Straßenecken-Tête-à-Tête von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 8: Beginnende Veränderung --------------------------------- Tokyo, für Kei, bedeutete weniger eine großartige Gelegenheit, als einfach nur zusätzlichen unnötigen Tumult und Anstrengung, auf die er dankend verzichten konnte. Er sah den Wert einer Trainingsgruppe nicht wirklich. Statt das halbe Wochenende nach Tokyo hin und zurück zu fahren, könnten sie genauso gut in Miyagi trainieren, sich womöglich noch ein oder zwei Trainingsmatches organisieren, nachdem das inzwischen durchaus wieder möglich sein sollte mit Karasunos aktueller Reputation, und hätten vermutlich genauso viel gewonnen. Und das ganz ohne all das unnütze Drama.   Es war anstrengend, bevor Takeda ihnen enthüllte, dass sie ihre Prüfungen bestehen mussten, um an dem Camp teilnehmen zu können, und danach wurde es nur noch anstrengender. Zugegeben, es war unterhaltend. Kei zog eine gewisse Befriedigung aus der Verzweiflung, mit sich diverse Hohlköpfe plötzlich in ihre Lernarbeiten stürzten, aber gleichzeitig bedeutete das, dass der Clubraum so viel lauter und nervtötender wurde.   Nach dem ersten Abend, den Kei mit Kopfschmerzen zugebracht hatte, weil alles und jeder durcheinander zu schnattern schien, beschloss er, dass es für seinen Verstand das Gesündeste war, nach dem Training so schnell wie möglich abzuhauen, selbst wenn das bedeutete, dass er unnötig hetzen musste.   Es war ein guter Plan. Er war schon aus dem Clubraum hinaus, noch ehe Kageyama und Hinata angekommen waren. Noch meterweit nach draußen konnte er Nishinoyas empörte Ausrufe hören, weil wieder irgendeine Banalität nicht in seinen dummen Schädel ging. „Tsukki! Warte!!!“ Yamaguchis Stimme ließ Kei für einen Moment innehalten. Er hörte schwere, schnelle Schritte hinter sich, und es dauerte nicht lange, bis Yamaguchi aufgeschlossen hatte. Er klang kaum merklich außer Atem, als er lachte. „Es ist wirklich ganz schön laut. Aber immerhin lernen sie?“ Kei hob die Augenbrauen, sah Yamaguchi in einem Anflug von abfälligem Unglaube an. Sollte ihn das etwa kümmern? Für ihn war es wirklich kein Verlust, wenn diverse Störenfriede zuhause bleiben mussten.   Besonders auf Hinata und Kageyama konnte er dankend verzichten.   Besonders auf Kageyama konnte er dankend verzichten. Im Training benahm der sich zwar den Umständen entsprechend wieder ganz typisch, aber das hieß nicht, dass Kei seine letzten Allüren schon vergessen hatte. Er hätte bei dem Spiel gegen Aoba Jousai gar nicht dabei sein wollen, so war es nicht. Kageyamas Arroganz ging ihm trotzdem erheblich gegen den Strich. Es war Zeit, dass der gute König von seinem hohen Ross hinunterstürzte, und was eignete sich dafür besser, als die Schmach, ein oh so tolles Trainingscamp zu verpassen? „Meinetwegen können sie wieder damit aufhören“, kommentierte er dumpf. Yamaguchi neben ihm lachte hilflos. Kei ahnte, dass da noch etwas kommen würde, das er gar nicht hören wollte. Irgendein Kommentar dazu, dass das Team ohne sein Freak-Duo und seinen brillanten – und unglaublich ätzenden – Libero doch gar nicht weit kommen würde. Dass sie Hinata und Kageyama brauchten. Dinge, die Kei objektiv betrachtet selbst bewusst waren, die ihn ganz subjektiv gerade aber nicht kümmerten. Er warf Yamaguchi einen scharfen Blick zu, gerade, als der den Mund aufmachte, um zu sprechen. Er schloss ihn wieder mit einem ertappten Blinzeln, das Kei nur noch darin bestärkte, schon gewusst zu haben, was der andere von sich geben wollte. Er war so leicht zu durchschauen.   „Tsukishimaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!“   Kei zuckte unwillkürlich zusammen, Yamaguchi neben ihm – nicht. Ein kurzer Seitenblick zeigte etwas auf Yamaguchis Gesicht, das verdächtig nach wissendem Schuldbewusstsein aussah und augenblicklich verfinsterte sich Keis Miene noch mehr. Statt stehen zu bleiben, um auf Hinata zu warten, dessen lautes Geplärre ihm vorauseilte, beschleunigte er seinen Schritt. Dass Hinata sie trotzdem einholte, kam nicht unerwartet, und Kei hatte auch keine Sekunde daran gezweifelt. Er musste es ihm aber genauso wenig auch noch vereinfachen. Was ihn erstaunte, war die Tatsache, dass er nicht alleine war.   Kageyama stand neben ihm, so angespannt, dass es schon beim Zusehen schmerzhaft wurde. Jede Faser seines Seins portraitierte seinen Unwillen, gerade überhaupt hier zu sein. Keis Mundwinkel zuckten amüsiert, während er stehen blieb, um auf ihre beiden neuen Gesprächspartner hinunterzusehen. „Solltet ihr nicht lernen? Oder habt ihr schon aufgegeben, nach Tokyo zu wollen?“ Hinatas Gesicht verzog sich zu einer empörten Grimasse. Kageyama regte sich nicht. Er schien nicht vorzuhaben, sich hier groß zu beteiligen, jedenfalls schloss Kei das aus der Tatsache, dass es Hinata war, der sich steifbeinig vor ihm verbeugte. „Tsukishima-Kun! Du musst mit uns lernen! Oder sag uns wenigstens, wie wir besser lernen können!!!“ Kei blinzelte. Er sah in Hinatas unwillig-hoffnungsvolles Gesicht, legte den Kopf schief, als müsse er über die Antwort nachdenken. Kageyama sah ihn nicht einmal an. Die Antwort lag eigentlich auf der Hand – natürlich wollte er nicht helfen. Andererseits war die Vorstellung tatsächlich unterhaltend, eine Möglichkeit zu haben, Kageyama zusätzlich zu erniedrigen. Er hob die Augenbrauen, lächelte betont freundlich. Hinata war wirklich dumm genug, um bei dem Anblick noch ein bisschen hoffnungsvoller dreinzuschauen.   „Nein.“   Seine Freizeit war ihm zu wertvoll, um sie mit Kageyama zu verbringen. „Ich hab keine Lust.“ – „Bitte!!! Tsukishima! Nur ein paar Minuten nach dem Training! Oder in den Pausen! Oder irgendwann! Du wirst überhaupt nicht merken, dass wir da sind, ehrlich!!!“ Ob er Hinata dazu bringen konnte, sich vor ihm auf die Knie zu werfen? So amüsant der Gedanke war, Kei hatte keinerlei Bedürfnis danach, ihm wirklich näher nachzugehen. „Komm schon, Tsukki. Ein paar Minuten sollten drin sein, oder? Wir müssen den Stoff doch eh selbst wiederholen.“ Verräter. Yamaguchi bekam einen absolut vernichtenden Blick zugeworfen, bevor Kei ihm die kalte Schulter zeigte. Wie lächerlich wäre es, etwas abzulehnen, das kein wirklicher Mehraufwand war, nur, weil er keine Lust auf die Beteiligten hatte? „Ich sehe nicht, wieso ich euch helfen sollte. Hinata, meinetwegen. Er hat immerhin gefragt. Aber ich fürchte, seine Königlichkeit kann hier nicht erwarten, dass sein kleiner Hampelmann irgendetwas für ihn rausschlägt.“   Der wütende Blick auf Kageyamas Gesicht war befriedigend genug, dass Kei erst einmal davon absehen konnte, weiter angepisst von Yamaguchi zu sein. Während Hinata nicht so recht zu wissen schien, was er nun mit der Enthüllung anfangen sollte und Yamaguchi sich wohlweislich raushielt, starrte Kageyama ihn an, als könnte er ihn Kraft seines Blickes zum Einknicken bringen. Konnte er nicht. Kei erwiderte seinen Blick entspannt, hob auffordernd die Augenbrauen. Ich höre. Kageyama sah nicht aus, als würde er den Mund aufkriegen wollen. Er biss die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten. Ob es schlicht daran lag, dass es Kei war, den er um einen Gefallen bitten sollte, oder ob es an ihrem Publikum lag, aber er bekam konsequent kein Wort hervorgebracht. Es war unglaublich unterhaltend. „He. Hinata, komm, wir gehen schonmal.“ – „Eh?“ Hinata blickte verwirrt zu Yamaguchi. Dann zu Kageyama. Dann wieder zurück. Schließlich zu Kei. Es war übelkeiterregend eklig, dass in seinem Blick tatsächlich Sorge lag – Sorge um Kageyamas Noten? Ekelhaft. Schlussendlich entschied er sich dafür, Yamaguchi zu folgen, und die beiden liefen davon. Dadurch, dass Yamaguchi sich nicht einmal gezielt verabschiedete, war Kei sich sicher, dass sie gleich wieder zusammenstoßen würden, irgendwo die Straße entlang.   Einmal allein herrschte Stille zwischen ihnen. Kei hatte nichts zu sagen, und Kageyama schien immer noch unfähig zu sein, seinen Stolz runterzuschlucken und den Mund aufzumachen. „Wenn du was zu sagen hast, dann sag es. Ich habe besseres zu tun, als hier herumzustehen“, sagte er trocken, als auch nach gefühlten Minuten immer noch nichts passierte. Mit einem freundlichen Lächeln lehnte er sich kameradschaftlich zu Kageyama vor, „Und du auch, oder? Lernen zum Beispiel.“ Der Andere gab einen wütenden, knurrenden Laut von sich, ehe er mit einem großen Schritt wieder Distanz zwischen sie brachte. Seine geballten Fäuste zitterten vor Anspannung. „…che Hilfe.“ „Bitte?“ Kei konnte sich das gehässige Grinsen kaum verkneifen, als er eine Hand hinters Ohr legte, um zu unterstreichen, dass er nicht verstanden hatte. „Du musst schon lauter reden.“   „ICH BRAUCHE HILFE, VERDAMMT!!!“   Es war unglaublich erheiternd. Kei presste die Lippen aufeinander, um ein Lachen zu ersticken. Er bedachte Kageyama mit einem grausam-schadenfrohen Blick. So leicht war es nicht. „Und? Such dir jemanden, der dir hilft. Die Zweitklässler? Sugawara-San freut sich sicher auch, wenn seine Schützlinge bei ihm ankommen… Oder wie wäre es mit deinem Liebchen aus der Mittelschule?“ Kageyama wurde blass, soweit Kei das im diesigen Licht einer Straßenlaterne erkennen konnte. Er wurde leichenblass – und dann hochrot vor Wut. Innerhalb eines Wimpernschlags war die Distanz zwischen ihnen Geschichte und Kageyamas Hände an seinem Kragen, die eisigen, blauen Augen bohrten sich in seine, voller Hass, voller Abscheu. Der Anblick war wirklich vertraut geworden in letzter Zeit. „Halt deine verdammte Schnauze! Du hast keine Ahnung!“ „Oh bitte. Ich glaube, ich weiß genug.“ Kei lachte, legte die Hand, die nicht seine Schultasche hielt, an Kageyamas Wange. Der Kerl erstarrte augenblicklich unter der zarten Berührung. „Es ist doch immer das Gleiche mit dir, hm? Wenn du deine Ansprüche nicht irgendwann runterschraubst, wirst du ewig ein einsamer König bleiben~“ Keine Antwort. Keine Reaktion, die über eine hasserfüllte Grimasse hinausging, bevor Kageyama sich mit einem harten Ruck von Kei löste, der ihn allen Ernstes einen Schritt zurückstolpern ließ. Er war sich sicher, dass Kageyama umdrehen und beleidigt abmarschieren würde, um bei nächster Gelegenheit tatsächlich irgendjemand anderen zu belästigen. Vielleicht wirklich Sugawara. Der würde sich darüber wahrscheinlich auch noch freuen. Widerlich.   Kageyama ging nicht.   Er stand da, hochgewachsen, stolz auf eine Art, die gerade eher würdevoll als arrogant wirkte, das Kinn entschlossen erhoben. Kei war sprachlos, und er konnte nicht einmal sagen, warum. Er verstand überhaupt nichts – wieso Kageyama überhaupt noch hier war, wieso Kageyamas Ärger plötzlich Platz gemacht hatte für beinahe vernunftbegründete Entschlossenheit. Seine verkrampften Fäuste hatten sich gelöst.   „Hilf mir.“   Das war keine Bitte, kein Wunsch, keine Aufforderung. Es war vom ersten bis zum letzten Ton ein ganz klarer Befehl. Kei lachte. Langsam, um Kageyama die Möglichkeit zu bieten, jederzeit doch noch wegzulaufen, überbrückte er die kurze Distanz zwischen ihnen. Kageyama rührte sich nicht, sah ihn weiterhin eindringlich an, fordernd, abwartend. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Kei seine Hand nahm. Nur seine Augen weiteten sich kaum merklich in versucht verstecktem Schock. Die Haut des fremden Handrückens war rau unter Keis Lippen, als er einen spöttischen Handkuss darauf hauchte. Er sah aus blitzenden, boshaften Augen zu Kageyama aus seiner halben Verbeugung hinaus auf.   „Wie Ihr wünscht, mein König.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)