For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 15: Lavellan -------------------- Sie kamen nur langsam voran. Der Himmel blieb in den nächsten Tagen klar, und tagsüber schien die Sonne warm auf sie herab, doch die Nächte waren dafür umso kälter, und es wurde jeden Abend schwerer, genügend Holz für die Lagerfeuer aufzutreiben. Oft wanderten sie über kahlen Fels oder schneebedeckte Berghänge, denn es gab keine Wege, die durch das Gebirge führten. Manchmal stießen sie jedoch auf die Überreste längst zerfallener Straßen, denen sie für eine Weile folgten, und die laut Dorian selbst die Kaiserlichen Hochwege Tevinters, das vor mehr als tausend Jahren diesen Teil von Thedas beherrscht hatte, an Alter übertrafen. Varric schüttelte jedoch nur den Kopf, als Ellana ihn danach fragte. „Ich bezweifle, dass es zwergische Arbeit ist“, erwiderte er. „Zu dieser Zeit haben unsere Vorfahren noch wesentlich grobschlächtiger gebaut, ein solch nahtloses Straßenpflaster wäre ihnen damals noch nicht gelungen.“ „Wenn es nicht Zwerge waren, die diese Straßen errichtet haben, und Tevinter damals noch nicht in diesen Teil der Welt vorgedrungen ist... dann gibt es nur eine Erklärung“, meinte Dorian und warf einen vielsagenden Blick zu Solas hinüber, der ein Stück vor ihnen lief und sich bisher nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, auch wenn er jedes Wort davon gehört haben musste. „Stimmt es?“, fragte Ellana, als sie zügigen Schrittes zu dem Elf aufholte. „Könnten diese Wege tatsächlich Überreste der Hochkultur von Elvhenan sein?“ Ein kleines Lächeln spielte um Solas‘ Lippen, das jedoch schnell wieder seiner üblichen, gefassten Miene wich. „Möglich wäre es“, entgegnete er. „Unser Volk war damals zu Dingen fähig, von denen wir heute nur träumen können. Ich sah Schatten ihrer Bauten im Nichts, lethallan, und sie waren atemberaubend. Die Elfen bauten Straßen und Paläste, die für die Ewigkeit errichtet waren... und auch für alle Ewigkeit bestanden hätten, wäre es nicht anders gekommen.“ „Die Menschen“, meinte Ellana. „Sie waren es, die alles verändert haben, ist es das, was Ihr sagen wollt?“ „Elvhenan wäre auch ohne ihre Ankunft dem Untergang geweiht gewesen“, erwiderte Solas und ein wehmütiger Ausdruck trat in seine Augen. „Es war uns damals nur noch nicht bewusst.“ Er klang für einen Moment so verbittert, dass der Drang in ihr erwachte, ihn zu berühren, um ihn spüren zu lassen, dass sie bei ihm war und nicht vorhatte, ihn in diesem Augenblick allein zu lassen. Es war einer dieser Momente, in denen sie fühlen konnte, dass er noch mehr sagen wollte, sich jedoch absichtlich zurückhielt... und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso. „Immer, wenn Ihr von diesen Dingen sprecht, macht es Euch traurig“, sagte sie leise und sah ihn an. „Warum seid Ihr so traurig...?“ Für einen Moment entgleiste ihm seine sorgfältig konstruierte Fassade und er blickte sie mit Erstaunen an, als hätte ihre unschuldige Frage es tatsächlich geschafft, seine Abwehr zu durchdringen. „Ich frage mich oft, was hätte sein können“, entgegnete er nach einer Weile und wandte den Blick wieder ab. „Was unser Volk noch alles hätte erreichen können, wenn es nicht der Dekadenz verfallen wäre. Es macht mich traurig, dass mit dem Untergang von Elvhenan so viel Wissen verloren ging... so viel Potential. Aber das ist wohl das Schicksal aller großen Zivilisationen.“ Sie nickte. Sie teilte nicht den gleichen, tiefen Schmerz bei dem Gedanken, wie er, doch würde sie täglich im Nichts mit den uralten Geistern jener längst untergegangen Zivilisation kommunizieren, würde sie zweifellos ähnlich empfinden. „Ihr habt Recht“, sagte sie schließlich. „Doch es war vor langer Zeit, und es gibt nichts, was Ihr hättet tun können, um es zu verhindern.“ Ein Ausdruck von Pein flackerte kurz in seinen Augen auf, doch er war so schnell verschwunden, dass sie sich nicht sicher war, ob sie ihn sich nur eingebildet hatte. „Nein“, meinte er. „Vermutlich nicht.“ Dann hüllte er sich wieder in Schweigen.   Der Weg wurde Stunde für Stunde beschwerlicher. Je weiter sie in das Gebirge vordrangen, desto häufiger waren sie gezwungen, längere Pausen einzulegen, während die Kundschafter einen Weg um klaffende Schluchten herum suchten, oder die ungefährlichste Passage durch einen der vielen schnell fließenden Gebirgsbäche hindurch austesteten. Oft kam es dabei zu Unfällen, und in fast jeder Nacht zog eine neue Prozession durch das Lager, um den Verlust der Toten zu beklagen. Ellana stand dabei stets vor ihrem Zelt und zwang sich, die weißgekleideten Gestalten anzusehen und sich die Gesichter jener, die tödlich verunglückt waren, in Erinnerung zu rufen. Als sie eines Nachts wieder im Eingang ihres Zeltes stand, trat plötzlich Cullen an ihre Seite, und verfolgte mit den Augen wortlos den Trauerzug. „Es wird nie einfacher, oder?“, fragte sie leise. „All diese Verluste mit anzusehen, meine ich.“ Seit dem Fall von Haven war bereits eine Woche vergangen – eine Woche, in der sie mindestens zwanzig Männer und Frauen verloren hatten – und ihr Herz wurde mit jedem Tod müder und schwerer. Cullen warf ihr einen kurzen Blick zu. „Wenn es je einfach wird, dann legt unverzüglich Euer Schwert nieder“, entgegnete er ruhig. „Denn wenn es nichts mehr gibt, was Euch noch berühren kann, dann seid Ihr nicht länger geeignet, uns anzuführen.“ Sie sah ihn an. Seine Worte gaben ihr zu denken. Was habt Ihr erlebt?, fragte sie sich. Wer hat Euch so verletzt, dass dies die Lehre ist, die Ihr aus Eurem Leiden gezogen habt? Während der langen Abende in Haven hatte sie manchmal Gerüchte gehört, die die Soldaten einander hinter vorgehaltener Hand erzählt hatten: Geschichten von Kirkwall und der Templer-Kommandantin Meredith, die über Jahre hinweg immer mehr dem Wahnsinn verfallen war, ohne dass es jemand gemerkt hatte... und von Cullen, der sich ihr erst dann widersetzt hatte, als Hawke ihm keine andere Wahl mehr gelassen hatte, der jedoch von vielen der Verbrechen gewusst haben sollte, die die Templer an den Magiern verübt hatten. Ellana hatte nie herausgefunden, wie viel Wahrheit in diesen Gerüchten steckte, und sie hatte sie auch nicht bewusst weiter verfolgt. Es hätte ihr das Gefühl gegeben, Cullen zu verraten, der als einziger die Entscheidung darüber treffen sollte, wem er seine Geheimnisse anvertraute – oder wem er sie verweigerte. Und sie respektierte den Mann, der er jetzt war, zu sehr, um ihn auf diese Weise zu hintergehen. Darüber hinaus zweifelte sie nicht daran, dass ihn bereits seine ganz eigenen Dämonen quälten, und sie hatte nicht vor, sein Leid zu vergrößern. Erst recht nicht in ihrer momentanen Situation. Doch obwohl der Kommandant schon seit Tagen mindestens ebenso erschöpft aussah, wie sie sich fühlte, schien ihn pure Willenskraft weiter anzutreiben. Dabei hatte er am Anfang noch gezweifelt und seine Bedenken geäußert, als sie von ihrem Plan erzählt hatte, weiter in das Gebirge vorzudringen. Doch schon wenige Tage später hatte sich seine Haltung auf einmal verändert. Er hatte begonnen, ihren Marsch durch die Berge, den er zuvor noch als aussichtlos bezeichnet hatte, offen zu unterstützen, und sein unerschütterlicher Glaube an sie hatte ihr auch etwas von dem Glauben an sich selbst zurückgegeben. Ihre Überlebenschancen sanken von Tag zu Tag, doch nicht die Moral der Truppen. Und wann immer den Soldaten Zweifel kamen, sprach Cullen ihnen mit ruhiger Stimme und gefasster Miene neuen Mut zu, bis auch die letzten Zweifler ihre Bedenken vergaßen und ihren Weg fortsetzten. Ellana hatte keine Ahnung, wie er es tat, doch er hatte Erfolg – und sie war unendlich dankbar dafür, ihn an ihrer Seite zu haben.   Doch auch wenn die Inquisition vorerst auf ihrer Seite war, wusste sie, dass sie ihre Wanderung nicht ewig fortsetzen konnten. Die Vorräte begannen bereits knapp zu werden, und wenn ihre Reise noch eine weitere Woche andauern sollte, dann würden sie bald anfangen, Hunger zu leiden. Am Vormittag des achten Tages ihrer Reise trat Ellana neben Solas, der mit langsamen, aber gleichmäßigen Schritten an der Spitze des Zuges lief und sein Ziel deutlich vor Augen zu haben schien. „Verzeiht die Frage, Solas“, sagte sie, „aber könnt Ihr mir sagen, wie viele Tagesreisen noch vor uns liegen?“ Er richtete den Blick auf sie, ohne dass sich seine Schritte dabei verlangsamten, und sie sah einen Hauch von Unmut auf seinem Gesicht, der jedoch schnell wieder verschwand. „Zweifelt Ihr daran, dass ich Euch an Euer Ziel führen werde?“, entgegnete er sanft. Ihr war klar, dass diese Frage aus seiner Perspektive berechtigt war, doch für einen Moment war sie von seinen Worten so verletzt, dass ihre Schritte stockten. „Folge ich Euch denn nicht durch das Gebirge?“, fragte sie schließlich ihrerseits, Verbitterung in der Stimme. „Und mit mir die gesamte Inquisition?“ Dieses Mal blieb er stehen. Er dachte für eine Weile nach, während er sie aufmerksam ansah. „Verzeiht“, sagte er schließlich. „Meine Bemerkung war arrogant und unüberlegt. Auf Euren Schultern lastet eine große Verantwortung und es war Euer gutes Recht, diese Frage zu stellen.“ Sie machte mit der Hand eine kurze Geste. Die ganze Situation war ihr plötzlich sehr unangenehm. „Es sei Euch verziehen“, sagte sie mit geröteten Wangen, bevor sie erneut den Blick hob und ihr ansah. „Doch meine Frage bleibt“, fuhr sie fort. „Es ist nicht so, dass ich Euch nicht vertraue – das tue ich, Solas – doch von Hoffnung allein kann die Inquisition auf Dauer nicht leben. Wir brauchen einen geschützten Ort, an dem wir bleiben können... und das bald.“ Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung. Solas hob das Kinn und blickte nach vorn, hinauf zur Spitze des Berges, dessen Hänge sie schon seit dem Morgengrauen hinaufwanderten. „Es sind viele Jahre vergangen, seitdem ich diese Wege beschritten habe“, antwortete er schließlich. „Unser Ziel könnte hinter diesem Berggipfel liegen, oder vielleicht auch erst hinter dem nächsten. Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Alles, was ich weiß, ist, dass wir es fast erreicht haben.“ Er sah sie an. „Zwei Tage, lethallan. Länger werden wir nicht mehr brauchen.“ Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie diese Worte hörte. Zwei Tage – das war sogar noch weniger, als sie vermutet hatte. In zwei Tagen würden sie wieder ein Dach über dem Kopf haben, unter dem sie in Ruhe ihr weiteres Vorgehen planen konnten. „Das sind wundervolle Nachrichten“, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln. „Ich danke Euch, Solas.“ Seine Augen weiteten sich, als er die offene Freude auf ihrem Gesicht sah. Dieses Mal war er es, der zuerst den Blick abwandte, so als würde ihre Dankbarkeit ihn verlegen machen. „Es ist nicht der Rede wert“, sagte er nur, und seine Körperhaltung signalisierte ihr, dass er für den Moment in Ruhe gelassen werden wollte. Sie respektierte seinen Wunsch und ließ sich wieder ein Stück zurückfallen, doch das Lächeln verschwand für den Rest des Vormittages nicht von ihrem Gesicht.   Die letzten Strahlen der Abendsonne brachten die umliegenden Gipfel zum Leuchten, als sie schließlich die Spitze des Berges erreichten und hoch oben auf dem nächsten Berggipfel, nur wenige Meilen entfernt, eine Festung erblickten, deren imposante Mauern der Ewigkeit selbst zu trotzen schienen. Jubel brach aus, als die erschöpften Wanderer das Ziel ihrer Reihe sahen. Und während Ellana neben Solas von einem Felsvorsprung aus zur Festung hinüberblickte, griff er nach ihrer Hand und drückte sie warm, und das Glücksgefühl, das in diesem Augenblick in ihr aufstieg, hatte nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass sie endlich an der Himmelsfeste angekommen waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)