For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 22: Dorian ------------------ Als er die Augen aufschlug, war es dunkel. Verwirrt stellte er fest, dass er auf beiden Beinen stand, so als hätte er im Stehen geschlafen. Eisiger Regen durchnässte seine Kleidung und ließ ihn vor Kälte zittern, während er langsam vorwärtsschritt und sich dabei blind durch die Schwärze tastete. Als seine suchenden Finger auf einmal Blätter berührten, zog er seine Hand überrascht zurück. Er zögerte kurz, dann kniete er nieder und berührte den Boden. Seine Hände fanden nur nasses Gras und feuchte Erde. Dorian hatte keine Ahnung, wo er war, doch eines stand zweifelsohne fest – es war nicht die Scheune, in der er übernachtet hatte. Er griff nach seinem Stab und beschwor einen kleinen Ball aus Feuer, den er von seiner Handfläche aus in den Himmel steigen ließ. Um ihn herum waren nichts als Bäume und Unterholz zu sehen, doch zwischen den Stämmen konnte er nicht weit entfernt das schwache Flackern eines Feuers ausmachen. Dorian nahm all seinen Mut zusammen und ging darauf zu. Nach einer Weile trat er auf eine Lichtung hinaus – wobei „Lichtung“ das falsche Wort war, wie er schnell erkannte. Es war vielmehr ein Krater, um den kreisförmig umgekippte Baumstämme lagen, als wären sie durch die Druckwelle einer Explosion abgeknickt worden. Viele der Stämme waren verkohlt, doch manche brannten noch und sie waren die Quelle für das Licht, das er gesehen hatte. Dorian sah sich aufmerksam nach dem Auslöser der Explosion um, doch er fand keinen Hinweis darauf, was sie verursacht haben könnte. Die Herkunft des Kraters war ebenso rätselhaft wie sein plötzliches Erwachen im Wald. Er setzte sich vorsichtig auf einen der wenigen unversehrten Baumstämme. Es hatte keinen Sinn, weiter blind durch den Wald zu laufen. Es würde das Beste sein, bis zum Morgengrauen abzuwarten, um herauszufinden, wo um alles in der Welt er war, und dann zu hoffen, dass er seinen Weg zurück zur Zivilisation fand. Während er wartete, den Umhang fest um seine Schultern geschlungen, verunsichert und müde, bemerkte er plötzlich einen grünlichen Schimmer hoch über den Bäumen. Mit offenem Mund stand Dorian auf und trat an den Rand des Kraters, bis er die Ursache für das Licht sehen konnte, das ihm zuvor unter dem Blätterdach des Waldes nicht aufgefallen war. Ein gigantischer, grün leuchtender Mahlstrom drehte sich behäbig über den schneebedeckten Hängen der Frostgipfel am Himmel, nur wenige Dutzend Meilen von Dorians Position entfernt. Alles an ihm schien falsch und verdorben, und ihn auch nur anzusehen, löste tiefes Unbehagen in ihm aus. Dorian konnte förmlich spüren, wie der Schleier um den Riss herum blutete, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Was war bloß mit der Welt passiert, während er geschlafen hatte? Und hatte es etwas damit zu tun, dass er mitten in der Nacht im Wald aufgewacht war? Ein plötzliches Gefühl von Angst ergriff von ihm Besitz, und Dorian nahm seine Sachen und beschloss, nicht länger zu warten, sondern sein Glück zu versuchen und sich auf den Weg zurück zum Dorf zu machen. Er konnte nicht länger hierbleiben, sein Instinkt sagte ihm, dass ihm Gefahr drohte, wenn er länger verweilte. Nach einem letzten Blick hinauf zu dem Riss im Himmel kehrte er ihm schließlich den Rücken zu und tauchte erneut in die Dunkelheit des Waldes ein.   Dorian erwachte schweißgebadet in seiner kleinen Kammer auf der Himmelsfeste. Durch die Fenster fielen die ersten Strahlen der Morgensonne, er konnte also nicht länger als vier Stunden geschlafen haben. Doch er wusste, dass er nicht wieder einschlafen würde, dafür hatte ihn der Traum zu sehr erschüttert. Wäre es nur ein Traum, dachte er bitter und schauderte. Es war seine vierte Nacht in Ferelden gewesen, als der Himmel aufriss und Dorian sich nachts im Wald wiedergefunden hatte. Im Morgengrauen hatte er schließlich das Dorf erreicht, in dem er am Abend zuvor Unterkunft gesucht hatte. Er war nie ein Schlafwandler gewesen, doch in dieser Nacht war er im Schlaf meilenweit durch den Wald gelaufen. Doch zu welchem Zweck? Hatte er die Explosion gehört und war unbewusst losgelaufen, um herauszufinden, was vorgefallen war? Oder war er – und daran wollte Dorian nicht einmal denken – selbst der Auslöser für das Feuer gewesen? Er hatte im Krater noch ein wenig Restmagie spüren können, unmöglich war es also nicht. Und bestand ein Zusammenhang zum Riss, oder war es lediglich reiner Zufall, dass er in der gleichen Nacht auf Wanderschaft gegangen war, in der sich der Himmel geöffnet hatte? Fragen über Fragen, und Dorian hatte bislang auf keine davon eine Antwort gefunden. Seufzend rieb er sich das Gesicht, dann schlug er die Bettdecke zurück und stand auf. Während er frische Sachen aus seinem Schrank zog, warf er einen Blick in den Spiegel, den er vor ein paar Tagen von einem durchreisenden Händler erstanden und an der Schranktür befestigt hatte. Er sah fast noch schlimmer aus, als er sich fühlte, mit blassem Gesicht, tiefen Ringen unter den Augen und in alle Richtungen abstehendem Haar. Bartstoppeln bedeckten seine Wangen und sein Kinn, und auch sein Schnurrbart musste dringend mal wieder gestutzt werden. Dorian schenkte seinem Spiegelbild ein schiefes Grinsen, dann schloss er den Schrank und machte sich auf den Weg zu den Bädern. Die Räumlichkeiten der Burg, die die Bewohner der Himmelsfeste voller Stolz als Bäder bezeichneten, waren kein Vergleich zu den gleichnamigen Einrichtungen in Tevinter. In seiner Heimat war Baden ein sinnliches Erlebnis, und Badehäuser waren Orte der Entspannung und der sozialen Zusammenkünfte – an denen nicht selten auch der ein oder andere politische Mord geplant wurde, aber das gehörte in Tevinter mit zum Alltag. Die Bäder der Himmelsfeste hingegen waren weder beheizt noch ästhetisch anzusehen. Genau genommen handelte es sich dabei um einen großen, höhlenartigen Raum tief unter der Festung, in den mehrere unterschiedlich große Becken direkt in den Stein gehauen worden waren, deren Wasser aus den kalten Quellen des Berges stammte, das durch eine Reihe schmaler Rinnen von einem Becken in das nächste floss. Jeder durfte die Bäder benutzen, unter der Voraussetzung, dass er sie so verließ, wie er sie vorgefunden hatte. Dorian hielt sich nur ungern hier auf. Der Ort war dunkel und kalt, und das Wasser oft schmutzig, wenn er spät am Abend herkam, um zu baden. Hätte er eine eigenen Wanne – oder auch nur den Platz für eine eigene Wanne – würde er mit Sicherheit nicht hier baden. Doch leider blieb ihm keine Wahl. Da es jedoch noch früh am Morgen war, hatte er Glück. Dadurch, dass sich das Wasser auf natürliche Weise mit der Zeit wieder erneuerte, war es um diese Uhrzeit noch frisch und klar, und abgesehen von einem älteren Mann, der in den Ställen arbeitete, hielt sich niemand weiter darin auf. Mit einer Geste seiner Hand erwärmte Dorian das eiskalte Wasser in einem der Becken, bis leichter Dampf von seiner Oberfläche aufstieg, und begann, sich zu entkleiden. Nur wenige Momente später stieg er in das Becken hinein und schloss mit einem Seufzen die Augen, als sich seine Gliedmaßen in dem heißen Wasser allmählich entspannten. Den Kopf an den Beckenrand gelehnt döste er für eine Weile vor sich hin und schlug erst wieder die Augen auf, als er im Gang, der zu den Bändern führte, plötzlich Stimmen hörte. Einen Moment später betrat die Söldnertruppe des Eisernen Bullen den Raum. Sie alle waren schmutzig und sahen aus, als hätten sie gerade einen bewaffneten Konflikt hinter sich, doch sie waren guter Dinge und lachten und scherzten, während sie sich auszogen und sich dann ins benachbarte Becken setzten. Dorian wandte demonstrativ den Blick ab, als ihr Anführer sich als letzter zu ihnen gesellte. Es gab Dinge, die er so früh am Morgen noch nicht entblößt sehen wollte. Stattdessen griff er nach dem Klumpen Seife, den er mitgebracht hatte, und begann sich einzuseifen. Leider ließ man ihn nicht lange in Ruhe. „Serah Pavus!“, rief der Eiserne Bulle, als Dorian gerade dabei war, den Schaum aus seinen Haaren zu spülen. „Könntet Ihr es uns vielleicht ein bisschen wärmer machen?“ Dorian verdrehte die Augen, doch er kam dem Wunsch nach und schnippte mit den Fingern, und einen Moment später gab die Gruppe ein kollektives Seufzen von sich, als sich ihr Wasser langsam erwärmte. „Danke“, sagte der Qunari, und die Anerkennung in seiner Stimme ließ den anderen kurz innehalten, bevor er sich wieder seinen Haaren widmete. „Warum kannst du sowas nicht auch, Krem?“, fragte der Eiserne Bulle seinen Stellvertreter. „Das würde die langen Wochen in der Wildnis wesentlich erträglicher machen. Und du würdest dich nicht ständig über meinen Geruch beschweren.“ Die anderen lachten auf, doch Krem gab nur ein Schnauben von sich. „Soporati, schon vergessen?“, entgegnete er. „Aus Tevinter zu sein bedeutet nicht zwangsläufig, auch Magie im Blut zu haben.“ Dorian musste lächeln. Er und Krem mochten sich nicht besonders, dafür waren ihre Ansichten zu verschieden, doch sie hassten beide die vielen Klischees, die über ihr Heimatland existierten. Nach einer Weile entspannte sich eine lockere Unterhaltung zwischen den Mitgliedern der Gruppe und Dorian war froh darüber, dass sie ihm keine weitere Beachtung schenkten. Zumindest bis er Anstalten machte, aus dem Becken zu steigen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte der Eiserne Bulle leise vom anderen Becken hinüber, während sich Krem und der Zwerg hinter ihm über noch offene Schulden nach dem letzten Tavernenbesuch stritten. Dorian blinzelte überrascht und ließ sich wieder ins Wasser sinken. „Alles ist wunderbar“, entgegnete er. „Warum sollte etwas nicht in Ordnung sein?“ „Weil Ihr nicht gut ausseht“, sagte der andere. Dorian seufzte. Wenn selbst der Qunari gemerkt hatte, dass es ihm nicht gut ging, musste er wohl ein Bild des Elends bieten. Doch er wollte auch kein Mitleid, und so erwiderte er: „Macht Ihr Euch etwa Sorgen um meine Schönheit?“ Der Mundwinkel des anderen zuckte. „Mehr um Eure Gesundheit, um ehrlich zu sein, aber meinetwegen auch das.“ „Euer Interesse an meiner Person ehrt mich“, meinte Dorian mit leichtem Spott. „Ich denke, es könnte wesentlich mehr davon geben“, erwiderte der Eiserne Bulle und musterte ihn von oben bis unten. „Interesse, meine ich. An Euch.“ Er senkte die Stimme. „Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass bisher noch niemand sein Interesse bekundet hat.“ Dorian starrte ihn an, dann drehte er sich um und stand auf. Es gab Momente, in denen er sich bewusst wie ein begehrenswertes Objekt behandeln ließ, doch dies war keiner davon, und es enttäuschte ihn, dass der Qunari ausschließlich auf diese Art über ihn zu denken schien. Dorian hätte mehr von ihm erwartet. Er war schon halb aus dem Becken, als hinter ihm ein lautes Platschen ertönte, und sich kurz darauf eine große Hand um seinen Oberarm schloss. Die restlichen Söldner stießen überraschte Rufe aus, doch der Eiserne Bulle ignorierte sie. „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Meine Worte waren unüberlegt, ich habe es nicht so gemeint.“ Dorian blieb stehen, doch er wagte es nicht, sich zu dem anderen herumzudrehen. Nicht nur, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, sondern auch, um seinen viel zu nackten Körper nicht anstarren zu müssen. „Ich schätze Euch sehr als Person“, fuhr der Qunari fort und ließ ihn schließlich wieder los, „und das wird sich nicht ändern, egal, was ich sonst noch für Euch empfinden mag.“ Dorian seufzte. Schließlich wandte er sich doch zu dem anderen um, den Blick dabei fest auf sein vernarbtes Gesicht gerichtet. „Danke“, sagte er. „Für Eure Ehrlichkeit.“ Er zögerte, dann überwand er schließlich seinen Stolz und fuhr fort: „Und auch für das, was Ihr vorher gesagt habt. Es... fällt es mir schwer, Freundschaft dort zu sehen, wo sie ohne Hintergedanken angeboten wird. Ich hoffe...“ Er schluckte, während der Qunari ihn aufmerksam aus seinem verbliebenen Auge ansah. „Ich hoffe, Ihr könnt mir meine Reaktion verzeihen.“ Der andere sah ihn für einen Moment wortlos an, doch dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Immer“, erwiderte er. Dann hob er die Stimme. „Meine Jungs und ich feiern heute Abend ein wenig in der Taverne. Ihr seid herzlich dazu eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten. Krem gibt einen aus.“ „Hey!“, ertönte hinter ihm der Protestruf seines Stellvertreters. „Er kann es kaum erwarten“, fügte der Eiserne Bulle hinzu und zwinkerte Dorian zu. Der andere erwiderte zögerlich das Lächeln. „Ich werde darüber nachdenken“, sagte er. Und nachdem er sich wieder angezogen und die Bäder hinter sich gelassen hatte, stellte er fest, dass er seine Worte ernst gemeint hatte.   Aufgrund des sonnigen Wetter beschloss Dorian, sich in der Nähe des Übungsplatzes in den Hof zu setzen, um dort seine Lektüre fortzuführen. Doch diese wurde nur wenige Stunden später auch schon wieder unterbrochen, als die Inquisitorin mit ihrem Gefolge von ihrer Reise zu den Dales zurückkehrte. Sie alle wirkten erschöpft, selbst Solas, aber ihnen war die Zufriedenheit über den positiven Ausgang ihrer Mission anzusehen, und als Cullen der jungen Frau vom Pferd half, entging Dorian das Leuchten in ihren Augen nicht. Er fühlte einen seltsamen Stich in der Brust, als er den vertrauten Umgang der beiden miteinander sah – sah, wie Cullen eine Hand auf ihren Rücken legte, um sie zu stützen, und wie Lavellan sich erschöpft, aber dankbar an ihn lehnte. Er fragte sich, ob er zu viel in diese Nähe zwischen ihnen hineininterpretierte, oder ob sie tatsächlich mehr miteinander verband, als nur Freundschaft. Doch sobald ihm klar wurde, wohin diese Gedanken führten, schüttelte er verärgert den Kopf und klappte sein Buch zu, bevor er aufstand, um Lavellan zu begrüßen. Was zwischen den beiden war, ging ihn nichts an, und nur, weil er vor einigen Wochen beim Schachspiel ein paar seltsam gemischte Signale von dem Kommandanten empfangen hatte, bedeutete das nicht, dass Cullen nicht ganz offensichtlich in die junge Frau vernarrt war. Und Dorian, der mit dem Gefühl vertraut war, ein unliebsames Geheimnis zu sein, und es aus tiefstem Herzen hasste, stand über diesen Dingen. Er würde die Fehler seiner Vergangenheit nicht wiederholen, nicht hier. Wenn er sich mit jemandem einließ, dann nur zu seinen Bedingungen. Und während er der Inquisitorin zu ihrem Erfolg gratulierte und sie mit ein paar gezielten, charmanten Bemerkungen zum Lachen brachte, gewann die Einladung des Qunari immer mehr an Reiz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)