For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 28: Iron Bull --------------------- „Findet Ihr nicht, dass Ihr ein wenig übertreibt?“, fragte der Eiserne Bulle und warf Dorian einen Seitenblick zu. „Keineswegs“, entgegnete der Magier mit hoch erhobenem Kopf und frischte mit einem kurzen Schwenk seiner Hand die Barriere auf, die ihn umgab. Von der anfänglichen Begeisterung des Mannes darüber, die Himmelsfeste endlich einmal zu verlassen, um die Inquisitorin auf ihrer Reise zu begleiten, war nichts mehr geblieben. In einer Tour beklagte er sich über das Wetter, die Feuchtigkeit in seiner Kleidung und seinen Schuhen, und die zahllosen Mücken, die sie wie eine Wolke umschwirrten. Letztere versuchte er sich nun seit dem Morgen mit einer schwachen Barriere dauerhaft vom Leibe zu halten, nachdem er in der Nacht Dutzende Male gestochen worden war, bis Solas sein Gefluche nicht mehr hatte mitanhören können und ihm zur Abwehr Magie empfohlen hatte. Den beiden Elfen schienen die vielen Insekten nichts auszumachen. Kein einziger Mückenstich zierte ihre Gesichter, und der Qunari vermutete, dass Solas sowohl sich selbst als auch Lavellan schon seit Tagen mit einer kaum spürbaren Barriere umgab. Der Eiserne Bulle störte sich ebenfalls nicht an den Mücken. Seine Haut war zu dick, als dass ihre Stacheln sie durchdringen konnten, und falls es doch mal einer gelang, dann spürte er es nicht. Der einzige, der mit noch mehr Stichen aufwarten konnte, als Dorian, war Cole. Der junge Mann wanderte mit gesenktem Kopf still neben ihnen her, und sein Gesicht und seine Arme waren übersät mit Stichen. Doch er hatte sich bisher noch kein einziges Mal beklagt. „Wie um alles in der Welt hältst du das aus?“, hatte Dorian ihn am Morgen gefragt, als sie die Zelte abgebaut hatten. „Auch Mücken brauchen Nahrung“, hatte der Junge nur erwidert, als würde das alles erklären. Dorian hatte nicht weiter nachgefragt, doch er hatte ihm einen sehr langen und sehr skeptischen Blick zugeworfen. Und nun waren sie hier, im tiefsten Sumpf, meilenweit von jedem Stützpunkt der Inquisition entfernt, und suchten eine Gruppe verschwundener Soldaten. Seit ihrer Ankunft im Fahlbruch hatte der Regen noch kein einziges Mal nachgelassen, auch wenn er zwischendurch schwächer geworden war und einmal sogar kurz die Sonne durch die tiefhängenden  Wolken geblitzt hatte. Die Stimmung wäre jedoch zweifellos noch trüber gewesen, hätten sie nicht die vielen Untoten auf Trab gehalten. „Faszinierend“, bemerkte Solas, als Lavellan versehentlich einen Fuß in das knietiefe Wasser setzte und der Tümpel um sie herum plötzlich zu brodeln begann. „Die kleinste Bewegung des Wassers scheint sie anzuziehen.“ „Ja, wirklich ausgesprochen interessant“, entgegnete Dorian scharf, bevor er seinen Stab schwang und dem Skelettkrieger, der sich neben ihm aus dem Wasser erhob, die Beine wegschlug. „Es wäre noch interessanter, würden sie nicht jedes Mal versuchen, uns zu töten!“ „Was ist los? Ich dachte, Ihr wolltet ein Abenteuer erleben!“, rief der Eiserne Bulle gutgelaunt, während er mit seiner gigantischen Axt die Untoten reihenweise niedermähte. „Der genaue Wortlaut war ‚Ich kann es nicht erwarten‘“, meinte Lavellan mit einem Lächeln und rammte ihr Schwert in den knochigen Brustkorb eines untoten Bogenschützen. „Wasser, Schlamm und Tote, soweit das Auge reicht... was habe ich mir nur dabei gedacht“, kommentierte Cole, der wieselflink zwischen den Angreifern hindurchflitzte und mit seinen Dolchen die Sehnen ihrer Bögen durchtrennte. Es bestand kein Zweifel daran, wessen Gedanken er zitierte. „Ja, Cole, vielen Dank“, stöhnte Dorian. „Gern geschehen“, erwiderte der junge Mann artig und ließ seine Dolche sinken, nachdem schließlich auch der letzte Krieger gefallen war. Erschöpft wischte sich Lavellan mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, bevor sie ihr Schwert wieder wegsteckte. „Verzeihung“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. „Der Angriff war meine Schuld. Ich hätte besser aufpassen sollen, wo ich hintrete.“ „Macht Euch keine Vorwürfe, lethallan“, sagte Solas, während er zu ihr trat. „Das hätte jedem von uns passieren können.“ Dem Eisernen Bullen entging nicht, wie der Elf die Hand ausstreckte, als wollte er sie an die Wange der Inquisitorin legen – und wie ihm im letzten Moment einzufallen schien, dass sie nicht allein waren, und er sie wieder sinken ließ. Der Blick, den er ihr schenkte, sprach jedoch Bände, ebenso wie der sanfte Ausdruck in Lavellans Augen, als sie ihn erwiderte. Interessant, dachte der Qunari, und nahm sich vor, auf weitere Zärtlichkeiten zwischen den beiden zu achten. Man konnte nie wissen, wofür das Wissen, dass die Inquisitorin sich einen Liebhaber genommen hatte, noch nützlich sein würde. Es war auf jeden Fall eine der Informationen, die er früher oder später an das Qun weiterleiten würde, auch wenn er für den Moment noch damit warten wollte, bis er absolute Sicherheit hatte und wusste, wie weit die beiden füreinander gehen würden. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich Vorfälle dieser Art häufen werden, je weiter wir in den Sumpf vordringen“, sagte Dorian in diesem Moment. Mit fast schon übertriebener Vorsicht trat Lavellan neben ihn an den Rand des Steges und ließ den Blick über den Fahlbruch schweifen. „Ja“, entgegnete sie leise. „Das befürchte ich auch.“ Ihre Worte waren ernüchternd, und wenig später setzte die kleine Gruppe ihren Weg schweigend fort.   Als es zu dunkel wurde, um den Sumpf weiter gefahrlos durchqueren zu können, zogen sie sich auf eine leicht erhöht liegende Insel zurück, die auf zwei Seiten von Felswänden umgeben war, die sie vor dem kühlen Abendwind schützten. Abgesehen von mehreren Kugeln grünen Schleierfeuers, die Solas durch das Lager schweben ließ, verzichteten sie darauf, Feuer zu machen, um keine nächtlichen Jäger – ob tot oder lebendig – auf sich aufmerksam zu machen. Das machte den Aufbau der Zelte zu einer Herausforderung, insbesondere für Dorian und Cole, die darin wenig Übung hatten. „Lasst mich das machen“, bot der Eiserne Bulle schließlich an, nachdem Dorians Zelt zum vierten Mal in einem Gewirr aus Stoff und Holzstangen in sich zusammengesunken war. Er hätte ihn schon nach dem ersten Mal gefragt, doch die Erfahrung hatte gezeigt, dass der stolze Tevinteraner jegliche Hilfe ablehnte, bis er eine gewisse Frustrationsgrenze erreicht hatte. Und so hatte der Qunari geduldig gewartet, bis Dorian diesen Punkt überschritten hatte, bevor er es gewagt hatte, ihm seine Hilfe anzubieten. Und wie sich herausstellte, hatte er mit seiner Einschätzung richtig gelegen, denn Dorian trat augenblicklich beiseite und setzte sich schweigend in das feuchte Gras. Während er das Durcheinander entwirrte, sagte der Eiserne Bulle: „Ihr müsst diese Nacht nicht allein verbringen, Dorian.“ Seine Stimme war leise, so dass Solas und Lavellan, die wenige Meter entfernt ihr eigenes Zelt aufbauten, das Gespräch nicht mit anhören konnten. Dorian hob den Kopf. „Falls Ihr vorhabt, mir erneut Euer Angebot von letztens zu unterbreiten: ich habe kein Interesse“, entgegnete er leicht säuerlich. Der Qunari konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, doch er hörte die Erschöpfung in seiner Stimme. „Ich spreche nicht von Sex“, sagte er ruhig, während er mit sicheren Händen die Zeltstangen aufstellte. Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte, aber es war offensichtlich, dass es nicht das war, was Dorian in diesem Moment brauchte. „Nicht?“, erwiderte der andere. „Ich bin entsetzt.“ Der Qunari lächelte. „Ich bin mehr, als nur meine Triebe, Dorian.“ „Ich...“ Dorian seufzte. „Ich weiß das natürlich. Verzeiht. Ich wollte Euch nicht unterstellen, dass Sex das einzige ist, woran Ihr denkt.“ Der Eiserne Bulle zuckte mit den Schultern, während er die schwere Zeltplane über das Gerüst zog. „Ihr seid müde und der Tag war lang“, sagte er. „Ich verstehe.“ Er zögerte kurz und fügte dann mit einem Zwinkern hinzu: „Und es stimmt, dass ich recht häufig daran denke. Sex ist großartig.“ Dorian verdrehte die Augen. Der Eiserne Bulle beschwerte den Rand der Plane mit Steinen und prüfte anschließend die Stabilität des Zeltes, indem er kurz daran rüttelte. Es hielt stand. „Fertig?“, fragte Dorian ungläubig. „Fertig“, bestätigte der Qunari. Der Magier griff nach seinem Stab und seinem Rucksack und schob sie in das Zelt, bevor er selbst hineinkroch. Einen Moment lang sah der Eiserne Bulle nur, wie sich die Plane bewegte, als der andere seine Sachen auspackte und sich für die Nacht einrichtete. Da Dorian nicht wieder herauskam, nahm der Qunari an, dass er sich bettfertig machte, und er wandte sich ab, um zu seinem eigenen Zelt zurückzukehren. Auch die beiden Elfen hatten ihr Zelt mittlerweile fertig aufgebaut und wünschten allen anderen eine gute Nacht, bevor sie sich zum Schlafen zurückzogen. Am Rande des Lagers schwebte die letzte der leuchtenden, grünen Kugeln neben der vogelscheuchenartigen Gestalt von Cole, der in die Dunkelheit hinausblickte. Wie fast jede Nacht hatte er freiwillig die erste Wache übernommen. Dieses Mal würde es Solas sein, der den Jungen gegen Mitternacht ablösen und bis zum Morgengrauen über die Schlafenden wachen würde. Der Eiserne Bulle wollte sich gerade in sein Zelt legen, als er die Berührung einer warmen Hand an seinem Rücken spürte. „Könntet Ihr diese Nacht bei mir bleiben...?“, fragte Dorian leise. Der Qunari erstarrte kurz, dann drehte er sich langsam um. „Wenn es das ist, was Ihr wollt – gewiss“, entgegnete er ebenso leise und nahm vorsichtig Dorians Hand in die seine. Der Magier sah unschlüssig zu Boden. „Und wenn ich nur...“ Er biss sich auf die Unterlippe, bevor er tief Luft holt und es dann erneut versuchte. „Wenn ich lediglich... uh...“ Er schien sichtlich mit sich selbst zu kämpfen. „... wenn Ihr nur kuscheln wollt?“, erbarmte sich der Qunari schließlich und beendete den Satz für ihn. „Uhm“, machte Dorian. „Ja...?“ „Dann kuscheln wir nur“, entgegnete der Eiserne Bulle und strich sanft mit dem Daumen über Dorians Handrücken. „Oh“, sagte der andere, der seine Überraschung nicht ganz verbergen konnte. „Okay.“ Es war ganz klar nicht das, was er erwartet hatte, und der Eiserne Bulle fragte sich nicht zum ersten Mal, wie Dorian körperliche Nähe bisher erlebt hatte, dass Sex das einzige war, was er damit assoziierte. Und während er dem anderen in sein Zelt folgte, schwor er sich, sich eines Tages die Mistkerle vorzuknöpfen, die ihn in Tevinter so schlecht behandelt hatten.   Sobald sie in der Enge des Zeltes eine halbwegs bequeme Schlafposition gefunden hatten, war Dorian auch schon eingeschlafen, was es dem Qunari ersparte, sich den Kopf über ein Gesprächsthema zerbrechen zu müssen. Nicht, dass er nicht müde genug gewesen wäre, um Dorians Beispiel zu folgen – doch für eine Weile wollte er noch das warme Gewicht des Mannes in seiner Armbeuge genießen, der noch immer nach Parfüm roch, dessen schwacher Duft selbst der Dauerregen nicht fortgewaschen hatte und der sich seit der Himmelsfeste auf seiner Haut und in seinem dunklen Haar hatte halten können. Dorian war seit jenem schicksalhaften Abend nicht mehr bei ihm gewesen. Warum, das hatte der Qunari nie herausgefunden, doch er vermutete, dass es etwas damit zu tun hatte, dass Krem ihn am nächsten Morgen gesehen hatte, als er die Brücke zwischen Cullens Turm und der Bibliothek überquerte. Was auch immer vorgefallen war, sein Bedürfnis nach Nähe hatte entweder wieder nachgelassen oder er hatte jemand anderen gefunden, der es befriedigte. Und wenn Cullen tatsächlich etwas damit zu tun haben sollte... nun, selbst der Kommandant der Inquisition war nur ein Mensch. Und er war ganz sicherlich nicht die schlechteste Wahl. Und es gab immer noch genug andere Interessenten, dass dem Bullen nachts nicht langweilig wurde. Es war nur... Manchmal bedauerte er es, dass Dorian nie zurückgekehrt war. Er zweifelte nicht daran, dass es eine unvergessliche Nacht gewesen wäre. Dorian seufzte leise im Schlaf auf und schmiegte das Gesicht an den Hals des Qunari. Vorsichtig hob der Eiserne Bulle den Arm und legte ihn locker um die schlanke Gestalt des Magiers, der die stumme Aufforderung zu spüren schien und sich noch enger an ihn kuschelte. Der Qunari lächelte und presste einen flüchtigen Kuss auf Dorians Haare. Dann schloss auch er sein Auge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)