For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 23: Solas ----------------- Die Vorbereitungen für das Festgelage, das Josephine anlässlich der Rückkehr der Inquisitorin auf die Schnelle organisiert hatte, waren noch im vollen Gange, als sich die Tür zur großen Halle öffnete und Lavellan die Rotunde betrat, in der sich Solas für gewöhnlich aufhielt. Der Elf, der auf dem Sofa saß und gerade in eine Lektüre über Traditionen und Rituale der Avvar vertieft gewesen war, ließ das Buch sinken und sah auf, als die junge Frau nähertrat. Mit einem tiefen Seufzen ließ sich Lavellan neben ihm auf das Polster sinken und schloss die Augen. Solas hob eine Augenbraue. „Langer Tag?“, fragte er. „Das kann man wohl sagen, ja“, entgegnete sie und stieß ein leises Lachen aus. „Ich habe langsam das Gefühl, dass er nie enden wird.“ Solas dachte einen Moment lang nach. „Ihr könntet Euch entschuldigen und Euch auf Euer Zimmer zurückziehen. Nach der langen Reise, die Ihr hinter Euch habt, wird man gewiss Nachsehen mit Euch haben.“ „Das habe ich zu Josi auch gesagt, aber sie meinte, ich muss mich vorher wenigstens ein, zwei Stunden lang sehen lassen, um nicht selbstsüchtig zu wirken.“ Der Elf runzelte die Stirn. „Ihr seid alles andere als selbstsüchtig, lethallan, nur weil Ihr Euch nach einer anstrengenden Reise Ruhe wünscht.“ „Das scheinen die orlaisianischen Adeligen auf der Festung, die die Inquisition so großzügig mit ihren Spenden unterstützen,  leider anders zu sehen“, sagte Lavellan seufzend. „Für sie gilt es als Zeichen von Unhöflichkeit, Müdigkeit zu zeigen.“ Solas stieß einen leisen elfischen Fluch aus und schüttelte den Kopf. „Was für ein Unsinn“, meinte er. Zu seiner Überraschung lachte sie auf und öffnete die Augen. „Was?“, fragte er verwirrt, als sie ihn ansah. „Nichts. Es ist nur so erfrischend, Euch fluchen zu hören, Solas“, erwiderte sie. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem schwachen Lächeln. „Es zeugt von schlechter Selbstkontrolle. Gewöhnt euch besser nicht daran.“ „Mmh-hm“, machte sie nur und gab sich erst gar keine Mühe, so zu klingen, als würde sie ihm glauben. Dann schloss sie wieder die Augen. „Wenn Ihr nichts dagegen habt“, sagte sie müde, „dann würde ich für einen Augenblick hier sitzenbleiben und mich ausruhen, bis das Fest beginnt.“ Solas überlegte kurz, und bevor sein Verstand ihm sagen konnte, dass es eine schlechte Idee war, traf sein Herz eine Entscheidung. „Lethallan“, sagte er leise und sie öffnete erneut die Augen und sah ihn fragend an. Er klopfte sich auf den Oberschenkel. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch hinlegen.“ Ihre Wangen röteten sich, als sie begriff, was er meinte, und sie zögerte für einen Moment. Doch sie überwand sich schnell und nahm sein Angebot an. „Danke, Solas“, murmelte sie, als sie den Kopf in seinen Schoß legte und die Augen schloss. „Ich werde Euch wecken, wenn die Feierlichkeiten beginnen“, sagte er, und fuhr sanft mit den Fingern durch ihr langes, rotes Haar, während er erneut nach seinem Buch griff. Lavellan gab keine Antwort und er war nicht überrascht, als er nur wenige Minuten später feststellte, dass sie eingeschlafen war. So sehr Solas jedoch versuchte, sich wieder auf den Text zu konzentrieren, es wollte ihm nicht gelingen. Nachdem er einen Absatz viermal gelesen hatte, ohne dass auch nur ein einziges Wort hängengeblieben war, gab er es schließlich auf und legte das Buch beiseite. Sein Blick fiel auf das Gesicht der schlafenden Frau in seinem Schoß. Sie war noch so jung und wirkte jetzt, da sich ihre Züge im Schlaf etwas entspannt hatten, sogar noch jünger. Es schmerzte Solas zu wissen, dass er nicht stark genug war, um sie vor den Dingen zu schützen, die sie durchlitten hatte und die noch auf sie zukommen würden, doch er vertraute auf ihre Stärke und darauf, dass sie sich selbst zu helfen wissen würde, wenn die Situation es erforderte. Lavellans Voraussicht und Weisheit bei den Entscheidungen, die sie bisher im Namen der Inquisition getroffen hatte, und die nicht so recht zu ihrer Jugend passen wollten, hatten ihn in den letzten Monaten oft beeindruckt. Er selbst hatte Jahrhunderte Zeit gehabt, um seine Rolle im elfischen Pantheon zu definieren; sie hingegen hatte sich innerhalb von wenigen Wochen mit einer Position abfinden müssen, die sie nie gewollt hatte, und von der das Schicksal einer ganzen Welt abhing. Und Lavellan hatte mit der Zeit nicht nur gelernt, diese enorme Verantwortung zu tragen, sondern mit ihrer Entschlossenheit und ihrer Bodenständigkeit auch sämtliche Skeptiker von sich überzeugen können. Sie war stark auf eine Weise, wie er es niemals sein würde, und er bewunderte sie mehr, als er mit Worten ausdrücken konnte. So sehr er sich auch verschätzt hatte, als er Corypheus die Kugel überlassen hatte, so froh war er doch, dass die Dinge so gekommen waren, wie sie nun waren, und der Anker von allen Personen, die es hätte treffen können, ausgerechnet Lavellan gefunden hatte. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte Corypheus das Mal erhalten – und er betete, dass er es auch nie erfahren würde. Sein Blick fiel einmal mehr auf Lavellan, die im Schlaf leise aufseufzte, und sanft strich Solas ihr eine Strähne hinter das Ohr. Dass seine Gefühle für die junge Frau schon längst nicht mehr ausschließlich freundschaftlicher Natur waren, war ihm auf dem Rückweg zur Himmelsfeste bewusst geworden, und etwas sagte ihm, dass Lavellan ähnlich für ihn empfand. Die Versuchung, seinen Gefühlen nachzugeben und sich nach den Jahrtausenden der Einsamkeit wenigstens diese eine gute, unverdorbene Sache in seinem Leben zu gönnen, wurde von Tag zu Tag größer, und Solas fand immer weniger Gründe dafür, ihr zu widerstehen. Doch ein Einwand blieb dabei immer bestehen, und das war die Tatsache, dass diese Sache keine Zukunft hatte und enden würde, sobald Lavellan erst einmal erfuhr, wer er wirklich war und was er vorhatte. Denn so groß ihr Respekt und ihre Zuneigung auch sein mochten, dies war etwas, was sie ihm niemals würde verzeihen können. Was er sich selbst niemals würde verzeihen können, auch wenn er nach wie vor fest entschlossen war, es zu tun, und wusste, dass es nötig war, wollte er seinem Volk eine neue Zukunft geben. Die Tür öffnete sich und Solas blickte auf. „Entschuldigt die Störung, Solas, aber habt Ihr–? ... oh.“ Josephine verstummte, als sie die schlafende Inquisitorin erblickte. Sie zögerte kurz, dann schloss sie die Tür hinter sich und trat an das Sofa heran. „Wäre es sehr herzlos von mir, sie jetzt zu wecken...?“, fragte sie seufzend und schenkte Lavellan einen bedauernden Blick. „Ihr tut nur, was Ihr für richtig haltet“, entgegnete Solas diplomatisch. „Das macht es leider nicht viel besser“, meinte Josephine mit schwachem Lächeln. „Lavellan weiß, was auf dem Spiel steht“, sagte Solas besänftigend. „Macht Euch keine Vorwürfe, Josephine. Sie wird es verstehen.“ Dann legte er eine Hand auf Lavellans Schulter und rüttelte sie sacht. „Wacht auf, lethallan“, sagte er leise. „Eure Anwesenheit ist gefragt.“ Es dauerte eine Weile, bis Lavellan die Augen öffnete und wieder zu sich kam, doch schließlich fokussierte sich ihr Blick und sie sah ihn an. Das verschlafene Lächeln, das sie ihm dabei schenkte, wärmte sein Herz und ließ ihn wünschen, er wäre in diesem Moment mit ihr allein und müsste diesen Augenblick mit niemandem teilen. „Ist es schon so weit?“, fragte sie und stemmte sich gähnend hoch. „Es tut mir leid“, sagte Josephine und strich den leicht zerknitterten Stoff von Lavellans Uniform glatt. „Eine Stunde, dann seid Ihr erlöst. Begrüßt die wichtigsten Abgesandten und schüttelt ein paar Hände, das wird sie zufriedenstellen. Sobald alle das erste Glas Wein getrunken haben, wird niemand mehr etwas dagegen einzuwenden haben, dass Ihr Euch zurückzieht.“ „Nun dann“, meinte Lavellan seufzend und zupfte mit den Fingern ihr Haar zurecht. „Packen wir es an.“ Einem plötzlichen Impuls folgend stand Solas ebenfalls auf und trat an ihre Seite. „Würdet Ihr mir erlauben, Euch zu begleiten...?“ Mach ihr keine Hoffnungen, flüsterte sein Gewissen, doch Solas ignorierte es wie so oft zuvor, eine Entscheidung, die er nicht bereute, als er Lavellans strahlendes Lächeln sah. „Es wäre mir eine Ehre“, erwiderte sie, und gemeinsam folgten sie Josephine in die große Halle.   „... und Cassandras Gesichtsausdruck!“ Lavellan schüttelt sich vor Lachen. „Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals wieder vergessen werde.“ „Das gleiche kann man vermutlich auch von Varric sagen“, entgegnete Solas amüsiert. „In seinen Augen spiegelte sich für einen Moment die pure Angst.“ Lavellan war am Ende doch länger geblieben, als es ursprünglich ihr Plan gewesen war. Solas‘ Nähe hatte ihr mehr Sicherheit gegeben und sie zwangloser im Umgang mit den Adeligen gemacht. Als später am Abend etwas Musik gespielt wurde, hatte sie sogar mit einem Chevalier aus Velun getanzt, auch wenn ihre Augen dabei immer wieder zu Solas hinübergewandert waren... und auch er sich gewünscht hatte, sie in diesem Moment in seinen Armen halten zu können. Doch der Höhepunkt des Gelages war der Auftritt von Hawke gewesen. Varric hatte schon vor einer Weile angedeutet, dass er zur Unterstützung im Kampf gegen Corypheus eine „alte Bekannte“ kontaktiert hatte, doch niemand hatte damit gerechnet, dass der Champion von Kirkwall persönlich der Himmelsfeste einen Besuch abstatten würde. Nachdem Cassandra wie zur Salzsäule erstarrt war und dann Varric einen Blick zugeworfen hatte, der so voller Gift gewesen war, dass er einen ausgewachsenen Bären hätte töten können, hatte sie sich auf dem Absatz umgedreht und war gegangen. Varrics Angst vor Cassandras Rache hatte jedoch nicht lange angehalten, als Hawke auf ihn zugetreten war und ihn in eine feste Umarmung gezogen hatte, bevor sie sein Gesicht in die Hände genommen und ihnen vor allen Augen geküsst hatte. Ein Raunen war durch die Halle gegangen, doch Varric hatte nur gelacht und die dunkelhaarige Frau an sich gezogen. Wenig später hatten die beiden die Halle verlassen, und sofort hatten sich die anwesenden Adligen in endlosen Spekulationen verloren. Lavellan hatten sie dabei keine weitere Aufmerksamkeit mehr geschenkt, worüber die junge Frau sichtlich froh gewesen war, und sie und Solas hatten die Gelegenheit genutzt, sich ebenfalls zurückzuziehen. „Hawke und Varric...“, sagte Lavellan nun und schüttelte den Kopf. „Wer hätte das jemals gedacht?“ „So, wie Varric bisher immer von seiner Seelenpartnerin gesprochen hat, wäre ich nie darauf gekommen, dass es sich dabei um sie handeln würde“, stimmte Solas ihr zu. Lavellan lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung des Balkons und lächelte. Der Wein hatte ihren Wangen Farbe verliehen und der Wind spielte mit ihrem langen, roten Haar. Sie war atemberaubend schön. „Vielleicht ist sie gar nicht seine Seelengefährtin“, sagte sie leise. „Vielleicht haben sie dem Band widerstehen können und sich von allein gefunden. Eine Liebe, die jedes Schicksal besiegt.“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und senkte den Blick. „Danke, dass Ihr mich an diesem Abend begleitet habt. Es war sehr schön.“ Eine seltsame Stimmung lag plötzlich in der Luft und Solas wusste mit einem Mal mit absoluter Sicherheit, dass alles, was in Zukunft zwischen ihnen passieren würde, von diesem einen Moment abhing. Die Frage war nur: würde er seinem Egoismus nachgeben oder würde er das einzig Vernünftige tun, nämlich Lavellan zurückzuweisen und zu gehen...? Doch obwohl es nur eine einzige, akzeptable Antwort darauf gab, stand er wie angewurzelt da. „Solas, ich...“ Lavellan stieß sich von der Brüstung ab und trat langsam näher. Er sah sie nicht an. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre, ma lath.“ Sie legte sacht eine Hand auf seinen Arm. „Wenn es nicht das ist, was Ihr wollt, dann werde ich Euch keinen Vorwurf machen, wenn Ihr geht“, sagte sie leise. Aber es ist das, was ich will, dachte er, und er erkannte, dass es die Wahrheit war. Und obwohl er wusste, dass es närrisch war und dass es früher oder später im Desaster enden würde, legte er die Hand an ihr Kinn und hob es sanft an. „Ihr macht Euch keine Vorstellung davon, wie sehr ich das hier will“, flüsterte er und sah in ihre grünen Augen, die die gleiche Hoffnung, die gleiche Unsicherheit und die gleiche tiefe Zuneigung widerspiegelten, die auch er in diesem Moment empfand. Dann beugte er sich vor und küsste sie.   Es mochte egoistisch sein, doch wenigstens für eine Weile wollte er diese eine gute Sache in seinem Leben haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)