For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 40: Solas ----------------- Der Morgen brachte Regen mit sich. „Ich will nicht“, murmelte Lavellan an Solas‘ Brust, kaum, dass sie die Augen aufgeschlagen hatte. „Können wir diesen Tag nicht einfach überspringen...?“ „Mmh“, machte Solas. „Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen. In die Zukunft zu reisen ist leider eine Fähigkeit, die ich nicht besitze.“ Dann hob er die Hand, um Lavellan zärtlich eine Strähne aus der Stirn zu streichen, und küsste sie auf die Augenbraue. „Steh auf, vhenan“, sagte er sanft. Sie schloss die Augen. „Aber ich bin noch nicht bereit...“ Er rieb die Nase an ihrer Wange. „Du wirst nie bereiter sein, und das weißt du auch.“ Für einen Moment war sie still, dann stemmte sie sich schließlich widerwillig hoch und schlug die Decke zurück. „Warum musst du immer Recht haben“, seufzte sie. Solas schüttelte nur amüsiert den Kopf. Lavellan brauchte für gewöhnlich einige Zeit, um am Morgen in Schwung zu kommen, und Solas hatte sich daran gewöhnt, sie sanft, aber unnachgiebig dazu zu bringen, ihre Müdigkeit und Selbstzweifel zu überwinden und den Tag zu beginnen, egal, was er auch mit sich brachte. Es war ein Ritual, dass sich ganz am Anfang ihrer Beziehung etabliert hatte, und ohne das ihnen etwas fehlte, wenn sie doch einmal voneinander getrennt waren. Denn es war so selbstverständlich für Solas geworden, dass sie ihren Tag gemeinsam begannen, dass er sich einen Morgen ohne Lavellan nicht mehr vorzustellen vermochte. Und doch wusste er, dass jener Morgen kommen würde, dass die Zeit immer knapper wurde und der Moment, in dem er dieses Leben wieder hinter sich lassen würde, immer näher rückte. Die Frage war nur, ob er dann auch die Kraft haben würde, Lavellan zurückzulassen. Denn das musste er, würde sie das, was er vorhatte, doch niemals gutheißen...   Lavellan verließ wenig später das Zelt, um sich mit Hawke zu dem Treffen mit Loghain zu begeben. Solas kümmerte sich derweil um einen Soldaten, der sich am Abend zuvor beim Aufbau der Zelte an einem rostigen Nagel verletzt hatte. Nachdem er die Wunde gesäubert und sichergestellt hatte, dass der Mann keine Blutvergiftung erlitten hatte, gesellte er sich schweigend zum Rest der Gruppe, die sich trotz des beharrlichen Nieselregens um das Lagerfeuer versammelt hatte und auf die Rückkehr der Inquisitorin wartete. „Unruhig?“, stichelte Varric, nachdem Solas einen der Kundschafter gefragt hatte, ob es Neuigkeiten von den beiden Frauen gab. „Keineswegs“, entgegnete der Elf gelassen. „Es ist in Ordnung, Solas.“ Varric grinste. „Ihr könnt ruhig zugeben, dass Ihr Gefühle habt und Euch Sorgen um sie macht.“ „Ich mache mir keine Sorgen.“ Solas streckte seine Hände aus, um sie über dem Feuer zu wärmen. „Die Inquisitorin ist kompetent genug, um mit Loghain fertigzuwerden.“ Er warf dem Zwerg einen kurzen Blick zu. „Außerdem ist Hawke bei ihr.“ Varric seufzte. „Das stimmt allerdings“, sagte er. Solas hob fragend eine Braue. „Vertraut Ihr ihr nicht?“ „Was, Hawke?“ Varric erwiderte seinen Blick. „Ich vertraue ihr mit meinem Leben.“ „Warum habe ich dann den Eindruck, als wärt Ihr derjenige, der sich Sorgen machen sollte?“ Varric senkte den Blick. Er schwieg für eine Weile, in Gedanken versunken, doch Solas drängte ihn nicht, sondern wartete geduldig auf seine Antwort. Schließlich erhob der Zwerg erneut die Stimme. „Hawke hat in ihrem Leben viel durchgemacht“, sagte er leise. „Und nicht selten waren es Männer und Frauen in Machtpositionen ähnlich der von Loghain, die über das Schicksal von ihr und ihrer Familie entschieden haben. Und auch wenn sie jede dieser Begegnungen stärker gemacht hat, ändert das nichts daran, dass sie im Laufe der Zeit viel zu viel verloren hat...“ Er seufzte. „Ich mache mir keine Sorgen um sie, weil ich weiß, dass sie die Kraft hat, mit diesen Situationen klarzukommen. Ich wünschte nur, dass irgendwann der Tag kommt, an dem sie es nicht länger muss.“ Der Elf dachte über diese Worte nach. Er musste plötzlich wieder an den Ausdruck auf Lavellans Gesicht denken, als sie Loghains Namen gehört hatte. Welche Geschichte auch hinter ihrer Reaktion steckte, sie hatte tiefe Spuren in ihrem Leben hinterlassen, und es peinigte Solas, ihren Schmerz zu sehen und zugleich doch zu wissen, dass er nichts daran ändern konnte, dass er diese Last nicht von ihren Schultern nehmen konnte. „Ich... glaube, ich verstehe, was Ihr meint“, entgegnete er schließlich. „Vielleicht sind wir uns in dieser Hinsicht doch nicht so unähnlich, wie ich dachte.“ „Mmh“, machte Varric. Dann lächelte er schwach. „Eine Gemeinsamkeit mit Euch? Dass ich das noch erleben darf.“ Solas schüttelte den Kopf. „Gewöhnt Euch besser nicht daran...“ Doch auch er konnte ein kleines Lächeln nicht verbergen.   „Die Inquisitorin kehrt zurück!“ Die leisen Gespräche brachen sofort ab, als der Kundschafter die Neuigkeit verkündete. Solas und Varric tauschten einen kurzen Blick, bevor sie vom Feuer zurücktraten und am Rande des Lagers auf die Rückkehrer warteten. Wenig später kamen Lavellan und Hawke in Sicht, gefolgt von einem Mann mit schlichter Rüstung und dunklem Haar. Solas musterte Lavellan besorgt, doch ihr Gesichtsausdruck war unergründlich und verriet nichts von ihren Gefühlen. Entweder war das Treffen besser gelaufen, als sie erwartet hatte... oder wesentlich schlechter. Er würde es bald herausfinden. Nachdem sie gemeinsam ans Feuer zurückgekehrt waren, wandte sich Lavellan an die Anwesenden. „Dies ist Loghain“, stellte sie ihren Begleiter vor. Ihre Stimme war fest und klar. „Ich denke, die meisten von Euch kennen ihn. Im Moment ist er der einzige Kontakt der Inquisition zu den Grauen Wächtern, die wir schon seit einiger Zeit versuchen zu erreichen. Was er uns über Ihr plötzliches Verschwinden erzählt hat, hat uns mit großer Sorge erfüllt.“ Sie warf dem Mann einen Blick zu. „Loghain?“ Er dankte ihr mit einem Nicken und trat vor. Sein Gesicht war verhärmt und ein bitterer Zug lag um seinen Mund, doch in seinen grauen Augen funkelte Entschlossenheit und seine Haltung strahlte Ruhe und Selbstsicherheit aus. „Die Situation ist ernst“, sagte er. „Die Grauen Wächter aus ganz Thedas versammeln sich momentan in Orlais, weil es Anzeichen für den erneuten Beginn einer Verderbnis gibt.“ Seine Worte blieben nicht ohne Auswirkungen. Hawke und Varric tauschten einen besorgten Blick, während Cassandra einen leisen Fluch ausstieß. „Die Wahrheit gestaltet sich allerdings um einiges komplizierter“, fuhr Loghain fort. „Es liegen nicht die typischen Merkmale vor, die normalerweise eine Verderbnis einleiten, und ich habe den Verdacht, dass Corypheus bei dieser Sache seine Hände mit im Spiel hat. Doch mein Orden ist leider nicht bereit, diesbezüglich nähere Untersuchungen anzustellen. Stattdessen hat die Kommandantin der Wächter, Clarel, verkündet, dass sie auch vor Blutmagie nicht zurückschrecken wird, um eine weitere Verderbnis zu verhindern. Es ist daher unablässig, dass die Inquisition mit den Wächtern in Orlais in Kontakt tritt und sie zum Umdenken bewegt.“ „Was ist mit den restlichen Wächtern?“, fragte Cassandra. „Ihr könnt doch nicht der einzige sein, der Zweifel an Clarels Plänen hat.“ „Alle Wächter, die Kritik an ihren Entscheidungen geäußert haben, sind des Verrats angeklagt worden“, entgegnete Loghain. „Ich hielt es darum für das Beste, dem Orden den Rücken zu kehren und woanders nach Hilfe zu suchen.“ „Und Hilfe werdet Ihr bekommen“, sagte Lavellan entschlossen. „Die Inquisition wird die Wächter nicht im Stich lassen. Wir werden nicht zulassen, dass Corypheus ihre Uneinigkeit und Schwäche ausnutzt, sondern alles tun, um sie von seinen Einflüssen zu befreien.“ Sie sah Loghain an. „Darauf habt Ihr mein Wort.“   „Er ist anders, als ich dachte“, sagte Lavellan leise, nachdem sie sich an diesem Abend in ihr Zelt zurückgezogen hatten. Sie hatte den Kopf in den Schoß von Solas gelegt, der mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Nachtlager saß und ein Buch las. „Ich war bereit, ihn zu hassen, aber er ist...“ Sie zögerte. „Er ist nur ein ganz gewöhnlicher Mann.“ Solas überlegte kurz, doch er spürte, dass sie keinen Frieden finden würde, bevor sie darüber gesprochen hatte. Er klappte sein Buch zu und legte es beiseite. „Was hast du erwartet, vhenan?“, fragte er leise und kämmte mit den Fingern durch ihr Haar. Sie schloss die Augen und seufzte. „Ich weiß es nicht. Nach den Dingen, die ich über ihn gehört habe, habe ich vermutlich mit einem Monster von Mann gerechnet. Nicht damit, dass er so... so ruhig und besonnen ist. So vernünftig.“ Wir Monster wissen uns gut zu tarnen, dachte er nicht ohne Bitterkeit. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. „Er wurde einst von den Menschen Fereldens als Held gefeiert, wenn ich mich recht entsinne“, merkte er an. „Es muss etwas an ihm gewesen sein, das ihnen Hoffnung gab und sie inspirierte, sonst hätte er nie ihren Respekt erlangt.“ „Und doch ließ er den König im Stich, als er seine Hilfe am meisten brauchte!“, erwiderte Lavellan leidenschaftlich. „Und veranlasste anschließend die Verfolgung der Grauen Wächter und all jener, die sich gegen ihn stellten! Was ist daran inspirierend?“ Das Thema berührte sie persönlich, das wurde Solas spätestens in diesem Moment klar. Doch er drängte sie nicht, sich zu erklären, sondern versuchte, auf sie einzugehen. „Es liegt mir fern, seine Taten zu verteidigen“, sagte er sanft. „Was ich sagen wollte, ist, dass möglicherweise mehr dahintersteckt. Vielleicht rechnete er nicht damit, dass seine Entscheidungen die Konsequenzen nach sich ziehen würden, die sie letztendlich hatten, sondern hoffte auf einen anderen Ausgang. Vielleicht hat er einfach nur zu hoch gepokert – und verloren... Wenn man in einer Position ist, in der man über so viele Leben entscheiden muss, wie Loghain damals, dann ist es nahezu unmöglich, eine Lösung zu finden, die keine Opfer kostet. Oft bleibt einem nur die Wahl zwischen mehreren Übeln.“ Seine Stimme wurde leiser. „Du als Inquisitorin weiß besser als jeder andere, wovon ich spreche.“ Und auch ich weiß es nur zu gut. Lavellan war für eine Weile still, während sie über seine Worte nachdachte. „So habe ich es bisher noch nie betrachtet“, entgegnete sie schließlich leise. „Für mich war er immer nur ein Ungeheuer... und kein Mensch, der dieselben Fehler macht, wie jeder andere von uns auch.“ Sie öffnete die Augen und sah Solas an. „Ich werde ihm dennoch bis an mein Lebensende nicht verzeihen, was er getan hat“, sagte sie ruhig. „Ich weiß, vhenan“, erwiderte Solas und strich sacht über ihr Haar. „Ich weiß...“ Doch für einen Moment lebte die Hoffnung in ihm auf, dass sie ihm für das, was er getan hatte, verzeihen würde, und er klammerte sich mit aller Macht daran. Vielleicht würde sie sich doch nicht von ihm abwenden. Vielleicht... Bald kehrte wieder Stille ein und Solas nahm erneut sein Buch zur Hand. Sie erwähnten Loghain kein weiteres Mal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)