For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 39: Dorian ------------------ „Ich halte das für keine gute Idee.“ Die leise Stimme erklang so dicht hinter ihm, dass Dorian vor Schreck kurz zusammenzuckte. Doch er fasste sich schnell wieder. „Schwester Leliana“, entgegnete und drehte sich zu der Frau herum, die seinen Blick mit gelassener Miene erwiderte. „Leliana tut es auch“, meinte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das beinahe echt genug war, um ihn zu überzeugen. „Leliana.“ Dorian nickte. Dann wandte er sich ab und sah zu Cullen hinüber, der dabei war, die letzten Vorräte in den Satteltaschen ihrer Pferde zu verstauen. „Ich bin mir auch nicht sicher, ob es die beste Idee ist“, meinte er leise. „Aber... ich muss es tun.“ Seine Stimme war ruhig, aber entschlossen. „Ich verstehe, dass Ihr es tun müsst“, sagte Leliana und ihre Augen folgten seinem Blick. „Ich halte es nur für unvernünftig von Cullen, Euch dabei zu begleiten. Er ist der Kommandant der Inquisition. Wenn ihm auf dieser Reise etwas zustoßen sollte...“ Sie beendete den Satz nicht, doch das musste sie auch nicht. Dorian wusste auch so, wovon sie sprach – und er teilte ihre Sorge. Doch obwohl sie darüber gesprochen hatten, hatte Cullen sich nicht von seinem Entschluss abbringen lassen, ihn zu begleiten. Dorian hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt, wie an jenem Abend, so als hätte das Leid, das Dorian widerfahren war, ihn ebenso getroffen, wie den Magier selbst. Dorian hatte sein ganzes Leben lang für sich selbst eingestanden, er war es nicht gewohnt, dass andere es für ihn taten. Nur Felix hatte ihn manchmal seinem Vater gegenüber in Schutz genommen, wann immer dieser mit Dorians Arbeit unzufrieden gewesen war, doch das war eine andere Zeit gewesen. Cullen hingegen... Ich wünsche jemand zu sein, der Eurer Freundschaft und Liebe würdig ist. Erst jetzt begann Dorian langsam zu begreifen, was der andere damit gemeint hatte. Und es erfüllte ihn mit einem seltsamen Gefühl von Zuneigung, wann immer er Cullen ansah. „Ihr müsst ihm eine Menge bedeuten“, sprach Leliana und in ihren Augen lag ein seltsames Funkeln bei diesen Worten. Doch was für eine Antwort sie sich auch von ihm zu erhoffen schien, Dorian hatte nicht vor, ihrer Neugier Nahrung zu geben. Stattdessen senkte er den Blick und schwieg. Lelianas Mundwinkel hoben sich schwach. „Ich verstehe“, sagte sie, und Dorian wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihre Antwort bereits hatte. Dann sah sie erneut zu Cullen hinüber. „Es wird ihm nicht gefallen, aber ich werde ein paar meiner Kundschafter anweisen, Euch zu folgen. Nur für den Fall der Fälle.“ Dorian sah sie überrascht an. „Ich... danke Euch.“ „Nicht dafür.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde meine Leute anweisen, Euch in gebührendem Abstand zu folgen, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf Euch zu lenken. Sollte Cullen sie bemerken, richtet ihm bitte meine herzlichsten Grüße aus und teilt ihm mit, dass es ernsthafte Konsequenzen für die Versorgung seiner Rekruten haben wird, sollte er meine Leute zurück nach Hause schicken.“ Trotz der Drohung konnte Dorian sich ein Lächeln nicht verkneifen. Cullen selbst Konsequenzen anzudrohen hatte keinen Zweck, dafür sorgte er sich zu wenig um sein eigenes Wohl. Seinen Rekruten hingegen mit Strafmaßnahmen zu drohen... das war etwas, womit man ihn treffen konnte. Dorian wurde wieder einmal bewusst, wieso Leliana die Spione der Inquisition anführte. Sie liebte das „Spiel“ und hätte sich in dem politischen Schlangennest von Tevinter zweifellos wie zu Hause gefühlt. „Ich werde daran denken, wenn es soweit ist“, erwiderte er. „Das reicht mir schon.“ Sie schenkte ihm erneut ein Lächeln, und dieses Mal war es echt. „Ich wünsche Euch eine gute Reise, Lord Pavus. Möget Ihr Euren Frieden mit den Dingen machen, die Euch erwarten.“ Dorian hob überrascht die Augenbrauen. Woher wusste sie, was er vorhatte? Hatte sie etwa das Gespräch zwischen ihm und Cullen mit angehört...? Doch bevor er sie fragen konnte, hatte sie sich bereits abgewandt und auf den Weg zurück zur großen Halle gemacht. „Dorian...?“, hörte er in diesem Moment Cullen nach ihm rufen. Er drehte sich um und ging zu dem Kommandanten hinüber, der die letzten Vorbereitungen abgeschlossen hatte. „Lasst uns aufbrechen“, sagte Dorian und schenkte dem anderen ein flüchtiges Lächeln, bevor er auf sein Pferd stieg. „Wir haben einen langen Weg vor uns.“   „Was werdet Ihr ihm sagen?“, fragte Cullen leise in der Dunkelheit. Es war der letzte Abend, bevor sie ihr Ziel erreichen würden, und sie teilten sich ein winziges Zimmer, das sie in einem kleinen Gasthof an der Straße nach Redcliffe gemietet hatten. Dorian lag keinen halben Meter entfernt auf seinem eigenen schmalen Bett, den Rücken Cullen zugewandt. Bei dessen Worten seufzte er leise auf. Als würde er sich nicht schon seit Tagen den Kopf über diese Frage zerbrechen. „Ich weiß es nicht“, entgegnete er schließlich, weil es die Wahrheit war. „Ich werde abwarten, was er mir zu sagen hat.“ Cullen gab keine Antwort, doch Dorian wusste, dass er ihm noch immer zuhörte. „Aber was er auch von mir will“, fuhr er nach einer Weile leise fort, „ich hoffe, Ihr denkt danach nicht schlechter von mir.“ Ein leises Rascheln ertönte, als Cullen sich auf seinem Bett herumdrehte. „Warum sollte ich schlechter von Euch denken?“, fragte er. Weil nichts an mir normal ist, dachte Dorian. Nicht die rätselhaften Träume, die ihn begleiteten, seitdem der Himmel aufgerissen war. Nicht die Narbe auf seiner Brust, die ihn ein Leben lang daran erinnern würde, dass nichts, was er war, nichts, was er sich erarbeitet hatte, je gut genug für seine Familie sein würde. Und erst recht nicht der fehlende Name auf seinem Handgelenk... Dorians Schweigen hielt an. Auch Cullen war still, und Dorian fragte sich nach einer Weile, ob das Gespräch für ihn beendet war. Doch dann ertönte ein erneutes Rascheln in der Dunkelheit, und einen Moment später spürte Dorian eine zaghafte Berührung an seiner Schulter. Mehrere Sekunden lang war er zu überrascht, um zu reagieren, doch dann griff er in der Dunkelheit nach der Hand, die Cullen auf seine Schulter gelegt hatte. Die Finger des anderen waren kalt, doch ihr Griff war fest und beruhigend. „Was auch immer er sagt“, sprach Cullen leise, „es wird nichts an meiner Bewunderung für Euch ändern... und an meiner Zuneigung.“ Erneut spürte Dorian eine eigenartige Wärme in seiner Brust. Und plötzlich wusste er, dass es keine Rolle spielte, was sein Vater ihm morgen sagen würde – nicht wirklich. Dorian würde immer einen Ort haben, an den er zurückkehren konnte. Er gab keine Antwort, doch er ließ Cullens Hand auch nicht wieder los, und einige Zeit später schlief er schließlich ein.   Redcliffe hatte sich stark verändert, seitdem er Felix hier getroffen hatte. Aus der lebendigen kleinen Hafenstadt war eine Hochburg der Magier geworden. Er sah keine spielenden Kinder mehr, keine Händler, die ihre Waren anpriesen. Stattdessen waren die Straßen von Magiern bevölkert, sowie Soldaten, die die vertrauten, imperialen Farben von Tevinter trugen. Gereon Alexius hatte ganze Arbeit geleistet und es geschafft, Magier aus ganz Thedas zu mobilisieren und nach Redcliffe zu holen. Ein Umstand, der auch Cullen nicht entging. Er warf Dorian einen besorgten Blick zu, während sie durch die Straßen schritten, die Kapuzen ihrer Umhänge tief ins Gesicht gezogen, damit man sie nicht erkannte. „Wir sollten nicht zu lange hier verweilen“, sagte er leise und Dorian stimmte ihm zu. Er hoffte, dass auch Lelianas Geleitschutz vorsichtig war und außer Sichtweite blieb. Sollten die Magier herausfinden, dass sie zur Inquisition gehörten, dann würde dies den Kundschaftern schnell zum Verhängnis werden. Wie sich herausgestellt hatte, hatte es nicht einmal zwei Tage gedauert, bis Cullen gemerkt hatte, dass sie Gesellschaft hatten – und wie Leliana es prophezeit hatte, war er alles andere als begeistert davon gewesen. Dorian hatte gewartet, bis er sich wieder beruhigt hatte, und dann in kurzen Worten wiedergegeben, was Leliana zu ihm gesagt hatte. Cullen hatte nur mit finsterer Miene genickt und sich widerwillig in sein Schicksal gefügt, doch Dorian zweifelte nicht daran, dass dies noch ein Nachspiel haben würde. Kurze Zeit später kam die Taverne in Sicht, in der das Treffen stattfinden sollte. Bis zur Mittagsstunde – dem verabredeten Zeitpunkt – war es noch eine Weile hin, doch Dorian wollte es so schnell wie möglich hinter sich haben. Er wollte gerade die Straße überqueren und auf das Gebäude zugehen, als Cullen ihn noch einmal zurückhielt. „Seid Ihr Euch ganz sicher?“, fragte er leise. „Noch können wir umkehren. Ihr müsst ihn nie wieder sehen, wenn Ihr das nicht wünscht.“ Dorian nickte. „Ich weiß. Aber wenn ich diese Sache nicht ein für alle Mal kläre, werde ich keinen Frieden finden.“ Cullen zögerte kurz. Dann senkte er den Blick. „Wir Ihr wünscht.“ Doch Dorian war noch nicht fertig. „Und... Cullen?“ „Ja?“ Der andere hob den Kopf und musterte ihn aus warmen, braunen Augen. „Ich weiß, wie Ihr empfindet, aber... bitte überlasst mir das Reden“, sagte Dorian. Cullen erwiderte für eine Weile wortlos seinen Blick und es war ihm anzusehen, dass er mit sich selbst kämpfte. Doch schließlich nickte er. „In Ordnung“, entgegnete er. „Ich werde mich nicht einmischen.“ Dorian lächelte. „Danke.“ Dann betraten sie gemeinsam die Taverne.   Der Schankraum war leer, als sie eintraten. Sowohl vom Wirt als auch von den Gästen fehlte jede Spur, und Dorian vermutete, dass sie es seinem Vater sowie Alexius‘ Einfluss zu verdanken hatten, dass sie bei ihrer Unterhaltung ungestört sein würden. Dorian schlug seine Kapuze zurück und atmete innerlich auf. Es war noch niemand hier, sie hatten noch ein wenig Zeit... Ein Knarren ertönte von der Treppe her, die zu den Gästezimmern führte, und Dorian erstarrte, als er eine leise Stimme hörte. „Mein Sohn.“ Cullens Gesicht glich einer Maske, als er den Mann erblickte, der in diesem Moment in den Raum trat, doch er hielt sich an ihre Abmachung und positionierte sich wortlos neben der Tür. Wie in Zeitlupe drehte Dorian sich zu seinem Vater herum. Halward Pavus hatte sich kaum verändert, seitdem Dorian Tevinter verlassen hatte. Sein Haar war noch immer dunkel und voll, auch wenn sich mittlerweile mehr graue Strähnen darin wiederfanden, als noch vor einem Jahr. Auch die Falten, die sich um seine Augen und Mundwinkel in sein Gesicht gegraben hatte, waren tiefer geworden, und ein kleiner, aber gehässiger Teil von Dorian hoffte, dass er der Grund dafür war. „Ich freue mich, dich zu sehen, Dorian.“ Halwards Stimme war warm und voller Zuneigung, und Dorian hasste ihn dafür, denn er wollte seine Liebe nicht, wollte nicht erneut eine Beziehung zu ihm aufbauen, die eines Tages nur wieder in Tränen und Schmerz enden würde. Er war nicht hergekommen, um seinem Vater eine zweite Chance zu geben, sondern um einen Schlussstrich zu ziehen, und das würde er auch tun. „Es hätte mich weniger Überwindung gekostet, nach Redcliffe zu kommen, wenn dein Brief an mich adressiert gewesen wäre“, erwiderte er und konnte den anklagenden Unterton dabei nicht so recht aus seiner Stimme verbannen. Halward schien betrübt. „Wenn ich mir sicher gewesen wäre, dass du ihn auch gelesen hättest, anstatt ihn sofort zu verbrennen, dann hätte ich es getan.“ Und da hatte er vermutlich sogar Recht. Wäre der Brief als erstes bei Dorian gelandet, hätte er ihn vermutlich keines Blickes gewürdigt, bevor er ihn vernichtet hätte. Wie hatte Dorian jemals vergessen können, wie berechnend sein Vater war? „Na schön“, entgegnete er. „Du hast also versucht, einen anderen Weg zu finden, um mich zu erreichen und nach Redcliffe zu bringen. Herzlichen Glückwunsch, es ist dir gelungen. Und was jetzt? Was willst du von mir?“ Halward seufzte. „Ist das nicht offensichtlich? Ich wollte dich bitten, mich zurück nach Tevinter zu begleiten. Ich... weiß, dass in der Vergangenheit vieles falsch gelaufen ist zwischen uns, und ich will es dieses Mal richtig machen. Alles, was ich will, ist eine Chance.“ Dorian starrte ihnen einen Moment lang ungläubig an. Dann begann er zu lachen. „Ist das dein Ernst?“, fragte er, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. „Hast du wirklich daran geglaubt, ich würde mit dir gehen? Nach allem, was du mir angetan hast?“ Sein Vater schwieg, doch er wich nicht zurück, als Dorian auf ihn zuging, so magiegeladen vor Wut und Schmerz, dass die Luft um ihn herum knisterte. „Wenn dir ernsthaft an einer zweiten Chance gelegen wäre, dann wären die ersten Worte aus deinem Mund eine verdammte Entschuldigung gewesen!“, rief er. „Oder wenigstens irgendeine Äußerung, die mir gezeigt hätte, dass dir leidtut, was du getan hast! ‚In der Vergangenheit ist vieles falsch gelaufen zwischen uns‘... dass ich nicht lache! Was genau habe ich mir zu Schulden kommen lassen, das solche Maßnahmen rechtfertigt? Und wie kannst du es wagen, mir eine Mitschuld an dem zu geben, was passiert ist? Wie kannst du nur?“ Dorian ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass es wehtat, und zwang sich, seine hochkochenden Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, bevor er noch versehentlich das Wirtshaus in Brand setzte. Schließlich atmete er langsam aus und wandte sich ab. Er konnte seinen Vater nicht mehr länger ansehen. Cullen warf ihm einen kurzen Blick zu und hob besorgt eine Augenbraue, doch Dorian schüttelte nur den Kopf. Es gab nichts mehr hinzuzufügen. Er war müde und verletzt, und er wollte diesen Ort so schnell es ging hinter sich lassen. Da ertönte noch einmal die Stimme seines Vaters. „Alles, was ich je wollte, war, dir zu helfen, Dorian.“ Und Dorian wollte diese Diskussion nicht länger fortführen, doch er konnte den Gedanken auch nicht ertragen, dass sein Vater das letzte Wort hatte. Und so drehte er sich noch einmal zu ihm herum. „Sicher wolltest du das“, entgegnete er mit beißendem Spott. „Für das Fortbestehen unseres Namens hättest du mir nur zu gerne dabei ‚geholfen‘, mich in einen Liebhaber des weiblichen Geschlechts zu verwandeln, selbst wenn es mich den Verstand gekostet hätte!“ Doch Halward schüttelte nur den Kopf. „Ist es das, was du glaubst?“, fragte er. „Dass ich vorhatte, deine Präferenzen zu ändern?“ Zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Gesprächs spürte Dorian einen Anflug von Unsicherheit. „War das etwa nicht von Anfang an dein Ziel?“, erwiderte er. Sein Vater schenkte ihm ein trauriges Lächeln, und das ungute Gefühl in Dorian verstärkte sich. „Oh, Dorian... Es war nie meine Absicht, dich zu verändern“, sagte Halward. „Ich wollte dir nur dabei helfen, deinen Platz in der Gesellschaft zu finden.“ „Was... was hattest du vor?“, fragte Dorian und seine Stimme zitterte. Plötzlich war er sich nicht länger sicher, dass er die Antwort hören wollte. Sein Vater sah ihn mitfühlend an. „Ich wollte dir eine Seele geben.“   Cullen hatte kein Wort mit ihm gesprochen, seitdem sie die Taverne verlassen hatten. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein, was Dorian nicht überraschte. Cullen war kein Narr, er musste sofort verstanden haben, was Halward Pavus mit seinen Worten gemeint hatte. Dorian wurde ganz schlecht, wenn er daran dachte, was diese Veränderung für Konsequenzen für ihre Beziehung sowie sein Leben auf der Himmelsfeste haben würde. Doch in erster Linie tat er weh, dieser Verlust. Nicht, dass Dorian nicht von Anfang an geahnt hätte, dass Cullen ihn früher oder später wieder verlassen würde. Er hatte nur nicht gedacht, dass es so schnell passieren würde. Ihre Beziehung hatte gerade erst den Punkt erreicht, an dem Dorian damit angefangen hatte, mit dem Gedanken zu spielen, Cullen sein Geheimnis zu verraten. Doch er hatte es immer zu seinen Bedingungen tun wollen, und zu einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmte hatte. Er hatte nie gewollt, dass Cullen es auf diese Weise erfuhr. Und erst recht nicht von seinem Vater. Sein Vater, der viele Tage lang Experimente an ihm durchgeführt hatte, um Dorian das zu geben, was ihn von allen anderen unterschied. Der zweifellos gehofft hatte, dass sich der Name einer Frau auf seinem Handgelenk manifestieren würde – und dass Dorian dann endlich einsehen würde, dass dies seine Bestimmung war. Doch alles, was er ihm gegeben hatte, waren Narben auf seinem Körper und auf seiner Seele.   Sie verbrachten die Nacht im selben Gasthaus, in dem sie schon auf dem Hinweg übernachtet hatten. Wieder lag Dorian in dem schmalen Bett, in dem er bereits in der Nacht zuvor gelegen hatte. Er hatte die Beine an den Körper gezogen und hoffte, dass er schnell einschlief. Doch vor seinem inneren Auge spielte sich immer wieder derselbe Moment ab, und dieselben Worte hallten in seinen Ohren wider. Ich wollte dir eine Seele geben. Dorian spürte, wie Tränen aus seinen Augenwinkeln liefen, und er presste sich die Hand auf den Mund, damit Cullen sein leises Schluchzen nicht hören konnte. Er fühlte sich schon erbärmlich genug und mehr Demütigung konnte er an diesem Tag nicht mehr ertragen. Plötzlich hörte er ein Rascheln, und einen Moment später ein lautes Scharren. Kurz darauf glitt ein warmer Arm unter seine Decke und legte sich locker von hinten um seine Hüfte. Dorian brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte, was passiert war. Cullen hatte sein Bett neben das von Dorian geschoben. „Die Dinge, die Euer Vater sagte...“, sprach der andere Mann leise. „Sie ändern nichts an dem, was ich Euch letzte Nacht versprochen habe.“ Dorian lag für einen Moment still. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte, konnte sein Glück für einen Augenblick nicht fassen. Dann entluden sich all seine Gefühle – Angst, Dankbarkeit, Schmerz und Hoffnung – in einem Schluchzen, und er versuchte nicht länger, seine Tränen zurückzuhalten. „Oh Dorian...“, murmelte Cullen. Und dann: „Komm her.“ Dorian drehte sich zu ihm herum und schlang die Arme um ihn. Seine Wangen waren nass, als er das Gesicht an Cullens Hals vergrub, doch es schien den anderen nicht zu stören. Er zog ihn nur an sich und fuhr sanft mit den Fingern durch seine Haare und murmelte Nichtigkeiten in sein Ohr, bis Dorian sich langsam wieder entspannte und schließlich vor Erschöpfung einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)