For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 5: Cullen ----------------- Es vergingen fast zwei Wochen, bis Cullen wieder die Gelegenheit bekam, sich allein mit der Heroldin zu unterhalten. Es dämmerte bereits, als er seinen letzten Rundgang durch das Lager der Inquisitionstruppen beendete und beschloss, an diesem Abend noch einen Spaziergang am Ufer des zugefrorenen Sees vor den Toren von Haven zu machen. Für einen Moment hatte er mit dem Gedanken gespielt, Varrics Einladung vom späten Vormittag anzunehmen und sich mit dem Zwerg und dem neuesten Mitglied des inneren Kreises, einem hünenhaften Qunari namens Eiserner Bulle, zu einem Bier in der Taverne zu treffen, doch ihm war an diesem Abend nicht nach Wein und Gesang zumute. Zudem hätte der Alkohol die hämmernden Kopfschmerzen, die ihn schon den ganzen Tag über gequält hatten, nur verstärkt, und darauf konnte Cullen gut verzichten. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt schlenderte er am Ufer des Sees entlang, dessen gefrorener Sand bei jedem Schritt unter seinen Füßen knirschte, und versuchte, seinen Kopf frei von jeglichen Sorgen und Gedanken zu machen. Mit der Zeit beruhigte sich sein Atem, und als er schließlich auf einem der Stege verharrte, die in den See hineinragten, und zum nächtlichen Himmel hinaufsah, befand er sich in einem fast meditativen Zustand. So hörte er auch die Schritte nicht, die sich ihm näherten, und die Stimme, die wiederholt seinen Namen rief. Erst, als er spürte, wie Finger nach seiner Hand griffen, erwachte er aus seiner Trance, und drehte sich überrascht um. „Wer–? Ah, Ellana!“ Er räusperte sich, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Ich hatte Euch nicht erwartet.“ „Für einen Moment dachte ich, ich hätte den falschen Mann erwischt, weil Ihr nicht geantwortet habt“, erwiderte sie und lächelte. „Wie peinlich das für beide Seiten gewesen wäre...“ „Verzeiht, ich... ich war mit den Gedanken woanders“, murmelte Cullen und sah sie dabei nicht an. Lavellan musterte ihn für einen Moment wortlos und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich sollte mich entschuldigen. Das war gedankenlos von mir. Ich hätte nicht ungefragt Eure Ruhe stören sollen.“ Doch Cullen winke nur ab. „Mach Euch keine Sorgen darum. Um ehrlich zu sein freue ich mich über etwas Gesellschaft.“ Lavellan atmete erleichtert auf und trat nach kurzem Zögern an seine Seite, und gemeinsam sahen sie für eine Weile schweigend auf den zugefrorenen See hinaus – zwei Krieger, die nach einem langen Tag einen Moment der Ruhe genossen. Es war eine Stille, die Cullen begrüßte, denn sie war nicht angespannt, sondern kameradschaftlich und ungezwungen, als würden sie einander schon seit vielen Jahren kennen. Nach ein paar Minuten begann er schließlich wieder zu sprechen, leise, und ohne Lavellan dabei anzusehen. „Wie geht es Euch, Ellana?“ Er spürte ihren Blick auf sich und zögerte für einen Moment fortzufahren, doch dann überwand er sich und stellte die Frage, die ihn in den letzten Tagen häufig beschäftigt hatte. „Das letzte Mal, als wir miteinander sprachen, wirktet Ihr aufgebracht, als–“ Er machte eine vage Geste und sprach den Satz nicht zu Ende, doch sie schien auch so zu verstehen, was er meinte. „Geht es euch mittlerweile wieder besser?“ „Oh“, meinte sie. Und dann, nach kurzem Schweigen: „Nun...“ Sie rieb unbewusst ihr Handgelenk, eine Bewegung, die Cullen nicht entging. „Es gab ein Missverständnis“, sagte sie schließlich. „Nichts weiter.“ Sie sah auf die gefrorene Fläche des Sees hinaus. „Ich dachte, ich würde ihn kennen“, fuhr sie leise fort. „Doch offenbar habe ich mich geirrt.“ Also hatte Cullen mit der Vermutung, dass ihr Verhalten Solas gegenüber etwas mit den Namen auf ihrem Handgelenk zu tun gehabt hatte, richtig gelegen. „Und was sagt Euch Euer Gefühl?“, fragte er und hätte sich aus Verärgerung über seine Direktheit fast auf die Zunge gebissen. Das geht dich verdammt noch mal nichts an, Rutherford. Doch Lavellan schien sich nicht an seiner Neugier zu stören. Stattdessen begannen ihre Augen feucht zu glänzen, als sie erwiderte: „Mein Gefühl sagt mir, dass ich dennoch Recht habe.“ Sie klang so hilflos und verletzt, dass Cullen nicht anders konnte, als nach ihrer Hand zu greifen und sie sacht zu drücken. „Sagt mir, wie ich im Unrecht sein kann, wenn ich jedes Mal all diese Dinge fühle, wenn ich ihn ansehe...?“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, beschämt von ihrer Reaktion. Cullen tat, als hätte er die Geste nicht gesehen, und wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte. „Verzeiht“, sagte sie, dieses Mal wieder etwas gefasster. „Ich dachte, ich hätte mich mittlerweile besser unter Kontrolle.“ Doch Cullen schüttelte nur den Kopf. „Eure Gefühle sind nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsstet.“ „Wäre ich nicht in meiner derzeitigen Position, würde ich Euch fast glauben“, erwiderte sie jedoch nur und zwang sich zu einem Lächeln. Ihre Worte stimmten Cullen traurig, doch ihr zu widersprechen hätte bedeutet, sie anlügen zu müssen. Denn es stimmte, dass Lavellan sich nicht ausgesucht hatte, die Heroldin Andrastes zu sein, und sich fortan an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten halten zu müssen, die damit einhergingen, wollte sie – und damit auch die Inquisition – erfolgreich sein. Während er noch überlegte, ob er weitere Fragen stellen oder das Thema lieber gänzlich ruhen lassen sollte, war es Lavellan, die sich stattdessen an ihn wandte. „Darf ich Euch eine Frage stellen, Cullen? Sie ist sehr persönlich und Ihr müsst sie nicht beantworten, wenn Ihr nicht wollt...“ „Nach dem, was Ihr mir gerade anvertraut habt? Gewiss“, entgegnete Cullen und schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Was wollt Ihr wissen?“ Lavellan zögerte für einen Moment, bevor sie sprach: „Habt Ihr jemals ähnliche Zweifel gehegt, wie ich? Als es um diejenige ging, die das Schicksal Euch zugeteilt hat?“ Cullen rieb sich den Nacken. „Nein“, erwiderte er. Er sah, wie Lavellan bei dieser Antwort entmutigt die Schultern hängen ließ, und bevor er seinen Mund daran hindern konnte, fügte er hinzu: „Doch sollte ich ihm jemals begegnen, lasse ich es Euch wissen.“ Für einen Moment herrschte absolute Stille, als sie sich wortlos ansahen – Lavellan mit weit aufgerissenen Augen und Cullen mit zunehmendem Entsetzen über das, was er gerade gesagt hatte. Dann stahl sich ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau und sie sah mit leisem Lachen wieder auf den See hinaus. „Mir scheint, das Schicksal hält für jeden von uns Überraschungen bereit, mit denen wir nicht gerechnet haben“, sagte sie. Und das war alles, was sie dazu sagte. Sie stellte ihm keine weiteren Fragen oder machte gar abfällige Bemerkungen, sondern akzeptierte seine Aussage als das, was sie war. Cullen räusperte sich. „Ellana“, begann er. „Was ich eben–“ „Euer Geheimnis ist bei mir sicher, Kommandant“, erwiderte sie nur und drückte nun ihrerseits beruhigend seine Hand, die noch immer ihre Finger hielt. „Das verspreche ich Euch.“ „Ich...“ Er holte tief Luft. „Danke.“ Und es war, als würde plötzlich eine Last von ihm abfallen, und Cullen wurde bewusst, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, sein Geheimnis jemandem anvertrauen zu können. Sie unterhielten sich noch für eine Weile über andere Dinge – ihren Tagesablauf, den inneren Kreis, die bevorstehende Reise Lavellans nach Val Royeaux – bevor sie nach Haven zurückkehrten, jeder von ihnen mit einem Lächeln auf den Lippen. Keiner von ihnen bemerkte dabei den Elf, der an einem der Lagerfeuer saß und ihnen einen nachdenklichen Blick zuwarf.   Die Wochen vergingen. Lavellan verließ Haven in Begleitung von Cassandra, Varric und Vivienne, um sich der Kirche in Val Royeaux zu stellen und ihre Unterstützung zu erbeten, während Cullen sich in ihrer Abwesenheit mit den logistischen und organisatorischen Problemen herumschlug, die die stetig wachsende Inquisitionsarmee mit sich brachte. Es gab ein Limit an Aufgaben, die er Threnn und Leliana übertragen konnte, und er erreichte es schon seit längerem immer häufiger. Obwohl er bereits begonnen hatte, auch seine Nächte seiner Arbeit zu opfern, quoll sein Schreibtisch bald über von Dokumenten und Cullen sah schließlich ein, dass es nicht so weitergehen konnte. Er bat Josephine, ihm zwei Sekretäre zur Seite zu stellen, die die Anfragen nach Dringlichkeit sortierten und kompetent genug waren, sich um Probleme zu kümmern, die nicht seine unmittelbare Aufmerksamkeit oder Anwesenheit erforderten. Damit schaffte er sich wieder etwas mehr Raum zum Atmen, und nachdem er seine Helfer eingearbeitet hatte, konnte er sich hin und wieder auch wieder anderen Dingen zuwenden. Dazu gehörte auch seine stetige Suche nach dem Ursprung des Namens auf seinem Handgelenk. Die bisher größte Übereinstimmung hatte er in einem dicken Band über die Handelsbeziehungen von Antiva entdeckt, wo der Familienname „Pavi“ weit verbreitet zu sein schien. Doch die Endung wollte nicht so recht passen, und als er den Teil des Buches erreichte, in dem es speziell um die Beziehungen zu Tevinter ging, erkannte er auch, wieso: Namen, die auf der Silbe -us endeten, schienen eher für das Imperium typisch zu sein. „Oh, bitte nicht“, murmelte Cullen, als er das Buch wegpackte und einen schmalen, reichverzierten Band aus dem Regal zog, in dem die wichtigsten Dynastien Tevinters aufgeführt waren. „Bitte lass es keinen dieser Maleficare sein...“ Er kämpfte für einen Moment mit sich selbst, doch der Drang, die Wahrheit zu erfahren, war schlichtweg zu groß, und so schlug er schließlich das Buch auf. Marius, Oktavius, Titus... Nein, zu weit. Er blätterte zögernd wieder ein paar Seiten zurück und fand schließlich den Namen, den er gesucht hatte. Pavus. Cullen schloss die Augen. Er atmete für eine Weile tief ein und aus und wandte dabei die Meditationstechniken an, die er bei seiner Templerausbildung gelernt hatte. Nach ein paar Minuten hatte sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigt und er war gefasst genug, um fortzufahren. Sein Zeigefinger fuhr über die Liste von Namen, die sich unter dem Familiennamen fanden. Hinter jedem von ihnen stand in Klammern der Zusatz „Magisterium“, bis hin zum letzten Mitglied der Familie. Die Aufzählung endete bei einem Lucian Pavus, geboren im Jahr 59 des Gesegneten Zeitalters, Todesjahr unbekannt. Nachkommen waren keine verzeichnet, aber das war nicht überraschend, da das Buch aus dem Jahr 83 desselben Zeitalters stammte und der Mann zu dem Zeitpunkt vermutlich noch keine Kinder in die Welt gesetzt hatte. Seitdem mussten jedoch mindestens zwei weitere Generationen hinzugekommen sein – und eine davon war für Cullen bestimmt. Ihn, einen ehemaligen Templer, der Blutmagie mehr als alles andere verabscheute. Der Erbauer hatte einen seltsamen Sinn für Humor, anders konnte sich Cullen sein Schicksal nicht erklären. Er klappte das Buch wieder zu, überwältigt von der Entdeckung, die er gemacht hatte, und starrte für eine Weile ins Leere. Schließlich erhob er sich wieder von seinem Sitz. „Verzeiht“, wandte er sich an die Schwester, die die Bibliothek der Kirche verwaltete, „aber dieser Band ist schon recht alt. Gibt es möglicherweise noch eine neuere Version?“ „Tut mir leid, Messere“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. „Leider nicht. – Ich kann jedoch eine Anfrage an die Kirche von Recliffe schicken, deren Bibliothek um einiges umfangreicher ist, als die unsere. Dies könnte jedoch ein paar Wochen dauern.“ „Das wird nicht nötig sein“, sagte Cullen mit einem höflichen Lächeln. „Ich danke Euch für Eure Hilfe.“ „Gewiss, Messere“, entgegnete die Frau und nahm den Band von ihm entgegen, um ihn wieder zurück an seinen Platz im Regal zu stellen. Cullen verließ die Bibliothek und kehrte in sein Zimmer zurück, wo er seine Rüstung ablegte, bevor er sich schwerfällig auf sein Bett sinken ließ. Sein Seelenpartner war ein Magister aus Tevinter – Bürger eines Reiches, das Blutmagie tolerierte. Allein der Gedanke daran ließ ihn verbittert auflachen. Wie oft würde ihn das Schicksal noch strafen, bevor er seine Sünden abbezahlt hatte...? Er dachte an Lavellan, die den Namen eines Mannes auf dem Handgelenk trug, der sie entweder ablehnte oder aus unerklärlichen Gründen nicht zu erkennen schien, und er fühlte sich ihr in diesem Moment näher als je zuvor. Ihr hattet Recht, dachte er, als er die Augen schloss. Mit manchen Dingen rechnen wir nicht. Ich wünschte nur, ich hätte wenigstens auf diese Überraschung verzichten können... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)