemals könnte.“

Er fragte sich, ob sie ihren Partner bereits gefunden hatte, und aufgebracht war, weil sie sich vorstellte, wie es sein musste, ihn zu verlieren. Und er spürte plötzlich einen unerwarteten und gänzlich unangemessenen Anflug von Eifersucht in seiner Brust.

„Ich bete, dass Ihr es niemals müsst“, entgegnete er sanft und ergriff einmal mehr ihre Hand, während er das Gefühl wieder verdrängte.

Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. „Das hoffe ich auch.“

Er drückte sacht ihre Finger, dann erhob er sich wieder.

„Schlaft, lethallan“, sagte er. „Ruht Euch aus. Morgen wird es Euch wieder besser gehen.“

Lavellan schloss seufzend die Augen, doch nicht ohne dabei zu murmeln: „Und was habt Ihr solange vor, Solas?“

Der Elf griff nach seinem Stab und überlegte für einen Moment.

„Ich muss eine Entscheidung treffen“, erwiderte er schließlich leise.

Dann verließ er das Zelt.

 

Tarasyl'an te'las.

Der Ort, an dem der Himmel zurückgehalten wurde.

Wie er es auch drehte und wendete, die Himmelsfeste war der einzige Zufluchtsort, der ihnen noch blieb. Ihre Position zu verraten, würde ihn große Überwindung kosten, doch ohne eine feste Heimat würde die Inquisition nicht lange bestehen, und dann würde Solas die Kugel, die sich in Corypheus‘ Besitz befand, niemals zurückerlangen.

Und im Vergleich zu einer Welt, die von einem uralten, machthungrigen Magister regiert wurde, war der Verlust seiner alten Festung zweifellos das kleinere Übel.

Und so bat er Lavellan am nächsten Abend um ein Gespräch unter vier Augen und führte sie zu einer Stelle außerhalb des Lagers, an der sie sich ungestört unterhalten konnten.

„Ihr sagt also, dass es nicht nur Corypheus‘ wachsende Armee ist, vor der wir uns in Acht nehmen sollten, sondern auch das Artefakt, das er bei sich trägt, und die Gefahr, die uns Elfen durch seinen Missbrauch droht?“

Solas nickte, erfreut über ihre schnelle Auffassungsgabe.

„Das ist korrekt“, entgegnete er.

Sie sah ihn aufmerksam an.

„Ihr habt mich sicher nicht nur hierher geführt, um mir dies mitzuteilen“, sagte sie. „Ich nehme an, Ihr habt einen Plan?“

„Abermals korrekt“, erwiderte er. Dann hob er den Blick und sah in Richtung Norden.

„Es gibt einen Ort, an dem die Inquisition vorerst sicher ist. An dem sie wachsen kann“, fuhr er fort. „Ich habe ihn vor langer Zeit auf meinen Wanderungen entdeckt, und mir scheint, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihn aufzusuchen.“

Er sah sie wieder an.

„Führt sie an, Ellana. Führt sie nach Norden. Dort werdet Ihr finden, wovon ich spreche – einen Ort, der einer Armee wie dieser würdig ist.“

Sie zögerte.

„Es wird eine beschwerliche Reise werden“, sagte sie dann. „Erst recht zu dieser Jahreszeit und mit so vielen Leuten.“

„Ich weiß“, entgegnete er ruhig.

„Versprecht es mir, Solas.“ Ihre grünen Augen hielten seinen Blick gefangen. Sie wollte ihm so sehr vertrauen können, das spürte er. „Versprecht mir, dass alles, was Ihr mir soeben erzählt habt, die Wahrheit ist, und dass das Opfer, das wir in Haven gebracht haben, nicht umsonst war, wenn wir diesen Ort erreichen, von dem Ihr mir erzählt habt.“

Er zögerte keine Sekunde lang. „Ich verspreche es.“

Sie sah den Ernst in seinem Blick und nickte schließlich.

„Gut“, entgegnete sie. „Dann brechen wir bei Sonnenaufgang auf.“

Dorian

Als Dorian am nächsten Morgen aus dem Zelt kroch – hungrig und ungewaschen, aber das erste Mal seit Tagen wieder erholt – herrschte im Lager Aufbruchsstimmung.

Die Feuer waren mit Erde zugeschüttet und die meisten Zelte bereits abgebaut worden, und die Soldaten waren dabei, Vorräte und Gepäck auf die weniges Bisents zu laden, die sie bei der Zerstörung von Haven hatten retten können.

„Ah, Serah Pavus!“, hörte er eine fröhliche Stimme und Dorian wandte sich zu Varric um, der ihm im Vorbeigehen einen Apfel in die Hand drückte. „Schön, dass Ihr wach seid. Wir setzen unseren Marsch bald fort, also esst, solange Ihr noch könnt.“

Dorian sah ihm für einen Moment sprachlos nach, dann schwang er seinen Beutel über die Schulter und griff nach seinem Stab, bevor er sich beeilte, Varric einzuholen, während hinter ihnen das Zelt abgebaut wurde.

„Wohin geht es?“, fragte er. „Und was ist mit der Heroldin? Ich dachte, sie–“

„Es geht ihr gut“, unterbrach ihn Varric mit einem Lächeln. „Ihr habt bei ihrer Rückkehr schon geschlafen, aber als sie uns letzte Nacht schließlich fand, war sie in weitaus besserer Verfassung, als man es nach dem Kampf gegen den Drachen und eine Wanderung durch den Schneesturm erwartet hätte. Eine Nacht Ruhe und sie ist wieder wohlauf. Ich fange langsam an zu glauben, dass diese Frau nichts erschüttern kann.“

„... es scheint so“, meinte Dorian mit einiger Verspätung, der noch nicht wach genug war, dass seine Gedanken wieder in gewohnter Geschwindigkeit arbeiteten.

Während sie das Lager durchquerten, fiel sein Blick auf die hünenhafte Gestalt des Qunari, der ihm schon am Vortag aufgefallen war. Er lachte gerade über eine Bemerkung, die einer seiner Männer gemacht hatte, doch als er den Blick des Magiers bemerkte, zwinkerte er ihm zu.

Dorian wandte schnell das Gesicht ab. Nichts an dem Blick, den der Qunari ihm zugeworfen hatte, war unschuldig gewesen, und Dorian wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste noch weniger, was er von der Wärme halten sollte, die ihm dabei in die Wangen gestiegen war, und für einen kurzen Augenblick erlaubte er seinen Gedanken abzuschweifen und all die Möglichkeiten in Betracht zu ziehen...

Aber nein. Nein, mehr als eine Fantasie würde diese Sache niemals sein, und er sollte sofort damit aufhören, sich ihr weiter hinzugeben...

Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er beinahe in Cullen hineingerannt wäre, der ihnen entgegenkam. Nur die Geistesgegenwart des Kommandanten, der schnell zur Seite trat, rettete Dorian vor einem Zusammenstoß.

Mit entschuldigendem Lächeln stützte er sich auf seinen Stab.

„Verzeiht mir“, sagte er. „Ich war für einen Moment nicht bei der Sache.“

„Es ist ja nichts passiert“, entgegnete der andere Mann nur, bevor er Dorian kurz musterte.

„Ihr seht gut aus“, meinte er dann.

Dorian war für einen Moment zu perplex, um zu antworten. Dann konnte er hören, wie Varric neben ihm ein unterdrücktes Lachen von sich gab, das er erfolglos als Räuspern zu tarnen versuchte, und hob seinerseits amüsiert eine Augenbraue.

„Ihr ehrt mich, Kommandant, aber was veranlasst dieses Kompliment...?“

Cullen schien erst jetzt bewusst zu werden, was er gesagt hatte, und er seufzte auf.

 „Andraste steh mir bei...“ Er rieb sich verlegen den Nacken. „Was ich meinte, war – Ihr seht besser aus, als letzte Nacht. Erholter. Ich hoffe, Ihr konntet gut schlafen?“

Dorian und Varric tauschten einen kurzen Blick.

„Der Geräuschpegel hielt sich in Grenzen, wenn es das ist, was Ihr meint“, erwiderte Dorian diplomatisch, und Varric grinste.

„Was ist mit Euch?“, fragte Dorian dann und sah Cullen wieder an.

Der Kommandant war wie immer blass, aber die Ringe unter seinen Augen waren nicht mehr ganz so tief, wie in der Nacht zuvor. Dennoch zweifelte Dorian nicht daran, dass ihm ein paar Tage Ruhe gut tun würden.

„Es wird reichen“, meinte Cullen nur, dann drehte er sich zur Seite und warf einen Blick an die Spitze des Zuges, der sich allmählich um sie herum bildete.

Dorians Augen folgten seinem Blick, und er sah die Heroldin mit schimmernder Rüstung und offenem, roten Haar, die gerade in ein Gespräch mit Cassandra vertieft war.

Sie machte in der Tat einen sehr lebhaften und entschlossenen Eindruck, und Dorian stellte überrascht fest, dass er ihr folgen würde, egal, wohin ihr Weg sie auch führen mochte. Lavellan besaß einen Optimismus und eine Stärke, die Hoffnung sehen ließen, wo man keine mehr für möglich gehalten hatte. Und es schien den anderen Männern und Frauen der Inquisition ähnlich zu gehen, wie Dorian, denn trotz ihrer schweren Niederlage in Haven wirkten sie weniger niedergeschlagen, als man es vermutet hätte.

Ein Blick in Cullens Gesicht sagte ihm jedoch, dass der Kommandant anders empfand.

„Ihr wirkt besorgt“, stellte Dorian fest. „Was beschäftigt Euch?“

„Ich...“ Cullen sah ihn nicht an, aber Dorian entging der Ausdruck von Resignation auf seinem Gesicht nicht. „Ich bete, dass es das Richtige ist, was wir tun. Als die Heroldin an Cassandra und mich herantrat und sagte, sie wüsste von einem Ort, an dem die Inquisition sicher wäre, war ich voller Zuversicht. Doch jetzt...“

„Jetzt habt Ihr Zweifel“, vermutete Dorian und der Kommandant senkte den Blick.

„Es hängen zu viele Menschenleben vom Ausgang dieser Reise ab“, sagte er leise. „Wenn uns unterwegs ein Unglück widerfahren sollte, gibt es nichts, was ich sagen könnte, um ihren Schmerz zu lindern... außer, dass ich an die Heroldin geglaubt habe.“

„Aber ihr glaubt an sie“, warf Varric ein. „Das ist schon viel wert. Und Leute, die spüren, dass Ihr an das glaubt, was Ihr tut, sind eher bereit, Euch zu vertrauen – und Euch zu folgen.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust.

„So wie ich das sehe, sind die Alternativen, die wir haben, nicht viel besser“, meinte er. „Was spricht also dagegen, der Heroldin zu folgen und zu sehen, ob nicht etwas an dem dran ist, was sie sagt...?“

Cullen hob den Kopf und starrte Varric einen Moment lang an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen.

Schließlich begann er zu lächeln.

„Ihr habt Recht“, entgegnete er. „Die Leute vertrauen darauf, dass wir sie an einen sicheren Ort führen. Vielleicht sollte ich meinerseits etwas mehr Vertrauen in die Heroldin haben.“

„Vielleicht solltet Ihr das“, meinte Varric, aber es war kein Spott in seiner Stimme, und der Blick, den er dem anderen zuwarf, war aufmunternd und bestärkend.

Cullen nickte ihm und Dorian kurz zu, dann wandte er sich ab und setzte seinen Weg durch das Lager fort, um seinen Leuten letzte Anweisungen vor ihrem Aufbruch zu geben.

Dorian starrte Varric an.

„Ihr seid bemerkenswert geschickt darin, anderen den Glauben an sich selbst zurückzugeben, Varric“, stellte er nicht ohne einen Hauch von Anerkennung fest.

Der andere grinste ihn an. „Und trotzdem behaupten sie, Zwerge könnten keine Magie wirken.“

Dorian begann zu lachen.

 

In den ersten paar Stunden ihrer Wanderung lief Dorian neben Varric her. Sie unterhielten sich über alles und nichts – belanglose Dinge, die eher ihre Meinungen zu verschiedenen Themen widerspiegelten, als Details aus ihrem Leben preiszugeben.

Denn so sympathisch Dorian den Zwerg auch fand, er hatte kein Bedürfnis danach, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen, und Varric, der dies zu spüren schien, ging auf die seichte Unterhaltung ein und mied alle privaten Themen, wofür Dorian ihm unendlich dankbar war.

Die Unterhaltung zwischen ihnen und Cullen hatte ihm klargemacht, dass der Zwerg ein außerordentliches Feingefühl beim Umgang mit anderen besaß und jegliche Stimmungsänderungen sofort wahrnahm. Er war ehrlich, aber nie beleidigend, und jeder, der sich mit ihm unterhielt, begann sich automatisch nach einer Weile zu entspannen. Denn Varric stellte keine Fragen, wo sie nicht erwünscht waren, und er urteilte nicht über andere, sondern respektierte ihre Grenzen.

Und Dorian ahnte, dass er von allen Mitgliedern der Inquisition, die er bisher kennengelernt hatte, ihn als ersten würde Freund nennen können. Selbstverständlich würde es noch eine Weile dauern, bis sie diesen Punkt erreicht hatten, aber er fühlte sich in seiner Gegenwart wohl und wenn er weiter bei der Inquisition blieb, dann würden er und Varric sicher noch viele Unterhaltungen führen.

Varric war es auch, der ihm einen kurzen Überblick über die restlichen Mitglieder des Inneren Kreises der Heroldin gegeben hatte.

„Wenn Ihr Euch bemüht, werdet Ihr bestimmt auch bald dazu zählen“, hatte er gesagt. „Ihr habt Verstand, seid ein fähiger Magier und kennt Euch mit der Geschichte und Kultur Tevinters aus, was im Kampf gegen Corypheus mit Sicherheit kein Nachteil ist.“

Dorian, der es nicht gewohnt war, ehrlich gemeinte Komplimente zu erhalten, hatte nichts gesagt, aber er hatte Varric einen dankbaren Blick geschenkt.

Mit den engsten Vertrauten der Heroldin hatte er bisher kaum Kontakt gehabt. Sowohl Leliana als auch Cassandra machten einen schwer zugänglichen Eindruck, während Jospehine auf den ersten Blick zwar offen und vertrauensvoll wirkte, aber nach kurzem Gespräch mit ihr schnell klar wurde, dass sich hinter ihrem freundlichen Lächeln eine berechnende und zielstrebige Frau verbarg, die ihre Gegner nicht mit dem Schwert, sondern mit der Feder durchbohrte.

Cullen war ein wandelndes Enigma. Auch wenn er oft einen fast schon charmant unbeholfenen Eindruck machte, wurde doch bei jeder Gelegenheit deutlich, dass er seine Truppen absolut unter Kontrolle hatte. Darüber hinaus drang manchmal eine Finsternis durch die Risse in seiner Fassade, auf die Dorian sich keinen Reim machen konnte, und er fragte sich, ob er den Mann jemals verstehen würde.

Mit den anderen Mitgliedern des Inneren Kreises hatte er sich bisher kaum beschäftigt, sah man einmal von Varric ab – und Solas, mit dem er sich am Nachmittag für eine Weile unterhielt.

Das umfangreiche Wissen des Elfs über das Nichts war schlichtweg beeindruckend, das musste selbst Dorian nach einer Weile zugeben. Er selbst hatte schon vieles im Nichts gesehen und mit dem ein oder anderen Dämonen dort anregende Unterhaltungen geführt – meistens bevor besagter Dämon versucht hatte, Besitz von Dorian zu ergreifen – aber Solas erzählte ihm von Wesen, die er gesehen, und Geistern, die er getroffen hatte, von denen Dorian noch nie zuvor gehört hatte.

Wäre der Tonfall des anderen dabei nicht so furchtbar belehrend gewesen, dass Dorian nach einer Weile innerlich die Augen verdrehte, hätte er sich gewiss noch länger mit ihm unterhalten. Doch nach zwei Stunden hielt er die Art und Weise, wie der Elf von oben herab mit ihm sprach – ob es bewusst oder unbewusst war – nicht mehr aus und beendete die Unterhaltung. Solas schien dies allerdings nicht zu stören, und er setzte seinen Weg allein fort, mit sich und der Welt im Einklang auf eine Art, für die Dorian ihn fast beneidete.

Während Dorian sich Stück für Stück zurückfallen ließ und darauf wartete, dass Varric ihn einholte, bemerkte er aus dem Augenwinkel plötzlich einen Schatten. Er drehte den Kopf zur Seite und sah einen jungen Mann neben sich herlaufen, der wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war. Dorian hatte ihn noch nie zuvor gesehen, was ihn ein wenig überraschte, denn den furchtbaren Hut, den der Junge trug, hätte er sicher niemals vergessen können.

„Aber Ihr habt ihn vergessen“, sagte der Junge plötzlich leise und sah ihn aus blassen, blauen Augen an.

„Außerdem ist er nicht furchtbar“, fügte er dann mit leisem Vorwurf hinzu. „Er hält meinen Kopf warm.“

„Was...?“, machte Dorian nur, der keine Ahnung hatte, was in diesem Moment vor sich ging.

„Lasst Euch von dem Jungen nicht irritieren“, brummte ein dunkelhaariger Mann mit imposantem Bart, der neben ihnen herlief. „Er spielt diese Spielchen mit allen, die neu sind.“

„Es ist kein Spiel!“, protestierte der junge Mann. „Ich wollte mich nur unterhalten.“

„Das einzige, was du bisher geschafft hast, ist, den armen Mann durcheinanderzubringen“, entgegnete der Fremde, der die Rüstung der Grauen Wächter trug, wie Dorian in diesem Moment bemerkte.

„Verzeiht mir die Direktheit“, sagte Dorian und runzelte die Stirn. „Aber wer seid Ihr?“

„Wer?“, fragte der Mann. „Ich oder er?“

„‚Er‘?“ Dorian sah neben sich, doch dort war niemand.

Seltsam, er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich eben noch mit jemandem unterhalten hatte...

Der Mann neben ihm fluchte leise. „Ich hasse es, wenn der Bengel das macht.“

Dorian sah ihn verwirrt an. „Wenn wer was macht?“

„Keine Sorge, er taucht bald wieder auf“, meinte der andere. „Es erfordert ein bisschen Konzentration, um sich an ihn zu erinnern. Ihr werdet bald wissen, wovon ich rede.“

„Das hoffe ich“, meinte Dorian trocken. Bisher war er vor allem verwirrt, und es war kein Gefühl, das er besonders mochte.

„Blackwall ist mein Name“, stellte der andere Mann sich vor und sah ihn aufmerksam an. „Ihr seid aus Tevinter, oder?“

„Ist das eine rhetorische Frage?“, entgegnete Dorian, der sich den Spott nicht verkneifen konnte. „Ich dachte, es wäre mittlerweile ein offenes Geheimnis in der Inquisition, woher ich stamme.“

Doch Blackwall schien ihm die Bemerkung nicht übel zu nehmen, sondern lachte nur auf.

„Ich habe bisher tatsächlich noch nicht von Euch gehört“, erwiderte er. „Aber Euer Akzent ließ es mich vermuten.“

„... oh“, meinte Dorian. Er fühlte sich plötzlich wie ein Narr.

Dann fiel sein Blick wieder auf das Wappen auf Blackwalls Rüstung.

„Und was treibt einen Grauen Wächter wie Euch in eine Gegend wie diese?“

„Eure Beobachtungsgabe ist wirklich bemerkenswert“, meinte Blackwall mit amüsiertem Funkeln in den Augen. „Und um Eure Frage zu beantworten: ich bin ganz offensichtlich zum Bergsteigen hergekommen.“

Dorian verdrehte die Augen. Dieser Mann wollte ihn herausfordern? Na schön!

„Also habt Ihr nicht vor, neue Mitglieder für den Kampf gegen die Dunkle Brut zu rekrutieren, der früher oder später unvermeidlich mit dem Tod endet?“, fragte er mit gespieltem Lächeln.

Ein Muskel zuckte kurz in Blackwalls Gesicht, doch er ignorierte den Köder.

„Warum die Frage?“, entgegnete er stattdessen. „Habt Ihr denn vor, nachts in mein Zelt zu schleichen und mein Blut für finstere Rituale zu verwenden?“

„Uhm“, machte Dorian, den die Bemerkung für einen Moment aus dem Konzept gebracht hatte. „Nein?“

„Gut.“ Blackwall nickte. „Dann sollten wir keine Probleme miteinander haben.“

Dorian starrte ihn nur an.

Dies ist jetzt mein Leben, dachte er. All meine Entscheidungen haben mich an diesen Punkt geführt.

Doch auch wenn er Blackwall in diesem Moment am liebsten erwürgt hätte, bereute er noch keine einzige davon.

Lavellan

Sie kamen nur langsam voran.

Der Himmel blieb in den nächsten Tagen klar, und tagsüber schien die Sonne warm auf sie herab, doch die Nächte waren dafür umso kälter, und es wurde jeden Abend schwerer, genügend Holz für die Lagerfeuer aufzutreiben.

Oft wanderten sie über kahlen Fels oder schneebedeckte Berghänge, denn es gab keine Wege, die durch das Gebirge führten. Manchmal stießen sie jedoch auf die Überreste längst zerfallener Straßen, denen sie für eine Weile folgten, und die laut Dorian selbst die Kaiserlichen Hochwege Tevinters, das vor mehr als tausend Jahren diesen Teil von Thedas beherrscht hatte, an Alter übertrafen.

Varric schüttelte jedoch nur den Kopf, als Ellana ihn danach fragte.

„Ich bezweifle, dass es zwergische Arbeit ist“, erwiderte er. „Zu dieser Zeit haben unsere Vorfahren noch wesentlich grobschlächtiger gebaut, ein solch nahtloses Straßenpflaster wäre ihnen damals noch nicht gelungen.“

„Wenn es nicht Zwerge waren, die diese Straßen errichtet haben, und Tevinter damals noch nicht in diesen Teil der Welt vorgedrungen ist... dann gibt es nur eine Erklärung“, meinte Dorian und warf einen vielsagenden Blick zu Solas hinüber, der ein Stück vor ihnen lief und sich bisher nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, auch wenn er jedes Wort davon gehört haben musste.

„Stimmt es?“, fragte Ellana, als sie zügigen Schrittes zu dem Elf aufholte. „Könnten diese Wege tatsächlich Überreste der Hochkultur von Elvhenan sein?“

Ein kleines Lächeln spielte um Solas‘ Lippen, das jedoch schnell wieder seiner üblichen, gefassten Miene wich.

„Möglich wäre es“, entgegnete er. „Unser Volk war damals zu Dingen fähig, von denen wir heute nur träumen können. Ich sah Schatten ihrer Bauten im Nichts, lethallan, und sie waren atemberaubend. Die Elfen bauten Straßen und Paläste, die für die Ewigkeit errichtet waren... und auch für alle Ewigkeit bestanden hätten, wäre es nicht anders gekommen.“

„Die Menschen“, meinte Ellana. „Sie waren es, die alles verändert haben, ist es das, was Ihr sagen wollt?“

„Elvhenan wäre auch ohne ihre Ankunft dem Untergang geweiht gewesen“, erwiderte Solas und ein wehmütiger Ausdruck trat in seine Augen. „Es war uns damals nur noch nicht bewusst.“

Er klang für einen Moment so verbittert, dass der Drang in ihr erwachte, ihn zu berühren, um ihn spüren zu lassen, dass sie bei ihm war und nicht vorhatte, ihn in diesem Augenblick allein zu lassen. Es war einer dieser Momente, in denen sie fühlen konnte, dass er noch mehr sagen wollte, sich jedoch absichtlich zurückhielt... und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso.

„Immer, wenn Ihr von diesen Dingen sprecht, macht es Euch traurig“, sagte sie leise und sah ihn an. „Warum seid Ihr so traurig...?“

Für einen Moment entgleiste ihm seine sorgfältig konstruierte Fassade und er blickte sie mit Erstaunen an, als hätte ihre unschuldige Frage es tatsächlich geschafft, seine Abwehr zu durchdringen.

„Ich frage mich oft, was hätte sein können“, entgegnete er nach einer Weile und wandte den Blick wieder ab. „Was unser Volk noch alles hätte erreichen können, wenn es nicht der Dekadenz verfallen wäre. Es macht mich traurig, dass mit dem Untergang von Elvhenan so viel Wissen verloren ging... so viel Potential. Aber das ist wohl das Schicksal aller großen Zivilisationen.“

Sie nickte. Sie teilte nicht den gleichen, tiefen Schmerz bei dem Gedanken, wie er, doch würde sie täglich im Nichts mit den uralten Geistern jener längst untergegangen Zivilisation kommunizieren, würde sie zweifellos ähnlich empfinden.

„Ihr habt Recht“, sagte sie schließlich. „Doch es war vor langer Zeit, und es gibt nichts, was Ihr hättet tun können, um es zu verhindern.“

Ein Ausdruck von Pein flackerte kurz in seinen Augen auf, doch er war so schnell verschwunden, dass sie sich nicht sicher war, ob sie ihn sich nur eingebildet hatte.

„Nein“, meinte er. „Vermutlich nicht.“

Dann hüllte er sich wieder in Schweigen.

 

Der Weg wurde Stunde für Stunde beschwerlicher.

Je weiter sie in das Gebirge vordrangen, desto häufiger waren sie gezwungen, längere Pausen einzulegen, während die Kundschafter einen Weg um klaffende Schluchten herum suchten, oder die ungefährlichste Passage durch einen der vielen schnell fließenden Gebirgsbäche hindurch austesteten.

Oft kam es dabei zu Unfällen, und in fast jeder Nacht zog eine neue Prozession durch das Lager, um den Verlust der Toten zu beklagen. Ellana stand dabei stets vor ihrem Zelt und zwang sich, die weißgekleideten Gestalten anzusehen und sich die Gesichter jener, die tödlich verunglückt waren, in Erinnerung zu rufen.

Als sie eines Nachts wieder im Eingang ihres Zeltes stand, trat plötzlich Cullen an ihre Seite, und verfolgte mit den Augen wortlos den Trauerzug.

„Es wird nie einfacher, oder?“, fragte sie leise. „All diese Verluste mit anzusehen, meine ich.“

Seit dem Fall von Haven war bereits eine Woche vergangen – eine Woche, in der sie mindestens zwanzig Männer und Frauen verloren hatten – und ihr Herz wurde mit jedem Tod müder und schwerer.

Cullen warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Wenn es je einfach wird, dann legt unverzüglich Euer Schwert nieder“, entgegnete er ruhig. „Denn wenn es nichts mehr gibt, was Euch noch berühren kann, dann seid Ihr nicht länger geeignet, uns anzuführen.“

Sie sah ihn an. Seine Worte gaben ihr zu denken.

Was habt Ihr erlebt?, fragte sie sich. Wer hat Euch so verletzt, dass dies die Lehre ist, die Ihr aus Eurem Leiden gezogen habt?

Während der langen Abende in Haven hatte sie manchmal Gerüchte gehört, die die Soldaten einander hinter vorgehaltener Hand erzählt hatten: Geschichten von Kirkwall und der Templer-Kommandantin Meredith, die über Jahre hinweg immer mehr dem Wahnsinn verfallen war, ohne dass es jemand gemerkt hatte... und von Cullen, der sich ihr erst dann widersetzt hatte, als Hawke ihm keine andere Wahl mehr gelassen hatte, der jedoch von vielen der Verbrechen gewusst haben sollte, die die Templer an den Magiern verübt hatten.

Ellana hatte nie herausgefunden, wie viel Wahrheit in diesen Gerüchten steckte, und sie hatte sie auch nicht bewusst weiter verfolgt. Es hätte ihr das Gefühl gegeben, Cullen zu verraten, der als einziger die Entscheidung darüber treffen sollte, wem er seine Geheimnisse anvertraute – oder wem er sie verweigerte. Und sie respektierte den Mann, der er jetzt war, zu sehr, um ihn auf diese Weise zu hintergehen.

Darüber hinaus zweifelte sie nicht daran, dass ihn bereits seine ganz eigenen Dämonen quälten, und sie hatte nicht vor, sein Leid zu vergrößern.

Erst recht nicht in ihrer momentanen Situation.

Doch obwohl der Kommandant schon seit Tagen mindestens ebenso erschöpft aussah, wie sie sich fühlte, schien ihn pure Willenskraft weiter anzutreiben.

Dabei hatte er am Anfang noch gezweifelt und seine Bedenken geäußert, als sie von ihrem Plan erzählt hatte, weiter in das Gebirge vorzudringen. Doch schon wenige Tage später hatte sich seine Haltung auf einmal verändert. Er hatte begonnen, ihren Marsch durch die Berge, den er zuvor noch als aussichtlos bezeichnet hatte, offen zu unterstützen, und sein unerschütterlicher Glaube an sie hatte ihr auch etwas von dem Glauben an sich selbst zurückgegeben.

Ihre Überlebenschancen sanken von Tag zu Tag, doch nicht die Moral der Truppen. Und wann immer den Soldaten Zweifel kamen, sprach Cullen ihnen mit ruhiger Stimme und gefasster Miene neuen Mut zu, bis auch die letzten Zweifler ihre Bedenken vergaßen und ihren Weg fortsetzten.

Ellana hatte keine Ahnung, wie er es tat, doch er hatte Erfolg – und sie war unendlich dankbar dafür, ihn an ihrer Seite zu haben.

 

Doch auch wenn die Inquisition vorerst auf ihrer Seite war, wusste sie, dass sie ihre Wanderung nicht ewig fortsetzen konnten. Die Vorräte begannen bereits knapp zu werden, und wenn ihre Reise noch eine weitere Woche andauern sollte, dann würden sie bald anfangen, Hunger zu leiden.

Am Vormittag des achten Tages ihrer Reise trat Ellana neben Solas, der mit langsamen, aber gleichmäßigen Schritten an der Spitze des Zuges lief und sein Ziel deutlich vor Augen zu haben schien.

„Verzeiht die Frage, Solas“, sagte sie, „aber könnt Ihr mir sagen, wie viele Tagesreisen noch vor uns liegen?“

Er richtete den Blick auf sie, ohne dass sich seine Schritte dabei verlangsamten, und sie sah einen Hauch von Unmut auf seinem Gesicht, der jedoch schnell wieder verschwand.

„Zweifelt Ihr daran, dass ich Euch an Euer Ziel führen werde?“, entgegnete er sanft.

Ihr war klar, dass diese Frage aus seiner Perspektive berechtigt war, doch für einen Moment war sie von seinen Worten so verletzt, dass ihre Schritte stockten.

„Folge ich Euch denn nicht durch das Gebirge?“, fragte sie schließlich ihrerseits, Verbitterung in der Stimme. „Und mit mir die gesamte Inquisition?“

Dieses Mal blieb er stehen. Er dachte für eine Weile nach, während er sie aufmerksam ansah.

„Verzeiht“, sagte er schließlich. „Meine Bemerkung war arrogant und unüberlegt. Auf Euren Schultern lastet eine große Verantwortung und es war Euer gutes Recht, diese Frage zu stellen.“

Sie machte mit der Hand eine kurze Geste. Die ganze Situation war ihr plötzlich sehr unangenehm.

„Es sei Euch verziehen“, sagte sie mit geröteten Wangen, bevor sie erneut den Blick hob und ihr ansah.

„Doch meine Frage bleibt“, fuhr sie fort. „Es ist nicht so, dass ich Euch nicht vertraue – das tue ich, Solas – doch von Hoffnung allein kann die Inquisition auf Dauer nicht leben. Wir brauchen einen geschützten Ort, an dem wir bleiben können... und das bald.“

Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung.

Solas hob das Kinn und blickte nach vorn, hinauf zur Spitze des Berges, dessen Hänge sie schon seit dem Morgengrauen hinaufwanderten.

„Es sind viele Jahre vergangen, seitdem ich diese Wege beschritten habe“, antwortete er schließlich. „Unser Ziel könnte hinter diesem Berggipfel liegen, oder vielleicht auch erst hinter dem nächsten. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Alles, was ich weiß, ist, dass wir es fast erreicht haben.“ Er sah sie an. „Zwei Tage, lethallan. Länger werden wir nicht mehr brauchen.“

Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie diese Worte hörte.

Zwei Tage – das war sogar noch weniger, als sie vermutet hatte. In zwei Tagen würden sie wieder ein Dach über dem Kopf haben, unter dem sie in Ruhe ihr weiteres Vorgehen planen konnten.

„Das sind wundervolle Nachrichten“, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln. „Ich danke Euch, Solas.“

Seine Augen weiteten sich, als er die offene Freude auf ihrem Gesicht sah. Dieses Mal war er es, der zuerst den Blick abwandte, so als würde ihre Dankbarkeit ihn verlegen machen.

„Es ist nicht der Rede wert“, sagte er nur, und seine Körperhaltung signalisierte ihr, dass er für den Moment in Ruhe gelassen werden wollte.

Sie respektierte seinen Wunsch und ließ sich wieder ein Stück zurückfallen, doch das Lächeln verschwand für den Rest des Vormittages nicht von ihrem Gesicht.

 

Die letzten Strahlen der Abendsonne brachten die umliegenden Gipfel zum Leuchten, als sie schließlich die Spitze des Berges erreichten und hoch oben auf dem nächsten Berggipfel, nur wenige Meilen entfernt, eine Festung erblickten, deren imposante Mauern der Ewigkeit selbst zu trotzen schienen.

Jubel brach aus, als die erschöpften Wanderer das Ziel ihrer Reihe sahen. Und während Ellana neben Solas von einem Felsvorsprung aus zur Festung hinüberblickte, griff er nach ihrer Hand und drückte sie warm, und das Glücksgefühl, das in diesem Augenblick in ihr aufstieg, hatte nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass sie endlich an der Himmelsfeste angekommen waren.

Cullen

„Kommandant Cullen?“

Cullen sah nicht sofort auf, sondern las erst die Nachricht zu Ende, die Leliana ihm geschickt hatte. Dann griff er nach der Feder und verfasste ein kurzes Antwortscheiben, das er dem wartenden Boten überreichte, der sich nach einer knappen Verbeugung unverzüglich wieder auf den Weg machte.

Nachdem der Bote verschwunden war, wandte Cullen sich schließlich seinem Besucher zu – und hob überrascht die Augenbrauen, als er Dorian erblickte, der sich interessiert im Raum umsah.

„Nett habt Ihr es hier“, kommentierte der Magier, während sein Blick über das Chaos aus Landkarten, unsortierten Bücherstapeln, Rüstungsteilen und Kisten mit persönlichen Besitztümern schweifte, bevor er an dem Loch in der Decke hängenblieb, in dem sich einst eine Falltür befunden haben musste. „Sehr rustikal.“

„Ich hatte bisher noch nicht die Zeit, mich häuslich einzurichten“, entgegnete Cullen knapp und mied seinen Blick.

Seitdem sie die Festung erreicht hatten, hatte er sich verbissen in die Arbeit gestürzt – zum einen, weil es tausend verschiedene Dinge gab, die erledigt werden mussten, seitdem die Inquisition die Himmelsfeste zu ihrer neuen Heimat erklärt hatte, und zum anderen auch, weil es das Band zu Dorian erträglicher machte, wenn er sich gedanklich auf andere Dinge konzentrierte.

Der Rauschzustand, den Varric ihm beschrieben hatte, hielt noch immer an, auch wenn er mittlerweile etwas nachgelassen hatte. Dennoch gruben sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handinnenflächen, während er den Impuls unterdrückte, näherzutreten und Dorian zu berühren, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und mit dem Daumen über diesen lächerlichen, wundervollen Schnurrbart zu streichen.

„Das sehe ich“, meinte der andere, doch seine Stimme war warm und es war kein Spott darin.

„Was ist dort oben?“, fragte er dann und gestikulierte zu dem Loch in der Decke hinauf.

Cullens Augen folgten seinem Blick.

„Vermutlich ein alter Lagerraum“, sagte er. „Die Treppe, die einst hinaufführte, ist verrottet, darum konnte ich mich noch nicht dort umsehen.“

Er hatte den Turm vor allem wegen seiner Lage zu seinem Arbeitszimmer auserkoren. Der Raum war über die Wehrmauern von allen Seiten aus gut zu erreichen und thronte zudem über dem Haupttor der Himmelsfeste, so dass Cullen stets sehen konnte, wer die Festung betrat oder verließ.

„Warum nehmt Ihr keine Leiter?“

Cullen blinzelte. „Wie bitte?“

„Eine Leiter“, wiederholte Dorian geduldig. „Leichter zu bauen, weniger Aufwand. – Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mich würde es wahnsinnig machen, wenn über mir ein Loch in der Decke wäre und ich nicht wüsste, was sich dahinter befindet.“

„Hm“, machte Cullen nur. Der Vorschlag war nicht schlecht. Sobald der nächste Bote ihres neuen Quartiermeisters eintraf, würde er ihm eine entsprechende Nachricht mitschicken. Vielleicht konnte er den Raum über seinem Arbeitszimmer nicht nur als Abstellraum nutzen, sondern auch als Schlafraum. Bisher hatte er auf einem provisorischen Lager zwischen all den Kisten geschlafen, doch das war kein akzeptabler Dauerzustand. Die Kopfschmerzen waren schon kaum zu ertragen, er musste sich nicht auch noch mit Rückenschmerzen herumärgern.

„Verzeiht mir die Frage, Serah Pavus“, sagte er dann und zwang sich, Dorian ruhig anzusehen, „aber Ihr seid sicher nicht nur hergekommen, um den Zustand meiner Räumlichkeiten zu kommentieren. Gibt es etwas Bestimmtes, was Ihr von mir wolltet?“

„Ah“, entgegnete Dorian. „Gewiss.“

Er trat einen Schritt näher und es kostete Cullen alle Willenskraft, stehenzubleiben und nicht zurückzutreten, um wieder etwas Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

Bei Andraste, das Band wird dir noch den Verstand rauben.

„Minaeve und ich überlegen schon seit einigen Tagen, im Rundturm eine Bibliothek einzurichten“, erzählte Dorian. „Sie konnte zahlreiche Bücher aus der Bibliothek von Haven vor der Vernichtung bewahren und sucht nun nach einem geeigneten Platz dafür. Und wenn die Inquisition zukünftig weitere Werke erwerben sollte, wäre dies der beste Ort, sie zu sammeln, so dass alle davon profitieren und sich neues Wissen aneignen können.“

Cullen nickte.

„Ein sinnvoller Vorschlag“, meinte er.

„Ich weiß“, entgegnete Dorian und rümpfte die Nase. „Er stammt schließlich von mir.“

Cullen verschränkte amüsiert die Arme vor der Brust.

„Und wie kann ich Euch dabei weiterhelfen?“, fragte er.

„Wir haben eine Reihe alter Regale in den Kellerräumen unter der Festung gefunden, die wir für diesen Zweck verwenden wollen“, sagte Dorian. „Was wir brauchen, sind Helfer, die sie in den Turm hinauftragen. Falls Ihr also einige Eurer Rekruten für ein paar Stunden entbehren könntet...“

„Natürlich.“ Cullen nickte. „Das sollte kein Problem sein.“

Würde er nicht bis zum Hals in Arbeit stecken und würde Dorians Nähe es nicht so schwer machen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, dann würde er ihm auch persönlich seine Hilfe anbieten.

Doch das Lächeln, das der andere ihm schenkte, als er seine Worte hörte, entschädigte Cullen für die verpasste Gelegenheit.

„Ich danke Euch“, entgegnete er. „Ihr werdet diese Entscheidung nicht bereuen.“

Das hatte ich auch nicht vor, dachte Cullen, während er Dorian anstarrte und sich fragte, wie es sich wohl anfühlen würde, mit den Fingerkuppen über die kurzgeschorenen Haare an der Seite seines Kopfes zu fahren.

Zum Glück hatte sich der andere bereits zum Gehen gewandt und bemerkte seinen Blick nicht.

„Wir wollen morgen nach dem Frühstück mit dem Umräumen beginnen“, sagte er, während er die Hand auf den Türgriff legte.

„Ich werde meinen Leuten Bescheid sagen“, versprach Cullen.

Dorian nickte ihm zum Abschied zu, dann verließ er den Raum.

Cullen atmete langsam aus und spürte, wie dabei die Anspannung aus seinem Körper wich. Seine Handflächen schmerzten von dem Druck, den seine Fingernägel auf sie ausgeübt hatten, und hätte er keine Lederhandschuhe getragen, würden sie nun zweifellos bluten.

Verdammt, dachte Cullen und schloss die Augen. Verdammt, verdammt, verdammt.

 

Die Zeit verging wie im Fluge und es war bereits eine Woche vergangen, als Cullen das nächste Mal an sein Gespräch mit Dorian denken musste.

In Zusammenarbeit mit der Schmiede hatte Ser Morris, der Quartiermeister der Himmelsfeste, auf Cullens Bitte hin eine Leiter anfertigen lassen, die ihm den Zugang zu dem oberen Turmzimmer ermöglichte.

Der Raum war wie erwartet eine Rumpelkammer, in der zahllose alte Möbelstücke gelagert waren, darunter ein wuchtiger Schreibtisch, den Cullen später nach unten transportieren lassen würde, da er ihn bei seiner Arbeit gebrauchen konnte. Er entdeckte auch einen Bettkasten, den er in eine Ecke des Raumes schob, fort von den Ranken, die an einer Wand emporwuchsen.

Wären die Bretter, die dem Raum als Decke dienten, nicht an manchen Stellen heruntergefallen, wäre es wohl vollkommen dunkel gewesen, da die schmalen Fenster völlig verdreckt waren. Cullen sah nachdenklich zur löchrigen Zimmerdecke hinauf. Es wäre kein großer Aufwand, die Bretter wieder anzunageln, doch irgendwie hatte der verstreute Lichteinfall, der ein sich stetig veränderndes Muster aus Hell und Dunkel auf den Boden warf, einen ganz eigenen Charme.

Und solange sein Bett an einer Stelle stand, wo die Decke noch intakt war, so dass er nach einem nächtlichen Regenschauer nicht völlig durchnässt sein würde, sah Cullen keinen akuten Veränderungsbedarf.

Außerdem würde er sich eh nur zum Schlafen in diesem Raum aufhalten. Er hatte viel zu viel zu tun, um mehr als seine – in der Regel kurzen, unruhigen – Nächte hier zu verbringen.

Für einen Augenblick musste er wieder an Dorian denken, und er fragte sich, in welchem Teil der Festung sich der Magier eingerichtet hatte. Die Himmelsfeste war so unvorstellbar groß, dass sie im Moment nicht genug Leute hatten, um jeden Raum zu besetzen, und es gab ganze Teile der Festung, insbesondere die Keller tief unter der großen Halle, die noch immer nicht vollständig erkundet worden waren. Wer konnte sagen, was sie noch alles in den Tiefen des Berges entdecken würden...?

Eigenartig, dass wir seit Jahrhunderten die ersten sind, die sie besetzen, dachte er.

Nur wenige Kilometer entfernt führte eine Handelsstraße durch das Gebirge, die zwar wenig, aber regelmäßig genutzt wurde. Die Kundschafter der Inquisition hatten bereits mit einigen der durchreisenden Händler Kontakt aufgenommen, und diese hatten ihnen erzählt, dass sie sich zwar immer der Existenz der Festung bewusst gewesen waren und sie in der Ferne gesehen hatten, sie aber für eine Ruine gehalten hatten. Sie alle waren sehr überrascht gewesen zu hören, in welch gutem Zustand sie sich noch befand.

Cullen vermutete, dass dies kein Zufall war und möglicherweise ein Zauber auf der Festung gelegen hatte, die sie vor Wegelagerern bewahrt hatte, aber er konnte dieses Gefühl nicht begründen.

Fest stand jedoch, dass es etwas gab, das die Himmelsfeste zu einem ganz besonderen Ort machte. Die Luft hier war wärmer, als sie es so hoch in den Bergen hätte sein dürfen, und auch dass der Garten so zahlreiche verschiedene Pflanzen beherbergte, von denen viele in dieser Region nicht heimisch waren, war sehr ungewöhnlich.

Doch falls Magie auf der Festung lag, dann war sie sehr alt, denn der Schleier war hier nicht dünner, als an den meisten anderen Orten in Thedas auch. Wäre es anders, dann hätten die Magier der Inquisition schon längst darauf hingewiesen, und Cullen hätte sich Gedanken darum machen müssen, wie man sie vor Dämonen beschützen konnte.

Und das wäre nur der Anfang einer Reihe weiterer Probleme gewesen, denn derzeit herrschte ein Ungleichgewicht von Magiern und Templern in der Inquisition, und wenn Cullen eines unter allen Umständen vermeiden wollte, dann war es, Zirkelverhältnisse herzustellen.

Er hatte sich geschworen, nie wieder Teil jenes Systems zu werden.

Zum Glück war Ser Barris klug genug gewesen, seine Templer in dem Turm der Festung unterzubringen, der am weitesten von der neu eingerichteten Bibliothek entfernt war – dem Ort, an dem sich viele der Magier nun tagsüber aufhielten, um ihren Recherchen nachzugehen. Er und Cullen würden mit der Zeit gemeinsam nach einer Möglichkeit suchen, wie beide Fraktionen miteinander arbeiten konnten, ohne dass es zu unschönen Vorfällen kam, doch vorerst würde es das Beste sein, sie räumlich voneinander zu trennen.

Während er die restlichen Möbel begutachtete, die er im Dachzimmer vorgefunden hatte – größtenteils Truhen und Regale, die er in seinem Arbeitszimmer aufstellen würde – fiel sein Blick auf einen Sessel, dessen einst herrliches Polster schon vor langer Zeit dem Schimmel zum Opfer gefallen war. Das Holz darunter war jedoch noch immer in einem guten Zustand, und mit neuem Polster und Bezug würde es zweifellos eine äußerst komfortable Sitzgelegenheit abgeben.

Das brachte Cullen auf eine Idee.

Es würde ein paar Tage dauern, jemanden zu finden, der auf solche Arbeiten spezialisiert war, und eine nicht unbeträchtliche Geldsumme erfordern, um die notwendigen Materialien heranzuschaffen, aber mit etwas Geduld würde er seinen Plan in wenigen Wochen in die Tat umsetzen können.

Die Frage war nur, ob er es auch sollte.

Was würde Dorian von ihm halten, wenn er jemals davon erfuhr...?

Doch er erlaubte es sich nicht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Stattdessen trat ein grimmiger Ausdruck auf Cullens Gesicht.

Dorian würde nicht davon erfahren, ganz einfach.

 

„Eigenartig“, sagte Dorian. „Sehr eigenartig.“

„Habt Ihr das Rätsel um Euren Sessel noch immer nicht lösen können?“, fragte Varric.

„Nein.“ Dorian schüttelte den Kopf. „Die Inquisitorin meinte, er wäre das Geschenk einer orlaisianischen Dorfgemeinde gewesen. Dabei muss allein der Bezug ein Vermögen gekostet haben...“

Varric nahm einen Schluck von seinem Bier.

„Vielleicht war er ein Erbstück“, meinte er schließlich.

Dorian dachte einen Moment lang darüber nach, doch schließlich zuckte er mit den Schultern und griff nach seinem Weinkelch.

„Vielleicht.“

Ein Lächeln spielte um seine Lippen.

„Meine Kehrseite hat jedenfalls keine Beschwerden.“

Varric begann zu lachen.

Er und Dorian saßen einen Tisch weiter beim Abendessen zusammen, und Cullen musste angestrengt hinhören, um ihre Worte zu verstehen. Er hätte sich vermutlich nicht die Mühe gemacht, wenn Ellana ihn unter dem Tisch nicht mit dem Fuß angestoßen und ihm einen vielsagenden Blick zugeworfen hätte.

Die Inquisitorin – wie nun ihr offizieller Titel war – war ihm bei der Umsetzung seines Plans eine große Hilfe gewesen. Cullen hatte sie anfangs nicht einweihen wollen, doch da es niemanden sonst gab, dem er in dieser Sache vertrauen konnte, hatte er sich schließlich dazu entschieden, sie nicht nur um Hilfe zu bitten, sondern ihr auch von seinem Band zu Dorian zu erzählen.

Es war befreiend gewesen, das Geheimnis um seinen Seelenpartner endlich jemandem anzuvertrauen, und das nicht nur, weil Ellana mit Solas in einer ähnlichen Lage war, wie Cullen. Die junge Frau hatte stundenlang in Cullens Arbeitszimmer gesessen und seine Sorgen und Ängste angehört, und sie hatte ihm dabei mehrfach versichert, dass er jederzeit mit ihr über diese Dinge sprechen konnte.

In den Tagen danach hatte sie sich weiter um die Wiederherstellung des Sessels gekümmert, da Cullen zu beschäftigt gewesen war, und sie war auch diejenige gewesen, die ihn schließlich mit der Hilfe einer der Wachen in die Bibliothek getragen hatte. Cullen war nicht dabei gewesen, doch Lavellan hatte ihm im Nachhinein ausführlich den verzückten Gesichtsausdruck beschrieben, den Dorian gemacht hatte, als er sich zum ersten Mal auf das Polster hatte sinken lassen.

„Ich stehe nie wieder auf“, hatte er verkündet und mit einem Seufzen die Augen geschlossen.

Das war alles, was Cullen hatte hören wollen, und mit neuer Hoffnung im Herzen hatte er auf den Namen herabgesehen, der warm auf seinem Handgelenk pulsierte.

Dass Dorian es jemals in Betracht ziehen würde, eine Beziehung mit ihm anzufangen, blieb weiterhin Wunschdenken, doch wenn Cullen die Möglichkeit hatte, dem anderen, der so unendlich weit von seiner Heimat entfernt war und zweifellos viel hinter sich gelassen hatte, das Leben in der Inquisition angenehmer zu machen, dann würde er sie nutzen.

Und vielleicht würde es genug sein. Vielleicht würde er sich damit zufriedengeben, dem anderen ein Freund zu sein, und nicht mehr.

 

Doch Cullen war schon immer gut darin gewesen, sich selbst zu belügen.

Solas

Im Turm herrschte Stille.

Staub wirbelte auf, als sich die Tür öffnete. Das Licht der Sonnenstrahlen, die durch die schmalen, hohen Fenster fielen, brachte die tanzenden Flocken zum Leuchten. Die Treppe, die zum obersten Zimmer hinaufführte, existierte an manchen Stellen nicht mehr; die morschen, von Holzwürmern zerfressenen Stufen waren schon vor vielen Jahrhunderten unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen und in die Tiefe gestürzt.

Die Inquisition hatte es bislang nicht als Priorität erachtet, das Turmzimmer zurückzugewinnen, darum hatten die Bauarbeiten in diesem Teil der Festung noch nicht begonnen.

Was bedeutete, dass er der erste war, der seit über tausend Jahren diesen Ort betreten würde.

Solas schloss die Augen und legte beide Hände um seinen Stab, während er mit der Kraft seiner Gedanken den Schleier durchstieß und pure Magie aus ihm bezog, die er mit Hilfe des Stabes kanalisierte und verstärkte. Als er die Lider wieder hob, war die Welt zur Seite gekippt. Der Turm war kein Turm mehr, sondern ein langer Korridor, in den die scharfkantigen Überreste der Treppe wie Speere hineinragten.

Behutsam setzte er einen Fuß auf die Wand des Turms, dann begann er zu laufen. Er umrundete die hölzerne Treppe, wo es möglich war, und kletterte vorsichtig darüber hinweg, wo es sich nicht vermeiden ließ. Vor den Fenstern im Turm nahm er sich besonders in Acht, und machte stets einen großen Schritt darüber hinweg. Sollten sie unter seinem Gewicht zerbrechen, dann würde ihn keine Macht der Welt vor einem endlosen Fall bewahren können.

Schließlich hatte er den obersten Absatz der Treppe erreicht. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und griff erneut auf seine Magie zu, und einen Augenblick später kippte die Welt wieder zurück. Als er einen flüchtigen Blick über das Geländer warf, gähnte darunter nun der tiefe Treppenschacht. Die Tür zum Turmzimmer klemmte etwas, doch sie war unverschlossen, und nachdem er sich dagegengestemmt hatte, öffnete sie sich schließlich.

Es war erstaunlich zu sehen, wie wenig sich der Raum – sein Raum – verändert hatte, seitdem er zum letzten Mal hier gewesen war. Obwohl die Fenster weit offen standen, hatten die Möbel sowohl Wind als auch Wetter überlebt.

Das kreisrunde Bett stand noch immer unversehrt an der Wand, flankiert von zwei täuschend echt aussehenden Wolfsstatuen, die in den vielen Jahrhunderten kaum Verwitterung erfahren hatten. Selbst der Bettbezug existierte noch, unberührt von Schimmel und Feuchtigkeit.

Solas betrachtete es für einen Moment, dann streckte er mit wehmütigem Lächeln die Hand nach Bett und Statuen aus und wisperte ein paar leise Worte, und unter seinen Fingern zerfielen sie zu Staub.

Die mit dunklen Juwelen besetzten Kommoden an den Wänden und die lange Tafel mit den hohen, mit Schnitzereien verzierten Stühlen ereilte das gleiche Schicksal. Stück für Stück wurden sie unter seinen Händen zu Staub, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, die nur noch in seinem Herzen weiterlebte.

Doch er durfte keine Spuren hinterlassen. Die Himmelsfeste gab ihren neuen Bewohnern schon genug Rätsel auf, und wenn sie diesen Raum erreichten und erkannten, wem die Festung früher gehört hatte, dann würde sich seine Aufgabe sehr viel schwieriger gestalten. Er durfte keine unnötigen Risiken eingehen.

Die Wandmalereien ließen ihn jedoch für einen Augenblick zögern. Sie bedeckten alle vier Wände vom Boden bis zur Decke, und obwohl die Farben nicht mehr so kräftig waren, wie damals, waren die Motive noch immer gut zu erkennen. Sie zeigten Szenen des Alltags der Elvhen: Krieger bei der Jagd, eine Frau, die ihr Kind stillte, ein Paar beim Tanz... Momente schlichten Glücks, die er in Bildern festgehalten hatte. Und in jeder Szene war der Schatten eines sechsäugigen Wolfes zu erkennen, der aus der Ferne über die Elfen wachte und ihren Frieden bewahrte.

Er erinnerte sich an die langen Stunden, die er damit zugebracht hatte, diese Bilder zu malen, an den erdigen Geruch der Farben und die Ruhe und Ausgeglichenheit, die ihn erfüllt hatten, als er die Farben auf die Wand aufgetragen hatte.

Doch wie alles andere in diesem Raum konnten auch sie nicht bleiben.

Er streckte den Arm aus, und wo seine Fingerkuppen die Wand berührten, verblassten die Farben nach und nach, bis die Malereien schließlich verschwunden waren.

Was am Ende blieb, war ein leerer Raum, dessen Boden von einer dicken Staubschicht bedeckt war.

Solas drehte sich langsam um die eigene Achse, während sein Blick über die kahlen Wände glitt. Dies würde nicht das Ende sein, sondern ein Neuanfang, das wusste er. Warum fühlte es sich dennoch so an, als hätte er Elvhenan mit der Auslöschung der Bilder den letzten Todesstoß verpasst...?

Doch er zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen, sie würden ihn nicht weiterbringen.

Er ging zur Tür und verwischte dabei sorgfältig seine Spuren im Staub. Dann verließ er das Zimmer, ohne noch einmal zurückzublicken.

 

„Was für ein eigenartiger Raum“, sagte Lavellan, während sie das Mosaik im Zentrum des Rundturms betrachtete. „Ich frage mich, wofür er einst gedient hat.“

„Vielleicht war er ein Ort der Anbetung...?“, vermutete Cullen. „Ähnlich einer Kapelle.“

„Möglich“, stimmte Cassandra zu. Dann hob sie den Kopf und sah zu dem ringförmigen Raum hinauf, der die neueingerichtete Bibliothek beherbergte. „Von den oberen Rängen kann man alles, was hier unten passiert, auf jeden Fall gut mitverfolgen.“

Solas behielt seine Gedanken für sich und kniete neben dem verschlungenen Muster des Mosaiks nieder. Er kannte als einziger die Geschichte dieses Raumes – des Ortes, an dem er damals Himmel und Erde voneinander getrennt und den Schleier erschaffen hatte, der den Elfen ihre Unsterblichkeit nehmen sollte. Der Akt hatte Elvhenan unbeschreibliches Leid gebracht, doch er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, die Macht der Evanuris zu brechen und seinem Volk ein noch wesentlich schlimmeres Schicksal zu ersparen.

„Habt Ihr schon eine Verwendung für ihn gefunden?“, hörte er die Inquisitorin nach einer Weile fragen.

„Ihr könntet ihn als Arbeitszimmer nutzen“, schlug Cullen vor und sah zu Josephine hinüber. Doch sie schüttelte nur den Kopf, und Solas atmete innerlich auf.

Allein der Gedanke, dass jemand anderes als er selbst diesen Raum für seine trivialen Tätigkeiten nutzen könnte, ließ ihn die Zähne zusammenbeißen.

„Zu öffentlich für private Empfänge und Briefwechsel mit dem Adel“, entgegnete Josephine. Dann rümpfte sie die Nase. „Von den Raben im obersten Stock ganz zu schweigen... Was selbstverständlich kein Vorwurf sein soll“, fügte sie schnell hinzu und warf einen entschuldigenden Blick hinüber zu Leliana.

Doch diese winkte nur ab.

„Was ist mit Euch?“, fragte sie dann an Cullen gewandt. „Hättet Ihr Verwendung für diesen Raum?“

„Ich habe mich bereits im Turm gegenüber eingerichtet“, entgegnete der Kommandant jedoch nur. „Und ich muss Josephine zustimmen – hier gibt es zu viele Augen und Ohren, die unsere Arbeit belauschen könnten. Ich kann ein solches Risiko nicht eingehen.“

„Überlasst ihn mir“, sagte Solas plötzlich leise, und alle Augen richteten sich auf ihn.

Langsam erhob er sich und ließ den Blick über die hohen, leeren Wände schweifen.

„Dieser Raum hat viele Ausgänge und wird täglich von zahlreichen Personen durchquert“, fuhr er fort. „Ich möchte ihn deshalb gerne dafür nutzen, die Geschichte der Inquisition zu dokumentieren und alle, die ihn passieren, an unseren bisherigen Errungenschaften teilhaben zu lassen.“

Die Berater machten zweifelnde Gesichter, doch in Lavellans Blick sah er Interesse.

„Eine ungewöhnliche Idee“, meinte sie. „Was genau habt Ihr euch vorgestellt?“

„Nun, die Wände sind hoch und eben“, entgegnete er. „Eine bessere Leinwand könnte ich mir nicht wünschen.“

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, doch dann hob sie überrascht die Augenbrauen.

„... Ihr wollt malen“, sagte sie. „Ihr wollt die Geschichte der Inquisition in Bilder fassen?“

„Das war meine Absicht.“ Er lächelte.

Sie lachte auf.

„Ich wusste nicht, dass ein Künstler in Euch steckt, Solas“, sagte sie warm.

Es gibt vieles, das Ihr nicht über mich wisst, dachte er mit einem seltsamen Anflug von Bedauern, doch er behielt die Worte für sich.

Lavellan wandte sich an ihre Berater. „Was haltet Ihr von der Idee?“

Cassandra und Cullen tauschten einen Blick und zuckten dann mit den Schultern.

„Warum nicht“, meinte Cassandra und der Kommandant nickte.

„Ich bin gespannt, Eure Werke zu sehen, Solas!“, verkündete Josephine mit leuchtenden Augen.

Nur Leliana schien misstrauisch, aber das konnte bei ihr viele Gründe haben, darum ließ Solas sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich danke Euch“, sagte er ruhig und verbeugte sich knapp, bevor er sich abwandte und ging, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Er mochte eine Geschichte aus der Erinnerung gelöscht haben, doch nun hatte er die Möglichkeit, eine neue zu beginnen.

Dorian

Sein Zimmer war winzig.

Eigentlich verdiente es den Namen Zimmer nicht, es war vielmehr eine Kammer, in der er nur mit Mühe und Not ein schmales Bett, einen Tisch mit Stuhl und einen Schrank hatte unterbringen können. Der Raum, der blieb, war so klein, dass er ihn mit einem großen Schritt durchqueren konnte. Doch dafür war die Wand noch intakt und er hatte zwei Fenster, die sich nach Süden hin öffneten. Das war ihm wichtig gewesen.

Nicht, dass Dorian viele Besitztümer gehabt hätte, mit denen er den Raum füllen konnte. Er hatte Kleidung für vier Tage, ein paar Fläschchen Lyrium, die er im obersten Regal des Schranks aufbewahrte, mehrere alte Briefe von Felix, die er damals bei seiner überstürzten Flucht aus seinem Elternhaus mitgenommen hatte, und seinen Stab, der genau in die schmalen Lücke zwischen Schrank und Bett passte.

Einst hatten seine Räumlichkeiten eine halbe Etage des Anwesens seiner Familie in Quarinus eingenommen, jetzt ließ sich sein gesamtes Leben auf wenigen Quadratmetern unterbringen.

Seufzend ließ sich Dorian auf seinem Bett nieder. Die Matratze unter ihm war uneben und wie jedes Bett der Festung mit Stroh gefüllt. Dorian mochte nicht daran denken, was für Insekten darin herumkrabbelten, sonst würde er in der Nacht keine Ruhe finden.

Auf gewisse Weise war ihm klar gewesen, dass er sein gesamtes bisheriges Leben aufgeben musste, um seine Freiheit zu erlangen. Doch was genau das für ihn bedeutete, hatte er erst seit ihrer Ankunft auf der Himmelsfeste wirklich begriffen.

Er hatte kein Geld – nicht, solange ihm die Inquisition noch nicht seinen ersten Sold ausgezahlt hatte – und der Name seiner Familie, der ihm in Tevinter viele Türen geöffnet hatte, bedeutete hier im Süden niemanden etwas. Die einzigen Ressourcen, die er besaß, waren sein magisches Talent und die vielen Jahre Bildung, die er im Zirkel genossen hatte. Alles andere musste er sich von nun an selbst erarbeiten.

Doch Dorian wäre nicht er selbst, wenn er vor einer Herausforderung zurückscheuen würde.

Die Einrichtung einer Bibliothek war nur der Anfang gewesen. Auf ihren Reisen durch Ferelden hatte die Inquisitorin bereits vor dem Angriff auf Haven mehrere alte Schriften Tevinters gefunden, die sie nun Dorian gegeben hatte, damit er sie studierte und alle Informationen zusammentrug, die ihnen im Kampf gegen Corypheus behilflich sein würden.

Und so hatte er es sich in der Bibliothek gemütlich gemacht und angefangen, die Berichte zu lesen.

Dorian war der einzige Magier der Inquisition, der aus dem Norden stammte, darum hatte es ihm niemand übel genommen, dass er die Ecke mit dem einzigen Fenster in der Bibliothek für sich beansprucht hatte. Er vermisste oft das Klima seiner Heimat, insbesondere die langen, warmen Sommerabende, an denen die Sonne erst so spät unterging, dass die Nächte nur wenige Stunden andauerten.

Der Platz am Fenster war nur ein kläglicher Ersatz für die warme Sonne Tevinters, doch es reichte, um die anhaltende Kälte der Festung aus seinen Gliedern zu vertreiben. Außerdem gab es ihm die Gelegenheit, einen Blick hinauszuwerfen und seine Gedanken schweifen zu lassen, wenn er müde wurde und Abwechslung vom Lesen brauchte.

Er konnte die Taverne und einen Teil des Übungsplatzes vom Fenster aus sehen, sowie Cullens Turm gegenüber. Der Kommandant der Inquisition schien ähnliche Schlafenszeiten wie Dorian zu haben, denn egal, wann er nachts nach seinen Recherchen schließlich ins Bett ging, Dorian konnte in seinem Turm noch immer ein Licht brennen sehen. Das verwunderte ihn anfangs, doch dann wurde ihm bewusst, dass Cullen als Anführer der Inquisitionsarmee vermutlich jederzeit erreichbar sein musste, und er dachte nicht weiter darüber nach.

 

Der Sessel war eine Überraschung.

Er stand eines Tages ganz plötzlich in seiner Ecke, und neben ihm Lavellan, die ihr Lächeln beim Anblick von Dorians verdutzter Miene nicht verbergen konnte.

„Ein Geschenk an die Inquisiton“, sagte sie, als Dorian gerade den Mund aufmachen wollte, um sie danach zu fragen. „Ich dachte, da Ihr den ganzen Tag über alten Texten sitzt, hättet Ihr vielleicht Verwendung dafür.“

Andächtig streckte Dorian die Hand aus und fuhr mit den Fingern über das glattpolierte Holz der Lehne. Dies war beste Handwerkskunst, das erkannte er sofort.

„Ich habe ganz gewiss keine Beschwerden“, entgegnete er leise, dann hob er den Blick und sah sie an.

„Doch warum gebt Ihr ihn mir? Ich bin sicherlich nicht der einzige, der ihn gebrauchen kann.“

So sehr er sich auch über das Geschenk freute, er hatte seinen Stolz. Und er wollte nicht wie der arme, verwöhnte Tevinteraner behandelt werden, der auf wohltätige Geschenke angewiesen war, weil er nie gelernt hatte, für sich selbst zu sorgen.

Lavellan schien dies zu spüren und ihre Miene wurde sanft.

„Meine restlichen Berater sind bereits mit dem Nötigsten ausgestattet“, entgegnete sie. „Und ich schätze Euch, Dorian, und bin dankbar für die Dinge, die Ihr für uns tut, und bisher schon getan habt.“

Sie zwinkerte ihm zu. „Seht dies als eine Investition an, die Euch ermutigen soll, auch in Zukunft hervorragende Arbeit zu leisten. Es werden noch viele Texte folgen und Ihr werdet gewiss noch viele Stunden in diesem Sessel verbringen.“

Dorian sah sie einen Moment lang schweigend an, doch schließlich hoben sich seine Mundwinkel.

„Ich denke“, sagte er, „in diesem Fall könnte ich mich dazu überreden lassen, das Geschenk anzunehmen...“

 

Natürlich gab es auch abfällige Blicke und Getuschel, doch das war er bereits aus seiner Heimat gewohnt. Er war ein Vint und ein Magier, mehr Gründe brauchte es nicht, ihm zu misstrauen und einen Bogen um ihn zu machen, wann immer er die Bibliothek verließ.

Sicher, die unverhohlene Verachtung, die man ihm entgegenbrachte, schmerzte ein bisschen, nachdem er auf seiner Reise hierher so viel Toleranz erfahren hatte, doch wo viele Leute zusammen unter einem Dach lebten, schienen sich auch die alten Vorurteile wieder zu verfestigen.

Zum Glück traf dies jedoch nicht auf die Bekanntschaften zu, die er während seiner Reise gemacht hatte.

Lavellan war stets für ein kurzes Gespräch zu haben, wenn sie sich in der Festung begegneten, und auch Varric leistete ihm Gesellschaft, wann immer er an den Abenden jemanden zum Reden brauchte... oder wahlweise auch zum Trinken, wenn ihn der Text, den er an diesem Tag gelesen hatte, ganz besonders frustriert hatte.

Selbst Solas nickte ihm zu oder grüßte ihn kurz, wenn er ihn sah. Nur von Cullen sah Dorian oft tagelang nichts, aber das verwunderte ihn nicht, der Mann musste bis über beide Ohren in Arbeit stecken.

Dorian erkannte schnell, dass es eine unsichtbare Grenze gab, die sich quer durch die Festung zog, und durch den Innenhof und den sich dort befindlichen Übungsplatz verlief. Hinter dieser Grenze schlugen ihm deutlich mehr negative Gefühle entgegen, wenn er den Fehler machte, sie zu überschreiten, was daran lag, dass dieser Teil der Himmelsfeste von den Templern dominiert wurde, die kein Geheimnis aus ihrer Abneigung gegen ihn machten. Dorian lernte, die Grenze zu respektieren, solange es nicht absolut unvermeidbar war, sie zu überschreiten, wie etwa an den Abenden, an denen Varric ihn zu einem Bier in der Taverne einlud, die auf der anderen Seite der Grenze stand.

 

Auch an diesem Abend ging er wieder hinüber, doch sein Herz war leicht und seine Schritte beschwingt, denn er hatte nur wenige Stunden zuvor seinen ersten Sold erhalten. Schon aus der Ferne konnte er hören, dass die Taverne voller war als sonst – Dorian war offenbar nicht der einzige, der an diesem Tag für seine Dienste entlohnt worden war.

Wie immer ignorierte er die Blicke, die sich auf ihn richteten, als er eintrat, und steuerte zielstrebig auf den Tisch zu, an dem Varric bereits auf ihn wartete. Zu seiner Überraschung erblickte er ihm gegenüber die massige Gestalt des Qunari, der, wie Dorian mittlerweile wusste, unter dem Namen Eiserner Bulle bekannt war.

Seine Schritte verlangsamten sich instinktiv – er war schließlich immer noch ein Vint, und die Beziehung zwischen Tevinter und den Qunari war schon immer eine blutige gewesen – doch als Varric ihn sah, erhellte sich sein Blick und er winkte Dorian zu, sich zu ihnen zu gesellen.

Dorian bemühte sich, eine gelassene Miene zu machen, als er sich neben Varric setzte, auch wenn sein Herz vor Nervosität in seiner Brust hämmerte, wie nach einem Wettlauf.

Der Qunari musterte ihn von oben bis unten, dann grinste er.

„Ihr braucht es nicht zu verheimlichen“, sagte er mit einer Stimme, die so tief war, dass sie etwas in Dorian zum Schwingen brachte und sich die feinen Haare in seinem Nacken aufrichteten. „Ich bin Reaktionen wie diese gewohnt.“

Dorian griff nach dem Bierkrug, den Varric wortlos zu ihm hinübergeschoben hatte, und nahm einen Schluck davon.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht“, entgegnete er ungerührt.

Der Eiserne Bulle betrachtete ihn für einen Moment, dann zuckte er mit den Schultern.

„Wie Ihr meint.“

Sie tranken für eine Weile in Stille, wobei Dorians Blick immer wieder zu dem Qunari hinüberwanderte, ohne dass er es verhindern konnte. Allein die Präsenz des Mannes war einschüchternd, und das lag nicht nur an dem unverhüllten, muskelbepackten Brustkorb und den in gefährlichen Spitzen endenden Hörnern. Der Eiserne Bulle strahlte eine Kraft und Überlegenheit aus, die seinen Gegnern zweifellos eine Heidenangst einjagten, doch die für seine Freunde Geborgenheit und Schutz bedeuteten.

Dorian fühlte sich wie ein Kind neben dem Hünen, doch seltsamerweise hatte er keine Angst vor ihm. Sein Gefühl sagte ihm, dass der andere sich trotz seiner überlegenen Stärke zu jedem Zeitpunkt unter Kontrolle hatte.

Nach einer Weile fiel sein Blick auf die Unterarme des Qunari, die von zahllosen kleineren und größeren Narben übersät waren. Wie so vieles an dem Mann waren sie unverhüllt, was die Abwesenheit des Seelennamens auf seinem Handgelenk nur zu unterstreichen schien. Dorian wusste natürlich, dass Qunari keine Seelennamen besaßen, doch er war noch nie einem von ihnen nahe genug gewesen, um sich selbst davon zu überzeugen.

Die Kirche verdammte Qunari seit jeher als seelenlose Teufel, womit sie es sich in Dorians Augen sehr einfach machte. Doch er war nie ein großer Freund der Kirche gewesen, was nicht zuletzt auch an Aussagen wie diesen lag. Wenn Qunari als seelenlose Bestien galten, weil sie keine Namen hatten... was war dann er?

„Also, Dorian...“, riss ihn schließlich die tiefe Stimme des Eisernen Bullen aus seinen Gedanken. Der Qunari sah ihn offen an. „Darf ich Dorian zu Euch sagen?“

Es war das erste Mal seit dem Beginn seiner Reise, dass jemand ihm diese Frage stellte. Dorian war fast ein bisschen beeindruckt. Doch er war scheinheilige Gesprächseröffnungen wie diese aus seinen tagtäglichen Unterhaltungen in Tevinter gewohnt, und so gab er seine übliche Antwort:

„Nein. Aber es ist nicht so, als könnte ich Euch daran hindern.“

Zu seinem Erstaunen machte der andere jedoch eine nachdenkliche Miene und nickte dann.

„Wie Ihr wünscht, Serah Pavus“, erwiderte er.

Dorian konnte seine Überraschung nicht verbergen. In Tevinter hatte niemand seine Grenzen respektiert – abgesehen von Felix – doch dieser „seelenlose Teufel“ schien es als Selbstverständlichkeit zu erachten, ihn nach seinen Präferenzen zu fragen. Offenbar hatte er den Qunari unterschätzt.

„Ihr seid weit von Eurer Heimat entfernt“, fuhr der Eiserne Bulle fort. Dorian hörte die Frage hinter diesen Worten und beschloss, sie zu ignorieren.

„Ebenso wie Ihr“, konterte er stattdessen. „Was bringt Euch in den Süden, wenn ich fragen darf?“

„Meine Arbeit“, entgegnete der Qunari und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Ich bin Anführer einer Söldnertruppe, die von der Inquisitorin als Unterstützung im Kampf gegen Corypheus angeheuert wurde.“

Er hielt einen Moment lang inne und fügte dann hinzu:

„Außerdem stehe ich mit den Ben-Hassrath in Verbindung und leite alles, was hier passiert, an sie weiter.“

Dorian riss die Augen auf, als er den Begriff hörte, und schob seinen Stuhl zurück.

„Die Inquisitorin hat wissentlich einen Spion der Qunari angeheuert?!“, stieß er ungläubig hervor. „Haltet Ihr mich für einen Narren, dass Ihr denkt, ich würde dieser Geschichte Glauben schenken?“

Zu seiner Überraschung lachte Varric neben ihm plötzlich auf.

„Ich habe Euch doch gesagt, dass es keine gute Idee ist, ihm ausgerechnet bei Eurem ersten Gespräch von dieser Sache zu erzählen“, sagte er zu dem Eisernen Bullen. „Aber Ihr konntet einfach nicht widerstehen...“

Dorian starrte den Zwerg an.

„Wollt Ihr etwa sagen, Ihr wusstet davon?“, fragte er ungläubig.

„Schon seit einer Weile“, meinte Varric und zuckte mit den Schultern. „Ebenso wie die Berater der Inquisitorin.“

Was?!“ Dorian konnte kaum glauben, was er da hörte.

„Ich habe es ihnen gleich bei unserer ersten Begegnung gesagt“, sprach der Eiserne Bulle. „Ich werde Informationen an das Qun weiterleiten, und der Inquisition im Gegenzug dafür die Pläne der Qunari mitteilen. Damit bekommt jeder, was er will, und alle sind glücklich.“

„... und darauf haben sie sich tatsächlich eingelassen?“

Dorian setzte sich wieder hin, doch er blieb weiterhin auf Abstand.

„Nur unter der Bedingung, dass Leliana die Briefe kontrolliert, bevor ich sie abschicke“, erwiderte der Qunari, „damit nur Informationen weitergeleitet werden, deren Verbreitung der Inquisition keinen Schaden zufügen.“

„Ich... verstehe.“

Und das tat Dorian tatsächlich. So misstrauisch ihn die Worte des Eisernen Bullen gemacht hatten, er begriff die Beweggründe hinter diesem Arrangement. Der andere hatte Recht – sowohl die Inquisition als auch das Qun würden bekommen, was sie wollten, ohne dass einer von beiden ernsthaften Schaden erleiden würde.

„Und was gewinnt Ihr bei der ganzen Sache?“, fragte er schließlich, nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte.

„Meine Ruhe vor dem Qun“, entgegnete der Eiserne Bulle und lehnte sich zurück. „Und die Freiheit weiterhin das zu tun, was ich liebe – und zwar zu meinen Bedingungen – nämlich Mistkerlen, die die Welt erobern wollen, die Köpfe einzuschlagen.“

Diese Worte entlockten Dorian ein Lächeln.

„Ihr seid ein seltsames Exemplar Eurer Spezies, Serah“, sagte er.

Der andere grinste. „Und Ihr seid weniger langweilig, als ich es von einem verstaubten Magister erwartet hätte. – Wir Ihr seht, werden wir heute Nacht beide enttäuscht.“

Dorian lachte auf.

„Vielleicht sollten wir in Zukunft mit gutem Beispiel dafür vorangehen, dass eine friedvolle Beziehung zwischen Tevinter und dem Qun möglich ist.“

Der andere lächelte auf eine Weise, bei der Dorian ein angenehmer Schauer über den Rücken lief.

„Vielleicht sollten wir das“, entgegnete er.

 

Nachdem Dorian nach einer Weile schließlich seinen Bierkrug geleert und einen Teil seines Geldes für eine Flasche Wein ausgegeben hatte, dessen Qualität deutlich über der der dünnen Brühe lag, die in Ferelden als Bier verkauft wurde, war es in der Taverne schon wesentlich ruhiger geworden.

Er hatte im Laufe des Abends festgestellt, dass er den Eisernen Bullen vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Der Qunari hatte sich nicht nur als respektvoller Gesprächspartner, sondern auch als ausgesprochen intelligent und humorvoll entpuppt. Was ihn jedoch besonders überraschte, war das offene Geflirte des anderen – und wie wenig sich Varric daran zu stören schien, wenn der Eiserne Bulle Dorian Komplimente machte, auch wenn er hin und wieder die Augen verdrehte.

Ihm war schon öfter aufgefallen, dass man im Süden seine Zuneigungen offener zeigte, als er es aus seiner Heimat kannte. An diesem Abend geschah es jedoch zum ersten Mal, dass er selbst Empfänger solcher Zuneigungen wurde. Und er musste zugeben, dass es sich gut anfühlte.

Selbstverständlich ging er nicht auf das Geflirte ein, so leicht konnte er es dem anderen auch nicht machen. Doch wenn der Qunari hartnäckig bleiben sollte... nun, Dorian war jederzeit für Überraschungen zu haben.

 

Varric hatte sich schon längst zurückgezogen, als Dorian und der Eiserne Bulle schließlich beschlossen, den Abend zu beenden und sich ebenfalls schlafen zu legen. Der Qunari bot ihm an, ihn zu begleiten, doch Dorian lehnte höflich, aber bestimmt ab. Er mochte angetrunken sein, doch zu seinem Zimmer würde er auch noch allein zurückfinden, und so trennten sich schließlich ihre Wege.

Dorian bereute, dass er das Angebot ausgeschlagen hatte, kaum, dass er ein Dutzend Meter über den Hof zurückgelegt hatte. Es war so dunkel, dass er die Männer, die ihm entgegenkamen, nur als Schemen ausmachen konnte, und als er schließlich die Rüstungen, die sie trugen, erkannte, war es bereits zu spät, um umzukehren.

Die beiden Templer, die offenbar auf dem Weg zu ihrem Turm waren, mussten ebenfalls getrunken haben, denn sie schwankten leicht und ihr Atem roch nach Bier.

„Sieh an“, sagte einer von ihnen, ein rothaariger Mann mit vernarbtem Gesicht, und stellte sich Dorian in den Weg. „Es ist der Vint. – Was habt Ihr um diese Uhrzeit hier verloren?“

„Lasst mich passieren“, entgegnete Dorian ruhig, und legte die Hände um seinen Stab, um ihr Zittern zu verbergen. „Ich will keinen Ärger.“

Er wusste, dass es keinen Grund zur Nervosität gab, schließlich war er mächtig genug, um die beiden Templer im Handumdrehen zu erledigen, aber er hasste es, in Situation wie diese zu gelangen.

„Erzählt das Eurem Kumpel Corypheus“, sagte der andere Mann mit finsterer Miene. Er war etwas kleiner, als sein Gefährte, und hatte dunkles Haar und dunkle Augen. „Ihr Vints steckt doch alle unter einer Decke.“

„Ich werde versuchen, daran zu denken, wenn ich ihm das nächste Mal begegne“, erwiderte Dorian genervt. „Könntet Ihr mich jetzt bitte vorbeilassen?“

Anstatt einer Antwort bekam er einen Schlag in die Magengrube. Es fühlte sich jedenfalls an, wie einer, auch wenn es kein physischer Hieb gewesen war, denn keiner der beiden Männer hatte sich von der Stelle gerührt. Doch der Schmerz war nicht weniger intensiv. Dorian hatte das Gefühl, als wäre mit einem Mal sämtliche Luft aus seinen Lungen gepresst worden, und er krümmte sich zusammen und sank japsend auf die Knie.

„Was... was war das?“, keuchte er und hob den Blick. „Was habt Ihr getan?“

Die beiden Männer sahen sich an. Dann grinsten sie, und es war kein Grinsen, das Dorian gefiel.

„Mir scheint, Ihr habt noch nie eine magische Säuberung erlebt“, sagte der Rothaarige. „Was bringen sie eigentlich den Templern in Eurem Land bei...?“

Dorian stemmte sich mühsam hoch.

„Eine magische was?“, fragte er, während er bereits instinktiv in Kampfhaltung ging und beide Hände fest um seinen Stab schloss, um die Magie herbeizurufen...

- Die Magie, die nicht kam.

Dorian riss die Augen auf.

Jetzt wusste er, was sie mit „Säuberung“ gemeint hatten – mit ihren Templerfähigkeiten hatten sie seine Magie blockiert.

Was bedeutete, dass er ihnen ausgeliefert war.

Ser Barris

Ser Barris war ein ehrenvoller Mann.

Als jüngster Spross einer Familie, die auf eine lange Ahnenreihe ebenso ehrenvoller Männer und Frauen zurückblicken konnte, war er mit zwölf Jahren den Templern beigetreten und seitdem unaufhaltsam in ihren Rängen aufgestiegen. Bereits mit siebzehn Jahren war er zum Ritter ernannt worden, nachdem er auf seiner ersten Mission ein Unglück hatte verhindern können, das ohne sein Verhandlungsgeschick und taktisches Denken viele Männer und Frauen das Leben gekostet hätte. Jedem anderen hätten die Rekruten diesen Erfolg zweifellos geneidet, doch nicht Barris, der sich sowohl gegenüber seinen Kameraden als auch den Magiern der verschiedenen Zirkel, in denen er im Laufe seines Lebens stationiert gewesen war, immer höflich und zuvorkommend verhalten hatte.

Ser Barris lag nichts mehr am Herzen, als der respektvolle Umgang mit den Menschen, für die er sich verantwortlich sah, darum war es sein erster Instinkt, seine Hand auf seinen Schwertgriff zu legen, als er an diesem Abend nach einer späten Mahlzeit zum Turm der Templer zurückkehrte und Zeuge wurde, wie zwei seiner Männer einen Magier angriffen – einen Magier, den sie zuvor seiner Verbindung zum Nichts beraubt hatten, wie Barris fühlen konnte, was ein unverzeihliches Verbrechen war, wenn es fernab des Schlachtfeldes geschah.

Ser Barris spürte, wie Wut in ihm hochkochte. Er wollte gerade sein Schwert ziehen und eingreifen, als der am Boden kniende Magier den Blick hob und ihn ansah. Seine Augen weiteten sich, als er Barris erkannte, und er schüttelte unmerklich den Kopf, was den anderen nach kurzem Zögern wieder die Hand vom Schwertgriff nehmen ließ.

Den zwei Templern, die Barris den Rücken zugewandt hatten, schien der kurze Blickwechsel zwischen ihnen jedoch entgangen zu sein, denn sie genossen sichtlich die Machtposition, in der sie sich befanden, und zogen langsam ihre Schwerter.

„Plötzlich nicht mehr so vorlaut, was?“, meinte einer von ihnen und streckte den Arm aus, bis die Klinge seines Schwertes auf der Schulter der Magiers zu liegen kam, nur wenige Zentimeter von dessen Hals entfernt.

„Mit allem Respekt, Serah: Ihr seid ein Narr“, sagte der am Boden kniende Mann und schob die Schwertklinge mit seinem Stab beiseite. Dann erhob er sich mühevoll.

„Das war ein netter Trick, den Ihr da angewandt habt“, fuhr er fort und lächelte schwach, und Barris kam nicht umhin, seinen Mut zu bewundern, wie töricht und unangebracht er in dieser Situation auch sein mochte. „Aber ich habe auch einen Trick auf Lager. Wollt Ihr ihn sehen?“

Der Templer, der ihn mit seinem Schwert bedroht hatte, starrte den Magier noch immer mit offenem Mund an, als dieser plötzlich seinen Stab herumschwang und dem anderen die Beine unter dem Körper wegschlug. Während der Mann mit lautem Scheppern zu Boden ging, glitten die Finger des Magiers in eine Reihe von Vertiefungen knapp unter dem Griff des Stabes und Barris vernahm ein leises Klicken. Als der Magier seinen Stab wieder hob, ragte eine doppelschneidige Klinge aus seinem unteren Ende.

„Was zum–“, begann der andere Templer, doch Dorian ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ihr habt mich heute überrascht“, sagte er mit gefährlich leiser Stimme, aus der jeder Humor verschwunden war. „Beglückwünscht Euch zu Eurem Erfolg, solange Ihr noch könnt. Denn es wird das letzte Mal sein, dass Euch dies gelungen ist.“

Geübt ließ er den Stab in der Hand rotieren.

„Lasst mich Euch demonstrieren, wozu ein ausgebildeter Kampfmagier fähig ist.“

Und damit begann einer der ungewöhnlichsten Kämpfe zwischen einem Templer und einem Magier, die Barris je gesehen hatte.

So gefährlich die Schwertattacken des Templers auch sein mochten, seine Rüstung beraubte ihn doch seiner Geschwindigkeit und Agilität, was eine Schwäche war, die der Magier gnadenlos ausnutzte. Ohne größere Schwierigkeiten wich er den Hieben seines Gegners aus oder duckte sich geschickt darunter hinweg, bevor er sie seinerseits mit schwungvollen Attacken seines Stabes erwiderte. Dessen Klinge konnte zwar die Rüstung nicht durchdringen, doch sie zwang den Templer, sich in Acht zu nehmen und die gepanzerten Hände zu heben, um sein Gesicht zu schützen, was ihn in entscheidenden Momenten des Kampfes wertvolle Sekunden kostete. Der Magier nutzte jede Lücke, die er sah, um die Verteidigung des anderen zu durchbrechen und nahe an ihn heranzutreten, und schon bald begann der Templer in seinem Bestreben, sich seinem Gegner stets rechtzeitig zuzuwenden, um seine Attacken zu kontern, vor Anstrengung zu schnaufen.

Von diesem Moment an wurden seine Hiebe immer träger und ungenauer, und schließlich war er so entkräftet, dass der Magier auch ihn mit einem gezielten Tritt und einem kräftigen Stoß zu Boden beförderte.

„Bitte tut mir den Gefallen und ergebt Euch“, sagte er und drückte die Klinge seines Stabes gegen den Hals des Mannes. Seine Stimme war ruhig und er schien kaum außer Atem zu sein. „Diese Roben sind neu und es würde mich schmerzen, sie mit Eurem Blut zu besudeln.“

Der Templer sah ihn hasserfüllt an, doch er nickte kurz, um zu signalisieren, dass er den Kampf nicht weiter fortsetzen würde.

„Gute Entscheidung“, meinte der Magier und nickte, dann betätigte er einen verborgenen Mechanismus an seinem Stab und die Klinge glitt lautlos wieder in den Schaft zurück.

Ohne die Männer eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er an ihnen vorbei und auf den Haupteingang der Burg zu.

Erst in der großen Halle gelang es Barris, den Magier einzuholen.

„Serah, bitte verzeiht mir, aber ich muss mit Euch sprechen.“

Der andere schien zu erkennen, dass er ihn nicht abschütteln konnte, und blieb schließlich mit einem Seufzen stehen. Widerwillig drehte er sich zu Barris herum, der besorgt die Augenbrauen hochzog, als er sah, dass der Magier am ganzen Körper zitterte.

„Was wollt Ihr?“, fragte er müde. „Die Ehre Eurer Kameraden verteidigen und beenden, was sie begonnen haben?“

Barris schüttelte den Kopf. Die Unterstellung des Mannes verletzte ihn, aber sie überraschte ihn nicht, wenn er bedachte, was er soeben mit angesehen hatte.

„Nichts liegt mir ferner“, entgegnete er. „Was diese Männer getan haben, lässt sich nicht entschuldigen. Sie werden für den Angriff auf Euch eine angemessene Strafe erhalten, das verspreche ich.“

Zu seiner Überraschung weiteten sich die Augen des Magiers bei diesen Worten und er schüttelte vehement den Kopf.

„Tut das nicht!“, stieß er hervor. „Wenn Ihr mir wirklich helfen wollt, dann vergesst den Vorfall, den Ihr gesehen habt. Nichts wird sie eher gegen mich aufbringen, als zusätzlich zu dieser Demütigung auch noch von ihrem Orden bestraft zu werden.“

„Seid nicht unvernünftig“, entgegnete Barris, der nicht glauben konnte, was der andere gerade gesagt hatte. „Sie werden jede Möglichkeit nutzen, Euch das Leben schwer zu machen, wenn ich es nicht von Anfang an unterbinde!“

„Und was denkt Ihr, was geschieht, wenn Ihr mal nicht da seid, um sie auf Schritt und Tritt zu überwachen?“, fragte der Magier. „Ich habe viele Jahre in Zirkeln gelebt, Serah. Glaubt nicht, dass ich nicht all die subtilen Wege kenne, einem anderen zu schaden, ohne, dass es jemand merkt.“

Diesem Argument konnte Barris tatsächlich wenig entgegenhalten. Auch unter seiner Aufsicht hatte es in den Zirkeln manchmal Vorfälle gegeben, Gewalttaten gegen Magier, die er nicht hatte verhindern können, obwohl er seinen Untergebenen gegenüber oft genug deutlich gemacht hatte, was mit denjenigen geschah, die sie verübten.

„Es tut mir leid, dass man Euch in der Vergangenheit ein solches Unrecht angetan hat“, erwiderte er schließlich.

Mir?“ Der Magier lachte humorlos auf. „Ihr missversteht mich, Serah. Ich war nicht das Opfer...“

Er stützte sich auf seinen Stab und sah plötzlich sehr müde aus. „Aber wir alle haben in unserer Kindheit Dinge getan, die wir mittlerweile bereuen. Und nach all meinen Schandtaten habe ich vermutlich verdient, was heute passiert ist.“

Barris fragte sich, wo der Mann studiert haben musste, dass sich an diesem Ort die Magier gegenseitig terrorisierten. Doch als er ihn ansah – wirklich ansah – und neben seiner ungewöhnlichen Kleidung auch seinen fremdländischen Akzent mit berücksichtigte, fügten sich die Puzzleteile auf einmal zu einem Ganzen zusammen.

Natürlich. Er hätte gleich darauf kommen können, dass er mit dem Tevinteraner sprach. Das erklärte auch die offene Feindseligkeit seiner Männer dem anderen gegenüber – auch wenn seine Herkunft keine Entschuldigung für den Angriff war.

„Kein Magier hat verdient, was ihm angetan wird, auch Ihr nicht“, sagte er ruhig. „Ich bitte Euch, Serah, seid vernünftig. Eigentlich wäre ich dazu verpflichtet, diesen Fall vor den Kommandanten zu bringen. Wenn ich Euch schon nicht beschützen kann, dann kann er es sicherlich.“

„Und was würde mich das kosten, hm?“, fragte der Magier, nur um gleich darauf mit spöttischer Stimme seine Frage selbst zu beantworten: „Abgesehen natürlich von meiner Freiheit, mich in der Himmelsfeste zu bewegen, wie ich es wünsche.“

Ihr könntet gehen, dachte Barris – und er verstand plötzlich, wieso der andere so hartnäckig jegliche Hilfe ablehnte. Wenn er die Inquisition verließ, was blieb ihm dann noch, so weit von seiner Heimat entfernt...?

„Ich heiße Eure Entscheidung nicht gut, aber ich respektiere sie“, entgegnete er schließlich und der Tevinteraner sah ihn überrascht an. „Doch solltet Ihr es Euch jemals anders überlegen, dann könnt Ihr Euch jederzeit an mich oder Kommandant Cullen wenden.“

Der Magier mied seinen Blick, doch er schien tatsächlich für einen Moment über seine Worte nachzudenken.

„... ich werde Euer Angebot in Betracht ziehen“, sagte er nach einer Weile.

Barris lächelte. „Mehr wünsche ich mir nicht.“

Er wandte sich ab.

„Ich hoffe, Ihr habt eine geruhsame Nacht, Serah. Ihr seht aus, als könntet Ihr sie gebrauchen.“

Und mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Den nachdenklichen Blick, den der andere ihm nachwarf, bemerkte er nicht.

 

Ser Barris bestrafte die beiden Templer nicht, ganz, wie er es dem Magier versprochen hatte. Doch als die Inquisitorin wenige Wochen später eine alte Festung im Kammwald eroberte, waren ihre Namen die ersten, die auf der Liste der Männer und Frauen standen, die in Zukunft dort stationiert sein würden.

Falls sie einen Zusammenhang zu dem Vorfall im Hof herstellten, dann konnten sie es ihm nicht nachweisen. Auf ihr Fragen hin entgegnete Barris nur, dass ihre Talente dort besser aufgehoben waren, was genau genommen keine Lüge war.

Schließlich war Ser Barris ein ehrenvoller Mann.

Cullen

Cullen erwachte mit unerträglichen Gliederschmerzen.

Trotz der kalten Luft, die durch sein Dachzimmer zog, war er völlig nassgeschwitzt und seine Sachen klebten feucht an seinem Körper. Er fühlte sich ausgelaugt, und in seinen Armen und Beinen pochte ein anhaltender Schmerz, nachdem sich seine Muskeln im Schlaf in rascher Folge verkrampft und wieder entkrampft hatten – einer der Nebeneffekte des Lyriumentzugs, wie er mittlerweile wusste. Es war nicht das erste Mal, dass dies passierte, aber es war schon seit langem nicht mehr so schlimm gewesen, wie an diesem Morgen.

Cullen schloss die Augen und rezitierte lautlos die ersten Verse aus dem Gesang des Segens. Wie immer erfüllten ihn die Worte mit einem inneren Frieden, und sein Atem und Herzschlag beruhigten sich nach einer Weile wieder, bis er schließlich die Kraft fand, sich hochzustemmen und aufzustehen.

Doch kaum hatte er ein paar Schritte getan, erfasste ihn eine Welle der Übelkeit, und er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen.

Sein Zustand war sogar noch schlimmer, als er gedacht hatte.

Cullen kämpfte für einen Moment mit sich selbst. Er war zu stolz, um Hilfe anzufordern, aber die Vernunft sagte ihm auch, dass er weder der Inquisition noch sich selbst einen Gefallen tun würde, wenn er sich dazu zwang, unter Schmerzen seiner Arbeit nachzugehen.

Schließlich traf er eine Entscheidung. Er schleppte sich zum Fenster hinüber und öffnete mühsam die Läden. Aus einer Truhe unter dem Fensterbrett zog er ein weißes Tuch, das er zwischen den hölzernen Läden einklemmte, bevor er sie wieder schloss.

Er lehnte sich gegen das geschlossene Fenster und ruhte sich kurz aus, bevor er unter Schmerzen wieder zu seinem Bett zurückkehrte und wartete.

Es musste eine halbe Stunde vergangen sein, in der Cullen mehrmals kurz weggedöst war, als sich die Falltür zu seinem Zimmer plötzlich öffnete und Cassandra die Leiter hinaufstieg. Mit besorgter Miene trat sie an sein Bett heran.

„Ich habe dein Zeichen gesehen“, sagte sie und setzte sich auf die Bettkante. „Wie schlimm ist es? Hast du schon einen Heiltrank genommen?“

Er schüttelte den Kopf, zu schwach, um zu sprechen, und deutete mit der Hand auf die Falltür.

„Sie sind unten?“, fragte Cassandra, die die Geste richtig interpretierte, und er nickte. Sie seufzte und erhob sich dann. „Bei Andraste, Cullen, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du immer einen Trank in Griffweite haben solltest, wenn es dir so schlecht geht, wie heute? – Ich bin gleich wieder zurück.“

Sie stieg zügig die Leiter hinab und er hörte sie die Schubladen seines Schreibtisches aufziehen und durchstöbern, bevor sie wenig später mit einem Heiltrank wieder an seine Seite zurückzukehrte.

Cullen entkorkte mühsam das Fläschchen und trank seinen Inhalt.

„Danke“, stieß er mit rauer Stimme hervor, während er zurück auf das Bett sank.

Sein Hals war trocken und schmerzte, als hätte er stundenlang auf dem Schlachtfeld gestanden und Befehle gebrüllt.

Oder im Schlaf geschrien.

Er drehte sich auf die Seite und zog die Knie an den Körper, während die Wirkung des Heiltrankes allmählich seinen ganzen Körper erfasste und den Schmerz verdrängte, bis er zu einem erträglichen Pulsieren im Hintergrund geworden war.

Bruchstückhafte Erinnerungen an seinen Traum kehrten zurück – Bilder von einer brennenden Stadt, von einem stillen Turm und von Dämonen, die ihn mit den Gesichtern geliebter Menschen quälten, nur um sie vor seinen Augen in Stücke zu zerreißen. Cullen presste die Handballen auf seine geschlossenen Augenlider, als könnte er dadurch die Bilder vertreiben, doch sie ließen ihn nicht in Ruhe.

„Es wird wieder schlimmer“, sagte Cassandra leise.

Cullen gab keine Antwort. Er wusste, dass sie Recht hatte.

Es war fast fünf Monate her, seitdem Cassandra die Inquisition ins Leben gerufen hatte, und sechs, seitdem Cullen aufgehört hatte, Lyrium zu nehmen. Die Schmerzen des Entzugs waren am Anfang kaum zu ertragen gewesen, doch obwohl diese Anfälle seitdem nicht mehr so häufig auftraten, schien ihre Intensität keinem festen Muster zu folgen. Anstatt mit der Zeit abzunehmen gab es Tage, an denen er sich wieder so schlecht fühlte, wie in den ersten Wochen, und der Schmerz es ihm unmöglich machte, sein Zimmer zu verlassen.

Ohne Cassandra hätte er diese Momente nicht überstehen können, und er war ihr unendlich dankbar für ihre Hilfe – und insbesondere für ihre Verschwiegenheit. Obwohl sie aus Gründen der Sicherheit beschlossen hatten, sowohl Leliana als auch Josephine in die ganze Sache einzuweihen, war Cassandra bisher die einzige gewesen, die ihn an diesem Tiefpunkt erlebt hatte, und Cullen hoffte, dass es auch dabei blieb. Er wollte nicht, dass noch mehr Menschen sahen, wie wenig Kontrolle der Kommandant der Inquisition an Tagen wie diesen über sich selbst hatte.

„Cullen“, sagte Cassandra und berührte ihn sanft an der Schulter. Cullen öffnete die Augen und sah sie erschöpft an. „Kannst du für einen Moment aufstehen und dich auf diesen Hocker hier setzen? Ich will dein Bett neu beziehen.“

Er horchte einen Augenblick lang in sich hinein und nickte dann. Mühsam schwang er die Beine aus dem Bett und ließ sich schwer auf dem Hocker nieder, den sie bereitgestellt hatte.

Seine Augen fielen wieder zu, während sie das schweißgetränkte Laken abzog und es durch ein trockenes ersetzte, und seine Gedanken drifteten ab.

Er fragte sich auf einmal, wie es Dorian ging. Er konnte nicht genau sagen, ob es Teil seines Alptraums gewesen war, oder ob er in der Nacht tatsächlich erwacht war, während der Name auf seinem Handgelenk gebrannt hatte und ihn das ungute Gefühl gequält hatte, dass der andere in Gefahr war. Er hatte in der Finsternis nach seinem Schwert gesucht, um ihm zur Hilfe zu eilen, doch kurz darauf war das Gefühl der Dringlichkeit wieder verschwunden, und welche Gefahr auch immer seinem Seelenpartner gedroht hatte, Cullen hatte gespürt, dass sie vorerst abgewandt worden war.

Danach war er erneut eingeschlafen und erst am Morgen wieder erwacht, und im Nachhinein konnte er nicht sagen, ob er sich die Sache mit Dorian nur eingebildet hatte oder nicht. Er wollte Cassandra nach Dorian fragen, doch die Gefahr war zu groß, dass sie Verdacht schöpfte. Und mit Lavellan, die als einzige um seinen Seelenpartner wusste, konnte er auch nicht darüber sprechen, weil sie nichts von seinem Lyriumentzug wusste und Cullen wollte, dass es dabei blieb.

Es war ein Dilemma.

„Zieh das an.“

Er sah verwirrt zu Cassandra auf, die ihm ein Paar Unterhosen und ein Hemd hinhielt.

„Deine Sachen sind völlig nass, du erkältest dich sonst“, erklärte sie ruhig. Dann drehte sie sich um, um ihm etwas Privatsphäre zu geben, während er sich aus seinen nassgeschwitzten Sachen schälte und sich umzog, bevor er sich wieder ins Bett legte.

„Ich werde deinen Sekretären mitteilen, dass du Fieber hast und heute nicht arbeiten kannst“, sagte sie dann und nahm die schmutzige Wäsche entgegen. „Sie werden sich um die Briefwechsel kümmern und die dringenderen Anfragen in Absprache mit Leliana und Josephine bearbeiten, du musst dir also keine Gedanken machen.“

Cullen nickte.

„Ich danke dir“, sagte er, weil es das einzige war, was er sagen konnte.

Sie tat so viel für ihn, mehr, als er je wiedergutmachen konnte.

Cassandra lächelte schwach, dann stellte sie mehrere Fläschchen auf die Kommode neben dem Bett.

„Sollten die Schmerzen wieder schlimmer werden, nimm einen Heiltrank“, wies sie ihn an.

Dann zögerte sie kurz.

„Ich werde morgen mit der Inquisitorin nach Orlais aufbrechen“, sagte sie. „Ich bete, dass es dir bis dahin wieder besser geht. Wenn nicht, wird Leliana nach dir sehen.“

Er nickte erneut. Es gefiel ihm nicht, aber er sah ein, dass es nötig war. In diesem Zustand war er für gewöhnlich völlig hilflos und auf die Unterstützung anderer angewiesen, doch er vertraute Leliana und wusste, dass sie dieses Vertrauen nicht missbrauchen würde.

Cassandra öffnete die Falltür.

„Ich hole dir etwas zu essen aus der Küche“, sagte sie und begann die Leiter hinabzusteigen. „Ich bin bald wieder da.“

Mit diesen Worten war sie verschwunden. Cullen starrte an die Decke seines Zimmers und beobachtete die Staubpartikel, die langsam durch die Luft schwebten und aufleuchteten, wo das Sonnenlicht, das durch die Ritzen drang, sie traf. Der Anblick hatte etwas Beruhigendes, und nach einer Weile fielen ihm die Augen zu. Als Cassandra wenig später zurückkehrte, war er bereits wieder eingeschlafen.

Er empfand es als Gnade, dass er dieses Mal nichts träumte.

 

„Ah, Kommandant Cullen! Ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen, wenn ich Euch Gesellschaft leiste.“

Cullen hob überrascht den Kopf und sah von dem Brief auf, der vor ihm auf dem steinernen Tisch lag.

„... Dorian“, entgegnete er mit etwas Verspätung und nickte, während sich der andere Mann bereits auf dem Sitz ihm gegenüber niederließ. „Es wäre mir eine Ehre.“

Die Schmerzen vom Vortag waren mittlerweile fast gänzlich verschwunden, und Cullen hatte die Gelegenheit genutzt, sich in den Garten zu setzen, der mit seiner Stille und Abgeschiedenheit zu einem seiner Lieblingsorte in der Festung geworden war.

Nachdem er am Morgen erwacht war, war er die Briefe durchgegangen, die am Vortrag eingetroffen und an ihn persönlich adressiert waren, darunter ein Brief seiner Schwester Mia. Cullen schrieb ihr nicht so oft, wie er es sich gewünscht hätte, ein Umstand, den Mia in jedem zweiten Brief beklagte, auch wenn sie Verständnis für seine Lage zeigte. Jeder ihrer Briefe umfasste mehrere Bögen Papier, auf denen sie ihm in allen Einzelheiten von ihrem Leben mit ihrem Mann und Cullens stetig wachsender Anzahl von Neffen und Nichten erzählte, die ihn jedes Mal zum Schmunzeln brachten und ihm bewusst machten, wie sehr er sie vermisste.

Doch er hatte zu viel zu tun, als dass er der Inquisition für mehrere Wochen den Rücken kehren konnte, um seine Familie zu besuchen. Und so begnügte er sich mit Mias farbenfrohen Schilderungen der Feierlichkeiten von Wintersend oder der ersten Laufversuche seiner jüngsten Nichte, und nahm sich vor, zu ihnen zurückzukehren, sobald all dies vorbei war.

„Eine Nachricht von Eurer Familie?“, fragte Dorian, als er den Ausdruck auf Cullens Gesicht sah.

Der andere nickte.

„Von meiner Schwester“, entgegnete er knapp, während er den Brief vorsichtig zusammenfaltete und zurück in den Umschlag schob.

Dorian sah ihn nachdenklich an.

„Ihr müsst Euch sehr nahe stehen“, meinte er.

„Früher waren wir unzertrennlich“, erwiderte Cullen und lächelte, als er an die Momente kindlichen Glücks zurückdachte, in denen er und Mia über die Felder gerannt waren oder in den kurzen Sommermonaten im nahen See gebadet hatten.

Dann hob er den Blick und musterte den anderen Mann für eine Weile.

„Habt Ihr Geschwister?“, fragte er schließlich.

Doch Dorian verneinte. „Meine Eltern wollten nie mehr als ein Kind.“

Er ließ den Blick über den Garten schweifen.

„Im Nachhinein war das für alle Beteiligten vermutlich auch das Beste“, fügte er abwesend hinzu.

Cullen spürte eine Verbitterung hinter diesen Worten, die wehtat, doch er wagte es nicht, Dorian dazu zu drängen, weiter auf seine Bemerkung einzugehen.

Aber das war auch nicht nötig, denn nach einer Weile sprach der andere von selbst weiter.

„Die Erwartungen, die in Tevinter an Kinder aus Altus-Familien gestellt werden, sind enorm“, sagte er. „Gewiss, man hat finanzielle Sicherheit und bekommt sehr viel Anerkennung, insbesondere, wenn man als Magier nicht ganz unbegabt ist, aber die Freiheiten, die man dafür aufgeben muss... sie sind es nicht wert.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bereue es nicht, meine Heimat verlassen zu haben.“

Cullen zögerte für einen Moment, doch dann wagte er zu fragen:

„Und Eure Eltern? Vermisst Ihr sie nicht?“

Ein harter Ausdruck trat in die grauen Augen des Magiers. „Sie sind der Grund, weshalb ich Tevinter überhaupt erst den Rücken gekehrt habe.“

Er richtete den Blick wieder auf Cullen und lächelte plötzlich, und wäre der Schmerz in seinen Augen nicht gewesen, hätte Cullen ihm das Lächeln vielleicht sogar abgekauft.

„Aber genug über meine Familie“, sagte er. „Ich bin nicht hergekommen, um Euch mit meiner Geschichte zu langweilen.“

Cullen schüttelte den Kopf, um dem anderen zu zeigen, dass er sich gewiss nicht langweilte, dann fragte er:

„Warum seid Ihr dann gekommen?“

Nicht, dass er sich über Dorians Anwesenheit beklagte. Der Name auf seiner Haut pulsierte warm unter dem Lederband an seinem Handgelenk, und allein die körperliche Nähe zu dem anderen erfüllte Cullen mit einem Gefühl der... Vollständigkeit, das er nie wieder missen wollte, auch wenn er wusste, dass es nur für die Dauer ihres Gesprächs anhalten würde.

Ein Funkeln trat in Dorians Augen.

„Wie gut, dass Ihr fragt.“

Er griff nach einem Holzkasten, der unter seinem Stuhl stand, wie Cullen plötzlich bemerkte. Der andere musste ihn dort abgestellt haben, während er noch den Brief von Mia gelesen hatte.

„Ich suche schon seit einer Weile nach einem würdigen Gegner“, erklärte Dorian, während er den Kasten aufklappte und ihm ein Schachbrett und eine Reihe von Spielsteinen entnahm. „Lady Josephine war so freundlich, mich an Euch zu verweisen. Sie meinte, beim Kartenspiel wäret Ihr ein lausiger Gegner, aber dafür ein umso begnadeterer Schachspieler. Ich möchte mich darum selbst von Euren Talenten überzeugen.“

Cullens Mundwinkel hoben sich.

„Hat sie das wirklich gesagt?“, entgegnete er und half dem anderen dabei, die Steine auf dem Brett zu verteilen und in die Startposition zu bringen. „Lausig?

Dorian sah auf und erwiderte das Lächeln.

„Vielleicht nicht mit Worten, aber ihr Blick sagte mehr, als es mir der Anstand erlaubt, an dieser Stelle zu wiederholen.“

„... tatsächlich?“, fragte Cullen amüsiert.

Ihre Finger trafen sich für einen Moment, als sie gleichzeitig nach dem letzten Spielstein griffen. Dorian zog seine Hand nicht weg, und auch Cullen ließ sich ein paar Sekunden mehr Zeit, als nötig gewesen wäre, bevor er den Stein wieder freigab und ihn dem anderen überließ.

Als sich ihre Blicke wieder begegneten, schienen Dorians Augen dunkler geworden zu sein und ein seltsamer Ausdruck lag darin, den Cullen nicht zu deuten wusste.

Doch dann verging der Moment, und Cullen wandte mit roten Wangen den Blick ab und sah auf das Spielbrett hinab.

„Nun“, sagte er. „Dann zeigt mir, was Ihr könnt.“

„Mit Vergnügen“, erwiderte Dorian und lächelte.

Und das Spiel begann.

Lavellan

Lethallan.“

Ellana saß auf einer Anhöhe, die Arme um die Knie geschlungen, und lauschte den Geräuschen des Waldes. Sie rührte sich nicht, als sie die leise Stimme hinter sich vernahm, und sah erst auf, als Solas wenig später an ihre Seite trat.

„Ihr seid so still, seitdem wir die Wälder betreten haben“, sprach er. „Ist alles in Ordnung?“

„Ich bin...“ Sie suchte für einen Moment nach den passenden Worten, während ihr Blick über das endlose grüne Meer aus Baumkronen schweifte, das sich vor ihnen ausbreitete. Sie hatten die Smaragdgräber am Vortag betreten, um mit den Rebellen Kontakt aufzunehmen, und wie weit sie seitdem auch vorangekommen sein mochten – der Wald, der sie umgab, schien kein Ende nehmen zu wollen. Es überwältigte Ellana ein wenig.

Sie lachte leise.

„Ich bin nur sprachlos“, sagte sie dann und warf dem Elfen an ihrer Seite einen Blick zu. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Grün gesehen.“

„Ein unvergesslicher Anblick“, stimmte Solas ihr zu. Dann streckte er ihr seine Hand hin, und Ellana ergriff sie, und Seite an Seite stiegen sie den Abhang zum Lager hinab. Das kühle, weiche Moos unter ihren nackten Füßen schluckte das Geräusch ihrer Schritte. „Aber selbst in Denerim muss man sich Geschichten über diese Wälder erzählen.“

„Gewiss“, entgegnete sie und schmunzelte. „Aber nur davon zu hören und sie dann auf einmal selbst zu sehen – das sind zwei verschiedene Dinge. Kein Märchen der Welt hätte mich auf diesen Anblick vorbereiten können.“

„Es sind keine Märchen.“

Der sanfte Tadel in seiner Stimme war nicht zu überhören und Ellana spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Plötzlich fühlte sie sich töricht für ihre Bemerkung. Sie kam aus der Stadt und wusste nur wenig über die Elfen, die fernab der menschlichen Gesellschaft lebten und das alte Wissen bewahrten. Was konnte sie sich schon für ein Urteil erlauben?

Doch Solas schien ihr das Unbehagen anzusehen, denn er blieb plötzlich stehen und nahm ihre Hände in die seinen.

„Verzeiht“, sagte er leise. „Meine Worte waren unüberlegt. Es liegt mir fern, Euch zu verurteilen, lethallan. Ihr habt andere Erfahrungen gemacht, als andere Elfen, aber das macht Euch nicht unwissend oder weniger schätzenswert, als sie.“

Sie nickte.

„Ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit“, erwiderte sie und sah ihn an. „Doch Ihr hattet Recht mit dem, was Ihr sagtet. Es gibt vieles, das ich nicht über die Kultur der Elfen weiß, und ich würde gerne mehr darüber erfahren. Könnt Ihr mich lehren?“

Er sah sie einen Moment lang wortlos an, Erstaunen im Blick. Dann trat ein Lächeln auf seine Züge, das sein ganzes Gesicht zu erhellen schien.

Ma nuvenin, ma lath.“

Sie erwiderte sein Lächeln und spürte ein Flattern im Bauch bei seinen Worten.

Auch Solas schien auf einmal klarzuwerden, was er gesagt hatte, und verlegen ließ er ihre Hände wieder los.

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, doch sie warfen sich dabei immer wieder scheue Blicke zu, in der Annahme, der andere würde sie nicht bemerken. Und wenn ihre Schritte an diesem Tag etwas beschwingter waren, als sonst, dann fiel es keinem ihrer Gefährten auf.

 

Abgesehen von einer Ausnahme.

„Habt ihr schon geknutscht?“, fragte die blonde Elfe, die im Schneidersitz am Boden saß, mit interessiertem Blick.

Ellana fiel bei dieser Frage fast das Schwert aus der Hand. Sie war gerade dabei gewesen, Waffe und Rüstung abzulegen, um ins Bett zu gehen. Es war ihre zweite Nacht in den Smaragdgräbern und wie in der Nacht zuvor teilte sie sich das Zelt mit Cassandra, sowie Sera, einer jungen Elfe, der sie wenige Wochen zuvor in Val Royeaux begegnet waren, und der sie eine Zusammenarbeit mit der Inquisition angeboten hatten.

Cassandra saß noch draußen am Lagerfeuer und besprach mit den Kundschaftern die Pläne für den nächsten Tag, während Sera und Ellana sich bereits zurückgezogen hatten und sich bettfertig machten.

Sera war... anders als alle Elfen, denen die junge Frau bisher begegnet war – und auch anders als überhaupt jede Person, die sie je getroffen hatte. Ihre oftmals verwirrenden, nicht selten vulgären Bemerkungen und ihr starker Dialekt führten dazu, dass ihre Umgebung sie häufig unterschätzte und ihren Worten wenig Beachtung schenkte. Doch das war der größte Fehler, den man machen konnte.

Denn Sera war eine scharfe Beobachterin, der selten etwas entging, insbesondere, wenn es um die Stimmung in einer Gruppe oder kleine Besonderheiten beim Umgang von Personen miteinander ging. Meistens behielt sie ihre Erkenntnisse für sich, manchmal... jedoch auch nicht.

So wie auch an diesem Abend.

„Nein, haben wir nicht“, entgegnete Ellana schließlich mit rotem Gesicht. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen, Sera würde ihre Lüge sofort durchschauen. Für Ellana war es eh unbegreiflich, dass diese Sache, die sie mit Solas hatte – wie auch immer man sie nennen konnte – nicht schon mehr Personen aufgefallen war, mussten sich ihre Gefühle für ihn doch deutlich auf ihrem Gesicht widerspiegeln, wenn sie mit ihm sprach.

Sera warf in einer Geste der Frustration die Hände in die Luft, bevor sie sich rücklings auf ihre Decke fallen ließ.

„Dann wird’s aber langsam Zeit“, meinte sie. „Dieses ständige Schmachten ist ja kaum noch auszuhalten!“

Ellana begann die zahlreichen Lederbänder und Schnallen an ihrer Rüstung zu lösen, um die einzelnen Teile nacheinander abzulegen.

„Ist es so offensichtlich?“, fragte sie, ohne Sera dabei anzusehen.

„Pfff!“ Die andere Frau lachte. „Ist die Frage ernst gemeint?“

Dann rollte sie sich auf den Bauch und stütze das Kinn in die Hand, bevor sie Ellana einen nachdenklichen Blick zuwarf.

„Ihr steht wirklich auf ihn, eh?“, fragte sie nach einem Moment der Stille. „Oder ist es der Name auf Eurem Handgelenk, der Euch so verrückt nach ihm macht?“

Sie zog die Stirn kraus.

„Lästige Sache, diese Seelennamen“, fuhr sie fort. „Wenn ganz normale Leute plötzlich anfangen, sich zu benehmen, als hätten sie Bienen im Kopf, nur weil sie die 'richtige Person' treffen.“

Ihre Betonung der Wörter machte deutlich, was sie von Seelenpartnern hielt.

Ellana war gerade dabei, ihre Beinschienen abzunehmen, doch jetzt hielt sie inne und sah zu der anderen Elfe hinüber.

„Glaubt Ihr nicht an Seelennamen, Sera?“, fragte sie.

„Ich glaube an die Wirkung, die sie haben können, wenn es das ist, was Ihr meint“, entgegnete Sera. „Aber ich halte sie trotzdem für den größten Schwachsinn, den es gibt. Jeder sollte selbst die Verantwortung tragen, seinen Partner zu wählen, anstatt sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass das Schicksal ihn eines Tages zu ihm führt. Ich meine, was ist, wenn er noch mehr Leute kennenlernt, die er will?“

Sie breitete die Arme aus. „Freie Liebe für alle!“

Ellana musste lachen.

Doch als sie später unter ihrer Decke lag, während Sera nur wenige Meter entfernt schlief und dabei schnarchte, als hätte sie keine Sorgen auf der Welt, hielten die Worte der anderen Elfe sie noch für lange Zeit wach.

Seras Ansichten hatten erneut Zweifel in Ellana geweckt.

Basierten ihre Gefühle für Solas auf echter Zuneigung oder lediglich darauf, dass sie sich durch das Band zu ihm hingezogen fühlte? Würde sie das gleiche für ihn empfinden, wenn ein anderer Name auf ihrem Handgelenk stehen würde, oder wäre ihr Drang, ihm nahe zu sein, dann nicht mehr länger da?

Ellana wusste keine Antwort auf diese Fragen, denn sie hatte keinen Vergleich. Und sie begriff plötzlich, was Sera gemeint hatte – durch die Seelennamen gab es keine freie Wahl, keine Möglichkeit herauszufinden, ob es nicht irgendwo in Thedas noch eine Person gab, mit der man glücklicher geworden wäre, als mit dem Partner, den das Schicksal einem zugewiesen hatte.

Seufzend rieb sich Ellana die Schläfen und schloss die Augen. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich Gedanken über diese Problematik machte – nur das erste Mal, dass sie selbst unmittelbar davon betroffen war.

Doch im Moment führte es zu nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Sie hatte einen langen Marsch hinter sich und war müde, und es würde das Beste sein, sich auszuruhen. Sie konnte sich immer noch am nächsten Tag Sorgen darüber machen, wie es mit ihr und Solas weitergehen sollte.

Und mit diesem Gedanken schlief sie endgültig ein.

 

Als sie die Augen wieder aufschlug, war die Welt um sie herum weiß.

Sie stand wieder im kniehohen Schnee, verletzt vom Kampf, hungrig und zitternd vor Kälte. Ein eisiger Wind trieb ihr Schneekristalle ins Gesicht und erschöpft schleppte sie sich den Berghang entlang auf ein unbekanntes Ziel zu. Sie wusste nicht, wo es war oder wen sie dort antreffen würde, nur, dass sie dort Wärme und Schutz finden würde, und so setzte sie ihren Weg stumm fort, auch wenn sie jeder Schritt mehr und mehr Kraft kostete.

Als sie in der Ferne das Heulen eines Wolfes vernahm, trat ein Lächeln auf ihre gefrorenen Lippen. Dieses Mal wusste sie, was sie erwartete, und sie hatte keine Angst, als das Hecheln immer lauter wurde und auf einmal ein grauer Schatten aus dem Schneesturm auf sie zutrat.

„Da bist du ja“, flüsterte sie und vergrub die Finger in dem weichen Fell. Leise winselnd schmiegte sich der Wolf an sie und leckte ihre Hand, und Ellana kniete im Schnee nieder und schlang die Arme um seinen Hals.

„Es tut mir Leid, dass Ihr das allein durchstehen musstet.“

Sie sah auf, als sie Solas‘ Stimme hörte. Die Gestalt des Elfs schälte sich aus dem Schneesturm, der um sie herum tobte, doch er sah so anders und fremdartig aus, dass sie ihn fast nicht wiedererkannte. Sein Mantel war aus kostbarem, dunklem Stoff gefertigt und mit goldenen Stickereien verziert, und über der Schulter und Brust trug er eine Schärpe aus Wolfsfell. Sein Gesicht hatte sich kaum verändert, auch wenn er etwas jünger aussah, doch sein Kopf war nicht länger kahl, und Ellana staunte über sein dichtes, schwarzes Haar, das an den Seiten kurzgeschoren war, während es in der Mitte zu dicken Zöpfen geflochten war, die ihm bis zu den Schulterblättern reichten.

Dann flackerte das ganze Bild plötzlich und im nächsten Moment stand wieder der schlicht gekleidete, haarlose Elf vor ihr, dessen Anblick ihr in den letzten Monaten so vertraut geworden war.

„Ich war nicht allein“, sagte sie schließlich und schmiegte die Wange an den Kopf des Wolfs.

Ein gepeinigter Ausdruck huschte über Solas‘ Gesicht. „Ich wünschte dennoch, ich hätte mehr für Euch tun können.“

Ellana sah ihn einen Moment lang nachdenklich an, dann stand auf.

„Aber das habt Ihr“, sagte sie. „Ihr habt den Wolf zu mir geschickt.“

Es war eine Feststellung, keine Frage, und Solas gab keine Antwort, was ihre Vermutung nur bestätigte. Sie hatte schon seit längerem geahnt, dass sie ihm ihre Rettung zu verdanken hatte, auch wenn sie nicht wusste, wie er es getan hatte.

Dann wandte er sich ab.

„Kommt“, sagte er. „Ich will Euch etwas zeigen.“

Sie drückte den Wolf zum Abschied noch ein letztes Mal, dann folgte sie ihm.

Während sie liefen, schmolz der Schnee und versickerte nach und nach in der braunen Erde. Bäume schossen aus dem Boden hervor und wuchsen hoch in den Himmel hinauf, wo sie ihr grünes Blätterdach über sie spannten.

„Ihr sagtet, Ihr möchtet lernen“, sprach Solas, während sie durch den jungen Wald schritten, der um sie herum weiter wuchs. „Verzeiht mir die unkonventionelle Lektion, aber ich hielt dies für die beste Möglichkeit, Euch mehr von der Welt der Elfen zu zeigen. Nirgendwo erfährt man so viel über die Geschichte eines Ortes, wie im Nichts.“

Staunend sah Ellana mit an, wie sich endlose Treppen um die dicken Baumstämme herum nach oben zu winden begannen. Hölzerne Plattformen so groß wie Dörfer wuchsen in großer Höhe um die Bäume herum, und schmale, geschwungene Brücken verbanden sie miteinander.

Wo sie auch hinblickte, sah sie Elfen, die ihrem täglichen Leben nachgingen, die plauderten, handelten, lachten, während sie sich auf den luftigen Straßen der Stadt bewegten. Zwischen ihnen sah man hin und wieder Ritter in glänzenden Rüstungen, die eigenartige Masken aus einem grünlich schimmernden Metall trugen.

Niemand schenkte Ellana und Solas Beachtung, als sie eine der breiten Treppen hinaufstiegen.

„Die Dales und Halamshiral waren nur ein schwaches Echo der alten elfischen Hochkultur von Elvhenan“, sagte Solas, während sie einer jungen Frau auswichen, die ihnen mit zwei kleinen Kindern an den Händen entgegenkam. „Doch es ist beeindruckend, was sie in ihrer verhältnismäßig kurzen Existenz alles geschaffen haben. Viele der Bäume in diesem Wald würden ohne sie nicht stehen.“

„Ich dachte immer, die Smaragdgräber wären, nun ja... Gräber“, meinte Ellana.

„Heute sind sie das auch“, entgegnete Solas. „In der Legende heißt es, dass jeder Baum für einen Elfenritter steht, der im Kampf gegen die Menschen gefallen ist. Es stimmt zwar, dass jeder Baum einen Ritter repräsentiert, doch sie wurden nicht zum Andenken an die Toten gepflanzt, sondern als Erinnerung jedes Ritters an den Moment, in dem er sich dazu verpflichtet hat, diesen Ort zu beschützen.“

Ellana streckte die Hand aus und berührte mit den Fingern die raue Rinde des Baumes.

„Ich glaube, diese Version der Geschichte gefällt mir besser“, sagte sie. „Sie ist nicht so furchtbar traurig, sondern irgendwie... romantisch.“

Ein Lächeln trat auf Solas‘ Lippen, dann sprach er:

„Bedauerlicherweise führten die Spannungen zwischen Orlais und den Dales schließlich zum Krieg, in dem alle Elfenritter fielen und unser Volk endgültig in alle Winde zerstreut wurde. Ich würde Euch den Anblick gerne ersparen und Euch noch etwas anderes zeigen–“

„Nein“, unterbrach ihn Ellana und sah ihn ruhig an. „Bitte zeigt es mir. Ich muss es sehen, um zu verstehen, was verloren ging...“

Solas zögerte, doch dann nickte er. „Wie Ihr wünscht.“

Plötzlich wurden um sie herum Schreie laut. Das flackernde Licht von Feuern erhellte den Wald und warf gespenstische Schatten auf den Boden der brennenden Plattformen. Dicker, schwarzer Rauch quoll durch die Straßen und Ellana hielt sich hustend die Hand vor den Mund.

Verzweifelt versuchten die Bewohner der Stadt über die Brücken zu fliehen, doch alle Zugänge zu der Baumstadt waren blockiert, und die Menschen legten von allen Seiten Feuer. Angstvoll drückte sich Ellana gegen den Stamm des Baumes, während die panischen Elfen versuchten, die Angreifer von oben zurückzudrängen. Doch gegen die Panzer der orlaisianischen Ritter kamen ihre Waffen nicht an und sie mussten hilflos mit ansehen, wie die Flammen immer höher stiegen und Plattform für Plattform verschlangen.

„Sie verbrennen sie einfach!“, stieß Ellana hervor. „Selbst die Kinder!“

„Es war ein schwarzer Tag für die Menschheit“, stimmte Solas ihr traurig zu. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich, und sie schloss die Augen, als die Flammen auch sie umhüllten.

Als sie schließlich wieder aufblickte, standen sie wieder auf dem Waldboden. Die Baumstadt war verschwunden, ebenso wie das Heer der Menschen. Nur die Bäume ragten still über ihnen auf, die letzten Zeugen einer untergegangenen Zivilisation.

Ellana atmete gleichmäßig ein und aus, bis sich ihr rasch klopfendes Herz wieder beruhigt hatte.

Sie stand noch immer an Solas gelehnt da, doch keiner der beiden Elfen machte Anstalten, sich von dem anderen zu lösen, als brauchten sie die Nähe nach dem, was sie eben gesehen hatten.

„Wenn das der Untergang der Dales war“, sprach Ellana schließlich, „wie verlustreich war dann erst der Fall von Elvhenan?“

Ein schmerzvoller Ausdruck trat auf die Züge des Elfs.

„Es gibt keine Worte, die ausdrücken könnten, was mit dem antiken Reich der Elfen verlorenging“, sagte er. „Selbst wenn wir uns in den Ruinen von Arlathan befinden würden und ich Euch im Nichts die alte Pracht der Elfenstadt zeigen könnte, würde das nicht ausreichen, um Euch den Verlust ihrer Kultur begreiflich zu machen.“

Sie legte die Wange an seine Schulter und schlang die Arme um seinen Körper, eine Geste, mit der sie hoffte, den Schmerz etwas zu lindern, den er offenbar in diesem Moment empfand.

Wie kann das, was ich fühle, nicht echt sein, wenn es so wehtut, ihn so zu sehen...?, fragte sie sich und schloss die Augen, während sie still seinem Herzschlag lauschte.

„Manchmal klingt Ihr, als wäret Ihr damals selbst dabei gewesen“, sagte sie nach einer Weile.

„Meine Reisen durch das Nichts haben mich vieles gelehrt“, entgegnete er, doch seine Stimme klang seltsam belegt und sie hob den Kopf, um ihn anzusehen.

„Solas“, murmelte sie, als sie die Trauer in seinen Augen sah und legte eine Hand an seine Wange. „Was quält Euch nur so, lethallin...?“

Er kämpfte sichtbar mit sich selbst, doch schließlich wandte er das Gesicht zur Seite und küsste die Innenfläche ihrer Hand, eine seltsam intime Geste.

„Eines Tages, ma lath“, erwiderte er leise. „Eines Tages werde ich es Euch sagen. Doch im Augenblick wäre es das Beste, wenn Ihr noch etwas Schlaf bekommt.“

Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, was er vorhatte, doch bevor sie protestieren konnte, war er verschwunden...

... und Ellana wachte mit klopfendem Herzen in der Dunkelheit ihres Zeltes auf.

 

Es dauerte lange, bis sie wieder zur Ruhe kam, und sie schlief erst ein, als sie die Hand über ihr Herz legte, auf der sie noch immer die Wärme seiner Lippen spüren konnte.

Dorian

Als er die Augen aufschlug, war es dunkel.

Verwirrt stellte er fest, dass er auf beiden Beinen stand, so als hätte er im Stehen geschlafen. Eisiger Regen durchnässte seine Kleidung und ließ ihn vor Kälte zittern, während er langsam vorwärtsschritt und sich dabei blind durch die Schwärze tastete. Als seine suchenden Finger auf einmal Blätter berührten, zog er seine Hand überrascht zurück. Er zögerte kurz, dann kniete er nieder und berührte den Boden. Seine Hände fanden nur nasses Gras und feuchte Erde.

Dorian hatte keine Ahnung, wo er war, doch eines stand zweifelsohne fest – es war nicht die Scheune, in der er übernachtet hatte.

Er griff nach seinem Stab und beschwor einen kleinen Ball aus Feuer, den er von seiner Handfläche aus in den Himmel steigen ließ.

Um ihn herum waren nichts als Bäume und Unterholz zu sehen, doch zwischen den Stämmen konnte er nicht weit entfernt das schwache Flackern eines Feuers ausmachen. Dorian nahm all seinen Mut zusammen und ging darauf zu.

Nach einer Weile trat er auf eine Lichtung hinaus – wobei „Lichtung“ das falsche Wort war, wie er schnell erkannte. Es war vielmehr ein Krater, um den kreisförmig umgekippte Baumstämme lagen, als wären sie durch die Druckwelle einer Explosion abgeknickt worden. Viele der Stämme waren verkohlt, doch manche brannten noch und sie waren die Quelle für das Licht, das er gesehen hatte.

Dorian sah sich aufmerksam nach dem Auslöser der Explosion um, doch er fand keinen Hinweis darauf, was sie verursacht haben könnte. Die Herkunft des Kraters war ebenso rätselhaft wie sein plötzliches Erwachen im Wald.

Er setzte sich vorsichtig auf einen der wenigen unversehrten Baumstämme. Es hatte keinen Sinn, weiter blind durch den Wald zu laufen. Es würde das Beste sein, bis zum Morgengrauen abzuwarten, um herauszufinden, wo um alles in der Welt er war, und dann zu hoffen, dass er seinen Weg zurück zur Zivilisation fand.

Während er wartete, den Umhang fest um seine Schultern geschlungen, verunsichert und müde, bemerkte er plötzlich einen grünlichen Schimmer hoch über den Bäumen.

Mit offenem Mund stand Dorian auf und trat an den Rand des Kraters, bis er die Ursache für das Licht sehen konnte, das ihm zuvor unter dem Blätterdach des Waldes nicht aufgefallen war.

Ein gigantischer, grün leuchtender Mahlstrom drehte sich behäbig über den schneebedeckten Hängen der Frostgipfel am Himmel, nur wenige Dutzend Meilen von Dorians Position entfernt. Alles an ihm schien falsch und verdorben, und ihn auch nur anzusehen, löste tiefes Unbehagen in ihm aus. Dorian konnte förmlich spüren, wie der Schleier um den Riss herum blutete, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.

Was war bloß mit der Welt passiert, während er geschlafen hatte? Und hatte es etwas damit zu tun, dass er mitten in der Nacht im Wald aufgewacht war?

Ein plötzliches Gefühl von Angst ergriff von ihm Besitz, und Dorian nahm seine Sachen und beschloss, nicht länger zu warten, sondern sein Glück zu versuchen und sich auf den Weg zurück zum Dorf zu machen. Er konnte nicht länger hierbleiben, sein Instinkt sagte ihm, dass ihm Gefahr drohte, wenn er länger verweilte.

Nach einem letzten Blick hinauf zu dem Riss im Himmel kehrte er ihm schließlich den Rücken zu und tauchte erneut in die Dunkelheit des Waldes ein.

 

Dorian erwachte schweißgebadet in seiner kleinen Kammer auf der Himmelsfeste.

Durch die Fenster fielen die ersten Strahlen der Morgensonne, er konnte also nicht länger als vier Stunden geschlafen haben. Doch er wusste, dass er nicht wieder einschlafen würde, dafür hatte ihn der Traum zu sehr erschüttert.

Wäre es nur ein Traum, dachte er bitter und schauderte.

Es war seine vierte Nacht in Ferelden gewesen, als der Himmel aufriss und Dorian sich nachts im Wald wiedergefunden hatte. Im Morgengrauen hatte er schließlich das Dorf erreicht, in dem er am Abend zuvor Unterkunft gesucht hatte. Er war nie ein Schlafwandler gewesen, doch in dieser Nacht war er im Schlaf meilenweit durch den Wald gelaufen. Doch zu welchem Zweck? Hatte er die Explosion gehört und war unbewusst losgelaufen, um herauszufinden, was vorgefallen war? Oder war er – und daran wollte Dorian nicht einmal denken – selbst der Auslöser für das Feuer gewesen? Er hatte im Krater noch ein wenig Restmagie spüren können, unmöglich war es also nicht.

Und bestand ein Zusammenhang zum Riss, oder war es lediglich reiner Zufall, dass er in der gleichen Nacht auf Wanderschaft gegangen war, in der sich der Himmel geöffnet hatte?

Fragen über Fragen, und Dorian hatte bislang auf keine davon eine Antwort gefunden.

Seufzend rieb er sich das Gesicht, dann schlug er die Bettdecke zurück und stand auf.

Während er frische Sachen aus seinem Schrank zog, warf er einen Blick in den Spiegel, den er vor ein paar Tagen von einem durchreisenden Händler erstanden und an der Schranktür befestigt hatte.

Er sah fast noch schlimmer aus, als er sich fühlte, mit blassem Gesicht, tiefen Ringen unter den Augen und in alle Richtungen abstehendem Haar. Bartstoppeln bedeckten seine Wangen und sein Kinn, und auch sein Schnurrbart musste dringend mal wieder gestutzt werden.

Dorian schenkte seinem Spiegelbild ein schiefes Grinsen, dann schloss er den Schrank und machte sich auf den Weg zu den Bädern.

Die Räumlichkeiten der Burg, die die Bewohner der Himmelsfeste voller Stolz als Bäder bezeichneten, waren kein Vergleich zu den gleichnamigen Einrichtungen in Tevinter. In seiner Heimat war Baden ein sinnliches Erlebnis, und Badehäuser waren Orte der Entspannung und der sozialen Zusammenkünfte – an denen nicht selten auch der ein oder andere politische Mord geplant wurde, aber das gehörte in Tevinter mit zum Alltag.

Die Bäder der Himmelsfeste hingegen waren weder beheizt noch ästhetisch anzusehen. Genau genommen handelte es sich dabei um einen großen, höhlenartigen Raum tief unter der Festung, in den mehrere unterschiedlich große Becken direkt in den Stein gehauen worden waren, deren Wasser aus den kalten Quellen des Berges stammte, das durch eine Reihe schmaler Rinnen von einem Becken in das nächste floss. Jeder durfte die Bäder benutzen, unter der Voraussetzung, dass er sie so verließ, wie er sie vorgefunden hatte.

Dorian hielt sich nur ungern hier auf. Der Ort war dunkel und kalt, und das Wasser oft schmutzig, wenn er spät am Abend herkam, um zu baden. Hätte er eine eigenen Wanne – oder auch nur den Platz für eine eigene Wanne – würde er mit Sicherheit nicht hier baden. Doch leider blieb ihm keine Wahl.

Da es jedoch noch früh am Morgen war, hatte er Glück. Dadurch, dass sich das Wasser auf natürliche Weise mit der Zeit wieder erneuerte, war es um diese Uhrzeit noch frisch und klar, und abgesehen von einem älteren Mann, der in den Ställen arbeitete, hielt sich niemand weiter darin auf.

Mit einer Geste seiner Hand erwärmte Dorian das eiskalte Wasser in einem der Becken, bis leichter Dampf von seiner Oberfläche aufstieg, und begann, sich zu entkleiden. Nur wenige Momente später stieg er in das Becken hinein und schloss mit einem Seufzen die Augen, als sich seine Gliedmaßen in dem heißen Wasser allmählich entspannten. Den Kopf an den Beckenrand gelehnt döste er für eine Weile vor sich hin und schlug erst wieder die Augen auf, als er im Gang, der zu den Bändern führte, plötzlich Stimmen hörte.

Einen Moment später betrat die Söldnertruppe des Eisernen Bullen den Raum. Sie alle waren schmutzig und sahen aus, als hätten sie gerade einen bewaffneten Konflikt hinter sich, doch sie waren guter Dinge und lachten und scherzten, während sie sich auszogen und sich dann ins benachbarte Becken setzten.

Dorian wandte demonstrativ den Blick ab, als ihr Anführer sich als letzter zu ihnen gesellte. Es gab Dinge, die er so früh am Morgen noch nicht entblößt sehen wollte. Stattdessen griff er nach dem Klumpen Seife, den er mitgebracht hatte, und begann sich einzuseifen.

Leider ließ man ihn nicht lange in Ruhe.

„Serah Pavus!“, rief der Eiserne Bulle, als Dorian gerade dabei war, den Schaum aus seinen Haaren zu spülen. „Könntet Ihr es uns vielleicht ein bisschen wärmer machen?“

Dorian verdrehte die Augen, doch er kam dem Wunsch nach und schnippte mit den Fingern, und einen Moment später gab die Gruppe ein kollektives Seufzen von sich, als sich ihr Wasser langsam erwärmte.

„Danke“, sagte der Qunari, und die Anerkennung in seiner Stimme ließ den anderen kurz innehalten, bevor er sich wieder seinen Haaren widmete.

„Warum kannst du sowas nicht auch, Krem?“, fragte der Eiserne Bulle seinen Stellvertreter. „Das würde die langen Wochen in der Wildnis wesentlich erträglicher machen. Und du würdest dich nicht ständig über meinen Geruch beschweren.“

Die anderen lachten auf, doch Krem gab nur ein Schnauben von sich.

„Soporati, schon vergessen?“, entgegnete er. „Aus Tevinter zu sein bedeutet nicht zwangsläufig, auch Magie im Blut zu haben.“

Dorian musste lächeln. Er und Krem mochten sich nicht besonders, dafür waren ihre Ansichten zu verschieden, doch sie hassten beide die vielen Klischees, die über ihr Heimatland existierten.

Nach einer Weile entspannte sich eine lockere Unterhaltung zwischen den Mitgliedern der Gruppe und Dorian war froh darüber, dass sie ihm keine weitere Beachtung schenkten.

Zumindest bis er Anstalten machte, aus dem Becken zu steigen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte der Eiserne Bulle leise vom anderen Becken hinüber, während sich Krem und der Zwerg hinter ihm über noch offene Schulden nach dem letzten Tavernenbesuch stritten.

Dorian blinzelte überrascht und ließ sich wieder ins Wasser sinken.

„Alles ist wunderbar“, entgegnete er. „Warum sollte etwas nicht in Ordnung sein?“

„Weil Ihr nicht gut ausseht“, sagte der andere.

Dorian seufzte. Wenn selbst der Qunari gemerkt hatte, dass es ihm nicht gut ging, musste er wohl ein Bild des Elends bieten. Doch er wollte auch kein Mitleid, und so erwiderte er:

„Macht Ihr Euch etwa Sorgen um meine Schönheit?“

Der Mundwinkel des anderen zuckte.

„Mehr um Eure Gesundheit, um ehrlich zu sein, aber meinetwegen auch das.“

„Euer Interesse an meiner Person ehrt mich“, meinte Dorian mit leichtem Spott.

„Ich denke, es könnte wesentlich mehr davon geben“, erwiderte der Eiserne Bulle und musterte ihn von oben bis unten. „Interesse, meine ich. An Euch.“

Er senkte die Stimme. „Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass bisher noch niemand sein Interesse bekundet hat.“

Dorian starrte ihn an, dann drehte er sich um und stand auf. Es gab Momente, in denen er sich bewusst wie ein begehrenswertes Objekt behandeln ließ, doch dies war keiner davon, und es enttäuschte ihn, dass der Qunari ausschließlich auf diese Art über ihn zu denken schien. Dorian hätte mehr von ihm erwartet.

Er war schon halb aus dem Becken, als hinter ihm ein lautes Platschen ertönte, und sich kurz darauf eine große Hand um seinen Oberarm schloss. Die restlichen Söldner stießen überraschte Rufe aus, doch der Eiserne Bulle ignorierte sie.

„Es tut mir leid“, sagte er leise. „Meine Worte waren unüberlegt, ich habe es nicht so gemeint.“

Dorian blieb stehen, doch er wagte es nicht, sich zu dem anderen herumzudrehen. Nicht nur, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, sondern auch, um seinen viel zu nackten Körper nicht anstarren zu müssen.

„Ich schätze Euch sehr als Person“, fuhr der Qunari fort und ließ ihn schließlich wieder los, „und das wird sich nicht ändern, egal, was ich sonst noch für Euch empfinden mag.“

Dorian seufzte.

Schließlich wandte er sich doch zu dem anderen um, den Blick dabei fest auf sein vernarbtes Gesicht gerichtet.

„Danke“, sagte er. „Für Eure Ehrlichkeit.“

Er zögerte, dann überwand er schließlich seinen Stolz und fuhr fort: „Und auch für das, was Ihr vorher gesagt habt. Es... fällt es mir schwer, Freundschaft dort zu sehen, wo sie ohne Hintergedanken angeboten wird. Ich hoffe...“

Er schluckte, während der Qunari ihn aufmerksam aus seinem verbliebenen Auge ansah. „Ich hoffe, Ihr könnt mir meine Reaktion verzeihen.“

Der andere sah ihn für einen Moment wortlos an, doch dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen.

„Immer“, erwiderte er. Dann hob er die Stimme.

„Meine Jungs und ich feiern heute Abend ein wenig in der Taverne. Ihr seid herzlich dazu eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten. Krem gibt einen aus.“

„Hey!“, ertönte hinter ihm der Protestruf seines Stellvertreters.

„Er kann es kaum erwarten“, fügte der Eiserne Bulle hinzu und zwinkerte Dorian zu.

Der andere erwiderte zögerlich das Lächeln.

„Ich werde darüber nachdenken“, sagte er.

Und nachdem er sich wieder angezogen und die Bäder hinter sich gelassen hatte, stellte er fest, dass er seine Worte ernst gemeint hatte.

 

Aufgrund des sonnigen Wetter beschloss Dorian, sich in der Nähe des Übungsplatzes in den Hof zu setzen, um dort seine Lektüre fortzuführen.

Doch diese wurde nur wenige Stunden später auch schon wieder unterbrochen, als die Inquisitorin mit ihrem Gefolge von ihrer Reise zu den Dales zurückkehrte. Sie alle wirkten erschöpft, selbst Solas, aber ihnen war die Zufriedenheit über den positiven Ausgang ihrer Mission anzusehen, und als Cullen der jungen Frau vom Pferd half, entging Dorian das Leuchten in ihren Augen nicht.

Er fühlte einen seltsamen Stich in der Brust, als er den vertrauten Umgang der beiden miteinander sah – sah, wie Cullen eine Hand auf ihren Rücken legte, um sie zu stützen, und wie Lavellan sich erschöpft, aber dankbar an ihn lehnte. Er fragte sich, ob er zu viel in diese Nähe zwischen ihnen hineininterpretierte, oder ob sie tatsächlich mehr miteinander verband, als nur Freundschaft.

Doch sobald ihm klar wurde, wohin diese Gedanken führten, schüttelte er verärgert den Kopf und klappte sein Buch zu, bevor er aufstand, um Lavellan zu begrüßen. Was zwischen den beiden war, ging ihn nichts an, und nur, weil er vor einigen Wochen beim Schachspiel ein paar seltsam gemischte Signale von dem Kommandanten empfangen hatte, bedeutete das nicht, dass Cullen nicht ganz offensichtlich in die junge Frau vernarrt war.

Und Dorian, der mit dem Gefühl vertraut war, ein unliebsames Geheimnis zu sein, und es aus tiefstem Herzen hasste, stand über diesen Dingen. Er würde die Fehler seiner Vergangenheit nicht wiederholen, nicht hier. Wenn er sich mit jemandem einließ, dann nur zu seinen Bedingungen.

Und während er der Inquisitorin zu ihrem Erfolg gratulierte und sie mit ein paar gezielten, charmanten Bemerkungen zum Lachen brachte, gewann die Einladung des Qunari immer mehr an Reiz.

Solas

Die Vorbereitungen für das Festgelage, das Josephine anlässlich der Rückkehr der Inquisitorin auf die Schnelle organisiert hatte, waren noch im vollen Gange, als sich die Tür zur großen Halle öffnete und Lavellan die Rotunde betrat, in der sich Solas für gewöhnlich aufhielt.

Der Elf, der auf dem Sofa saß und gerade in eine Lektüre über Traditionen und Rituale der Avvar vertieft gewesen war, ließ das Buch sinken und sah auf, als die junge Frau nähertrat. Mit einem tiefen Seufzen ließ sich Lavellan neben ihm auf das Polster sinken und schloss die Augen.

Solas hob eine Augenbraue.

„Langer Tag?“, fragte er.

„Das kann man wohl sagen, ja“, entgegnete sie und stieß ein leises Lachen aus. „Ich habe langsam das Gefühl, dass er nie enden wird.“

Solas dachte einen Moment lang nach. „Ihr könntet Euch entschuldigen und Euch auf Euer Zimmer zurückziehen. Nach der langen Reise, die Ihr hinter Euch habt, wird man gewiss Nachsehen mit Euch haben.“

„Das habe ich zu Josi auch gesagt, aber sie meinte, ich muss mich vorher wenigstens ein, zwei Stunden lang sehen lassen, um nicht selbstsüchtig zu wirken.“

Der Elf runzelte die Stirn. „Ihr seid alles andere als selbstsüchtig, lethallan, nur weil Ihr Euch nach einer anstrengenden Reise Ruhe wünscht.“

„Das scheinen die orlaisianischen Adeligen auf der Festung, die die Inquisition so großzügig mit ihren Spenden unterstützen,  leider anders zu sehen“, sagte Lavellan seufzend. „Für sie gilt es als Zeichen von Unhöflichkeit, Müdigkeit zu zeigen.“

Solas stieß einen leisen elfischen Fluch aus und schüttelte den Kopf.

„Was für ein Unsinn“, meinte er.

Zu seiner Überraschung lachte sie auf und öffnete die Augen.

„Was?“, fragte er verwirrt, als sie ihn ansah.

„Nichts. Es ist nur so erfrischend, Euch fluchen zu hören, Solas“, erwiderte sie.

Seine Mundwinkel hoben sich zu einem schwachen Lächeln. „Es zeugt von schlechter Selbstkontrolle. Gewöhnt euch besser nicht daran.“

„Mmh-hm“, machte sie nur und gab sich erst gar keine Mühe, so zu klingen, als würde sie ihm glauben.

Dann schloss sie wieder die Augen.

„Wenn Ihr nichts dagegen habt“, sagte sie müde, „dann würde ich für einen Augenblick hier sitzenbleiben und mich ausruhen, bis das Fest beginnt.“

Solas überlegte kurz, und bevor sein Verstand ihm sagen konnte, dass es eine schlechte Idee war, traf sein Herz eine Entscheidung.

Lethallan“, sagte er leise und sie öffnete erneut die Augen und sah ihn fragend an.

Er klopfte sich auf den Oberschenkel. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch hinlegen.“

Ihre Wangen röteten sich, als sie begriff, was er meinte, und sie zögerte für einen Moment. Doch sie überwand sich schnell und nahm sein Angebot an.

„Danke, Solas“, murmelte sie, als sie den Kopf in seinen Schoß legte und die Augen schloss.

„Ich werde Euch wecken, wenn die Feierlichkeiten beginnen“, sagte er, und fuhr sanft mit den Fingern durch ihr langes, rotes Haar, während er erneut nach seinem Buch griff.

Lavellan gab keine Antwort und er war nicht überrascht, als er nur wenige Minuten später feststellte, dass sie eingeschlafen war.

So sehr Solas jedoch versuchte, sich wieder auf den Text zu konzentrieren, es wollte ihm nicht gelingen. Nachdem er einen Absatz viermal gelesen hatte, ohne dass auch nur ein einziges Wort hängengeblieben war, gab er es schließlich auf und legte das Buch beiseite.

Sein Blick fiel auf das Gesicht der schlafenden Frau in seinem Schoß.

Sie war noch so jung und wirkte jetzt, da sich ihre Züge im Schlaf etwas entspannt hatten, sogar noch jünger. Es schmerzte Solas zu wissen, dass er nicht stark genug war, um sie vor den Dingen zu schützen, die sie durchlitten hatte und die noch auf sie zukommen würden, doch er vertraute auf ihre Stärke und darauf, dass sie sich selbst zu helfen wissen würde, wenn die Situation es erforderte.

Lavellans Voraussicht und Weisheit bei den Entscheidungen, die sie bisher im Namen der Inquisition getroffen hatte, und die nicht so recht zu ihrer Jugend passen wollten, hatten ihn in den letzten Monaten oft beeindruckt. Er selbst hatte Jahrhunderte Zeit gehabt, um seine Rolle im elfischen Pantheon zu definieren; sie hingegen hatte sich innerhalb von wenigen Wochen mit einer Position abfinden müssen, die sie nie gewollt hatte, und von der das Schicksal einer ganzen Welt abhing. Und Lavellan hatte mit der Zeit nicht nur gelernt, diese enorme Verantwortung zu tragen, sondern mit ihrer Entschlossenheit und ihrer Bodenständigkeit auch sämtliche Skeptiker von sich überzeugen können.

Sie war stark auf eine Weise, wie er es niemals sein würde, und er bewunderte sie mehr, als er mit Worten ausdrücken konnte. So sehr er sich auch verschätzt hatte, als er Corypheus die Kugel überlassen hatte, so froh war er doch, dass die Dinge so gekommen waren, wie sie nun waren, und der Anker von allen Personen, die es hätte treffen können, ausgerechnet Lavellan gefunden hatte. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte Corypheus das Mal erhalten – und er betete, dass er es auch nie erfahren würde.

Sein Blick fiel einmal mehr auf Lavellan, die im Schlaf leise aufseufzte, und sanft strich Solas ihr eine Strähne hinter das Ohr.

Dass seine Gefühle für die junge Frau schon längst nicht mehr ausschließlich freundschaftlicher Natur waren, war ihm auf dem Rückweg zur Himmelsfeste bewusst geworden, und etwas sagte ihm, dass Lavellan ähnlich für ihn empfand. Die Versuchung, seinen Gefühlen nachzugeben und sich nach den Jahrtausenden der Einsamkeit wenigstens diese eine gute, unverdorbene Sache in seinem Leben zu gönnen, wurde von Tag zu Tag größer, und Solas fand immer weniger Gründe dafür, ihr zu widerstehen.

Doch ein Einwand blieb dabei immer bestehen, und das war die Tatsache, dass diese Sache keine Zukunft hatte und enden würde, sobald Lavellan erst einmal erfuhr, wer er wirklich war und was er vorhatte.

Denn so groß ihr Respekt und ihre Zuneigung auch sein mochten, dies war etwas, was sie ihm niemals würde verzeihen können. Was er sich selbst niemals würde verzeihen können, auch wenn er nach wie vor fest entschlossen war, es zu tun, und wusste, dass es nötig war, wollte er seinem Volk eine neue Zukunft geben.

Die Tür öffnete sich und Solas blickte auf.

„Entschuldigt die Störung, Solas, aber habt Ihr–? ... oh.“

Josephine verstummte, als sie die schlafende Inquisitorin erblickte. Sie zögerte kurz, dann schloss sie die Tür hinter sich und trat an das Sofa heran.

„Wäre es sehr herzlos von mir, sie jetzt zu wecken...?“, fragte sie seufzend und schenkte Lavellan einen bedauernden Blick.

„Ihr tut nur, was Ihr für richtig haltet“, entgegnete Solas diplomatisch.

„Das macht es leider nicht viel besser“, meinte Josephine mit schwachem Lächeln.

„Lavellan weiß, was auf dem Spiel steht“, sagte Solas besänftigend. „Macht Euch keine Vorwürfe, Josephine. Sie wird es verstehen.“

Dann legte er eine Hand auf Lavellans Schulter und rüttelte sie sacht.

„Wacht auf, lethallan“, sagte er leise. „Eure Anwesenheit ist gefragt.“

Es dauerte eine Weile, bis Lavellan die Augen öffnete und wieder zu sich kam, doch schließlich fokussierte sich ihr Blick und sie sah ihn an. Das verschlafene Lächeln, das sie ihm dabei schenkte, wärmte sein Herz und ließ ihn wünschen, er wäre in diesem Moment mit ihr allein und müsste diesen Augenblick mit niemandem teilen.

„Ist es schon so weit?“, fragte sie und stemmte sich gähnend hoch.

„Es tut mir leid“, sagte Josephine und strich den leicht zerknitterten Stoff von Lavellans Uniform glatt. „Eine Stunde, dann seid Ihr erlöst. Begrüßt die wichtigsten Abgesandten und schüttelt ein paar Hände, das wird sie zufriedenstellen. Sobald alle das erste Glas Wein getrunken haben, wird niemand mehr etwas dagegen einzuwenden haben, dass Ihr Euch zurückzieht.“

„Nun dann“, meinte Lavellan seufzend und zupfte mit den Fingern ihr Haar zurecht. „Packen wir es an.“

Einem plötzlichen Impuls folgend stand Solas ebenfalls auf und trat an ihre Seite.

„Würdet Ihr mir erlauben, Euch zu begleiten...?“

Mach ihr keine Hoffnungen, flüsterte sein Gewissen, doch Solas ignorierte es wie so oft zuvor, eine Entscheidung, die er nicht bereute, als er Lavellans strahlendes Lächeln sah.

„Es wäre mir eine Ehre“, erwiderte sie, und gemeinsam folgten sie Josephine in die große Halle.

 

„... und Cassandras Gesichtsausdruck!“ Lavellan schüttelt sich vor Lachen. „Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals wieder vergessen werde.“

„Das gleiche kann man vermutlich auch von Varric sagen“, entgegnete Solas amüsiert. „In seinen Augen spiegelte sich für einen Moment die pure Angst.“

Lavellan war am Ende doch länger geblieben, als es ursprünglich ihr Plan gewesen war. Solas‘ Nähe hatte ihr mehr Sicherheit gegeben und sie zwangloser im Umgang mit den Adeligen gemacht. Als später am Abend etwas Musik gespielt wurde, hatte sie sogar mit einem Chevalier aus Velun getanzt, auch wenn ihre Augen dabei immer wieder zu Solas hinübergewandert waren... und auch er sich gewünscht hatte, sie in diesem Moment in seinen Armen halten zu können.

Doch der Höhepunkt des Gelages war der Auftritt von Hawke gewesen.

Varric hatte schon vor einer Weile angedeutet, dass er zur Unterstützung im Kampf gegen Corypheus eine „alte Bekannte“ kontaktiert hatte, doch niemand hatte damit gerechnet, dass der Champion von Kirkwall persönlich der Himmelsfeste einen Besuch abstatten würde.

Nachdem Cassandra wie zur Salzsäule erstarrt war und dann Varric einen Blick zugeworfen hatte, der so voller Gift gewesen war, dass er einen ausgewachsenen Bären hätte töten können, hatte sie sich auf dem Absatz umgedreht und war gegangen.

Varrics Angst vor Cassandras Rache hatte jedoch nicht lange angehalten, als Hawke auf ihn zugetreten war und ihn in eine feste Umarmung gezogen hatte, bevor sie sein Gesicht in die Hände genommen und ihnen vor allen Augen geküsst hatte. Ein Raunen war durch die Halle gegangen, doch Varric hatte nur gelacht und die dunkelhaarige Frau an sich gezogen. Wenig später hatten die beiden die Halle verlassen, und sofort hatten sich die anwesenden Adligen in endlosen Spekulationen verloren. Lavellan hatten sie dabei keine weitere Aufmerksamkeit mehr geschenkt, worüber die junge Frau sichtlich froh gewesen war, und sie und Solas hatten die Gelegenheit genutzt, sich ebenfalls zurückzuziehen.

„Hawke und Varric...“, sagte Lavellan nun und schüttelte den Kopf. „Wer hätte das jemals gedacht?“

„So, wie Varric bisher immer von seiner Seelenpartnerin gesprochen hat, wäre ich nie darauf gekommen, dass es sich dabei um sie handeln würde“, stimmte Solas ihr zu.

Lavellan lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung des Balkons und lächelte. Der Wein hatte ihren Wangen Farbe verliehen und der Wind spielte mit ihrem langen, roten Haar. Sie war atemberaubend schön.

„Vielleicht ist sie gar nicht seine Seelengefährtin“, sagte sie leise. „Vielleicht haben sie dem Band widerstehen können und sich von allein gefunden. Eine Liebe, die jedes Schicksal besiegt.“

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und senkte den Blick.

„Danke, dass Ihr mich an diesem Abend begleitet habt. Es war sehr schön.“

Eine seltsame Stimmung lag plötzlich in der Luft und Solas wusste mit einem Mal mit absoluter Sicherheit, dass alles, was in Zukunft zwischen ihnen passieren würde, von diesem einen Moment abhing.

Die Frage war nur: würde er seinem Egoismus nachgeben oder würde er das einzig Vernünftige tun, nämlich Lavellan zurückzuweisen und zu gehen...?

Doch obwohl es nur eine einzige, akzeptable Antwort darauf gab, stand er wie angewurzelt da.

„Solas, ich...“

Lavellan stieß sich von der Brüstung ab und trat langsam näher.

Er sah sie nicht an. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre, ma lath.“

Sie legte sacht eine Hand auf seinen Arm.

„Wenn es nicht das ist, was Ihr wollt, dann werde ich Euch keinen Vorwurf machen, wenn Ihr geht“, sagte sie leise.

Aber es ist das, was ich will, dachte er, und er erkannte, dass es die Wahrheit war.

Und obwohl er wusste, dass es närrisch war und dass es früher oder später im Desaster enden würde, legte er die Hand an ihr Kinn und hob es sanft an.

„Ihr macht Euch keine Vorstellung davon, wie sehr ich das hier will“, flüsterte er und sah in ihre grünen Augen, die die gleiche Hoffnung, die gleiche Unsicherheit und die gleiche tiefe Zuneigung widerspiegelten, die auch er in diesem Moment empfand.

Dann beugte er sich vor und küsste sie.

 

Es mochte egoistisch sein, doch wenigstens für eine Weile wollte er diese eine gute Sache in seinem Leben haben.

Cullen

Nachdem sich die Inquisitorin zurückgezogen hatte, wurde es nach und nach ruhiger in der großen Halle, als sich viele der Anwesenden ebenfalls auf ihre Zimmer begaben oder beschlossen, die Feierlichkeiten in der Taverne fortzusetzen.

Nur eine Handvoll kleinerer Gesprächsgruppen blieb zurück und nachdem Cullen eine letzte Runde gemacht und den Adligen noch einmal formal eine gute Nacht gewünscht hatte, verließ auch er die Halle.

Zum Schlafen war es jedoch noch zu früh, und Cullen konnte auch nicht behaupten, dass er einer weiteren Nacht voller Alpträume entgegenfieberte. Er schlug darum nach kurzer Überlegung – und den ermutigenden Worten von Cassandra – den Weg zur Taverne ein.

Warme, stickige Luft schlug ihm entgegen, als er die Tür zum Schankraum öffnete.

Auf beiden Etagen des Raumes war nahezu jeder Platz besetzt, und über den Lärm der Gespräche und der Musik hinweg konnte er kaum sein eigenes Wort verstehen. Cassandra griff jedoch nach seinem Ellenbogen, bevor er es sich anders überlegen konnte, und führte ihn entschlossen zu einem freien Platz am Ende einer langen Tafel, an der auch schon Blackwall und Sera saßen. Dann ließ sie ihn zurück, um am Tresen etwas zu trinken zu holen.

„Kommandant Cullen! Seid Ihr etwa von Eurem goldenem Turm herabgestiegen, um uns niederem Fußvolk Gesellschaft zu leisten?“, fragte Blackwall, der schon leicht angetrunken war, und lachte auf.

Cullen schenkte ihm ein kurzes Lächeln und ließ den Blick dann durch den Raum schweifen.

Er entdeckte unter den Anwesenden viele bekannte Gesichter, und nur wenige Tische entfernt sah er auch den Eisernen Bullen mit seiner Söldnertruppe, deren Mitglieder sich ebenfalls schon in verschiedenen Stadien der Trunkenheit befanden. Bei ihnen saß auch Dorian, der ihren abenteuerlichen Erzählungen lauschte und hin und wieder einen Schluck von seinem Bier nahm, wobei er kurz das Gesicht verzog und mit einem Seufzen in seinen Krug starrte.

Cullen musste bei dem Anblick lächeln. Dorian bot das Bild eines Mannes, der Besseres gewohnt war, als lauwarmes, fereldisches Bier.

Als hätte der andere seine Gedanken gehört, hob er plötzlich den Blick und sah in seine Richtung. Sofort sah Cullen wieder weg, doch er fühlte sich ertappt und spürte, wie seine Wangen warm wurden. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dorian kurz etwas zum Eisernen Bullen sagte, dann erhob sich der Tevinteraner von seinem Sitz und durchquerte den Raum, um Cullen Gesellschaft zu leisten.

„Amüsiert Euch etwa mein Leiden?“, meinte Dorian mit gespielter Betroffenheit, als er Cullen gegenüber Platz nahm.

„Ich habe kein Ahnung, wovon Ihr sprecht“, entgegnete Cullen, der beschloss, auf das Spiel einzugehen.

„Dem Bier, mein guter Mann. Ich spreche von dem hiesigen Bier“, erklärte Dorian, als wäre Cullen nicht bewusst gewesen, worauf sich seine Bemerkung bezogen hatte. „Es ist nahezu ungenießbar.“

„Ah“, machte der andere, als würde er erst jetzt verstehen, und nickte ernst. „Dabei ist Fereldisches Bier für seine hohe Qualität bekannt.“

„Wenn die einzige Voraussetzung ist, dass es nicht nach Pferdepisse schmeckt, dann kann man wohl von Qualität sprechen, ja“, konterte Dorian. „Aber ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es wenigstens dieses Kriterium immer erfüllt...“

„Höre ich da eine implizite Beleidigung des fereldischen Nationalgetränks?“, fragte Cullen.

„Oh nein“, erwiderte Dorian, „sie war sogar ganz explizit. Ich befürchte, ich bin nicht mehr nüchtern genug für subtilere Beleidigungen.“

Cullen lachte auf.

„Ich sollte Euch zu einem Duell herausfordern“, sagte er. „Um die Ehre meines heimischen Bieres zu verteidigen.“

„Wenn es Euch nichts ausmacht, vor den Augen aller Anwesenden eine Niederlage einzustecken, dann nur zu.“

In Dorians grauen Augen lag ein Funkeln.

„Wenn er beim Duell ebenso schummelt, wie bei Kartenspiel, dann ist es das nicht wert, Cullen“, meinte in diesem Augenblick Cassandra, die mit einem großen Bierkrug in der Hand zum Tisch zurückkehrte.

Dorian machte Anstalten aufzustehen, um ihr seinen Platz zu überlassen, doch sie winkte nur ab und setzte sich neben Cullen auf die Bank, nachdem sie alle ein wenig mehr zusammengerückt waren.

„Eure Worte treffen mich schwer, Lady Cassandra“, sagte Dorian und legte sich theatralisch eine Hand auf die Brust. „Wie könnt Ihr nur glauben, ich wäre zu einer solch schändlichen Tat fähig?“

Cassandra hob eine Augenbraue.

„Ich habe Euch oft genug spielen sehen“, entgegnete sie ungerührt.

„Ich sehe, Eurem scharfen Auge entgeht nichts“, seufzte Dorian und hob die Hände. „Ich bekenne mich schuldig.“

„Ah-ha!“, rief Sera triumphierend. „Wusste ich es doch!“

Für einen Moment herrschte Stille, als alle außer Cullen aus ihren Krügen tranken.

„Was ist mit Euch, Kommandant?“ fragte Dorian und warf ihm einen Blick zu, nachdem er seinen Krug wieder abgesetzt hatte. „Für jemanden, der das Bier seines Landes so vehement verteidigt, seid Ihr erstaunlich zurückhaltend, wenn es ums Trinken geht.“

Dann senkte er die Stimme zu einem verschwörerischen Raunen. „Oder habt Ihr etwa einen Eid der Enthaltsamkeit geleistet?“

Cullen schüttelte lachend den Kopf.

„Ich... vertrage Alkohol leider nicht sehr gut“, sagte er und rieb sich den Nacken. „Als junger Mann habe ich öfters getrunken, aber in den letzten Jahren...“

Er zuckte mit den Schultern.

Der Alkohol machte die Kopfschmerzen, die der Lyriumentzug verursachte, um ein Vielfaches schlimmer, aber das würde er Dorian nicht sagen.

Der Magier stützte das Kinn in die Hand und musterte ihn.

„Ich weiß nicht, ob ich Euch dafür bedauern soll, dass Ihr nie in den Genuss von wirklich vorzüglichem Wein kommen werdet“, meinte er, „oder ob ich mich darüber freuen soll, dass Ihr keinen Eid der Enthaltsamkeit geschworen habt...“

Er warf ihm bei diesen Worten einen lasziven Blick zu, der Cullens Herz schneller schlagen und den Namen auf seinem Handgelenk warm pulsieren ließ.

Bei Andraste, flirtet der Mann etwa mit mir?

„Oh bitte!“, rief Sera und verdrehte die Augen. „Nehmt Euch doch einfach ein Zimmer und lasst den Rest von uns in Ruhe trinken, ja?“

Dorian begann zu lachen, während Cullen sich in diesem Moment wünschte, der Boden würde sich auftun und ihn verschlucken.

„Verzeiht mir, Cullen“, sagte der Magier, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. „Ich konnte nicht widerstehen. Ihr errötet immer so wundervoll, wenn Ihr verlegen seid.“

Cullen versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen – natürlich war die ganze Sache für Dorian nichts weiter als ein harmloser Scherz, was hatte er auch erwartet – und entgegnete stattdessen mit einem Mut, der ihn selbst überraschte:

„Und ich hatte schon gehofft, Ihr würdet mir Eure Pläne genauer erläutern.“

Er sah ihn nicht an, doch er spürte Dorians überraschten Blick auf sich, und selbst Cassandra runzelte fragend die Stirn.

Doch der Tevinteraner fing sich sofort wieder.

„Seid Ihr sicher, dass Ihr nichts getrunken habt?“, fragte er mit einem Grinsen.

Cullen hob den Blick und sah in die sturmgrauen Augen seines Gegenübers.

„Absolut“, sagte er leise.

Dorians Augen weiteten sich und sein Mund formte ein stummes „oh“.

Doch bevor er etwas erwidern konnte, landete eine schwere Hand auf seiner Schulter.

„Serah Pavus“, dröhnte neben ihnen die Stimme des Eisernen Bullen, und Dorian sah zu ihm auf. „Ihr hattet meinen Jungs eine weitere Runde versprochen, wenn ich mich recht erinnere. Und ein paar Eurer skandalösesten Geschichten aus Tevinter.“

Für einen Moment sah Cullen fast etwas wie Bedauern in den Augen des Magiers, doch dann nickte Dorian und erhob sich.

„Ihr habt den Mann gehört“, sagte er und griff nach seinem Krug. „Die Pflicht ruft.“

Und damit kehrte er an der Seite des Qunari zu dessen Tisch zurück, nicht ohne Cullen zuvor jedoch noch einen kurzen Blick zuzuwerfen.

Als sie weg waren, atmete Cullen auf, und ihm wurde plötzlich bewusst, unter wie viel Anspannung er gestanden hatte.

„Was hatte das gerade zu bedeuten?“, frage Cassandra, die sich in der Zwischenzeit auf Dorians Platz gesetzt hatte, und auch Blackwall warf ihm einen fragenden Blick zu. Nur Sera schien nicht weiter an den Geschehnissen interessiert zu sein und begann mit einer jungen Rekrutin zu flirten, die am benachbarten Tisch saß.

Doch wenn Cullen eines konnte, dann sich selbst verleugnen. Darin hatte er jahrelange Übung.

Und so zuckte er nur mit den Schultern und entgegnete:

„Ich habe nur versucht, ihn zur Abwechslung mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und es scheint funktioniert zu haben, wenn man Sprachlosigkeit als Erfolg werten kann.“

Blackwall gab ein lautes Lachen von sich.

„Ihr steckt voller Überraschungen“, rief er aus und prostete Cullen zu.

Cassandra sah weniger überzeugt aus, doch sie fragte nicht weiter nach und Cullen war ihr insgeheim dankbar dafür.

In den nächsten Stunden entwickelte sich eine entspannte Unterhaltung zwischen ihm und Blackwall über den derzeitigen Zustand ihrer Truppen, zu der auch Cassandra hin und wieder eine knappe Bemerkung beitrug. Sie wirkte an diesem Abend abwesender, als er es von ihr kannte, und Cullen fragte sich, ob dies mit Hawkes Ankunft zu tun hatte.

Niemand hatte damit gerechnet, dass der Champion von Kirkwall ihnen bei diesem Kampf zur Seite stehen würde – niemand, bis auf Varric. Und jetzt, da die ganze Himmelsfeste wusste, dass sie seine Partnerin war, überraschte es Cullen nicht länger, dass der Zwerg sich geweigert hatte, Hawkes Aufenthaltsort preiszugeben.

Ob es das war, was Cassandra beschäftigte? Der Gedanke daran, dass sie Varric tagelang gefangen gehalten und verhört hatte, damit er ihr die Person auslieferte, die er am meisten liebte? Cassandra war tief im Herzen eine Romantikerin, ihr musste dieser Gedanke schwer zu schaffen machen.

Cullen überlegte gerade, ob er sie darauf ansprechen sollte, als plötzlich Pfiffe und lauter Jubel durch den Schankraum schallten.

Sie stammten von den Söldnern des Eisernen Bullen und galten ihrem Anführer, der sich gerade auf den Weg zu seinem Zimmer machte, begleitet von einem lachenden und ganz offensichtlich noch immer sehr angetrunkenen Dorian. Es bestand kein Zweifel daran, was sie vorhatten.

Cullen spürte, wie ein Muskel in seinem Kiefer zu zucken begann, und er musste sich mit aller Macht dazu zwingen, den Blick abzuwenden, und nicht aufzustehen und sich den beiden in den Weg zu stellen.

Es stand ihm nicht zu, Dorians Entscheidungen zu kritisieren, nur weil der andere sein Partner war. Es war Dorians gutes Recht, zu tun, was er wollte, und mit wem er es wollte, und solange er weder sich selbst noch einem anderen damit Schaden zufügte, musste Cullen seine Entscheidungen respektieren.

Doch das bedeutete nicht, dass es nicht verdammt wehtat, seinen Seelenpartner mit einem anderen gehen zu sehen und zu wissen, dass er ihn nie auf diese Weise haben würde.

Seine Gefühle mussten sich deutlich auf seinem Gesicht gespiegelt haben, denn als Cullen wieder den Kopf hob, sah er plötzliches Verstehen in Cassandras Blick. Ein Ausdruck, den er nicht lange ertragen konnte.

„Entschuldigt mich bitte“, sagte er mir rauer Stimme und stand auf.

„Wo wollt Ihr hin?“, fragte Blackwall überrascht, der gerade die Vor- und Nachteile beim Gebrauch von stumpfen Waffen für das Training der Rekruten erläutert hatte.

„Verzeiht“, entgegnete Cullen kurz angebunden. „Ich bin sehr erschöpft und würde mich gerne zurückziehen. Lasst uns unsere Unterhaltung ein anderes Mal fortführen.“

Blackwall sah aus, als wollte er etwas erwidern, doch dann nickte er nur und wünschte ihm eine gute Nacht.

Cullen schenkte ihm ein dankbares Lächeln und nickte dann Cassandra kurz zu, bevor er zur Tür ging und die Taverne verließ.

Draußen sog er tief die kalte Nachtluft ein und wartete einen Moment, bis er innerlich wieder etwas zur Ruhe gekommen war, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Er war noch nicht weit gekommen, als er rasche Schritte hinter sich vernahm und Cassandras Stimme hörte.

„Cullen, warte!“, rief sie, und widerwillig blieb Cullen stehen und wartete, bis sie ihn eingeholt hatte.

Schließlich begann sie zu sprechen – leise, und nicht ohne sich zuvor noch einmal umgesehen zu haben:

„Möglicherweise habe ich zu viel in dein Verhalten hineininterpretiert, aber die Art und Weise, wie du auf Dorian reagiert hast... Bedeutet es das, was ich denke?“

Er mied ihren Blick.

„Und wenn es so wäre?“, fragte er leise. „Oder bin ich dazu verpflichtet, dir auch diese Dinge mitzuteilen?“

Die Bemerkung war unfair, und er wusste es, aber die Worte waren ihm herausgerutscht, bevor er es verhindern konnte.

Doch Cassandra nahm sie ihm nicht übel, sondern stieß nur ein Seufzen aus.

„Natürlich nicht“, entgegnete sie. „Ich wünschte zwar, du hättest es mir schon früher gesagt–“

„Aber?“, fragte Cullen scharf.

„... aber es ist offensichtlich, dass du schon genug unter der ganzen Situation zu leiden hast“, sprach sie und sah ihn an.

Das Mitgefühl in ihrer Stimme nahm ihm den Wind aus den Segeln, und Cullens Schultern sackten herab.

Wie hatte er jemals an ihr zweifeln können? Cassandra war seine älteste und beste Freundin, und sie würde seine Geheimnisse eher mit ins Grab nehmen, als sie irgendwem zu verraten.

„Cassandra, ich...“ Er schluckte. „Es tut mir leid.“

Sie nahm seine Hand und schenkte ihm ein kleines Lächeln.

„Es gibt nichts zu verzeihen“, erwiderte sie, „und wir sind beide sehr müde.“

Dann hob sie den Blick und sah zu seinem Turm hinüber.

„Soll ich dich begleiten oder...?“ Sie führte den Satz nicht zu Ende.

Er schüttelte den Kopf.

„Das wird nicht nötig sein“, entgegnete er leise. „Aber danke.“

Sie nickte kurz. „Gut.“

Dann drückte sie seine Hand ein letztes Mal, bevor sie sie wieder losließ.

„Schlaf gut, Cullen“, sagte sie, dann drehte sie sich um und nur wenig später hatte sie die Dunkelheit verschluckt.

Cullen sah ihr noch einen Moment nach, dann wandte er sich ab und setzte seinen Weg fort.

 

Er hatte gerade die Uniform abgelegt, die Josephine für ihn für offizielle Anlässe hatte anfertigen lassen, und wollte sich bettfertig machen, als jemand draußen an die Tür klopfte, die zur großen Halle führte.

Cullen fragte sich, wer ihm zu dieser späten Stunde noch einen Besuch abstattete, doch da immer die Möglichkeit bestand, dass es sich um eine dringende Angelegenheit handelte, stieg er, nur mit einem Hemd und dünnen Hosen bekleidet, die Leiter hinunter und öffnete die Tür.

„... Dorian“, sagte er und blinzelte.

Das Haar des anderen war völlig zerzaust, und er trug am Hals ein rotes Mal, an dessen Herkunft kein Zweifel bestand. Doch er wirkte nicht mehr selbstbewusst, so wie noch wenige Stunden zuvor, sondern hatte die Arme beschützend um seinen Oberkörper geschlungen, und in seinen Augen sah Cullen Angst aufflackern. Was auch immer ihn hierher geführt hatte, es musste ihn zutiefst erschüttert haben.

„Ich wünschte, ich könnte Euch diese Frage in einem anderen Kontext stellen“, sagte Dorian und Cullen hörte das Zittern in seiner Stimme, „aber könnte ich die Nacht vielleicht hier verbringen...?“

Dorian

Er hatte die Stärke fereldischen Bieres definitiv unterschätzt, stellte Dorian fest, als er aufstand, um den Eisernen Bullen zu begleiten. Für einen Moment drehte sich alles vor seinen Augen, doch der kurze Schwindelanfall war zum Glück schnell wieder vorüber, und kühn griff er nach der Hand des Qunari, die so viel größer war, als die seine, und eine ganze Reihe interessanter Möglichkeiten versprach, und zog ihn ungeduldig die Stufen hoch.

Den ganzen Abend lang hatte der andere schamlos mit ihm geflirtet, bis Dorian es nicht mehr ausgehalten hatte und ihm den Vorschlag unterbreitet hatte, ihre „Unterhaltung“ woanders fortzuführen – ein Angebot, das der Eiserne Bulle nur zu gerne angenommen hatte.

„Nicht so ungeduldig!“, rief der Qunari und lachte, doch er folgte ihm nur zu bereitwillig, und sobald sie den Schankraum hinter sich gelassen hatten und nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen, entspannte sich Dorian auch wieder etwas. Er hasste es, die Öffentlichkeit an seinen privaten Angelegenheiten teilhaben zu lassen, auch wenn er wusste, dass man im Süden wesentlich offener mit diesen Dingen umging, als in Tevinter. Doch er hatte sein ganzes Leben lang vorsichtig mit den Zuneigungen sein müssen, die er zeigte, und es war schwer, ein solches Verhalten wieder abzulegen.

Als sie schließlich das Zimmer des Qunari erreicht hatten, wartete er darum geduldig, bis der andere seinen Schlüssel aus der Hosentasche gefischt und die Tür geöffnet hatte. Kaum hatte sie sich jedoch hinter ihnen wieder geschlossen, legte Dorian die Hände auf die breite Brust des anderen und schob ihn gegen die Wand.

Der Eiserne Bulle gab ein heiseres Lachen von sich und legte seinerseits seine muskulösen Arme um Dorians Taille.

„Ich sehe, es steckt Feuer in Euch, Serah!“, sagte er. „Und ich hatte schon befürchtet, Euer Gerede wäre nichts als heiße Luft.“

Dorians Augen funkelten.

„Ich zeige Euch heiße Luft...!“, erwiderte er und erwärmte mit Magie seine Hände, bevor er mit glühenden Fingerspitzen über die narbenbedeckte Brust des anderen fuhr. „Passt besser auf, dass Ihr Euch nicht verbrennt!“

Der Qunari stieß ein Grollen aus, dann senkte er den Kopf und biss in Dorians Hals. Nicht sehr tief – seine Fänge waren scharf genug, dass er vorsichtig sein musste, ihn nicht zu verletzen – aber kraftvoll genug, dass Dorian es deutlich spüren konnte. Mit einem Stöhnen legte er den Kopf in den Nacken, um dem anderen besseren Zugang zu gewähren, und für ein paar Minuten biss, küsste und leckte der Eiserne Bulle die Stelle an seinem Hals, bis schließlich ein purpurrotes Mal dort prangte, das Tage brauchen würde, bis es wieder verschwand.

Zufrieden mit seinem Werk ließ der Qunari wieder von Dorian ab und strich ihm das Haar aus der Stirn, wobei eine Zuneigung in seinem Blick lag, die den anderen überraschte.

„Wisst Ihr eigentlich, wie atemberaubend Ihr seid...?“, fragte er leise.

Dorian hielt inne und starrte ihn an. Er war Komplimente in einer Situation wie dieser nicht gewohnt – oder gar, dass überhaupt jemand versuchte, in einem solchen Moment ein Gespräch mit ihm zu führen, in dem es nicht unmittelbar nur um den Sex ging.

Doch er fing sich sofort wieder und überspielte seine Verlegenheit mit einem kurzen Lachen.

Natürlich bin ich atemberaubend“, entgegnete er, „ich bin schließl– mmh!“

Weiter kam er nicht, denn der Eiserne Bulle wählte genau diesen Moment, um ihn mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen.

Nach der leidenschaftlichen Attacke auf seinen Hals überraschte Dorian die plötzliche Sanftheit des anderen, und er seufzte auf, als die Zunge des Qunari in seine Mundhöhle vordrang. Sie war länger und rauer, als die eines normalen Menschen, und rieb auf eine Weise gegen die seine, die Dorian vor Wonne die Augen schließen ließ. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich vorstellte, was der andere damit noch alles anzustellen vermochte.

Der Kuss schien eine Ewigkeit zu dauern, und als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, waren Dorians Knie weich geworden und seine Wangen fühlten sich sehr warm an.

Der Eiserne Bulle legte eine Hand an sein Gesicht und musterte ihn. Dorian war noch immer schwindelig vom Alkohol, und es dauerte einen Moment, bis er den Blick auf das gesunde Auge des Qunari fokussiert hatte.

„Wenn Ihr genauso liebt, wie Ihr küsst, dann wird dies ein Abend, an den ich mich noch lange erinnern werde“, murmelte er mit einem Lächeln.

„Dorian“, sprach der andere, und... war das etwa Sorge in seinem Blick?

Oh, bei Andraste! Plötzliche Zweifel konnte Dorian im Moment nicht gebrauchen, dafür hatte der Abend zu vielversprechend angefangen.

„Was auch immer Ihr zu sagen habt, spart es Euch für später auf“, sagte er trotzig und wollte den anderen erneut küssen, doch der Qunari hielt ihn im letzten Augenblick zurück.

„Dorian“, wiederholte er, und dieses Mal lag Resignation in seiner Stimme.

Verärgert ließ Dorian von ihm ab und trat einen Schritt zurück.

Was?“, fragte er scharf.

Der Eiserne Bulle legte sanft die Hände auf seine Schultern.

„Wie viel habt Ihr getrunken?“, fragte er. Es war keine Wertung in seiner Stimme, er schien lediglich an einer ehrlichen Antwort interessiert.

Dorian runzelte die Stirn.

„Genug, um das hier morgen früh nicht allzu sehr zu bereuen“, entgegnete er. „Wobei ich aber vermutlich noch sehr viel mehr trinken muss, wenn Ihr nicht langsam aufhört, mir Fragen zu stellen, und mich endlich wieder küsst!“

Der Qunari musterte ihn ruhig.

„Nein“, sagte er dann.

Wie bitte?“ Dorian starrte den anderen  ungläubig an. So etwas war ihm noch nie zuvor passiert.

„Was um alles in der Welt ist auf einmal Euer Problem?!“, verlangte er zu wissen.

„Ich mag Euch, Dorian“, sagte der Eiserne Bulle und strich sanft mit den Fingerkuppen über Dorians Hals und Schulter. „Doch ich bevorzuge meine Partner in einem Zustand der Willigkeit, den sie erreicht haben, ohne sich zuvor Mut antrinken zu müssen.“

Dorian lachte humorlos auf.

„Das kann nicht Euer Ernst sein!“, erwiderte er. „Ihr könnt mir nicht erzählen, dass bei Euren Liebschaften niemals Alkohol mit im Spiel gewesen ist!“

„Nicht beim ersten Mal, nein“, entgegnete der Qunari. „Es ist wichtig, dass ich Eure Grenzen im Bett kennenlerne, und das kann ich nicht, wenn Ihr zu betrunken seid, um sie einschätzen zu können. Ich würde mir nie verzeihen, wenn ich etwas tue, was Euch unangenehm ist.“

Er war noch immer viel zu ruhig und gefasst, und er sprach mit einer Geduld mit ihm, als hätte er es mit einem kleinen Kind zu tun. Es machte Dorian rasend.

„Na schön!“, schnaubte er schließlich und wandte sich ab. „Dann halt nicht!“

Dorian.“ Die Art und Weise, wie der andere seinen Namen aussprach, ließ ihn innehalten, und Dorian wurde plötzlich bewusst, dass der Eiserne Bulle ihn an diesem Abend zum ersten Mal mit seinem Namen angesprochen hatte.

„Ich lehne Euch nicht ab“, erklärte der Qunari. „Verdammt, Dorian, Ihr seid der attraktivste Mann, der mir seit langem begegnet ist, und ich wäre völlig verrückt, Euch zurückzuweisen.“

Dorian hörte, wie der andere einen Schritt nähertrat, und dann legte der Qunari plötzlich von hinten die Arme um ihn.

Neben der überwältigenden Wärme seines Körpers registrierte Dorians alkoholumnebelter Geist auch die beeindruckende Erektion des Mannes, die sich unter mehrere Lagen Stoff gegen seine Kehrseite presste.

„Ich träume davon, Euch zu haben, seitdem ich Euch das erste Mal sah“, raunte der Qunari in sein Ohr und ein wohliger Schauer lief über Dorians Nacken. „Glaubt mir, die Liste an Dingen, die ich mit Euch tun möchte, ist lang...“

Dann löste er sich langsam wieder von ihm, doch nicht, ohne zuvor noch einen Kuss auf Dorians Scheitel zu pressen.

„Kehrt in Euer Zimmer zurück, Dorian“, sagte er. „Schlaft Euch aus. Und wenn Ihr morgen Abend wiederkommt, werde ich Euch nicht länger zurückweisen. Das verspreche ich.“

Dorian schloss die Augen. Erleichterung darüber, dass er noch eine zweite Chance bekommen hatte, erfüllte ihn, doch er spürte auch Nervosität, Neugier und Unsicherheit. Für gewöhnlich hatte es seine Partner nie interessiert, was für ihn das Beste war, und der offene und rücksichtsvolle Umgang des Qunari mit diesen Dingen war für ihn völlig neu.

Dorian hatte immer gedacht, er wüsste alles über Sex. Doch in diesem Moment wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie wenig Erfahrung er eigentlich hatte.

Ergeben drehte er sich zu dem Qunari herum.

„... dieser Abend hätte wesentlich besser laufen können, oder?“, fragte er und lächelte schief.

Doch der andere schüttelte nur den Kopf.

„Mach Euch darüber keine Gedanken“, erwiderte er. „Wir mussten nur ein paar Missverständnisse aufklären. Nichts Weltbewegendes.“

„Ihr seid unerträglich optimistisch“, sagte Dorian und seufzte theatralisch auf.

Der Eiserne Bulle grinste. „Ich weiß.“

Dorian spürte, wie nach all der Aufregung langsam die Müdigkeit von ihm Besitz ergriff, und er unterdrückte ein Gähnen.

„Also... sehen wir uns morgen Abend?“, fragte er vorsichtig.

„Wenn Ihr es wünscht, ja“, entgegnete der Qunari leise.

„Gut“, sagte Dorian. „Das ist... gut.“

Und damit wünschte er dem anderen mit knappen Worten eine gute Nacht und verließ dann das Zimmer, in der Hoffnung, dass sein Rückzug nicht einer Flucht glich.

Er brauchte Zeit, um über die Ereignisse nachzudenken – doch im Moment brauchte er vor allem Schlaf.

 

Dorian irrte fast eine halbe Stunde durch die Festung, bis er endlich den Weg zur Halle und von dort zu seinem Zimmer gefunden hatte.

Er war so damit beschäftigt, seinen Schlüssel zu suchen, dass er das Wort auf seiner Tür nicht sofort sah. Erst als ihm ein unangenehm süßlicher Geruch in die Nase stieg, hob er den Blick.

„Maleficar“ stand mit roter Farbe... nein, Blut, an der Tür seines Zimmers geschrieben. Dorian starrte das Wort an, und es dauerte einen Moment, bis sein Gehirn registriert hatte, was dies bedeutete. Er hatte seit dem Vorfall auf dem Hof die Templer gemieden und war sich sicher gewesen, dass man ihm nicht länger Beachtung schenkte.

Er hatte sich geirrt.

In einiger Entfernung hallten plötzlich schwere Schritte durch den Gang. Dorian begann nun panisch nach seinem Schlüssel zu suchen, doch er konnte ihn nicht finden; er musste ihm im Zimmer des Eisernen Bullen aus der Tasche gerutscht sein. Die Schritte kamen schnell näher, und Dorian wurde plötzlich bewusst, dass er ohne seinen Stab, den er an diesem Abend in seinem Zimmer gelassen hatte, den Templern nicht viel entgegensetzen konnte. Alles, was ihm blieb, war seine Magie, und selbst die würde ihm nichts nützen, sollten die Templer ihn wieder–

Eine Woge der Übelkeit rollte über ihn hinweg, als seine Verbindung zum Nichts mit einem Mal gekappt wurde, und geschwächt sank er auf die Knie. Erneut war er Opfer einer magischen Säuberung geworden – und nun wusste er auch mit Sicherheit, dass es Templer waren, die sich näherten, und dass sie es auf ihn abgesehen hatten.

Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, als ihm plötzlich bewusst wurde, wie hilflos er war.

Die Schritte waren nun schon ganz nahe, und mühsam stemmte Dorian sich hoch.

Fliehen. Er musste fliehen. Er war nicht nüchtern genug, um in einem Kampf bestehen zu können, ob mit oder ohne Stab. Und ohne auch nur einen Funken Magie im Körper würde er nicht mal die einfachste Barriere beschwören können.

Nicht zum ersten Mal an diesem Abend verfluchte Dorian das fereldische Bier. Wäre ihm doch nur nicht so heiß und schwindelig; könnte er doch nur einen klaren Gedanken fassen...!

... doch solltet Ihr es Euch jemals anders überlegen, dann könnt Ihr Euch jederzeit an mich oder Kommandant Cullen wenden...

Plötzlich musste er wieder an Barris‘ Worte denken, und Dorian fiel vor Erleichterung ein Stein vom Herzen.

Vielleicht hatte er doch noch eine Chance.

Sein Zimmer war nicht weit von der Bibliothek entfernt, und wenn er es nur bis dorthin und anschließend zum Turm des Kommandanten schaffte...

Dorian setzte sich stolpernd in Bewegung.

 

Die Templer spielten ein ermüdendes Katz-und-Maus-Spiel mit ihm, und mehrmals entkam Dorian ihnen nur knapp. Es waren insgesamt vier Männer, die ihn verfolgten, und dieses Mal waren sie vorsichtiger und trugen Helme, damit Dorian ihre Gesichter nicht erkennen konnte.

Während er durch die stille, nächtliche Festung eilte, kehrte seine Magie langsam wieder zurück, worüber Dorian sehr froh war, auch wenn er wusste, dass sie nicht ausreichen würde, um die Templer zu konfrontieren. Als er schließlich die Rotunde erreichte, in der sich Solas tagsüber oft aufhielt, wäre er vor Erleichterung fast in Tränen ausgebrochen.

Die Schritte der Templer verlangsamten sich, als Dorian die Tür aufstieß, die auf die Brücke über den Hof hinausführte. Sie mochten ihn hassen, aber sie waren nicht verrückt genug, um den Zorn ihres Kommandanten heraufzubeschwören.

Die Tür von Cullens Turm war verschlossen und Dorian hämmerte verzweifelt mit der Faust gegen das Holz.

Bitte macht auf!, dachte er. Ich schwöre, wenn Ihr mir öffnet, werde ich für den Rest meines Lebens kein Bier mehr anrühren...!

Für einen nervenaufreibenden Augenblick lang passierte nichts, und Dorian befürchtete schon, dass er verloren war.

Dann hörte er plötzlich, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde...

... und die Tür öffnete sich.

Cullen

Das erste, was Cullen bemerkte, als er am nächsten Morgen erwachte, war die völlige Abwesenheit seiner Kopfschmerzen. Der stechende Schmerz hinter seiner Stirn war in den letzten Monaten zu einem solch konstanten Begleiter geworden, dass er vergessen hatte, wie es sich anfühlte, ohne ihn zu sein, und für einen Moment wagte er es nicht, die Augen zu öffnen, aus Angst, es könnte nur ein Traum sein.

Doch der Zustand absoluter Klarheit hielt auch nach mehreren Minuten noch immer an, und so hob er schließlich zögernd die Lider.

Und blickte in das schlafende Gesicht von Dorian.

Cullen hob den Kopf und starrte ihn überrascht an. Für einen langen Moment fragte er sich, wie um alles in der Welt der andere Mann in seinem Bett gelandet war. Erst als nach und nach die Erinnerungen an die Ereignisse des letzten Abends in sein Gedächtnis zurückkehrten, die ihn zu ihm geführt hatten, ließ er seinen Kopf schließlich wieder mit einem Seufzen auf das Kissen sinken.

Dorian lag auf dem Rücken und schnarchte leise aus offenem Mund. Er trug die gleichen Roben wie schon am Vorabend. Seine Züge hatten sich im Schlaf entspannt und Cullen erkannte, dass er nicht sehr viel älter sein konnte, als er selbst. Das dunkle Haar war noch zerzauster, als am Abend zuvor, und auch die Enden seines Schnurrbarts standen in einem Winkel ab, der in Cullen den Wunsch weckte, die Hand auszustrecken, um sie glattzustreichen.

Es war das erste Mal, dass er Dorian so ungeschützt und offen sah, und sein Herz zog sich bei seinem Anblick zusammen. Dieser Moment war alles, was er sich je erträumt hatte, seitdem er das erste Mal den Namen auf seinem Handgelenk gelesen hatte, und das machte das Wissen umso bitterer, dass dieser Augenblick nur von kurzer Dauer sein würde.

Doch noch war Dorian hier, bei ihm, und Cullen überkam ein Gefühl von Richtigkeit, so als würde in seinem Inneren das letzte, fehlende Stück eines Puzzles einrasten.

Und plötzlich wusste er mit absoluter Sicherheit, dass er jetzt, wo er es kennengelernt hatte, sein Leben lang nach diesem Gefühl streben würde...

 

Cullen drehte sich zu seinem Besucher herum, kaum dass er die Tür hinter ihm geschlossen und erneut den Riegel vorgeschoben hatte.

„Was ist passiert?“, fragte er und zog besorgt die Augenbrauen zusammen, während er zusah, wie Dorian unruhig im Zimmer auf- und ablief. „Hat Euch jemand verletzt?“

Sein Blick fiel auf das rote Mal an Dorians Hals und plötzlich überkam ihn ein ungutes Gefühl.

„War es der Qunari?“

Dorian blieb stehen und starrte Cullen verständnislos an.

„... wie bitte?“

Cullen räusperte sich.

„Ich habe gesehen, wie Ihr mit ihm die Taverne verlassen habt. Hat er versucht, Euch...“ Er suchte für einen Moment nach den richtigen Worten. „... seinen Willen aufzuzwingen?“

Der andere schien endlich zu begreifen und stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus, bevor er den Kopf schüttelte.

„Was für ein absurder Gedanke“, entgegnete er. „Gerade von Euch hätte ich erwartet, dass Ihr eine höhere Meinung von ihm habt... Aber es sollte mich wohl nicht überraschen.“

Cullen zuckte unmerklich zusammen; die Worte trafen ihn schwerer, als er zugegeben hätte.

„Ich verdächtige ihn nicht“, stellte er klar. „Ich muss nur die Möglichkeit ausschließen können.“

Das schien auch Dorian schließlich einzuleuchten und seine Wut verflüchtigte sich so schnell, wie sie gekommen war.

„Er war es nicht“, entgegnete er und seufzte. „Hätte er es versucht, hätte er sich mehr als nur die Finger verbrannt.“

Cullen nickte.

„Was hat Euch dann so eine Angst eingejagt?“, fragte er leise.

Doch Dorian senkte nur den Blick und schwieg.

 

Cullens Blick fiel auf das Armband an Dorians Handgelenk. Es war aus dunklem Leder, in das mit goldener Farbe das erstaunlich realistische Abbild einer Schlange eingraviert war, die sich um Dorians Handgelenk zu winden schien. Winzige Smaragde funkelten als Augen der Schlange in ihren Fassungen, und Cullen zweifelte nicht daran, dass das Armband ein halbes Vermögen gekostet haben musste.

Und doch wünschte er sich in diesem Moment nichts mehr, als es zu durchtrennen, um den Namen auf der Haut darunter zu lesen.

Nichts quälte ihn mehr als das Nichtwissen. Selbst wenn sich am Ende sein Verdacht bestätigen sollte und ein anderer Name als der seine dort stand – alles war besser, als dieser anhaltende Zweifel...

 

Plötzlich schämte sich Cullen für sein Verhalten.

Der andere Mann war ganz offensichtlich zutiefst verstört und hatte ihn aufgesucht, um Hilfe von ihm zu erbitten, und ihm fiel nichts Besseres ein, als ihn mit seinen Fragen noch weiter zu peinigen. Was immer Dorian Angst machte, die Antworten konnten bis zum nächste Morgen warten. In diesem Moment war es das wichtigste, ihm ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben.

„Verzeiht meine Neugier“, sagte er. „Natürlich könnt Ihr heute Nacht bleiben. Um alles andere kümmern wir uns morgen.“

Dorian hob den Kopf, Überraschung im Blick.

„Folgt mir“, forderte Cullen ihn auf und begann, die Leiter zu seinem Schlafzimmer hinaufzusteigen, zuversichtlich, dass der andere ihm folgen würde.

Und er sollte Recht behalten, denn nur wenige Augenblicke später schob sich Dorians Kopf durch die Bodenluke.

„Wie... einladend“, meinte der Magier, während er das letzte Stück der Leiter hinaufstieg und dabei skeptisch das Loch in der Decke musterte.

Cullen hob eine Augenbraue, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Stattdessen deutete er auf das Bett, das er erst an diesem Morgen frisch bezogen hatte.

„Ihr könnt mein Bett haben“, sagte er und rieb sich den Nacken.

Dorian nickte ihm dankbar zu und nahm dann vorsichtig darauf Platz.

„Was ist mit Euch?“, fragte er, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass das Bett stabiler war, als die Zimmerdecke über seinem Kopf, und unter seinem Gewicht nicht sofort zusammenbrechen würde.

Cullen zuckte mit den Schultern.

„Ich werde unten bleiben“, entgegnete er und wandte sich zum Gehen. „Es wäre nicht das erste Mal, dass ich eine Nacht am Schreibtisch verbringe...“

„Unsinn“, meinte Dorian jedoch nur. „Euer Bett ist groß genug für zwei. Und Ihr seht aus, als könntet Ihr den Schlaf ebenso gut gebrauchen, wie ich.“

Cullen drehte sich zu ihm herum und sah ihn nachdenklich an.

„Seid Ihr Euch sicher?“, fragte er.

Dorian gab ein Schnauben von sich.

„Wollt Ihr erst noch eine schriftliche Einladung haben?“, entgegnete er mit schwachem Spott.

Cullen, der deutlich sehen konnte, wie erschöpft der andere war, und wie viel Kraft es ihn kostete, seine Fassade aufrechtzuerhalten, nickte schließlich.

„... in Ordnung“, sagte er.

 

Es war Dorian.

Cullen hatte es nicht sofort gemerkt, da er seit dem Beginn seines Entzugs keinem Magier mehr so nahe gewesen war, aber es war die einzige Erklärung, die Sinn ergab.

Seine oft schier unerträglichen Kopfschmerzen entstanden dadurch, dass sein Körper sich nach Lyrium sehnte – dem gleichen Lyrium, das auch durch Dorians Adern floss. Und als schien sein Körper die Magie in dem anderen Mann zu spüren, war das Verlangen nach Lyrium auf einmal fast gänzlich verschwunden, und Cullen fühlte sich so erholt und entspannt, wie schon seit Monaten nicht mehr.

Plötzlich schien es ihm nicht länger eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Dorian zu seinem Partner auserwählt worden war...

„... erstaunlich.“

Die raue, verschlafene Stimme des Magiers riss Cullen aus seinen Überlegungen, und sein Blick wanderte wieder hinauf zu Dorians Gesicht.

„Guten Morgen“, sagte er und schenkte ihm ein warmes Lächeln.

Der andere gab jedoch keine Antwort und sah ihn stattdessen an wie jemand, der vor einem Rätsel stand, und nach einer Weile erstarb Cullens Lächeln wieder und Sorge trat auf sein Gesicht.

„Was ist los?“, fragte er.

Doch anstatt auf seine Frage einzugehen, streckte Dorian nur die Hand aus und berührte sacht Cullens Wange.

„Ihr vibriert“, sagte er schließlich mit Verwunderung in der Stimme, als würde das alles erklären.

Doch Cullen war nur noch verwirrter. „Ich mache was?

Als wurde ihm plötzlich klar, was er gerade tat, zog Dorian wieder seine Hand zurück.

„Lyrium ist ein natürlicher Teil von denen, die mit Magie geboren werden“, entgegnete er. „Doch das Lyrium in Euch ist nicht natürlichen Ursprungs, es vibriert auf eine Weise, als wollte es aus Euch herausbrechen.“

Seine Stimme wurde leise und mitfühlend.

„Ihr müsst furchtbare Schmerzen haben. Es tut mir leid, dass man Euch das angetan hat.“

Cullen schluckte.

Es war das erste Mal, dass jemand auf diese Art über seine Templerfähigkeiten sprach, und es berührte ihn auf eine Weise, die er nicht in Worte fassen konnte.

„Niemand hat mich dazu gezwungen“, erwiderte er schließlich. „Seit ich klein war, wollte ich ein Templer werden. Als ich dreizehn war, wurden meine Gebete schließlich erhört und der Orden nahm mich auf.“

Dorians Gesicht verfinsterte sich, auch wenn Cullen wusste, dass seine Wut nicht ihm galt, sondern denjenigen, die ihn nicht über die Konsequenzen gewarnt hatten – und es erfüllte ihn mit einer seltsamen Wärme, dass der andere seinetwegen so erzürnt war.

Doch bevor Dorian den Mund öffnen konnte, um seinen Unmut zu äußern, ergriff Cullen erneut das Wort.

„Und die Schmerzen sind erträglich“, sagte er. „Macht Euch um mich keine Sorgen.“

Dass er schon seit Monaten kein Lyrium mehr nahm und nur noch Reste davon in seinen Adern zirkulierten, verschwieg er dabei bewusst.

Dorian warf ihm nur einen zweifelnden Blick zu, doch er fragte nicht weiter nach und setzte sich stattdessen auf.

„Ich glaube, ich habe Eure Gastfreundschaft lange genug beansprucht“, sagte er. „Ich danke Euch, dass Ihr mir so bereitwillig geholfen habt.“

Cullen schüttelte den Kopf, bevor er sich ebenfalls aufsetzte. „Es war nicht der Rede wert.“

„Doch“, entgegnete Dorian ernst, „das ist es. Wenn Ihr mir nicht die Tür geöffnet hättet...“

Er schien noch mehr sagen zu wollen, führte den Satz jedoch nicht zu Ende.

„Dorian.“ Vorsichtig und so langsam, als würde er ihn sonst verschrecken, streckte Cullen seine Hand aus und legte sie auf die des anderen.

„Ihr könnt es mir sagen“, sagte er sanft.

Dorian hob den Blick, und für einen kurzen Moment flackerte Hoffnung in seinen Augen auf. Cullen fasste dies als gutes Zeichen auf und nickte ihm ermutigend zu.

Schließlich seufzte der andere.

„Es... könnte sein, dass manch einer in dieser Festung nicht sehr glücklich über meine Anwesenheit ist und es sich zur Aufgabe gemacht hat, mich das auch spüren zu lassen“, gestand er.

Cullen nickte verstehend. Angesichts von Dorians Herkunft hatte er fast mit so etwas gerechnet, auch wenn es ihn wütend machte, dass es überhaupt erst dazu gekommen war.

„Wisst Ihr, wer es war?“, fragte er, doch Dorian schüttelte nur den Kopf.

„Ich habe ihre Gesichter nicht gesehen“, entgegnete er. „Aber sie waren...“

Er verstummte abermals, doch sein Blick sprang kurz zu dem Schwert hinüber, das quer über der Truhe lag, in der Cullen seine persönlichen Besitztümer aufbewahrte.

„Es waren Templer“, beendete Cullen den Satz.

Es war keine Frage; die Erklärung lag auf der Hand. Nur die Fähigkeiten der Templer konnten Dorian so einschüchtern, wie er es letzte Nacht bei ihm erlebt hatte.

„Wie lange schon?“, fragte er dann.

Dorian zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Zählen auch die Male, die sie mir vor die Füße gespuckt oder mir Schimpfwörter nachgerufen haben, oder nur die Male, in denen sie tatsächlich handgreiflich geworden sind...?“

Cullen spürte Zorn in sich aufsteigen. Nicht nur darüber, dass man mehrfach versucht hatte, seinen Seelenpartner einzuschüchtern und sogar zu verletzen, sondern auch über die Unverfrorenheit und Respektlosigkeit der Angreifer.

Dies war die Inquisition – ein sicherer Hafen für all jene, die Schutz suchten. Intoleranz war hier nicht willkommen.

Seine Emotionen mussten sich deutlich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn er spürte auf einmal, wie Dorian warm seine Hand drückte.

„Bitte versprecht mir, dass Ihr meinetwegen keine Hexenjagd vom Zaun brechen werdet“, sagte der andere leise. „Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass es die Situation nicht bessern wird.“

Cullen nickte. „Macht Euch keine Sorgen. Ich werde mich unauffällig umhören und versuchen, die Schuldigen ausfindig zu machen. Haltet Euch bis dahin bedeckt.“

„Ich werde es versuchen.“ Dorian lächelte schief.

„Und sollte es einen erneuten Angriff auf Eure Person geben, dann kommt unverzüglich zu mir“, fuhr Cullen fort. „Attacken wie diese sind unverzeihlich, und ich will...“ Euch nicht verlieren. „... keinen guten Mann verlieren müssen, weil ich nicht rechtzeitig gehandelt habe.“

Dorian lachte auf.

„Ihr haltet mich für einen guten Mann?“, fragte er.

„Ja“, entgegnete Cullen. „Ihr etwa nicht?“

Dorian gab keine Antwort, und etwas sagte Cullen, dass dies das erste Mal war, dass jemand diese Dinge zu ihm gesagt hatte.

 

Wenig später trennten sich ihre Wege.

„Was die Leute wohl denken werden, wenn sie sehen, wie ich Euren Turm verlasse?“, meinte Dorian, die Hand an den Türgriff gelegt.

„Dass Ihr eine angenehme Nacht hattet, hoffe ich“, entgegnete Cullen.

Erst als Dorian ihn überrascht anstarrte, wurde ihm bewusst, was er gesagt hatte, und er spürte, wie seine Wangen warm wurden.

„Ich... ich meinte...“, stotterte er, doch Dorian schüttelte nur lachend den Kopf.

„Ich weiß“, erwiderte er.

Er deutete eine kurze Verbeugung an.

„Danke noch einmal für alles, was Ihr für mich getan habt“, sagte er und lächelte. „Es war... sehr aufschlussreich.“

Dann trat er hinaus auf die Wehrmauer.

Kaum hatte sich die Tür wieder hinter ihm geschlossen, lehnte Cullen sich von innen dagegen und schloss die Augen, und es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis sein Herz nicht mehr vor Aufregung hämmerte.

Lavellan

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Ellana am nächsten Tag erwachte.

In einem Anflug von Panik schreckte sie hoch, bis ihr wieder einfiel, dass Josephine ihr anlässlich der Feierlichkeiten am vorigen Abend den Vormittag frei gegeben hatte. Erst am Nachmittag würde sie sich mit einigen königlichen Abgesandten aus Nevarra treffen, um mit ihnen die Details eines Waffenbündnisses zwischen Nevarra und der Inquisition auszuhandeln.

Ellana ließ sich seufzend zurück auf das Kissen sinken und schloss erneut die Augen. Sie konnte sich nicht so recht für Politik begeistern, obwohl ihr klar war, dass sie für den Erfolg der Inquisition unablässig war. Doch sie hatte keine Freude an den politischen Feinheiten des „Spiels“, wie Josephine es zu nennen pflegte, und überließ die weniger wichtigen Entscheidungen nur zu gerne der Diplomatin.

Und obwohl Ellana in den letzten Monaten vieles von Josephine gelernt hatte und von ihr für ihr diplomatisches Feingefühl gelobt worden war, war sie stets froh, wenn die Verhandlungen vorüber waren und sie sich stattdessen mit Cassandra im Schwertkampf messen oder Varrics Geschichten aus Kirkwall lauschen konnte.

Ein leises, aber beharrliches Klopfen an der Tür ließ sie träge die Augen öffnen.

„Ja?“, rief sie verschlafen.

„Ich bin es“, ertönte die ruhige Stimme von Solas. „Ich habe etwas zu essen mitgebracht. Es ist bald Mittag und ich dachte, Ihr hättet vielleicht Hunger.“

Sofort war Ellana hellwach. Flink stand sie auf und zog sich eine buntbestickte Tunika über den Kopf, bevor sich auch schon die Tür öffnete und der Elf mit einer Schale voller Obst, Nüssen, Käse und frischem Brot eintrat.

Für einen Moment standen sie beide unschlüssig da und sahen sich an, dann lachte Ellana auf und nahm die Schale von Solas entgegen, um sie auf ihr Bett zu stellen.

„Setzt Euch doch“, lud sie ihn ein, während sie auf der Matratze Platz nahm und den anderen mit einer Geste aufforderte, es ihr gleichzutun.

Er zögerte, doch nur für einen Augenblick, dann setzte er sich neben sie auf das Bett.

Schweigend begannen sie zu essen – Ellana, um ihren Hunger zu stillen, und Solas, so vermutete sie, um seinen Händen eine Beschäftigung zu geben und kein Gespräch anfangen zu müssen. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, doch keiner wollte den ersten Schritt wagen.

Nachdem Solas sie am Abend zuvor geküsst hatte, hatte er sich kurz darauf wieder zurückgezogen und Ellana dabei voller Hoffnung, doch auch voller Fragen und Zweifel zurückgelassen.

Was auch immer diese Sache war, die zwischen ihnen war... noch war sie frisch und neu und musste erst noch wachsen. Doch sie hatte das Potential, zu etwas Größerem zu werden, und der Gedanke erfüllte Ellana mit einer überschwänglichen Freude, doch auch mit Nervosität.

Nachdem sie sich satt gegessen hatte – sie war doch hungriger gewesen, als sie gedacht hatte – lehnte sie sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück und zog die Knie an die Brust.

„Das war wundervoll“, sagte sie. „An solch eine Begrüßung am Morgen könnte ich mich gewöhnen.“

Ihr Tonfall war bewusst neckend, damit sich der andere nicht gezwungen fühlte, darauf einzugehen, sollte sie sein Verhalten falsch interpretiert haben und Solas gar nicht die Absicht haben, dies zu einer regelmäßigen Sache zu machen.

Doch stattdessen röteten sich die Spitzen seiner Ohren und er warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Ich mich auch“, erwiderte er.

Ihre Augen weiteten sich.

„Solas...“

Er räusperte sich und fuhr mit etwas festerer Stimme fort: „Ich weiß, dass wir uns im Krieg befinden und dies sehr unsichere Zeiten sind, doch...“

Er sah sie wieder an, und beim Anblick der tiefen Zuneigung in seinen Augen zog sich ihr Herz zusammen.

„... wenn Ihr mich haben wollt, dann werde ich für Euch da sein“, sagte er. Er legte seine Hand auf die ihre und ihre Finger verschränkten sich so selbstverständlich, als hätten sie es schon unzählige Male zuvor getan.

Ellana starrte auf ihre Hände herab. Seine Worte und die Bereitwilligkeit, mit der er ihr sein Herz geöffnet hatte, hatten sie ein wenig überwältigt.

„Solas...“, begann sie mit rauer Stimme und er sah sie aufmerksam an.

„Verzeiht, ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Ich bin etwas...“

„Überfordert?“, bot er an und sie lachte auf.

„Das kann man wohl sagen“, entgegnete sie.

Er zögerte. „Wenn dies ein schlechter Zeitpunkt ist...“

Nein!“, unterbrach sie ihn. „Glaubt mir, das ist es nicht.“

Und bevor er noch etwas sagen konnte, legte sie einen Finger an seine Lippen und küsste ihn auf den Mundwinkel.

„Es ist mehr, als ich mir je erhofft hätte“, fuhr sie fort. „Ich... habe nur nicht sonderlich viele Erfahrungen mit Beziehungen.“

„Damit seid Ihr nicht allein, ma vhenan“, erwiderte er sanft.

 Als sie ihn überrascht ansah, zuckte er nur mit den Schultern. „Auf meinen Reisen bot sich nie eine Gelegenheit dafür.“

Sie lächelte, dann schob sie den Teller beiseite und rutschte ein Stück näher an ihn heran.

„Dann lasst uns gemeinsam Erfahrungen sammeln“, sagte sie leise.

Er hob die Hand und legte sie warm an ihre Wange, und sie schloss die Augen, als er sich vorlehnte und sie küsste.

 

Angriff.

„Ich... habe eine Bitte an Euch.“

Parade.

„Sprecht, und sie soll Euch gewährt werden.“

Gegenangriff.

Ellana sah von der Klinge ihres Schwertes auf, dessen Spitze sich in den vom Regen aufgeweichten Boden gebohrt hatte.

Cullen hatte sich dazu bereiterklärt, an diesem Abend mit ihr zu trainieren, und obwohl er ihr in Kraft und Erfahrung überlegen war, schwitzte er mittlerweile ebenso, wie sie, so unerbittlich waren ihre Attacken gewesen.

„Nicht hier“, entgegnete er so leise, dass nur sie es hören konnte.

Die kleine Menge Schaulustiger, die ihnen beim Training zugesehen hatten, löste sich auf, als Ellana wenige Minuten später erschöpft mit einem Handzeichen das Ende des Kampfes signalisierte. Cullen ließ sein Schwert sinken und nickte ihr anerkennend zu, dann bedeutete er ihr mit einer Geste, ihm zu folgen.

Sie durchquerten den Hof und betraten die große Halle der Festung, wo sie sich an einer der Feuerschalen niederließen, um sich aufzuwärmen. Um diese Uhrzeit waren alle Tische in der Halle besetzt, da die Bewohner der Festung sich zum Abendessen versammelt hatten, und niemand schenkte ihnen größere Beachtung.

„Also“, sagte Ellana, während sie die Hände an die Flammen hielt, „wie kann ich Euch helfen?“

Cullen schien für einen Moment unschlüssig, doch dann gab er sich einen Ruck und sprach:

„Es geht um Dorian.“

„Dorian?“

Beim Anblick seines ausdruckslosen Gesichts zog sie die Augenbrauen hoch. „Gibt es Probleme?“

Er holte tief Luft.

„Ich... bin mir nicht sicher“, erwiderte er. „Wie ich gestern herausgefunden habe, gibt es unter den Templern auf der Festung einige, die nicht begeistert sind, einen Magier aus Tevinter zum Nachbarn zu haben, und versuchen, ihm Angst zu machen. Ich weiß bisher noch nicht, ob dies nur von einzelnen Personen ausgeht oder ob mehr dahintersteckt, doch ich will versuchen, es herausfinden.“

Sie nickte, besorgt über das, was sie hörte.

„Das ist eine sehr ernste Angelegenheit“, sagte sie. „Was gedenkt Ihr zu tun?“

„An dieser Stelle kommt meine Bitte mit ins Spiel...“

Obwohl es unwahrscheinlich war, dass sie jemand belauschte, senkte Cullen die Stimme und Ellana musste sich vorbeugen, um ihn zu verstehen.

„Bitte nehmt ihn mit, wenn Ihr das nächste Mal die Festung verlasst“, fuhr Cullen fort. „Dorian ist ein begabter Magier, er wird Euch auf Euren Reisen eine große Hilfe sein. Durch seine Abwesenheit würde sich die Lage auf der Himmelsfeste etwas entspannen und ich könnte ungestört Nachforschungen anstellen und die Identität der Männer ermitteln, die ihn belästigt haben.“

Ellana nickte. Plötzlich verstand sie, was er vorhatte. „Ihr wollt ihn schützen, indem Ihr ihn fortschickt.“

Cullen mied ihren Blick. Der Gedanke, seinen Seelenpartner gehen zu lassen, schien ihn sichtlich zu peinigen. „Nun, ich...“

„Cullen“, sagte sie sanft. „Macht Euch keine Vorwürfe. Ich verstehe, wieso Ihr es tut.“

Er hob langsam den Kopf und sah sie hoffnungsvoll an. „Heißt das, Ihr würdet es in Erwägung ziehen, ihn mit Euch zu nehmen?“

Ellana lächelte.

„Um ehrlich zu sein, denke ich schon seit einer Weile darüber nach“, entgegnete sie. „Dorian hat sich in meinen Augen bewiesen, als er sein Leben riskierte, um uns vor dem Angriff auf Haven zu warnen. Ich könnte mir keinen fähigeren Magier an meiner Seite wünschen.“

Er nickte, sichtlich erleichtert über ihre Antwort.

Dann schmunzelte er auf einmal.

„Ist das so“, sagte er. „Und ich hatte den Eindruck, es gäbe noch einen anderen, nicht weniger talentierten Magier in Eurem Leben...“

Sie spürte, wie sich ihre Wangen röteten. „Nun...“

Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes erweckte ihre Aufmerksamkeit, und als sie den Kopf hob, sah sie, wie sich gerade die Tür schloss, die von der Halle zur der Rotunde führte, in der Solas für gewöhnlich anzutreffen war.

Ihr Blick schien sie zu verraten, denn Cullen erhob sich plötzlich und hielt ihr seine Hand hin.

„Geht nur“, sagte er. „Ich bin mir sicher, er erwartet Euch schon.“

Dankbar ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen.

„Ich werde mit Dorian reden“, versprach sie. „Wenn wir nächste Woche zum Fahlbruch reisen, wird er sich sicherlich über die Gelegenheit freuen, mich zu begleiten.“

„Ich danke Euch“, sagte Cullen.

Sie schenkte ihm ein Lächeln und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als er sie noch einmal zurückrief.

„Und... Ellana?“

Sie sah ihn fragend an.

„Eure Abwehr lässt noch immer zu wünschen übrig“, meinte Cullen.

Sie seufzte und nickte.

„Doch Eure Beinarbeit hat sich seit dem letzten Mal verbessert. Und auch Eure Attacken sind effizienter geworden.“

Er lächelte. „Nur weiter so.“

 

Dieses Mal war es Ellana, die Essen mitbrachte, als sie wenig später die Halle verließ und den Rundturm betrat, in dem Solas sich eingerichtet hatte.

Er arbeitete mit ruhiger Hand an einem der Bilder, die sich über die gesamte Wand vom Boden bis zur Decke spannten, und sah erst zu ihr hinüber, als sie nähertrat.

„Das ist sehr zuvorkommen von Euch“, meinte er, als er den Teller in ihrer Hand sah. „Aber das wäre nicht nötig gewesen.“

„Darf ich Euch nicht ebenso verwöhnen, wir Ihr mich, ma vhenan?“, fragte sie warm und ergriff seinen Arm, nachdem er den Pinsel beiseitegelegt hatte, um ihn mit sich auf das Sofa zu ziehen.

„Vorsicht“, sagte er amüsiert. „Die Leute könnten reden.“

Doch er ließ sich neben ihr nieder, als sie sich auf das Polster setzte.

„Sollen sie nur“, entgegnete sie unbesorgt und griff nach einem Kanten Brot, der noch warm vom Ofen war.

Sie aßen schweigend, bis ihr gröbster Hunger gestillt war. Dann begann Ellana, von ihrem Tag zu erzählen und von den frustrierend hochnäsigen Diplomaten, mit denen sie sich am Nachmittag hatte herumärgern müssen.  Solas berichtete seinerseits von seinen Lektüren und dem Spaziergang, den er in der näheren Umgebung unternommen hatte, um nach wertvollen Heilkräutern zu suchen.

Es waren keine weltbewegenden Themen, ganz im Gegenteil, doch es war angenehm, den Abend in der Gesellschaft des Elfen zu verbringen, und Ellana genoss jeden einzelnen Augenblick.

 

„Ihr wollt was?

Ellana verschränkte die Arme vor der Brust, während Dorian sie weiterhin nur ungläubig anstarrte.

„Ich will, dass Ihr mich begleitet“, wiederholte sie. „Ich muss Euch jedoch warnen: es wird zweifellos gefährlich, und Ihr werdet Euch mit Dauerregen, Mücken und Untoten herumärgern müssen.“

„Das klingt in der Tat abscheulich.“ Dorian zwirbelte seinen Schnurrbart. „Ich bin dabei.“

Ellana strahlte. „Wunderbar!“

„Wer wird uns noch begleiten?“, fragte Dorian, während sie Seite an Seite durch den Garten spazierten.

Sie dachte nach.

„Der Eiserne Bulle“, sagte sie. „Er stört sich nicht an dem Wetter und ist ein schlagkräftiger Kämpfer. Außerdem Solas, weil er die Geister im Fahlbruch studieren will. Und Varric, wenn er sich mal für mehr als fünf Sekunden von Hawke lösen kann. Ansonsten Cole.“

Dorian gab keine Antwort, was ungewöhnlich war, und nach einer Weile blieb sie stehen und sah ihn an.

„Seid Ihr nicht glücklich mit meiner Wahl?“, fragte sie.

Dorian schenkte ihr ein Lächeln, das jedoch seltsam gezwungen wirkte.

„Oh nein“, sagte er. „Ich bin mir sicher, es wird eine ganz wundervolle Reise...“

Iron Bull

„Findet Ihr nicht, dass Ihr ein wenig übertreibt?“, fragte der Eiserne Bulle und warf Dorian einen Seitenblick zu.

„Keineswegs“, entgegnete der Magier mit hoch erhobenem Kopf und frischte mit einem kurzen Schwenk seiner Hand die Barriere auf, die ihn umgab.

Von der anfänglichen Begeisterung des Mannes darüber, die Himmelsfeste endlich einmal zu verlassen, um die Inquisitorin auf ihrer Reise zu begleiten, war nichts mehr geblieben. In einer Tour beklagte er sich über das Wetter, die Feuchtigkeit in seiner Kleidung und seinen Schuhen, und die zahllosen Mücken, die sie wie eine Wolke umschwirrten. Letztere versuchte er sich nun seit dem Morgen mit einer schwachen Barriere dauerhaft vom Leibe zu halten, nachdem er in der Nacht Dutzende Male gestochen worden war, bis Solas sein Gefluche nicht mehr hatte mitanhören können und ihm zur Abwehr Magie empfohlen hatte.

Den beiden Elfen schienen die vielen Insekten nichts auszumachen. Kein einziger Mückenstich zierte ihre Gesichter, und der Qunari vermutete, dass Solas sowohl sich selbst als auch Lavellan schon seit Tagen mit einer kaum spürbaren Barriere umgab.

Der Eiserne Bulle störte sich ebenfalls nicht an den Mücken. Seine Haut war zu dick, als dass ihre Stacheln sie durchdringen konnten, und falls es doch mal einer gelang, dann spürte er es nicht.

Der einzige, der mit noch mehr Stichen aufwarten konnte, als Dorian, war Cole. Der junge Mann wanderte mit gesenktem Kopf still neben ihnen her, und sein Gesicht und seine Arme waren übersät mit Stichen. Doch er hatte sich bisher noch kein einziges Mal beklagt.

„Wie um alles in der Welt hältst du das aus?“, hatte Dorian ihn am Morgen gefragt, als sie die Zelte abgebaut hatten.

„Auch Mücken brauchen Nahrung“, hatte der Junge nur erwidert, als würde das alles erklären. Dorian hatte nicht weiter nachgefragt, doch er hatte ihm einen sehr langen und sehr skeptischen Blick zugeworfen.

Und nun waren sie hier, im tiefsten Sumpf, meilenweit von jedem Stützpunkt der Inquisition entfernt, und suchten eine Gruppe verschwundener Soldaten. Seit ihrer Ankunft im Fahlbruch hatte der Regen noch kein einziges Mal nachgelassen, auch wenn er zwischendurch schwächer geworden war und einmal sogar kurz die Sonne durch die tiefhängenden  Wolken geblitzt hatte.

Die Stimmung wäre jedoch zweifellos noch trüber gewesen, hätten sie nicht die vielen Untoten auf Trab gehalten.

„Faszinierend“, bemerkte Solas, als Lavellan versehentlich einen Fuß in das knietiefe Wasser setzte und der Tümpel um sie herum plötzlich zu brodeln begann. „Die kleinste Bewegung des Wassers scheint sie anzuziehen.“

„Ja, wirklich ausgesprochen interessant“, entgegnete Dorian scharf, bevor er seinen Stab schwang und dem Skelettkrieger, der sich neben ihm aus dem Wasser erhob, die Beine wegschlug. „Es wäre noch interessanter, würden sie nicht jedes Mal versuchen, uns zu töten!“

„Was ist los? Ich dachte, Ihr wolltet ein Abenteuer erleben!“, rief der Eiserne Bulle gutgelaunt, während er mit seiner gigantischen Axt die Untoten reihenweise niedermähte.

„Der genaue Wortlaut war ‚Ich kann es nicht erwarten‘“, meinte Lavellan mit einem Lächeln und rammte ihr Schwert in den knochigen Brustkorb eines untoten Bogenschützen.

Wasser, Schlamm und Tote, soweit das Auge reicht... was habe ich mir nur dabei gedacht“, kommentierte Cole, der wieselflink zwischen den Angreifern hindurchflitzte und mit seinen Dolchen die Sehnen ihrer Bögen durchtrennte. Es bestand kein Zweifel daran, wessen Gedanken er zitierte.

„Ja, Cole, vielen Dank“, stöhnte Dorian.

„Gern geschehen“, erwiderte der junge Mann artig und ließ seine Dolche sinken, nachdem schließlich auch der letzte Krieger gefallen war.

Erschöpft wischte sich Lavellan mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, bevor sie ihr Schwert wieder wegsteckte.

„Verzeihung“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. „Der Angriff war meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen sollen, wo ich hintrete.“

„Macht Euch keine Vorwürfe, lethallan“, sagte Solas, während er zu ihr trat. „Das hätte jedem von uns passieren können.“

Dem Eisernen Bullen entging nicht, wie der Elf die Hand ausstreckte, als wollte er sie an die Wange der Inquisitorin legen – und wie ihm im letzten Moment einzufallen schien, dass sie nicht allein waren, und er sie wieder sinken ließ. Der Blick, den er ihr schenkte, sprach jedoch Bände, ebenso wie der sanfte Ausdruck in Lavellans Augen, als sie ihn erwiderte.

Interessant, dachte der Qunari, und nahm sich vor, auf weitere Zärtlichkeiten zwischen den beiden zu achten. Man konnte nie wissen, wofür das Wissen, dass die Inquisitorin sich einen Liebhaber genommen hatte, noch nützlich sein würde. Es war auf jeden Fall eine der Informationen, die er früher oder später an das Qun weiterleiten würde, auch wenn er für den Moment noch damit warten wollte, bis er absolute Sicherheit hatte und wusste, wie weit die beiden füreinander gehen würden.

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich Vorfälle dieser Art häufen werden, je weiter wir in den Sumpf vordringen“, sagte Dorian in diesem Moment.

Mit fast schon übertriebener Vorsicht trat Lavellan neben ihn an den Rand des Steges und ließ den Blick über den Fahlbruch schweifen.

„Ja“, entgegnete sie leise. „Das befürchte ich auch.“

Ihre Worte waren ernüchternd, und wenig später setzte die kleine Gruppe ihren Weg schweigend fort.

 

Als es zu dunkel wurde, um den Sumpf weiter gefahrlos durchqueren zu können, zogen sie sich auf eine leicht erhöht liegende Insel zurück, die auf zwei Seiten von Felswänden umgeben war, die sie vor dem kühlen Abendwind schützten.

Abgesehen von mehreren Kugeln grünen Schleierfeuers, die Solas durch das Lager schweben ließ, verzichteten sie darauf, Feuer zu machen, um keine nächtlichen Jäger – ob tot oder lebendig – auf sich aufmerksam zu machen.

Das machte den Aufbau der Zelte zu einer Herausforderung, insbesondere für Dorian und Cole, die darin wenig Übung hatten.

„Lasst mich das machen“, bot der Eiserne Bulle schließlich an, nachdem Dorians Zelt zum vierten Mal in einem Gewirr aus Stoff und Holzstangen in sich zusammengesunken war.

Er hätte ihn schon nach dem ersten Mal gefragt, doch die Erfahrung hatte gezeigt, dass der stolze Tevinteraner jegliche Hilfe ablehnte, bis er eine gewisse Frustrationsgrenze erreicht hatte. Und so hatte der Qunari geduldig gewartet, bis Dorian diesen Punkt überschritten hatte, bevor er es gewagt hatte, ihm seine Hilfe anzubieten.

Und wie sich herausstellte, hatte er mit seiner Einschätzung richtig gelegen, denn Dorian trat augenblicklich beiseite und setzte sich schweigend in das feuchte Gras.

Während er das Durcheinander entwirrte, sagte der Eiserne Bulle:

„Ihr müsst diese Nacht nicht allein verbringen, Dorian.“

Seine Stimme war leise, so dass Solas und Lavellan, die wenige Meter entfernt ihr eigenes Zelt aufbauten, das Gespräch nicht mit anhören konnten.

Dorian hob den Kopf.

„Falls Ihr vorhabt, mir erneut Euer Angebot von letztens zu unterbreiten: ich habe kein Interesse“, entgegnete er leicht säuerlich.

Der Qunari konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, doch er hörte die Erschöpfung in seiner Stimme.

„Ich spreche nicht von Sex“, sagte er ruhig, während er mit sicheren Händen die Zeltstangen aufstellte.

Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte, aber es war offensichtlich, dass es nicht das war, was Dorian in diesem Moment brauchte.

„Nicht?“, erwiderte der andere. „Ich bin entsetzt.“

Der Qunari lächelte. „Ich bin mehr, als nur meine Triebe, Dorian.“

„Ich...“ Dorian seufzte. „Ich weiß das natürlich. Verzeiht. Ich wollte Euch nicht unterstellen, dass Sex das einzige ist, woran Ihr denkt.“

Der Eiserne Bulle zuckte mit den Schultern, während er die schwere Zeltplane über das Gerüst zog.

„Ihr seid müde und der Tag war lang“, sagte er. „Ich verstehe.“

Er zögerte kurz und fügte dann mit einem Zwinkern hinzu: „Und es stimmt, dass ich recht häufig daran denke. Sex ist großartig.“

Dorian verdrehte die Augen.

Der Eiserne Bulle beschwerte den Rand der Plane mit Steinen und prüfte anschließend die Stabilität des Zeltes, indem er kurz daran rüttelte.

Es hielt stand.

„Fertig?“, fragte Dorian ungläubig.

„Fertig“, bestätigte der Qunari.

Der Magier griff nach seinem Stab und seinem Rucksack und schob sie in das Zelt, bevor er selbst hineinkroch. Einen Moment lang sah der Eiserne Bulle nur, wie sich die Plane bewegte, als der andere seine Sachen auspackte und sich für die Nacht einrichtete.

Da Dorian nicht wieder herauskam, nahm der Qunari an, dass er sich bettfertig machte, und er wandte sich ab, um zu seinem eigenen Zelt zurückzukehren.

Auch die beiden Elfen hatten ihr Zelt mittlerweile fertig aufgebaut und wünschten allen anderen eine gute Nacht, bevor sie sich zum Schlafen zurückzogen. Am Rande des Lagers schwebte die letzte der leuchtenden, grünen Kugeln neben der vogelscheuchenartigen Gestalt von Cole, der in die Dunkelheit hinausblickte. Wie fast jede Nacht hatte er freiwillig die erste Wache übernommen. Dieses Mal würde es Solas sein, der den Jungen gegen Mitternacht ablösen und bis zum Morgengrauen über die Schlafenden wachen würde.

Der Eiserne Bulle wollte sich gerade in sein Zelt legen, als er die Berührung einer warmen Hand an seinem Rücken spürte.

„Könntet Ihr diese Nacht bei mir bleiben...?“, fragte Dorian leise.

Der Qunari erstarrte kurz, dann drehte er sich langsam um.

„Wenn es das ist, was Ihr wollt – gewiss“, entgegnete er ebenso leise und nahm vorsichtig Dorians Hand in die seine.

Der Magier sah unschlüssig zu Boden.

„Und wenn ich nur...“ Er biss sich auf die Unterlippe, bevor er tief Luft holt und es dann erneut versuchte. „Wenn ich lediglich... uh...“

Er schien sichtlich mit sich selbst zu kämpfen.

„... wenn Ihr nur kuscheln wollt?“, erbarmte sich der Qunari schließlich und beendete den Satz für ihn.

„Uhm“, machte Dorian. „Ja...?“

„Dann kuscheln wir nur“, entgegnete der Eiserne Bulle und strich sanft mit dem Daumen über Dorians Handrücken.

„Oh“, sagte der andere, der seine Überraschung nicht ganz verbergen konnte. „Okay.“

Es war ganz klar nicht das, was er erwartet hatte, und der Eiserne Bulle fragte sich nicht zum ersten Mal, wie Dorian körperliche Nähe bisher erlebt hatte, dass Sex das einzige war, was er damit assoziierte. Und während er dem anderen in sein Zelt folgte, schwor er sich, sich eines Tages die Mistkerle vorzuknöpfen, die ihn in Tevinter so schlecht behandelt hatten.

 

Sobald sie in der Enge des Zeltes eine halbwegs bequeme Schlafposition gefunden hatten, war Dorian auch schon eingeschlafen, was es dem Qunari ersparte, sich den Kopf über ein Gesprächsthema zerbrechen zu müssen. Nicht, dass er nicht müde genug gewesen wäre, um Dorians Beispiel zu folgen – doch für eine Weile wollte er noch das warme Gewicht des Mannes in seiner Armbeuge genießen, der noch immer nach Parfüm roch, dessen schwacher Duft selbst der Dauerregen nicht fortgewaschen hatte und der sich seit der Himmelsfeste auf seiner Haut und in seinem dunklen Haar hatte halten können.

Dorian war seit jenem schicksalhaften Abend nicht mehr bei ihm gewesen. Warum, das hatte der Qunari nie herausgefunden, doch er vermutete, dass es etwas damit zu tun hatte, dass Krem ihn am nächsten Morgen gesehen hatte, als er die Brücke zwischen Cullens Turm und der Bibliothek überquerte. Was auch immer vorgefallen war, sein Bedürfnis nach Nähe hatte entweder wieder nachgelassen oder er hatte jemand anderen gefunden, der es befriedigte. Und wenn Cullen tatsächlich etwas damit zu tun haben sollte... nun, selbst der Kommandant der Inquisition war nur ein Mensch. Und er war ganz sicherlich nicht die schlechteste Wahl.

Und es gab immer noch genug andere Interessenten, dass dem Bullen nachts nicht langweilig wurde.

Es war nur...

Manchmal bedauerte er es, dass Dorian nie zurückgekehrt war.

Er zweifelte nicht daran, dass es eine unvergessliche Nacht gewesen wäre.

Dorian seufzte leise im Schlaf auf und schmiegte das Gesicht an den Hals des Qunari. Vorsichtig hob der Eiserne Bulle den Arm und legte ihn locker um die schlanke Gestalt des Magiers, der die stumme Aufforderung zu spüren schien und sich noch enger an ihn kuschelte.

Der Qunari lächelte und presste einen flüchtigen Kuss auf Dorians Haare.

Dann schloss auch er sein Auge.

Dorian

Als Dorian am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich warm und entspannt. Geborgen.

Es war schon das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass er das Bett in der Nacht mit einem anderen geteilt hatte, ohne dass sie zuvor miteinander intim geworden waren. Es war... ungewohnt, offen gestanden. Und definitiv etwas, woran Dorian sich gewöhnen könnte.

Der Körper des Eisernen Bullen war, wie sich jedoch bald herausstellte, nicht nur so warm wie ein Hochofen, sondern auch genauso unnachgiebig. So sehr Dorian auch versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien, der schlafende Qunari rührte sich nicht vom Fleck. Erst, als Dorian mit glühenden Fingerspitzen die empfindliche Innenseite seines Arms berührte, hörte er abrupt auf zu schnarchen und gab stattdessen ein Gähnen von sich.

„Morgen, Dorian“, brummte er und Dorian spürte die Vibration der tiefen Stimme an seinem Rücken.

Er räusperte sich.

„Guten Morgen“, erwiderte er, bevor er sich in den Armen des anderen herumdrehte und ihn ansah.

„Wie geht es Euch?“, fragte der Qunari mit einem verschlafenen Lächeln.

Dorian dachte einen Augenblick lang nach.

„Gut“, sagte er dann. Und es stimmte. Es war die beste Nacht, die er bisher an diesem trostlosen Ort verbracht hatte.

„Keine neuen Mückenstiche?“, fragte der andere weiter und fuhr sanft mit den Fingern durch sein Haar.

Dorian schüttelte den Kopf.

„Das ist gut“, meinte der Eiserne Bulle.

Er ließ seine Hand sinken.

„Nun dann“, sagte er. „Zeit, um aufzustehen und nach den anderen zu sehen.“

Er machte Anstalten, sich zu erheben, doch Dorian gab ein leises Protestgeräusch von sich.

Der Qunari hielt inne. „Stimmt etwas nicht?“

Dorian mied seinen Blick und sagte dann mit so leiser Stimme, dass der andere ihn nur mit Mühe verstand:

„Könntet... Ihr das noch mal machen? Wenigstens für ein paar Minuten?“

„Ihr meint...?“ Der Eiserne Bulle führte den Satz nicht zu Ende, sondern hob erneut seine Hand und kämmte mit den Fingern durch Dorians Haar, wobei er mit den Nägeln leicht über seine Kopfhaut kratzte.

Dorian gab einen wohligen Laut von sich und schloss die Augen.

„Oh, das gefällt Euch wohl?“, fragte der Qunari amüsiert.

„Mmmh“, machte Dorian nur, und der andere lachte leise auf.

„Na gut“, entgegnete er. „Ich denke, so viel Zeit haben wir noch...“

 

Aus wenigen Minuten wurde fast eine halbe Stunde, in der Dorian dösend auf der breiten Brust des Qunari lag, der nicht müde wurde, seine Kopfhaut zu massieren. Sie hätten sicher noch eine weitere halbe Stunde so dagelegen, wenn sich nicht plötzlich Cole mitten im Zelt materialisiert hätte und halb auf ihnen gelandet wäre.

„Ich soll Euch mitteilen, dass wir bald aufbrechen“, sagte er zu ihnen, bevor er auf Händen und Füßen wieder aus dem Zelt kroch.

Der Qunari seufzte. „Sieht aus, als müssten wir...“

„Ja.“ Es fiel Dorian nicht leicht, die komfortable Wärme zu verlassen, doch es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

Während der andere zu seinem Zelt zurückkehrte, versuchte Dorian, sein nach der langen Kopfmassage in alle Richtungen abstehendes Haar zu bändigen. Mit ein paar Tropfen Öl, das er eigens zu diesem Zweck in einer kleinen Flasche mitführte – niemand konnte ihm unterstellen, dass er nicht auf sein Äußeres achtete – gelang es ihm schließlich, es halbwegs zu glätten, und selbst seinen Schnurrbart wieder in Form zu bringen.

Das einzige, was er schmerzlich vermisste, war ein langes, ausgiebiges Bad, doch das war das erste, was er nachholen würde, sobald sie wieder auf der Himmelsfeste waren.

Als er schließlich seine Sachen zusammengepackt hatte und aus dem Zelt stieg, war der Eiserne Bulle bereits mit dem Abbau seines Zeltes fertig und kehrte zurück, um Dorian mit seinem eigenen Zelt zu helfen. Dieses Mal machte er nicht die ganze Arbeit allein, so wie in der Nacht zuvor, sondern zeigte Dorian stattdessen, wie er vorgehen musste, um das Zelt schnell und effektiv abzubauen, damit er es beim nächsten Mal auch allein schaffte. Dafür war ihm Dorian, der es hasste, aufgrund seiner geringen, praktischen Erfahrungen ständig auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, unendlich dankbar.

Schließlich waren alle Zelte abgebaut und die kleine Gruppe setzte ihre Reise durch den Fahlbruch fort. Doch trotz des anhaltenden Nieselregens war Dorians Laune an diesem Morgen besser, als seit Tagen, und er war zuversichtlich, dass sie die verschwundenen Soldaten bald finden würden.

 

„Da“, sagte Lavellan und deutete auf die dunklen Mauern in der Ferne. „Das ist unser Ziel.“

Dorian sah zu der Festung hinüber.

„Mit allem Respekt“, entgegnete er, „aber wie könnt Ihr Euch dessen so sicher sein?“

„Das Tor ist in guter Verfassung, als würde es regelmäßig repariert werden“, beantwortete der Eiserne Bulle seine Frage. „Und auf den Wehrmauern stehen mehrere Wachen.“

„Sie leben“, meinte Cole.

„Ja“, erwiderte der Eiserne Bulle. „Es sind keine Untoten, die die Burg überrannt haben, sondern lebende Menschen. Ich bin mir sicher, dass wir dort die verschwundenen Soldaten finden werden.“

„Es scheinen Avvar zu sein, die unsere Leute gefangengenommen haben“, sagte Solas. „Wie unklug von ihnen. Ihnen hätte klar sein müssen, dass die Inquisition einen solchen Akt niemals dulden würde.“

„Sie dachten vermutlich, sie hätten ein Druckmittel gegen uns, wenn sie Geiseln nehmen.“ Ein harter Ausdruck lag auf Lavellans Gesicht. „Doch die Inquisition lässt sich nicht erpressen.“

Dorian seufzte.

„Das ist alles schön und gut“, meinte er, „aber falls ich auf das offensichtliche Problem hinweisen darf...“

Er musste es nicht aussprechen; sie wussten auch so, was er meinte: die Ebene vor der Festung war von Untoten bevölkert, soweit das Auge reichte.

„Wir kommen niemals dort durch, ohne Verluste zu erleiden“, murmelte der Eiserne Bulle.

„Könnten wir sie lange genug ablenken, um die Burg zu erreichen?“, fragte Lavellan an Solas gewandt.

Der Elf machte ein nachdenkliches Gesicht. „Wären es weniger – sicher“, erwiderte er. „Doch bei einer solchen Masse von Untoten... selbst wenn es uns gelänge, den Großteil von ihnen abzulenken, wären immer noch genug übrig, um uns in arge Bedrängnis zu bringen.“

Der Qunari fluchte.

„Die Toten als natürliche Abwehr zu verwenden, ist eine verdammt brillante Idee“, sagte er. „Kein Wunder, dass sie sich nicht mal die Mühe gemacht haben, das Tor zu schließen... allein der Versuch, die Ebene zu überqueren, wäre reiner Selbstmord.“

Lavellan ließ entmutigt die Schultern hängen.

„Wir bräuchten eine Armee, um unsere Leute zu befreien“, seufzte sie.

Wir haben eine Armee“, sagte Cole ruhig.

Dorian starrte ihn an. Der Junge hätte keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können, um seine Gedanken zu lesen.

„Was meinst du, Cole?“, fragte Lavellan den jungen Mann, der jedoch nur verwirrt blinzelnd ihren Blick erwiderte, als hätte er keine Ahnung, wovon sie sprach.

Ihr Blick wanderte weiter zu Dorian.

„Wovon spricht er?“

Dorian senkte ergeben den Kopf, als sich alle Blicke auf ihn richteten.

„Er hat Recht“, sagte er schließlich. „Es gibt eine Möglichkeit. Ich... habe eine Fähigkeit, von der ich bislang noch niemandem erzählt habe – aus gutem Grund. Wie sich auf meinen Reisen herausgestellt hat, ist sie besonders hier im Süden sehr verpönt.“

„Er macht die Toten wieder lebendig“, erklärte Cole aufgeregt.

„Nekromantie.“ Solas Stimme war ruhig, als er das Wort aussprach.

„Ernsthaft?“ Der Eiserne Bulle stieß einen leisen Pfiff aus. „Ich hätte Euch nie im Leben für einen Nekromanten gehalten.“

Dorian schenkte ihm ein schiefes Lächeln.

„Wie gesagt... ich hielt es für das Beste, es für mich zu behalten.“

„Warum?“, fragte Lavellan mit großen Augen.

Dorian seufzte. „Glaubt mir, wenn Ihr schon mal die entsetzten Blicke von Soldaten gesehen habt, die zusehen, wie man ihre gefallenen Kameraden wieder zum Leben erweckt, um sie gegen den Feind in die Schlacht zu schicken, wo sie einen weiteren Tod sterben... dann würdet Ihr Euch auch gut überlegen, ob Ihr tatsächlich jedem davon erzählen wollt.“

„Oh“, machte Lavellan und senkte verlegen den Blick. „Ihr habt Recht. Das hatte ich nicht bedacht.“

„Nun, jetzt, wo wir über Euer verborgenes Talent im Bilde sind“, sagte der Eiserne Bulle und verschränkte die Arme vor der Brust, „wie genau gedenkt Ihr, es einzusetzen?“

„Cole hat es bereits gesagt.“ Solas‘ Gesichtsausdruck war unergründlich. „Er will eine Armee von Toten erwecken.“

„Könnt Ihr das denn?“, fragte Lavellan. „Eine ganze Armee auf die Beine stellen?“

Dorian zuckte mit den Schultern. „Ich will nicht lügen – es wird mich eine Menge Kraft kosten. Und ich brauche jemanden, der während des ganzen Prozesses bei mir bleibt, da ich mich zu sehr auf die Beschwörung konzentrieren muss, als dass ich mich in dieser Zeit selbst verteidigen könnte.“

Der Qunari nickte.

„Lasst mich das übernehmen“, sagte er. „Ich werde Euch beschützen und Euch die nötige Zeit verschaffen.“

„Ich danke Euch“, entgegnete Dorian, gerührt von der Bereitwilligkeit, mit der der andere ihm seine Hilfe anbot.

„Dann wäre das wohl geklärt.“ Lavellans Stimme war ruhig, aber entschlossen. „Solas, Cole... Ihr kommt mit mir. Sobald der Weg frei ist, werden wir zur Festung vordringen. Und macht Euch auf Widerstand gefasst, die Avvar werden ihren Unterschlupf nicht kampflos aufgeben.“

Solas nickte nur, während Cole die Finger um die Griffe seiner Dolche schloss. Ein verträumtes Lächeln lag auf seinen blassen Lippen, das Dorian unter anderen Umständen einen Schauer über den Rücken gejagt hätte, und nicht zum ersten Mal war er froh darüber, dass der dämonische Junge auf ihrer Seite war.

„Gut.“ Lavellan sah zu Dorian hinüber. „Seid Ihr soweit?“

Dorian malte mit der Spitze seines Stabes ein mit Runen verstärktes Pentagramm auf die feuchte Erde und setzte sich dann inmitten der glühenden Linien auf den Boden.

Er erwiderte Lavellans Blick mit einem Nicken, das signalisierte, dass er bereit war, mit der Beschwörung zu beginnen.

Die Inquisitorin ließ einen letzten Blick durch die Runde schweifen.

„Dann lasst uns loslegen.“

 

Die größte Herausforderung war es, alte Knochen zu finden, die noch nicht von einem anderen Geist beseelt waren. Doch über die Jahrhunderte hinweg war der Fahlbruch mehrmals Zeuge großer Schlachten gewesen, und so dauerte es nicht lange, genug tote Krieger für seine Armee aufzutreiben.

„Es beginnt“, murmelte der Eiserne Bulle, als die gesamte Ebene vor der Festung von Erdstößen erschüttert wurde.

Dorian, der die Augen geschlossen hatte, sah nicht, wie sich die skeletthaften Körper lange verstorbener Soldaten aus der Erde wühlten, sondern konzentrierte sich ganz darauf, sie mit seiner Magie am Leben zu erhalten.

„Seht nur!“, rief Lavellan aus. „Es werden immer mehr.“

„Verausgabt Euch nicht zu sehr, Dorian“, sagte Solas leise. „Eine Beschwörung von diesem Ausmaß könnte schnell Euer Ende bedeuten.“

Dorian war sich der Risiken sehr wohl bewusst. Doch während seiner ganzen Zeit in der Inquisition hatte er noch kein einziges Mal seine gesamte, magische Kraft entfaltet. Sie wussten gar nicht, wozu er fähig war. Heute würde er ihnen zum ersten Mal die Macht demonstrieren, für die man ihn in Tevinter immer geachtet – und beneidet – hatte.

Und Dorian war kein Narr, er kannte seine eigenen Grenzen.

Doch mehrere Dutzend gefallener Krieger zum Leben zu erwecken war für ihn keine große Herausforderung.

Sobald er sie einigermaßen gleichmäßig am Rand der Ebene verteilt hatte, schickte er sie in die Schlacht. Ab da bekam er nur noch bruchstückhaft mit, worüber seine Gefährten sprachen, da er sich voll und ganz darauf konzentrieren musste, seine untote Armee zu lenken und den Skelettkriegern, die die Burg bewachten, den größtmöglichen Schaden zuzufügen.

„... funktioniert!“, hörte er Lavellan schließlich jubeln, und er biss die Zähne zusammen und verdoppelte seine Anstrengungen, so viele Skelettkrieger wie möglich an den Rand der Ebene zu locken und in Gefechte mit seinen eigenen untoten Soldaten zu verwickeln, um der Inquisitorin damit den Weg zur Festung zu öffnen.

„... fast geschafft...“ Das war Solas. „... wenig mehr...“

Dorian spürte, wie ihm langsam der Schweiß ausbrach, als er den schlammigen Boden der Ebene nach weiteren leblosen Knochen durchforstete und alles mit Leben erfüllte, was er finden konnte, egal, ob es noch auf zwei Beinen laufen konnte oder nicht.

Und schließlich schien es, als konnte die schiere Übermacht seiner Armee die Skelettkrieger tatsächlich zurückdrängen.

Jetzt!

Vor seinem inneren Auge sah Dorian die hellen Lebenslichter von Lavellan, Solas und Cole über die Ebene fliegen. Einzelne Skelettkrieger stellten sich ihnen in den Weg, doch sie konnten Lavellans Schwert und Coles Dolchen nicht viel entgegensetzen. Und alle anderen Krieger waren dank seiner Armee zu weit entfernt, um sie daran zu hindern, zur Festung vorzudringen.

„... geschafft...“, drang schließlich die leise Stimme des Eisernen Bullen an sein Ohr.

Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Dorian wartete noch eine Weile, bis die Toten, die er zum Leben erweckt hatte, den Großteil der Skelettkrieger besiegt hatten, bevor er nach und nach vorsichtig die Verbindung zu ihnen kappte, als würde er die Fäden einer Marionette durchtrennen.

Als schließlich auch der letzte Soldat wieder zu einer Ansammlung lebloser Knochen zerfallen war, erloschen die weiß leuchtenden Linien des Pentagramms, und Dorian kippte erschöpft nach vorn.

Sofort kniete der Qunari neben ihm nieder und half ihm, sich wieder aufzusetzen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Wie fühlt Ihr Euch...?“

Dorian widerstand der Versuchung, sich an ihn zu lehnen, und schenkte ihm stattdessen ein müdes Lächeln.

„Nur ein wenig ausgebrannt“, erwiderte er und zog mit zitternden Fingern ein Fläschchen Lyrium aus seinem Rucksack. Er entkorkte es und trank seinen Inhalt, dann wartete er, bis die Magie in seinem Körper aufhörte, verrückt zu spielen, und seine Hände nicht mehr länger zitterten.

Der Eiserne Bulle warf ihm einen skeptischen Blick zu, als Dorian sich schließlich schwankend erhob.

„Es wäre besser, wenn Ihr Euch für eine Weile ausruht“, meinte er und ergriff Dorians Arm, um ihn zu stützen.

„Vermutlich“, entgegnete er, während er hartnäckig einen Fuß vor den anderen setzte. „Aber ich bin mir sicher, dass die Inquisitorin jede Hilfe gebrauchen kann, die sie bekommt. Wir sollten sie nicht warten lassen.“

Der Qunari seufzte.

„Sturer Vint“, brummte er.

„Und Ihr liebt mich dafür“, entgegnete Dorian und lächelte schwach.

Der Eiserne Bulle gab keine Antwort, doch er erwiderte das Lächeln und es war dabei eine überraschende Sanftheit in seinem Blick.

 

Lavellan konnte ihre Hilfe tatsächlich gebrauchen, und gemeinsam befreiten sie an diesem Tag Dutzende von Soldaten aus den Kerkern der Festung.

Es war das erste Mal, seitdem er nach Haven gekommen war, dass Dorian mit Dankbarkeit und Respekt angesehen wurde, anstatt mit Furcht und Misstrauen, und falls seine Gefährten die Tränen in seinen Augenwinkeln bemerkten, dann verloren sie kein Wort darüber.

Cullen

Die ersten Tage nach der Abreise der Inquisitorin und ihres Gefolges waren die schwersten.

Cullen konnte die warme Präsenz des Bandes zu Dorian noch immer spüren, aber sie wurde von Stunde zu Stunde schwächer, auch wenn sie nie ganz verschwand. Doch während Dorian zuvor immer in seiner Nähe gewesen war und nie weiter als ein paar Minuten entfernt, lagen nun viele Meilen zwischen ihnen, und Cullen wurde zum ersten Mal bewusst, dass er nicht würde helfen können, wenn dem anderen etwas geschah. Er musste auf die Kraft und Klugheit des Magiers vertrauen, sowie die Unterstützung seiner Gefährten.

Und obwohl er wusste, dass der andere fähig war, auf sich selbst aufzupassen, wollte das Gefühl der Hilflosigkeit nie ganz weichen, und mit jedem Tag, der verstrich, sehnte er sich mehr nach dem Moment, in dem Dorian wohlbehalten zur Himmelsfeste – und zu ihm – zurückkehren würde.

 

Um seiner inneren Anspannung etwas entgegenzuwirken, beschloss Cullen, sein Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen und Nachforschungen bezüglich der Attacken auf Dorian anzustellen.

Er war kein Narr; ihm war bewusst, dass es zu auffällig sein würde, die Templer direkt zu befragen, also beschloss er nach einiger Überlegung, ihren Hauptmann ins Vertrauen zu ziehen. Ser Barris stand seinen Leuten sehr nahe und hatte sich in der Vergangenheit als zuverlässig und aufrichtig erwiesen, und Cullen war überzeugt, dass er diese Sache diskret behandeln würde.

Umso mehr überraschte ihn der fast sorgfältig neutrale Gesichtsausdruck des Mannes, als Cullen ihn auf Dorian ansprach.

„Der Tevinteraner, Sir?“, fragte Barris vorsichtig. „Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich bin ihm schon begegnet. Was ist mit ihm?“

Cullen musterte ihn für eine Weile aufmerksam. Dass Barris so ungewohnt zurückhaltend war, ließ nur eine von drei Erklärungen zu: dass er selbst an den Angriffen beteiligt war – was Cullen stark bezweifelte –, dass er die Angreifer in Schutz nehmen wollte, oder dass er sich des Problems bewusst, aber hilflos war.

„Es liegt mir fern, die Templer als Ganzes für das, was vorgefallen ist, zur Rechenschaft zu ziehen“, entgegnete er schließlich und sah Barris ruhig an, „doch ich muss wissen, ob Euch Aussagen zu Ohren gekommen sind, die die Sicherheit von Dorian betreffen, da ich Grund zu der Annahme habe, dass weitere Übergriffe folgen werden.“

Die Augen des anderen Mannes weiteten sich, als er dies hörte.

„Beantwortete mir darum nur eine Frage...“, fuhr Cullen behutsam fort. „Könnte es sein, dass es jemand auf ihn abgesehen hat?“

Ser Barris sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann sackten schließlich seine Schultern herab und er stieß ein Seufzen aus.

„Das versuche ich selbst schon seit Wochen herauszufinden, Sir“, gestand er, offenbar erleichtert darüber, dass er jemandem seine Sorgen anvertrauen konnte. „Doch falls es einen Drahtzieher gibt, dann habe ich ihn noch nicht ausfindig machen können. Mittlerweile habe ich auch die Vermutung, dass es keine Einzelperson ist, sondern eine Bewegung, die aus Angst und Unsicherheit erwachsen ist – insbesondere seitdem wir wissen, dass der Feind, der Haven vernichtet hat, aus Tevinter stammt. Zwar versuche ich, meinen Leuten ihre Ängste zu nehmen, wo ich kann, doch der Erfolg ist bislang eher mäßig.“

Cullen nickte. Dies war eine der Erklärungen, mit denen er gerechnet hatte – und diejenige, die ihm am meisten Sorgen machte. Denn gegen einzelne Personen konnte man vorgehen, doch Zweifel und Unsicherheit waren nicht so leicht zu bekämpfen. Seit ihrer schweren Niederlage in Haven hatte die Inquisition noch keinen einzigen, großen Sieg errungen, der das Selbstvertrauen der Leute hätte stärken können. Also begannen sie, in den eigenen Reihen nach einem Sündenbock zu suchen, und es brach Cullen schlicht das Herz, dass das Los aufgerechnet auf denjenigen gefallen war, der mehr als die meisten anderen für die Inquisition geopfert hatte.

„Ich verstehe“, sagte er. „Ich bin mir sicher, Ihr tut, was Ihr könnt.“

Es gelang ihm nur mit Mühe, seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass er hier keine Lösung für das Problem finden würde.

Barris räusperte sich. „Ich, ah, war jedoch so frei, alle mir bekannten Übeltäter unauffällig an andere Stellen zu versetzen, Sir. Ich weiß, es ist nicht die feine Art...“

Deshalb hatte er in letzter Zeit also so viele Versetzungsanträge auf dem Schreibtisch gehabt. Cullens Mundwinkel zuckten. „Euch sei verziehen, Ser Barris.“

Dann sah er aus dem Fenster des Turmes hinab in den Hof.

„Ich bin gerne bereit, den Templern längere Zeiten auf dem Übungsplatz einzuräumen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, auf andere Gedanken zu kommen“, fuhr er fort. „Und ich verlasse mich darauf, dass Ihr Eure Leute regelmäßig daran erinnert, dass es Konsequenzen hat, magischen Säuberungen gegen Mitglieder der Inquisition vorzunehmen. Sollte es dennoch weitere Vorfälle geben, dann werdet Ihr diese unverzüglich an mich weiterleiten.“

„Jawohl, Sir“, erwiderte Barris und straffte die Schultern. „Danke, Sir.“

Cullen nickte ihm zu und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Barris sich erneut räusperte.

„Es freut mich, dass er wenigstens Euch akzeptiert, Sir“, sagte er, als Cullen ihn fragend ansah. „Von mir wollte der Tevinteraner keine Hilfe annehmen, doch es beruhigt mich zu wissen, dass er einen Freund in Euch gefunden zu haben scheint.“

Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch dann schien ihm bewusst zu werden, dass er damit eine Grenze überschreiten würde, und so schwieg er stattdessen.

„Habt Dank, Ser Barris“, entgegnete Cullen mit einiger Verzögerung.

Dann ging er.

 

Die Himmelsfeste war ein großer, unübersichtlicher Ort.

Es war absolut möglich, dass zwei Personen wochenlang in ihr umherlaufen konnten, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu begegnen. Dann wiederum gab es Treffen, die sich nicht vermeiden ließen, so als hätte das Schicksal selbst sie in die Wege geleitet. Und so begegnete Cullen am Abend nach seinem Gespräch mit Barris auf der Wehrmauer schließlich einer alten Bekannten, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.

„Cullen.“

„Hawke.“

Die dunkelhaarige Frau stemmte eine Hand in die Hüfte und musterte ihn.

„Ihr seht müde aus“, stellte sie fest. „Aber entspannter als beim letzten Mal, als wir uns begegneten. Nicht mehr so wütend, wie in Kirkwall.“ Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Die Inquisition scheint Euch gut zu tun.“

„Sie hat ihre Höhen und Tiefen“, erwiderte Cullen und erwiderte das Lächeln vorsichtig. „Doch es gibt viele Leute, die sie für eine gute Idee halten, mich eingeschlossen.“

„Tatsächlich? Darauf wäre ich nie von selbst gekommen, Kommandant Cullen“, sagte sie mit sanftem Spott.

„Mmh“, machte Cullen nur, dann bedeutete er ihr mit einer Kopfbewegung, sich neben ihn an die Wehrmauer zu lehnen. Hawke zögerte nur kurz, bevor sie seiner Einladung folgte.

Für eine Weile blickten sie stumm in das Tal unter der Festung hinab.

Das letzte Mal, als sie sich begegnet waren, hatten sie gemeinsam gegen Templerkommandantin Meredith gekämpft, um von Kirkwall zu retten, was noch zu retten gewesen war. Cullen erinnerte sich noch genau an Hawkes blasses, tränennasses Gesicht während jenes Kampfes. Nur wenige Stunden zuvor hatte einer ihrer Begleiter die Kirche von Kirkwall in die Luft gesprengt und Hawke, die den Verrat eines ihrer engsten Vertrauten nicht hatte fassen können, hatte über ihn gerichtet – nicht zu seinen Gunsten, wie es schien, denn Cullen hatte den Mann nie wieder gesehen. In den Jahren danach hatte er sich oft gefragt, ob der Magier mehr für sie gewesen war, als nur ein Freund, und ob dies der Grund für ihre tiefe Trauer an jenem Tag gewesen war.

Doch Fragen wie diese wären zu persönlich gewesen und hätten nur alte Wunden aufgerissen, und so behielt er seine Überlegungen für sich.

Eine Sache ließ ihn jedoch nicht los.

„... Ihr und Varric also, hm?“

Hawke lachte auf.

„Ist das tatsächlich so verwunderlich?“, fragte sie.

Cullen warf ihr einen kurzen Blick zu und zuckte dann mit den Schultern.

„Nein“, sagte er sanft. „Nein, das ist es nicht.“

Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu:

„Es freut mich, dass Ihr nach allem, was passiert ist, gemeinsam Euer Glück finden konntet.“

Hawke sah ihn erstaunt von der Seite an, als hätte sie nicht mit diesen Worten aus seinem Mund gerechnet.

„... danke“, erwiderte sie schließlich.

Dann musterte sie ihn ihrerseits aufmerksam – und oh, er kannte diesen Blick nur zu gut von seiner Schwester.

„Was ist mit Euch?“, fragte sie dann. „Habt Ihr jemanden gefunden, der diese Position erträglicher macht? Eine nette junge Frau oder...“ Sie zwinkerte ihm zu. „... einen netten jungen Mann?“

Und Cullen, der fast damit gerechnet hatte, dass sie dies fragen würde, konnte nicht verhindern, dass er rot wurde.

„Ich... ah... nun...“, stammelte er und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne.

Hawke hob überrascht die Augenbrauen. „Beim Erbauer, ist es tatsächlich ein Mann?“

Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Raunen, damit die Wache, die in diesem Moment hinter ihnen vorbeiging, sie nicht hören konnte.

„Wer ist er? Lebt er auch hier? Weiß er, was Ihr für ihn empfindet?“

Sie stupste ihn mit dem Ellenbogen an.

„Kommt, erzählt schon...!“

Hawke!

Cassandras Stimme war so frostig, dass sie Wasser hätte gefrieren können.

Cullen war noch nie so froh gewesen, sie zu hören.

Hawke drehte sich zu ihr herum.

„Lady Cassandra“, begrüßte sie die andere Frau mit einer kleinen Verbeugung. „Cullen und ich haben nur ein wenig an alte Zeiten angeknüpft.“

Cassandra musterte Cullen, der noch immer rot im Gesicht war und sich wünschte, er hätte diese Unterhaltung nie begonnen.

„Ja“, entgegnete sie. „Das sehe ich.“

Hawke lächelte nur unschuldig.

Cassandra seufzte. „Wenn Ihr uns entschuldigen würdet, Hawke, ich muss mit dem Kommandanten ein paar Dinge besprechen.“

„Gewiss.“

Hawke zwinkerte Cullen erneut zu, dann wandte sie sich ab und ging über die Wehrmauer hinüber zur Taverne.

„Was war das eben?“, fragte Cassandra, nachdem sie außer Hörweite war, und verschränkte die Arme vor der Brust.

Cullen räusperte sich. „Tu mir einen Gefallen und lass uns nicht weiter darüber sprechen.“

Cassandra hob eine Augenbraue, zuckte dann aber nur mit den Schultern.

„Wie du wünschst.“

Seite an Seite liefen sie zur großen Halle hinüber.

„Gibt es Neuigkeiten von der Inquisitorin?“, fragte Cullen, als sie den Hof überquerten.

Cassandra schüttelte jedoch nur den Kopf.

„Der Kontakt brach ab, nachdem sie den Außenposten im Fahlbruch verlassen hat, um tiefer in die Sümpfe vorzudringen“, erwiderte sie. „Aber das war zu erwarten. Lavellan wird sich melden, sobald sie etwas gefunden hat.“

Sie sah ihn aufmerksam an.

„Geht es um Dorian?“, fragte sie. „Gibt es etwas, was wir wissen sollten?“

Cullen schüttelte den Kopf. Der Name auf seiner Haut hatte sich in den letzten Tagen ruhig verhalten, was vermutlich bedeutete, dass sie auf keine größeren Widerstände gestoßen waren. Und doch wurde er das ungute Gefühl nicht los, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war...

 

Seine Vorahnung bestätigte sich nur wenige Stunden später während einer Besprechung mit Cassandra, Leliana und Josephine, als der Seelenname plötzlich warm wurde und immer stärker zu brennen begann.

Cassandra, die seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, unterbrach ihre Diskussion mit Josephine und schob Cullen mit einer kurzen Entschuldigung an die beiden Frauen hinaus in den Gang.

„Was ist los?“, fragte sie besorgt, sobald sie allein waren.

Cullen hielt sich mit zusammengebissenen Zähnen das Handgelenk, in dem der brennende Schmerz nur langsam wieder abklang.

„Ich bin mir nicht sicher“, entgegnete er. „Aber es fühlt sich an, als wäre Dorian...“

Verletzt.

Nein, das stimmte nicht ganz. Nach dem plötzlichen Schmerz kehrten die Worte auf seiner Haut zu einem schwachen, aber regelmäßigen Pulsieren zurück. Cullen hatte keine Ahnung, was dies bedeutete, und das machte ihm Sorgen.

„Cullen“, sagte Cassandra ruhig. „Ist die Inquisitorin in Gefahr?“

Er schüttelte hilflos den Kopf.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er mit rauer Stimme.

Cassandra überlegte nicht lange.

„Ich werde Leliana bitten, ihr einen Raben zu schicken und sich nach der Lage zu erkundigen.“

Sie wollte gerade die Tür öffnen, um in den Raum zurückzukehren, doch etwas ließ sie zögern.

„Leliana wird sich ihre eigenen Gedanken machen“, meinte sie. „Es tut mir leid, Cullen, aber es kann sein, dass wir sie früher oder später in dein Geheimnis einweihen müssen.“

Doch Cullen nickte nur erschöpft. Er hatte geahnt, dass es eines Tages dazu kommen würde.

„Tu, was du tun musst“, sagte er. Cassandra schenkte ihm noch einen letzten Blick, dann setzte sie sich in Bewegung.

Sollten die Berater der Inquisitorin ruhig erfahren, was ihn mit dem Tevinteraner verband. Hauptsache, Cullen hatte Gewissheit darüber, dass Dorian in Sicherheit war.

Das war das wichtigste.

 

Cullens Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Wie Leliana ihnen am nächsten Tag mitteilte, hatte es tatsächlich einen Kampf gegeben, aus dem die Inquisitorin siegreich hervorgegangen war – und in dem es ihr gelungen war, die vermissten Soldaten von ihren Peinigern zu befreien.

 

Zwei Wochen später kehrten die Inquisitorin und ihr Gefolge zur Himmelsfeste zurück, und mit ihnen die verloren geglaubten Männer und Frauen, die sie im Fahlbruch befreit hatten.

Wie immer, wenn Lavellan nach längerer Reise heimkehrte, wurde sie überschwänglich im Hof begrüßt. Doch dieses Mal wurden auch ihre engsten Begleiter von den Bewohnern der Festung mit offenen Armen empfangen und für ihre mutigen Taten gelobt.

Cullen lächelte, als er den verwirrten Ausdruck auf Dorians erschöpfter Miene sah, als ihn eine korpulente Waschfrau in die Arme zog und ihm für die Rückkehr ihres Sohnes dankte. Sie war nicht die einzige, auch andere Männer und Frauen traten an ihn heran und dankten ihm dafür, dass er ihre Angehörigen sicher zu ihnen zurückgebracht hatte.

Das Lächeln, das schließlich auf Dorians Lippen trat, als ihm klar wurde, dass sie ernsthaft über seine Hilfe erfreut waren, war das echteste, das Cullen je bei ihm gesehen hatte.

 

Es war bereits Abend und die Menge hatte sich schon längst wieder aufgelöst, als Cullen beschloss, an den inoffiziellen Feierlichkeiten zur Rückkehr der Inquisitorin in der Taverne teilzunehmen.

Zur seiner Überraschung war Dorian jedoch nicht dort, und so fragte er den Eisernen Bullen, wo er ihn finden konnte. Der Qunari warf ihm einen Blick zu, der für Cullens Geschmack viel zu wissend war, bevor er seine Frage beantwortete. Doch an diesem Abend kümmerte es ihn nicht, was der andere dachte. Nachdem er ihn wochenlang nicht gesehen hatte, wollte er einfach nur Dorians Stimme hören und sich vergewissern, dass es ihm gut ging.

Er fand den Magier schließlich halb zusammengerollt in seinem Sessel am Fenster der Bibliothek sitzen und schlafen, auf der Lehne ein aufgeschlagenes Buch.

Cullen lächelte. Die Ereignisse der letzten Wochen mussten Dorian mit neuem Ehrgeiz erfüllt haben, anders konnte er sich nicht erklären, weshalb der andere beschlossen hatte, den Feierlichkeiten fernzubleiben und sich stattdessen in seine Arbeit zu stürzen.

Er erinnerte Cullen für einen Moment fast an eine jüngere Version seiner selbst.

„Dorian“, sagte er leise und berührte den anderen sanft an der Schulter. „Dorian, wacht auf. Ich bin mir sicher, es gibt bessere Ort zum Schlafen, als die Bibliothek.“

Für einen Moment regte sich Dorian nicht, dann hob er schließlich den Kopf und warf Cullen einen verschlafenen Blick zu.

„Das halte ich für ein Gerücht“, meinte er und lächelte. „Ich habe oft genug in Bibliotheken geschlafen, um mit ihrer erholsamen Wirkung vertraut zu sein.“

Cullen hob amüsiert eine Augenbraue. „Und wie oft seid Ihr danach ohne Nackenschmerzen aufgewacht?“

Dorian stöhnte auf. „... erinnert mich nicht daran.“

Seufzend erhob er sich von seinem Sessel.

Cullen machte einen kleinen Schritt zurück, um dem Impuls, Dorian in seine Arme zu ziehen und nicht mehr loszulassen zu berühren, nicht nachzugeben.

Doch obwohl er deutlich sehen konnte, wie erschöpft der andere Mann war, wollte er sich noch nicht von ihm trennen.

„Darf ich Euch noch zu Eurem Zimmer begleiten?“

„Wie ritterlich.“ Dorians Mundwinkel hob sich. „Wie könnte ich nein sagen?“

Cullen schüttelte lächelnd den Kopf.

 

Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie die abendliche Festung durchquert hatten und an der Tür zu Dorians Zimmer angekommen waren, wo sich schließlich ihre Wege wieder trennten.

„Danke, dass Ihr mich geweckt habt.“ Dorian, der im Türrahmen lehnte, schenkte Cullen ein Lächeln. „Mein Nacken hätte es morgen sonst mit Sicherheit bereut.“

Cullen schmunzelte. „Ich habe es nur für ihn getan.“

Dorian sah ihn an. Etwas schien ihm auf der Zunge zu liegen, und Cullen begann sich zu fragen, ob er etwas Falsches gesagt hatte.

Doch schließlich seufzte der andere nur.

„Ihr seid ein seltsamer Mann, Cullen“, sagte er. „Ich werde nicht schlau aus Euch.“

Cullen erwiderte fragend seinen Blick. „Ich verstehe nicht.“

„Das hier“, meinte Dorian und machte eine Geste, die sie beide einschloss. „Euer Interesse an meinem Wohl, Eure Offenheit und Hilfe... Ihr tut all diese Dinge für mich, ohne etwas dafür zu erwarten, und ich frage mich, wieso...?“

Seine Stimme wurde leiser. „Warum ich? Ich bin niemand für Euch, Cullen.“

Und es war etwas in seiner Stimme – die Nüchternheit eines Menschen, der es gewohnt war, dass niemand sich für seine Gefühle und Bedürfnisse interessierte – die Cullen all seinen Mut zusammennehmen und nach der Hand des anderen greifen ließ.

„Dorian...“, erwiderte er ebenso leise, „Ihr seid alles für mich.“

Dann zog er seine Hand an die Lippen und presste einen Kuss auf die Fingerknöchel.

Dorian starrte ihn mit offenem Mund an.

Cullen strich sanft mit dem Daumen über den Rücken seiner Hand, dann ließ er sie wieder los.

„Ruht Euch aus, Dorian“, sagte er. „Ihr habt es Euch verdient.“

Er nickte ihm ein letztes Mal zu, dann wandte er sich ab und ging.

Lavellan

Das leise Rascheln von Papier weckte Ellana am Morgen aus dem Halbschlaf.

Schläfrig drehte sie den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah Solas neben sich auf dem Bett sitzen, Dutzende von Pergamenten um sich herum ausgebreitet, und vertieft in die Lektüre eines Manuskripts. Er war nackt bis auf seine Unterhose und das schlichte Band an seinem Handgelenk.

Für eine Weile betrachtete Ellana ihn still. Ihr Blick wanderte über die langen Beine, die er auf dem Bett ausgestreckt hatte, hinauf zu dem schlanken, aber muskulösen Oberkörper und die beim Lesen leicht nach vorne gebeugten Schultern, die ein Hauch von Sommersprossen zierte. Seine Haut war heller als die ihre, doch seine Blässe unterstrich nur die natürliche Schönheit seines Körpers, den sie letzte Nacht zum ersten Mal mit Händen und Lippen hatte erkunden können. Ein Lächeln schlich sich bei der Erinnerung daran auf ihr Gesicht, und er schien es aus dem Augenwinkel zu bemerken, denn er hob den Kopf und sah sie an.

„Guten Morgen“, sagte er und erwiderte das Lächeln. „Ich hoffe, Ihr hattet eine geruhsame Nacht?“

„Mm-hm“, machte sie nur und nickte, bevor sie sich aufsetzte, wobei sie die Decke um ihre nackten Schultern schlang.

„Auch wenn ich nicht glaube, dass nach der letzten Nacht noch Formalitäten nötig sind“, fügte sie dann schmunzelnd hinzu und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. „Wenigstens, solange wir unter uns sind.“

Er griff nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit den ihren, wobei er ihren Blick mit einer Sanftheit erwiderte, die ihr Herz schneller klopfen ließ.

„Wie du wünschst, ma vhenan.“

Sie schloss die Augen, als er sich vorbeugte und sie küsste – und oh, wie sie seine Küsse liebte. Am Anfang waren sie immer hauchzart, beinahe keusch, doch dann wurden sie fordernder und leidenschaftlicher, und als Solas schließlich wieder von ihr abließ, lag ein solches Begehren in seinem Blick, dass es ihr einen Schauer über den Rücken jagte.

„Verzeih mir“, sagte er seufzend und küsste die Innenseite ihrer Hand, bevor er sie wieder losließ. „Wenn du mir nahe bist, vergesse ich mich manchmal selbst...“

„Das ist der Plan“, erwiderte sie und lachte auf, als er vorwurfsvoll eine Augenbraue hob. Es tat gut, seine sonst so stoische Fassade zu durchdringen.

Dann sah sie auf die Pergamentrollen hinab, die das Bett bedeckten.

„Was sind das für Texte?“, fragte sie. Sie erkannte Solas' Handschrift, auch wenn sie die Worte nicht lesen konnte, da ihr die Sprache fremd war.

„Beobachtungen, die ich auf meinen Reisen gemacht habe“, entgegnete er und griff nach einem älteren, schon etwas vergilbten Blatt. „Diese hier stammt aus dem Kammwald.“

Der Kammwald. Sie fröstelte, als sie sich an ihre Reise dorthin erinnerte; an den See voller Toten und die untergegangene Stadt, die geflutet worden war, um die unliebsamen Kranken aus dem Weg zu schaffen... Sie hatte nicht zurückgeblickt, als sie dem Ort damals den Rücken gekehrt hatte, auch wenn sich die Gegend seitdem gebessert hatte, wie Harding ihr später berichtet hatte.

„Warum das plötzliche Interesse daran?“ Sie sah ihn fragend an.

„Nun...“ Er räusperte sich.

„Lady Cassandra war vorhin hier, um dir mitzuteilen, dass Hawke eine Nachricht von ihrem Kontakt bei den Grauen Wächtern bekommen hat“, erklärte er dann. „Er hat mittlerweile den Kammwald erreicht und wünscht dich dort zu treffen.“

„... oh.“ Ellanas Augen weiteten sich.

Sie versuchte sich den Ausdruck auf Cassandras Gesicht vorzustellen, als sie das Zimmer betreten und die schlafende Inquisitorin mit ihrem Liebhaber vorgefunden hatte.

„Hat... sie sonst noch etwas gesagt?“, fragte sie dann.

Solas schüttelte den Kopf. „Nein.“

Dann legte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Aber sie wurde sehr rot und ist schnell wieder gegangen.“

Ellana schmunzelte. „Du hast es genossen, gib es zu.“

„Niemals“, wehrte Solas ab, doch als sie ihn vielsagend ansah, zuckte er ergeben mit den Schultern. „... na schön, vielleicht ein wenig.“

„Hah!“, machte Ellana nur und lachte.

 

Wenig später standen sie endlich auf und zogen sich an, und so wie Ellana den Elf zuvor beobachtet hatte, so spürte sie jetzt ihrerseits seinen Blick auf sich ruhen.

Es war ein aufregendes Gefühl, begehrt zu werden, und dann auch noch von dem Mann, den das Schicksal ihr zugeteilt hatte, und von dem sie lange geglaubt hatte, dass sie ihn niemals finden würde. Doch seit dem Beginn dieser chaotischen Reise war Solas der Fels in der Brandung gewesen, auf den sie sich stützen konnte, wann immer sie an sich und ihrer Aufgabe zu zweifeln begann, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie sich nicht auch dann in ihr verliebt hätte, wenn er nicht ihr Seelenpartner gewesen wäre.

Solas warf ihr einen fragenden Blick zu, als er das Lächeln sah, das sich unbewusst auf ihre Lippen geschlichen hatte. Ellana schüttelte jedoch nur den Kopf und gab ihm im Vorbeigehen einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor sie nach ihrem Schwertgurt griff und ihn anlegte. Wenn sie den Stand der Sonne richtig eingeschätzt hatte, stand die nächste Übungseinheit mit Cullen im Hof an, und sie wollte den Kommandanten nicht warten lassen. Erst recht, da sie vermutlich den Rest des Tages damit zubringen würde, sich auf die Reise zum Kammwald vorzubereiten.

Hand in Hand stiegen sie die Treppe zur großen Halle hinab und küssten sich an ihrem Fuße ein letztes Mal, bevor sie die Tür der Halle aufstießen und ihre Wege sich für die nächsten Stunden trennten.

 

Cullen wirkte an diesem Vormittag ungewohnt unkonzentriert.

Immer wieder gelang es Ellana, mit einem geschickten Hieb seine sonst so undurchdringliche Abwehr zu überwinden und seinen Arm oder sogar seine Brust zu treffen.

Schließlich machte sie ein paar Schritte zurück und ließ kopfschüttelnd das Schwert sinken.

„So wird das nichts“, sagte sie. „Ihr seid gar nicht richtig anwesend.“

Cullen starrte sie an und sah dann auf sein Schwert hinab, als würde ihm erst jetzt bewusst werden, wo er sich befand. Dann steckte er die Klinge weg und folgte Ellana an den Rand des Übungsrings, der sofort von einer Gruppe Templern in Beschlag genommen wurde, kaum, dass sie ihn verlassen hatten.

„Was ist los mit Euch?“, fragte Ellana, während sie ihren Handschuh auszog, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. „So kenne ich Euch gar nicht.“

Cullen trank einen Schluck Wasser aus einer Flasche, wobei er sie nicht ansah.

„Es ist nichts“, entgegnete er schließlich, nachdem er die Flasche wieder abgesetzt hatte. „Macht Euch keine Sorgen.“

Ellana widerstand dem Drang, frustriert aufzuseufzen, und legte stattdessen eine Hand auf seinen Arm.

„Was es auch ist, Ihr könnt es mir sagen“, sagte sie sanft. „Ihr seid mein Freund, Cullen, es würde mir nie in den Sinn kommen, Euer Vertrauen zu missbrauchen. Alles, was ich will, ist Euch zu helfen.“

Er sah sie einen Moment lang zögernd an, dann seufzte er schließlich und nickte. Er sah kurz zu den Templern hinüber, von denen einige ihnen bereits neugierige Blicke zuwarfen, dann deutete er auf die Treppe, die zur Mauer hinaufführte.

„Lasst uns auf die Wehrmauer gehen, dort sind wir ungestört.“

„Wie Ihr wünscht“, sagte Ellana und folgte ihm.

 

„Ich... ah... weiß nicht so recht, wie ich beginnen soll“, sagte Cullen, während er den Blick über die schneebedeckten Gipfel der Berge schweifen ließ.

Ellana drängte ihn nicht, sondern wartete geduldig, bis er sich gefasst hatte und schließlich fortfuhr:

„Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht.“

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, als ein eisiger Wind vom Tal hinaufwehte.

„Was für einen Fehler?“, fragte sie behutsam.

Er schwieg für eine Weile, dann löste er den Blick von den Bergen und sah sie an.

„Ihr wisst um meine Verbindung zu Dorian“, entgegnete er.

Sie nickte. „Ihr tragt seinen Namen.“

„Ja.“ Er seufzte. „Und es... kann sein, dass ich letzte Nacht meine Gefühle ihm gegenüber deutlich gemacht habe.“

„Oh!“ Sie hob überrascht die Augenbrauen. „Wie hat er reagiert?“

„Da liegt das Problem“, erwiderte er und rieb sich den Nacken. „Ich weiß es nicht. Ich bin gegangen, bevor er mir eine Antwort geben konnte.“

Er senkte den Blick. „Was er jetzt nur von mir denken muss... Ich hätte niemals etwas sagen sollen.“

Ellana musterte ihn für eine Weile, ohne etwas zu erwidern. Tausend Fragen lagen ihr auf der Zunge, doch eine drängte sich schließlich in den Vordergrund.

„Wünscht Ihr Euch denn eine Beziehung mit ihm?“, fragte sie.

„Ich... verstehe nicht.“

„Cullen...“ Ellana trat einen Schritt näher und sah ihm in die Augen.

Mögt Ihr ihn?“, fragte sie sanft.

„Ja“, sagte er ohne Zögern und erwiderte offen ihren Blick.

„Und wollt Ihr mehr als nur ein Freund für ihn sein?“

„Ja.“

„Was ist dann das Problem?“, fragte sie leise.

„Ich...“

Er schien sie nicht länger ansehen zu können und wandte sich ab, wobei er sich nervös mit einer Hand durch die Haare fuhr.

„Ich weiß so gut wie nichts über ihn“, entgegnete er schließlich. „Ich weiß nicht, ob er seine anzüglichen Bemerkungen ernst meint oder ob er nur Abwechslung sucht, während sein Seelenpartner in Tevinter auf seine Rückkehr wartet. Ich weiß nicht, wie er reagieren wird, wenn er den Namen sieht – und ob ich es ertragen könnte, ihn wieder nach Tevinter zurückkehren zu lassen, wenn all dies vorbei ist. Ich...“ Er ließ hilflos die Hand sinken. „Ich weiß schlichtweg nicht, ob es eine gute Idee ist, ihm auf die Art nahe zu sein, wie ich es mir wünsche... oder ob es ihn am Ende nur verletzen würde.“

Ellana nickte. Manche dieser Fragen hatte sie sich auch bei Solas oft gestellt.

„Ich verstehe Eure Zweifel“, sagte sie. „Ihr wünscht Euch mehr Sicherheit, bevor Ihr den nächsten Schritt wagt...“

„Ich will nur, dass er glücklich ist, Ellana.“ Cullens Stimme war leise und es lag eine Entschlossenheit in seinem Blick, die ihr das Herz brach. Sie zweifelte nicht daran, dass er auf sein eigenes Glück verzichten würde, solange er nur die Sicherheit hatte, dass es Dorian gut ging.

„Und Ihr glaubt, dass er es bei Euch nicht wäre?“, fragte sie.

Cullen schwieg, womit er ihre Frage beantwortete.

„Woher wollt Ihr wissen, ob es funktionieren wird, wenn Ihr dem Ganzen keine Chance gebt?“, fuhr sie mitfühlend fort. „Selbst wenn es am Ende nicht klappen sollte... ist die Gewissheit darüber denn nicht besser, als es nicht einmal versucht zu haben?“

Sie senkte die Stimme.

„Ich würde die Zeit mit Solas nicht missen wollen, wie auch immer dieser Krieg ausgehen mag“, sagte sie. „Und auch Ihr habt es verdient, glücklich zu sein, Cullen...“

Sie legte eine Hand auf seinen Rücken. „Sprecht mit ihm. Nicht nur, weil Ihr ihm eine Erklärung schuldig seid... sondern auch Euch selbst.“

Er sah sie lange an und nickte schließlich, und Ellana spürte seine Erleichterung darüber, endlich eine Entscheidung getroffen zu haben.

„Danke“, sagte er leise, „dafür, dass Ihr meinen Sorgen Gehör geschenkt habt.“

„Es gibt nichts zu danken“, erwiderte sie lächelnd. „Ich wünsche Euch viel Glück, Cullen.“

Ellana sah ihm nach, als er sich abwandte und die Treppe in den Hof hinabstieg. Sie selbst blieb noch für eine Weile auf der Wehrmauer stehen und sah auf das Heerlager der Inquisition hinab, das sich unterhalb der Mauern ausbreitete und Tag für Tag an Größe gewann. Schließlich kehrte sie ihm den Rücken zu und ging mit einem Lächeln auf den Lippen zurück zur Festung.

 

„Ich habe gehört, dass sich der Kommandant heute in einer privaten Angelegenheit an dich gewendet hat“, sagte Solas an diesem Abend, als Ellana nach den Vorbereitungen für ihre nächste Reise in ihr Turmzimmer zurückgekehrt war.

Sie lehnte sich zurück, als er von hinten die Arme um sie schlang und das Kinn auf ihre Schulter legte.

„Das ist richtig“, entgegnete sie. „Und ich habe ihm Diskretion versprochen.“

Er küsste ihre Schläfe und sie spürte, wie sich dabei ein Lächeln auf seine Lippen legte.

„Keine Sorge“, meinte er. „Ich habe nicht die Absicht, nach seinen Geheimnissen zu fragen. Ich bin mir sicher, er hatte seine Gründe.“

„Ja“, sagte sie und seufzte. „Die hatte er allerdings...“

Sie drehte sich in seinen Armen herum und schmiegte die Wange an seine Schulter.

Er hielt sie fest und für eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort.

Schließlich hob Ellana den Kopf.

„Sag, ma vhenan... was wirst du tun, wenn der Krieg vorbei ist?“

Solas' Miene war unergründlich, als er über diese Frage nachdachte.

„Was auch immer passiert“, antwortete er schließlich und lehnte den Kopf an ihre Stirn, „nichts würde mich glücklicher machen, als dich an meiner Seite zu wissen.“

Ihr Herz machte einen Sprung bei diesen Worten.

Das Gespräch mit Cullen hatte sie für einen Augenblick nachdenklich gemacht, doch als sie nun die grenzenlose Zuneigung in Solas' Augen sah, fragte sie sich, wie sie jemals hatte zweifeln können.

Sie hob eine Hand und legte sie sanft an seine Wange.

„Und ich dich an meiner“, entgegnete sie leise.

Er schenkte ihr ein kleines Lächeln, dann küsste er sie.

Ar lath ma, dachte Ellana und schloss die Augen, während sie die Arme um seinen Hals schlang. Nichts soll uns jemals trennen.

 

Sie ahnte nicht, wie sehr sie sich irrte.

Dorian

„Nur eine Nacht.“

Dorian biss die Zähne zusammen. „Nein.“

„Mehr verlange ich nicht von dir.“

„Ich sagte nein.“

„Dorian...“

„Vater.”

Halward Pavus seufzte auf. „Sei nicht unvernünftig. Warum machst du es dir so schwer?“

„Weil ich über ein Mindestmaß an Selbstwürde verfüge?”, gab Dorian zurück und warf seinem Vater einen herausfordernden Blick zu.

Dieser schüttelte jedoch nur ergeben den Kopf.

Dann versuchte er es erneut.

„Livia ist eine gute Wahl für dich. Sie ist wohlhabend, gebildet...“

„... und hasst mich“, warf Dorian ein.

„... und bereit, zu tun, was nötig ist“, fuhr sein Vater ungerührt fort. „Im Gegensatz zu dir.“

Die Bemerkung brachte Dorian jedoch nur zum Lachen.

„Wenn mein Wert in deinen Augen einzig und allein davon abhängt, ob ich gewillt bin, eine Frau zu schwängern, die ich verachte, dann solltest du deine Prioritäten überdenken, Vater“, entgegnete er. „Und wenn du schon mal dabei bist, am besten auch gleich deine Menschlichkeit.“

Für einen kurzen Moment blitzte Wut in den Augen seines Vaters auf, und es erfüllte Dorian mit einer fast gehässigen Freude, dass es ihm gelungen war, mit seinen Worten eine solche Gefühlsregung bei ihm hervorzurufen.

Doch dann verschwand die Wut wieder, und Halward Pavus wandte sich mit bedauernder Miene ab.

„Wie du willst“, sagte er mit einer Traurigkeit, als wäre er der Betroffene, und nicht Dorian. „Dann lässt du mir keine andere Wahl.“

Mit einem Krachen fiel die schwere Tür hinter ihm ins Schloss, und das leise Klicken, das daraufhin folgte, sagte Dorian, dass sein Vater ihn erneut eingeschlossen hatte.

Doch er wusste, dass er wiederkommen würde, um ihn erneut anzuflehen. Vielleicht nicht heute, aber mit Sicherheit morgen. Und übermorgen. Und all die Tage danach, so lange, bis Dorian entweder den Verstand verlor oder ihm die gewünschte Antwort gab.

Doch an diesem Punkt waren sie noch lange nicht angekommen. So leicht konnte Dorians Wille nicht gebrochen werden. Er würde ausharren und beobachten und auf seine Gelegenheit warten... und dann würde er verschwinden und nie wieder zurückblicken.

Dorian legte sich auf sein Bett und schloss die Augen.

Und wartete.

 

„Es hätte nicht so weh getan, wenn Ihr ihn nicht immer noch geliebt hättet“, vernahm Dorian ein leises Murmeln neben sich, als er am nächsten Morgen erwachte.

Er schlug die Augen auf und blinzelte die Tränen weg, die sich in seinen Augenwinkeln gesammelt hatten und seine Sicht verschwimmen ließen. Die Erinnerungen an seinen Traum verflüchtigten sich schnell, doch was weiterhin blieb, war ein fast schon erdrückendes Gefühl der Einsamkeit.

„Wer...?“, stieß er mit rauer Stimme hervor und drehte den Kopf.

Helle, blaue Augen erwiderten seinen Blick aus einem bleichen Gesicht, das von strähnigem, weißblondem Haar umrahmt war.

„Cole?“

Der Junge legte den Kopf schief.

„Ihr irrt Euch“, sagte er. „Ihr seid längst nicht mehr so allein, wie Ihr es damals wart.“

Dorian schloss die Augen und atmete tief durch. Er hatte gerade nicht die Nerven für Coles kryptische Bemerkungen, doch er wollte den Jungen auch nicht anfahren. Er hatte mittlerweile oft genug mit ihm zu tun gehabt, um zu wissen, dass dem jungen Mann nicht immer bewusst war, was für eine Wirkung seine gedankenlosen Kommentare auf andere hatten.

„Geh von meinem Bett runter“, sagte er schließlich leise.

Cole kam seiner Aufforderung unverzüglich nach und trat ein paar Schritte von seinem Bett zurück.

Dorian ignorierte sein Starren, während er aufstand und begann, sich anzukleiden.

„Was tust du hier?“, fragte er, als er seine Weste überstreifte.

„Varric hat gesagt, ich soll schlafen“, erzählte Cole. „Ich habe es für eine Weile versucht, aber je leerer ich meinen Kopf gemacht habe, desto mehr konnte ich hören.“ Er zögerte kurz. „Und niemand war so laut wie Ihr.“

„Tatsächlich“, erwiderte Dorian nur, während er nach seinen Armstulpen griff.

„Ja.“ Cole nickte eifrig. „Ihr wart laut, weil Ihr von Eurem Vater geträumt hat, der Dinge zu Euch gesagt hat, die Euch sehr verletzt haben...“

Dorian seufzte. „Cole...“

„Und weil Euch die Worte des Kommandanten nicht aus dem Kopf gegangen sind“, fuhr der Junge fort.

Dorian erstarrte. Für einen kurzen, wundervollen Moment war es ihm gelungen, sie zu verdrängen, doch jetzt, wo Cole es erwähnte, kehrten mit einem Mal seine Erinnerungen an die letzte Nacht zurück.

Ihr seid alles für mich.

„Genau!“, rief Cole. „Das waren seine Worte.“

Dorian hatte die halbe Nacht wachgelegen und sich gefragt, was sie bedeuteten.

Und wie jemand, der so anständig und diszipliniert und unverdorben war, wie Cullen, sie hatte sagen können – sie ausgerechnet zu jemandem wie Dorian hatte sagen können.

Sicher, er genoss es, mit dem anderen Mann zu flirten und anzügliche Bemerkungen zu äußern, nur um ihn erröten zu sehen... doch er zweifelte nicht daran, dass Cullen seinem Seelenpartner treu ergeben war, und nicht im Traum daran denken würde, ihn zu verraten.

Darum hatte er sich auf Cullens Bemerkung keinen Reim machen können. Doch er war in jenem Moment einfach zu perplex gewesen, um ihm nachzugehen und eine Erklärung von ihm zu verlangen. Stattdessen hatte er stundenlang auf seinem Bett gelegen und die Zimmerdecke angestarrt, und versucht zu begreifen, was den Kommandanten dazu bewegt hatte, diese Dinge zu sagen.

„Der Name“, sagte Cole plötzlich mit einem Ernst, der Dorian aufblicken ließ. „Er sagte es, weil es die Wahrheit war.“

„Der Name?“, fragte Dorian. „Welcher Name...?“

Ein Klopfen an der Tür ließ sie beide innehalten.

„Fragt ihn selbst“, wisperte Cole dann.

Dorian wandte sich mit verwirrter Miene zu ihm um, doch von dem Jungen fehlte auf einmal jegliche Spur. Es war, als hätte er sich von einem Augenblick zum anderen in Luft aufgelöst.

Typisch.

„... ja?“, rief Dorian, als sich das Klopfen wiederholte und ihm einfiel, dass eine Reaktion von ihm erwartet wurde.

Ein leises Räuspern ertönte.

„Ich bin es“, kam schließlich die Antwort, und er erkannte Cullens Stimme. „Ich glaube, wir sollten reden...“

 

Dorian wusste selbst nicht so genau, weshalb er ihm die Tür öffnete.

Cullen wollte mit ihm sprechen, und wenn Dorian eines hasste, dann war es über seine Gefühle zu reden. Doch dieses Mal spürte er, dass er um dieses Gespräch nicht herumkommen würde. Dafür kannte er Cullen mittlerweile zu gut – wenn sich der Kommandant einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann würde er nicht nachgeben, bis er sein Ziel erreicht hatte.

Und so setzte er sich nur auf sein Bett und wartete geduldig, während Cullen nervös in seinem Zimmer auf- und abging und sich dabei mit der Hand durch die Haare fuhr.

„Mir... ist bewusst geworden, dass es nicht fair von mir war, Euch nach meinen Worten letzte Nacht einfach stehenzulassen“, begann Cullen schließlich. „Ich bin mir sicher, Ihr habt viele Fragen, was meine Äußerungen angeht...“

„Nicht wirklich“, entgegnete Dorian und erwiderte gelassen Cullens überraschten Blick. „Es gibt nur eine Frage, auf die ich eine Antwort wünsche...“

„Gewiss.“ Der andere nickte. „Wie lautet sie?“

Dorians Mundwinkel hoben sich zu einem anzüglichen Lächeln.

„Wenn Ihr Euch vergnügen wollt, wieso habt Ihr nicht schon früher etwas gesagt? Ich bin mir sicher, wir hätten etwas arrangieren können.“

Cullen starrte ihn einen Moment lang ungläubig an. Dann ließ er die Hand sinken und wandte sich ab, als konnte er seinen Blick nicht länger ertragen.

Dorian zog fragend eine Augenbraue hoch. War es nicht das, worauf Cullens Bemerkung hinauslief...?

„Ich befürchte, Ihr missversteht mich“, entgegnete der Kommandant schließlich nach langem Schweigen.

Er wandte sich erneut zu Dorian um.

„Ich habe nicht vor, Euch auszunutzen, nur um mir Befriedigung zu verschaffen“, fuhr Cullen fort. „Ich will mehr, als nur eine Nacht mit Euch.“

Er kniete sich vor Dorian auf den Boden, so dass sie auf gleicher Augenhöhe waren, und nahm seine Hände in die seinen.

„Als ich sagte, dass Ihr alles für mich seid, habe ich es auch so gemeint“, sagte er leise. „Ich wünsche mir nicht nur, Euch nahe zu sein, sondern auch jemand zu sein, der Eurer Freundschaft und Liebe würdig ist.“

Dorian blinzelte. Seine Kehle fühlte sich mit einem Mal ganz trocken an.

Bat Cullen ihn tatsächlich um das, was er vermutete?

Und war Dorian überhaupt in der Lage, es ihm zu geben...?

„Ihr verlangt viel von mir, Cullen“, erwiderte er schließlich mit rauer Stimme. „Ich weiß nicht, ob ich Euch diesen Wunsch erfüllen kann.“

„Ich weiß.“ Cullen lächelte schüchtern und strich mit dem Daumen über die empfindliche Innenseite seiner Hand. Ein Schauer lief bei der sanften Berührung über Dorians Rücken.

„Alles, was ich will, ist, dass Ihr dem hier eine Chance gebt“, sprach der andere dann. „Was den Rest angeht... Ich kann warten.“

Und er neigte sich vor und gab Dorian einen zaghaften Kuss. Es war nicht mehr als eine flüchtige Berührung ihrer Lippen, die vorbei war, bevor Dorian überhaupt wusste, was geschehen war.

Kaum hatte Cullen sich wieder zurückgezogen, senkte er den Kopf und machte Anstalten, sich zu erheben.

Dorian starrte ihn fassungslos an.

„Oh, Ihr macht mich rasend“, fluchte er leise. Dann vergrub er eine Hand in Cullens blonden Locken und zog ihn zu sich heran, bevor er sein Kinn mit der anderen Hand festhielt und ihn erneut küsste.

Und an diesem Kuss war nichts mehr zurückhaltend.

Cullen japste leise auf, als Dorians Zunge sacht über seine Lippen fuhr, bevor sie sie schließlich teilte und in seine Mundhöhle vordrang. Er hatte wenig Erfahrung im Küssen, das erkannte Dorian schnell, doch das hinderte ihn nicht daran, mit großem Eifer Dorians Bewegungen zu imitieren und ihn in ein Zungenspiel zu verwickeln, das sie schließlich beide atemlos und mit geröteten Wangen zurückließ.

Cullens Augen hatten sich während des Kusses geschlossen, doch nun öffnete er sie wieder und sah Dorian einen Moment lang mit Erstaunen an.

Dann begann er zu lächeln, und es war, als würde die Sonne aufgehen.

„... war das ein Ja?“, fragte er leise und legte seine Hand auf die des anderen.

Dorian senkte den Blick.

„... Andraste steh mir bei“, raunte er.

Dann räusperte er sich und sah in die warmen, honigfarbenen Augen des anderen Mannes.

„Ja, Cullen“, wiederholte er und verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Ich will es versuchen.“

Cullen

Cullens Herz machte einen Sprung, und er wurde das Gefühl nicht los, dass er wie ein Narr von einem Ohr zum anderen grinste.

Dorian hatte eingewilligt – sein Seelenpartner hatte eingewilligt – ihm eine Chance zu geben. Nichts hätte ihn glücklicher machen können.

Cullen drehte das Gesicht zur Seite und küsste Dorians Hand.

„Danke“, wisperte er.

Dann erhob er sich langsam und rieb sich verlegen den Nacken. Seine Selbstsicherheit war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war, und nun wusste er nicht so recht, wie er fortfahren sollte.

„Ich, ah, hoffe, Ihr werdet es nicht bereuen“, murmelte er.

Dorian warf ihm einen vage amüsierten Blick zu. „Oh, ich bin mir sicher, Ihr werdet Mittel und Wege finden, um es interessant zu machen.“

Cullen wusste für einen Moment nicht, was er daraufhin erwidern sollte, und platzte dann mit der erstbesten Sache heraus, die ihm in den Sinn kam.

„Hättet Ihr Lust, Euch heute Abend mit mir im Garten zu treffen? Zum Schachspiel?“

Dorian hob die Augenbrauen und sah ihn einen Moment lang überrascht an. Dann legte sich ein fast schon verruchtes Lächeln auf seine Lippen und er lehnte sich zurück.

„Zum Schachspiel, hm?“, fragte er. „Ist das der Name, den die jungen Leute heutzutage dafür haben, oder nennt man es nur in Ferelden so?“

Dorian...!“ Cullen stieß ein Seufzen aus, doch er konnte nicht verhindern, dass seine Wangen bei den Worten des anderen warm wurden.

Dorian lachte nur.

„Verzeiht mir“, erwiderte er. „Ich konnte nicht widerstehen. – Natürlich treffe ich mich gerne heute Abend mit Euch, Cullen. Wann wäre es Euch recht?“

Erleichterung machte sich in Cullen breit.

„Nach der Abendmesse“, schlug er vor. „Ich werde jemanden schicken, um Euch abzuholen.“

Dorian dachte kurz nach und nickte schließlich. „In Ordnung.“

Dann stand er auf und trat an Cullen heran.

„Ich freue mich schon“, sagte er leise, bevor er ihm einen Kuss auf die Lippen gab.

Er war kurz, aber warm und überraschend zärtlich. Ein Versprechen.

Cullen spürte ein seltsames Ziehen in der Brust und musste sich beherrschen, um ihn nicht erneut zu küssen.

„Dann also bis heute Abend“, entgegnete er stattdessen und deutete eine Verbeugung an, bevor er sich abwandte und ging.

 

„Ich brauche deine Hilfe.“

Cassandra saß auf ihrem Bett, ihr Schwert quer über die Knie gelegt. In der Hand hielt sie ein Tuch, mit dem sie die Klinge polierte.

Als sie Cullens Worte hörte, verharrte ihre Hand für einen Moment in der Luft.

„Hast du Fieber?“, fragte sie dann, bevor sie ihre Tätigkeit fortsetzte.

Cullen blinzelte. „Wie bitte?“

„Bist du krank?“, fuhr Cassandra mit ernster Miene fort. „Muss ich deine Schwester kontaktieren?“

Cullens Verwirrung nahm zu.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

Cassandra hob vielsagend eine Braue, und erst jetzt bemerkte Cullen das kleine Lächeln, das um ihre Lippen spielte.

„... oh“, sagte er und rieb sich den Nacken. „Hah. Sehr witzig.“

„Verzeih“, entgegnete Cassandra. „Ich kann nur nicht glauben, dass ich gerade tatsächlich diesen Satz aus deinem Mund gehört habe. Es muss wirklich dringend sein.“

Cullen wandte den Blick ab. „Es... geht um Dorian.“

„Ah“, machte Cassandra. Dann legte sie Tuch und Schwert beiseite und erhob sich. „Das erklärt natürlich alles.“

„Ich...“ Cullen gab einen frustrierten Laut von sich. „So habe ich es nicht gemeint...“

Er seufzte. „Entschuldige. Ich hätte nicht herkommen sollen.“

Cullen.“

Cassandra legte eine Hand auf seinen Arm.

„Das sollte kein Vorwurf sein“, sagte sie sanft. „Ich freue mich, dass Dorian dir wichtig genug ist, um nach Hilfe zu fragen.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Also. Was brauchst du?“

Cullen sah sie einen Moment lang stumm an und fragte sich nicht zum ersten Mal, womit er ihre Freundschaft und Loyalität verdient hatte.

Dann überwand er seine Zurückhaltung und erwiderte:

„Wir, ah... wollen uns heute Abend im Garten zu einer Schachpartie treffen. Ich würde es gerne zu einem besonderen Abend machen, doch ich habe keine Ideen, wie ich das anstellen soll. Hast du vielleicht ein paar Vorschläge...?“

Cassandra erwiderte für eine Weile wortlos seinen Blick, doch dann trat ein Funkeln in ihre Augen.

„Ein romantischer Abend also, hm?“, fragte sie. „Ich glaube, da bist du genau an der richtigen Stelle...“

 

Der Rest des Tages schien sich zäh wie Sirup hinzuziehen.

Auf seinem Schreibtisch erwarteten Cullen ein Berg von Schriftstücken, die gelesen und beantwortet werden mussten, sowie ein Brief an seine Schwester, den er schon vor Wochen begonnen, aber bislang nicht fertiggestellt hatte. Er ignorierte ihn fürs Erste und kümmerte sich stattdessen um die Bearbeitung der restlichen Briefe und Berichte, womit er für die nächsten Stunden beschäftigt war.

Doch als er am späten Nachmittag das letzte Dokument beantwortet hatte, lag der Brief noch immer auf seinem Tisch und schien ihn beinahe vorwurfsvoll anzustarren. Seufzend nahm Cullen schließlich den Papierbogen in die Hand und überflog die Zeilen, die er bislang verfasst hatte.

 

Mia,

danke für die warmen Worte in deinem letzten Brief.

Ich weiß, dass du dich um mich sorgst, doch ich kann dich beruhigen: es geht mir gut. Gewiss befinde ich mich in einer sehr verantwortungsvollen Position, und es gibt immer viel zu tun, doch ich bin glücklicher damit, als ich es je war, seitdem ich unsere Heimat verlassen habe. Es mag schwer vorstellbar sein, jetzt, da ich den Templern den Rücken gekehrt habe, doch ich vermisse den Orden nicht so sehr, wie ich gedacht hätte. Ich glaube sogar, dass ihn zu verlassen die beste Entscheidung war, die ich je getroffen habe...

 

Cullen hielt inne.

Ihn überraschte die Offenheit in diesen Zeilen. Mia war zwar seine Schwester, mit der er von klein auf jedes Geheimnis geteilt hatte, doch in den letzten zehn Jahren – und besonders während seiner Zeit in Kirkwall – hatten sie sich immer mehr voneinander distanziert, was hauptsächlich seine Schuld gewesen war, und Mia hatte oft über seine kurzen, unpersönlichen Briefe geklagt.

Erst nachdem er der Inquisition beigetreten war, war die Kommunikation von seiner Seite aus wieder herzlicher geworden, und seitdem sie die Himmelsfeste erreicht hatten, hatten Mias Beschwerden gänzlich nachgelassen. Manchmal fragte sich Cullen, ob es etwas mit dem Moment zu tun hatte, in dem er Dorian getroffen hatte...

Cullen überlegte schon seit Monaten, ob er seiner Schwester mitteilen sollte, dass er seinen Seelenpartner gefunden hatte. Doch es bestand immer die Gefahr, dass seine Briefe abgefangen wurden, bevor sie seine Familie erreichten, und sollten Gegner der Inquisition Kenntnis über die Identität seines Partners erlangen, würden sie diesen Fakt zweifellos gegen ihn verwenden. Und Cullen hatte nicht vor, Dorian in Gefahr zu bringen.

Doch jetzt, da er wusste, dass seine Zuneigung zu Dorian auf Gegenseitigkeit beruhte und der Tevinteraner ihn als Partner in Betracht zog, wäre es nur zu fair, Mia zumindest über die Existenz seines Seelenpartners in Kenntnis zu setzen. Soviel war er seiner Schwester schuldig, die mehr als jeder andere an seinem Wohlergehen interessiert war. Und wenn er es ihr nicht direkt sagen konnte, dann gab es vielleicht eine andere Möglichkeit, ihr mitzuteilen, dass er Dorian gefunden hatte...

Plötzlich kam Cullen eine Idee. Mia und er hatten als Kinder oft über ihre Seelenpartner spekuliert, wobei sie sich immer auf dem Dachboden der Scheune versteckt hatten, wo sie niemand belauschen konnte.

Was vermutlich auch das Beste war, dachte Cullen mit einem Lächeln, denn für seine Schwester hatte viele Jahre lang absolut kein Zweifel daran bestanden, dass ihr Partner niemand anderes als der König von Ferelden war. Er erinnerte sich noch gut an ihre Enttäuschung, als sie herausfand, dass dem nicht so war.

Wenn er eine Anspielung auf jene geheimen Konferenzen in der Scheune machte, würde Mia sicherlich verstehen, was er damit andeuten wollte...

Cullen überlegte eine Weile, dann griff er nach der Feder und begann zu schreiben.

 

Er hatte den Brief gerade versiegelt und einem der Boten aufgetragen, ihn zu Leliana zu bringen, als ein Pochen ertönte.

„Herein!“, rief Cullen, der gerade dabei war, etwas Ordnung auf seinem Schreibtisch zu schaffen und die Bücher, die er nicht länger benötigte, wieder an ihren Platz ins Regal zu stellen.

Er hörte, wie sich die Tür öffnete und jemand schweren Schrittes in den Raum trat.

„Wie kann ich Euch behilflich sein?“, fragte Cullen über die Schulter hinweg, bevor er die letzten beiden Bände zurück ins Regal schob.

„Das wollte ich Euch gerade fragen“, erwiderte eine tiefe Stimme, und verwundert drehte Cullen sich um.

Die massige Gestalt des Eisernen Bullen lehnte an seinem Schreibtisch, die Arme vor der breiten Brust verschränkt.

Cullens Überraschung hielt jedoch nicht lange an. Ohne sich von der überlegenen körperlichen Präsenz des anderen beeindrucken zu lassen, kehrte er zu seinem Sessel zurück und ließ sich darauf nieder.

„Ich befürchte, ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht“, sagte er ruhig.

Das Auge des Qunari funkelte ihn an.

„Tatsächlich“, entgegnete er. „Also habe ich mir Euer Interesse an dem Vint wohl nur eingebildet...“

Die pure Impertinenz dieser Aussage weckte Cullens Zorn. Als hätte der andere das Recht, ihn über seine Beziehung zu Dorian auszufragen...!

„Was zwischen ihm und mir passiert, geht nur uns beide etwas an“, sagte er mit gefährlich leiser Stimme.

Doch die Worte ließen den anderen nur auflachen.

„Oh, versteht mich bitte nicht falsch“, meinte der Eiserne Bulle. „Ich habe keineswegs vor, Euch in Eure Angelegenheiten reinzureden.“

Er senkte die Stimme.

„Aber Dorian ist auch mein Freund. Ich weiß, dass er oft den Eindruck macht, als könnte ihn nichts erschüttern, doch sein Herz ist fragiler, als es den Anschein hat, und ich wollte einfach wissen, wie ernst es Euch mit ihm ist.“

Cullen gab keine Antwort.

Er wusste nicht, wie nahe sich die beiden gekommen waren, während er selbst noch mit seinen Gefühlen gehadert hatte, doch er vermutete, dass er sich, wäre er in der Rolle des besorgten Freundes – oder womöglich sogar des ehemaligen Liebhabers – ähnliche Gedanken machen würde. Doch er konnte dem anderen schlecht sagen, dass Dorian sein Seelenpartner war, so weit ging seine Sympathie für ihn dann doch nicht.

Stattdessen hob er den Kopf und sah dem anderen offen ins Gesicht, bevor er erwiderte:

„Sehr ernst.“

Und es musste etwas in seinem Blick gewesen sein, das den Qunari überzeugte, denn er nickte nur und stieß sich dann vom Schreibtisch ab.

„Ich glaube Euch“, sagte er.

Mit einem Seufzen kratzte er sich am Kinn. „Ich hoffe, Ihr könnt mir diesen plötzlichen Überfall verzeihen. Manchmal ist Angriff die beste Verteidigung, und Dorian...“

Er zuckte mit den Schultern. „Nun, ich brauche Euch sicher nicht sagen, dass er es wert ist.“

Cullen lächelte schwach, während er hoffte, dass das Gespräch endlich ein Ende hatte. „Das ist er.“

„Schön, dass wir uns da einig sind“, meinte der Eiserne Bulle gutgelaunt und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, der ihn fast aus dem Sessel schleuderte.

Und Cullen kam plötzlich eine Idee, als er zu dem Qunari aufblickte. Es mochte nicht die feine Art sein, doch es würde die Fronten vielleicht endlich ein für alle Mal klären.

„Sagt...“, begann er und der Eiserne Bulle warf ihm einen fragenden Blick zu, „könnte ich Euch vielleicht um einen Gefallen bitten...?“

Solas

„Warum eigentlich ‚Lavellan‘...?“

Es war der letzte Nachmittag vor ihrer Reise zum Kammwald, und sie saßen gemeinsam in einem der Zelte der Heiler, nachdem Lavellan Solas gebeten hatte, ihr zu zeigen, wie man Heiltränke zubereitete. Es war eine Arbeit, die die Hände beschäftigte und Solas mit einem inneren Frieden erfüllte, und der entspannten Miene Lavellans nach zu urteilen, empfand auch sie die Stille bei der Arbeit als angenehm.

Als sie seine Stimme vernahm, sah die junge Elfe, die gerade dabei war, die Wurzeln mehrerer Heilpflanzen mit dem Messer zu zerkleinern, von ihrer Tätigkeit auf.

„Hm...?“

„Warum der Name Lavellan?“, wiederholte Solas seine Frage, während er die Blätter von einem Elfenwurzeltrieb entfernte. „Du erzähltest mir einst, dass du dich mehr mit den Stadtelfen identifizierst, als mit den Dalish. Dennoch hast du den Namen deines Vaters angenommen...“

„Ah.“ Lavellan nickte verstehend und senkte dann den Blick, wobei sie auf das flackernde, grüne Mal auf ihrer Hand herabsah.

„Es klingt vermutlich naiv, aber... Ich nahm den Namen damals an, als ich der Stadtwache beitrat. Ich tat es, weil ich... ich hoffte...“ Sie seufzte. „... wenn ich mir nur den Respekt der Bürger erarbeiten und mir einen Namen machen würde, dann würde sich mein Ruf vielleicht eines Tages auch über die Grenzen von Denerim hinaus verbreiten. Würde vielleicht sogar bis zum Clan selbst vordringen...“

Solas verstand.

„Du hast gehofft, dein Name würde deinen Vater erreichen“, sagte er leise.

„Ich war so jung, als er uns verließ, dass ich keine Erinnerungen an ihn habe“, entgegnete Lavellan. „Doch er ist die einzige Familie, die ich noch habe, und ich dachte... ich dachte, es wäre zumindest einen Versuch wert.“

Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Furchtbar idealistisch, ich weiß.“

Doch Solas schüttelte nur den Kopf.

„Es ist keine Schande, Hoffnung zu bewahren“, sagte er sanft. „Gerade wenn es um Familie geht.“

Lavellan sah ihn an, und dieses Mal erreichte das Lächeln auch ihre Augen.

Solas erwiderte es.

Und er fühlte sich dabei wie ein Monster.

Er hatte einen anderen Grund hinter der Wahl des Namens vermutet. Er hatte nicht erwartet, dass die junge Frau ihn gewählt hatte, um ihren Vater zu erreichen...

... sondern um seiner zu gedenken.

Denn Clan Lavellan existierte nicht mehr.

Ein Fieber hatte den Großteil des Clans vor wenigen Jahren dahingerafft, und der Rest war den stetigen Anfeindungen durch die Bewohner der benachbarten Dörfer zum Opfer gefallen.

Solas hatte auf seinen Reisen nur durch Zufall davon erfahren, und auch wenn er keine hohe Meinung von den Dalish hatte, so hatte ihn der Verlust eines ganzen Clans doch schwer getroffen und ihn einmal mehr in dem Beschluss bestärkt, die Welt der Elfen wiederherzustellen.

Dass die Nachricht über die Auslöschung des Clans ihres Vaters die junge Elfe noch nicht erreicht hatte, musste daran liegen, dass der Clan auf seinen jahrzehntelangen Wanderungen bis nach Antiva vorgedrungen war, und die Neuigkeiten bisher schlichtweg noch nicht in den Süden vorgedrungen waren. Doch früher oder später würde Lavellan davon erfahren, und Solas zweifelte nicht daran, dass es ihr das Herz brechen würde.

Aber noch bewahrte sie Hoffnung... und Solas brachte es nicht über sich, diesen Funken auszulöschen, wusste er doch besser, als jeder andere, wie sehr Hoffnung motivieren konnte.

Und so lächelte er nur und schwieg.

„Was ist mit deiner Familie, ma vhenan?“, fragte sie plötzlich, während sie sich wieder ihrer Arbeit widmete. „Du hast mir vieles über deine Reisen erzählt, doch ich weiß nur wenig über dich. Woher du stammst, ob du Geschwister hast...“

Geschwister...

Es war Jahrtausende her, seitdem er das letzte Mal an sie gedacht hatte, aber für einen kurzen Moment erinnerte er sich wieder an eine Schwester, die viele Jahre jünger gewesen war, als er, und gerade anfing zu laufen, als er schon Jahre der Wanderung und des Lernens hinter sich hatte. Doch so sehr er sich bemühte, er konnte sich ihr Gesicht nicht mehr in Erinnerung rufen, hatte es schon lange, bevor er sich zu seinem viele Zeitalter andauernden Schlaf niedergelegt hatte, vergessen.

Und auch seine Eltern waren nicht mehr als graue Schatten auf der Leinwand seiner Erinnerungen. Er erinnerte sich weder an das Lächeln seiner Mutter, die ihn vieles gelehrt hatte, noch an die Stimme seines Vaters, der ihn stets inspiriert hatte – doch er wusste noch immer, wo er sie begraben hatte, damals, als der anhaltende Krieg zwischen den Vergessenen und den Evanuris das Land verwüstet und zahllose Unschuldige das Leben gekostet hatte.

Mittlerweile dachte Solas nur noch selten an jene frühen Jahren zurück, doch manchmal, wenn er im Frühling über die Felder wanderte und der Wind den Duft der ersten Blumen mit sich brachte, musste er für einen Moment innehalten und die Augen schließen, erinnerte er ihn doch an den Geruch seiner Heimat.

Vhenan...?“, fragte Lavellan leise. „Solas...?“

Solas blinzelte, als ihm bewusst wurde, dass er für einen Moment blicklos ins Leere gestarrt haben musste.

Er schenkte Lavellan, die ihn besorgt ansah, ein schwaches Lächeln.

„Es geht mir gut“, sagte er. „Es... ist nur lange her, dass ich an meine Familie gedacht habe.“

„Verzeih. Ich wollte dir keinen Kummer bereiten“, erwiderte sie sanft und legte eine Hand auf seinen Arm. „Hätte ich geahnt, dass dich die Erinnerung so schmerzen würde, hätte ich nicht gefragt.“

„Das konntest du nicht wissen.“ Er nahm ihre Hand und küsste sie, genau über dem leuchtenden Mal.

Sein Anblick versetzte ihm einen Stich. Der Anker war nicht für Sterbliche gedacht, und auch wenn Lavellan bislang keine Beschwerden gezeigt hatte, wusste er, dass das Mal mit der Zeit immer instabiler werden würde... und sie schließlich sogar das Leben kosten würde, wenn er bis dahin keine Möglichkeit fand, es zu entfernen.

„... Solas.“ Er hob den Blick und sah sie an. Nicht zum ersten Mal bemerkte er die goldenen Flecken in den grünen Tiefen ihrer Augen.

„Ich weiß, wie schmerzhaft es sein kann“, sprach sie leise, „aber solltest du jemals über die Dinge, die dich bedrücken, reden wollen... ich bin für dich da.“

Es war kein Drängen in ihrer Stimme, nur Mitgefühl, und Solas wusste, dass sie es ihm nicht zum Vorwurf machen würde, sollte er ihr Angebot ablehnen.

„Ich weiß“, entgegnete er schließlich, seltsam berührt von dem Ausmaß an Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, und verschränkte seine Finger mit den ihren. „Ma serannas.“

Lavellan ließ den Blick kurz über ihre angefangene Arbeit schweifen, dann schien sie zu einem Entschluss zu kommen und stand auf, wobei sie Solas mit auf die Beine zog.

„Komm“, sagte sie. „Du brauchst etwas anderes.“

Und ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie das Zelt.

Solas zögerte nur kurz, dann folgte er ihr.

 

Es war eine Routine, die sich noch nicht ganz etabliert hatte, aber immer vertrauter wurde.

Jedes Mal, wenn er den Turm der Inquisitorin betrat – in gebührendem, zeitlichem Abstand nach Lavellan, um nicht allzu viele wissende Blicke auf sich zu ziehen – gewann er ein wenig mehr Sicherheit... und schwor sich zugleich, dass dies das letzte Mal sein würde, dass dies niemals zur Routine werden durfte...

... bevor er schlussendlich doch den langen, mühsamen Aufstieg hinauf zum Turmzimmer begann.

Lavellan erwartete ihn bereits und saß, der Tür den Rücken zugekehrt, auf dem Bett. Sie hatte ihre Kleidung gegen eine schlichte Robe getauscht.

„Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob du kommen würdest“, sagte sie, ohne sich zu ihm herumzudrehen. „Ich bin froh, dass du es getan hast.“

Für einen Moment war ich mir selbst nicht sicher, ob ich kommen würde, dachte er.

Hätte er nur widerstanden und wäre auf dem Treppenabsatz wieder umgekehrt.

Aber oh, er wollte, er wollte...

... er wollte sie.

Es war ein Begehren, das über rein körperliche Anziehung hinausging.

In ihren Armen fand er eine Geborgenheit, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte, und von der er nicht gewusst hatte, wie sehr er sie gebraucht hatte. Lavellan drängte ihn zu nichts; sie gab ihm die Zeit, die er benötigte, um sich über seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden, und sie akzeptierte ihn, wie er war, mit all seinen Fehlern, Zweifeln und Geheimnissen.

Solas hielt nicht viel von Seelennamen, die ein unvorhergesehener Nebeneffekt bei der Erschaffung des Schleiers gewesen waren, und hatte sie immer als Fluch empfunden. Doch in der letzten Zeit hatte er sich hin und wieder die Frage gestellt, ob das Band sich ähnlich anfühlte wie das, was er für Lavellan empfand.

(Und manchmal – aber nur manchmal – bedauerte er es, dass er niemals ihren Namen tragen würde.)

„Hör auf“, sagte Lavellan sanft, die sich mittlerweile vom Bett erhoben hatte. „Ich kann förmlich hören, wie du dir Vorwürfe machst.“

Es war keine Anklage in ihrer Stimme, doch Solas sah einen Anflug von Sorge in ihren Augen aufflackern.

Wortlos ergriff er ihre Hand und zog sie an sich, wobei er das Gesicht in ihren langen, kupferroten Haaren vergrub.

Eines Tages würden sie miteinander reden, und er würde ihr die Wahrheit sagen und dabei zusehen, wie die Zuneigung für ihn unwiderruflich aus ihren Augen verschwand... denn wie könnte sie ihn weiterhin lieben, wenn sie wusste, was er war, was er vorhatte...?

Doch auch, wenn er spürte, dass jener Tag nicht mehr fern war, war noch etwas Zeit. Noch war es nicht so weit.

„Oh, Ellana“, murmelte er und nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie sacht auf den Mund, einmal, zweimal. „Ella...“

Sie erwiderte seinen Blick.

„Was brauchst du, ma vhenan?“, fragte sie leise.

Er schloss die Augen und lehnte seine Stirn an die ihre.

„Lass mich vergessen...“

 

Und das tat sie.

Dorian

Dorian saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und starrte ins Leere.

Die Sonne berührte mittlerweile den Horizont und würde bald hinter ihm versunken sein. Ihm blieb noch eine knappe halbe Stunde bis zu seinem Treffen mit Cullen.

Doch nach der anfänglichen Aufregung fühlte er sich mit einem Mal seltsam antriebslos.

Cullen Rutherford, Kommandant der Armee, und einer der mächtigsten Männer der Inquisition, hatte ihm den Hof gemacht und klargestellt, dass er ihn als festen Partner an seiner Seite wünschte. Und Dorian hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Geschweige denn, ob er überhaupt bereit dafür war.

Dorian hatte noch nie einen festen Partner gehabt. Er war sich nicht einmal sicher, ob er jemals mit der gleichen Person mehr als einmal geschlafen hatte. Seine bisherigen Erfahrungen mit Beziehungen beschränkten sich auf meist spontane, nie länger als eine Nacht andauernde Affären, an die Dorian anschließend nie wieder einen Gedanken verschwendet hatte – bis sein Blick auf den nächsten jungen Mann fiel, der sich nicht scheute, sein anzügliches Lächeln zu erwidern.

Cullen fiel so völlig aus dem Rahmen dessen, was Dorian gewohnt war, dass er zum ersten Mal in seinem Leben nicht weiterwusste. Nie hatte er sich mehr nach Felix' Rat und Beistand gesehnt. Doch Felix Alexius war nicht hier, war vermutlich längst nicht mehr am Leben. Dorian war einmal mehr auf sich allein gestellt.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn vor Überraschung zusammenzucken und für einen Moment dachte Dorian, er hätte mit seinen schwermütigen Gedanken Felix' Geist heraufbeschworen.

Doch dann hörte er eine tiefe Stimme, und er wusste, dass es nicht die Gespenster seiner Vergangenheit waren.

„Dorian! Hey, Dorian! Ich weiß, dass Ihr da seid. Darf ich hereinkommen?“

Dorian seufzte. Ihm war gerade nicht besonders nach Gesellschaft zumute, aber wenn er nicht endlich etwas tat, dann würde er noch morgen hier sitzen. Und er schätzte den Eisernen Bullen als Freund zu sehr, um ihn abzuweisen.

„Tretet ein“, erwiderte er nach einigem Zögern.

Die Tür öffnete sich und der Qunari betrat den Raum. Er hob eine Augenbraue, als er Dorian halb bekleidet auf dem Bett sitzen sah.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er.

Dorian stand auf und streifte die dunkelblaue Robe über, die er für diesen Abend ausgewählt hatte.

„Alles bestens“, erwiderte er gespielt fröhlich und schenkte dem anderen ein flüchtiges Lächeln.

„Ihr seid ein grauenhafter Lügner.“ Der Eiserne Bulle schüttelte den Kopf, doch er hakte nicht weiter nach.

Während Dorian sich vor seinen Spiegel stellte und nach einem Kohlstift griff, ließ sich der Qunari auf dem schmalen Bett nieder, das protestierend unter seinem Gewicht ächzte.

„Was führt Euch in mein bescheidenes Heim?“, fragte Dorian spöttisch, während er damit begann, seine Augen schwarz zu umranden.

„Brauche ich etwa einen Grund?“, entgegnete der Eiserne Bulle gelassen. „Ich wollte nur mal schauen, wie es meinem liebsten Vint geht.“

„Pff“, machte Dorian. „Seit wann stehe ich an erster Stelle?“

„Seitdem Krem mich beim Kartenspiel abgezockt hat. Das hat meinem zarten Selbstbewusstsein schwer zugesetzt.“

Jetzt konnte sich Dorian ein Grinsen nicht verkneifen. „... sicher doch.“

„Oh ja“, nickte der Eiserne Bulle. „Es gibt mindestens fünf Leute, die meine Tränen an dem Abend gesehen haben und meine Worte bestätigen können.“

„Und wie viele davon waren zu dem betreffenden Zeitpunkt nüchtern?“

„Zweifelt Ihr etwa an meiner Ehre, Serah?“, fragte der Qunari mit gespielter Entrüstung.

„Niemals.“ Dorian rümpfte pikiert die Nase. Dann fügte er hinzu: „Nur an dem Wahrheitsgehalt Eurer Aussage.“

„Ohh, Ihr trefft mich schwer“, meinte der andere und legte sich theatralisch eine Hand auf das Herz.

Dorian lächelte nur.

„Aber im Ernst... was tut Ihr hier?“, fragte er nach einem Moment der Stille und legte den Kohlstift wieder beiseite, bevor er nach dem Fläschchen mit wohlriechendem Öl griff, das auf dem Tisch stand. Er gab ein paar Tropfen auf seine Finger und glättete damit die Enden seines Schnurrbarts, bevor er eine etwas großzügigere Portion zwischen seinen Händen verrieb und mit den Fingern durch sein Haar fuhr, um es zu bändigen. Es war in den letzten Wochen wieder länger geworden und musste dringend wieder geschnitten werden. Vielleicht sollte er Helisma bitten, es zu tun, so wie auch die letzten paar Male... die gebrandmarkte junge Frau hatte ruhige Hände und ein gutes Auge für Details.

„Die Frage könnte ich an Euch zurückgeben“, entgegnete der Qunari. „Was habt Ihr vor...?“

Dorian lachte auf. „Oh, wie gerne Ihr das wohl wissen wollt...“

Plötzlich stand der Qunari auf und trat so dicht hinter Dorian, dass dieser den Atem des anderen im Nacken spüren konnte.

Dorian warf dem Eisernen Bullen im Spiegel einen genervten Blick zu.

Dann drehte er sich um – und machte fluchend einen Schritt rückwärts gegen die Schranktür, als der andere noch einen kleinen Schritt nähertrat.

„Was soll das werden?“, fragte Dorian hitzig, der sich in die Enge gedrängt fühlte. Im Gegensatz zu all den anderen Malen, die der Qunari ihm so nahe gewesen war, empfand er sein Verhalten gerade als aufdringlich und unangenehm, und er hoffte, dass sein wütender Blick ausreichte, um ihn wieder auf Abstand gehen zu lassen.

Doch der Eiserne Bulle schien gänzlich unbeeindruckt von seinem Zorn.

„Ihr seht atemberaubend aus“, murmelte und lehnte sich vor. Sein warmer Atem geisterte über Dorians Lippen.

Doch Dorian drehte nur das Gesicht zur Seite

„Seid Ihr endlich fertig...?“, fragte er leise und versuchte dem Drang zu widerstehen, dem anderen die Hose anzuzünden.

„... mh“, machte der Qunari nur, doch ein kleines Lächeln spielte dabei um seine Lippen.

Dann zog er sich ebenso plötzlich wieder zurück, wie er an ihn herangetreten war.

Dorian blinzelte. Er war noch immer wütend auf den anderen, doch er war mindestens ebenso verwirrt von seinem rätselhaften Verhalten.

„Was sollte das eben?“, fragte er.

Der Eiserne Bulle winkte jedoch nur ab.

„Seid Ihr fertig?“, entgegnete er stattdessen. „Gut. Dann lasst uns gehen.“

„Gehen?“ Dorian starrte ihn überrascht an. „Wohin?“

Der andere verschränkte amüsiert die Arme vor der Brust.

„Zu Eurem Treffen mit dem Kommandanten, wohin sonst?“

Dorian starrte ihn einen Moment lang mit offenem Mund an.

„Moment...“, stieß er schließlich fassungslos hervor. „Er hat Euch geschickt, um mich abzuholen?“

„Ich weiß“, meinte der andere grinsend. „So viel Unverfrorenheit hätte ich ihm auch nicht zugetraut. Ich vermute, er wollte die Konkurrenz wieder an ihren Platz erinnern...“

Bei der Bemerkung hätte Dorian fast gelacht. Aber nur fast.

„Dann war das eben... was?“, fragte er stattdessen. „Ein Test? Um herauszufinden, ob Ihr mich nicht doch noch herumkriegen könnt?“

Der Qunari zuckte nur mit den Schultern. „Vielleicht.“

Dorian Augen verengten sich.

„Sagt nicht, dass das Cullens Idee war...“

„Keine Sorge.“ Der Eiserne Bulle schüttelte den Kopf. „Sie ist allein auf meinem Mist gewachsen.“

„Pah!“ Dorian schnaubte. „Ihr seid einfach... Ihr seid unmöglich! Nächstes Mal werde ich Eure Hose anzünden, das ist ein Versprechen!“

Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ging an dem Hünen vorbei zur Tür.

„Kommt Ihr nun oder nicht?“

Der andere lachte nur und folgte Dorian hinaus in den Gang.

 

Dorian betrat den Garten allein.

Der Qunari hatte ihn nur bis zur Türschwelle gebracht und ihm ein letztes Mal ermutigend auf die Schulter geklopft, bevor er wieder gegangen war.

Die Glocke der Kapelle läutete, das Signal, dass die Messe vorüber war.

Dorian ließ sich auf einer der Steinbänke im Garten nieder und wartete, bis sich die Tür öffnete und die Gläubigen die Kirche verließen. Allein oder in kleinen Gruppen gingen sie an ihm vorbei, ohne ihm viel Beachtung zu schenken, und je mehr Zeit verstrich, desto schneller begann sein Herz vor Aufregung zu klopfen.

Schließlich kam Cullen endlich in Sicht, gefolgt von Mutter Giselle.

Sie führten eine leise Unterhaltung, deren Worte Dorian nicht verstehen konnte, bevor Cullen sich knapp vor der Geistlichen verbeugte und abwandte. Sein Blick schweifte über den Garten und erhellte sich, als er Dorian entdeckte.

Mit einem Lächeln, das ein seltsames Flattern in Dorians Brust verursachte, kam Cullen auf ihn zu. Dorian erwiderte das Lächeln zaghaft und erhob sich. Für einen Moment dachte er, dass der andere Mann ihn vor allen Augen küssen würde, doch dann schien Cullen im letzten Moment bewusst zu werden, wo sie waren, und so griff er stattdessen nach Dorians Händen und drückte sie warm.

„Danke, dass Ihr gekommen seid“, sagte er leise.

Er musterte Dorian von oben bis unten, und eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen.

„Ihr seht fantastisch aus.“

Dorians Mundwinkel hoben sich weiter.

Plötzlich fühlte er sich wieder in seinem Element.

„Ihr seid auch nicht zu verachten“, entgegnete er lächelnd.

Und es stimmte. Cullen hatte seine Rüstung abgelegt und trug stattdessen ein weißes Hemd und darüber eine dunkelbraune Lederweste mit goldenen Knöpfen, die seine kräftigen Schultern und schmalen Hüften betonte.

Dorian hatte Cullen immer für einen ansehnlichen Mann gehalten, doch jetzt wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie attraktiv der andere tatsächlich war. Und er wünschte sich für einen Moment nichts mehr, als mit ihm allein zu sein und ihn berühren zu können...

Doch das war nicht das, was Cullen von ihm wollte. Jedenfalls nicht an diesem Abend.

Während Dorian bedauernd aufseufzte, legte Cullen eine Hand auf seinen Arm.

„Kommt“, sagte er und Dorian folgte ihm.

Cullen führte ihn zu dem kleinen Pavillon im hinteren Teil des Gartens. Gusseiserne Laternen waren auf steinernen Sockeln am Rande des Pavillons platziert worden und verströmten ein warmes Licht in der Dämmerung. Im Zentrum standen ein runder Tisch und zwei Stühle, auf denen dunkle Kissen aus Samt lagen.

Dorians Augen weiteten sich, als er das Festmahl sah, das auf dem Tisch ausgebreitet war. Schüsseln mit frischem Obst und heißen Kartoffeln, Fladenbrot, saftigem Rostbraten, Wurzelgemüse und Pilzen, sowie eine Flaschen dunklen Weins, die sehr alt und sehr kostbar aussah.

Für einen Moment war Dorian so überwältigt, dass ihm die Worte fehlten.

Erst nachdem Cullen und er Platz genommen hatten, fand er seine Sprache wieder.

„Ich sehe, Ihr habt keine Kosten und Mühen gescheut“, stellte er fest.

Cullen räusperte sich.

„Wenn ich erst einmal ein Ziel vor Augen habe, kann ich sehr... beharrlich sein“, meinte er, und obwohl ihm dabei einmal mehr die Röte in die Wangen stieg, erwiderte er entschlossen Dorians Blick.

Interessant, dachte Dorian. Es schien, als hätte er Cullen einmal mehr unterschätzt.

„Ja“, entgegnete er und schmunzelte. „Das ist mir aufgefallen.“

Cullen lachte leise.

Dann begannen sie zu essen.

Dorian merkte erst jetzt, wie hungrig er war und wie wenig er den Tag über gegessen hatte, und er musste sich zusammenreißen, um nicht alles nur hinunterzuschlingen. Er sah Cullen aus den Augenwinkeln lächeln, sein Appetit schien nicht unbemerkt zu bleiben.

Der Wein war vorzüglich und Dorian fragte sich, wen der andere bestochen haben musste, um an eine Flasche davon zu kommen.

Als Dorian jedoch Anstalten machte, ihm auch etwas davon in den Kelch zu gießen, schüttelte Cullen nur den Kopf.

Dorian erinnerte sich plötzlich daran, dass der Mann einmal erwähnt hatte, dass er keinen Alkohol trank, und so zuckte er nur mit den Schultern und stellte die Flasche wieder auf den Tisch.

Nachdem sie beide schließlich gesättigt waren, lehnte Dorian sich mit einem wohligen Seufzen auf seinem Stuhl zurück.

„Das war eine angenehme Überraschung“, sagte er und schenkte Cullen ein Lächeln. „Ich danke Euch.“

Cullen nickte nur.

„Mit vollem Magen lässt es sich besser denken“, meinte er und verwies auf das Schachspiel, das am Rande des Tischs aufgebaut war.

Dorian lachte auf.

„Das ist allerdings wahr“, erwiderte er. Fast hätte er den ursprünglichen Grund ihres Treffens vergessen.

Er schlug die Beine übereinander und warf Cullen über den Rand seines Weinkelches hinweg einen herausfordernden Blick zu.

„Seid Ihr bereit für Eure Niederlage?“, fragte er leise.

Ein Funkeln trat in Cullens Augen.

„Wir werden sehen“, entgegnete er ebenso leise, und Dorian lief ein angenehmer Schauer über den Rücken.

Dies versprach ein interessanter Abend zu werden...

 

Zwei Stunden später beschlossen sie, das Spiel mit unentschiedenem Ausgang zu beenden.

Dorian hatte in der Tat die erste Partie gewonnen, während Cullen ihn in der zweiten Partie geschlagen hatte. Die Kerzen waren mittlerweile heruntergebrannt und es war zu spät, um eine dritte Partie zu beginnen, weshalb sie beschlossen, die Entscheidung über den Sieg auf ihr nächstes Treffen zu verlagern.

„Danke für die Einladung“, sagte Dorian, als sie sich erhoben. „Ihr seid ein würdiger Gegner.“

„Und Ihr ein exzellenter Schummler.“ Cullen lächelte. „Auch wenn Ihr nicht halb so unauffällig schummelt, wir Ihr glaubt.“

„Ich? Schummeln? Niemals!“ Dorian machte eine gekränkte Miene, woraufhin Cullen lachen musste.

„Wie Ihr meint“, erwiderte er.

Dann ergriff er Dorians Hand.

„Danke für diese Chance“, sagte er leise.

Sie waren nun völlig allein im Garten, und nur aus der Richtung der großen Halle drang noch das schwache Echo von Stimmen zu ihnen hinüber.

Bevor Dorian sich versah, hatte der andere ihn an sich gezogen.

Für eine Sekunde war Dorian wie erstarrt, dann schloss er die Augen und legte den Kopf auf Cullens Schulter. Eine Weile verharrten sie so und Dorian lauschte dem Rascheln der Blätter in den Bäumen über ihnen.

Dann hob er wieder den Kopf, einem plötzlichen Impuls folgend, und in der Dunkelheit fanden seine Lippen die von Cullen. Sie küssten sich in den Schatten unter dem Dach des Pavillons, verborgen vor den Augen der Welt. Dorian hätte für alle Ewigkeit dort verharren können.

Doch schließlich löste sich Cullen wieder von ihm, hielt ihn dabei aber weiterhin in den Armen.

„... Ihr wisst, dass Ihr jederzeit mehr haben könnt“, murmelte Dorian.

„Mm-hm“, machte Cullen nur und küsste ihn auf die Wange. Dorian spürte, dass er lächelte.

Bastard.

„Geduld, Dorian“, sagte der andere dann und ließ ihn wieder los. „Wir haben Zeit.“

„Ich sehe, Ihr seid wirklich nicht zu erweichen“, entgegnete Dorian resigniert. „Ich weiß nicht, wieso ich all das über mich ergehen lasse...“

„Ich weise Euch nicht ab“, sagte Cullen sanft. „Ich will das hier nur auskosten, solange ich noch kann. Ich... hatte nie die Gelegenheit.“

Dorian seufzte, doch dann lächelte er.

„Ich weiß.“

Er gab Cullen einen letzten, flüchtigen Kuss auf die Lippen, dann wandte er sich ab.

„Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Cullen.“

„Und ich Euch“, erwiderte der andere und nickte.

Und damit trennten sich ihre Wege.

Hawke

Kalte Luft drang in das Zelt, als Hawke die Plane zurückschlug und eintrat.

Varric hatte bereits das Licht gelöscht und schnarchte leise, und sie zog sich flink aus und schlüpfte dann zu ihm unter die Decke. Das Schnarchen endete abrupt, als sie ihre Arme von hinten um ihn schlang.

„Deine Hände sind kalt“, brummte Varric einen Moment später mit vor Schlaf rauer Stimme.

„Mmh“, machte Hawke und gähnte. „Es war ein langes Spiel. Du hättest mir vorher sagen sollen, dass der Elf Gedanken lesen kann.“

„Solas?“ Varric lachte leise. „Manchmal glaube ich das auch, ja... Und ich habe dich vor ihm gewarnt. ‚Nimm dich vor dem Elf in Acht, Hawke. Er wird dich beim Kartenspiel vernichten, Hawke.‘ – Das waren meine Worte, wenn ich mich recht entsinne.“

„Wenn ich auf jede deiner Warnungen hören würde, könnte ich mit keinem deiner Freunde mehr Karten spielen.“

„Und würdest weniger Geld verlieren.“

„Oh, sei still!“, lachte Hawke.

„Niemals“, entgegnete Varric, doch seine Stimme war voller Zuneigung.

Für einen Moment herrschte Stille, dann fragte er: „Hast du wenigstens mit Würde verloren?“

„Ich habe nicht verloren“, sagte Hawke und schmiegte die Wange an seine Schulter.

„Oh?“

„Wir, ah... mussten das Spiel unterbrechen.“ Ihre Stimme war mit einem Mal sehr leise. „Harding kam mit einem Brief, den einer von Lelianas Raben gebracht hat. Er stammte aus Kirkwall.“

Varric gab für einen Augenblick keine Antwort. Dann drehte er sich in Hawkes Armen herum und sah sie im Dämmerlicht an.

„Bethany?“, fragte er.

„Ja“, bestätigte Hawke und spürte, wie er sie näher an sich zog. Dankbar lehnte sie den Kopf an seine Stirn und schloss die Augen.

„Was schreibt sie?“, fragte Varric und fuhr mit den Fingerknöcheln sanft über ihre Wirbelsäule. „Wie geht es dem Kleinen?“

„Den Umständen entsprechend gut“, erwiderte sie, doch ihre Kehle schnürte sich bei den Worten zu. „Er ist noch zu jung, um zu verstehen, was vor sich geht und wieso seine Eltern nicht bei ihm sein können. Bethany schreibt, dass er die Situation mittlerweile auf seine Weise akzeptiert hat und nicht mehr so viel... so viel weint, wie noch am Anfang...“

Ihre Stimme brach bei den letzten Worten und sie spürte, wie Varric warm einen Kuss auf ihre Lippen presste.

„Als ich dir damals schrieb, hoffte ich lange Zeit, dass du nicht kommen würdest“, sagte er. „Dass du meinen Brief ignorieren und in Kirkwall bleiben würdest.“

„Und der Tatsache, dass Corypheus wieder aufgetaucht ist, keine weitere Beachtung schenken?“, entgegnete sie. „Wie könnte ich?“

„Hawke.“ Varrics Stimme war ruhig. „Du hast mehr als genug für Thedas getan. Jetzt liegt es an anderen, die Verantwortung für unsere Zukunft weiterzutragen.“

„Wenn du das wirklich glauben würdest, warum bist du dann hier?“, fragte Hawke leise, und bevor Varric antworten konnte, fügte sie hinzu: „Und nein, ‚weil Cassandra mich hergeschleift hat‘ ist keine Antwort.“

Varric klappte den Mund wieder zu.

„Du weißt ebenso wie ich, dass noch sehr viel mehr Kinder in Gefahr geraten werden, ohne Eltern aufzuwachsen, wenn wir Corypheus nicht endgültig aufhalten können“, fuhr sie fort. „Sicher, vielleicht findet die Inquisition auch allein einen Weg... aber ich habe das Gefühl, dass sie jede Hilfe gebrauchen kann, die sie bekommt.“

Varric seufzte.

„Na schön“, erwiderte er schließlich. „Aber wenn diese Sache vorbei ist, gehen wir nach Hause, okay...? Und wenn Thedas das nächste Mal ins Chaos fällt, sollen sie bei jemand anderem anklopfen, wir werden dann einfach nicht aufmachen.“

Hawke lächelte.

„Einverstanden“, flüsterte sie.

Es raschelte in der Dunkelheit, als Varric sich auf den Rücken drehte und Hawke sich an seine Seite schmiegte, doch schließlich hatte sie eine bequeme Schlafposition gefunden.

Hawke war kurz vor dem Einschlafen, als Varric erneut die Stimme erhob.

„Versprich mir, dass du keine unnötigen Risiken eingehen wirst“, murmelte er.

„Hmm...?“

Varric presste die Lippen auf ihr Haar.

„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einer von uns beiden nicht nach Kirkwall zurückkehren wird“, sagte er leise, „und ich... ich will nur, dass du vorsichtig bist.“

Hawke schwieg. Sie wusste, welche Ängste und Sorgen ihm durch den Kopf gingen, denn es waren die gleichen, die auch sie beschäftigten. Und sie wusste ebenso wie er, dass es darauf nur eine Antwort gab.

„Du weißt, dass ich dir kein Versprechen geben kann“, entgegnete sie. „Aber ich werde tun, was ich kann... und hoffe, dass du ebenfalls achtgeben wirst. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dich zu verlieren.“

Sie spürte, wie sein Brustkorb vibrierte, als er leise lachte.

„Keine unnötigen Risiken also“, sagte er. „Von niemandem.“

„Keine unnötigen Risiken“, bestätigte sie.

Varric zögerte.

„Auch nicht...?“

„Nein.“

„Und was ist, wenn...?“

Nein.“

„... na gut“, gab er schließlich nach und seufzte leise. „Es wird nicht leicht werden, aber ich will es versuchen.“

„Gut.“ Hawke lächelte, dann schloss sie erneut die Augen. „Danke.“

Trotz des humorvollen Tons wusste sie, dass Varric ihre Worte sehr ernstnahm. Er wusste, wie viel Familie ihr bedeutete und wie viel sie selbst bereits verloren hatte, und dass ihr nichts wichtiger war, als ihrem eigenen Kind die Dinge zu ersparen, die sie selbst durchgemacht hatte.

Doch hier, eng aneinandergeschmiegt in einem dunklen Zelt am Ufer des Calenhad-Sees, gab sie sich das erste Mal seit langem wieder der Hoffnung hin, dass sie beide lebend aus dieser Sache herauskommen würden.

Wenige Minuten später schlief sie schließlich ein.

 

Die Reise zum Kammwald erfüllte Hawke mit einer seltsamen Nostalgie.

Es war mehr als zehn Jahre her, seitdem ihre Familie aus Ferelden geflohen war, und obwohl sich vieles verändert hatte, war das Land, in dem sie aufgewachsen war, noch immer dasselbe. Sie konnte nicht behaupten, dass sie den Dauerregen oder den Geruch von Bier und kaltem Tabak, der ihr in nahezu jeder Gaststube entgegenschlug, vermisst hatte, doch der Anblick der weiten, grünen Wiesen und die ruppige Art der Leute, die hier wohnten, erfüllten sie mit Wärme.

„Du lächelst“, stellte Varric fest, als sie eine steinerne Brücke überquerten, die über einen der vielen Zuflüsse zum See führte. „Warum lächelst du?“

Sie ließ den Blick über die verregnete Landschaft schweifen.

„Ich war lange nicht mehr hier“, sagte sie schlicht.

Varric war für einen Moment still.

„Vermisst du es?“, fragte er dann leise.

Hawke dachte eine Weile über diese Frage nach, doch schließlich schüttelte sie den Kopf.

„Ich vermisse die Menschen, die mich einst mit diesem Land verbunden haben“, entgegnete sie. „Ohne sie... ist Ferelden nur eine weitere Zwischenstation auf unserer Reise.“

Ein Farmer kam ihnen in Begleitung seines Mabaris auf der aufgeweichten Straße entgegen. Varric beäugte misstrauisch den hechelnden Hund mit den viel zu klugen Augen, der ihm fast bis zur Brust reichte, und ging in gebührendem Abstand an ihm vorbei.

Als die beiden hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden waren, wandte er sich wieder an Hawke. „Und was ist mit den Hunden?“

Sie lachte auf. „Oh, ich vermisse definitiv die Hunde! Ich muss unbedingt einen Mabariwelpen erwerben, bevor ich nach Kirkwall zurückkehre.“

Varric stöhnte leise auf. „Ich hatte befürchtet, dass du so etwas sagen würdest.“

„Ach, komm“, grinste Hawke. „Einer mehr schadet nicht. Schließlich hast du dich damals auch mit Larry anfreunden können.“

Der mittlerweile schon recht betagte Mabari, den Hawke damals aus Ferelden mitgebracht hatte, ließ keine Gelegenheit aus, Varric mit feuchten Schlabberküssen seine Liebe zu zeigen, wann immer der Zwerg über die Türschwelle trat. Varrics halbherzige Versuche, ihn abzuwehren, waren dabei mehr symbolisch, als alles andere, hatte er den Hund doch ebenso ins Herz geschlossen, wie Larry ihn. Oft verbrachte der Mabari ganze Nachmittage schlummernd an seiner Seite, während Varric ein Buch las oder an einem neuen Kapitel für seinen nächsten Roman arbeitete, wobei er hin und wieder gedankenverloren Larrys Fell kraulte, und wann immer Hawke die beiden in einem solchen Moment sah, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Ihren Hund zurückzulassen war fast ebenso schwer gewesen, wie sich von ihrem Kind zu trennen. Doch Hawke hatte ihm in simplen Worten erklärt, was sie vorhatte, und ihn gebeten, in ihrer Abwesenheit auf ihren Sohn aufzupassen. Und als sie schließlich Abschied genommen hatte, hatte er nur leise gewinselt, bevor er gehorsam zum Bettchen des schlafenden Kindes zurückgekehrt war und sich davor zusammengerollt hatte, eine Geste, die Hawke fast zu Tränen gerührt hatte.

„Larry war eine Ausnahme“, meinte Varric in diesem Moment. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“

Hawke seufzte. „Ich wusste schon immer, dass du meinen Hund mehr liebst als mich.“

„Tut mir leid, Hawke. Er kann einfach besser küssen als du.“

Sie stieß ihm lachend einen Ellenbogen in die Seite. „Du bist ein Idiot, Varric Tethras.“

Cassandra, die vor ihnen lief, warf einen amüsierten Blick über ihre Schulter, dann schüttelte sie den Kopf.

„Mich wundert langsam nicht mehr, dass Ihr Euch gefunden habt...“, hörte Hawke ihre gedämpfte Stimme.

„Was war das, Sucherin?“, rief Varric ihr zu. „Lasst uns an Euren Gedanken teilhaben!“

Doch Cassandra ignorierte ihn.

Hawke grinste.

„Ich sehe, eure Beziehung hat sich gebessert.“

„Oh ja, absolut“, meinte Varric. „Bald kann sie mir vielleicht sogar wieder in die Augen sehen, wenn sie mit mir redet.“

„Jeder Schritt führt zum Ziel.“

Varric seufzte. „Hoffentlich.“

„... Serah Hawke?“

Hawke bemerkte aus den Augenwinkeln, wie jemand neben sie trat. Sie sah zur Seite und erblickte die Inquisitorin, die mit nachdenklicher Miene neben ihr herlief.

„Ja?“, fragte sie.

„Verzeiht“, sagte Lavellan, „wir hatten bislang noch nicht viel Gelegenheit, uns zu unterhalten. Doch da wir unser Ziel bald erreichen werden, wollte ich Euch fragen, ob Ihr mir vielleicht mehr über Eure Kontaktperson erzählen könnt?“

Hawke schwieg. Sie hatte befürchtet, dass die junge Frau ihr früher oder später diese Frage stellen würde. Sie hatte bewusst Details ausgelassen, nicht, um Lavellan im Dunkeln zu lassen, sondern weil sie nicht wusste, wie die Inquisitorin reagieren würde, wenn sie erfuhr, um wen es sich bei ihrem Kontakt handelte.

„Es gibt nicht viel zu erzählen“, antwortete sie schließlich ausweichend. „Unsere Korrespondenz besteht ausschließlich aus Briefen. König Alistair hat mich an ihn verwiesen, als ich mich nach den Grauen Wächtern erkundigt habe, doch ich bin ihm noch nie persönlich begegnet.“

„Ich verstehe.“ Lavellan nickte, doch sie wirkte auch etwas enttäuscht. „Könnt Ihr mir wenigstens seinen Namen nennen...?“

Sie spürte, wie Varric sie sanft anstupste.

„Hawke...“, murmelte er.

Sie sah ihn unschlüssig an, doch er nickte ihr aufmunternd zu.

Sag es ihr einfach.

Hawke seufzte.

„Sein Name ist Loghain.“

Cullen

Wie auch beim letzten Mal war die Tür unverschlossen.

„Ah, Cullen“, begrüßte ihn Dorian mit einem höflichen Lächeln, als Cullen das Zimmer betrat. „Seid Ihr gekommen, um unser Gespräch fortzusetzen?“

Wie auch beim letzten Mal war das nicht der Grund, weshalb er hier war, doch Cullen machte sich nicht die Mühe, den anderen zu korrigieren. Sein Blick wanderte kurz über die elegant geschnittene Robe, die Dorians schlanke Figur betonte, dann trat er näher und legte die Hände an die Taille des anderen.

„Oh“, sagte der Magier leise, und Cullen sah das Verstehen in seinem Blick. „Darum seid Ihr hier.“

Es war keine Ablehnung in seiner Stimme, nur gleichgültige Akzeptanz.

Cullen legte die gepanzerte Hand an sein Kinn und hob es an. Einen Moment lang sah er in Dorians Augen – Augen, die schon vor langer Zeit ihren Kampfgeist verloren hatten – dann neigte er den Kopf und küsste ihn. Die Lippen des anderen waren genauso warm und weich, wie er sie in Erinnerung hatte, und Dorian leistete ihm keinen Widerstand, als er mit der Zunge in seine Mundhöhle eindrang.

Doch er erwiderte seinen Kuss auch nicht, und nach einer Weile erweckte seine Passivität Cullens Unmut.

„Zieh dich aus“, sagte er leise, nachdem er wieder von ihm abgelassen hatte, und trat einen Schritt zurück, während der andere seiner Aufforderung gehorsam nachkam, wobei er jedes einzelne Kleidungsstück ordentlich glattstrich und über die Lehne seines Stuhls hängte.

Schließlich stand Dorian nackt vor ihm und wartete darauf, dass er den nächsten Schritt machte. Im Angesicht eines Templers, der noch immer seine volle Rüstung trug, wirkte er schwach und schutzlos, doch paradoxerweise war es in diesem Moment Cullen, der sich vor dem wehrlosen Mann schwach und schutzlos vorkam. Wütend schüttelte er den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben, bevor er grob die Hand des anderen packte und ihn herumdrehte. Er wusste, dass der andere Mann seine Gefühle niemals erwidern würde – dass er nie wieder fähig sein würde, irgendetwas zu fühlen – doch er würde auch die Reaktionen seines Körpers nicht verhindern können, und wenn Cullen wenigstens das von ihm bekommen konnte, dann würde es genug sein.

Und während seine Hand über den Oberkörper des anderen wanderte und jedes leise Keuchen, das er ihm entlockte, ihm wie ein kleiner Sieg erschien, fiel sein Blick auf Dorians Handgelenk und das Geflecht von Narben auf seiner Haut...

 

Schweißgebadet erwachte Cullen in der Dunkelheit seines Zimmers.

Der Traum war so lebhaft gewesen, dass die Erinnerung an Dorians leeren Blick und seine eigene Grausamkeit nur langsam wieder verblasste. Sie erfüllte Cullen mit Selbstekel, sowie einer Übelkeit, die ihn mehrmals heftig würgen ließ, bevor sich sein Körper allmählich wieder beruhigte und er zitternd zurück auf das Bett sank.

Es war das erste Mal gewesen, dass er auf diese Weise von Dorian geträumt hatte und seine Zuneigung für ihn sich mit Cullens Erinnerungen an Kinloch vermischt hatten. Doch das wirklich Schlimme an dem Traum war gewesen, dass diese Dinge sich so oder auf ähnliche Weise tatsächlich hätten ereignen können.

Cullen hatte sich zwar selbst niemals an einem der Magier vergangen, für die er und die anderen Templer im Zirkel damals verantwortlich gewesen waren, doch er hatte während seiner Zeit im Turm hin und wieder von solchen Fällen gehört, und sein Hass auf Magier war damals zu groß gewesen, um das Richtige zu tun und dagegen vorzugehen.

Doch wenn er sich jetzt vorstellte, was passiert wäre, wäre Dorian einer von ihnen gewesen, dann wurde ihm ganz anders...

Man hatte den Magiern im Zirkel keine Privatsphäre gelassen. Jedem Neuzugang im Turm wurde das Armband entfernt, und sein Seelenname wurde notiert. Gab es einen anderen Magier oder gar einen Templer mit diesem Namen im selben Zirkel, so wurde der Neuankömmling zu einem anderen Zirkel geschickt, um zu verhindern, dass die Seelenpartner einander begegneten. Das Band machte die Menschen irrational, was an Orten, an denen so viel Macht konzentriert war, ein Risiko war, das man nicht eingehen konnte.

Doch Dorian... mit Dorian wäre es anders gewesen. Cullen hätte den Magier jeden Tag sehen müssen. Und die Tatsache, dass Dorian einen anderen Namen trug, hätte das Seelenband nicht daran gehindert, sich zu verfestigen, wenn er Dorian zum ersten Mal begegnet wäre. Dann hätte Cullen Jahre in dem Turm zugebracht, in denen er sich nach dem Magier verzehrt hätte, und vielleicht, nur vielleicht, wäre er eines Tages tatsächlich schwach geworden...

Und selbst die Gefahr, dass die Templer den arroganten Magier wie in seinem Traum möglicherweise durch Brandmarken gefügig gemacht hätten, hätte ihn nicht davon abhalten können.

Hätten Dorian nicht vor dem Monster, das er war, beschützen können.

Und dieser Gedanke war es, der Cullen am meisten Angst machte.

Cullen starrte lange an die Decke seines Zimmers – zu aufgewühlt, um wieder einzuschlafen, doch zugleich auch zu müde, um aufzustehen. Nie hatte er sich so sehr nach Cassandras Nähe und Beistand gesehnt. Doch sie war mit der Inquisitorin zum Kammwald aufgebrochen und würde so schnell nicht wieder zurückkehren.

Und die Liste an Freunden, die Cullen auf der Himmelsfeste hatte, war ohne sie beschämend kurz... und die Anzahl derer, denen er sich in solch persönlichen Dingen anvertraute, beschränkte sich allein auf Cassandra.

Ihm blieb also nichts anderes übrig, als allein gegen seine Dämonen zu kämpfen.

Durch die Ritzen zwischen den Brettern sah Cullen, dass die Sterne langsam verblassten und der Himmel sich allmählich aufhellte. Er überlegte für einen Moment, ob er heute im Bett bleiben und seinen Sekretären die Arbeit überlassen sollte, doch dann würden seine Gedanken nur den ganzen Tag lang um seinen Traum kreisen, und das wollte er vermeiden.

Er brauchte Ablenkung. Er brauchte...

Die Glocke der Kapelle läutete in diesem Moment einmal kurz zur vollen Stunde. Der helle Klang hallte für einen Augenblick durch den Hof, dann kehrte wieder Stille ein.

Cullens Mundwinkel hoben sich schwach.

Plötzlich wusste er, was er brauchte.

 

„Kommandant Cullen?“

Die Sonne war bereits über den Horizont geklettert, als Cullen sein Gebet schließlich beendete und die Kirche wieder verließ. Er fühlte sich deutlich ruhiger, als zuvor, und der Traum der letzten Nacht war nun nicht mehr als das: ein Alptraum, der mit jeder Stunde mehr verblasste. Als er in den Garten hinaustrat, blendete ihn das helle Licht der aufgehenden Sonne, und er musste mehrmals blinzeln, bevor er sah, wer ihn gerade angesprochen hatte.

„Mutter Giselle“, sagte er, als er sie schließlich erkannte, und schenkte ihr ein Lächeln. „Was kann ich für Euch tun?“

Die Ehrwürdige Mutter neigte respektvoll den Kopf.

„Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir in einer Angelegenheit weiterhelfen, die eines der Mitglieder des Inneren Kreises betrifft. Es kann leider nicht warten, bis die Inquisitorin wieder hier ist, aber ich bin zuversichtlich, dass Ihr die Sache mit der notwendigen Diskretion behandeln werdet.“

„Ihr habt mein Wort“, entgegnete Cullen und nickte. „Um wen geht es?“

Giselle senkte die Stimme. „Es betrifft den Tevinteraner. Ihr scheint gut mit ihm befreundet zu sein, darum hielt ich Euch für den besten Ansprechpartner...“

„Dorian?“ Cullen hob überrascht die Augenbrauen. „Was ist mit ihm?“

Sie zog einen Umschlag aus ihrem Ärmel, auf dem ein Siegel prangte, das Cullen nicht bekannt war. Es war bereits gebrochen, und für einen Moment erfüllte ihn Ärger darüber, dass die Ehrwürdige Mutter es gewagt hatte, eine private Nachricht an Dorian zu lesen.

„Es ist ein Brief“, sagte sie und hielt ihm das Schriftstück hin. „Er stammt von seiner Familie...“

 

Cullen überkam ein beunruhigendes Gefühl von Déjà-vu, als er wenig später an die Tür von Dorians Zimmer klopfte.

„Ich bin es, Cullen“, rief er.

Für eine Weile herrschte Stille, dann öffnete sich das Türschloss mit einem Klicken und ein leises „Herein!“ ertönte. Cullen atmete noch einmal kurz durch, dann trat er ein.

Dorian saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und notierte etwas in dem kleinen Buch, das er stets in einer Lederhülle an seinem Gürtel trug, und das, wie Cullen schon mehrfach beobachtet hatte, mit magischen Sprüchen und Ritualen gefüllt war.

Als er den Kopf hob und Cullen sah, erhellte sich Dorians Blick und ein Lächeln trat auf sein Gesicht.

Nur ein Traum, ermahnte sich Cullen nicht zum ersten Mal an diesem Morgen und erwiderte das Lächeln. Der Mann, der auf dem Bett saß, war voller Energie und Leben, und hatte nichts mit der seelenlosen Hülle gemein, die ihm in seinen Träumen begegnet war.

„Kommandant Cullen!“, sagte Dorian. „Womit verdiene ich die Ehre?“

Er musterte Cullen für einen Moment, und senkte die Stimme dann zu einem verführerischen Raunen. „Seid Ihr etwa hier, um mein Angebot endlich anzunehmen?“

Ein Schauer lief über Cullens Rücken und ließ ihn frösteln. Das letzte, war er in diesem Moment wollte, war Dorian zu berühren, zu sehr erinnerte ihn die ganze Situation an seinen Traum. Anstatt auf seine Frage zu antworten, zog er deshalb den Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Dorian.

„Ein Brief von Eurem Vater“, sagte er leise. „Er war an Mutter Giselle adressiert, vermutlich weil Eure Familie hoffte, Euch durch sie besser zu erreichen. Aber ich bin der Meinung, es ist Euer gutes Recht, ihn als erster zu lesen.“

Sofort verschwand jede Wärme aus Dorians Augen und sein Lächeln erstarb.

„Ah“, entgegnete er, und seine Stimme klang seltsam monoton. „Ich verstehe. – Gebt ihn mir.“

Für ein paar Minuten war es still, als Dorian den Brief las, mehrmals, wie Cullen vermutete, denn seine Augen sprangen immer wieder zum Anfang zurück.

Schließlich stieß er einen leisen Fluch in seiner Muttersprache aus und zerriss das Schriftstück, bevor er die Fetzen in seiner Hand in Flammen aufgehen ließ.

„Wie kann er es wagen!“, stieß er hervor. Er sprang auf und begann, in dem kleinen Zimmer ruhelos auf- und abzulaufen. „Was für eine unglaubliche Unverfrorenheit!“

Seine Schultern bebten vor Wut und Cullen machte unwillkürlich einen Schritt zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Türklinke stieß.

„Was erhofft er sich damit?“, rief Dorian wütend. „Meine Vergebung? Oder gar mein Verständnis?“

„Was erhofft er sich womit?“, fragte Cullen behutsam, in der Hoffnung, die Wogen von Dorians Wutausbruch wieder etwas zu glätten.

„Von einem Treffen!“, entgegnete Dorian scharf. „Als würde er ernsthaft glauben, dass ich ihn nach dem, was er mir angetan hat, jemals wiedersehen möchte.“

Cullen hatte immer gewusst, dass Dorians Beziehung zu seiner Familie keine einfache war. Er kannte zwar keine Details, aber die Art und Weise, wie sich Dorians Gesicht verfinsterte, wann immer man ihn auf seine Eltern ansprach, hatte ihre ganz eigene Sprache gesprochen.

Doch Dorian war in diesem Augenblick ganz offensichtlich zutiefst verletzt, und wenn Cullen eines nicht ertrug, dann war es mitanzusehen, wie sein Seelenpartner litt.

„Dorian“, sagte er sanft und griff vorsichtig nach der Hand des anderen. „Ich weiß, es steht mir nicht zu, zu fragen, aber...“ Er sah ihm offen in die Augen, während er ihre Finger miteinander verschränkte. „Was genau hat er Euch angetan...?“

Dorian starrte für einen Moment auf ihre verschlungenen Finger hinab, dann seufzte er schließlich.

„Ich glaube, es wäre besser, wenn ich es Euch einfach zeige...“

Er löste vorsichtig ihre Hände, dann wandte er sich ab.

Cullen hatte keine Ahnung, was er vorhatte, bis Dorian plötzlich nach dem Saum seiner Weste griff und sie über seinen Kopf streifte.

Plötzlich fühlte er sich wieder viel zu sehr an seinen Traum erinnert, und hob abwehrend die Hände.

„Dorian, ich glaube nicht, dass das nötig ist...“, begann er.

Der andere ignorierte jedoch seinen Protest.

„Doch“, sagte er leise. „Doch, das ist es.“

Er hatte mittlerweile auch sein Hemd abgestreift und drehte sich mit nacktem Oberkörper wieder zu Cullen herum.

Dieser sog scharf die Luft ein, als er sah, was Dorian ihm hatte zeigen wollen.

Auf seiner Brust prangte eine Narbe, deren zahllose Verästelungen sich ähnlich den Strahlen einer Sonne über Dorians Oberkörper zogen. Ihr Zentrum war kaum größer als eine Münze, doch groß genug, dass es nicht viel Fantasie erforderte sich vorzustellen, wie schwerwiegend die Wunde gewesen sein musste. Die Narbe und ihre zahlreichen kleineren und größeren Auswüchse, die an die filigranen Enden einer Wurzel erinnerten, pulsierten in einem schwachen Rot – ein Zeichen dafür, dass sie nicht durch eine Waffe, sondern durch Magie entstanden war.

Durch Blutmagie, dachte Cullen fassungslos. Dorians Vater hatte Blutmagie gegen ihn eingesetzt. Gegen sein eigenes Kind.

„Das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir war immer schwierig gewesen“, erzählte Dorian leise, während Cullen noch die Narbe anstarrte.

Viel zu nah an seinem Herzen...

„Die Tatsache, dass ich nicht die von ihm gewünschten... Präferenzen hatte und mich weigerte, eine Frau zu ehelichen, mit der ich ein langes und unglückliches Leben geführt hätte, war schließlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, fuhr Dorian fort.

Er schlang die Arme um seinen Oberkörper und wirkte mit einem Mal so schutzlos und verloren, dass es Cullen das Herz brach. Er ignorierte die leise Stimme seines Unterbewusstseins und trat an den anderen heran, um ihn in seine Arme zu ziehen.

„Er hat viele Versuche an mir durchgeführt, um mich zu... zu verändern... und er wäre erfolgreich gewesen, wäre es mir nicht gelungen zu fliehen“, wisperte Dorian an seinem Ohr und Cullen schlang die Arme fester um ihn.

„Genug“, sagte er sanft. „Ich habe genug gehört. Quält Euch nicht weiter mit diesen Erinnerungen.“

Er wartete, bis Dorian sich beruhigt hatte, bevor er ihn wieder losließ und seine Stirn küsste.

„Schreibt Eurem Vater, dass Ihr die Einladung zum Treffen annehmen werdet.“

Dorians Augen weiteten sich.

„Cullen“, entgegnete er. „Ich verstehe nicht–“

„Ich überlasse Euch die Entscheidung, ob Ihr mitkommen wollt oder nicht“, fuhr Cullen fort. „Nach dem, was er Euch angetan hat, würde ich es verstehen, wenn Ihr ihn nie wieder sehen wollt. – Doch ich werde auf jeden Fall gehen.“

Dorian starrte ihn an.

„Was habt Ihr vor?“, fragte er.

„Ich will ihm in die Augen sehen“, entgegnete Cullen leise, „und ihm mitteilen, was passieren wird, sollte er Euch jemals wieder anrühren...“

Lavellan

Loghain.

Ein Name, von dem sie gehofft hatte, ihn nie wieder hören zu müssen.

Ellana war dankbar dafür, dass Solas sie nicht ansprach, als sie wenig später wieder zu ihm aufschloss, obwohl er ihr ansehen musste, wie aufgewühlt sie war. Doch sie hätte die Wut, die Trauer und den Schmerz, die sie in diesem Moment empfand, nicht in Worte fassen können.

Noch nicht.

Loghain war ihr Kontakt zu den Grauen Wächtern. Ellana hätte niemals damit gerechnet, dass er noch lebte. Sie hatte wie der Großteil der Bevölkerung angenommen, dass König Alistair ihm damals nach seiner Krönung für seinen Verrat den Prozess gemacht hatte. Doch offenbar hatte die Königin – Loghains Tochter – ihn dazu bringen können, Gnade walten zu lassen: ein Akt der Barmherzigkeit des jungen Königs, der sich seine Güte und sein Mitgefühl hatte bewahren können, obwohl er selbst einer der größten Leidtragenden unter Loghains Herrschaft gewesen war.

Nun lag es an ihr, dem Verräter dieselbe Barmherzigkeit zu zeigen und ihn als Verbündeten der Inquisition zu begrüßen.

Doch Ellana war sich alles andere als sicher, ob sie dazu in der Lage war...

 

„Inquisitorin?“

Ellana hörte, wie sich leise Schritte näherten, doch sie sah sich nicht um.

Eine Decke um die Schultern geschlungen saß sie unter den kahlen Ästen einer Eiche und starrte zum mondlosen Himmel empor, während ihre Begleiter ein Dutzend Meter entfernt am Lagerfeuer beieinandersaßen und sich leise unterhielten. Solas war, kurz nachdem sie das Lager aufgeschlagen hatten, in der Dunkelheit des Waldes verschwunden, um für eine Weile zu meditieren, wie er es hin und wieder tat, wenn sie auf Reisen waren. Ellana respektierte seinen Wunsch, sich zurückzuziehen, auch wenn sie sich am Anfang noch Sorgen gemacht hatte, wann immer er nachts auf Wanderschaft gegangen war. Doch mittlerweile kannte sie ihn besser und wusste, dass er sehr vorsichtig war und jeglichen Gefahren aus dem Weg gehen würde.

Das leise Knirschen von Leder war zu hören, als Hawke sich neben ihr auf dem kalten Boden niederließ und die Knie an den Körper zog.

Für eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, während sie den von unzähligen Sternen erhellten Nachthimmel bewunderten.

Dann ergriff Hawke schließlich das Wort.

„Wir werden den Kammwald morgen erreichen“, teilte sie Ellana leise mit. „Loghain wird uns dort bei Sonnenuntergang am geplanten Treffpunkt erwarten.“

Ellana gab keine Antwort, sondern nickte nur.

All das hatte die andere Frau ihnen bereits vor wenigen Stunden mitgeteilt, weshalb sie sich fragte, warum Hawke es für nötig hielt, ihr alles noch einmal zu erzählen.

Es sei denn...

„Was kann ich für Euch tun, Hawke?“, fragte sie und warf der anderen Frau einen kurzen Blick zu, bevor ihre Augen wieder in die Ferne schweiften.

Hawke seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

„Verzeiht“, sagte sie. „Ich rede für gewöhnlich nie lange um den heißen Brei herum... Aber mir ist der Ausdruck auf Eurem Gesicht nicht entgangen, als ich Loghain heute Morgen erwähnte. Ich weiß nicht, warum sein Name einen solchen Zorn bei Euch hervorruft, aber ich wollte Euch wissen lassen, dass ich bei dem Treffen morgen nicht von Eurer Seite weichen werde, und Ihr meine Unterstützung habt, egal, was auch passiert.“

Ellana blinzelte kurz.

Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Verständnis und Mitgefühl in Hawkes Stimme. Sie hatte sich nach ihrem Gespräch am Vormittag für ihre Reaktion geschämt und gehofft, dass niemand die Entgleisung ihrer Gesichtszüge bemerkt hatte. Wie es aussah, hatte sie sich geirrt. Doch anstatt darüber hinwegzusehen und nicht weiter auf ihr Unwohlsein einzugehen, hatte sich Hawke Sorgen gemacht und war gekommen, um ihr ihren Beistand zuzusichern.

Ellana war seltsam berührt.

Erst als die andere Frau aufstand, um zum Lagerfeuer zurückzukehren, wurde ihr plötzlich bewusst, dass Hawke auf eine Antwort gewartet hatte.

„Bleibt“, stieß sie hervor und griff nach ihrer Hand. Sie wusste selbst nicht ganz, warum, doch sie wollte in diesem Augenblick nicht allein sein.

Hawke blieb stehen und sah überrascht auf sie herab.

„Bitte“, fuhr Ellana fort und senkte die Stimme. „Wenn es Euch– ... Falls es Euch nichts ausmacht.“

Hawke zögerte einen Moment lang, bevor sie schließlich nickte.

„Wie Ihr wünscht“, entgegnete sie sanft und setzte sich wieder.

Dieses Mal hielt ihr Schweigen länger an, als Ellana sich sammelte und nach den richtigen Worten suchte, um fortzufahren. Sie schätzte es sehr, dass Hawke sie nicht drängte, sondern geduldig wartete, während Ellana noch überlegte, wo sie anfangen sollte.

„Meine Mutter“, begann sie schließlich mit leiser Stimme zu erzählen, „war eine außergewöhnliche Frau.“

Hawke sah sie nicht an, während sie sprach, sondern starrte in die Dunkelheit hinaus, doch Ellana konnte sehen, dass sie ihr aufmerksam zuhörte.

„Sie wuchs im Armenviertel von Denerim auf“, fuhr sie fort, und ihre Augen folgten Hawkes Blick. „Obwohl sie von klein auf in dem Waschhaus meiner Großeltern mit anpacken musste, fand mein Großvater doch zwischendurch immer wieder die Zeit, um sie die verschiedensten Dinge zu lehren. Er selbst war Dalish und war in seiner Jugend viel gereist, und er brachte meiner Mutter nicht nur mehrere Sprachen bei, sondern auch das notwendige Wissen, um in der Wildnis zu überleben. Als meine Mutter schließlich alt genug wurde, um für sich selbst sorgen zu können, ging sie ebenfalls auf Reisen.“

Ellana konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Großmutter hatte ihr die Geschichte so viele Male erzählt, dass sie sie selbst jetzt noch Wort für Wort wiederholen konnte, wie die Märchen über den Schreckenswolf, die man kleinen Kindern erzählte, wenn sie nicht artig waren.

„Sie bereiste ganz Ferelden von den tiefsten Wäldern bis hin zu den großen Städten. Auf ihren Reisen begegnete sie unter anderem auch meinem Vater... mit dem sie sich anfangs überhaupt nicht verstand, auch wenn er ihr Seelenpartner war.“

Hawke lachte leise. „Das kommt mir bekannt vor.“

Ellana lächelte schwach.

„Ja, ich... habe auch schon mehrmals von solchen Fällen gehört“, meinte sie, während sie an Solas dachte. Dann fuhr sie fort:

„Meine Mutter machte außerdem die Bekanntschaft mit der Frau, die später die Heldin von Ferelden werden sollte. Sie verbrachte einige Zeit in ihrer Gesellschaft und blieb auch danach noch weiter mit ihr in Kontakt.“ Ellana fröstelte auf einmal und schlang die Decke fester um ihre Schultern.

„Meine Mutter hatte keine Ahnung, dass diese Bekanntschaft sie eines Tages das Leben kosten würde“, wisperte sie.

Hawke warf ihr einen mitfühlenden Blick zu.

„Ich nehme an, hier kommt Loghain mit ins Spiel...?“, fragte sie sanft.

Ellana nickte.

„Nach der Niederlage in Ostagar und dem Tod von König Cailan begann er, die Grauen Wächter und alle ihre Verbündeten, sowie jene, die ihnen Unterschlupf boten, gnadenlos zu verfolgen.“

Sie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie ihre Mutter, die auch in den anderen Stadtvierteln von Denerim Kontakte hatte, ihr von den dortigen Hausdurchsuchungen erzählte.

„Als die Heldin von Fereldin zusammen mit Alistair und ihren restlichen Begleitern Schutz suchte, war meine Mutter die erste, die ihnen ihre Hilfe zusagte. Die Tage, die sie damals bei uns verbrachten, waren sehr... interessant.“

Ellana war damals erst zwölf Jahre alt gewesen, doch obwohl ihre Mutter sie gebeten hatten, ihre Besucher in Ruhe zu lassen, hätte sie nichts daran hindern können, heimlich den Gesprächen der Gäste zu lauschen. Ihre Unterhaltungen darüber, Loghain zu stürzen, waren ihr sehr aufregend und abenteuerlich vorgekommen, doch in welcher Lebensgefahr die Gruppe damals geschwebt hatten, war ihr erst Jahre später bewusst geworden. Erst als sie schließlich von der schlanken, dunkelhaarigen Frau mit den goldenen Augen beim Lauschen erwischt wurde, hielt sie sich an die Anweisungen ihrer Mutter und ließ die Gäste in Frieden, zu viel Angst hatte ihr der Ausdruck in den Augen der Fremden eingejagt.

„Doch so viele Personen unter einem Dach bleiben nicht unbemerkt“, fuhr sie fort. „Ihr müsst wissen, dass die Elfen im Gesindeviertel von Denerim damals sehr arm waren und oft Hunger litten. Da auf die Erfassung der Grauen Wächter eine Belohnung ausgesetzt war, dauerte es nicht lange, bis jemand aus der Nachbarschaft die Stadtwache rief. Für gewöhnlich interessiert diese sich nicht für die Belange der Elfen, doch dies war ein besonderer Fall.“

Hawke schien zu ahnen, was als nächstes folgte, denn sie streckte die Hand aus und schloss sie um Ellanas kalte Finger. Mit einem kleinen Nicken ermutigte sie sie, ihre Erzählung fortzusetzen.

„Sie kamen in der Nacht“, erzählte Ellana leise. „Kaum einen Tag, nachdem unsere Besucher weitergezogen waren. Die Wache durchsuchte das ganze Haus, doch sie konnten nichts finden, nicht einmal eine Spur. Also drohten sie uns an, unser Haus abzubrennen, wenn wir ihnen nicht sagten, wohin die Wächter gegangen waren...“

Ellana erzählte Hawke, wie sie sich in jener Nacht angsterfüllt an ihre Großmutter geklammert hatte, während ihre Mutter vorgetreten war und der Stadtwache all ihre Fragen beantwortet hatte. Sie führte sie jedoch auf eine falsche Fährte, und nachdem die Wachen wieder abgezogen waren, verbarrikadierte sie alle Türen und Fenster. Warum sie sie angelogen hätte, hatte Ellana sie am nächsten Tag gefragt. Weil das Schicksal von Ferelden vom Erfolg jener Frau abhing, hatte ihre Mutter ihr geantwortet und sie in ihre Arme gezogen.

Und weil es wichtig ist, für das, woran man glaubt, zu kämpfen.

Ellana hatte ihre Worte nie vergessen.

„An jenem Abend ahnte ich noch nicht, dass es eines der letzten Mal sein sollte, dass ich meine Mutter lebend sah“, schloss sie leise ihre Erzählung. „Denn nur wenige Tage später verschwand sie plötzlich. Wir erfuhren lange nicht, was mit ihr passiert war, bis ein Nachbar uns erzählte, dass er gesehen hatte, wie zwei Wachen sie abgeführt hatten.“

„Um sie zu verhören“, vermutete Hawke.

„Ja“, wisperte Ellana. „Das auch.“

Sie fühlte sich mit einem Mal sehr müde.

„Mache ich Loghain für den Tod meiner Mutter verantwortlich? – Nein“, sagte sie dann. „Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, wer sie war. Aber wofür ich ihn verantwortlich mache, sind die Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben. Die auch unzählige andere Unschuldige das Leben gekostet haben, deren einziges ‚Verbrechen‘ darin bestand, der Heldin von Ferelden dabei zu helfen, ein noch größeres Unglück zu verhindern.“

Hawke antwortete nicht gleich, sondern schien noch in Gedanken versunken zu sein.

„Ich... glaube, ich verstehe Eure Gefühle“, entgegnete sie schließlich leise. „Auch ich habe Familie verloren; die Verderbnis hat meinen Vater und meinen Bruder das Leben gekostet. Wer weiß, ob ich selbst noch hier wäre, hätten Elissa Cousland und König Alistair Loghain und seinen Verbündeten nicht mit aller Macht Widerstand geleistet...“

Für eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Das Lagerfeuer war mittlerweile runtergebrannt und die meisten ihrer Gefährten hatten sich bereits schlafen gelegt. Nur die vertraute Gestalt von Varric saß noch neben den glühenden Überresten des Feuers, vermutlich, weil er auf Hawke wartete.

„Ich danke Euch für Euer Vertrauen“, sagte Hawke dann und erhob sich vorsichtig. „Ich verstehe jetzt, wieso die Erwähnung seines Namens Euch so erschüttert hat. Und mein Angebot bleibt bestehen – was auch passiert, ich werde Euch morgen nicht allein lassen. Das verspreche ich.“

Ellana spürte Tränen in ihren Augenwinkeln brennen.

„Ich danke Euch“, flüsterte sie.

Hawke schenkte ihr ein schwaches, aber von Herzen kommendes Lächeln.

„Ich wünsche Euch eine erholsame Nacht, Inquisitorin“, sagte sie.

Dann wandte sie sich ab und kehrte zum Lagerfeuer zurück.

Ellana sah mit neuer Hoffnung im Herzen noch einmal zu den Sternen hinauf, bevor sie sich ebenfalls erhob und sich in ihr Zelt begab.

 

Vhenan“, murmelte Solas im Halbschlaf, als sie zu ihm unter die Decke kroch und sich an ihn kuschelte. Er drehte sich zu ihr herum und schlang die Arme um sie, bevor er sie warm auf die kalten Lippen küsste.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er leise.

Ellana schloss die Augen und schmiegte die Wange an seine Brust.

„Jetzt ja“, flüsterte sie.

Eines Tages würde sie auch ihm ihre Geschichte erzählen. Doch an diesem Abend war es befreiender gewesen, mit einer Außenstehenden wie Hawke zu sprechen, die ebenso wie Ellana in Ferelden aufgewachsen war und die Verderbnis durchlebt hatte, und wusste, welchen Verlust sie erlitten hatte.

Solas würde sie sich auch noch anvertrauen, doch das hatte Zeit.

Sie hatten noch Zeit.

Und mit dem Gedanken schlief sie schließlich ein.

Dorian

„Ich halte das für keine gute Idee.“

Die leise Stimme erklang so dicht hinter ihm, dass Dorian vor Schreck kurz zusammenzuckte. Doch er fasste sich schnell wieder.

„Schwester Leliana“, entgegnete und drehte sich zu der Frau herum, die seinen Blick mit gelassener Miene erwiderte.

„Leliana tut es auch“, meinte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das beinahe echt genug war, um ihn zu überzeugen.

„Leliana.“ Dorian nickte. Dann wandte er sich ab und sah zu Cullen hinüber, der dabei war, die letzten Vorräte in den Satteltaschen ihrer Pferde zu verstauen.

„Ich bin mir auch nicht sicher, ob es die beste Idee ist“, meinte er leise. „Aber... ich muss es tun.“

Seine Stimme war ruhig, aber entschlossen.

„Ich verstehe, dass Ihr es tun müsst“, sagte Leliana und ihre Augen folgten seinem Blick. „Ich halte es nur für unvernünftig von Cullen, Euch dabei zu begleiten. Er ist der Kommandant der Inquisition. Wenn ihm auf dieser Reise etwas zustoßen sollte...“

Sie beendete den Satz nicht, doch das musste sie auch nicht. Dorian wusste auch so, wovon sie sprach – und er teilte ihre Sorge. Doch obwohl sie darüber gesprochen hatten, hatte Cullen sich nicht von seinem Entschluss abbringen lassen, ihn zu begleiten.

Dorian hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt, wie an jenem Abend, so als hätte das Leid, das Dorian widerfahren war, ihn ebenso getroffen, wie den Magier selbst. Dorian hatte sein ganzes Leben lang für sich selbst eingestanden, er war es nicht gewohnt, dass andere es für ihn taten. Nur Felix hatte ihn manchmal seinem Vater gegenüber in Schutz genommen, wann immer dieser mit Dorians Arbeit unzufrieden gewesen war, doch das war eine andere Zeit gewesen.

Cullen hingegen...

Ich wünsche jemand zu sein, der Eurer Freundschaft und Liebe würdig ist.

Erst jetzt begann Dorian langsam zu begreifen, was der andere damit gemeint hatte. Und es erfüllte ihn mit einem seltsamen Gefühl von Zuneigung, wann immer er Cullen ansah.

„Ihr müsst ihm eine Menge bedeuten“, sprach Leliana und in ihren Augen lag ein seltsames Funkeln bei diesen Worten. Doch was für eine Antwort sie sich auch von ihm zu erhoffen schien, Dorian hatte nicht vor, ihrer Neugier Nahrung zu geben. Stattdessen senkte er den Blick und schwieg.

Lelianas Mundwinkel hoben sich schwach.

„Ich verstehe“, sagte sie, und Dorian wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihre Antwort bereits hatte.

Dann sah sie erneut zu Cullen hinüber.

„Es wird ihm nicht gefallen, aber ich werde ein paar meiner Kundschafter anweisen, Euch zu folgen. Nur für den Fall der Fälle.“

Dorian sah sie überrascht an. „Ich... danke Euch.“

„Nicht dafür.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde meine Leute anweisen, Euch in gebührendem Abstand zu folgen, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf Euch zu lenken. Sollte Cullen sie bemerken, richtet ihm bitte meine herzlichsten Grüße aus und teilt ihm mit, dass es ernsthafte Konsequenzen für die Versorgung seiner Rekruten haben wird, sollte er meine Leute zurück nach Hause schicken.“

Trotz der Drohung konnte Dorian sich ein Lächeln nicht verkneifen. Cullen selbst Konsequenzen anzudrohen hatte keinen Zweck, dafür sorgte er sich zu wenig um sein eigenes Wohl. Seinen Rekruten hingegen mit Strafmaßnahmen zu drohen... das war etwas, womit man ihn treffen konnte.

Dorian wurde wieder einmal bewusst, wieso Leliana die Spione der Inquisition anführte. Sie liebte das „Spiel“ und hätte sich in dem politischen Schlangennest von Tevinter zweifellos wie zu Hause gefühlt.

„Ich werde daran denken, wenn es soweit ist“, erwiderte er.

„Das reicht mir schon.“ Sie schenkte ihm erneut ein Lächeln, und dieses Mal war es echt. „Ich wünsche Euch eine gute Reise, Lord Pavus. Möget Ihr Euren Frieden mit den Dingen machen, die Euch erwarten.“

Dorian hob überrascht die Augenbrauen. Woher wusste sie, was er vorhatte? Hatte sie etwa das Gespräch zwischen ihm und Cullen mit angehört...?

Doch bevor er sie fragen konnte, hatte sie sich bereits abgewandt und auf den Weg zurück zur großen Halle gemacht.

„Dorian...?“, hörte er in diesem Moment Cullen nach ihm rufen.

Er drehte sich um und ging zu dem Kommandanten hinüber, der die letzten Vorbereitungen abgeschlossen hatte.

„Lasst uns aufbrechen“, sagte Dorian und schenkte dem anderen ein flüchtiges Lächeln, bevor er auf sein Pferd stieg. „Wir haben einen langen Weg vor uns.“

 

„Was werdet Ihr ihm sagen?“, fragte Cullen leise in der Dunkelheit.

Es war der letzte Abend, bevor sie ihr Ziel erreichen würden, und sie teilten sich ein winziges Zimmer, das sie in einem kleinen Gasthof an der Straße nach Redcliffe gemietet hatten.

Dorian lag keinen halben Meter entfernt auf seinem eigenen schmalen Bett, den Rücken Cullen zugewandt. Bei dessen Worten seufzte er leise auf. Als würde er sich nicht schon seit Tagen den Kopf über diese Frage zerbrechen.

„Ich weiß es nicht“, entgegnete er schließlich, weil es die Wahrheit war. „Ich werde abwarten, was er mir zu sagen hat.“

Cullen gab keine Antwort, doch Dorian wusste, dass er ihm noch immer zuhörte.

„Aber was er auch von mir will“, fuhr er nach einer Weile leise fort, „ich hoffe, Ihr denkt danach nicht schlechter von mir.“

Ein leises Rascheln ertönte, als Cullen sich auf seinem Bett herumdrehte.

„Warum sollte ich schlechter von Euch denken?“, fragte er.

Weil nichts an mir normal ist, dachte Dorian.

Nicht die rätselhaften Träume, die ihn begleiteten, seitdem der Himmel aufgerissen war. Nicht die Narbe auf seiner Brust, die ihn ein Leben lang daran erinnern würde, dass nichts, was er war, nichts, was er sich erarbeitet hatte, je gut genug für seine Familie sein würde. Und erst recht nicht der fehlende Name auf seinem Handgelenk...

Dorians Schweigen hielt an. Auch Cullen war still, und Dorian fragte sich nach einer Weile, ob das Gespräch für ihn beendet war.

Doch dann ertönte ein erneutes Rascheln in der Dunkelheit, und einen Moment später spürte Dorian eine zaghafte Berührung an seiner Schulter. Mehrere Sekunden lang war er zu überrascht, um zu reagieren, doch dann griff er in der Dunkelheit nach der Hand, die Cullen auf seine Schulter gelegt hatte.

Die Finger des anderen waren kalt, doch ihr Griff war fest und beruhigend.

„Was auch immer er sagt“, sprach Cullen leise, „es wird nichts an meiner Bewunderung für Euch ändern... und an meiner Zuneigung.“

Erneut spürte Dorian eine eigenartige Wärme in seiner Brust. Und plötzlich wusste er, dass es keine Rolle spielte, was sein Vater ihm morgen sagen würde – nicht wirklich. Dorian würde immer einen Ort haben, an den er zurückkehren konnte.

Er gab keine Antwort, doch er ließ Cullens Hand auch nicht wieder los, und einige Zeit später schlief er schließlich ein.

 

Redcliffe hatte sich stark verändert, seitdem er Felix hier getroffen hatte. Aus der lebendigen kleinen Hafenstadt war eine Hochburg der Magier geworden. Er sah keine spielenden Kinder mehr, keine Händler, die ihre Waren anpriesen. Stattdessen waren die Straßen von Magiern bevölkert, sowie Soldaten, die die vertrauten, imperialen Farben von Tevinter trugen. Gereon Alexius hatte ganze Arbeit geleistet und es geschafft, Magier aus ganz Thedas zu mobilisieren und nach Redcliffe zu holen.

Ein Umstand, der auch Cullen nicht entging. Er warf Dorian einen besorgten Blick zu, während sie durch die Straßen schritten, die Kapuzen ihrer Umhänge tief ins Gesicht gezogen, damit man sie nicht erkannte.

„Wir sollten nicht zu lange hier verweilen“, sagte er leise und Dorian stimmte ihm zu.

Er hoffte, dass auch Lelianas Geleitschutz vorsichtig war und außer Sichtweite blieb. Sollten die Magier herausfinden, dass sie zur Inquisition gehörten, dann würde dies den Kundschaftern schnell zum Verhängnis werden.

Wie sich herausgestellt hatte, hatte es nicht einmal zwei Tage gedauert, bis Cullen gemerkt hatte, dass sie Gesellschaft hatten – und wie Leliana es prophezeit hatte, war er alles andere als begeistert davon gewesen.

Dorian hatte gewartet, bis er sich wieder beruhigt hatte, und dann in kurzen Worten wiedergegeben, was Leliana zu ihm gesagt hatte. Cullen hatte nur mit finsterer Miene genickt und sich widerwillig in sein Schicksal gefügt, doch Dorian zweifelte nicht daran, dass dies noch ein Nachspiel haben würde.

Kurze Zeit später kam die Taverne in Sicht, in der das Treffen stattfinden sollte. Bis zur Mittagsstunde – dem verabredeten Zeitpunkt – war es noch eine Weile hin, doch Dorian wollte es so schnell wie möglich hinter sich haben. Er wollte gerade die Straße überqueren und auf das Gebäude zugehen, als Cullen ihn noch einmal zurückhielt.

„Seid Ihr Euch ganz sicher?“, fragte er leise. „Noch können wir umkehren. Ihr müsst ihn nie wieder sehen, wenn Ihr das nicht wünscht.“

Dorian nickte. „Ich weiß. Aber wenn ich diese Sache nicht ein für alle Mal kläre, werde ich keinen Frieden finden.“

Cullen zögerte kurz. Dann senkte er den Blick. „Wir Ihr wünscht.“

Doch Dorian war noch nicht fertig. „Und... Cullen?“

„Ja?“ Der andere hob den Kopf und musterte ihn aus warmen, braunen Augen.

„Ich weiß, wie Ihr empfindet, aber... bitte überlasst mir das Reden“, sagte Dorian.

Cullen erwiderte für eine Weile wortlos seinen Blick und es war ihm anzusehen, dass er mit sich selbst kämpfte. Doch schließlich nickte er.

„In Ordnung“, entgegnete er. „Ich werde mich nicht einmischen.“

Dorian lächelte. „Danke.“

Dann betraten sie gemeinsam die Taverne.

 

Der Schankraum war leer, als sie eintraten.

Sowohl vom Wirt als auch von den Gästen fehlte jede Spur, und Dorian vermutete, dass sie es seinem Vater sowie Alexius‘ Einfluss zu verdanken hatten, dass sie bei ihrer Unterhaltung ungestört sein würden.

Dorian schlug seine Kapuze zurück und atmete innerlich auf. Es war noch niemand hier, sie hatten noch ein wenig Zeit...

Ein Knarren ertönte von der Treppe her, die zu den Gästezimmern führte, und Dorian erstarrte, als er eine leise Stimme hörte.

„Mein Sohn.“

Cullens Gesicht glich einer Maske, als er den Mann erblickte, der in diesem Moment in den Raum trat, doch er hielt sich an ihre Abmachung und positionierte sich wortlos neben der Tür.

Wie in Zeitlupe drehte Dorian sich zu seinem Vater herum.

Halward Pavus hatte sich kaum verändert, seitdem Dorian Tevinter verlassen hatte. Sein Haar war noch immer dunkel und voll, auch wenn sich mittlerweile mehr graue Strähnen darin wiederfanden, als noch vor einem Jahr. Auch die Falten, die sich um seine Augen und Mundwinkel in sein Gesicht gegraben hatte, waren tiefer geworden, und ein kleiner, aber gehässiger Teil von Dorian hoffte, dass er der Grund dafür war.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Dorian.“

Halwards Stimme war warm und voller Zuneigung, und Dorian hasste ihn dafür, denn er wollte seine Liebe nicht, wollte nicht erneut eine Beziehung zu ihm aufbauen, die eines Tages nur wieder in Tränen und Schmerz enden würde. Er war nicht hergekommen, um seinem Vater eine zweite Chance zu geben, sondern um einen Schlussstrich zu ziehen, und das würde er auch tun.

„Es hätte mich weniger Überwindung gekostet, nach Redcliffe zu kommen, wenn dein Brief an mich adressiert gewesen wäre“, erwiderte er und konnte den anklagenden Unterton dabei nicht so recht aus seiner Stimme verbannen.

Halward schien betrübt. „Wenn ich mir sicher gewesen wäre, dass du ihn auch gelesen hättest, anstatt ihn sofort zu verbrennen, dann hätte ich es getan.“

Und da hatte er vermutlich sogar Recht. Wäre der Brief als erstes bei Dorian gelandet, hätte er ihn vermutlich keines Blickes gewürdigt, bevor er ihn vernichtet hätte.

Wie hatte Dorian jemals vergessen können, wie berechnend sein Vater war?

„Na schön“, entgegnete er. „Du hast also versucht, einen anderen Weg zu finden, um mich zu erreichen und nach Redcliffe zu bringen. Herzlichen Glückwunsch, es ist dir gelungen. Und was jetzt? Was willst du von mir?“

Halward seufzte. „Ist das nicht offensichtlich? Ich wollte dich bitten, mich zurück nach Tevinter zu begleiten. Ich... weiß, dass in der Vergangenheit vieles falsch gelaufen ist zwischen uns, und ich will es dieses Mal richtig machen. Alles, was ich will, ist eine Chance.“

Dorian starrte ihnen einen Moment lang ungläubig an. Dann begann er zu lachen.

„Ist das dein Ernst?“, fragte er, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. „Hast du wirklich daran geglaubt, ich würde mit dir gehen? Nach allem, was du mir angetan hast?“

Sein Vater schwieg, doch er wich nicht zurück, als Dorian auf ihn zuging, so magiegeladen vor Wut und Schmerz, dass die Luft um ihn herum knisterte.

„Wenn dir ernsthaft an einer zweiten Chance gelegen wäre, dann wären die ersten Worte aus deinem Mund eine verdammte Entschuldigung gewesen!“, rief er. „Oder wenigstens irgendeine Äußerung, die mir gezeigt hätte, dass dir leidtut, was du getan hast! ‚In der Vergangenheit ist vieles falsch gelaufen zwischen uns‘... dass ich nicht lache! Was genau habe ich mir zu Schulden kommen lassen, das solche Maßnahmen rechtfertigt? Und wie kannst du es wagen, mir eine Mitschuld an dem zu geben, was passiert ist? Wie kannst du nur?

Dorian ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass es wehtat, und zwang sich, seine hochkochenden Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor er noch versehentlich das Wirtshaus in Brand setzte.

Schließlich atmete er langsam aus und wandte sich ab. Er konnte seinen Vater nicht mehr länger ansehen.

Cullen warf ihm einen kurzen Blick zu und hob besorgt eine Augenbraue, doch Dorian schüttelte nur den Kopf. Es gab nichts mehr hinzuzufügen. Er war müde und verletzt, und er wollte diesen Ort so schnell es ging hinter sich lassen.

Da ertönte noch einmal die Stimme seines Vaters.

„Alles, was ich je wollte, war, dir zu helfen, Dorian.“

Und Dorian wollte diese Diskussion nicht länger fortführen, doch er konnte den Gedanken auch nicht ertragen, dass sein Vater das letzte Wort hatte.

Und so drehte er sich noch einmal zu ihm herum.

„Sicher wolltest du das“, entgegnete er mit beißendem Spott. „Für das Fortbestehen unseres Namens hättest du mir nur zu gerne dabei ‚geholfen‘, mich in einen Liebhaber des weiblichen Geschlechts zu verwandeln, selbst wenn es mich den Verstand gekostet hätte!“

Doch Halward schüttelte nur den Kopf.

„Ist es das, was du glaubst?“, fragte er. „Dass ich vorhatte, deine Präferenzen zu ändern?“

Zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Gesprächs spürte Dorian einen Anflug von Unsicherheit.

„War das etwa nicht von Anfang an dein Ziel?“, erwiderte er.

Sein Vater schenkte ihm ein trauriges Lächeln, und das ungute Gefühl in Dorian verstärkte sich.

„Oh, Dorian... Es war nie meine Absicht, dich zu verändern“, sagte Halward. „Ich wollte dir nur dabei helfen, deinen Platz in der Gesellschaft zu finden.“

„Was... was hattest du vor?“, fragte Dorian und seine Stimme zitterte. Plötzlich war er sich nicht länger sicher, dass er die Antwort hören wollte.

Sein Vater sah ihn mitfühlend an. „Ich wollte dir eine Seele geben.“

 

Cullen hatte kein Wort mit ihm gesprochen, seitdem sie die Taverne verlassen hatten.

Er schien tief in Gedanken versunken zu sein, was Dorian nicht überraschte. Cullen war kein Narr, er musste sofort verstanden haben, was Halward Pavus mit seinen Worten gemeint hatte. Dorian wurde ganz schlecht, wenn er daran dachte, was diese Veränderung für Konsequenzen für ihre Beziehung sowie sein Leben auf der Himmelsfeste haben würde.

Doch in erster Linie tat er weh, dieser Verlust.

Nicht, dass Dorian nicht von Anfang an geahnt hätte, dass Cullen ihn früher oder später wieder verlassen würde. Er hatte nur nicht gedacht, dass es so schnell passieren würde.

Ihre Beziehung hatte gerade erst den Punkt erreicht, an dem Dorian damit angefangen hatte, mit dem Gedanken zu spielen, Cullen sein Geheimnis zu verraten. Doch er hatte es immer zu seinen Bedingungen tun wollen, und zu einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmte hatte. Er hatte nie gewollt, dass Cullen es auf diese Weise erfuhr.

Und erst recht nicht von seinem Vater.

Sein Vater, der viele Tage lang Experimente an ihm durchgeführt hatte, um Dorian das zu geben, was ihn von allen anderen unterschied. Der zweifellos gehofft hatte, dass sich der Name einer Frau auf seinem Handgelenk manifestieren würde – und dass Dorian dann endlich einsehen würde, dass dies seine Bestimmung war.

Doch alles, was er ihm gegeben hatte, waren Narben auf seinem Körper und auf seiner Seele.

 

Sie verbrachten die Nacht im selben Gasthaus, in dem sie schon auf dem Hinweg übernachtet hatten.

Wieder lag Dorian in dem schmalen Bett, in dem er bereits in der Nacht zuvor gelegen hatte. Er hatte die Beine an den Körper gezogen und hoffte, dass er schnell einschlief. Doch vor seinem inneren Auge spielte sich immer wieder derselbe Moment ab, und dieselben Worte hallten in seinen Ohren wider.

Ich wollte dir eine Seele geben.

Dorian spürte, wie Tränen aus seinen Augenwinkeln liefen, und er presste sich die Hand auf den Mund, damit Cullen sein leises Schluchzen nicht hören konnte. Er fühlte sich schon erbärmlich genug und mehr Demütigung konnte er an diesem Tag nicht mehr ertragen.

Plötzlich hörte er ein Rascheln, und einen Moment später ein lautes Scharren.

Kurz darauf glitt ein warmer Arm unter seine Decke und legte sich locker von hinten um seine Hüfte.

Dorian brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte, was passiert war.

Cullen hatte sein Bett neben das von Dorian geschoben.

„Die Dinge, die Euer Vater sagte...“, sprach der andere Mann leise. „Sie ändern nichts an dem, was ich Euch letzte Nacht versprochen habe.“

Dorian lag für einen Moment still. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte, konnte sein Glück für einen Augenblick nicht fassen. Dann entluden sich all seine Gefühle – Angst, Dankbarkeit, Schmerz und Hoffnung – in einem Schluchzen, und er versuchte nicht länger, seine Tränen zurückzuhalten.

„Oh Dorian...“, murmelte Cullen. Und dann: „Komm her.“

Dorian drehte sich zu ihm herum und schlang die Arme um ihn. Seine Wangen waren nass, als er das Gesicht an Cullens Hals vergrub, doch es schien den anderen nicht zu stören. Er zog ihn nur an sich und fuhr sanft mit den Fingern durch seine Haare und murmelte Nichtigkeiten in sein Ohr, bis Dorian sich langsam wieder entspannte und schließlich vor Erschöpfung einschlief.

Solas

Der Morgen brachte Regen mit sich.

„Ich will nicht“, murmelte Lavellan an Solas‘ Brust, kaum, dass sie die Augen aufgeschlagen hatte. „Können wir diesen Tag nicht einfach überspringen...?“

„Mmh“, machte Solas. „Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen. In die Zukunft zu reisen ist leider eine Fähigkeit, die ich nicht besitze.“

Dann hob er die Hand, um Lavellan zärtlich eine Strähne aus der Stirn zu streichen, und küsste sie auf die Augenbraue.

„Steh auf, vhenan“, sagte er sanft.

Sie schloss die Augen. „Aber ich bin noch nicht bereit...“

Er rieb die Nase an ihrer Wange. „Du wirst nie bereiter sein, und das weißt du auch.“

Für einen Moment war sie still, dann stemmte sie sich schließlich widerwillig hoch und schlug die Decke zurück.

„Warum musst du immer Recht haben“, seufzte sie.

Solas schüttelte nur amüsiert den Kopf.

Lavellan brauchte für gewöhnlich einige Zeit, um am Morgen in Schwung zu kommen, und Solas hatte sich daran gewöhnt, sie sanft, aber unnachgiebig dazu zu bringen, ihre Müdigkeit und Selbstzweifel zu überwinden und den Tag zu beginnen, egal, was er auch mit sich brachte.

Es war ein Ritual, dass sich ganz am Anfang ihrer Beziehung etabliert hatte, und ohne das ihnen etwas fehlte, wenn sie doch einmal voneinander getrennt waren. Denn es war so selbstverständlich für Solas geworden, dass sie ihren Tag gemeinsam begannen, dass er sich einen Morgen ohne Lavellan nicht mehr vorzustellen vermochte.

Und doch wusste er, dass jener Morgen kommen würde, dass die Zeit immer knapper wurde und der Moment, in dem er dieses Leben wieder hinter sich lassen würde, immer näher rückte.

Die Frage war nur, ob er dann auch die Kraft haben würde, Lavellan zurückzulassen.

Denn das musste er, würde sie das, was er vorhatte, doch niemals gutheißen...

 

Lavellan verließ wenig später das Zelt, um sich mit Hawke zu dem Treffen mit Loghain zu begeben.

Solas kümmerte sich derweil um einen Soldaten, der sich am Abend zuvor beim Aufbau der Zelte an einem rostigen Nagel verletzt hatte. Nachdem er die Wunde gesäubert und sichergestellt hatte, dass der Mann keine Blutvergiftung erlitten hatte, gesellte er sich schweigend zum Rest der Gruppe, die sich trotz des beharrlichen Nieselregens um das Lagerfeuer versammelt hatte und auf die Rückkehr der Inquisitorin wartete.

„Unruhig?“, stichelte Varric, nachdem Solas einen der Kundschafter gefragt hatte, ob es Neuigkeiten von den beiden Frauen gab.

„Keineswegs“, entgegnete der Elf gelassen.

„Es ist in Ordnung, Solas.“ Varric grinste. „Ihr könnt ruhig zugeben, dass Ihr Gefühle habt und Euch Sorgen um sie macht.“

„Ich mache mir keine Sorgen.“ Solas streckte seine Hände aus, um sie über dem Feuer zu wärmen. „Die Inquisitorin ist kompetent genug, um mit Loghain fertigzuwerden.“

Er warf dem Zwerg einen kurzen Blick zu.

„Außerdem ist Hawke bei ihr.“

Varric seufzte.

„Das stimmt allerdings“, sagte er.

Solas hob fragend eine Braue.

„Vertraut Ihr ihr nicht?“

„Was, Hawke?“ Varric erwiderte seinen Blick. „Ich vertraue ihr mit meinem Leben.“

„Warum habe ich dann den Eindruck, als wärt Ihr derjenige, der sich Sorgen machen sollte?“

Varric senkte den Blick. Er schwieg für eine Weile, in Gedanken versunken, doch Solas drängte ihn nicht, sondern wartete geduldig auf seine Antwort.

Schließlich erhob der Zwerg erneut die Stimme.

„Hawke hat in ihrem Leben viel durchgemacht“, sagte er leise. „Und nicht selten waren es Männer und Frauen in Machtpositionen ähnlich der von Loghain, die über das Schicksal von ihr und ihrer Familie entschieden haben. Und auch wenn sie jede dieser Begegnungen stärker gemacht hat, ändert das nichts daran, dass sie im Laufe der Zeit viel zu viel verloren hat...“

Er seufzte. „Ich mache mir keine Sorgen um sie, weil ich weiß, dass sie die Kraft hat, mit diesen Situationen klarzukommen. Ich wünschte nur, dass irgendwann der Tag kommt, an dem sie es nicht länger muss.“

Der Elf dachte über diese Worte nach. Er musste plötzlich wieder an den Ausdruck auf Lavellans Gesicht denken, als sie Loghains Namen gehört hatte. Welche Geschichte auch hinter ihrer Reaktion steckte, sie hatte tiefe Spuren in ihrem Leben hinterlassen, und es peinigte Solas, ihren Schmerz zu sehen und zugleich doch zu wissen, dass er nichts daran ändern konnte, dass er diese Last nicht von ihren Schultern nehmen konnte.

„Ich... glaube, ich verstehe, was Ihr meint“, entgegnete er schließlich. „Vielleicht sind wir uns in dieser Hinsicht doch nicht so unähnlich, wie ich dachte.“

„Mmh“, machte Varric. Dann lächelte er schwach. „Eine Gemeinsamkeit mit Euch? Dass ich das noch erleben darf.“

Solas schüttelte den Kopf. „Gewöhnt Euch besser nicht daran...“

Doch auch er konnte ein kleines Lächeln nicht verbergen.

 

„Die Inquisitorin kehrt zurück!“

Die leisen Gespräche brachen sofort ab, als der Kundschafter die Neuigkeit verkündete. Solas und Varric tauschten einen kurzen Blick, bevor sie vom Feuer zurücktraten und am Rande des Lagers auf die Rückkehrer warteten.

Wenig später kamen Lavellan und Hawke in Sicht, gefolgt von einem Mann mit schlichter Rüstung und dunklem Haar.

Solas musterte Lavellan besorgt, doch ihr Gesichtsausdruck war unergründlich und verriet nichts von ihren Gefühlen. Entweder war das Treffen besser gelaufen, als sie erwartet hatte... oder wesentlich schlechter. Er würde es bald herausfinden.

Nachdem sie gemeinsam ans Feuer zurückgekehrt waren, wandte sich Lavellan an die Anwesenden.

„Dies ist Loghain“, stellte sie ihren Begleiter vor. Ihre Stimme war fest und klar. „Ich denke, die meisten von Euch kennen ihn. Im Moment ist er der einzige Kontakt der Inquisition zu den Grauen Wächtern, die wir schon seit einiger Zeit versuchen zu erreichen. Was er uns über Ihr plötzliches Verschwinden erzählt hat, hat uns mit großer Sorge erfüllt.“

Sie warf dem Mann einen Blick zu. „Loghain?“

Er dankte ihr mit einem Nicken und trat vor. Sein Gesicht war verhärmt und ein bitterer Zug lag um seinen Mund, doch in seinen grauen Augen funkelte Entschlossenheit und seine Haltung strahlte Ruhe und Selbstsicherheit aus.

„Die Situation ist ernst“, sagte er. „Die Grauen Wächter aus ganz Thedas versammeln sich momentan in Orlais, weil es Anzeichen für den erneuten Beginn einer Verderbnis gibt.“

Seine Worte blieben nicht ohne Auswirkungen. Hawke und Varric tauschten einen besorgten Blick, während Cassandra einen leisen Fluch ausstieß.

„Die Wahrheit gestaltet sich allerdings um einiges komplizierter“, fuhr Loghain fort. „Es liegen nicht die typischen Merkmale vor, die normalerweise eine Verderbnis einleiten, und ich habe den Verdacht, dass Corypheus bei dieser Sache seine Hände mit im Spiel hat. Doch mein Orden ist leider nicht bereit, diesbezüglich nähere Untersuchungen anzustellen. Stattdessen hat die Kommandantin der Wächter, Clarel, verkündet, dass sie auch vor Blutmagie nicht zurückschrecken wird, um eine weitere Verderbnis zu verhindern. Es ist daher unablässig, dass die Inquisition mit den Wächtern in Orlais in Kontakt tritt und sie zum Umdenken bewegt.“

„Was ist mit den restlichen Wächtern?“, fragte Cassandra. „Ihr könnt doch nicht der einzige sein, der Zweifel an Clarels Plänen hat.“

„Alle Wächter, die Kritik an ihren Entscheidungen geäußert haben, sind des Verrats angeklagt worden“, entgegnete Loghain. „Ich hielt es darum für das Beste, dem Orden den Rücken zu kehren und woanders nach Hilfe zu suchen.“

„Und Hilfe werdet Ihr bekommen“, sagte Lavellan entschlossen. „Die Inquisition wird die Wächter nicht im Stich lassen. Wir werden nicht zulassen, dass Corypheus ihre Uneinigkeit und Schwäche ausnutzt, sondern alles tun, um sie von seinen Einflüssen zu befreien.“

Sie sah Loghain an.

„Darauf habt Ihr mein Wort.“

 

„Er ist anders, als ich dachte“, sagte Lavellan leise, nachdem sie sich an diesem Abend in ihr Zelt zurückgezogen hatten.

Sie hatte den Kopf in den Schoß von Solas gelegt, der mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Nachtlager saß und ein Buch las.

„Ich war bereit, ihn zu hassen, aber er ist...“ Sie zögerte. „Er ist nur ein ganz gewöhnlicher Mann.“

Solas überlegte kurz, doch er spürte, dass sie keinen Frieden finden würde, bevor sie darüber gesprochen hatte. Er klappte sein Buch zu und legte es beiseite.

„Was hast du erwartet, vhenan?“, fragte er leise und kämmte mit den Fingern durch ihr Haar.

Sie schloss die Augen und seufzte. „Ich weiß es nicht. Nach den Dingen, die ich über ihn gehört habe, habe ich vermutlich mit einem Monster von Mann gerechnet. Nicht damit, dass er so... so ruhig und besonnen ist. So vernünftig.“

Wir Monster wissen uns gut zu tarnen, dachte er nicht ohne Bitterkeit. Dann kam ihm ein anderer Gedanke.

„Er wurde einst von den Menschen Fereldens als Held gefeiert, wenn ich mich recht entsinne“, merkte er an. „Es muss etwas an ihm gewesen sein, das ihnen Hoffnung gab und sie inspirierte, sonst hätte er nie ihren Respekt erlangt.“

„Und doch ließ er den König im Stich, als er seine Hilfe am meisten brauchte!“, erwiderte Lavellan leidenschaftlich. „Und veranlasste anschließend die Verfolgung der Grauen Wächter und all jener, die sich gegen ihn stellten! Was ist daran inspirierend?“

Das Thema berührte sie persönlich, das wurde Solas spätestens in diesem Moment klar. Doch er drängte sie nicht, sich zu erklären, sondern versuchte, auf sie einzugehen.

„Es liegt mir fern, seine Taten zu verteidigen“, sagte er sanft. „Was ich sagen wollte, ist, dass möglicherweise mehr dahintersteckt. Vielleicht rechnete er nicht damit, dass seine Entscheidungen die Konsequenzen nach sich ziehen würden, die sie letztendlich hatten, sondern hoffte auf einen anderen Ausgang. Vielleicht hat er einfach nur zu hoch gepokert – und verloren... Wenn man in einer Position ist, in der man über so viele Leben entscheiden muss, wie Loghain damals, dann ist es nahezu unmöglich, eine Lösung zu finden, die keine Opfer kostet. Oft bleibt einem nur die Wahl zwischen mehreren Übeln.“

Seine Stimme wurde leiser. „Du als Inquisitorin weiß besser als jeder andere, wovon ich spreche.“

Und auch ich weiß es nur zu gut.

Lavellan war für eine Weile still, während sie über seine Worte nachdachte.

„So habe ich es bisher noch nie betrachtet“, entgegnete sie schließlich leise. „Für mich war er immer nur ein Ungeheuer... und kein Mensch, der dieselben Fehler macht, wie jeder andere von uns auch.“

Sie öffnete die Augen und sah Solas an.

„Ich werde ihm dennoch bis an mein Lebensende nicht verzeihen, was er getan hat“, sagte sie ruhig.

„Ich weiß, vhenan“, erwiderte Solas und strich sacht über ihr Haar. „Ich weiß...“

Doch für einen Moment lebte die Hoffnung in ihm auf, dass sie ihm für das, was er getan hatte, verzeihen würde, und er klammerte sich mit aller Macht daran.

Vielleicht würde sie sich doch nicht von ihm abwenden.

Vielleicht...

Bald kehrte wieder Stille ein und Solas nahm erneut sein Buch zur Hand.

Sie erwähnten Loghain kein weiteres Mal.

Cullen

Sie erreichten die Himmelsfeste zwei Tage später.

Dorian war den Großteil der Strecke über still und in sich gekehrt gewesen, und hatte nur gesprochen, wenn Cullen ihn etwas gefragt hatte. Nach dem, was in Redcliffe vorgefallen war, konnte der andere es ihm allerdings nicht verdenken.

Sie sattelten die Pferde ab und übergaben sie in Dennetts Obhut, bevor sich ihre Wege trennten und sie sich zu ihren jeweiligen Quartieren begaben, um sich nach der langen Reise auszuruhen.

Cullen spielte für einen Augenblick mit dem Gedanken, Dorian Gesellschaft zu leisten, doch er spürte, dass der andere Mann allein sein wollte – wenigstens für eine Weile – und so nickte er ihm nur zu, bevor er sich auf den Weg zu seinem Turm machte.

Auf seinem Schreibtisch hatten sich während seiner Abwesenheit Berge von Briefen angehäuft, was Cullen wenig überraschte. Er teilte seinen Sekretären mit, dass er sich für ein paar Stunden ausruhen würde, und danach unverzüglich damit beginnen würde, den Stapel abzuarbeiten. Die jungen Leute, denen die Erschöpfung deutlich anzusehen war, nickten dankbar, als Cullen sie wenig später entließ, damit sie sich für den Rest des Tages erholen konnte.

Nachdem er seine Rüstung abgelegt hatte und die Leiter zu seinem Zimmer hinaufgeklettert war, ließ Cullen sich schwerfällig auf seinem Bett nieder. Obwohl ihn die Erschöpfung fast übermannte, kamen seine Gedanken doch nicht zur Ruhe, und so saß er schweigend auf der Bettkante und starrte ins Nichts.

Dorian hatte keinen Seelennamen.

Was er auch tat, seine Gedanken kehrten immer wieder zu dieser Tatsache zurück.

Sein Seelenpartner trug keinen Seelennamen. Darum hatte Dorian ihn also nicht erkannt, als Cullen ihm damals seinen Namen genannt hatte. Er hatte schlichtweg noch nie von ihm gehört.

Cullen kannte nur einen einzigen Fall, in dem ein Mensch ohne Seelenname geboren worden war, und dieser Fall war in vielerlei Hinsicht eine besondere Ausnahme gewesen. Es war schier unmöglich, dass Dorian ein ähnliches Schicksal erwarten würde... oder doch? War es eine einzigartige Laune der Natur, dass er keinen Namen hatte, oder steckte womöglich mehr dahinter...?

Seufzend ließ sich Cullen schließlich rückwärts auf die Matratze sinken. Ein leichter, aber hartnäckiger Schmerz pochte in seinen Schläfen und machte es immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Unbeholfen streifte er seine Stiefel ab, bevor er unter seine Decke kroch, und wenig später fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

 

Als Cullen die Augen wieder öffnete, hatte bereits die Abenddämmerung eingesetzt.

Müde schlug er die Decke zurück; trotz des Schlafs fühlte er sich nur wenig besser, als wenige Stunden zuvor. Doch er konnte seine Pflichten nicht länger aufschieben, und so wusch er sich kurz mit dem lauwarmen Wasser, das einer der Bediensteten in einer Schale für ihn bereitgestellt hatte, bevor er ein frisches Hemd überstreifte und die Leiter hinunterkletterte, um sich an die Arbeit zu machen.

Zu seiner Überraschung öffnete sich wenig später die Tür und seine Sekretäre traten schweigend ein, um ihn zu unterstützen. Sie wirkten deutlich ausgeruhter, als zuvor, und Cullen entnahm ihren entschlossenen Mienen, dass es keinen Zweck haben würde, sie wieder wegzuschicken. Gerührt von ihrer Loyalität bedeutete er ihnen, sich zu ihm an den Schreibtisch zu setzen. Die junge Frau und ihr Kollege nickten, dann nahmen sie neben ihm Platz und begannen ihre Arbeit.

Es war tiefste Nacht, als Cullen schließlich den letzten Brief zur Seite legte – die Bitte eines orlaisianischen Adligen um militärische Unterstützung beim Kampf gegen einen Oger, der seine Ländereien verwüstet hatte. Josephine würde über die Höhe der Summe erfreut sein, die der verzweifelte Mann der Inquisition im Gegenzug für ihre Hilfe bot. Es war teuer, eine Armee zu unterhalten, und sie konnten das Geld gut gebrauchen.

Cullen bedankte sich bei seinen Mitarbeitern für ihre Hilfe und wartete einen Moment, bis sie sich zurückgezogen hatten. Dann löschte er sämtliche Kerzen in seinem Arbeitszimmer und trat auf den unbeleuchteten Wehrgang hinaus.

Der Seelenname hatte ihm in den letzten Stunden keine Ruhe gelassen, und durch das Band konnte er spüren, dass Dorian ebenso rastlos war, wie er. Zügigen Schrittes durchquerte er die nächtliche Festung, bis er schließlich an der Tür von Dorians Zimmer stand.

„Herein“, hörte er die leise Stimme des anderen Mannes, bevor er auch nur die Hand heben konnte, um anzuklopfen. Dorian hatte ihn erwartet.

Er legte die Finger auf die Klinke und atmete tief durch, dann trat er ein.

„Ich wusste, dass Ihr kommen würdet“, sagte Dorian mit schwachem Lächeln. Er stand am Fenster, die Arme in defensiver Haltung vor der Brust verschränkt. „Ich meine, wie könntet Ihr nicht, nach dem, was Ihr gehört habt...“

Cullen ließ es sich nicht anmerken, aber die formelle Anrede traf ihn mehr, als er erwartet hätte. Er dachte, sie wären endlich über diesen Punkt hinausgekommen.

„Dorian...“, entgegnete er leise und zögerte für einen Augenblick. Doch dann traf er eine Entscheidung, und entschlossen trat er auf den anderen Mann zu und zog ihn in seine Arme. Dorian war für einen Moment vor Überraschung wie erstarrt, doch dann seufzte er und ließ sich gegen Cullen sinken.

„Du hast Recht“, fuhr Cullen leise fort. „Wie könnte ich dich im Stich lassen nach dem, was ich erfahren habe...?“

„Cullen“, murmelte Dorian an seiner Schulter. „Ich dachte, du würdest kommen, um mir zu sagen, dass diese Sache zwischen uns keine Zukunft hat...“

„Oh, Dorian.“ Cullen wandte das Gesicht und küsste den anderen auf die Schläfe. „Wie könnte ich dir das antun? Du bist mein Freund.“

Dass das die falschen Worte waren, spürte Cullen einen Moment später, als Dorian versuchte, sich wieder zurückzuziehen.

„Nein, warte“, sprach er schnell. „Bitte lass mich erklären!“

Dorian gab keine Antwort, doch er versuchte auch nicht länger, Abstand zu gewinnen.

Gut.

„Was auch immer passieren wird, und wie weit und wie lange auch immer wir gemeinsam diesen Weg gehen wollen“, fuhr Cullen fort, „du bist in erster Linie mein Freund, Dorian. Ich genieße die Unterhaltungen mit dir, und die Zeit, die wir zusammen verbringen. Dein Wohlergehen liegt mir ebenso am Herzen, wie deine Sorgen und Ängste. Doch das bedeutet nicht...“

Er löste sich vorsichtig von Dorian und sah in die sturmgrauen Augen, die seinen Blick aufmerksam und voller Hoffnung erwiderten.

„... das bedeutet nicht, dass ich über reine Freundschaft hinaus nichts für dich empfinde“, sagte Cullen leise. „Denn ich empfinde mehr für dich, als ich mit Worten auszudrücken vermag.“

Dorians Augen weiteten sich leicht.

Er öffnete mehrmals den Mund, als wollte er etwas sagen, doch er brachte keinen Ton heraus.

Cullen nahm mit einem kleinen Lächeln sein Gesicht in die Hände und presste einen sanften Kuss auf seine Lippen. Dann ließ er wieder von ihm ab und setzte sich auf das Bett, wobei er Dorian mit einer Geste aufforderte, ihm Gesellschaft zu leisten.

Der andere blinzelte wie benommen, bevor er schließlich der Einladung folgte und sich zu ihm setzte.

Für eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort, dann streckte Cullen vorsichtig die Hand aus und legte sie auf Dorians Unterarm.

„Darf ich...?“, fragte er leise.

Dorian zögerte kurz, dann hielt er ihm sein Handgelenk hin.

Vorsichtig öffnete Cullen die goldenen Schnallen des Lederbandes und entblößte Stück für Stück die Haut darunter.

Sie war ein wenig blasser, als der Rest von Dorians sonnengebräuntem Körper, und ohne Makel.

Cullen fuhr mit dem Daumen über die glatte Haut, und er hörte Dorian bei der sanften Berührung leise den Atem einziehen.

„Unglaublich“, murmelte Cullen.

Dorian lachte auf.

„Ich glaube nicht, dass ich dieses Wort schon mal im Zusammenhang mit dem Fehlen meines Seelennamens gehört habe“, sagte er.

Cullen sah ihn fragend an. „Wieso nicht?“

Dorian senkte den Blick.

„Die frühesten Bemerkungen, an die ich mich noch erinnern kann, lauten ‚fehlerhaft‘, ‚unvollkommen‘ und ‚verflucht‘“, entgegnete er. „Es wird dich vermutlich nicht verwundern zu hören, dass mein Vater mir in den ersten Jahren meines Lebens kaum Beachtung geschenkt hat und nur das Wort an mich gerichtet hat, wenn es absolut unvermeidbar war. Ansonsten war ich für ihn ebenso unsichtbar, wie die Sklaven in unserem Haus.“

Obwohl Cullen darüber tatsächlich nicht sehr überrascht war, spürte er doch für einen Augenblick, wie die Wut in ihm hochkochte, und er musste sich zwingen, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

„Es wurde besser, als ich begann, ein Talent für Magie zu zeigen“, fuhr Dorian fort. „Von da an betrachtete er meinen ‚Makel‘ als Omen und war davon überzeugt, dass ich dazu bestimmt war, der nächste Archon zu werden.“

Er schüttelte den Kopf. „Als wäre es ihm jemals um etwas anderes gegangen, als sein Ansehen und das unserer Familie zu stärken.“

„Und die Linie aufrechtzuerhalten“, vermutete Cullen.

„Ja.“ In Dorians Stimme schwang Bitterkeit mit. „Sein Wunsch, dass ich einen Erben in die Welt setzte, wurde irgendwann zur Besessenheit. Doch je mehr er mich drängte, desto mehr distanzierte ich mich von ihm. Ich begann zu trinken und das Erbe meiner Familie zu verprassen. Ich erinnere mich daran, wie ich eine Zeit lang von einem Hurenhaus zum nächsten zog und jeden Mann mit in mein Bett nahm, der mich haben wollte.“

Cullens Fingernägel bohrten sich bei diesen Worten schmerzhaft in das weiche Fleisch seines Handtellers, und er musste sich zwingen, seine Finger wieder zu entspannen.

„Mein Vater betrachtete mein Verhalten als Ausdruck meines Ungehorsams. Er dachte, ich würde bevorzugt Männer wählen, um meine Verachtung für die Frau zu zeigen, die er für mich auserkoren hatte. Er begriff nicht, dass ich Männer wählte, weil ich mit Frauen im Bett nichts anzufangen wusste. Bis zum Ende war er davon überzeugt, dass ich es nur deshalb tat, um keinen Erben zu zeugen... das hat unser Treffen in Redcliffe nur zu deutlich bewiesen.“

„Er betrachtete deine Bevorzugung für Männer als Akt der Rebellion“, sagte Cullen leise, „und nicht als Präferenz. Darum versuchte er auch nicht, dich zu verändern, sondern dich durch einen Seelennamen an deine Pflichten zu erinnern.“

„Ja.“

Dorian schwieg für einen Moment.

Cullen griff zaghaft nach seiner Hand und drückte sie, um ihn spüren zu lassen, dass er für ihn da war. Der andere drehte ihm das Gesicht zu und schenkte ihm ein schwaches, aber dankbares Lächeln.

Schließlich fuhr Dorian fort:

„Ich weiß nicht, ob ich es als Verlust oder als Segen betrachten soll, dass mein Vater mich nie wirklich gekannt hat... Der Schaden, der entstanden wäre, wenn er versucht hätte, meine Präferenzen zu ändern, wäre womöglich noch größer gewesen, als der, den er letztendlich angerichtet hat... Was auch immer er damals mit mir getan hat.“

Er legte seine Hand auf die Stelle, auf der unter seiner Weste die Narbe pulsierte, ohne Cullens Hand dabei loszulassen. Der andere Mann spürte die Wärme seiner Haut durch den Stoff hindurch und plötzlich wünschte er sich, sie ohne diese letzte Barriere zwischen ihnen berühren zu können.

Doch dies war nicht der richtige Moment dafür, und aus diesem Grund war er auch nicht hergekommen.

Er war gekommen, um Dorian Beistand zu leisten.

„Was er auch getan hat“, sagte Cullen ruhig, „es war niederträchtig und unmenschlich.“

Er sah Dorian an. „Doch trotz allem war er Familie, und ich verstehe, dass es schwer gewesen sein muss, sich von ihm loszusagen...“

„Ich bin froh, dass ich es getan habe“, entgegnete Dorian und ein harter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Die Idylle jener frühen Jahre ist schon lange vorbei, und eine Heimat werde ich auch woanders finden.“

Er erwiderte Cullens Blick und seine Miene wurde weicher.

„Habe ich vielleicht sogar schon gefunden...“

Cullen spürte ein warmes Flattern in seiner Brust, doch er rührte sich nicht, sondern wartete, bis Dorian seine Zurückhaltung überwand und sich vorbeugte, um ihn zu küssen.

Und während der andere die Augen schloss und die Finger in seinen blonden Locken vergrub, wusste Cullen auf einmal mit absoluter Sicherheit, dass er alles dafür tun würde, um den Rest seines Lebens mit diesem Mann zu verbringen.

 

Sie unterhielten sich noch für eine Weile und erzählten einander von den Dingen, die sie in ihrer Kindheit erlebt hatten, und den Menschen, die ihr Leben geprägt hatten. Doch schließlich tönte das erste Gezwitscher der Vögel vom Garten zu ihnen hinauf und Cullen wusste, dass es Zeit war, zu seinem Turm zurückzukehren.

Er dankte Dorian für seine Offenheit und Geduld und stand auf. Doch bevor er sich zum Gehen wandte, ergriff er noch einmal sanft das Handgelenk des anderen und presste einen Kuss auf die blasse Haut.

Ein seltsamer Ausdruck trat bei dieser Geste in Dorians Augen, und Cullen ging, bevor einer von ihnen etwas tun konnte, wofür sie beide in diesem Moment eindeutig zu müde waren.

Doch Cullen wusste nun, was er wollte.

Und er spürte, dass die Zeit des Wartens bald vorbei war.

Dorian

Dorian erwachte am nächsten Morgen erschöpft und orientierungslos in seinem Bett.

Seine zitternden Finger suchten nach der Karaffe mit Wasser, die neben ihm auf dem Tisch stand, und ungeschickt goss er sich etwas zum Trinken ein. Erst als er ein paar Schlucke aus dem Becher genommen hatte, beruhigte er sich langsam wieder.

Erneut hatte ihn einer der seltsamen Träume heimgesucht, die ihn schon seit längerem quälten.

Je mehr er versuchte, sich an ihn zu erinnern, umso schneller verblassten die Details des Traums. Doch was blieb, war ein Gefühl des Hasses, das so enorm war, dass es ihn zu überwältigen drohte, sowie der Geruch von Rauch in seiner Nase und der Geschmack von Blut auf seiner Zunge.

Er meinte sich auch an Stimmen zu erinnern, die in einer ihm unbekannten Sprache gesprochen hatten. Und doch hatte er die Worte im Traum verstanden... und hatte sie selbst geschrien, bis seine Stimme heiser geworden war.

Tötet sie.

Dorian trank einen weiteren Schluck Wasser, und allmählich ließ das Zittern nach und auch der ekelhafte Blutgeschmack verschwand aus seinem Mund.

Er fragte sich, was all das zu bedeuten hatte. Die Träume wurden immer regelmäßiger und von Mal zu Mal intensiver. Und es gab absolut nichts, was er dagegen tun konnte. Außer vielleicht...

Dorian zögerte. Es gab eine Person, die ihm womöglich weiterhelfen konnte, doch sie war noch mit der Inquisitorin unterwegs und würde erst im Laufe der nächsten Tage zur Himmelsfeste zurückkehren.

Es würde ihn einige Mühe kosten, seinen Stolz herunterzuschlucken, doch langsam sah Dorian keinen anderen Ausweg mehr.

Sobald sich eine Gelegenheit ergab, würde er Solas um Rat fragen.

 

„Oh, hey, der Vint lebt ja noch“, meinte Sera, als Dorian in die Taverne kam, um Frühstück zu essen. Sie saß mit der Alchemistin – wie hieß sie noch mal? Dagna? – an einem Tisch und genoss ihr erstes Bier an diesem Tag. Oder ihr sechstes, so genau konnte man das bei ihrem Tagesrhythmus nicht sagen.

„In der Tat“, entgegnete er, ohne dabei aufzusehen, und ließ sich am anderen Ende ihres Tisches nieder. Ihm war gerade nicht nach Reden zumute.

Das schien die junge Elfe jedoch nicht zu stören.

„Ihr seht furchtbar aus“, sagte sie fröhlich. „Schlecht geschlafen? Oder einfach nur miesen Sex gehabt?“

Sie machte mit den Händen eine entsprechende Geste, die Dagna auflachen ließ.

„Hah“, murmelte Dorian und gab dem Wirt mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er etwas essen wollte.

Nach dem Traum der letzten Nacht war Sex im Moment das letzte, woran er denken konnte.

Was nicht hieß, dass er prinzipiell abgeneigt wäre. Er vermisste die Vertrautheit, die damit einherging, und das Gefühl von Geborgenheit und Schutz – selbst wenn es in der Vergangenheit nie länger als eine Nacht angehalten hatte. Doch Cullen... mit ihm würde es anders sein, das spürte er. Cullen würde noch immer da sein, wenn der Morgen graute.

Dorian musste unwillkürlich lächeln. Er freute sich fast mehr darauf, mit dem anderen Mann an seiner Seite zu erwachen, als er sich auf das freute, was davor kam.

Seltsam, wie sich seine Prioritäten mit der Zeit geändert hatten.

„... scheint, als hätte ich ins Schwarze getroffen“, sagte die Elfe grinsend, die sein Schweigen als Zustimmung wertete.

„Wieviel muss ich Euch zahlen, damit Ihr aufhört zu reden?“, seufzte Dorian, als der Wirt ihm einen Moment später einen Teller Suppe und einen Korb mit frischem Brot brachte.

„Pff“, machte Sera und winkte ab. „Behaltet Euer Geld für Euch.“

Sie warf der Zwergin auf dem Sitz ihr gegenüber einen Blick zu und schob dann ihren Bierkrug zurück.

„Lass uns unsere Unterhaltung woanders fortführen“, sagte sie mit einem Zwinkern.

Dagna wurde rot, aber sie nickte entschlossen und folgte Sera die Stufen hinauf.

Dorian musste nicht sehen, wie die Elfe den Arm um die Hüfte der anderen Frau legte, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was sie vorhatten.

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich dann wieder seinem Essen zu.

„Sie hat nicht Unrecht, wisst Ihr“, meldete sich auf einmal der Eiserne Bulle zu Wort.

Dorian blickte überrascht auf, als sich der riesige Qunari zu ihm an den Tisch setzte. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er ihn bislang nicht bemerkt hatte.

„Ihr seht wirklich nicht gut aus“, fuhr der andere fort. Sein Tonfall war überraschend sanft.

Es war mehr, als Dorian in diesem Moment ertragen konnte.

„Ich schwöre, wenn Ihr mich jetzt fragt, was los ist, erwürge ich Euch mit bloßen Händen“, erwiderte er, halb scherzend, halb im Ernst.

Doch der andere lacht nur auf.

„Nah“, meinte er. „Ich kann sehen, dass Ihr nicht gut drauf seid. Nein, darum bin ich nicht hier...“

Dorian hob eine Augenbraue und schenkte ihm einen fragenden Blick.

„Ich wollte Euch fragen, ob Ihr Lust habt, mit mir im Übungsring zu trainieren“, fuhr er dann fort. „Ihr seht aus, als könntet Ihr es gebrauchen, etwas Dampf abzulassen.“

Mit jemandem zu trainieren, der keine Angst vor ihm hatte und der es mit seiner Magie aufnehmen konnte? Es war ein Angebot, das zu gut war, um wahr zu sein.

Dorian ließ den anderen jedoch noch eine Weile zappeln und leerte erst in Ruhe seinen Teller, bevor er schließlich aufstand und ihm ein herausforderndes Lächeln schenkte.

„Einverstanden“, sagte er. „Lasst uns gehen.“

 

Als schienen sie das Spektakel zu erahnen, das sich anbahnte, versammelten sich nach und nach sowohl die Bediensteten der Himmelsfeste als auch zahlreiche neugierige Rekruten am Übungsring, kaum, dass Dorian und der Qunari ihn betreten hatten.

Auch mehrere Heiler waren darunter, die sich um alle auftretenden Verletzungen kümmern würden, und ihre Anwesenheit bestärkte Dorian in dem Wunsch, alles zu geben, um den anderen zu besiegen.

Der Eiserne Bulle schwang die riesige Axt, mit der er sich für gewöhnlich in die Schlacht stürzte, mehrmals hin und her, bevor er die Hände fest um den Griff der Waffe schloss.

Dorian ließ ebenfalls probehalber seinen Stab rotieren, bevor er ihn quer vor seine Brust hielt und die Klinge ausfuhr, die im unteren Ende des Stabs verborgen war.

Der Qunari hob fragend eine Augenbraue.

„Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass Ihr bei diesem Kampf Magie einsetzt...“

„Oh“, entgegnete Dorian und schenkte ihm ein angriffslustiges Lächeln, „das werde ich. Später. Nachdem ich mich aufgewärmt habe.“

Der andere Mann lachte. „Wie selbstbewusst.“

„Wollt Ihr den ganzen Tag lang reden oder endlich kämpfen?“, fragte Dorian herausfordernd.

Der Eiserne Bulle schüttelte lächelnd den Kopf. „Ungeduldiger Vint...“

Langsam hob er seine Axt.

„Dann zeigt mal, was Ihr draufhabt!“, grollte er und stürzte sich auf Dorian.

 

Dass er seinen Gegner keineswegs unterschätzen sollte, erkannte Dorian schon nach wenigen Minuten.

Der Eiserne Bulle schwang seine Axt mit einem minimalen Aufwand an Kraft, doch der weitreichende Radius seiner Hiebe zwang Dorian, ständig in Bewegung zu bleiben, um der scharfen Axtklinge auszuweichen.

Es war unmöglich, dem anderen nahe genug zu kommen, um ihn mit mehreren gezielten, kräftigen Hieben zu Fall zu bringen, darum beschränkte er sich auf kurze, aber präzise Attacken mit der Klinge seines Stabes, die die Abwehr des anderen durchdrangen und ihm oberflächliche, aber schmerzhafte Schnittwunden zufügten.

Doch der Qunari lachte nur, als würde ihn der Schmerz lediglich beflügeln – Berserker, der er war. Dorians Versuche, ihn von der Seite oder von hinten anzugreifen, blieben erfolglos. Für einen Mann seiner Größe war der Eiserne Bulle erstaunlich agil und schaffte es stets, sich rechtzeitig in seine Richtung zu drehen.

Langsam trat Dorian der Schweiß auf die Stirn, während er um den anderen herumtänzelte und nach Schwachstellen Ausschau hielt. Er war so darauf konzentriert, die Hiebe des anderen abzuwehren, dass er nicht gleich die einsame Gestalt bemerkte, die auf die Brücke zwischen der Haupthalle und dem Eingangstor hinausgetreten war und den Kampf interessiert verfolgte.

Cullen.

Als er ihn erkannte, trat ein Lächeln auf sein Gesicht – und er vernachlässigte für einen Moment seine Deckung.

Lange genug für den Eisernen Bullen, um seinen Stab beiseite zu schlagen und mit seiner Axt auszuholen.

Dorian reagierte instinktiv und streckte die Hand aus.

Die Axt verharrte nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht in der Luft...

... dann zerbarst die unsichtbare Barriere, mit der Dorian sich umgeben hatte, in tausend Stücke, wobei der Qunari von der magischen Entladung zurückgestoßen wurde.

Atemlos trennten sich die beiden Kontrahenten wieder voneinander.

„Augen zu mir“, sagte der Eiserne Bulle mit einem Zwinkern und deutete mit der Hand auf seinen muskelbepackten Oberkörper.

„Oh, das hättet Ihr wohl gerne“, entgegnete Dorian lachend.

Dann hielt er sich nicht länger zurück.

Die Luft begann zu kochen, als er dem Qunari Beschwörung um Beschwörung entgegenwarf. Blitze wechselten sich mit Feuerkugeln ab, denen wiederum ein Eissturm folgte. Und langsam, Schritt für Schritt, trieb er den anderen an den Rand des Übungsrings zurück.

Doch der Eiserne Bulle lachte nur.

„Gebt mir alles, was Ihr habt!“, rief er herausfordernd, während er die Eiskristalle von seinen Hörnern schüttelte.

Richtig. Er hatte Dorian die Gelegenheit geben wollen, bis zur völligen Erschöpfung zu kämpfen.

Doch das bedeutete nicht, dass Dorian nicht trotzdem vorhatte, den Kampf zu gewinnen.

Seine Beschwörungen wurden immer komplexer, und der Schaden, den sie anrichteten, immer größer. Nur am Rande nahm er wahr, wie die Menge an Schaulustigen immer weiter vom Übungsring zurückwich.

Wäre Vivienne nicht gewesen, die den Kampf von ihrem Balkon aus interessiert verfolgte und den Qunari immer wieder mit einer neuen Barriere umgab, dann hätte er den anderen zweifellos schon längst tödlich verwundet.

Doch das Wissen, dass Cullen zusah, verbot es seinem Stolz, den Kampf vorzeitig zu beenden, auch wenn bald klar war, dass er dem anderen überlegen war.

Schließlich wagte der Eiserne Bulle einen letzten, riskanten Ausfall, wobei er Dorian so nahe kam, dass er den Atem des anderen an seinem Nacken spüren konnte.

„Es reicht“, sagte der Qunari sanft. „Ihr könnt aufhören. Ich gebe auf.“

Er trat ein paar Schritte zurück, ohne den Blick von Dorian abzuwenden, und ließ seine Axt dann zu Boden fallen.

Schweratmend ließ Dorian seinen Stab sinken und nickte dem anderen Mann zu.

„Erkennt Ihr meinen Sieg an?“, fragte er mit lauter und klarer Stimme.

„Ja“, erwiderte der Eiserne Bulle fest.

Dann erst wich die Spannung aus Dorians Körper und mit einem erleichterten Seufzen begab er sich zusammen mit dem Qunari in die Behandlung der Heiler, die nur darauf gewartet hatten, dass der Kampf vorüber war.

Allmählich zerstreuten sich die Zuschauer wieder, doch es blieben genug zurück, die es nicht erwarten konnten, ihm zu seinem Sieg gratulierten, und Dorian dankte jedem einzelnen von ihnen mit einem warmen Lächeln.

Als er das nächste Mal zu der Brücke hinaufsah, war Cullen verschwunden.

 

Ein leises Klopfen ertönte am späten Nachmittag an der Tür seines Zimmers.

Benommen öffnete Dorian die Augen und stemmte sich von seinem Bett hoch.

Die völlige Verausgabung beim Kampf hatte in der Tat Wunder bewirkt, und er war in einen traumlosen Schlaf gesunken, kaum, dass er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte.

Obwohl ihm noch immer die Erschöpfung in den Gliedern steckte, fühlte er sich mittlerweile doch deutlich erholter, als an diesem Morgen.

„Es ist offen“, rief er leise und schwang die Beine vom Bett.

Zu seiner Überraschung war es einer von Cullens Sekretären, der sein Zimmer betrat.

„Eine Nachricht für Euch, Serah“, sagte der junge Mann höflich und überreichte Dorian ein Schriftstück, bevor er sich mit einer kurzen Verbeugung wieder zurückzog und leise die Tür hinter sich schloss.

Dorian starrte für einen Moment auf das zusammengefaltete Stück Papier herab, bevor er es vorsichtig öffnete und die Nachricht las.

 

Neun Uhr, mein Zimmer.

Bring Wein mit. Ich werde für Essen sorgen.

 

C.

 

Ein Lächeln trat auf Dorians Gesicht, und ein warmes Gefühl von Vorfreude breitete sich in seinem Inneren aus.

Cullen lud ihn ein, den Abend mit ihm zu verbringen... und vielleicht sogar mehr als das.

Dorian hatte schon fast nicht mehr darauf zu hoffen gewagt.

Mit neuem Mut erfüllt stand er auf und sah aus dem Fenster. Er schätzte anhand des Standes der Sonne, dass ihm noch etwa drei Stunden bis zu seinem Treffen mit Cullen blieben.

Genug Zeit für ein ausführliches Bad.

Dorian öffnete seinen Schrank und suchte die freizügigste Kombination von Kleidungsstücken heraus, die er finden konnte.

 

Wenige Stunden später klopfte er an die Tür von Cullens Arbeitszimmer.

Er war so nervös, dass seine Hand dabei zitterte, doch er nahm all seinen Mut zusammen und trat ein.

Von Cullen fehlte jede Spur, doch das überraschte Dorian nicht. In der Nachricht war schließlich die Rede von Cullens privatem Zimmer gewesen.

Dorian überlegte für einen Moment, bevor er die Flasche Wein, die er mitgebracht hatte, auf dem Schreibtisch abstellte. Dann verriegelte er nacheinander die drei Türen, die zu Cullens Zimmer führten. Es gab nichts, das die Stimmung so schnell und effektiv ruinieren würde, wie ein unerwarteter Besucher.

Erst dann kletterte er die Leiter zu Cullens Schlafzimmer hinauf.

„Da bin ich“, begrüße er den anderen mit einem Lächeln, als er ihn auf dem Bett sitzen sah. „Ich muss gestehen, dass mich deine Nachricht sehr– ... Cullen?“

Ein plötzliches Gefühl von Angst machte sich in Dorian breit, als er das blasse Gesicht und die bebenden Schultern des anderen Mannes sah.

Er stieg eilig das letzte Stück der Leiter hinauf, und war gerade rechtzeitig bei Cullen, um ihn aufzufangen, bevor er nach vorn kippen konnte.

Vorsichtig half er ihm, sich zurück auf das Bett zu legen, und verlor keine Zeit, sich danach selbst die Schuhe auszuziehen und sich neben Cullen auf die Matratze zu legen.

„Cullen, was ist los?“, fragte er voller Sorge und schlang die Arme um den zitternden Mann. Cullens Haut war eiskalt, doch seine Stirn war schweißbedeckt.

„Nur ein... ein Anfall... “, stieß Cullen zwischen klappernden Zähnen hervor. „... bald... vorbei...“

Doch die Worte beruhigten ihn nicht, ganz im Gegenteil.

Das ist kein normaler Anfall, dachte Dorian und kämmte sanft mit den Fingern durch Cullens schweißnasses Haar. Nein – das, was er gerade beobachtete, erinnerte ihn stark an...

Dorians Augen weiteten sich und er hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn gehauen.

Natürlich.

Seine Hand wanderte zu seinem Gürtel und griff nach dem Fläschchen, das er für Notfälle immer bei sich trug.

Doch als er es gerade entkorken wollte, sah er Cullen panisch den Kopf schütteln.

Nein!“, flehte er. „Kein... Lyrium...“

Er senkte den Kopf und schmiegte das Gesicht an Dorians Hals.

„Nie wieder...“, wisperte er. „Bitte...!“

Das letzte Wort sprach er mit so viel Verzweiflung aus, dass es Dorian fast das Herz brach.

Und er verstand endlich.

- Er verstand den ständigen Ausdruck der Erschöpfung auf Cullens Gesicht, verstand, wieso die Hände des anderen Mannes oft so kalt waren,  verstand, wieso er in Cullens Gegenwart nie auch nur eine einzige Phiole mit Lyrium gesehen hatte...

„Keine Sorge, amatus“, murmelte er und strich ihm sanft eine Locke aus dem Gesicht. „Das würde ich dir nicht antun. Versprochen.“

Es dauerte lange, bis Cullen wieder zur Ruhe kam, doch nach und nach wurde sein Atem tiefer und regelmäßiger, und seine Muskeln entspannten sich.

Er schlief nicht, doch er döste an Dorians Brust und öffnete hin und wieder die Augen, um sich zu vergewissern, dass der andere immer noch da war.

Dorian fühlte sich plötzlich an die Nacht erinnert, in der er auf der Flucht vor den Templern zu Cullen gekommen war, um bei ihm Schutz zu suchen. – Nur war es dieses Mal er, der Schutz und Trost bot, und nicht Cullen.

Was auch immer er für Erwartungen an diesen Abend gehabt hatte, er hatte ganz gewiss nicht damit gerechnet, dass er auf diese Weise enden würde.

Dorian schloss die Augen.

Sie würden am nächsten Morgen reden müssen.

Lavellan

Die zahlreichen Fackeln auf den Mauern und Türmen ließen die Himmelsfeste wie ein strahlendes Juwel in der Nacht aufleuchten.

Die Dämmerung hatte bereits begonnen, als sie das Heerlager der Inquisition am Fuße des Berges erreichten, und ein Teil der Soldaten, die sie begleitet hatten, verabschiedete sich dort. Bis zur Festung war es ein langer Aufstieg, doch die Straße war erst vor kurzem erneuert und befestigt worden, und so hatte Ellana beschlossen, sich trotz der Dunkelheit, die sich allmählich über die Berge senkte, auf den Weg zu machen. Sie war nach dem langen Ritt völlig erschöpft, doch der Gedanke an den warmen Kamin und das Bett in ihrem Zimmer trieb sie an, sowie die Sehnsucht danach, eine ungestörte Nacht mit Solas verbringen zu können, ohne sich Gedanken darum machen zu müssen, wer sie alles hörte.

Cassandra ritt voraus, gefolgt von Ellana, die von zwei Soldaten flankiert wurde – beides erfahrene Kämpfer, die Cullen ihr für die Dauer dieser Reise zur Seite gestellt hatte. Den Abschluss bildete Solas, der eine weiße Kugel aus Licht beschworen hatte, die über ihren Köpfen schwebte und den Weg, der vor ihnen lag, erhellte.

Sowohl Loghain als auch Hawke hatten sich bereits viele Kilometer weiter nördlich von ihnen verabschiedet, um über den Handelsweg, der Orlais und Ferelden verband, nach Westen zu reisen, und vorsichtige Nachforschungen über den Verbleib der Grauen Wächter anzustellen. Varric, der sich nicht von Hawke hatte trennen können, hatte sie begleitet, und Ellana war zuversichtlich, dass das Trio darauf achtgeben würde, die Venatori in den Westgraten nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Sie selbst würde ihnen in spätestens drei Tage folgen, doch zuvor musste sie sich mit ihren Beratern über die Dinge austauschen, die sie von Loghain erfahren hatte, sowie sich mehrerer dringlicher Angelegenheiten annehmen, die sie nur persönlich auf der Himmelsfeste klären konnte.

Doch das war morgen.

Heute würde sie schlafen.

Obwohl sie gut vorankamen, war es ein langer Aufstieg zur Festung, und die Glocke der Kapelle schlug bereits Mitternacht, als sie schließlich die Brücke überquerten und durch das große Tor ritten.

Ellanas Blick wanderte dabei zu Cullens Turm hinauf, in dessen Fenster in dieser Nacht kein Licht brannte, was ungewöhnlich war. Doch dann dachte sie an den Tevinteraner und nahm sich vor, es als gutes Zeichen zu werten. Vielleicht würde sie in den nächsten Tagen ja einen Moment finden, um sich allein mit dem Kommandanten zu unterhalten, so wie sie es früher oft getan hatten.

Doch im Moment ging Schlaf eindeutig vor.

Ellana war so müde, dass sie mehr vom Pferderücken fiel, als herabstieg, und nur Cassandras fester Griff hinderte sie im letzten Moment daran, zu straucheln und zu stürzen. Mit einem dankbaren Lächeln wünschte sie ihr eine gute Nacht, bevor sie sich gemeinsam mit Solas auf den Weg zur großen Halle machte, um sich in ihre privaten Räumlichkeiten zurückzuziehen.

Die Halle war um diese Uhrzeit fast leer, doch die wenigen Anwesenden, die sich noch hier aufhielten und in leise Gespräche vertieft waren, erhoben sich, als die beiden Elfen eintraten, und verneigten sich respektvoll.

Ellana nickte ihnen zu, dann setzte sie ihren Weg fort, gestützt auf Solas, der nicht weniger erschöpft war, als sie.

Es war selten, dass ihm die Kontrolle entglitt und die Müdigkeit so deutlich auf seinem Gesicht abzulesen war, wie in diesem Augenblick. Doch Ellana war dankbar für Momente wie diese. Es gab so vieles an ihm, das sie nicht verstand, und es tat gut zu wissen, dass seine Fassade trotz aller Geheimnisse nicht undurchdringlich war. Er war ein Rätsel, ein wandelndes Enigma, und Ellana hatte sich vorgenommen, ihn zu entschlüsseln, egal, wie viel Zeit und Geduld es kosten würde.

Vhenan...“, murmelte Solas, als sie schließlich das Turmzimmer betraten, und presste einen Kuss auf ihre Schläfe. „Du hast es gleich geschafft.“

„Mmh..?“, machte Ellana und schlug die Augen auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie es die Treppe hinaufgeschafft hatte. Entweder hatte Solas Magie angewandt, um sie beide hierherzubringen, oder sie hatte im Halbschlaf einen Schritt vor den anderen gesetzt, ohne es zu merken.

Nur noch wenige Stufen, dann ein paar Schritte...

Sie fiel auf das Bett und presste das Gesicht in das Kissen, zu müde, um auch nur die Schuhe abzustreifen.

Zu Hause. Sie hatte es endlich geschafft.

Ellana ignorierte Solas‘ leises Lachen und bekam nur am Rande mit, wie er im Zimmer umherlief und das Feuer im Kamin zu neuem Leben erweckte. Kaum leckten die ersten Flammen gierig an den Holzscheiten und verbreiteten eine wohlige Wärme im Raum, war sie auch schon eingeschlafen.

 

„Ella.“

Die Stimme war leise, aber beharrlich.

Vhenan. Wach auf.“

Ellana schüttelte den Kopf und schmiegte das Gesicht an Solas‘ Hals. Sie weigerte sich, die Augen zu öffnen.

„Oh doch“, murmelte er belustigt und küsste ihr Haar. „Steh auf, vhenan. Du hast eine Inquisition anzuführen.“

Ellana gab ein leises Stöhnen von sich.

„Cassandra...“, begann sie mit vor Schlaf rauer Stimme.

„... hat gesagt, dass am Vormittag noch keine Termine anstehen, ich weiß“, führte er den Satz fort. „Ich schwöre, wenn ich könnte, würde ich dich länger schlafen lassen, aber es ist bald elf Uhr.“

Ellana gab ein Protestgeräusch von sich, als er sich plötzlich zurückzog, um aufzustehen, und sie rollte sich auf der Stelle zusammen, auf der er gelegen hatte, um die Wärme aufzusaugen, die er zurückgelassen hatte, bevor sie sich verflüchtigen konnte.

Sie war nackt bis auf ihre Unterhose; er musste sie ausgezogen haben, als sie schon geschlafen hatte. Eine Fürsorglichkeit, für die sie dankbar war, denn es gab kein unangenehmeres Gefühl, als schmutzig und verschwitzt in voller Bekleidung am Morgen zu erwachen.

Sie hörte das leise Rascheln von Stoff und dann das Plätschern von Wasser, als er sich mit dem warmen Wasser aus der Schale wusch, das die Bediensteten bereitgestellt hatten.

Es waren so vertraute Geräusche, dass Ellana eindöste, und erst wieder erwachte, als Solas die Decke zurückschlug und sie zwischen die Schulterblätter küsste. Sie seufzte auf, als seine Hände dabei sacht über ihre Seiten streichelten, dann drehte sie sich auf den Rücken und schenkte ihm ein verschlafenes Lächeln.

Er erwiderte das Lächeln mit Wärme und Bewunderung im Blick, während er auf sie herabsah.

Sanft fuhr er mit einem Finger die Rundungen ihrer Brüste nach und küsste sie, als sich ihr Mund zu einem Seufzen öffnete.

Als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, fühlte sich Ellana warm und geborgen.

„Ich werde nie verstehen, wieso...“, murmelte Solas gegen ihre Lippen. Doch er führte den Satz nicht zu Ende, sondern küsste sie ein letztes Mal, bevor er sich wieder erhob.

Ellana hob fragend eine Augenbraue. „Wieso was?“

Sein Blick flog kurz zu dem geflochtenen Band an ihrem Handgelenk, doch er gab keine Antwort.

Aber das brauchte er auch nicht.

„Du fragst dich, wieso derjenige, dessen Name auf meiner Haut steht, nicht hier ist“, stellte sie fest.

In seinem Blick flackerte für einen Moment eine Emotion auf, die sie nicht so recht identifizieren konnte. Für einen Augenblick dachte sie, er würde verneinen, doch dann nickte er.

„Ich bin dankbar für jeden Moment, den ich an deiner Seite verbringen kann“, sagte er leise. „Und ich kann nicht verstehen, wie jemand das hier... dich... nicht wollen kann.“

Er machte eine Geste, die sie beide einschloss.

Er ist eifersüchtig. Ellana hätte fast gelacht. Er ist eifersüchtig, weil er nicht weiß, dass es sein Name ist.

Plötzlich hatte sie genug. Vielleicht war es endlich an der Zeit, dieses Versteckspiel zu beenden.

„Gib mir meinen Dolch“, sagte sie ruhig.

Er starrte sie an, Überraschung auf dem Gesicht.

„Ella, ich hatte nicht die Absicht...“, begann er schließlich. „Du musst nicht–“

„Aber ich will“, unterbrach sie ihn sanft. „Gib mir meinen Dolch.“

Er zögerte einen Moment, dann kam er ihrer Aufforderung nach. Sie nahm den Dolch und wog ihn nachdenklich in der Hand. Dann hielt sie ihm den Griff hin.

„Erweist du mir die Ehre...?“, fragte sie und drehte ihr Handgelenk nach oben.

Er nahm die Klinge entgegen und sah sie prüfend an.

„Bist du dir sicher, dass es das ist, was du willst?“

Seine Stimme war leise, und sie war sich nicht sicher, ob die Frage ihr galt oder an ihn selbst gerichtet war.

„Ich bin mir sicher“, erwiderte sie fest. „Bist du es?“

Solas senkte den Blick und gab keine Antwort. Ellana seufzte, dann setzte sie sich auf und griff nach seiner Hand.

„Solas“, sagte sie mit warmer Stimme. „Vhenan... Vertrau mir.“

Er schüttelte schwach den Kopf.

„Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue“, entgegnete er. „Sondern dass ich mir nicht vertraue...“

Sie legte ihre Hand an seine Wange und wartete, bis er den Mut gefunden hatte, sie wieder anzusehen.

„Aber ich tue es“, sagte sie. „Ist das nicht genug...?“

Solas lächelte – ein schmales, vorsichtiges Lächeln, das ihn jünger aussehen ließ, als er war.

„Das ist es“, erwiderte er nur und strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken.

Dann hielt er ihren Arm mit einer Hand fest, während er mit der anderen vorsichtig die Dolchklinge unter ihr Armband schob.

Ein kurzer Schnitt und es fiel zwischen ihnen auf das Bett.

 

Für lange Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort.

Schließlich stand Solas auf und stellte sich ans Fenster, Ellana den Rücken zugekehrt.

„Das ist nicht möglich“, sagte er mit tonloser Stimme.

Kälte kroch Ellana in die Glieder. Sie hatte damit gerechnet, dass es nicht leicht sein würde, und sich innerlich bereits dagegen gewappnet. Dennoch schmerzte seine Reaktion.

„Es ist echt“, erwiderte sie. Ihre Stimme klang sicherer, als sie sich in diesem Moment tatsächlich fühlte.

„Ich weiß.“ Er warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter, bevor er sich wieder dem Fenster zuwandte, als erhoffte er sich von dem bunten Glas Antworten.

„Es ist dennoch nicht möglich. Es gibt niemanden für mich.“ Seine Stimme wurde leiser. „Es hat nie jemanden für mich gegeben.“

Die Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht.

Und was bin dann ich?, wollte sie fragen, doch das würde ihn nur in die Defensive treiben. Sie spürte plötzlich, dass sie diesen Moment für sich gewinnen musste, sonst würde sie Solas für immer verlieren.

Ellana stand auf und lief auf nackten Füßen zu ihm hinüber. Nähe, sie musste die Nähe wiederherstellen. Wenn er auf Distanz war, konnte sie ihn nicht erreichen.

Solas erstarrte, als sie von hinten die Arme um ihn schlang und den Kopf an seinen Rücken lehnte.

„Dann erklär es mir“, flüsterte sie. „Ich will es verstehen.“

Sie schloss die Augen. „Bitte gib mir eine Chance, es zu verstehen...!“

Sie spürte das Seufzen, das er von sich gab, mehr, als dass sie es hörte.

Schließlich drehte er sich zu ihr herum und nahm ihr Gesicht in die Hände. In seinen grauen Augen spiegelten sich zahlreiche Emotionen und es dauerte eine Weile, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er ihr eine Antwort geben konnte.

„Sieh dich an...“, sagte er leise. „Dein Mut beschämt mich. Selbst nach den Dingen, die ich eben zu dir gesagt habe, kannst du mich nicht aufgeben...“

Er küsste sie auf die Stirn, dann löste er sich vorsichtig aus ihrer Umarmung und wandte sich ab.

„Solas...?“

Ellana schlang fröstelnd die Arme um ihren nackten Oberkörper. Was hatte er vor...?

„Ich muss nachdenken“, entgegnete er. „Du hast Antworten verdient. Die Situation ist komplizierter, als es den Anschein hat, und ich... ich brauche eine Weile, um mir darüber klarzuwerden, wie ich sie erklären soll.“

Er schenkte ihr noch einen letzten Blick, ein letztes, wehmütiges Lächeln.

„Ich werde heute Abend wieder da sein“, sagte er. „Dann werden wir reden, versprochen.“

Und mit diesen Worten ging er.

 

Ellana stand für eine Weile wie erstarrt in der Mitte des Raumes und sah ihm nach. Der Schmerz in ihrer Brust war unerträglich und selbst sein Versprechen linderte ihn kaum. Erst als ihr die Kälte der Bergluft, die durch das offene Fenster hereindrang, in die Glieder kroch, kam sie langsam wieder in Bewegung. Sie wusch sich und zog sich an, bevor auch sie sich auf den Weg machte, um den Tag zu beginnen.

Die Last der zahlreichen erwartungsvollen Blicke, die sich auf sie richteten, als sie die große Halle betrat, war schier erdrückend... doch sie war nichts im Vergleich zu der Last, die ihr Herz in diesem Moment zu tragen hatte.

Ellana atmete tief durch, dann setzte sie ein Lächeln auf – lächeln, immer lächeln – und wandte sich an Josephine.

„Fangen wir an.“

Cullen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Cullen (gekürzte Fassung)

Cullen erwachte am nächsten Morgen zum Geräusch von Regen, der gegen die Fensterscheiben prasselte.

Sein Blick wanderte aus Gewohnheit als erstes zur anderen Ecke des Zimmers hinüber.

Wasser tropfte dort durch das Loch in der Decke und landete mit einem leisen „Pling“ in einem Blecheimer, den er schon vor Monaten zu diesem Zweck strategisch dort platziert hatte.

Cullen fragte sich, wie lange es schon regnete und ob es aufhören würde, bevor der Eimer überlief. Es war bisher erst einmal so weit gekommen, und das Wasser, das durch die Dielen auf seinen Schreibtisch getropft war, hatte einen so erheblichen Schaden angerichtet und viele Schriften derartig unlesbar gemacht, dass er seitdem auf der Hut war.

Es wäre natürlich einfacher gewesen, wenn...

„Du sollest wirklich etwas gegen das Loch in deiner Decke unternehmen“, kommentierte eine verschlafene Stimme neben ihm.

Cullen lächelte.

Ja. Vielleicht sollte er das endlich.

Er drehte sich zu Dorian herum, der neben ihm auf dem Bett lag, eine Hand unter den Kopf geschoben. Der andere Mann musterte ihn mit einem Ausdruck, der Sorge, Zurückhaltung und völlig unverhohlenen Forscherdrang in sich vereinte. Was bedeutete, dass jetzt Fragen folgen würden. Fragen, von denen er nicht wusste, ob er sie beantworten konnte. Doch Dorian hatte Antworten verdient und Cullen würde nicht fliehen. Dieses Mal nicht.

Und der andere kam auch sofort zum Punkt.

„Du hättest mir sagen können, dass du kein Lyrium mehr nimmst“, sagte er leise. „Ich hätte es verstanden. Dann wäre mir so etwas wie letzte Nacht nicht passiert.“

Cullen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Dorian war noch nicht fertig. „Wie oft warst du schon in einem Zustand wie letzte Nacht, ohne dass es jemand wusste? Ohne dass jemand in dieser Zeit bei dir war...?“

Sein Tonfall war anklagend, doch Cullen wusste, dass er es verdient hatte.

„Dorian“, entgegnete er sanft. „Bitte mach dir keine Vorwürfe... du konntest es nicht wissen.“

„Ich mache mir Vorwürfe?“ Dorian zog die Augenbrauen zusammen. „Verdammt, Cullen, du hast dir selbst gegenüber eine Verantwortung zu tragen! Und ich spreche hier noch nicht einmal von deiner Bedeutung für die Inquisition!“

„Dorian...“

„Ich hatte einen Freund, weißt du.“ Die Worte ließen ihn innehalten. „Sein Name war Felix. Er war einer der besten Männer, die Tevinter je hervorgebracht hat, so unwahrscheinlich das auch klingt.“

Dorians Stimme klang bitter.

„Bei einer Begegnung mit der Dunklen Brut wurde er verletzt und sein Blut vergiftet. Er wusste, dass ihn ein langer und qualvoller Tod erwarten würde, doch während wir fieberhaft nach einem Heilmittel geforscht haben, weigerte er sich, auch nur ein einziges Mal Hilfe anzunehmen – selbst dann nicht, als sein Zustand sich sichtbar zu verschlimmern begann. Er sagte, er wollte kein Mitleid.“ Er stieß ein freudloses Lachen aus. „Doch darum ging es mir nie... Ich wollte lediglich, dass er das alles nicht allein durchstehen muss.“

Cullen schwieg. Dorians Erzählung begann plötzlich eine Menge Dinge zu erklären, die er zuvor nicht verstanden hatte... nicht nur seine schlecht versteckte Fürsorge, sondern auch seine Geduld mit ihm.

„Bitte tu das nicht, Cullen“, fuhr Dorian leise fort. „Bitte lehne keine Unterstützung ab, wo sie dir angeboten wird. Ich... ich will nicht noch mal einem Freund dabei zusehen müssen, wie er leidet, ohne in den Momenten, in denen es am schwersten ist, für ihn da sein zu können, nur weil er zu stolz ist, um meine Hilfe anzunehmen.“

Bitte tu mir das nicht an.

Dorian sagte es nicht, aber Cullen konnte die Worte deutlich von seinem Gesicht ablesen, und Zuneigung für den anderen Mann erfüllte sein Herz. Er lehnte seine Stirn an die von Dorian.

„Du hast Recht“, sagte er. „Es tut mir leid. Es ist gut, dass du hier bist, und ich danke dir.“

Dorian sah ihn für einen Moment mit einem solchen Ausdruck von Sprachlosigkeit an, dass Cullen lächeln musste und sich vorbeugte, um den anderen auf den Mund zu küssen.

„Kannst du das noch mal wiederholen?“, fragte Dorian, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich gerade geträumt habe...“

Cullen lächelte. „Nein.“

Vhenedis“, stieß Dorian leise hervor, doch es steckte keine wirkliche Schärfe dahinter.

Für eine Weile lagen sie eng aneinandergeschmiegt so da und lauschten dem Rauschen des Regens.

Dann ergriff Dorian erneut das Wort.

„Gibt es denn überhaupt etwas, was ich tun kann?“, fragte er leise. „Ich will helfen, aber ich weiß nicht, wie...“

Cullen sah die Unsicherheit auf seinem Gesicht und lächelte ihm ermutigend zu.

„Es reicht, dass du hier bist.“

Dorian gab ein Schnauben von sich. „Ich meine es ernst, Cullen.“

„Das tue ich auch“, entgegnete Cullen ruhig. Der andere verstummte, doch Cullen konnte die Frage, die ihm auf der Zunge lag, förmlich hören, und so fuhr er fort:

„Ich... habe es zum ersten Mal in der Nacht bemerkt, als du Schutz vor den Templern gesucht hast.“ Wie lange jener Abend doch mittlerweile zurücklag. „Der Lyriumentzug verursacht oft unerträgliche Kopfschmerzen, doch die Nähe zu dir – zu dem Lyrium in dir – hat sie damals gelindert. Hat sie auch in dieser Nacht gelindert.“

Dorian starrte ihn an.

„Das heißt, du hättest dir die Schmerzen seitdem ersparen können, indem du einfach dein Zimmer mit einem Magier geteilt hättest?“, fragte er ungläubig. „Warum um alles in der Welt hast du es dann nicht getan? Meine Güte, du hättest sogar jemanden wie Solas fragen können! Ich habe keine Ahnung, ob der Mann überhaupt ein Zimmer hat, geschweige denn ein Bett, in dem er schläft. Er hätte sicher mit Freuden zugestimmt!“

Cullen lachte auf. „Ich hätte nicht jeden beliebigen Magier gefragt. Außerdem glaube ich, dass die Inquisitorin Einspruch erhoben hätte, wenn ich Solas zu diesem Zweck beansprucht hätte.“

Dorian lächelte. „Möglich.“

Doch er wurde schnell wieder ernst.

„Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich sofort bei dir eingezogen“, sagte er leise. Und fügte nach kurzem Zögern hinzu. „Und hätte schon längst etwas gegen dieses unsägliche Loch in deiner Decke unternommen.“

„Ich weiß“, erwiderte Cullen sanft. „Und genau deswegen habe ich es nicht getan.“

„Was, wegen dem Loch in der Decke?“

Dorian.“

„Verzeih mir... was wolltest du sagen?“

Cullen seufzte.

„Ich wollte nicht, dass du dich gezwungen fühlst, mir zu helfen“, sagte er. „Wenn du bleiben solltest, dann aus freien Stücken und ohne dieses Vorwissen. Ich wollte, dass du die Freiheit hast, selbst zu wählen.“

Dorian sah ihn lange an.

„Cullen...“, begann er dann und in seiner Stimme lag Resignation.

„Ja?“

„... du bist ein absolut unmöglicher Mann und ich habe keine Ahnung, was ich mit dir anfangen soll.“

Cullen lachte.

 

„Warum ich?“, fragte Dorian später, nachdem sie sich mehrere Minuten lang ohne Eile geküsst hatten und sich eine angenehme Wärme in Cullens Gliedern ausgebreitet hatte. „Du meintest vorhin, du hättest nicht jeden beliebigen Magier gefragt. Warum hättest du meine Nähe akzeptiert und ihre nicht?“

Weil du mein Seelenpartner bist, wäre zu direkt gewesen und Cullen kannte den anderen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er danach sofort auf Abstand gegangen wäre. Dorian mochte sein Freund – und mittlerweile auch mehr als das – sein, aber er war noch nicht bereit, diese Worte zu hören.

Weil mein Herz dir gehört, wäre selbst für Cullens Verhältnisse zu poetisch gewesen, auch wenn es die Wahrheit war.

Stattdessen entgegnete er:

„Weil ich dir vertraue.“

Auch das war eine Wahrheit.

Dorian hob fragend eine Augenbraue. Cullen seufzte.

„Ich habe die Nähe von Magiern lange Zeit nicht ertragen können“, erklärte er. „Nach Kinloch und den Dingen, die in Kirkwall vorgefallen sind... Nachdem ich oft genug mit eigenen Augen gesehen habe, was mit Magiern passiert, die dem Flüstern von Dämonen nachgeben, bin ich... vorsichtig geworden, was die Magier in meiner Umgebung anging – vorsichtig und misstrauisch. Lange Zeit habe ich in ihnen nur weitere potentielle Dämonen gesehen, die ich eines Tages würde bekämpfen müssen.“

Dorian dachte eine Weile über diese Worte nach.

„Was hat sich geändert?“, fragte er schließlich.

„Ich habe Magier kennengelernt, die das Gegenteil von dem waren, was ich bisher erlebt hatte“, entgegnete Cullen leise. „Die über große Macht verfügten, doch in keinem einzigen Moment die Kontrolle über sich verloren.“

Er dachte an ihre Flucht aus Haven zurück und an Dorian, der blass und erschöpft, doch mit einem Lachen in den Augen Feuerbälle nach ihren Verfolgern geschleudert hatte und vielen Soldaten an jenem Tag das Leben gerettet hatte. Und er erinnerte sich an Solas und Vivienne, die verbissen bis zum letzten Augenblick gekämpft hatten, um den Fliehenden die Rückkehr in die Berge zu ermöglichen... wie sehr er sich doch zuvor in ihnen getäuscht hatte.

„Und als ich dich dann gestern kämpfen sah...“, fuhr Cullen fort. „In meiner Zeit als Templer habe ich viele Magier kämpfen sehen, doch nie mit einer solchen Präzision und Selbstbeherrschung, wie du es getan hast.“ Er küsste Dorian sanft auf die Lippen. „Du warst atemberaubend. Und mir wurde eines klar: wenn es jemanden gibt, an dessen Seite ich sorglos schlafen kann, dann bist du es.“

„Cullen...“ Dorian klappte den Mund auf und wieder zu, ohne etwas zu sagen, als wären ihm alle Worte abhandengekommen. Dann schüttelte er den Kopf und schmiegte das Gesicht an Cullens Hals.

„Du machst mich verlegen“, murmelte er.

Cullen lächelte nur. Und er fragte sich plötzlich, ob je schon mal jemand diese Dinge zu Dorian gesagt und sie auch tatsächlich so gemeint hatte.

Solas

Im Rundturm herrschte Stille.

Nur hin und wieder wurde sie von dem leisen Husten eines Bibliotheksbesuchers oder dem Krächzen der Raben unterbrochen, das von den steinernen Wänden widerhallte.

Solas stand auf der hölzernen Plattform und malte, wie er es immer tat, wenn ihn etwas beschäftigte.

Er hätte es nie so weit kommen lassen dürfen.

Von Anfang an hatte er gewusst, dass es eine schlechte Idee war, die Inquisitorin so nah an sich heranzulassen. Doch er war so lange allein gewesen und hatte sich so nach Nähe gesehnt, dass er schwach geworden war.

Jetzt fragte er sich, ob sie überhaupt jemals eine Wahl gehabt hatten, und früher oder später nicht immer an diesen Punkt gekommen wären.

Denn Solas hatte keine hohe Meinung von Seelennamen. Nach seinem Erwachen war er entsetzt gewesen, als er gesehen hatte, wie sehr sich die Welt durch sein Tun verändert hatte: wie tief sein Volk gefallen war und wie sehr Seelennamen die Gesellschaft geprägt hatte, wie sehr sie das Verständnis von Zuneigung und Nähe geprägt hatten.

Wie hoffnungslos und ermüdend es doch sein musste, entweder keine Wahl zu haben oder sein Leben lang gegen das Band zu seinem Partner ankämpfen zu müssen, um sich die Freiheit zu bewahren, wählen zu können... Solas mochte es sich nicht einmal vorstellen.

Er fragte sich, ob Lavellan ähnliche Dinge durch den Kopf gegangen waren, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, und wie es sich für sie angefühlt haben musste, als er ihren Namen gehört hatte, ohne sie zu erkennen. Er erinnerte sich an ihre Zurückhaltung am Anfang, wann immer sie miteinander gesprochen hatten, und er begriff jetzt, dass sie gedacht haben musste, er hätte sie abgewiesen. Er hatte damals geglaubt, dass sie sich von ihm distanziert hatte, weil sie ihm nicht traute, doch er verstand nun, dass sie lediglich versucht hatte, mit seiner Ablehnung klarzukommen und sich um eine rein professionelle Beziehung bemüht hatte.

All die Monate, die er mit ihr verbracht hatte, ohne auch nur zu ahnen, was sie für ihn empfand... Solas fragte sich, wie sie es ertragen hatte, und wie viel Kraft es sie gekostet haben musste, sich nebenbei auch noch auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Inquisition anzuführen.

Er hatte immer geglaubt, er wüsste, wie stark sie war – doch er erkannte erst jetzt, wie sehr er sie unterschätzt hatte.

Solas ließ den Pinsel sinken und betrachtete für einen Moment kritisch sein Werk, bevor er zu einer anderen Farbe griff und seine Arbeit fortsetzte.

Er fragte sich, ob Lavellan die einzige war – oder die erste. Ob es vor ihr schon andere mit seinem Namen gegeben hatte, die ihr Leben lang ohne Erfolg nach ihm gesucht hatten, während in seinem langen Schlaf ganze Zeitalter an ihm vorübergegangen waren. Und ob nach ihr weitere kommen würden, deren Lebenslichter nur wenige Jahrzehnte später wieder verlöschen würden, wie Kerzenflammen im Wind, immer und immer wieder, bis auch er selbst schließlich alt und gebeugt war... wie viele Jahrtausende es auch dauern mochte.

Zum ersten Mal erschien Solas ihre Sterblichkeit nicht länger wie ein Fluch.

Nur jemand ohne Herz konnte einen solchen Zustand auf Dauer ertragen. Doch er...?

Solas hatte schon immer viel zu viel gefühlt.

 

Lavellan saß am Schreibtisch und war in einen Bericht vertieft, als er in ihr Zimmer trat.

Er sah, wie sich ihre Schultern kurz anspannten, als sie ihn näherkommen hörte, doch sie sah nicht von ihrer Lektüre auf. Er konnte es ihr nicht verdenken.

„Du bist tatsächlich gekommen“, sagte sie leise. „Ich muss gestehen, ich habe nicht damit gerechnet.“

Solas wollte etwas erwidern, doch dann wurde ihm bewusst, dass es kein Vorwurf gewesen war, sondern lediglich eine Feststellung.

„Ich bin hier, wenn du reden willst“, entgegnete er ebenso leise und setzte sich dann in einen der Sessel am Kamin.

Und wartete.

Die Minuten vergingen, ohne dass Lavellan ihm auch nur einen Blick zuwarf. Er fragte sich, ob sie ihn bestrafen wollte... oder ob sie schlichtweg die Zeit brauchte, um sich innerlich auf das Gespräch vorzubereiten. Doch was es auch war, er würde warten. Er hatte ihr Antworten versprochen, und wie auch immer dieser Abend ausging, er würde sein Versprechen einhalten.

Nachdem eine halbe Stunde vergangen war, schob Lavellan schließlich die Berichte beiseite und stand auf. Sie zögerte kurz, dann nahm sie eine Flasche und zwei Kelche aus dem Regal.

„Wein?“, fragte sie.

Solas neigte den Kopf zur Seite. „Ich bin kein großer Freund von Alkohol“, meinte er.

„Ich weiß.“ Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

Er sah die Erschöpfung auf ihrem Gesicht und er verstand plötzlich.

„In Ordnung“, entgegnete er und erwiderte das Lächeln vorsichtig.

Lavellan entkorkte die Flasche und goss ihnen Wein ein, bevor sie zu ihm trat und ihm einen der Kelche reichte. Dann ließ sie sich in den Sessel neben ihm sinken und nahm einen Schluck vom Wein, während sie in die tanzenden Flammen des Kaminfeuers starrte.

Solas tat es ihr gleich und bald breitete sich eine angenehme Wärme in seinem Inneren aus.

Für eine Weile saßen sie schweigend so da, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, doch schließlich hob Lavellan wieder den Blick und stellte ihren Kelch beiseite.

„Du hast mir Antworten versprochen“, sagte sie leise.

Er sah sie nicht an. „Das habe ich.“

Er stellte seinen Kelch neben den ihren, dann streckte er ihr seine Hand entgegen.

„Ich denke, wir sollten hiermit anfangen.“

Lavellan starrte auf den schlichten, blauen Stoff herab, der sein Handgelenk verhüllte.

Seine Direktheit schien sie zu überraschen.

Doch ihre Unsicherheit hielt nicht lange an. Sie nahm seine Hand und löste vorsichtig die Knoten der dünnen Kordel, die den Stoff fixierte.

Als sie ihn schließlich entfernt hatte, weiteten sich ihre Augen.

„Ich hatte gedacht...“ Ihre Stimme zitterte leicht, während sie mit den Fingern über die blasse Haut fuhr. „Nach dem, was du heute Morgen gesagt hast, hatte ich angenommen, dass du es nicht wörtlich gemeint hast.“

Sie hob den Blick. „Ich habe mich geirrt. Du hattest tatsächlich nie einen Namen.“

Der sanfte Ausdruck in ihren Augen irritierte ihn. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit Mitgefühl... als würde sie es bedauern, dass ihm diese eine Sache fehlte, und dass er nie wissen würde, wie es sich anfühlte, mit jemandem auf diese Weise verbunden zu sein.

„Nein“, entgegnete er.

„Warum?“, fragte sie.

Es war die Frage, über deren Antwort er sich am längsten den Kopf zerbrochen hatte. Er hatte sich tausend verschiedenen Erklärungen zurechtgelegt, doch keine davon hatte überzeugend geklungen, bis er schließlich beschlossen hatte, ihr einfach die Wahrheit zu sagen... oder wenigstens einen Teil davon.

„Als ich geboren wurde, gab es noch keine Seelennamen“, sagte er.

Sie hob überrascht die Augenbrauen.

„Es gab schon immer Seelennamen“, erwiderte sie voller Überzeugung.

Er lächelte nur.

„... oder nicht?“, fragte sie, verunsichert von seiner Reaktion.

„Lange bevor die Zeitrechnung der Kirche begann, damals, als die Kultur unseres Volkes ihren Höhepunkt erreicht hatte“, entgegnete er, „gab es eine Zeit, in der niemand Seelennamen trug.“

Doch sie hatten andere Namen auf ihrer Haut getragen, verschlungene Muster, die ihre Loyalität zu einem der selbsternannten elfischen Götter erkennen ließen. Auf gewisse Weise war dies noch schlimmer gewesen als Seelennamen, denn die Konsequenz für diejenigen, die ihrem Gott keine Treue hielten, war in der Regel der Tod gewesen. Und das war noch bevor die Evanuris ihre Vorliebe für Opferungen entdeckt hatten...

„Bevor die Zeitrechnung der Kirche begann...“, wiederholte sie leise und sah auf ihre Hand herab, die noch immer die seine hielt. Dann verschränkte sie ihre Finger mit den seinen. Solas konnte sein erleichtertes Seufzen nicht verbergen. Ob sie den Kontakt seinetwegen suchte oder für sich selbst – es zeigte, dass sie nicht vorhatte, sich von ihm zu distanzieren.

„Wie alt bist du?“, fragte sie dann und hob den Blick. „Jahrhunderte? Jahrtausende?“

„Ich...“ Er zögerte. „Ich weiß es nicht genau.“

„Hast du schon gelebt, als Andraste auf dem Scheiterhaufen brannte?“, fuhr sie fort. „Als Corypheus geboren wurde? Wie viele Königreiche hast du schon fallen sehen...?“

„Zu viele“, sagte er und schloss die Augen.

Sie fragte nicht weiter und für eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.

„All die Male“, sprach sie dann, „all die Momente, in denen du mir von den Dingen erzählt hast, die verloren wurden... du warst dabei. Du hast sie mit eigenen Augen untergehen sehen.“

Sie lachte auf, kurz und voller Bitterkeit.

„Und hier sind wir und führen die gleichen, sich ewig wiederholenden Kriege“, murmelte sie. „Wir müssen dir wir Kinder erscheinen, dazu verdammt, für immer dieselben Konflikte auszutragen.“

„Ihr seid keine Kinder“, sagte er sanft. „Und ich nehme diesen Krieg sehr, sehr ernst. Es mag stimmen, dass sich das Antlitz des Krieges niemals ändert, aber die Gründe dafür sind immer andere. Und dieses Mal steht eine Menge auf dem Spiel.“

Er zog ihre Hand an seine Lippen und presste einen Kuss auf ihre Fingerknöchel.

„Ich habe damals... Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin“, fuhr er dann leise fort, „doch die ich tun musste, um Schlimmeres zu verhindern. Sie haben mich viel Kraft gekostet, und ich beschloss mich zurückzuziehen und zu schlafen, in der Hoffnung, in einer besseren Zeit zu erwachen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich so lange schlafen würde... und dass ich in einer Zeit aufwachen würde, in der der Himmel aufreißt und plötzlich jeder einen Seelennamen trägt.“

Lavellan musterte ihn wortlos, dann lächelte sie schwach.

„So habe ich es noch nicht betrachtet“, meinte sie. „Bei all den Veränderungen erscheint es mir fast wie ein Wunder, dass du dich nicht sofort wieder schlafen gelegt hast.“

Solas erwiderte ihr Lächeln. „Der Drang war zweifellos da... aber ich konnte nicht länger schlafen. Ich musste mich um das Loch im Himmel kümmern.“

„Deshalb bist du damals zu uns gekommen“, sagte Lavellan und nickte. „Es erschien mir immer wie ein seltsamer Zufall, dass jemand mit so großem, magischem Wissen genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war und wusste, dass das Mal an meiner Hand die Risse schließen würde...“

„Ich wusste es nicht mit absoluter Sicherheit“, entgegnete Solas. „Ich habe es nur vermutet... und lag zum Glück richtig.“

„Was wäre passiert, wenn du dich geirrt hättest?“, fragte Lavellan und hob eine Augenbraue.

Solas zuckte mit den Schultern. „Dann wären wir an jenem Tag alle gestorben.“

„Wie beruhigend“, schnaubte sie.

Sie sahen sich einen Moment lang an, dann mussten sie plötzlich beide lachen. Die Spannung zwischen ihnen war endgültig verschwunden und Solas atmete auf. Auch wenn Lavellan ihm weitere Fragen stellen würde, das Grundvertrauen war noch immer da. Und das war das wichtigste.

 

„Ist Solas überhaupt dein richtiger Name?“, fragte sie, nachdem sie ihnen beiden Wein nachgeschenkt hatte.

Solas nippte an seinem Kelch.

„Ob ‚Solas‘ der Name ist, den meine Eltern mir bei meiner Geburt gaben?“, entgegnete er dann und schüttelte den Kopf. „Nein.“

Sie nickte, als würde es sie nicht überraschen, das zu hören.

„Ich habe mir schon gedacht, dass ein Name wie dieser nur selbstgewählt sein kann“, meinte sie. Ihre Augen verengten sich plötzlich und sie fügte hinzu: „Was bedeutet, dass du damals nicht irgendwer gewesen sein konntest.“

Solas sah sie überrascht an. Einmal mehr hatte er ihren Scharfsinn unterschätzt.

Und er wappnete sich innerlich gegen die Frage, die zweifellos als nächstes folgen würde.

„Wer bist du wirklich?“

Auch über seine Antwort auf diese Frage hatte er lange Zeit nachgedacht.

„Ich hatte gehofft, der Wolf würde dir Hinweis genug sein“, sagte er ausweichend.

Lavellan starrte ihn ungläubig an.

„Willst du damit sagen, du hast dem Schreckenswolf gedient?“, fragte sie.

„Fen'Harel hatte keine Diener“, seufzte Solas. Es war ein Satz, den er damals so oft gesagt hatte, dass er beinahe automatisch kam. War die Tatsache, dass wenigstens eine der elfischen Gottheiten ohne Sklaven auskam, denn so unvorstellbar...?

„Was warst du dann?“, fragte sie. „Sein Berater? Sein Heerführer...?“

Solas erhob sich und Lavellan stieß einen überraschten Ruf aus, als seine Augen für einen Moment aufleuchteten.

„Ich hatte keinen Heerführer“, entgegnete er und begann im Zimmer auf- und abzulaufen, wie immer, wenn er aufgebracht war, „geschweige denn ein Heer. Sondern treue Freunde, die aus freien Stücken an meiner Seite gegen die Tyrannei der Evanuris kämpften.“

Und endlich begriff sie.

„Du bist er“, stieß sie hervor. „Du bist Fen'Harel...!“

Er blieb stehen.

„Der bin ich“, sagte er schlicht.

Sie starrte ihn an, zu überwältigt von dieser Offenbarung, um Worte hervorzubringen.

„Hast du Angst vor mir?“, fragte er sanft.

Sie sah ihn weiterhin wortlos an, doch schließlich schüttelte sie langsam den Kopf.

„Gut“, sagte er.

Plötzlich brach ein Lachen aus ihr hervor, dessen hysterischer Unterton nicht zu überhören war, und das Geräusch schien sie so zu erschrecken, dass sie sich die Hand vor den Mund hielt, um es zu ersticken.

Solas wagte es nicht, sich ihr zu nähern, aus Sorge, dass er es nur schlimmer machen würde, und wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

Schließlich ließ sie die Hand wieder sinken.

„Ich habe mit dir geschlafen“, wisperte sie.

Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

Ellana schloss die Finger um ihren Kelch, als würde er ihr Halt geben, während sie nach den richtigen Worten suchte.

„Kann ich dir trauen?“, fragte sie dann.

Es war eine schlichte Frage, doch sie wussten beide, dass mehr dahintersteckte.

„Du kannst darauf vertrauen, dass ich tun werde, was nötig ist, um Corypheus zu besiegen“, entgegnete er leise. „Ob du mir hingegen trauen kannst... das ist eine Frage, die ich dir nicht beantworten kann. Doch du hast es bis hierher getan.“

Sie nickte.

„Ich verstehe“, sagte sie.

Sie hob den Kopf und sah ihn ruhig an.

„Dann habe ich vorerst keine weiteren Fragen.“

Leliana

Der morgendliche Wachwechsel fand gerade statt, als Leliana die Stufen des Rundturms hinaufstieg.

„Mylady“, sagte einer der Wachposten und nickte ihr zu, als sie ihn auf der Treppe passierte. Leliana erwiderte die Geste knapp, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

„Gibt es Neuigkeiten?“, fragte sie einen ihrer Spione, als sie das oberste Zimmer erreichte.

„Vier neue Nachrichten, Mylady“, erwiderte der junge Mann. „Zwei aus Nevarra, eine aus Tevinter... sowie eine Nachricht von Serah Hawke und Loghain.“

„Gebt sie mir“, sagte Leliana ruhig und streckte die Hand aus.

Er beeilte sich, ihrer Bitte Folge zu leisten, und einen Moment später überflog Leliana die auf schmalen Pergamentstreifen verfassten Nachrichten.

Die Briefe aus Tevinter und Nevarra enthielten keine neuen Informationen, sondern bestätigten nur ihre Vermutung bezüglich eines Komplotts der Venatori gegen den nevarranischen König. Sie würde ihre Erkenntnisse am späten Nachmittag der Inquisitorin sowie den restlichen Beratern mitteilen und versuchen, mit ihnen eine angemessene Lösung für das Problem zu finden.

Es war Hawkes Nachricht, die ihr Interesse weckte. Wie es schien, waren sie, Loghain und Varric auf eine vielversprechende Fährte gestoßen, die die Inquisition zu den verschwundenen Wächtern führen würde. Aufgrund der vielen Risse und der großen Anzahl von Dämonen in den Westgraten war es ihnen jedoch unmöglich, sie weiter zu verfolgen. Auch ihr Bericht über fragwürdige Rituale und eine mögliche Einmischung der Venatori erfüllten Leliana mit Besorgnis.

Sie sah von der Nachricht auf.

„Teilt Serah Hawke mit, dass wir unverzüglich mit den Reisevorbereitungen beginnen und innerhalb der nächsten zwei Tage Verstärkung schicken werden“, wies sie ihren Spion an. Sie überlegte kurz. „Sagt ihr außerdem, dass sich die Inquisitorin persönlich der Sache annehmen wird. Haben wir die Risse in dieser Region erst einmal geschlossen, wird es ein Leichtes sein, die Wächter ausfindig zu machen.“

Der Mann nickte und machte sich sofort daran, ein Antwortschreiben zu verfassen.

Leliana wandte sich ab. Im Laufe der nächsten Stunden würden weitere Berichte eintreffen, doch bevor sie sich an die Arbeit machte, würde sie sich ein kleines Frühstück genehmigen – sowie einen Moment der Ruhe in der Kapelle der Festung.

 

Kurz vor Sonnenaufgang war Leliana oft die erste, die am Morgen zum persönlichen Gebet die Kapelle betrat. Hin und wieder begleitete sie Cassandra, manchmal auch Cullen, doch oft war sie bereits vor den anderen Beratern wach.

An diesem Morgen war sie jedoch nicht die einzige Person in der Kapelle.     

„Mylady Lavellan“, sagte sie und konnte ihre Verwunderung nicht ganz verbergen.

Obwohl sie auch jetzt noch oft als Heroldin Andrastes bezeichnet wurde, war die Inquisitorin nie eine gläubige Person gewesen, und Leliana konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals hier gesehen zu haben.

Die junge Elfe zuckte kurz zusammen, als sie ihren Namen hörte, dann drehte sie sich zu Leliana herum.

„Verzeiht“, sagte sie. „Ich habe Euch nicht eintreten hören.“

Leliana machte jedoch nur eine wegwerfende Handbewegung und schenkte der anderen Frau ein kurzes Lächeln, bevor sie neben ihr vor dem Altar niederkniete und zu der Statue der Prophetin aufsah.

Dutzende von Kerzen waren zu Füßen Andrastes aufgestellt, von denen mittlerweile jedoch nur noch wenige brannten. Bald würden die Priesterinnen kommen, um die alten Kerzen durch neue zu ersetzen, damit das Feuer nicht erlosch.

Leliana rechnete halb damit, dass die Inquisitorin das Wort an sie richten würde, doch Lavellan schwieg, tief in Gedanken versunken, und so zog Leliana schließlich ihre Kapuze zurück, neigte den Kopf und schloss die Augen, bevor sie zu beten begann.

Ihre Lippen bewegten sich lautlos, während sie die Zeilen aus dem Gesang des Lichts rezitierte, die sie schon seit so vielen Jahren begleiteten und ihr in so vielen schwierigen Momenten Kraft gegeben hatten.

Leliana hatte schon vor langer Zeit aufgehört, Andraste um Vergebung für ihre Sünden zu bitten. Sie hatte akzeptiert, dass sie die Vergangenheit nicht rückgängig machen konnte – dass sie nicht denen das Leben zurückgeben konnte, die sie geopfert hatte, um Schlimmeres zu verhindern. Mittlerweile betete sie nur noch, dass der Preis, den sie und die Inquisitorin für die vielen unmöglichen Entscheidungen, die sie jeden Tag trafen, bezahlen mussten, den Ausgang dieses Krieges wert war.

Schließlich hob Leliana wieder den Kopf und sah zu der ewig jungen, gütig lächelnden Marmorstatue auf, und wie jeden Morgen nach ihrem Gebet war ihr etwas leichter ums Herz.

Sie erhob sich schweigend und wandte sich zum Gehen, als die leise Stimme der Inquisitorin sie innehalten ließ.

„Darf ich Euch etwas fragen?“

Lavellan sah sie nicht an, doch ihre angespannte Körperhaltung verriet, dass sie sich danach sehnte, sich jemandem anzuvertrauen.

Leliana überlegte kurz, dann trat sie auf die andere Frau zu und setzte sich hinter ihr auf eine der hölzernen Bänke.

„Gewiss“, sagte sie.

Lavellan gab ein erleichtertes Seufzen von sich, bevor sie sich vom kalten Boden erhob und sich ebenfalls auf die Bank setzte.

„Womit kann ich Euch behilflich sein?“, fragte Leliana, nachdem wieder Stille eingekehrt war.

Lavellan sah auf ihre Hände hinab, die sie im Schoß gefaltet hatte.

„Sagt...“, begann sie schließlich leise. „Zweifelt Ihr manchmal an der Richtigkeit Eurer Entscheidungen?“

Leliana legte nachdenklich den Kopf zur Seite. Worauf auch immer die junge Frau hinauswollte, es schien ihr sehr ernst zu sein. Sorgfältig legte sie sich ihre nächsten Worte zurecht.

„Jeden Tag“, erwiderte sie. „Ich erlaube den Zweifeln nicht, mich zu beherrschen, sonst wäre ich nicht in der Lage, meine Arbeit zu machen, aber... sie sind da, ja.“

Lavellan nickte nur, als würde sie diese Antwort nicht überraschen. Dann fuhr sie fort:

„Und was ist mit denjenigen, denen Ihr Euer Vertrauen schenkt? Habt Ihr manchmal Bedenken, dass sie dieses Vertrauen auch wert sind...?“

Leliana spürte, dass sie sich allmählich dem Kern der Sache näherten.

„Ich kann nicht in die Seelen der Menschen schauen“, erwiderte sie und sah zu Andraste auf. „Doch wenn ich ein gutes Gefühl bei ihnen habe, wenn sie sich als zuverlässig erweisen und mir keinen Anlass geben, ihnen nicht zu trauen... dann ist das eine Menge wert.“

„Und wenn...“ An dieser Stelle stockte Lavellan plötzlich und rieb sich seufzend das Gesicht.

„Verzeiht“, sagte sie. „Ich weiß, diese Frage ist sehr persönlich, aber...“

„Fragt nur“, ermutigte Leliana sie.

Die Inquisitorin nickte schließlich. Dann stellte sie ihre letzte Frage:

„Und wenn diese Person jemand ist, den Ihr liebt?“

„Ah“, machte Leliana und schwieg.

Es ging also um Liebe. Und Liebe machte immer alles komplizierter, war es nicht so...?

Sie dachte einen Moment nach, dann steckte sie ihre Hand in die Tasche ihrer Robe und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier daraus hervor, das an den Rändern schon vergilbt war. Lavellan starrte fragend darauf hinab, als sie es ihr reichte, doch nachdem Leliana ihr ermutigend zugenickt hatte, begann sie schließlich zu lesen.

Mehrere Minuten vergingen in völliger Stille, und als die junge Frau den Brief wieder sinken ließ, zitterten ihre Hände.

„Was ist das?“, stieß sie mit rauer Stimme hervor.

„Ein Abschiedsbrief“, sagte Leliana leise und nahm den Brief wieder an sich, bevor sie ihn zusammenfaltete und zurück in ihre Tasche steckte. „Von der Frau, die ich einst liebte. Sie gab ihn mir am letzten Abend vor ihrem Tod.“

Elissa Cousland war Eure Seelengefährtin?“, fragte Lavellan ungläubig.

Leliana lächelte schwach. „Seltsam wie sich das Schicksal manchmal fügt, nicht wahr...?“

Sie lehnte sich zurück.

„Ihr wollt wissen, ob es ratsam ist, jemandem zu lieben – jemanden so nah an Euch heranzulassen, der Euch und all Eure Schwächen kennt – wenn das Schicksal so vieler von Euch abhängt“, fuhr sie ruhig fort.

„... ja“, wisperte Lavellan.

„Ich kann Euch diese Frage nicht beantworten, Mylady. Letztendlich könnt Ihr viele Dinge, die passieren, nicht beeinflussen. Ob diese Liebe Euch Kraft geben oder Euch zerstören wird, hängt darum am Ende einzig und allein von der Stärke Eures Herzens ab.“

Leliana legte die Hand auf die Tasche, in der der Brief ruhte.

„Manchmal gibt es Tage, an denen sie mir so sehr fehlt, dass ich ohne ihre Worte nicht aufstehen könnte“, sagte sie leise. „Und manchmal hasse ich sie so sehr dafür, dass sie mich zurückgelassen hat, dass ich den Brief zerreißen möchte.“ Sie wandte Lavellan das Gesicht zu. „Doch könnte ich ihr erneut zum ersten Mal begegnen – selbst mit dem Wissen, wie es später enden würde – ich würde alles genauso machen.“

Sie musterte die andere Frau aufmerksam. „Seid ehrlich zu Euch selbst: was sagt Euch Euer Gefühl? Glaubt Ihr, dass Ihr Solas trauen könnt, Eure Liebe zu ihm nicht zu missbrauchen?“

Lavellans Blick flackerte, während sie sie ansah, und nach einer Weile senkte sie den Kopf, als könnte sie den bohrenden Blick nicht länger ertragen.

„Da habt Ihr Eure Antwort“, sagte Leliana leise, Mitgefühl in ihrer Stimme.

Sie erhob sich von ihrem Platz und warf Andraste einen letzten Blick zu.

„Ich weiß, es ist ein schwacher Trost, aber... solltet ihr weiter darüber reden wollen, wisst Ihr, wo Ihr mich findet.“

Sie nickte Lavellan kurz zu, bevor sie sich abwandte und endgültig die Kapelle verließ.

 

Nachdem sie in den Garten hinausgetreten war, blieb Leliana stehen und zog erneut den Brief aus ihrer Tasche. Sie kannte seinen Inhalt auswendig, und doch war es immer noch etwas anderes, ihn in den Händen zu halten.

Ihr Blick fiel wie von selbst auf eine der letzten Passagen.

 

... ich weiß, was du denkst. Ich weiß, dass, wenn der morgige Tag vorüber ist, ein Loch in deiner Seele klaffen wird, das nichts und niemand zu füllen vermag, und dass du mit dem Gedanken spielen wirst, dir das Leben zu nehmen.

Und ich weiß auch, wie egoistisch es von mir ist, dich darum zu bitten, es nicht zu tun. Es ist mein letzter und zugleich am schwersten erfüllbarer Wunsch an dich: dem Drang nicht nachzugeben, der Welt endgültig den Rücken zu kehren.

Denn du hast ihr noch so vieles zu bieten. Du bist der wunderbarste, humorvollste, talentierteste und mitfühlendste Mensch, der mir je begegnet ist – und ich weiß, dass du es auch dann noch sein wirst, wenn ich nicht mehr hier bin.

Darum bitte ich dich: gib nicht auf. Denn wer, wenn nicht du, soll die Barden korrigieren, wenn sie dereinst Lieder über unsere Abenteuer singen...?

 

Leliana schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Als sie sie wieder öffnete, hatte sie ihre Gesichtszüge – und ihre Gefühle – wieder unter Kontrolle. Sie zog ihre Kapuze über den Kopf und setzte ihren Weg fort.

Es gab viel zu tun.

Und wie es aussah, würde sie von nun an auch ein Auge auf Solas werfen müssen...

Dorian

Er sollte Cullen erst am Abend wiedersehen.

Nach einem kurzen Frühstück trennten sich ihre Wege, und kaum hatte Dorian den Turm verlassen und war auf die Brücke zur Bibliothek hinausgetreten, wurde er auch schon von zwei von Lelianas Spionen empfangen, die ihn mit wenigen, aber sehr nachdrücklichen Worten dazu aufforderten, sie zu ihrer Herrin zu begleiten. Dorian runzelte die Stirn, doch er folgte ihnen ohne Widerworte, interessiert daran zu hören, was Leliana ihm mitzuteilen hatte. Er hatte bislang erst wenige Gelegenheiten gehabt, mit ihr zu sprechen, doch jede dieser Unterhaltungen hatte dieselbe Art von Nervenkitzel mit sich gebracht, wie ein Treffen von Magistern in Tevinter. Leliana war eine Meisterin des Verhörs und der suggestiven Bemerkungen, und jedes Wort und jede Geste wollten genau abgewogen sein, um nicht ihr Misstrauen zu erregen oder versehentlich Informationen preiszugeben, die man am liebsten für sich behalten hätte.

Dieses Mal hielt sie sich jedoch nicht lange mit Formalitäten auf, sondern kam sofort zum Punkt, sobald Dorian an sie herangetreten war.

„Ich habe eine Aufgabe für Euch“, sagte sie, nachdem sie ihm zur Begrüßung kurz zugenickt hatte und ihren Untergebenen mit einer knappen Geste zu verstehen gegeben hatte, sie allein zu lassen.

Dorian sah sie einen Moment lang fragend an, dann fiel sein Blick auf die Dokumente, die sie auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte.

„Dies sind Unterlagen der Grauen Wächter, die Loghain hatte entwenden können, bevor er uns kontaktiert hat – laut ihm handelt es sich dabei um Korrespondenzen mit ihren Verbündeten“, erklärte Leliana. „Ein Großteil davon ist allerdings in einem geheimen Code verfasst...“

Dorian räusperte sich. Es war eine ungewöhnliche Anfrage, aber keine, der er nicht gewachsen wäre.

„Die Entschlüsselung von Geheimschriften ist nicht unbedingt mein Spezialgebiet, aber ich werde mein Bestes geben“, versprach er.

Zu seiner Überraschung warf sie ihm jedoch nur einen ungehaltenen Blick zu.

„Der Code ist nicht das Problem“, erwiderte sie. „Meine Leute haben bereits die ganze Nacht damit zugebracht, ihn zu übersetzen.“

Sie schob eines der Schriftstücke zu ihm hinüber. „Das Problem ist die Sprache, in der die Nachrichten verfasst wurden.“

Dorian sah einen Moment lang auf den Brief herab.

Dann weiteten sich seine Augen.

Er überflog den Text, bevor er ihn beiseiteschob und nach einem anderen Dokument griff. Auch hier war das Resultat das gleiche. Leliana trat einen Schritt vom Tisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, während Dorian sich durch ein Dutzend weiterer Dokumente wühlte, überall mit demselben Ergebnis.

„Das kann nicht sein“, stieß er schließlich hervor. „So weit kann ihr Einfluss noch nicht reichen...!“

„Also handelt es sich tatsächlich um Schriften der Venatori?“, fragte Leliana. „Was sagen sie?“

„Ich...“ Dorian nahm einen der Briefe in die Hand. Seine Augen verengten sich. „Mit Sicherheit kann ich das noch nicht sagen. Ich werde ein paar Stunden brauchen, um alle Dokumente durchzugehen.“

Leliana runzelte die Stirn.

„Dies ist kein gewöhnliches Tevinteranisch“, erklärte Dorian, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. „Dies ist noch nicht einmal die gehobene, geschwollene Sprache, die im Magisterium so gerne verwendet wird.“

Er sah sie an. „Diese Briefe sind in einem Dialekt verfasst, der seit langer Zeit – womöglich seit Jahrhunderten – nicht mehr im Imperium gesprochen wird. Selbst mir fällt es schwer, ihn zu lesen und zu verstehen, darum brauche ich schlichtweg mehr Zeit.“

Leliana starrte ihn einen Moment lang an, als würde sie ihre Optionen abwägen.

Doch sie schien zu dem Schluss zu kommen, dass sie keine Wahl hatte, und so nickte sie schließlich knapp.

„Nun gut“, erwiderte sie. „Ihr habt bis zur Abenddämmerung Zeit, um Antworten zu finden. Dann werdet Ihr mir Eure Ergebnisse mitteilen.“

Dorian nickte und sammelte die Briefe ein, um sich unverzüglich in die Bibliothek zu begeben und mit der Arbeit zu beginnen. Doch bevor er ihr den Rücken kehren konnte, ließ Lelianas Stimme ihn noch ein letztes Mal innehalten.

„Und Dorian...?“

Er sah auf.

„Packt schon mal Eure Sachen. Ihr werdet die Inquisitorin in zwei Tagen auf ihrer Reise in die Westgrate begleiten.“

 

Für die nächsten Stunden war Dorian so vertieft in seine Arbeit, dass er selbst Essen und Trinken vergaß. Erst als sich sein Magen am frühen Nachmittag lautstark zu Wort meldete, sah er von den Dokumenten auf und rieb sich erschöpft die Augen.

Nach einem kurzen Kampf mit sich selbst raffte er sämtliche Briefe und die Notizen, die er sich dazu gemacht hatte, zusammen und brachte sie in sein Zimmer, das er zur Sicherheit mit einem mechanischen und mehreren magischen Schlössern absicherte, bevor er sich in die Küche begab, um noch ein paar Reste vom Mittagessen zu ergattern. Ein paar charmante Worte und ein strategisch platziertes Lächeln später zog er sich mit einem Teller wieder in sein Zimmer zurück, um seine Arbeit fortzusetzen.

Der Teller stand noch immer unangerührt auf seinem Tisch, als er Stunden später schließlich den letzten Brief zur Seite legte und sich mit einem Seufzen zurücklehnte. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass ihm noch eine knappe Stunde bis zur Abenddämmerung blieb, und Dorian nutzte die Zeit, um endlich etwas zu essen. Während er den kalten Eintopf hinunterschlang, dachte er an Cullen, der die Festung am Morgen verlassen hatte, um die Truppen im Tal zu sichten, und der vor Sonnenuntergang nicht zurückkehren würde. Was bedeutete, dass Dorian die Gelegenheit haben würde, in Cullens eigenem Bett auf ihn zu warten – und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er sich das überraschte Gesicht des Kommandanten vorstellte.

Doch das Lächeln verschwand wieder, als er an Lelianas Worte dachte.

Eine Reise in die Westgrate würde nicht nur bedeuten, dass er Cullen über Wochen hinweg nicht sehen würde, es würde auch heißen, dass der andere ohne ihn die Nächte verbringen musste und die vollen Folgen des Lyriumentzugs zu spüren bekommen würde, ohne dass Dorians Magie sie lindern konnte.

Es war ein Gedanke, der Dorian das Herz brach und ihn zugleich mit ohnmächtiger Wut erfüllte – zu wissen, dass er helfen konnte, aber durch die Umstände nicht in der Lage dazu sein würde. Und das Schlimmste daran war, dass Cullen es schlichtweg hinnehmen würde, wie er alles kommentarlos hinnahm, was seine eigene Person betraf. Er würde Dorian bitten, sich keine Sorgen zu machen, und wenn er weg war, würde er im Stillen leiden. Wie er sein Leben lang gelitten hatte, weil er dachte, dass dies alles war, was das Leben ihm zu bieten hatte – dass dies alles war, was er verdiente.

Dorian schloss die Augen und rieb sich das Gesicht.

Vor seiner Abreise würde er mit Cullen über diese Dinge reden müssen, ob es dem anderen gefiel oder nicht.

 

„Zwei Dinge“, sagte Dorian, als er Leliana wenig später gegenüberstand. „Erstens: mein Verdacht hat sich bestätigt, dass eine direkte Korrespondenz zwischen Corypheus und einem Mitglied der Grauen Wächter – oder jemandem, der ihnen sehr nahe steht – vorliegt. Corypheus selbst wird in den Briefen nie beim Namen genannt, aber es ist offensichtlich, dass er hier gemeint ist.“

Er blickte auf seine Notizen herab.

„Zweitens: Corypheus und seine Anhänger haben Pläne für die Grauen Wächter – große Pläne. Die Briefe enthalten Informationen über Truppenstärken und Blutopfer und magische Praktiken, die so finster sind, dass sie selbst in Tevinter verpönt wären... und ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sagen würde.“ Dorian holte tief Luft. „Ihr Vorhaben scheint die gesamte Gemeinschaft der Grauen Wächter zu betreffen, nicht nur die aus Orlais, sondern Wächter aus ganz Thedas. Was mir jedoch nicht ganz klar ist, ist, wieso in keinem der Briefe von Weisshaupt die Rede ist. Es scheint, als würde die Führung der Grauen Wächter für die Pläne von Corypheus keine Rolle spielen. Irgendetwas muss dort vor sich gehen, irgendetwas, was sie am Eingreifen hindert.“

Leliana sah ihn scharf an.

„Wird irgendwo erwähnt, welche genauen Absichten Corypheus und die Venatori mit den magischen Ritualen verfolgen und wieso sie ausgerechnet die Grauen Wächter dafür benötigten?“

Doch Dorian schüttelte nur den Kopf. „Nicht in diesen Briefen, nein. Ihre genauen Ziele müssen bereits in früheren Nachrichten besprochen werden sein, was wir hier jedoch haben, sind Ausschnitte aus späteren Unterhaltungen. Ich nehme an, Loghain hatte nicht die Gelegenheit, weitere Dokumente zu stehlen, ohne entdeckt zu werden.“

Leliana lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.

„Ich verstehe“, sagte sie schließlich. „Ein kleiner Einblick ist immer noch besser, als gar nichts.“

Sie nickte ihm zu. „Danke für Eure Mühe. Ihr habt gute Arbeit geleistet.“

Dorian neigte den Kopf, bevor er ihr seine Notizen reichte und sich mit einer kurzen Verbeugung verabschiedete.

Während er die Treppe des Turms hinabstieg, legte sich ein triumphierendes Lächeln auf sein Gesicht.

Dies war der Grund, weshalb er der Inquisition beigetreten war, dafür war er hier: um mit seinem Wissen weiterzuhelfen und Informationen zur Verfügung zu stellen, durch die die Inquisitorin und ihre Verbündeten dem Feind immer einen Schritt voraus sein würden.

So erschöpft und müde er darum auch war, er hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.

 

Zu Dorians Überraschung brannte Licht in den Fenstern von Cullens Arbeitszimmer.

Als er eintrat, merkte er jedoch, dass es die Kerzen waren, die Cullens Sekretäre aufgestellt hatten, um ihre Arbeit in der Abwesenheit ihres Kommandanten erledigen zu können. Die beiden tauschten wortlos einen Blick, als sie Dorian sahen, bevor sie ihre Dokumente ordentlich in einer Ecke des Schreibtischs aufeinanderstapelten und sich erhoben, um den Turm zu verlassen.

Selbst Cullens Sekretäre schienen begriffen zu haben, welcher Art ihre Beziehung war, und Dorian war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Doch seine Unsicherheit hielt nicht lange an. Er trat an eines der Bücherregale heran und zog einen Band heraus, dessen Titel ihm unbekannt war, dann stieg er die Leiter zu Cullens privatem Zimmer hinauf und legte sich auf sein Bett, um in Ruhe zu lesen, während er auf den anderen Mann wartete.

Ein kühler Luftzug weckte ihn mitten in der Nacht und als Dorian schlaftrunken den Kopf hob, erkannte er, dass er mit dem Gesicht auf dem aufgeschlagenen Buch eingeschlafen war. Irgendwo neben ihm waren Schritte zu hören, und er nahm in der Dunkelheit eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und drehte den Kopf zur Seite.

„Mmh'as?“, fragte er die Welt im Allgemeinen und erhielt als Antwort nur ein leises Lachen.

Eine Hand fuhr sanft durch seine Haare.

„Schlaf weiter“, murmelte Cullen, der neben ihm am Bett stand, bevor er damit fortfuhr, sich auszuziehen.

Wenig später neigte sich die Matratze neben Dorian, als Cullen zu ihm ins Bett stieg. Dorian zögerte kurz, doch dann rollte er sich zu dem anderen hinüber und wurde von dessen offenen Armen empfangen. Während er das Gesicht an Cullens Schulter schmiegte, stieß Dorian ein Seufzen aus. Er wollte nicht darüber nachdenken, dass er all dies bald wieder verlieren würde, nachdem er es gerade erst gefunden hatte, und dass dies ihre vorletzte gemeinsame Nacht war, bevor er für viele Wochen auf Reisen gehen würde.

Und er wollte erst recht nicht darüber nachdenken, wie abhängig er mittlerweile von dieser Nähe war.

Während Cullens Finger sacht durch seine Haare kämmten, schloss Dorian die Augen und war bald wieder eingeschlafen.

Cullen

Cullens stille Hoffnung, er könnte nach den Anstrengungen des letzten Tages am Morgen eine ruhige Stunde mit Dorian im Bett verbringen, erfüllte sich leider nicht.

Sie waren kaum wach, als es im Arbeitszimmer unter ihm an der Tür klopfte.

„Kommandant Cullen!“, ertönte eine weibliche Stimme. „Verzeiht die Störung. Die Inquisitorin hat den Kriegsrat einberufen und bittet um Eure Anwesenheit!“

Die Botin zögerte kurz, dann fügte sie hinzu: „Und um die von Serah Pavus.“

Cullen tauschte einen Blick mit Dorian, der nur vielsagend eine Augenbraue hob.

Er seufzte. So viel zu einem ruhigen Morgen.

„Teilt der Inquisitorin mit, dass wir in zehn Minuten da sein werden“, rief er zurück. Dann schob er die Decke zurück und stand auf.

„Was, kein Widerspruch? Keine Bemerkung, dass du mich auf deinem Weg zum Rat über das Treffen informieren wirst?“, fragte Dorian spöttisch, während auch er sich erhob und seine Hose anzog. „Wenn das so weitergeht, ist es bald ein offenes Geheimnis, wo ich meine Nächte verbringe.“

Cullen streifte sein Hemd über.

„Dein Zimmer liegt näher, als meines“, erwiderte er. „Ich bin mir sicher, dass sie es dort bereits versucht haben. Also warum sollte ich mir die Mühe machen und sie anlügen, wenn offensichtlich ist, dass du hier bist?“

Er griff nach seinem Schwertgürtel und legte ihn um, bevor er seine Stiefel anzog und sie zuschnürte. Er sah für eine Weile nicht auf, weshalb er Dorians Reglosigkeit erst bemerkte, als er schließlich wieder den Kopf hob.

„Dorian...?“, fragte er besorgt und hielt inne. Hatte er etwas Falsches gesagt...?

„Meinst du das ernst?“, entgegnete der andere leise.

Cullen sah ihn verständnislos an.

Dorian holte tief Luft. „Macht es dir wirklich nichts aus, wenn die ganze verdammte Himmelsfeste von unserer Beziehung erfährt?“, fragte er. „Du bist nicht irgendwer, du bist der Kommandant der Inquisition. Dir muss klar sein, dass das Folgen hat.“

„Möglich.“ Cullen zuckte mit den Schultern. Er hatte zu viele andere Sorgen, um sich auch noch darüber den Kopf zu zerbrechen. „Vielleicht wird es uns die Unterstützung mehrerer einflussreicher adliger Familien kosten, die sich Hoffnungen auf eine politische Ehe gemacht haben. Doch die Inquisition wird es überleben.“

Dorians Zweifel schienen damit jedoch noch nicht aus der Welt geräumt, denn er sah ihn weiterhin zögernd an.

„Also bin ich nicht...“, begann er leise, bevor er wieder verstummte und den Kopf schüttelte.

„Bist du was?“, fragte Cullen, dem die plötzliche Unsicherheit des anderen ein Rätsel war. Dorian zögerte sonst nie, offen seine Gedanken auszusprechen, ob es dem Rest der Welt passte oder nicht. Er war ein Mann, der zu dem stand, was er sagte. Selbst aus seinen Präferenzen hatte er nie ein Geheimnis–

Moment.

Cullen hielt inne. Und hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen, als er endlich verstand.

Dorian war aus Tevinter, wo Beziehungen wie die ihre alles andere als gern gesehen oder gar gesellschaftlich akzeptiert waren. Hier im Süden konnte er sie zum ersten Mal offen ausleben, während sie in seiner Heimat selbst jemanden aus einer so einflussreichen Familie wie der seinen den Ruf oder die politische Karriere kosten würde, wenn er nicht vorsichtig war.

Dass jemand wie Cullen, der eine wichtige politische Position hatte, offen zu ihm stand, musste ihm darum völlig fremd sein.

Cullen stand auf und trat auf Dorian zu.

„Du bist nicht mein Geheimnis“, stellte er klar und ergriff seine Hände. „Und ich habe nicht vor, diese Sache zu leugnen, sollte sie erst mal an die Öffentlichkeit kommen. Ich habe mich für dich entschieden, Dorian, und ich stehe dazu. Meinetwegen kann die ganze verdammte Welt davon erfahren.“

Doch der Magier starrte ihn nur weiterhin wortlos an. Cullen konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten und er fragte sich, ob er etwas übersehen hatte.

„Dorian...?“, sagte er leise und legte eine Hand an die Wange des anderen Mannes. „Bitte sprich mit mir. Was macht dir solche Sorgen...?“

Dorian schloss für einen Moment die Augen und hob die Hand, um sie auf die von Cullen zu legen.

„Es mag dir nichts ausmachen, ob der Rest der Welt davon erfährt“, entgegnete er. „Doch dein Ruf ist nicht das einzige, was auf dem Spiel steht...“

Cullen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, als ihm bewusst wurde, dass Dorian Recht hatte.

Natürlich.

Mit einem Mal fühlte er sich sehr närrisch.

Keinen Augenblick lang hatte er bedacht, wie Dorian sich bei der ganzen Sache fühlte – und dass die politischen Auswirkungen ihrer Beziehung nicht nur Cullen treffen würden, sondern auch ihn. Gewiss, die Beziehung zu seiner Familie mochte nicht mehr zu reparieren sein, doch Dorian hatte auch noch andere Kontakte in Tevinter, die seine Entscheidungen zweifellos ebenso in Frage stellen würden, wie sein Vater. Und je mehr Freundschaften er einbüßte, desto schwieriger würde es für ihn werden, wieder in seine Heimat zurückzukehren, sobald dieser Krieg vorüber war.

Cullen seufzte und senkte den Blick.

„Verzeih mir“, sagte er. „Ich bin ein Idiot. Ich hätte zuerst mit dir darüber reden sollen, anstatt davon auszugehen, dass ich auch in deinem Interesse handle.“

„Stimmt“, meinte Dorian und Cullen sah ihn an. „Das hättest du.“

In seiner Stimme war jedoch keine Schärfe.

„Aber was geschehen ist, ist geschehen“, fuhr er fort und drehte das Gesicht, um einen Kuss auf Cullens Finger zu pressen. „Ich werde schon einen Weg finden, um damit umzugehen.“

Dann ließ er die Hand sinken und wandte sich ab.

„Lass uns gehen“, sagte er leise. „Wir sollten die Inquisitorin nicht warten lassen.“

Cullen folgte ihm mit einem schlechten Gewissen.

 

Ein Dutzend Augenpaare richteten sich auf sie, als sie eintraten.

Neben der Inquisitorin und den übrigen Beratern waren auch Blackwall, Madame de Fer, der Eiserne Bulle und Cole, sowie Ser Barris mit mehreren seiner Männer anwesend.

„Ah, Cullen“, begrüßte ihn die Inquisitorin, die an diesem Morgen ungewöhnlich blass und müde wirkte, und schenkte ihnen ein Lächeln. „Und Serah Pavus.“

Dorian verbeugte sich kurz. „Mylady Lavellan.“

Auch ihm schien die Erschöpfung der jungen Frau nicht zu entgehen, und er warf Cullen einen fragenden Blick zu, den dieser jedoch nur mit einem Schulterzucken erwiderte. Wenn Lavellan in ihrem Zustand eine Versammlung abhalten wollte, dann konnte er sie nicht daran hindern.

„Leliana“, sagte die Inquisitorin dann an ihre Beraterin gewandt. „Vielleicht solltet Ihr vorerst übernehmen und berichten, was Ihr erfahren habt.“

Die andere Frau nickte und trat vor.

„Heute Morgen traf eine Nachricht von Hawke aus den Westgraten ein“, erzählte sie. „Sie ist mit Varric und Loghain auf Spuren der Grauen Wächter gestoßen, sowie auf fragwürdige Aktivitäten der Venatori in dieser Region. Aufgrund der Vielzahl von Dämonen, die ihnen dort begegneten, konnten sie jedoch keine weiteren Nachforschungen anstellen und mussten sich wieder zurückziehen.“

Sie warf Dorian einen Blick zu. „Ihre Beobachtungen decken sich zum Großteil mit den Informationen, die wir aus Briefen von den Venatori an die Grauen Wächter gewonnen haben. Serah Pavus hat uns einen großen Dienst erwiesen, indem er sie für uns übersetzt hat.“

Cullen sah überrascht zu Dorian hinüber. Der andere hatte am Morgen kein Wort über seine Arbeit für Leliana verloren.

„Den Briefen zufolge geht die Zusammenarbeit der Venatori mit den Grauen Wächtern noch wesentlich weiter, als wir gedacht hatten“, fuhr Leliana fort. „Ihr Einfluss auf die Wächter scheint groß genug zu sein, dass sie selbst vor Blutmagie nicht länger zurückschrecken. Was auch immer sich in den Westgraten also gerade zusammenbraut, wir müssen es herausfinden, und zwar bald – und dann mit aller Härte dagegen vorgehen.“

Sie wandte sich an Ser Barris. „Da die Gefahr größer ist, als wir vermutet haben, möchte ich Euch bitten, ein Dutzend Eure zuverlässigsten Männer auszuwählen und die Inquisitorin auf ihrer Reise zu begleiten. Was auch immer Ihr an Ausrüstung benötigt, Sir Morris wird es für Euch besorgen. Er wurde bereits informiert.“

Barris nickte. „Wie Ihr wünscht, Mylady.“

Gemeinsam mit seinen Männern verließ er den Raum.

„Madame de Fer“, wandte sich Lavellan dann an Vivienne. „Unsere Reise wird uns einmal quer durch Orlais führen, wo die Inquisition nicht immer gern gesehen ist. Ihr verfügt über Kontakte, die uns unsere Reise sehr erleichtern würden, weshalb es mir eine Ehre wäre, Euch auf unserem Weg an meiner Seite zu wissen.“

Vivienne lächelte knapp. „Es wäre mir eine Freude, meine Liebe. Ich habe schon seit einer Weile auf die Gelegenheit gewartet, meiner Heimat einen Besuch abzustatten.“

„Ich danke Euch“, erwiderte Lavellan und machte eine erleichterte Miene. Vivienne war undurchschaubar, man konnte nie vorhersagen, wie sie reagieren würde.

„Blackwall“, fuhr sie dann fort. „Ihr–“

„– wollt mich als Vertreter der Grauen Wächter dabeihaben“, beendete Blackwall ihren Satz. „Keine Sorge, Mylady, Ihr könnt auf mich zählen.“

Cole und der Eiserne Bulle stimmten ebenfalls zu, doch als Dorian an der Reihe war, zögerte er kurz.

Sein Blick flog für den Bruchteil einer Sekunde zu Cullen hinüber und eine Vielzahl verschiedener Ausdrücke huschte über sein Gesicht, die der andere nicht so recht deuten konnte. Schließlich wandte er sich wieder der Inquisitorin zu und holte tief Luft.

„Ich bin dabei“, sagte er fest.

Und es war eine logische Wahl: Dorian war der einzige, der die Sprache und Schrift der Venatori verstand, seine Hilfe war unverzichtbar. Doch als Cullen daran dachte, dass er seinen Seelenpartner für mehrere Wochen gehen lassen musste, schien sich ihm das Herz in der Brust zusammenzuziehen...

Die Inquisitorin nickte Dorian zu, dann straffte sie sich und warf einen Blick in die Runde.

„Ich danke Euch allen“, sagte sie. „Damit ist es also beschlossen: morgen früh brechen wir auf.“

 

„Du hättest mich vorwarnen können“, sagte Cullen, nachdem die Versammlung vorüber war und die Inquisitorin sie entlassen hatte, damit sie sich auf die Reise vorbereiten konnten. „Bis zu den Westgraten ist es ein weiter Weg, auf dem viel passieren kann.“

„Was hätte das geändert?“, fragte Dorian. „Du hättest nur früher damit angefangen, dir Sorgen zu machen.“

„Ich wäre immerhin nicht aus allen Wolken gefallen“, meinte Cullen, auch wenn er wusste, wie kindisch seine Vorwürfe waren. Wäre er in Dorians Situation gewesen, hätte er zweifellos genauso gehandelt.

Und der andere Mann machte sich erst gar nicht die Mühe, auf seine Bemerkung einzugehen, sondern warf ihm nur einen mitleidigen Blick zu.

Cullen blieb seufzend stehen und rieb sich das Gesicht.

„Verzeih mir, Dorian“, sagte er. „Heute ist nicht mein bester Tag.“

„In der Tat“, entgegnete der andere, doch ein leichtes Lächeln spielte dabei um seine Lippen.

Cullen erwiderte es dankbar, bevor er zum Himmel hinaufsah, um den Stand der Sonne abzuschätzen.

Dann nickte er Dorian zu.

„Triff in Ruhe deine Vorbereitungen“, meinte er. „Ich habe selbst noch einige Dinge zu erledigen, bevor die Inquisitorin wieder aufbricht.“

Dorian schien einen Moment zu überlegen.

„Sehen wir uns heute Abend wieder?“, fragte er dann.

Cullen dachte an ihr Gespräch am Morgen zurück und rieb sich unsicher den Nacken.

„Meine Tür steht dir jederzeit offen“, entgegnete er. „Aber... Dorian, du sollst wissen, dass du nichts tun musst, womit du nicht–“

Was geschehen ist, ist geschehen“, wiederholte der andere leise seine Worte vom Morgen. „Und ich habe meine Wahl ebenso getroffen, wie du.“

Er trat einen Schritt näher an Cullen heran, bis seine Lippen nur noch wenige Zentimeter von seinem Ohr entfernt waren.

„Und wenn dies unsere letzte gemeinsame Nacht ist, bevor wir für viele Wochen auseinandergehen“, raunte er mit samtweicher Stimme, „findest du nicht auch, dass es eine Nacht werden sollte, an die wir uns beide noch für eine Weile erinnern werden...?“

Er machte wieder einen Schritt zurück und nickte Cullen zu. Dann wandte er sich ab und ging mit einem selbstzufriedenen kleinen Lächeln auf den Lippen davon.

Cullen starrte ihm nach, und obwohl die Sonne warm auf ihn herabschien, lief ein Schauer über seinen Rücken.

Er hatte Dorian unterschätzt.

Der Abend konnte nicht früh genug kommen.

Lavellan

Ellana wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, um den Tag zu überstehen, aber als der Abend schließlich dämmerte, war sie endlich allen Verpflichtungen nachgekommen und konnte sich in ihr Zimmer zurückziehen, um sich auszuruhen. Eine lange Reise stand ihr bevor und sie musste Kraft schöpfen, wollte sie den Weg bewältigen und die an sie gestellten Erwartungen nicht enttäuschen.

Solas war nicht da, wofür sie dankbar war. Ellana wusste nicht, ob sie seinen Anblick in diesem Moment ertragen hätte.

Nach ihrem Gespräch in der Nacht zuvor hatte sie nur schlecht geschlafen, zu sehr hatten sie die Dinge beschäftigt, die er ihr offenbart hatte.

Neben ihm zu liegen und sein im Schlaf entspanntes Gesicht zu betrachten, mit dem Wissen, dass er derjenige war, über den sich die Elfen seit Jahrtausenden Schauermärchen erzählten, war eine bizarre Erfahrung gewesen. Konnte er tatsächlich die Wahrheit gesprochen haben? Es schien ihr undenkbar. Er war nur ein Mann, fehlbar und sterblich. Sie hatte ihn oft genug bluten sehen, um sich dieser Tatsache bewusst zu sein. Dennoch hatte sie nicht verhindern können, dass ihr Blick zu ihrem Nachttisch hinübergewandert war, auf dem ihr Dolch lag, und für einen kurzen Augenblick hatte sie sich gefragt...

Doch Ellana hatte entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen, als ihr bewusst geworden war, wie grausig ihre Gedankengänge waren. Traute sie ihm tatsächlich so wenig, dass sie ihn bereits als Feind betrachtete, und nicht länger als denjenigen, dem sie ihr Herz geschenkt hatte...?

Plötzlich hatte sie ihn nicht länger ansehen können. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, während Übelkeit in ihr aufgestiegen war, und es hatte lange gedauert, bis sie sich wieder weit genug beruhigt hatte, dass sie schließlich einschlief.

Seitdem hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Er war bereits fort gewesen, als sie am nächsten Morgen erwacht war, und in ihrer Unsicherheit und Verzweiflung hatte sie zum ersten Mal etwas getan, was sie noch nie zuvor auch nur in Betracht gezogen hatte – sie war in die Kapelle gegangen, um zu beten. Und vielleicht hatte Andraste sie tatsächlich erhört, denn sie hatte ihr Leliana geschickt, mit der sie ihre Ängste und Sorgen hatte teilen können.

Später am Morgen hatte sie mit Josephine gesprochen, die ihr einen überraschten Blick zugeworfen hatte, als sie ihr mitgeteilt hatte, wen sie sich als Begleiter auf ihrer Reise wünschte, ohne dabei auch nur ein einziges Mal Solas‘ Namen zu nennen. Doch sie war diplomatisch genug gewesen, um nicht nachzufragen, was Ellana sehr schätzte. Sie brauchte für eine Weile Abstand von ihm, um ihre Gedanken zu ordnen und sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden, und die bevorstehende Reise bot eine gute Gelegenheit dazu.

Und nun war sie hier, allein in ihrem Zimmer. Alle Vorbereitungen für die Reise waren getroffen, alles, was ihr blieb, war sich hinzulegen und sich auszuruhen. Doch Ellana schaffte es nicht, die Augen zu schließen. Zu sehr beschäftigten sie die Ereignisse der letzten Tage.

Und nicht nur sie.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie erstarren.

Sie fragte sich für einen Moment, ob sie sich verhört hatte, doch das Klopfen wiederholte sich nach einer Weile, und Ellanas Herz begann vor Aufregung zu rasen.

„Ella...“, erklang eine leise Stimme, die ihr schmerzlich vertraut war.

Ellana rollte sich auf dem Bett zusammen und presste die Hände auf die Ohren.

Sie wollte ihn nicht sehen.

Sie konnte ihn nicht sehen.

Nicht jetzt. Sie hatte schlichtweg nicht die Kraft dazu.

Minuten vergingen, in denen sie sich nicht rührte und hoffte, dass er die stille Botschaft verstand und sie in Ruhe ließ. Sein Name pulsierte brennend heiß auf ihrem Handgelenk, als wäre er ein schwaches Echo des Gefühlssturms, der in ihr tobte.

Doch als sie die Hände schließlich wieder sinken ließ, wusste sie, dass er noch immer da war.

„Es tut mir leid.“

Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Diese Worte hatte sie nicht erwartet.

Ein Rascheln ertönte, dann ein dumpfes Geräusch, als er sich von außen gegen die Tür sinken ließ.

„Ich hätte dir niemals dieses Wissen aufbürden sollen“, fuhr er leise fort. „Es war meine Verantwortung, es für mich zu behalten, und ich bin dieser Verantwortung nicht nachgekommen.“

Ellana setzte sich auf.

„Ich verstehe, dass du wütend bist und verletzt, und dass du Abstand brauchst.“ Ihr Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen. „Sollte dies jedoch das Ende sein... dann soll es so sein. Ich respektiere deine Entscheidung und werde dich nicht länger behelligen.“

Nein!

Das war nicht das, was sie wollte... oder doch? Sie brauchte den Abstand in diesem Moment, doch wollte sie tatsächlich gleich einen Schlussstrich ziehen...?

Ellana hasste es, dass er sie so verunsicherte – dass sie ihn so sehr liebte, dass er sie so verunsichern konnte – und sie hasste es, dass er sie so plötzlich zu einer Entscheidung zwang, zu der sie in diesem Moment noch nicht bereit war.

Doch wieder blieb sie stumm, und wieder zog sich die Stille dahin.

Schließlich ertönte erneut seine Stimme.

„Ich verstehe“, sagte er sanft. „Du brauchst Zeit.“

Sie hörte, wie er sich wieder erhob.

„Wir sollten reden, wenn du wieder zurück bist. Dareth shiral, vhenan. Ich wünsche dir alles Gute auf deiner Reise.“

Mit diesen Worten ging er schließlich.

Als seine Schritte auf der Treppe verhallt waren, sank Ellana zurück auf ihr Bett.

Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen, die sie sich nicht erklären konnte.

Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, dann ein weiteres. Dann war es, als würde auf einmal ein Damm brechen, als sich ihre Anspannung endlich löste und Tränen über ihre Wangen liefen, während sie schluchzend das Gesicht im Kissen vergrub.

Es sollte lange dauern, bis sie wieder zur Ruhe kam, doch als es schließlich vorbei war, fühlte sie sich nicht nur ausgelaugt und erschöpft, sondern auch besser, als vorher, und schlief wenig später endlich ein.

 

Ellana fühlte sich seltsam ruhig und gefasst, als sie sich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang in den Sattel ihrer Stute schwang. Die kleine Menschenmenge, die sich versammelt hatte, um sie und ihre Begleiter zu verabschieden, schien zurückhaltender, als sonst, und nur vereinzelt wurden gemurmelte Gespräche geführt.

Von Solas fehlte jede Spur, doch das überraschte Ellana nicht. Er hatte ihr mehr Zeit versprochen, und er hielt sich an sein Versprechen.

Doch obwohl es genau das war, was sie gewollt hatte, wünschte sie sich für einen kurzen Moment, sie könnte noch ein letztes Mal sein Gesicht sehen, bevor sie die Himmelsfeste abermals verließ.

Dorian war der letzte ihrer Begleiter, der eintraf, und er entschuldigte sich mehrmals für die Verspätung, während er auf sein Reittier stieg. Wenig später stieß auch Cullen zu ihnen, atemlos und in voller Rüstung, das gelockte Haar zerzaust. Er verabschiedete sich formell von ihr und ihrem Gefolge, und wünschte ihnen eine sichere Reise. Es wärmte Ellanas Herz, als sie die offene Hingabe und Bewunderung in seinem Blick sah, wann immer seine Augen dabei Dorian streiften, und ihr wurde auf einmal bewusst, wie schwer es ihm fallen musste, den anderen Mann gehen zu lassen.

Als sie schließlich gerade aufbrechen wollten, lenkte Dorian sein Pferd noch einmal zu dem Kommandanten hinüber und beugte sich zu ihm hinunter. Ellana konnte die Worte nicht verstehen, die er Cullen ins Ohr flüsterte, doch die Tatsache, dass der andere Mann dabei errötete, sprach Bände. Dann ging ein Raunen durch die kleine Menschenmenge, als Dorian die Hand in Cullens Nacken legte und ihn zu sich zog, um ihn zu küssen.

Mit einem Lächeln und einem Zwinkern löste er sich einen Moment später auch schon wieder von ihm und schloss ohne ein weiteres Wort zu verlieren zu Ellana und ihrem restlichen Gefolge auf, das ihn mit teils entsetzten, teils überraschten Mienen erwartete.

Nur der Eiserne Bulle grinste unverhohlen, als Dorian an ihm vorbeiritt, doch er verkniff sich jeglichen Kommentar.

Ellana war mittlerweile zu weit vorausgeritten, um den Ausdruck auf Cullens Gesicht identifizieren zu können, doch ihr entging nicht, dass der Kommandant wie zur Salzsäule erstarrt war, und ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. Sie freute sich für ihn und für das Glück, das er gefunden hatte, und sie nahm sich vor, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Dorian heil zu ihm zurückkehrte.

Mit diesem Gedanken konzentrierte sie sich wieder auf den Weg vor sich. Die einsame Gestalt, die ihnen von der Burgmauer aus nachblickte, bemerkte sie dabei nicht.

Dorian

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Dorian (gekürzte Fassung)

„Ihr lächelt immer noch“, stellte der Eiserne Bulle fest, nachdem sie die Frostgipfel hinter sich gelassen und das Flachland erreicht hatten.

„... mmh?“, machte Dorian, der so tief in Gedanken versunken war, dass er nicht sofort begriff, dass die Bemerkung ihm galt.

„Aufregende Nacht gehabt?“, bohrte der Qunari weiter und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.

Dorian gab ein Schnauben von sich.

„Ich wüsste nicht, was Euch das angeht“, entgegnete er.

„Hmm.“ Der andere schwieg für einen Moment. Dann zuckte er mit den Schultern und sagte: „Wie Ihr wünscht. Ich habe meine Antwort eh schon.“

Dorian sah ihn fragend an. „Ich habe nichts gesagt.“

„Das braucht Ihr auch nicht.“ Der Qunari grinste. „Euer Gesicht sagt mir alles, was ich wissen muss.“

„Oh, zum–! Geht jemand anderen behelligen!“, erwiderte Dorian scharf und schickte mehrere kleine Blitze in die Richtung des Eisernen Bullen, der jedoch nur lachte, bevor er ihn endlich in Ruhe ließ und ein Stück vorausritt, um Blackwall Gesellschaft zu leisten.

Als er wieder allein war, stieß Dorian ein Seufzen aus.

Er gab es ungern zu, aber der Qunari hatte Recht. Seitdem sie die Himmelsfeste verlassen hatten, wanderten seine Gedanken immer wieder zu dem Mann zurück, den er dort zurückgelassen hatte – und zu ihrer letzten gemeinsamen Nacht...

 

Wie am Abend zuvor war Dorian der erste von ihnen, der zum Turm zurückkehrte.

Vor der Tür zögerte er jedoch. Cullen hatte nicht Unrecht gehabt – mittlerweile musste sich herumgesprochen haben, dass der Kommandant seine Nächte nicht länger allein verbrachte. Doch noch war es nicht zu spät, noch konnte Dorian diese Liaison für nichtig erklären, bevor sie Konsequenzen für sie hatte, die sich nicht mehr rückgängig machen ließen.

Doch wollte er das wirklich?

Cullen hatte deutlich gemacht, dass er kein Problem damit hatte, mit ihm gesehen zu werden, und Dorian... Dorian genoss sie, diese Offenheit. Nicht in der Dunkelheit der Nacht in Cullens Zimmer schleichen zu müssen oder sich in abgelegenen Teilen der Festung mit ihm zu treffen, wo niemand sie zusammen sehen konnte... Nicht, dass das nicht auch seine Reize gehabt hätte, aber es machte immer so viel Arbeit, eine Beziehung im Geheimen zu führen, und Dorian war mittlerweile zu alt und hatte zu viel Selbstwertgefühl, um sich damit zufriedenzugeben und nicht mehr zu verlangen.

Sein ganzes Leben lang hatte er sich nach einem Liebhaber gesehnt, der zu ihm stand, warum begann er also ausgerechnet jetzt, wo er ihn gefunden hatte, zu zweifeln...?

Dorian schüttelte den Kopf, dann griff er nach der Türklinke und trat ein.

 

Unter einem wolkenlosen Himmel breiteten sich die endlosen, blumenbedeckten Weiten von Orlais wie ein bunter Teppich vor ihnen aus.

Dorian schloss für einen Moment die Augen, während er den Duft der zahllosen wilden, in Blüte stehenden Pflanzen einatmete. Er verstand plötzlich, wieso sich so viele orlaisianische Soldaten und Flüchtlinge nach ihrer Heimat sehnten. Der Anblick der grünen Hügel, die gelegentlich bewaldet oder von kristallklaren Bächen durchzogen waren, war wie Balsam für die Seele.

Selbst die Miene der Inquisitorin, die seit ihrem Aufbruch am frühen Morgen konzentriert und angespannt wirkte, glättete sich etwas, und hin und wieder lächelte sie sogar, wann immer einer ihrer Begleiter eine ungezwungene Bemerkung machte.

Als sie an diesem Abend ihr Lager aufschlugen, herrschte eine lockere Stimmung unter den Männern und Frauen, und selbst Dorian ließ sich dazu hinreißen, für eine Weile mit ihnen am Feuer zu sitzen und ihren Erzählungen zu lauschen.

Für einen Moment fühlte er sich wieder an die Zeit nach ihrer Flucht aus Haven erinnert, als sie noch eine Gemeinschaft gewesen waren, die in eine ungewisse Zukunft geblickt hatte. Wie viele Monate seitdem doch vergangen waren und wie viel sich in dieser Zeit geändert hatte...

 

Cullen ließ nicht lange auf sich warten.

Kaum hatte Dorian sich ausgezogen und nach seiner Lektüre vom Vorabend gegriffen, als sich im Zimmer unter ihm auch schon die Tür öffnete. Eine seltsame Vorfreude breitete sich in ihm aus, während er den Geräuschen des anderen lauschte, als dieser seine Rüstung ablegte und noch ein letztes Mal die Berichte auf seinem Schreibtisch durchging, bevor er schließlich die Leiter zu seinem privaten Zimmer hinaufstieg.

„... Dorian!“, sagte Cullen überrascht und errötete, als er ihn auf seinem Bett liegen sah, nackt bis auf eine kurze Unterhose, die deutlich mehr von seiner Anatomie preisgab, als sie verhüllte.

Dorian schenkte ihm ein anzügliches Lächeln und legte sein Buch beiseite, bevor er Cullen einladend die Hand hinhielt.

„Schön, dass du beschlossen hast, mir Gesellschaft zu leisten, ich war schon kurz davor, wieder zu gehen“, meinte er mit einem Augenzwinkern.

Cullen gab ein Husten von sich, um seine Verlegenheit zu überspielen, bevor er sein Hemd auszog und sich zu Dorian auf das Bett setzte.

„Erst müssen wir reden“, sagte er leise.

Dorian starrte ihn einen Moment lang an, dann seufzte er und drehte sich auf die Seite, den Kopf auf die Hand gestützt.

„Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest“, entgegnete er resigniert. „Nun gut, was ist es?“

Cullen senkten den Blick und schwieg einen Moment.

„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte er dann.

Dorian zog verwirrt die Augenbrauen hoch. „... warum das?“

Cullen sah ihn an und Dorian sah einen Anflug von Schmerz in seinen hellbraunen Augen.

„Ich habe mich heute unmöglich benommen“, gestand er, „indem ich ohne dein Einverständnis Entscheidungen für dich getroffen habe, sowie deine eigenen Entscheidungen angezweifelt habe.“

Dorian war für einen Augenblick so sprachlos, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Überrascht starrte er Cullen an.

„Es tut mir aufrichtig leid, Dorian“, fuhr der andere leise fort. „Und ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Ich will, dass so etwas die absolute Ausnahme bleibt, und nicht zur Normalität in unserer Beziehung wird.“

Er griff nach Dorians Hand und presste einen Kuss auf seine Fingerknöchel. „Dafür schätze ich dich und dein Meinung zu sehr.“

Dorian wollte eine wegwerfende Geste machen und sagen: Schon gut, es ist bereits vergessen.

Doch als er sich Cullens Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ, erkannte er, dass der andere Mann Recht hatte. Er hatte Dorians Wünsche ignoriert und er hatte sich unangemessen verhalten. Dorian war nur so daran gewöhnt, dass seine Liebhaber seine Bedürfnisse ignorierten, dass er in jenem Moment nicht weiter darauf eingegangen war, auch wenn es für einen kurzen Augenblick wehgetan hatte, dass auch Cullen so mit ihm umgegangen war.

Doch anders als alle anderen vor ihm hatte Cullen erkannt, wie unangebracht sein Verhalten gewesen war, und nicht nur das – er hatte sich dafür entschuldigt.

Das Konzept war Dorian so neu, dass er sich erst einmal daran gewöhnen musste.

„Es ist mir wichtig, dich als gleichberechtigten Partner an meiner Seite zu wissen“, sagte Cullen, während er sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken rieb. „Und ich möchte, dass du hier bist, weil du es willst, und nicht weil du denkst, du wärst es mir schuldig.“

Dorian schluckte, er hatte plötzlich einen Kloß im Hals.

„Darum habe ich heute Abend nur eine Frage an dich, Dorian...“ Ein warmer Ausdruck trat bei diesen Worten in Cullens honigfarbene Augen.

„Was ist es, was du willst?“

Über seine Antwort musste Dorian nicht lange nachdenken. Er räusperte sich mehrmals, bevor er endlich mit rauer Stimme erwiderte:

„Ich will dich.“

 

„Komm, Kleiner, trink was!“, rief der Eiserne Bulle gutgelaunt und klopfte Cole, der neben ihm saß, so überschwänglich auf die Schulter, dass es den jungen Mann fast nach vorn schleuderte.

„Vielleicht wachsen dir dann endlich ein paar Haare auf der Brust.“

Cole sah ihn zweifelnd an.

„Aber ich habe keinen Durst“, entgegnete er und rückte seinen Hut wieder zurecht, der nach vorn gerutscht war. „Und mir wird dann immer ganz komisch im Kopf. Außerdem bringt es die Stimmen zum Schweigen.“

Blackwall, der neben den beiden saß, grinste. „Klingt für mich nach zwei weiteren guten Gründen, es zu tun.“

Doch bevor der Qunari dem Jungen einen Weinschlauch in die Hand drücken konnte, mischte Dorian sich ein.

„Lasst ihn in Ruhe“, sagte er genervt. „Cole hat nein gesagt.“

„... schon gut, schon gut.“ Der Eiserne Bulle zuckte mit den Schultern, bevor er den Schlauch an seine eigenen Lippen setzte und daraus trank.

„Wann seid Ihr eigentlich die Stimme der Vernunft geworden?“, fragte er Dorian, nachdem er den Schlauch wieder abgesetzt hatte. Trotz des leichten Spottes in seiner Stimme schien er ernsthaft an einer Antwort interessiert zu sein.

Dorian seufzte.

„Seitdem ich meine Würde wiedergefunden habe“, entgegnete er. Dann erhob er sich.

„Vielleicht solltet Ihr Euch auf die Suche nach der Euren machen“, fuhr er mit einem süffisanten Lächeln fort. „Ich bin mir sicher, sie vermisst Euch.“

Blackwall lachte auf. „Autsch.“

Dorian machte eine elegante Verbeugung. „Gute Nacht, die Herren.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zu seinem Zelt.

Doch schon nach wenigen Metern gesellte sich zu seiner Überraschung Cole zu ihm.

„Danke“, sagte er. „Sie wollten nicht auf mich hören, doch sie haben auf Euch gehört.“

„Es war nicht der Rede wert“, meinte Dorian und sah den jungen Mann an. „Und es ist nicht akzeptabel, dass sie dich ignoriert haben. Wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte, musst du deutlicher werden.“

Cole dachte über diese Worte nach.

„Aber ich will ihnen nicht wehtun“, sagte er dann. „Sie sind meine Freunde.“

Doch Dorian schüttelte den Kopf.

„In Momenten wie diesen geht dein eigenes Wohlbefinden vor, Cole“, sagte er. „Und mehr als einmal solltest du nicht nein sagen müssen.“

Er überlegte.

„... du musst ihnen vielleicht nicht gleich den Arm brechen oder so“, fügte er dann hinzu. „Ich bin mir sicher, dir fallen noch andere Lösungen ein.“

„Ich werde es mir merken“, versprach Cole mit großem Ernst. Dann verschwand er wieder in der Dunkelheit, um... zu tun, was auch immer er tat, sobald es dunkel wurde. Vermutlich irgendwelchen armen Soldaten eine Heidenangst einjagen, indem er mit ihnen über ihre Alpträume sprach. Dorian hatte keine Ahnung.

Als er sein Zelt schließlich erreichte, schälte er sich mit einem Seufzen aus seiner Kleidung, bevor er unter die Decke schlüpfte. Trotz der sommerlichen Temperaturen am Tag war es nachts noch immer sehr frisch, und es dauerte eine Weile, bis ihm unter der Decke warm geworden war.

Und während er darauf wartete, dass ihn der Schlaf übermannte, vergrub er das Gesicht in dem Hemd von Cullen, das er am Morgen mitgenommen hatte, und sog seinen Geruch ein.

Varric

„Die Inquisitorin ist auf dem Weg“, sagte Loghain.

Er hob den Arm und der Rabe, der sich darauf ausgeruht hatte, nachdem er seine Botschaft überbracht hatte, schwang sich wieder in die Luft, und war wenig später mit der Nacht verschmolzen.

„Wenn sie mit kleinem Gefolge reist, sollte sie in spätestens zehn Tagen hier sein“, meinte Hawke, die am Lagerfeuer saß, und stocherte mit ihrem Schwert in den glühenden Holzscheiten herum, um das Feuer wieder in Gang zu bringen.

„Ich hoffe, sie bringt den Qunari mit“, sagte Varric. „Ich bin mir sicher, er wäre nur zu glücklich, sich um die hiesige Drachenpopulation zu kümmern.“

Er schauderte, als er an den gigantischen Schatten dachte, der in den letzten Tagen mehrmals über ihr Versteck hinweggeglitten war, und an das Rauschen ledriger Schwingen, das ihn mittlerweile überall hin zu verfolgen schien.

„Aww“, machte Hawke, die seine Unruhe bemerkte. „So schlimm?“

Sie nahm einen Schluck aus der Weinflasche, die sie am Vormittag unter den sandbedeckten Überresten einer Karawane gefunden hatte, und rückte ein Stück näher, um beruhigend sein Knie zu tätscheln.

„Keine Sorge, Varric. Sollte uns der Drache angreifen, werde ich dich beschützen. Versprochen.“

Varric schüttelte nur amüsiert den Kopf und selbst Loghain gab im Hintergrund ein Geräusch von sich, das ein Schnauben oder ein unterdrücktes Lachen sein konnte, Varric war sich nicht ganz sicher.

„Du wärst definitiv wahnsinnig genug, es zu versuchen, Hawke“, entgegnete er und legte seine Hand auf ihre Finger.

„Pff.“ Sie verschränkte ihre Finger mit den seinen. „Es wäre nicht mein erster Drache, wie du weißt. Wie schlimm kann es also werden?“

Wie schlimm kann es werden?“, wiederholte Varric ungläubig. „Der Drache in Kirkwall war im Gegensatz zum hiesigen Exemplar ein Jungtier, Hawke, und selbst er hat dich damals schon in arge Bedrängnis gebracht.“ Er runzelte die Stirn. „Wie ihr ihn besiegt habt, ist mir ehrlich gesagt bis heute ein Rätsel...“

„Frag Fenris. Er kann erstaunliche Dinge mit seinem Körper tun“, erwiderte Hawke, als würde das alles erklären.

– Und auf gewisse Weise tat es das auch, und Varric war klug genug, nicht weiter nachzufragen. Hawke hätte zweifellos ihre Freude daran gehabt, ihm in aller Ausführlichkeit zu erzählen, wo der Elf beim Kampf gegen den Drachen überall seine Hände hineinversenkt hatte.

Dann fügte Hawke ein wenig vorwurfsvoll hinzu: „Aber es wäre zweifellos einfacher gewesen, hättest du uns damals begleitet.“

„Sehe ich so aus, als hätte ich einen Todeswunsch?“

„Sagt der Mann, der mal behauptet hat, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen“, schniefte Hawke.

„Mein Herz mag dir gehören, Hawke, aber nicht mein Selbsterhaltungstrieb“, stellte Varric klar.

„Und doch bist du hier“, entgegnete sie. Sie sah ihn nicht an, doch um ihre Lippen spielte ein Lächeln, und Varric seufzte ergeben.

Ertappt.

Loghain war während des gesamten Wortwechsels näher an das Feuer herangetreten und hatte ihr Gespräch mit einem amüsierten Funkeln in den Augen verfolgt. Doch als sich nun Schweigen über sie senkte, wandte er sich wieder ab.

Varric war nicht überrascht. Während ihrer gemeinsamen Reise war der andere Mann lieber für sich geblieben und hatte nur dann die Stimme erhoben, wenn sie sich über ihr weiteres Vorgehen einig werden mussten. Nach der langen Zeit der Flucht vor den Grauen Wächtern schien er die Gesellschaft nicht mehr gewohnt zu sein und zog sich häufig sofort zurück, nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Zu Varrics Verwunderung ergriff Hawke jedoch in diesem Moment das Wort.

„Bleibt doch“, sagte sie leise. „Hier am Feuer ist es wärmer... und außer Warten gibt es für uns eh nicht viel zu tun.“

Loghain erstarrte, und für einen kurzen Augenblick sah Varric Überraschung auf seinem Gesicht, bevor sich seine Züge wieder glätteten. Dann wandte er sich ihnen zu.

„Wie Ihr wünscht“, entgegnete er ruhig und ließ sich ihnen gegenüber am Feuer nieder.

„Fantastisch.“ Hawke hob ihre Flasche und prostete ihm zu. Dann trank sie einen Schluck daraus und hielt sie ihm anschließend hin.

Loghain zögerte einen Moment, bevor er nach der Flasche griff und ebenfalls daraus trank.

„... danke“, sagte er.

Hawke zuckte nur mit den Schultern.

Mi vino es su vino“, meinte sie großzügig. „Altes antivanisches Sprichwort.“

Loghain gab keine Antwort, doch sein Mundwinkel hob sich belustigt bei diesen Worten. Dann nahm er erneut einen Schluck, bevor er Hawke den Wein zurückgab.

Varric sah sie an. „Hat Isabela dir das beigebracht?“

„Nein.“ Hawke schüttelte den Kopf. „Diese Weisheit habe ich Josi zu verdanken.“

Josephine?

„Nach zwei Flaschen Wein wird sie ziemlich redselig“, erwiderte Hawke mit verträumter Miene. „Und oh, Varric, die erotischen Gedichte, die sie dann zum Besten gibt...! Ich muss dir bei Gelegenheit ein paar davon vortragen.“

Denn natürlich hatte sie es geschafft, die Fassade der reservierten, jungen Diplomatin während ihrer kurzen Zeit auf der Himmelsfeste zu durchdringen. Natürlich. Sie war Hawke.

Varric starrte sie an.

Dann seufzte er.

„Weißt du, Hawke, eines Tages“, sagte er, „eines fernen Tages...“

„Ja?“

„... wirst du mal etwas sagen, was mich nicht mehr überraschen kann.“

Sie lachte nur.

Erneut machte sich Stille breit, doch dieses Mal war es Loghains Stimme, die sie wenig später durchbrach.

„Ihr erstaunt mich“, sagte er leise und ließ den Blick über die karge, von tiefen Schluchten durchzogene Landschaft schweifen, die sich unter dem Felsvorsprung, unter dem sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten, ausbreitete.

An manchen Orten konnte man das grüne Flackern von Rissen erkennen, die die Welt mit dem Nichts verbanden, und hin und wieder hallten Schreie von Kreaturen zu ihnen hinauf, die Varric weder genauer identifizieren konnte noch identifizieren wollte.

„Im Angesicht des Chaos und der Gefahren, die uns umgeben, seinen Humor nicht zu verlieren... das ist eine seltene Gabe.“

„Findet Ihr?“, fragte Varric. „So wie ich das sehe, bleibt uns nur Humor. Denn die Alternative wäre Verzweiflung... und mit Verzweiflung ist noch niemand weit gekommen.“

„... da habt Ihr wohl nicht unrecht“, entgegnete Loghain mit düsterer Miene. Dieses Mal griff er ohne Zögern nach dem Wein, als Hawke ihm schweigend die Flasche hinhielt.

Varric fragte sich, was der andere gerade dachte, und ob er sich in diesem Augenblick all die Momente seines Lebens vor Augen hielt, in denen er versagt hatte. Doch er zweifelte nicht daran, dass Loghain sich sämtliche Vorwürfe, die er sich nach seiner Absetzung hatte anhören müssen, bereits unzählige Male selbst gemacht hatte, und verzichtete darauf, ihn auf vergangene Fehler anzusprechen.

Stattdessen fragte er:

„Aber angenommen, wir kommen alle heil aus dieser Sache heraus... was werdet Ihr danach tun?“

Die Flasche verharrte auf dem Weg zu seinen Lippen, während Loghain für einen Moment nachdenklich ins Feuer starrte. Dann zuckte er mit den Schultern und trank einen weiteren Schluck.

„Ich habe nie darüber nachgedacht“, entgegnete er.

Hawke runzelte die Stirn, bevor sie das Kinn in die Hand stützte und ihn aufmerksam ansah.

„Habt Ihr so wenig Vertrauen in die Inquisition, dass Ihr glaubt, wir können diesen Krieg nicht gewinnen?“, fragte sie herausfordernd.

Doch Loghain schüttelte den Kopf.

„Oh, ganz im Gegenteil“, sagte er. „Wenn jemand Erfolg hat, dann sie. – Nein...“

Er schüttelte die Flasche kurz und ließ sie dann sinken, nachdem er festgestellt hatte, dass sie leer war.

„... ich bin nur nie davon ausgegangen, dass ich diesen Konflikt überleben werde“, fuhr er leise fort.

Varric und Hawke tauschten einen raschen Blick.

„Ihr rechnet damit zu sterben?“, fragte Varric dann.

„Ist das so undenkbar?“, entgegnete Loghain. „Seit Jahren schon hoffe ich auf ein Ende, aber die Wächter fanden immer wieder etwas für mich zu tun.“

Er lächelte humorlos. „Vielleicht habe ich dieses Mal endlich Glück.“

„Aber warum?“ Hawke schüttelte verständnislos den Kopf. „Ihr habt noch immer Familie – Enkelkinder sogar, wie ich gehört habe... Gibt es für Euch denn nichts, wofür es sich zu leben lohnt?“

„Vielleicht gibt es das“, sagte Loghain. „Aber das allein ist nicht alles...“

Wieder sah er in die Dunkelheit hinaus.

„Graue Wächter sind nicht für die Ewigkeit gemacht“, sprach er leise. „Der Ruf der Tiefe wird mit jedem Tag stärker, und ihm zu widerstehen immer schwerer. Noch schaffe ich es, ihn zu ignorieren, doch die Alpträume werden von Tag zu Tag schlimmer und ich begreife allmählich, wieso der Tod so vielen von uns wie eine Erlösung erscheint.“

Eine unbehagliche Stille breitete sich aus. Was konnte man einem Mann sagen, der wusste, dass die ihm verbliebene Zeit nur noch von kurzer Dauer war?

Doch dann verfinsterte sich Hawkes Miene plötzlich.

„So ein Unsinn!“, sagte sie. „Ich habe Wächter gesehen, die schon wesentlich länger im Dienst waren, als Ihr, und selbst sie haben es mit mehr Fassung getragen und sich weniger beklagt.“

„Hawke!“, stieß Varric entsetzt hervor, doch sie ignorierte ihn.

„Seid Euch selbst gegenüber doch wenigstens so ehrlich und gebt zu, dass Euer Todeswunsch nichts mit der Tatsache zu tun habt, dass der Ruf immer stärker wird, sondern schlicht und einfach damit, dass Ihr nicht mit Eurer eigenen Existenz klarkommt!“, fuhr sie wütend fort.

„Hawke...!“

„Die Auswirkungen Eures Coups haben damals meinen Vater und meinen Bruder das Leben gekostet, aber seht ihr mich vielleicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass ich wieder mit ihnen vereint werde?“

Hawke sprang auf, zu aufgebracht, als dass sie länger sitzen konnte, und es tat Varric in der Seele weh, sie so voller Schmerz und Bitterkeit zu sehen.

„Wir machen alle Fehler, verdammt! Ich muss auch bis zum Ende meines Lebens mit der Frage leben, ob ich die Zerstörung der Kirche in Kirkwall hätte verhindern können, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, meinem S- ... Anders bedingungslos zu vertrauen.“ Ihre Stimme bebte. „Aber ich werde niemals, niemals aufhören zu kämpfen, hört Ihr? Nicht nur, um Buße zu tun, sondern weil ich die wenigen, guten Dinge in meinem Leben mit der Zeit zu schätzen gelernt habe und alles dafür tun würde, um mich so lange es geht an ihnen zu erfreuen!“

Hawke!“, rief Varric alarmiert. „Nicht so laut!

Ein Schrei in der Nacht ließ sie alle drei nach ihren Waffen greifen, und für einen Moment hörten sie ein tiefes Grollen, gefolgt von einem Fauchen, das für Varrics Geschmack viel zu dicht an ihrem Lager ertönte. Doch sie hatten Glück – was auch immer dort durch die Dunkelheit schlich, schien bald wieder das Interesse an ihnen zu verlieren und nach einer Weile wurde es wieder still.

Nachdem die unmittelbare Bedrohung vorüber war, ließ sich Hawke wieder auf ihren Platz vor dem Feuer sinken. Ihre Wut war mit einem Mal verpufft und sie wirkte erschöpft und ausgelaugt.

Loghain musterte sie einen Moment lang aus wachen, grauen Augen, als schien er darauf zu warten, dass sie ihre Tirade fortsetzte. Doch es kam nichts mehr.

„Besser?“, fragte er schließlich.

Hawke nickte.

„Ja“, murmelte sie und lehnte den Kopf an Varrics Schulter. „Bitte entschuldigt. Das war unangebracht von mir.“

Zu ihrer Überraschung lachte Loghain jedoch nur leise.

„Möglich“, entgegnete er. „Aber Ihr hattet nicht ganz unrecht mit Euren Worten. Und wenige hatten je den Mut, mir Dinge wie diese so direkt ins Gesicht zu sagen.“

Dann stand er auf und schlang seinen Umhang fester um seinen Körper.

„Ihr solltet Euch ausruhen“, sagte er und Varric war dankbar für den Themenwechsel. „Ein langer Tag liegt hinter uns. Ich werde die erste Nachtwache halten, wenn es Euch genehm ist.“

Varric zögerte. „Seid Ihr sicher? Ich weiß nicht, was das eben war, aber wenn es wiederkommt–“

„... werde ich Euch unverzüglich wecken, Ihr habt mein Wort“, erwiderte Loghain.

Er wandte ihnen den Rücken zu und sah in die Dunkelheit hinaus.

Varric nickte Hawke zu, bevor er ihr dabei half, die Decken auszubreiten. Sie legten sich ohne ein weiteres Wort zur Ruhe und Hawke war eingeschlafen, sobald sie sich an Varrics Seite gekuschelt hatte.

Nichts sollte ihren Schlaf in dieser Nacht stören.

Cullen

Die erste Nacht war die schlimmste.

„Versprich es mir“, hatte Dorian gesagt, als sie sich am Morgen angezogen hatten. „Versprich mir, dass du dir Hilfe holst, wenn die Schmerzen zu groß werden.“

„Dorian...“

„Ich meine es ernst, Cullen. Dein Wohlergehen ist mir wichtig. Wenn es sonst nichts gibt, was dich überzeugen kann, auf dich achtzugeben, dann sollte wenigstens das ein Grund sein.“

„Ich...“ Cullen seufzte. Jeglicher Protest war sinnlos, das erkannte er an Dorians eiserner Miene. Außerdem hatte der andere Recht. „Nun gut. Ich verspreche, dass ich mich nach Möglichkeiten umsehen werde.“

Dorian hatte ihn lange angesehen – abschätzend, als war er sich nicht ganz sicher, wie ernst es Cullen war – doch schließlich hatte er knapp genickt. „Gut.“

Und nun war er hier, zurück in seinem Bett, zum ersten Mal seit Tagen wieder allein.

Die Laken rochen immer noch schwach nach dem anderen Mann, und wenn Cullen die Augen schloss und den Geruch einsog, dann war es für einen Moment fast so, als würde er neben ihm liegen. Doch der Augenblick verging bald wieder und Cullen war erneut allein mit sich und seinen Gedanken – das schwache Pulsieren des Namens auf seinem Handgelenk alles, was ihm von Dorian geblieben war.

Er wälzte sich fast eine Stunde lang ruhelos auf seinem Bett hin und her, und als ihm vor Müdigkeit endlich die Augen zufielen, war es für ihn wie eine Erlösung.

 

Mitten in der Nacht erwachte er plötzlich schweißgebadet und mit rasendem Herzen. Ein intensives Gefühl von Panik hatte von ihm Besitz ergriffen und minutenlang rang er keuchend nach Atem, als wäre er mehrere Meilen gerannt. Der Druck, der auf seiner Brust zu lasten schien, ließ nur langsam wieder nach, ebenso wie das Zittern in seinen Gliedern. Geschwächt streckte Cullen schließlich die Hand nach dem Fläschchen aus, das neben seinem Bett stand, und entkorkte es mit verkrampften Fingern.

Während er zusammengerollt auf seinem Bett lag und darauf wartete, dass der Heiltrank wirkte, dachte Cullen an die letzte Nacht zurück. Er dachte an die Berührungen von Dorians Händen und die Wärme seiner Küsse, und an die stillen Minuten danach, als er Dorian gehalten hatte, wie etwas unendlich Kostbares.

Bisher war sich Cullen nie gänzlich sicher gewesen, ob seine Gefühle für den anderen nicht vielleicht doch dem Seelennamen zu verdanken waren, doch die letzte Nacht und die Intimität, die sie geteilt hatten, hatte seine Zweifel endgültig beseitigt. Nur an Dorian zu denken, erfüllte sein Herz mit Sehnsucht, und er konnte den Moment nicht erwarten, in dem er ihn wieder in die Arme schließen würde.

„Ich hoffe, du nutzt meine Abwesenheit gut“, hatte Dorian ihm ins Ohr geraunt, als sie sich auf dem Hof verabschiedet hatte. „Denn wenn ich wiederkomme, will ich in aller Ausführlichkeit hören, was du gedenkst, mit mir zu tun, sobald wir wieder unter uns sind.“

Cullen war so überrascht gewesen, dass ihm keine Antwort eingefallen war, aber die Worte und ihre Implikation hatten eine angenehme Gänsehaut verursacht.

Die Wochen bis zu Dorians Rückkehr erschienen ihm schon jetzt wie pure Folter.

Doch bevor er weiter über die Worte des anderen nachdenken konnte, begann der Heiltrank endlich zu wirken, und wenige Minuten später war Cullen wieder eingeschlafen.

 

Er sollte in den nächsten Stunden noch zwei weitere Male panisch und orientierungslos erwachen, so als würden die Attacken nun schubweise aus ihm hervorbrechen, nachdem sie ihn in seinen Nächten mit Dorian verschont hatten.

Es wurde eine lange, kräftezehrende Nacht, und als schließlich der Morgen graute, war Cullen so erschöpft, dass seine Beine ihn nicht tragen wollten und er fast eine halbe Stunde lang auf der Bettkante saß, bis sein Kreislauf sich so weit stabilisiert hatte, dass er aufstehen konnte.

Als er Cassandra auf dem Weg zum morgendlichen Gebet im Garten traf, warf sie ihm nur einen langen Blick zu, bevor sie den Kopf schüttelte und ihn ein Stück von der Kapelle weg führte, damit sie ungestört waren und niemand ihre Unterhaltung mit anhören konnte.

„Nein“, sagte sie.

Er blinzelte müde. „Was ‚nein‘?“

„In diesem Zustand wirst du heute keine Truppenmanöver machen“, erwiderte sie streng. „Du würdest es nicht mal ins Tal hinunter schaffen, ohne vor Erschöpfung vom Pferd zu fallen und dir den Hals zu brechen.“

„Aber wer soll-?“, wollte Cullen protestieren, doch Cassandra ließ keine Widerrede zu.

Ich werde den Drill heute übernehmen“, sagte sie. „Ich habe die Truppen schon oft genug befehligt, sie werden auf mich hören.“

Cullen starrte sie an, aber Cassandras Miene war wie eine Mauer aus Granit – er konnte sich nur die Zähne daran ausbeißen. Außerdem hatte sie nicht Unrecht: selbst er war sich nicht sicher, ob er den Ritt hinab ins Tal in seinem momentanen Zustand überleben würde. Und sein Vertrauen in ihre Fähigkeiten war groß genug, dass er wusste, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war.

Er seufzte. „... na schön.“

Cassandra nickte knapp und ihre Miene wurde etwas weicher.

„Danke“, sagte sie. Und dann: „Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich zur Untätigkeit zu verdammt. Es gibt noch genug Büroarbeit, die du erledigen kannst. Außerdem...“

Sie zog einen leicht zerknitterten Brief aus ihrer Tasche.

„... ist das heute Morgen für dich eingetroffen. Ich bin mir sicher, du wirst Zeit und Ruhe brauchen, um ihn zu lesen.“

Zögernd nahm Cullen den Brief entgegen. Als er das Siegel sah, musste er unwillkürlich lächeln.

„Ich danke dir“, sagte er. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, ihn zu lesen. Vielleicht war es doch keine schlechte Idee, sich einen Tag lang etwas Ruhe zu gönnen.

„Jederzeit“, entgegnete sie und nickte ihm zu.

Dann betraten sie gemeinsam die Kapelle.

 

Nach dem Gebet setzte sich Cullen auf eine Steinbank im Garten und holte den Brief hervor.

Cullen Stanton Rutherford, Kommandant der Inquisition war in geschwungener Schrift darauf geschrieben. Mehr nicht. Doch das war auch nicht nötig, halb Thedas wusste mittlerweile, wer sie waren.

Vorsichtig brach Cullen das Siegel seiner Schwester und faltete den Brief auseinander.

 

Cullen,

 

wir hören so viel über die Inquisition und die heldenhaften Taten ihrer Mitglieder, doch die Erzählungen berichten nie, wie es um euch persönlich steht, darum danke ich dir sehr für deinen Brief und die ehrlichen Worte.

Es freut mich, dass es dir in deiner neuen Position jetzt besser geht; ich habe schon immer gewusst, dass Kirkwall und der Orden dir nicht gut tun. Jedem deiner Briefe war anzumerken, wie unglücklich du dort warst, und es hat mir jedes Mal das Herz gebrochen, sie zu lesen.

Ich bin so stolz auf dich, und darauf, dass du es geschafft hast, dich von den Templern loszusagen, und dein Leben jetzt der Aufgabe widmest, uns alle zu beschützen. Von klein auf war mir klar, dass du zu Großem bestimmt bist, und die letzten Monate haben es oft genug bewiesen.

Der Gedanke, meinen kleinen Bruder nun mit dem Rest der Welt teilen zu müssen, macht mich zwar etwas schwermütig, aber ich vermute, wir müssen alle Opfer bringen.

 

Cullen lächelte. Er konnte sich das Zwinkern seiner Schwester bei diesen Worten bildlich vorstellen.

 

Aber ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden:

Wer ist er?! Ich kann nicht glauben, dass du den Platz auf dem Papier damit verschwendest, kryptische Bemerkungen über Scheunen zu machen ja, ich weiß natürlich, dass du es nur zur Sicherheit tust, aber ernsthaft, Cullen!, anstatt mir mehr über deinen Partner zu erzählen! Wie sieht er aus, wo kommt er her? Wie hat sich der Moment für dich angefühlt, in dem du wusstest, dass ER es ist?

Branson und Rosalie sind genauso gespannt, wie ich, und ich muss mit Sicherheit nicht erwähnen, dass wir uns alle sehr freuen würden, wenn ihr beide uns einmal besuchen kommt...

 

An dieser Stelle musste Cullen innehalten, um ein befreiendes Lachen von sich zu geben.

Eine vorbeigehende Schwester warf ihm stirnrunzelnd einen Blick zu, als wollte sie fragen, wie er es wagen konnte, die morgendliche Stille zu stören. Doch er ignorierte sie nur.

Mias Brief machte ihn so glücklich, dass er am liebsten die ganze Welt umarmt hätte. Natürlich freute sie sich für Dorian und ihn, wie hatte er jemals daran zweifeln können? So schwer sie ihm das Leben manchmal auch gemacht hatte, als sie noch Kinder gewesen waren, sie liebte ihn doch aus ganzem Herzen und war mehr als alles andere an seinem Wohlergehen interessiert.

Nun konnte er Dorians Rückkehr erst recht nicht erwarten. Nach der enttäuschenden letzten Begegnung mit seinem Vater würde es für Dorian eine wunderbare Erfahrung sein, mit offenen Armen von Cullens Familie empfangen zu werden.

Cullen stand auf und zog sich in seinen Turm zurück, bevor er den Rest des Briefs las.

Auf den drei eng beschriebenen Bögen Papier berichtete Mia des Weiteren von ihrer eigenen Familie und dem Leben auf ihrem Hof, sowie von den Sorgen und Ängsten, die mit dem Erscheinen der Risse einhergingen, und ihrer eigenen Zuversicht, dass die Inquisition sie beschützen würde.

Es tat gut, ihre Worte zu lesen und für einen Moment wieder den grenzenlosen Optimismus seiner Schwester zu spüren – einen Optimismus, den auch Cullen einst besessen hatte, damals, bevor er den Templern beigetreten war.

Als er den Brief schließlich sinken ließ, war ihm so leicht ums Herz, wie schon seit langem nicht mehr, und er nahm sich vor, seiner Schwester so bald wie möglich eine Antwort zu schreiben.

 

Die Tage vergingen ohne größere Ereignisse.

Die Nächte waren die größte Herausforderung für Cullen, auch wenn keine Nacht mehr so schlimm werden sollte, wie die erste. Meistens quälten ihn nur heftige Kopfschmerzen, die er durch Heiltränke mildern konnte, und hin und wieder hatte er Alpträume, die ihn zurück nach Kirkwall oder – schlimmer noch – den Zirkel von Ferelden versetzten.

Doch Cullen hatte sich Dorians Worte zu Herzen genommen, und wann immer er Sorgen hatte, dass er die Nacht nicht allein überstehen würde, schickte er Cassandra oder Leliana eine Nachricht und bat um ihre Unterstützung.

Auch das war eines der Dinge, die sich geänderte hatten, seitdem er Dorian kennengelernt hatte:

Er war nun eher bereit, um Hilfe zu bitten, wenn er sie brauchte, als noch vor einem Jahr. Dorians Sorge um ihn hatte dazu geführt, dass sich Cullen auch selbst mehr um seine Gesundheit kümmerte. Ihm war nicht länger egal, was mit ihm passierte; zum ersten Mal seit langem lebte er auch wieder für sich, und nicht nur für andere. Denn er wollte noch viele Jahre mit Dorian verbringen, und das konnte er nicht, wenn er nicht für seinen Körper sorgte.

 

Beinahe täglich trafen neue Nachrichten von der Inquisitorin ein.

Meistens waren es kurze, unpersönliche Kommentare zum Verlauf der Reise, die bislang unproblematisch vonstatten ging. Manchmal waren es längere Nachrichten, in denen Lavellan Ideen und Beobachtungen festhielt, die sie in den verschiedenen Dorf- und Stadtgemeinden von Orlais gemacht hatte. Diese leitete Leliana meist an Josephine weiter, die sich sofort daran machte, ihre diplomatischen Fühler auszustreckend und Kontakte zu neuen potentiellen Verbündeten zu knüpfen.

Einmal war eine kurze Nachricht dabei, die an Cullen adressiert war.

Sie hatte keinen Absender, doch er erkannte die Handschrift sofort.

 

Hast du schon Ideen?

 

Cullen war froh, dass der Bote, der ihm die Nachricht überbracht hatte, ihm bereits den Rücken zugewandt hatte und sein gerötetes Gesicht nicht mehr sehen konnte.

In dieser Nacht fühlte er sich ganz besonders einsam.

 

Zwei Tage später erhielt er wieder Neuigkeiten von Dorian, wenn auch auf einem Weg, mit dem er nicht gerechnet hatte.

Cullen war gerade auf dem Weg zu Josephine, um mit ihr die politische Situation in Ferelden zu diskutieren, als ihn plötzlich eine Woge von Übelkeit überrollte und er das Gefühl hatte, als würde eine Riesenfaust sämtliche Luft aus seinen Lungen pressen. Keuchend stützte er sich an der Wand ab und für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen, während der Name auf seinem Handgelenk in einer Intensität pulsierte, die er noch nie erlebt hatte.

Und dann...

... nichts.

Kein Brennen, kein Schmerz.

Seine Verbindung zu Dorian war mit einem Mal verschwunden, als hätte sie nie existiert.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Was immer ihr glaubt, was am Ende passiert ist, es ist wahrscheinlich nicht das, was ihr denkt. ;)
Vor gewissen Dingen würde ich definitiv warnen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (39)
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Von:  Samo
2019-12-13T20:56:30+00:00 13.12.2019 21:56
Naja man kann ja mal hoffen xDDD
Von:  Samo
2019-12-12T10:02:42+00:00 12.12.2019 11:02
Omg..
Nach so einem letzten Abschnitt kanns doch nicht einfach so keine weiteren Kapitel mehr geben T.T
Antwort von: Morwen
13.12.2019 20:27
Doch, wenn die Luft raus ist, dann schon. ;)

Es gibt übrigens noch zwei weitere Kapitel, die ich aber nur auf Fanfiktion.de hochgeladen habe, die könnte ich zum Trost noch anbieten...?
Antwort von:  Samo
13.12.2019 21:05
Na zwei Weitere sind immer noch besser als gar nichts xD
Auch wenn ichs schade finde, das die Luft raus ist, kann das aber auch nachvollziehen.. seh das ja bei meinen eigenen FFs ^^
Antwort von: Morwen
13.12.2019 21:41
Ja, es tut mir auch echt leid. u__u
Ich habe die FF zwar noch nicht ganz abgeschrieben, aber sie steht halt auch nicht besonders weit oben auf meiner Prioritätenliste. xD
Von:  AnnyTheAngel
2017-12-27T21:51:08+00:00 27.12.2017 22:51
Bitte weiterschreiben!
Von:  Schneesturm
2017-03-02T20:02:31+00:00 02.03.2017 21:02
ooh, über was schreibst du deine Hausarbeit ? Bzw. was machst du beruflich? Und da schaffst du es hier noch regelmäßig deine Kapitel hochzuladen? xD Gibst du mir bitte etwas von deiner Motivation ?

Zum Kapitel: Ich schrieb glaub ich mal vor einer Weile, dass du mich überzeugen sollst, ob Hawke und Varric zusammen passen. Das hast du mit diesem Kapitel erreicht. :D Also jedenfalls charakterlich passen sie super zusammen, auch wenn ich mir die ganze Zeit versucht habe vorzustellen, wie sie nebeneinander im Bett liegen und ob Hawke die Beine anwinkelt, damit sie genauso lange ist wie der Zwerg. xD

Eigentlich schade, dass Bioware Zwerge so ausgrenzt. Ich fand Oghren schon immer köstlich, mit seiner vulgären Aussprache und auch Harding mag ich sehr (auch wenn ihre Synchronstimme schrecklich ist)

So nun zurück zum Kapitel....ehm... die haben nen Kind ??? xD Aber die zwei sind schon herzallerliebst. ..

Ok, hmmm Loghain...also irgendwie fand ich den immer sche***, bis ich den ersten Roman von David Gaider las..von da an, fand ich es immer sehr schade, was aus ihm wurde, weil ich schon viel Sympathie für ihn entwickelt habe...aber ich glaube ich kann mir jetzt zumindest denken, wen du im Nichts zurück lässt. xD...also zumindest hoffe ich, dass du nicht so gemein bist und Hawke dran ist...(o.o )

Oh jetzt muss ich doch gleich mal gucken, was du da für einen One-shot hast :D
Antwort von: Morwen
05.03.2017 11:50
Hallo Schneesturm. :D

Ich arbeite mit kleinen Kindern, dementsprechend dreht sich die Arbeit auch um Kleinkindpädagogik und die naturwissenschaftlichen Erfahrungen, die man ihnen in diesem Alter ermöglichen kann. :)
Aufgrund meines weiten Fahrtwegs bin ich täglich etwa elf Stunden aus dem Haus, aber obwohl mein Job körperlich sehr anstrengend ist, laugt er mich geistig nicht so wahnsinnig aus, darum bin ich abends zwar immer völlig kaputt, aber hibbel trotzdem noch vor kreativer Energie. Ich brauche das Schreiben deshalb echt ganz dringend als Gegenpol zu meinem Job, und ich glaube, ohne meine Arbeit könnte ich auch nicht so viel schreiben. xD

Ah, danke schön! Freut mich, dass ich dich von den beiden überzeugen konnte. :D
Von allen Beziehungen in DA2 mochte ich die zwischen Hawke und Varric am meisten, darum war es doppelt enttäuschend, dass ich Varric nicht romancen konnte. Dass man bisher keine Zwerge romancen konnte (abgesehen von Harding, wobei ihre Romanze nicht mal ansatzweise den gleichen Stellenwert wie die der anderen hat), wurde von der Seite der Fans auch schon - zu Recht - oft kritisiert. Ich hoffe, DA4 bietet uns da erneut ein Stückchen mehr Vielfalt an, das wäre schön. :)
Ich mag den Gedanken irgendwie, dass sie eine Familie gründen, nachdem sich die Wogen in Kirkwall halbwegs geglättet haben. Sie haben beide so viel verloren, ich glaube, es würde ihnen viel daran liegen, gemeinsam wieder etwas Neues aufzubauen. :)

Ich muss sagen, dass ich Loghain schon in Origins sehr interessant fand. Er ist kein klassischer Bösewicht wie Corypheus oder so, sondern er hat für alles, was er tut, seine Gründe, und ist einfach zutiefst menschlich. Das Buch wollte ich darum auch mal immer lesen. Und der Roman über Cole würde mich auch sehr interessieren...
Ich mag David Gaider generell sehr, ich folge dem Mann schon seit einer ganzen Weile auf Twitter und er schreibt immer sehr interessante Sachen übers Schreiben und über Videospiele. Und ich liiiiiebe seinen Humor. :)

Vielen lieben Dank! :D
Von:  Schneesturm
2017-02-28T00:09:27+00:00 28.02.2017 01:09
Wow, ich wünschte, mein Wortschatz wäre mal beim Schreiben so riesig. Wie schaffst du es, so viele Details in deine Sätze zu bringen, ohne dass es als zu viel wirkt ? Hast du schon mal darüber nachgedacht, schriftstellerisch tätig zu werden?

Wunderbar geschrieben, das Kapitel hat mich sehr mitgerissen. Am Anfang hab ich beim Lesen bestimmt grimmig geguckt, als der Bulle plötzlich dazu kam und sich Dorian näherte. Als der Vint "versuchte dem Drang zu widerstehen, dem anderen die Hose anzuzünden." und ich mir die ganze Zeit dachte: "ja, mach, mach, mach " xD

Aha, dass war also der Gefallen. An der Stelle musste ich wirklich lachen. Cullen als Arsch. So gefällt er mir. So ein bisschen "Platzhirsch" heraushängen lassen, macht ihn doch etwas teuflisch und...irgendwie liebenswert - und das sage ich als Nicht-Cullen-Fan. :D

Der zweite Abschnitt gefällt mir auch seeehr... ich hatte schon befürchtet, dass Cassandra den Garten in Rosenblüten ertränken wird. xD

Ein klitzekleiner minni Rechtschreibfehler, irdenwo in der Mitte ist mir aufgefallen, statt als steht steht dort also (Also Dorian jedoch Anstalten macht )..XD oh man, ich will gar nicht wissen, wie viele Rechtschreibfehler in meinen Kommentaren stecken xD

Der Kuss hat mir sehr gefallen, ich hatte Herzflattern *__*
Und das "Bastard" fand ich irgendwie sehr...brutal xD
Antwort von: Morwen
02.03.2017 20:04
Asdfghjkl, vielen Dank! Nach solchen Komplimenten schwebe ich immer ein paar Zentimeter über dem Boden. ;3;

Es ist tatsächlich mein Plan, irgendwann selbst Bücher zu schreiben. :)
(... Vorausgesetzt, ich schaffe es endlich mal, mich von Fanfiction loszureißen und mir eigene Geschichten auszudenken... denn DA bin ich leider wieder verdammt unkreativ. xD)

Immerhin weiß Dorian jetzt, was er will... bzw. was er NICHT will, das war das kleine Experiment schon wert. :D
Ich schätze Cullen auch nicht als bösartig ein, aber ich denke, er könnte es auch nicht lassen, der Konkurrenz bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter diese Nase zu reiben, wer sein Partner ist. Soviel Arschigkeit traue ich ihm definitiv zu. xD

Ah, danke für den Hinweis! Ich habe manchmal so eine Betriebsblindheit, dass mir das nicht aufgefallen ist, selbst wenn ich das Kapitel drölfmal gelesen habe. Ich hab's gleich korrigiert. :D

Das freut mich! :D
Ich bin immer so unsicher bei romantischen Szenen, weil ich nicht einschätzen kann, wie sie auf andere wirken, da ich selbst beim Schreiben viel zu sehr mit den Formulierungen beschäftigt bin, als dass solche Momente beim nochmaligen Durchlesen irgendeine Wirkung auf mich hätten. Ich bin praktisch zu nah dran, um irgendeine emotionale Verbindung zu dem habe, was ich schreibe... das kommt dann erst, wenn ich es ein paar Monate hab ruhen lassen und es mir dann noch mal durchlese. Irgendwie traurig, ich weiß. xD

Nochmals vielen, vielen Dank! :D

Morwen~
Von:  Schneesturm
2017-02-27T23:23:15+00:00 28.02.2017 00:23
Die beiden wirken so wundervoll vertraut miteinander. Ich mag Lavellans Vorgeschichte und finde es sehr schade, dass Bioware nur eine Vorgeschichte zur Auswahl gelassen hat, dass hat mir im ersten Teil wesentlich besser gefallen. Du hast in dem Punkt auf jedenfall mehr Fantasie xD
Traurig, dass ihre Hoffnung, ihren Vater kennenzulernen, sinnlos ist ._. Und auch Solas Gedanken machen mich etwas melancholisch, auch wenn du ihn charakterlich wie immer gut rüber bringst. Einerseits hoffe ich ja, dass Lavellan bald alles erfährt...aber ich mache mir etwas Sorgen darüber, was du mit ihnen vorhast und wie sehr du die beiden leiden lassen wirst xD ich ahne schon, dass du deine Leser sehr quälen wirst :D
Das war ein tolles, ruhiges und sanftes Kapitel und wieder einmal angenehm zu lesen. :)
Antwort von: Morwen
02.03.2017 19:38
(... Du ahnst richtig. :D)

Aber mir geht es mit Lavellans Vorgeschichte ähnlich. Ich finde die Dalish nicht so wahnsinnig spannend, dass ich sie ständig spielen muss. Das habe ich bei Origins schon gemacht, das war auch okay, aber das hat dann halt auch gereicht. Stadtelfen oder clanlose Elfen finde ich persönlich viel interessanter, darum habe ich ein bisschen an ihrer Vorgeschichte rumgedreht. :)
Ansonsten... kann ich leider nicht viel sagen, außer: lass dich überraschen. Ein paar Dinge werden sich demnächst klären. xD

Vielen Dank! :D
Von:  Schneesturm
2017-02-27T23:02:30+00:00 28.02.2017 00:02
Ooh maan, du fleißiges Bienchen :D so viele neue Kapitel. Ich saß bis vor ein paar Tagen noch an meiner Hausarbeit und brauchte erst einmal Ruhe. Ich liebe das Schreiben nämlich leider nicht so sehr wie du xD

Ach, Dorian steht doch drauf, Cullen aus der Fassung zu bringen...moment ich glaube Dorian steht generell darauf. Bei jedem :'D

Sehr interessant, dass du Cassandra den Abend einrichten lässt, ich hoffe sie übertreibt es nicht mit ihrer romantischen Ader. Ich bin auch wieder mal beeindruckt, was du alles mit in die Geschichte reinbringst. Cullens Schwester +Vergangenheit. All die kleinen und großen Details machen deine Kapitel so lebendig und ich habe immer das Gefühl, dass du all deine (Schreiber-)liebe dort reinsteckst.

Und abgerundet wird das Kapitel mit dem Auftauchen des Bullen...oh schaaade, keine Klopperei..irgendwie hätt ich Cullen gerne ein bisschen leiden gesehen. Jetzt bin ich gespannt, was es denn mit diesem Gefallen auf sich hat :O

Liebe Grüße :D

Antwort von: Morwen
02.03.2017 19:26
"Fleißiges Bienchen"...? SAGT AUSGERECHNET DIEJENIGE, DIE MIR IMMER SO FLEISSIG KOMMENTARE SCHREIBT!!1 ;3;
Vielen Dank! *-* <3

Oh Gott, mich erwartet auch bald eine Hausarbeit... oh, the joy. D:
Ich musste im Januar und Februar schon mal auf Vorrat schreiben, weil ich es erst mal für eine Weile nicht mehr so regelmäßig machen kann. *hust*

Man kann Dorian absolut nicht trauen. :D

Arww, vielen Dank! Das schwierige bei solchen Details ist es, sie auch in Erinnerung zu behalten, damit es keine Widersprüche zu Handlungen gibt, die zwanzig Kapitel später passieren... darin bin ich noch echt mies. (Ich bin so dankbar für die Suchfunktion von Word, ey, ohne sie hätte ich manche Aussagen nie wiedergefunden. xD)

Nah, Kloppereien gibt es nicht, da stehen sie drüber. Aber keine Sorge, Cullen wird auch so noch genug leiden. :D

Danke schön!
Von:  Schneesturm
2017-02-06T19:45:01+00:00 06.02.2017 20:45
Uuuund da bin ich wieder. :D
Ich habe mich ja lange nicht mehr blicken lassen.

Dein Kapitel hat mich verzaubert. Ich finde auch den Anfang klasse, wie sehr Dorian das alles mitnimmt und Cole gleich vorbei kommt, um zu helfen. So einen eigenen Geist des Mitgefühls für zu Hause, wär doch was :'D

Eine Stelle hat mich allerdings etwas verwirrt. Als Cullen sagte, dass er mit Dorian über das Gesagt vom Abend davor reden möchte...müsste nicht noch ein Tag dazwischen liegen, da Cullen sich ja mit Lavellan noch darüber unterhalten hatte. Oder hab ich da jetzt nen Hänger ? o.O

Aber ansonsten habe ich nichts zu meckern. Ich finde es absolut romantisch, zum dahinschmelzen..du lässt mein kleines Herz schon wieder höher schlagen <3

PS: Ich bin gespannt, wann Cullen Dorian sein Namen zeigt.. und ich habe, um ehrlich zu sein, auch etwas Angst vor Dorians Reaktion...er könnte der Auffassung sein, dass Cullen nur aus dem Grund Gefühle zu ihm hat ..oh nein bitte lass es ein Happy End werden. (mit gaaaaanz viel Drama, für mein leicht zerbrechliches Herz ) xD

Liebe Grüße, dein Fangirl :'D
Antwort von: Morwen
10.02.2017 12:59
Hallo Schneesturm. :)

Freut mich zu hören, dass du das Semester gut überstanden hast. <3

Ich danke dir für die lieben Worte! Ich liebe Cole total und würde ihn am liebsten viel öfter einbauen... aber ich will auch nicht, dass er nur als Plotdevice dient. Hmm, schwierig, schwierig... :)

Es liegt kein Tag dazwischen, auch wenn ich verstehe, dass es den Eindruck macht. Dorian schläft nur einfach sehr lange und die Unterhaltung zwischen Cullen und Lavellan fand statt, während er noch geschlafen hat. :D

PS: Ich bin gespannt, wann Cullen Dorian sein Namen zeigt.. und ich habe, um ehrlich zu sein, auch etwas Angst vor Dorians Reaktion...er könnte der Auffassung sein, dass Cullen nur aus dem Grund Gefühle zu ihm hat

Weißt du, das ist ein SEHR wichtiger Punkt, den du da nennst - und ja, das ist mit der Hauptgrund, weshalb Cullen so lange zögert. Denn je mehr er über Dorian erfährt, umso mehr begreift er, dass Dorian in seinem Leben schon so oft enttäuscht wurde, dass ihn die Enthüllung des Namens eher abschrecken würde, als alles andere...
Aber darauf werde ich in Zukunft auch noch näher eingehen. :)

oh nein bitte lass es ein Happy End werden. (mit gaaaaanz viel Drama, für mein leicht zerbrechliches Herz ) xD

Ich denke, das kriege ich hin. Also den Drama-Anteil. Alles andere... nuuuun ja. xD

Vielen lieben Dank! *-* ♥

Morwen~
Von:  Schneesturm
2017-01-08T23:11:10+00:00 09.01.2017 00:11
Hach, ich liebe die Beziehung zwischen den Beiden, du beschreibst alles so liebevoll und man bekommt das Gefühl mitten im Geschehen zu sein.

Dein Vorschlag, etwas aus Lelianas Sicht zu schreiben, finde ich toll und es wäre bestimmt interessant zu lesen, wobei sie überall ihre Finger im Spiel hat. Ich finde es sowieso super, dass die Perspektiven in jedem Kapitel wechseln und man in den verschiedenen Charakteren regelrecht drin steckt. :)

Ich bin schon gespannt, wann Cullen zu Dorian geht und mit ihm redet und es richtig knistert zwischen ihnen. <3

Oh und der letzte Satz, hui hui, ich bin gespannt, wann die Geschichte zwischen ihnen kippt und wie alle Beteiligten darauf reagieren werden. Ich hoffe ja auf ein Happy End, mit ein bisschen (ganz viiiiel ) Drama. :D

Danke für das tolle Kapitel <3
Ende Februar habe ich endlich Semesterferien und wieder mehr Zeit zum Lesen /Kommentieren, dass soll dich jetzt natürlich nicht hetzten, ich kanns verstehen, wenn deine Updates erst einmal unregelmäßiger werden. Aber ich hoffe meine Kommis motivieren dich zum Weiterschreiben :D
Antwort von: Morwen
15.01.2017 17:25
Ich bin schon wieder etwas im Verzug, aber ich habe mich trotzdem riesig über deinen Kommentar gefreut. Vielen Dank! *-*

Aww, danke, das beruhigt mich. :D
Ich glaube, das ist mein erster ernsthafter Versuch, eine heterosexuelle Beziehung zu schreiben, nachdem ich mein Leben lang fast nur Slash geschrieben habe. Es ist immer noch ein bisschen ungewohnt. xD
Aber die beiden sind mir mittlerweile auch sehr ans Herz gewachsen, und ich habe wirklich Freude daran, sie zu schreiben. :) ♥

Zu Leliana kommt später noch mal ein bisschen was, aber wenn noch mal eine Gelegenheit innerhalb der Geschichte kommt, um sie als Erzähler einzusetzen, dann werde ich sie nutzen. :)

Wie gesagt, die nächsten Kapitel sollten diese Frage beantworten. :D

Also WAS ich dir schon mal versprechen kann, ist ganz viel Drama. Wenn ich eines kann, dann das. xD

Danke fürs Kommentieren! :)
Deine Kommentare motivieren mich sogar ungemein und ich bin so, so dankbar für deine Geduld und Ausdauer, ich kann es gar nicht genug betonen. ♥
Bis März sollten die Kapitel erst mal reichen, und ich werde in der Zwischenzeit definitiv an weiteren Kapiteln schreiben. :)
Vielen Dank!
Von:  Schneesturm
2017-01-07T21:56:27+00:00 07.01.2017 22:56
Q__Q Oh, ich komm momentan gar nicht zum Lesen, aber jetzt werde ich mal einiges aufholen..

Ich bin froh, dass Cullen der Sache nachgeht und auch, dass Barris nicht ganz untätig war. Hoffentlich sind auch wirklich alle, die Dorian etwas antun wollten, versetzt. Aber ich hab so ein Gefühl, dass es noch mal zu einer (sehr sehr bösen)Attacke kommen wird. >__>

Deine Hawke passt wirklich gut zu Varric, sie kommt sehr schelmisch rüber und hat Cullen mal eben entlarvt.
Na wenigstens hat ihn Cassandra gerettet, bevor er noch mehr im Boden versinken konnte. xD

Die Stelle, an der Cullen merkt, dass mit Dorian irgendwas nicht stimmt, finde ich an sich ganz gut eingebaut und dass du so noch einmal die Verbindung mit ihm zeigst, allerdings stört mich der Satz Es fühlte sich eher an, als hätte Dorian sich völlig verausgabt..., ich hätte es offener etwas besser gefunden (dass er halt nur spürt, dass er in Gefahr ist).

Mich wundert es ja, dass Leliana noch nichts weiß (im Bezug auf Cullen und Dorian, sowie die Templer, die Dorian etwas anhaben wollen), sie hat ja ihre Spione sonst auch auf alles und jeden angesetzt :D

Es ist doch mal schön zu sehen/lesen, dass Dorian für seine Mühen belohnt wird und (erst einmal) nicht als der (böse) Tevinteraner angesehen wird. Hat er sich aber auch mal verdient. :D

Ooooh und der Schluss hat mir ja am besten gefallen *__* (Dem Bullen aber bestimmt weniger, er hat Cullen doch sofort durchschaut...und doch...schweigt er...hmmm....)
Wird aber auch mal Zeit, dass Cullen zu sich steht...aaaber dann zieht er einfach von dannen....echt jetzt? xD
Wie gemein...aber ich bin ja gespannt, ob er sich da rausredet oder ob er noch mal ein klärendes Gespräch sucht und Dorian nicht einfach so verwirrt zurück lässt.


Antwort von: Morwen
08.01.2017 22:41
Hallo Schneesturm. :D

Falls es dich beruhigt: mein Vorsprung an neuen Kapiteln wird langsam, aber sicher kleiner, was bedeutet, dass ich in zwei, drei Monaten vielleicht gar nicht mehr jede Woche updaten kann, so wie ich es jetzt noch tue. Dann wird das Lesen sicher auch wieder etwas entspannter. :)

Dazu... kann ich mich leider nicht näher äußern, aber Barris wird definitiv noch mal einen Auftritt haben. ;)

Danke! Ich mag sie auch sehr, auch wenn ich ihre Art in dieser Szene fast ein bisschen too much und aufdringlich finde... aber es ist nun mal Hawke. xD

Du findest, es war zu offensichtlich? Hmm... Ich glaube, da könntest du Recht haben. Ich habe es noch mal etwas umgeschrieben, ich hoffe, jetzt kommt es etwas offener rüber. :)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Leliana schon längst Bescheid weiß. Die Tatsache, dass Cassandra noch nicht mit ihr darüber gesprochen hat, bedeutet ja nicht, dass Leliana nicht schon lange durchschaut hat, was vor sich geht. :D
Vielleicht sollte ich mal ein Kapitel aus ihrer Perspektive schreiben... ich bin mir sicher, sie hat bei tausend verschiedenen Sachen ihre Finger mit im Spiel. xD

Dorian hat alle guten Dinge verdient, die er bekommt, der arme Kerl. ;3;

Ich glaube, der Eiserne Bulle ist da sehr gelassen. Er mag die Leute, mit denen er Sex hat (oder wie in diesem Fall: gerne mal hätte xD), aber er lässt sich selten auf tiefere Bindungen ein und hat kein Problem damit, wenn seine Bettpartner sich auch mit anderen vergnügen. Das war für mich das ganze Spiel über so der Eindruck, den ich von ihm hatte. :)
Ansonsten freut es mich, dass es dir gefallen hat, und was deine restlichen Fragen angeht, werden sie sich in den nächsten Kapiteln hoffentlich klären. :D

Vielen Dank!
Morwen~ ^^


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