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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass sich das neue Kapitel um einen Tag verspätet, aber aufgrund der Connichi hat es keinen Sinn gemacht, es schon am Sonntag hochzuladen. :)
Im Übrigen noch mal eine große (!) Spoiler-Warnung für dieses Kapitel! Komplett anzeigen

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Solas

Im Turm herrschte Stille.

Staub wirbelte auf, als sich die Tür öffnete. Das Licht der Sonnenstrahlen, die durch die schmalen, hohen Fenster fielen, brachte die tanzenden Flocken zum Leuchten. Die Treppe, die zum obersten Zimmer hinaufführte, existierte an manchen Stellen nicht mehr; die morschen, von Holzwürmern zerfressenen Stufen waren schon vor vielen Jahrhunderten unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen und in die Tiefe gestürzt.

Die Inquisition hatte es bislang nicht als Priorität erachtet, das Turmzimmer zurückzugewinnen, darum hatten die Bauarbeiten in diesem Teil der Festung noch nicht begonnen.

Was bedeutete, dass er der erste war, der seit über tausend Jahren diesen Ort betreten würde.

Solas schloss die Augen und legte beide Hände um seinen Stab, während er mit der Kraft seiner Gedanken den Schleier durchstieß und pure Magie aus ihm bezog, die er mit Hilfe des Stabes kanalisierte und verstärkte. Als er die Lider wieder hob, war die Welt zur Seite gekippt. Der Turm war kein Turm mehr, sondern ein langer Korridor, in den die scharfkantigen Überreste der Treppe wie Speere hineinragten.

Behutsam setzte er einen Fuß auf die Wand des Turms, dann begann er zu laufen. Er umrundete die hölzerne Treppe, wo es möglich war, und kletterte vorsichtig darüber hinweg, wo es sich nicht vermeiden ließ. Vor den Fenstern im Turm nahm er sich besonders in Acht, und machte stets einen großen Schritt darüber hinweg. Sollten sie unter seinem Gewicht zerbrechen, dann würde ihn keine Macht der Welt vor einem endlosen Fall bewahren können.

Schließlich hatte er den obersten Absatz der Treppe erreicht. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und griff erneut auf seine Magie zu, und einen Augenblick später kippte die Welt wieder zurück. Als er einen flüchtigen Blick über das Geländer warf, gähnte darunter nun der tiefe Treppenschacht. Die Tür zum Turmzimmer klemmte etwas, doch sie war unverschlossen, und nachdem er sich dagegengestemmt hatte, öffnete sie sich schließlich.

Es war erstaunlich zu sehen, wie wenig sich der Raum – sein Raum – verändert hatte, seitdem er zum letzten Mal hier gewesen war. Obwohl die Fenster weit offen standen, hatten die Möbel sowohl Wind als auch Wetter überlebt.

Das kreisrunde Bett stand noch immer unversehrt an der Wand, flankiert von zwei täuschend echt aussehenden Wolfsstatuen, die in den vielen Jahrhunderten kaum Verwitterung erfahren hatten. Selbst der Bettbezug existierte noch, unberührt von Schimmel und Feuchtigkeit.

Solas betrachtete es für einen Moment, dann streckte er mit wehmütigem Lächeln die Hand nach Bett und Statuen aus und wisperte ein paar leise Worte, und unter seinen Fingern zerfielen sie zu Staub.

Die mit dunklen Juwelen besetzten Kommoden an den Wänden und die lange Tafel mit den hohen, mit Schnitzereien verzierten Stühlen ereilte das gleiche Schicksal. Stück für Stück wurden sie unter seinen Händen zu Staub, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, die nur noch in seinem Herzen weiterlebte.

Doch er durfte keine Spuren hinterlassen. Die Himmelsfeste gab ihren neuen Bewohnern schon genug Rätsel auf, und wenn sie diesen Raum erreichten und erkannten, wem die Festung früher gehört hatte, dann würde sich seine Aufgabe sehr viel schwieriger gestalten. Er durfte keine unnötigen Risiken eingehen.

Die Wandmalereien ließen ihn jedoch für einen Augenblick zögern. Sie bedeckten alle vier Wände vom Boden bis zur Decke, und obwohl die Farben nicht mehr so kräftig waren, wie damals, waren die Motive noch immer gut zu erkennen. Sie zeigten Szenen des Alltags der Elvhen: Krieger bei der Jagd, eine Frau, die ihr Kind stillte, ein Paar beim Tanz... Momente schlichten Glücks, die er in Bildern festgehalten hatte. Und in jeder Szene war der Schatten eines sechsäugigen Wolfes zu erkennen, der aus der Ferne über die Elfen wachte und ihren Frieden bewahrte.

Er erinnerte sich an die langen Stunden, die er damit zugebracht hatte, diese Bilder zu malen, an den erdigen Geruch der Farben und die Ruhe und Ausgeglichenheit, die ihn erfüllt hatten, als er die Farben auf die Wand aufgetragen hatte.

Doch wie alles andere in diesem Raum konnten auch sie nicht bleiben.

Er streckte den Arm aus, und wo seine Fingerkuppen die Wand berührten, verblassten die Farben nach und nach, bis die Malereien schließlich verschwunden waren.

Was am Ende blieb, war ein leerer Raum, dessen Boden von einer dicken Staubschicht bedeckt war.

Solas drehte sich langsam um die eigene Achse, während sein Blick über die kahlen Wände glitt. Dies würde nicht das Ende sein, sondern ein Neuanfang, das wusste er. Warum fühlte es sich dennoch so an, als hätte er Elvhenan mit der Auslöschung der Bilder den letzten Todesstoß verpasst...?

Doch er zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen, sie würden ihn nicht weiterbringen.

Er ging zur Tür und verwischte dabei sorgfältig seine Spuren im Staub. Dann verließ er das Zimmer, ohne noch einmal zurückzublicken.

 

„Was für ein eigenartiger Raum“, sagte Lavellan, während sie das Mosaik im Zentrum des Rundturms betrachtete. „Ich frage mich, wofür er einst gedient hat.“

„Vielleicht war er ein Ort der Anbetung...?“, vermutete Cullen. „Ähnlich einer Kapelle.“

„Möglich“, stimmte Cassandra zu. Dann hob sie den Kopf und sah zu dem ringförmigen Raum hinauf, der die neueingerichtete Bibliothek beherbergte. „Von den oberen Rängen kann man alles, was hier unten passiert, auf jeden Fall gut mitverfolgen.“

Solas behielt seine Gedanken für sich und kniete neben dem verschlungenen Muster des Mosaiks nieder. Er kannte als einziger die Geschichte dieses Raumes – des Ortes, an dem er damals Himmel und Erde voneinander getrennt und den Schleier erschaffen hatte, der den Elfen ihre Unsterblichkeit nehmen sollte. Der Akt hatte Elvhenan unbeschreibliches Leid gebracht, doch er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, die Macht der Evanuris zu brechen und seinem Volk ein noch wesentlich schlimmeres Schicksal zu ersparen.

„Habt Ihr schon eine Verwendung für ihn gefunden?“, hörte er die Inquisitorin nach einer Weile fragen.

„Ihr könntet ihn als Arbeitszimmer nutzen“, schlug Cullen vor und sah zu Josephine hinüber. Doch sie schüttelte nur den Kopf, und Solas atmete innerlich auf.

Allein der Gedanke, dass jemand anderes als er selbst diesen Raum für seine trivialen Tätigkeiten nutzen könnte, ließ ihn die Zähne zusammenbeißen.

„Zu öffentlich für private Empfänge und Briefwechsel mit dem Adel“, entgegnete Josephine. Dann rümpfte sie die Nase. „Von den Raben im obersten Stock ganz zu schweigen... Was selbstverständlich kein Vorwurf sein soll“, fügte sie schnell hinzu und warf einen entschuldigenden Blick hinüber zu Leliana.

Doch diese winkte nur ab.

„Was ist mit Euch?“, fragte sie dann an Cullen gewandt. „Hättet Ihr Verwendung für diesen Raum?“

„Ich habe mich bereits im Turm gegenüber eingerichtet“, entgegnete der Kommandant jedoch nur. „Und ich muss Josephine zustimmen – hier gibt es zu viele Augen und Ohren, die unsere Arbeit belauschen könnten. Ich kann ein solches Risiko nicht eingehen.“

„Überlasst ihn mir“, sagte Solas plötzlich leise, und alle Augen richteten sich auf ihn.

Langsam erhob er sich und ließ den Blick über die hohen, leeren Wände schweifen.

„Dieser Raum hat viele Ausgänge und wird täglich von zahlreichen Personen durchquert“, fuhr er fort. „Ich möchte ihn deshalb gerne dafür nutzen, die Geschichte der Inquisition zu dokumentieren und alle, die ihn passieren, an unseren bisherigen Errungenschaften teilhaben zu lassen.“

Die Berater machten zweifelnde Gesichter, doch in Lavellans Blick sah er Interesse.

„Eine ungewöhnliche Idee“, meinte sie. „Was genau habt Ihr euch vorgestellt?“

„Nun, die Wände sind hoch und eben“, entgegnete er. „Eine bessere Leinwand könnte ich mir nicht wünschen.“

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, doch dann hob sie überrascht die Augenbrauen.

„... Ihr wollt malen“, sagte sie. „Ihr wollt die Geschichte der Inquisition in Bilder fassen?“

„Das war meine Absicht.“ Er lächelte.

Sie lachte auf.

„Ich wusste nicht, dass ein Künstler in Euch steckt, Solas“, sagte sie warm.

Es gibt vieles, das Ihr nicht über mich wisst, dachte er mit einem seltsamen Anflug von Bedauern, doch er behielt die Worte für sich.

Lavellan wandte sich an ihre Berater. „Was haltet Ihr von der Idee?“

Cassandra und Cullen tauschten einen Blick und zuckten dann mit den Schultern.

„Warum nicht“, meinte Cassandra und der Kommandant nickte.

„Ich bin gespannt, Eure Werke zu sehen, Solas!“, verkündete Josephine mit leuchtenden Augen.

Nur Leliana schien misstrauisch, aber das konnte bei ihr viele Gründe haben, darum ließ Solas sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich danke Euch“, sagte er ruhig und verbeugte sich knapp, bevor er sich abwandte und ging, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Er mochte eine Geschichte aus der Erinnerung gelöscht haben, doch nun hatte er die Möglichkeit, eine neue zu beginnen.



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