Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 08 --------------------- Kapitel 08 Marylin wusste, dass es pure Verzweiflung war, sich auf diese Priester und den südländisch wirkenden Arzt einzulassen, doch es war die einzige Option, die ihr blieb. Nachdem sie ins Irrenhaus eingeliefert worden war, waren ihre Angehörigen darüber informiert worden. Allerdings hatten diese sich einen Dreck darum geschert, was aus Marylin wurde und so hatte sie sich damit abgefunden, dass ihr absolut niemand helfen würde. Dass ausgerechnet diese seltsamen Männer ihre letzte Hoffnung darstellen würden, hätte sie sich allerdings niemals träumen lassen. Derjenige, der in Weiß gekleidet war, immerzu grimmig blickte und einen goldenen Ohrring trug, war inzwischen mit dem älteren Mann zusammen weiter in die Stadt gefahren. Als sie Marylins Wohnung am Stadtrand erreicht hatten, waren lediglich der Typ mit der Augenklappe und der Arzt mit ihr ausgestiegen. Zuerst war es ihr etwas peinlich gewesen, die beiden mit in ihr schäbiges Reich zu nehmen, doch im Angesicht der Tatsache, dass sie sie in einer Irrenanstalt kennen gelernt hatte, erschien ihr die Wohnung bald als die geringere Scham. Die Tapeten an den Wänden bogen sich bereits aufgrund der Feuchtigkeit, die in den Beton darunter gezogen war. Der hellbraune Farbton, der fast wie einzelne Kaffeeflecken aussah, wirkte wenig einladend. Zudem war der Teppich über und über mit den sich hartnäckig jeder Reinigung entziehenden Hinterlassenschaften ehemaliger Vormieter beschmiert, um was es sich dabei im Einzelnen hatte, hatte Marylin nie versucht herauszufinden. Unter dem Ventil der Heizung der Einzimmerwohnung stand ein kleiner Eimer, der bereits bis zur Hälfte vollgelaufen war. Die spärliche Einrichtung erinnerte Artemis ein wenig an die Kammer von Ethos, bis auf die zweckmäßigen und alten Möbel und einer winzigen Küchenecke gab es wenig, das die Wohnung auf irgendeine Art und Weise verschönert hätte. Nichts, außer seiner Bewohnerin. Diese hatte gerade eine große Tasche unter ihrem Bett hervor geholt, um einige Klamotten einzupacken. „Verdienen weibliche Polizisten heute nicht mehr so gut?“, fragte Artemis und schaute an die Decke, als habe er Angst, dass diese jeden Augenblick nach unten stürzen könnte. „Haben wir jemals gut verdient? Ich glaube nicht.“ Damit war das Gespräch für Marylin bereits beendet. Sie würde nicht mehr erzählen, als unbedingt nötig. Immerhin war sie vorrangig daran interessiert, den Mord an Dan aufzuklären und nicht Smalltalk zu führen. Es dauerte nicht lange, bis Marylin alle nötigen Dinge eingepackt hatte. Sie zog den schwarzen Mantel aus, warf ihn auf den Boden und schnappte sich eine neue Hose sowie eine braune Bluse, dann verschwand sie kurz im Badezimmer. Als sie wieder zurückkam, sah sie bereits wesentlich besser aus. Ihr Gesicht war frisch gewaschen und die durchnässte Jeans war einer dunklen Tuchhose gewichen. Die Bluse, die sie nun trug, schmeichelte ihrer sportlichen Figur wesentlich mehr als das neutrale Shirt, das sie in der Anstalt getragen hatte. Lustlos setzte sich die junge Frau auf ihre Tasche und stützte das Kinn in ihre Handflächen. „Ich würde Ihnen ja etwas zu essen oder einen Stuhl anbieten, aber ich befürchte, dass ich nichts in meinem Kühlschrank finden werde, das ich Ihnen anbieten könnte. Und wie Sie sehen, besitze ich nur wenige Möbel.“ „Kein Problem“, meinte Chino und lehnte sich gegen einen der wenigen Punkte an der Wand, der nicht von Flecken übersät war. „Wir werden nachher noch genug sitzen, wenn wir im Flugzeug sind.“ „Wie soll das eigentlich funktionieren? Wenn ich im Vatikan bin, wo soll ich denn schlafen? Und warum ist es überhaupt notwendig, dorthin zu reisen?“ „Wie Sie es sicherlich selbst schon vermutet haben, befinden Sie sich momentan in Gefahr. Der Mann könnte zurückkommen und Sie töten wollen. Machen Sie sich über Ihre Unterbringung keine Gedanken. Wir haben genügend Gästebetten, um Sie entsprechend zu versorgen. Sogar besser, als Sie hier leben.“ Zwar hatte Artemis seinen Kommentar nicht bösartig gemeint, der wütende Blick von Marylin entging ihm allerdings keinesfalls. „Kommen Sie schon. Sie können mir nicht erzählen, dass Sie freiwillig in einer Wohnung wie dieser hier leben. Es ist eine Schande, dass Beamte, die einen treuen und guten Dienst leisten, so leben müssen.“ Plötzlich senkte Marylin ihren Kopf. Sie merkte, dass sich erneut einige Tränen in ihren Augen sammelten, sie wollte diese aber nicht zeigen. Mit dem Handrücken rieb sie über ihre Augen, um die Anzeichen ihrer Traurigkeit fort zu wischen. Danach richtete sie ihren Blick wieder auf Chino und Artemis. „Etwas Besseres habe ich nicht kriegen können. Die Mieten in der Innenstadt sind verdammt hoch. Als ich vom Land hierher gezogen bin, nachdem ich bei der Polizei angenommen worden war, hatte ich mir das auch etwas anders vorgestellt.“ Innerlich verfluchte sich Marylin, dass sie gegen ihren Willen doch angefangen hatte, von ihrem Privatleben zu erzählen, es tat jedoch gut mit jemandem reden zu können, der nicht völlig durchgeknallt war und sie für wahnsinnig erklärt hatte. „Wenigstens ist es ein Dach über dem Kopf, wenn auch kein besonders gutes.“ Ein Schulterzucken symbolisierte, dass es Marylin tatsächlich relativ egal war, wo sie lebte. „Ihr Job scheint Ihnen viel zu bedeuten“, sagte Chino mit einem milden Lächeln. Er wollte versuchen, das Gespräch auf das Wesentliche zu lenken. „Ja, das stimmt. Ich wusste, dass es als Frau bei der Polizei nicht leicht sein würde, aber ich kann mir auch keinen anderen Beruf für mich vorstellen. Trotz dieses... Vorfalls einige Nächte zuvor.“ Chino hatte nicht damit gerechnet, dass Marylin so schnell von alleine auf die schreckliche Nacht im Museum zu sprechen kommen würde. Es war ihm nur recht, obwohl ihm Ort und Zeitpunkt völlig unangemessen vorkamen. Lieber hätte er die Blondine in einer entsprechenden Atmosphäre befragt, abgeschottet von allen äußeren Einflüssen, die ihre Erinnerungen hätten verfälschen können. Darauf würde er, vorerst zumindest, verzichten müssen. „Dan und ich, wir bekamen eine Meldung. Wir sollten zu dem Museum fahren, wegen eines Überfalls. Mit was für einem Verbrecher wir es zu tun haben würden, das hat uns keiner gesagt. Nur, dass es bereits Tote gegeben hatte.“ Während sie erzählte, schien Marylin in eine Art tiefe Lethargie zu verfallen. Ihr Blick verklärte sich bis zur Ausdruckslosigkeit, ihre vorher so helle Stimme wirkte belegt und monoton. Artemis wollte gerade an die junge Frau herantreten, doch Chino hielt den Priester am Arm fest. Als Artemis sich fragend zu ihm umdrehte, schüttelte Chino nur den Kopf, was Artemis dazu veranlasste, schweigend an seinen Platz zurück zu kehren und Marylin weiterhin zuzuhören. „Als wir ankamen... Lag ein toter Mann auf dem Boden. Überall war Blut. Sein ganzer Körper war so rot, wie ich es noch nie gesehen habe. Ich wusste gar nicht, dass jemand so viel Blut verlieren kann. Aber das war nicht das, was ich am schlimmsten fand. Seine Kleidung war teilweise durchschnitten, aber am Bauch und an der Hüfte auch verbrannt. Am schlimmsten war seine Haut. Sie war schwarz an einigen Stellen. An den Armen und am Hals. Richtig schwarz, wie als wäre er von Kohle überzogen. Dan rollte ihn auf den Rücken, dabei riss seine Haut an einigen Stellen auf und irgendwie sah es so aus, als ob Wasser aus ihm heraus lief. Ich musste mich weg drehen, ich konnte den Anblick nicht ertragen." „Machen Sie sich keine Vorwürfe. So wie Sie hätte jeder reagiert“, versuchte Chino Marylin zu besänftigen, als er sah, dass ihr das Sprechen immer schwerer fiel. Inzwischen hatte er seine Lesebrille aufgesetzt und fing an, sich Notizen auf einem in ein Klemmbrett gefasstes Papier zu machen, das er kurz zuvor aus seinem Koffer genommen hatte. „Vielleicht. Dan und ich, wir ließen den Mann liegen, wir konnten eh nichts mehr für ihn tun und wussten, dass der Rettungswagen bald eintreffen würde. Immerhin mussten wir diejenigen, die noch lebten, irgendwie retten. Der zweite Nachtwächter war zu dem Zeitpunkt bereits tot. Ihn haben wir mit ähnlichen Verletzungen und Verbrennungen in dem Raum gefunden, in dem wir auch den Dieb hätten stellen sollen. Den bereits verletzten Mann, der uns auch gerufen hatte, haben wir am Eingang zurück gelassen. Er meinte, er würde alleine zurechtkommen. Als wir dann in dem Raum ankamen, in dem die Stücke aus dem 17. Jahrhundert untergebracht wurden, war alles zerstört. Die Vitrinen umgeschmissen, die Ausstellungsstücke lagen kaputt oder halb verbrannt auf dem Boden. Ein alter Webteppich war an den Ecken versenkt und rauchte noch etwas, als wir den Ausstellungsraum betraten.“ An dieser Stelle hielt Marylin plötzlich inne und atmete einige Male schwer durch. Ihre Stimme verlor nach und nach mehr an Kontrolle, bis sie von einem starken Zittern durchbrochen wurde und leicht kippte. All die Traurigkeit, die Marylin bei ihrer Erzählung durchfuhr, drohte aus ihr heraus zu brechen. „Da stand dieser Mann. Zuerst mit dem Rücken zu uns und er hielt etwas in seinen Händen. Mit dem schwarzen Mantel und den schwarzen Haaren sah er aus wie ein riesiger Schatten. Ein pulsierender Schatten, der sich langsam auf und ab bewegte. Dan schrie ihn an, dass er die Hände hoch nehmen solle und zielte mit seiner Pistole auf ihn. Auch ich zielte auf ihn. Plötzlich drehte der Mann sich um. Er schaute mich an mit seinen kalten, dunklen braunen Augen. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. Irgendetwas schien ihn zu amüsieren. Dan machte das unheimlich wütend, weshalb er den Mann noch einmal anschrie und ermahnte, er solle sich ergeben. Aber anstatt etwas dergleichen zu tun, grinste der Mann nur noch weiter. Die Glaskugel, die er in seiner Hand hielt, legte er auf ein Podest neben sich. Dann bewegte er sich direkt auf Dan zu. Das ging alles so schnell, dass keiner von uns beiden auch nur den Hauch einer Chance hatte, etwas dagegen zu unternehmen.“ Marylin begann so stark zu schluchzen, dass sie mehrfach schlucken musste, bevor sie weiter sprechen konnte. Unkontrollierte Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie wippte verzweifelt den Kopf auf und ab, während sie ihre Erzählung fortfuhr. „Innerhalb von Sekunden hatte er ein Messer gezogen. Immer noch grinsend schaute er mir direkt in die Augen. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber er hatte Dan die Waffe entrissen, seinen Hals gepackt und ihn mit dem Rücken an sich heran gezogen. Dan schaute mich mit einer Todesangst an, die ich niemals vergessen werde. Er wusste, dass er sterben würde und ich wusste es und der Mann wusste es ebenso. Ich konnte mich nicht rühren, die Angst hatte mich gelähmt. Noch immer zielte ich auf den Mann, aber genauso, wie wir alle wussten, dass Dan sterben würde, wussten wir, dass ich nicht abdrücken würde. Und dann rammte er das Messer in Dans Hals. Es war nur eine Sekunde, aber ich dachte, der Moment würde unzählige Stunden andauern. Der Ausdruck in Dans Gesicht, wie das Leben aus ihm heraus wich... Gleichzeitig stieg Rauch an den Stellen, an denen der Mann ihn festhielt, empor. Seine Haut schmorte geradezu an den Punkten, an denen er berührt wurde. Zuerst war sie rot, wie bei einem Sonnenbrand. Dann platzte sie auf und wenig später war sie schwarz. Der Mann ließ Dan los und sein lebloser Körper fiel auf den Boden. Das einzige, das ich tun konnte, war zu schreien und so schnell wie möglich nach draußen zu rennen.“ Kaum war sie an diesem Punkt ihrer Ausführungen angelangt, brach Marylin zusammen. Sie sank von ihrer Tasche herunter auf den Boden, wo sie ihre Stirn in dem dreckigen Teppich vergrub und mit den Fäusten abwechselnd auf den Boden einzuschlagen begann. Ihr Körper bebte geradezu unter ihrer Wut und der Trauer, die sie durchflossen wie ein reißender Strom. Es war ihr inzwischen egal, was die beiden Typen von ihr halten mochten, sie hatten keine Ahnung, was in ihr vorgehen musste. Sie hatte nicht nur ihren Partner verloren, sondern auch die Möglichkeit auf ein völlig normales Leben. Jetzt, wo sie ihre Geschichte gehört hatten, würden sie sie bestimmt zurück in die Anstalt bringen. Marylin spürte, wie ihr eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. „Wir werden ihn finden.“ Die Stimme gehörte dem Priester. „Ich kann mir vorstellen, wie hart es für Sie sein muss, noch einmal diese grausamen Szenen zu durchleben. Aber alles, was Sie bisher gesagt haben, gibt uns ein ungefähres Bild, worauf wir uns einstellen müssen. Sollten Sie sich an Details erinnern, so unwichtig Ihnen diese auch erscheinen mögen, können Sie sich jederzeit an uns wenden. Wir haben uns dazu entschlossen, Sie mit nach Italien zu nehmen, damit Sie uneingeschränkten Schutz genießen können. Wenn Sie hier vor Ort durch die Erinnerungen zu schwer belastet werden sollten, um den Täter näher zu beschreiben, haben wir dafür Verständnis.“ „Könnte ich Ihren Block haben?“ Marylin hatte ihren Kopf von dem Teppich gehoben und schaute Chino mit durchdringenden und blutunterlaufenen Augen an. Obwohl ihre Stimme weiterhin von einigem Schluchzen durchbrochen wurde, wirkte sie ein wenig entschlossener. Chino entfernte das erste Blatt Papier von seinem Brett und reichte es an Marylin weiter. Hastig schnappte sie sich den dazugehörigen Stift und fing an, auf dem Papier ein paar Kurven und Linien zu ziehen. Einige Minuten vergingen, in denen Schweigen den Raum beherrschte. Ungläubig schaute Artemis über die Schulter der Polizistin und beobachtete, was diese mit dem Stift erschuf. Immer stärker nahmen die Striche und Kreise, die sie zog, die Form eines menschlichen Wesens an. Nach und nach wurde die Figur von Kleinigkeiten vervollständigt, so dass am Ende ein deutliches Profilbild zu erkennen war. Mit einem Ruck stand Marylin auf, gefolgt von Artemis, dann drückte sie Chino das Klemmbrett zurück in die Hand. „Einer der Gründe, weshalb ich bei der Polizei angenommen worden bin, ist, dass ich ein recht gutes Gedächtnis habe. Ich kann mir die Gesichter von Menschen ganz gut einprägen und diese in manchen Fällen grafisch wiedergeben. Schon als Kind habe ich gerne gezeichnet und jetzt bietet mir diese Fähigkeit in meinem Job große Vorteile.“ Was Marylin in einem lapidaren Ton von sich gab, beeindruckte Artemis und Chino gleichermaßen. Dank Marylin besaßen sie nun eine unglaublich genaue Abbildung des Dämons, dem Artemis bereits in Frankreich begegnet war. Chino hob das Brett an, damit er sich die Gestalt ganz genau ansehen konnte. Je länger er auf das Konterfei des Mannes blickte, desto nachdenklicher wirkte er. Mit einem Mal zuckte Artemis in sich zusammen. Er drückte sich eine Hand auf seine Augenklappe, mit der anderen hielt er sich den Kopf. „Chino, ernsthaft, hör auf mit der Scheiße!“ Verwirrt schaute Marylin erst Artemis, dann Chino an, konnte jedoch den Grund des verbalen Angriffs des Priesters gegenüber dem Arzt nicht ausmachen. Gleichzeitig fragte sie sich, wo ein Priester wohl so zu fluchen gelernt hatte. „Was macht dich so wütend? Und egal was es ist, versuche bitte, dich etwas besser unter Kontrolle zu halten!“ In Chinos Gesicht regte sich nichts. Er starrte weiterhin emotionslos auf das von Marylin gezeichnete Bild. Ein leises Knurren ausstoßen, senkte er das Klemmbrett wieder und gab es Artemis. „Ist das dieser Blackcage?“, fragte Chino tonlos. Artemis hatte etwas Mühe, das Bild intensiv betrachten zu können. Zu sehr pulsierte es in seinem Schädel und sein Auge brannte wie Feuer. Zwar merkte er, dass Chino sich etwas zu beruhigen begann, eine deutliche Linderung blieb vorerst allerdings aus. „Ja, das ist er“, presste Artemis hervor und reichte das Bild an Marylin weiter. „Sie kennen den Mann?“ „Kennen wäre übertrieben ausgedrückt. Aber sagen wir es mal so, wir hatten bereits mit ihm zu tun.“ So gut es ging verdrängte Artemis die Schmerzen in seinem Kopf und nahm kurz darauf wieder eine aufrechte Haltung ein. „Und ich kann Ihnen versprechen, dass Sie den Schutz, den wir Ihnen anbieten, mehr als nötig haben werden“, mischte sich Chino ein. „Im Gegensatz zu Pater Dal Monte hatte ich schon mehr als einmal mit diesem Kerl zu tun. Er ist gefährlich, unberechenbar und zutiefst sadistisch veranlagt.“ Sowohl Marylin, als auch Artemis wirkten sichtlich überrascht. „Du hattest mit dem schon einmal zu tun? Warum hast du das nicht früher erwähnt?“ wollte Artemis wissen, indem er sich Chino näherte und diesem seine Frage ins Ohr flüsterte. „Wenn du genauso gut hättest zeichnen können wie diese junge Dame, hätte ich es dir sicherlich mitgeteilt.“ Chinos Antwort war kaum mehr als ein wütendes Zischen, gleich dem einer Schlange. Artemis entfernte sich wieder von Chino und legte ein schiefes Grinsen auf, mit dem er Marylin anlächelte. „Ich schlage vor, Sie packen jetzt schnellstmöglich Ihre Sachen zusammen, damit wir hier abhauen können. Je eher wir von hier verschwinden, desto besser.“ Noch immer sichtlich verwirrt packte Marylin die letzten Habseligkeiten zusammen, dann folgte sie Artemis und Chino hinunter auf die Straße. Als sie ankam, waren die beiden gerade in ein Streitgespräch verwickelt, das sie abrupt unterbrachen, als sie die Polizistin sahen. Die gesamte Strecke, die sie mit dem Taxi in Richtung Innenstadt zurücklegten, konnte Marylin die Anspannung, die ihren Begleitern innewohnte, deutlich spüren. In was auch immer sie sich hinein manövriert hatte - sie wusste, dass sich ihr Leben für immer verändert hatte. Die betroffene Ausstellung, in der die grausamen Morde stattgefunden hatten, lag im hinteren Teil des Museums. Aufgeräumt hatte man noch nicht, wodurch Ethos fast in einige Glasscherben getreten wäre, während er den Raum begutachtete. Indem er ein paar Fotos machte, hielt er die Lage einiger Objekte fest, besonderes Interesse fanden die angebrannten Stücke, die er ausmachen konnte. „Kommen wir noch einmal auf eines der Opfer zurück“, begann Ethos, nebenbei inspizierte er einen Teppich, dessen Ende Brandspuren aufwies. „Wer war der Geweihte, von dem Sie sprachen?“ Pater Berry ließ ein freudloses Lachen ertönen, bevor er Ethos antwortete. „Pater Daniel Simmons war ein guter Mann. Bevor er den Posten in diesem Museum hier bekommen hatte, war er einige Male verdeckt unterwegs gewesen. Jeden Auftrag, der ihm zugeteilt wurde, hatte er zur vollsten Zufriedenheit ausführen können.“ „Was den Kampf mit Dämonen angeht, war er somit kein Anfänger?“ „Bei Weitem nicht. Sagen Sie, Sie sind doch auch ein Geweihter oder?“ „Das bin ich. Genau wie Pater Dal Monte.“ „Nun, dann wissen Sie, wie gut Pater Simmons über Dämonen Bescheid wusste.“ Da hatte Berry nicht Unrecht, das wusste Ethos nur allzu gut. Als Geweihte bezeichnete der Vatikan diejenigen Priester, die die Übernahme eines Dämons entweder verhindert oder überlebt hatten. Meistens waren es verhinderte Übernahmen, wenn ein Mensch tatsächlich von einem Dämon übernommen wurde, schaffte es seine Seele in den seltensten Fällen, zu überleben. Die Seele des jeweiligen Menschen starb und der Körper wurde von dem Dämon ausgehöhlt und besetzt. Da Dämonen sich erst richtig manifestieren und erheblichen Schaden erst dann anrichten konnten, sobald sie sich einen Körper zum Sklaven gemacht hatten, fraßen sie die Seele, die dem ausgewählten Körper gehörte, geradezu auf. Ethos lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn er sich daran zurück erinnerte, wie der Dämon ihm damals gegenüber gestanden hatte. Er hatte seinem Stiefvater gerade eine Kugel mitten in das Herz gejagt. Rotes Blut war über die Ecken des Schreibtisches gelaufen und in großen Tropfen auf die hellen Holzdielen dahingeplätschert, um dort einen kleinen See zu bilden. „Pater Turino? Hören Sie mir zu?“ „Natürlich. Entschuldigen Sie, ich war kurz abgelenkt von dieser Scherbe hier gewesen.“ Ethos hob die Alibischerbe kurz nach oben, dann ließ er sie wieder zurück auf den Boden sinken. „Ich dachte, etwas Verdächtiges gesehen zu haben. Muss mich geirrt haben. Erzählen Sie ruhig weiter.“ „Dass ausgerechnet ein erfahrener Priester wie Mr. Simmons einem Dämon so zum Opfer fallen muss, ist tragisch. Dass dabei noch ein wichtiges Artefakt entwendet wurde, macht mich untröstlich. Als Verantwortlicher vor Ort ist es meine Schuld, dass der Gegenstand gestohlen wurde.“ „Mit einem Dämon wie dem, der das hier verursacht hat, hat wohl auch kaum jemand gerechnet. Glauben Sie, dass er zu den großen Dämonen gehören könnte?“ „Ausschließen würde ich es nicht.“ Nachdenklich legte Pater Berry die Stirn in Falten. „Aber wenn Sie meine eigene Meinung hören wollen, denke ich das nicht.“ „Was macht Sie da so sicher?“ „Würde es sich um einen großen Dämonen handeln, hätte er das Objekt doch nicht gestohlen. Er hätte es vor Ort vernichtet. Und von der Glaskugel ist hier nicht der geringste Splitter zu finden.“ „Vielleicht dachte er, er vernichtet es besser an einem anderen Ort, den wir nicht kennen. Er könnte Angst davor gehabt haben, dass wir die Splitter wieder zu einem brauchbaren Objekt zusammensetzen.“ „Das ist durchaus möglich. Aber warum hat er dann die Polizistin laufen lassen? Sie ist nur entkommen, weil der Dämon von sich aus keine Verfolgung aufgenommen hat.“ „Könnte eine Falle sein. Um uns her zu locken. Ich will Ihnen nichts verschweigen, Pater Berry, deshalb sage ich Ihnen jetzt etwas, auf das Sie wirklich achten sollten in Zukunft.“ Ethos hatte seine Arbeiten abgeschlossen, weshalb er alle Materialien, die er eingesammelt hatte, in seinem Koffer verstaute. „In Frankreich haben wir eine sehr beunruhigende Entdeckung gemacht. Ein Dämon hatte sämtliche Informationen, die Pater Dal Monte und mich betreffen, in Form von Dokumenten gelagert. Zusammen mit dem, was Sie mir gerade erzählt haben, könnte dies bedeuten, dass Pater Dal Monte und ich nicht die einzigen Betroffenen sein könnten. Alle, die mit den geheimen Aufträgen des Vatikans zu tun haben, könnten sich in großer Gefahr befinden.“ Berry räusperte sich, wandte sich von Ethos ab, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und blickte besorgt aus einem der großen Fenster des Museums. „Wie kann es sein, dass Informationen, die einer strengen Geheimhaltung unterliegen, an die Dämonen gelangen?“ „Das wissen wir leider nicht.“ „Ihnen ist aber schon klar, dass das das Leben sämtlicher Priester gefährden könnte oder?“ „Mir brauchen Sie das nicht zu erzählen. Ich bin daran nicht schuld.“ „Aber Sie sind der direkte Kontakt zum Vatikan in diesem Fall. Richten Sie dem Prälaten aus, dass ich wenig begeistert von dieser Entwicklung bin.“ Was du nicht sagst, dachte Ethos, verkniff sich seinen Kommentar jedoch aus Höflichkeit. Stattdessen presste er eine geeignete Antwort hervor. „Ich werde es natürlich ausrichten. Wir arbeiten mit allen Mitteln daran, diese Vorfälle aufzudecken.“ „Anscheinend reichen Ihre Mittel dafür aber nicht aus. Ansonsten hätte ich Pater Simmons nicht verloren.“ Bei diesen Worten durchfuhr es Ethos wie ein Blitz. Ein Stechen in seinem Brustkorb nahm ihm für einen kurzen Augenblick sämtliche Luft. „Wie dem auch sei, wir können die Zeit leider nicht zurück drehen. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, alle Spuren zu dokumentieren, die uns weiterhelfen könnten.“ In einem schweigenden Einverständnis machte sich Ethos daran die Spuren, die er aufgenommen hatte, genauer zu analysieren. Auch wenn er vorhin noch alle Einwürfe bezüglich der Macht des Dämons entkräftet hatte, ging auch Ethos mittlerweile nicht mehr davon aus, es mit einem großen Dämon aufnehmen zu müssen. Genau wie Pater Berry stützte er sich bei dieser Einschätzung vorläufig auf seinen Instinkt. Außerdem war da noch immer dieser Esrada. Erneut versuchte Ethos sich daran zu erinnern, woher ihm der Name so bekannt vorkam. Wieder blieb der Erfolg aus. „Sagt Ihnen der Name "Esrada" etwas, Pater Berry?“ „Nie von ihm gehört. Wer soll das sein?“ „Ein Dämon. Möglicherweise der Anführer eines Clans oder in irgendeiner anderen mächtigen Position.“ Noch einmal dachte Pater Berry angestrengt nach, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. Seufzend machte sich Ethos wieder daran, das Museum zu durchsuchen. Nach einer Weile schaute er sich noch die Räume an, in denen sich der Dämon angeblich nicht aufgehalten hatte. Pater Berry lief ihm hinterher wie ein kleines Hündchen, das auf seine Belohnung wartete. Anscheinend war er einer der wenigen, die es verstanden hatten, dass Ethos es nicht mochte, wenn sich jemand ungefragt in seine Arbeit einmischte. Nachdem auch die übrigen Räumlichkeiten keine Anhaltspunkte darstellten, kehrten Ethos und Berry in die Eingangshalle zurück. „Gibt es sonst noch etwas, das in irgendeiner Weise für uns von Belang sein könnte?“, wollte Ethos wissen und schaute auf seine Taschenuhr. „Das letzte Flugzeug nach Rom geht bald und ich würde es ungern verpassen.“ Gerade, als Pater Berry etwas darauf erwidern wollte, betrat ein junger Mann das Museum. Entfernt erinnerte er Ethos an den jungen Rekruten in Frankreich, tatsächlich schien er auch etwas Ähnliches darzustellen. „Mr. Winston Berry?“ „Das bin ich“, meldete sich Berry und schob sich an Ethos vorbei. „Mein Chef schickt mich. Ich soll Ihnen ausrichten, dass die Spurensicherung, die als erste vor Ort gewesen ist, noch etwas gefunden hat, das wichtig sein könnte.“ „Die Spurensicherung hat etwas entfernt, bevor wir hier angekommen sind?“, richtete sich Ethos anklagend an Berry. Dieser zog schuldbewusst den Kopf zwischen die Schultern und sah den Priester reumütig an. „Da die Polizei die erste und zweite Instanz vor Ort gewesen ist, ließ es sich nicht verhindern, dass der Tatort betreten wurde. Dass etwas mitgenommen wurde, höre ich allerdings zum ersten Mal.“ Der Versuch, die Schuld auf die Polizei zu schieben, misslang. Der junge Polizist ließ sich nicht beirren und machte keine Anstalten zu einer Entschuldigung. „Wenn Sie möchten, bringe ich Sie beide gerne auf das Revier. Dort können Sie die Ergebnisse einsehen.“ „Das wäre hervorragend“, sagte Ethos und setzte sich in Bewegung. „Könnte ich von der Wache aus einen Anruf tätigen?“ „Natürlich.“ Den letzten Flug nach Rom konnten Ethos und die anderen somit vergessen. Wenn er jetzt noch zu einem anderen Revier musste, würde das zu lange dauern, um rechtzeitig am Flughafen einzutreffen. Er musste den Prälaten kontaktieren, um zu erklären, dass sie eine Nacht in London verbringen würden. Das war weniger ein Problem für die Kasse des Vatikans als für Ethos, der liebend gerne in seinen eigenen vier Wänden übernachtete. Zusammen mit Berry und dem Polizisten trat Ethos hinaus auf die Straßen des belebten London. Noch immer glänzte der Teer von dem Regenschauer, der erst vor kurzem der nun langsam untergehenden Sonne gewichen war. Ein Taxi hielt vor dem Eingang des Museums. Als Artemis ausstieg und einige Scheine hervor zog, um den Fahrer zu bezahlen, legte Ethos ihm eine Hand auf die Schulter. Leicht erschrocken fuhr Artemis herum, doch als er Ethos erkannte, lächelte er diesen spielerisch an. „Ich weiß, wer unser Feuerteufel ist.“ „Ich fürchte, dafür werde ich jetzt keine Zeit haben. Am besten, wir unterhalten uns später. Ich habe gerade erfahren, dass uns die Spurensicherung der hiesigen Polizei einige Erkenntnisse vorenthalten hat. Deshalb werde ich jetzt mit auf das Revier fahren. Wir treffen uns nachher im Hotel Savoy.“ „Ist der Vatikan heute spendabel, ja?“ „Das weiß ich noch nicht, aber ich werde dem Prälaten sagen, dass wir kein anderes Hotel bekommen haben.“ Indem er ein lautes Lachen von sich gab, tat Artemis seine Begeisterung über die von Ethos getroffene Entscheidung kund. „Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Revier brauchen werde. Was ihr in der Zwischenzeit machen wollt, bleibt euch überlassen. Vielleicht solltet ihr die Zeit nutzen, um noch einmal die Frau zu befragen.“ Mit diesen Worten drehte Ethos sich um und ging zu dem Polizeiwagen. Kaum hatte er sich einige Schritte entfernt, hörte er, wie Artemis den Insassen des Taxis zurief, dass es am heutigen Abend eine Party auf Kosten der Kirche geben würde. Der einzige Gedanke, der Ethos durch den Kopf ging, war der, dass er Artemis höchstpersönlich ins Jenseits befördern würde, sollte er seine Zeugin, Chino oder den Rückflug nach Rom in Gefahr bringen. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg er in den Wagen des Polizisten. Bisher hatte Ethos seinen Instinkt, dass er und seine Leute sich in großer Gefahr befanden, in die hinterste Ecke seines Kopfes verdrängt. Doch die Stärke, mit der sich diese unterschwellige Art der Warnung in ihm auszubreiten begann, konnte er nicht länger ignorieren. Ethos spürte, dass das, was demnächst auf ihn zukommen würde, eine wesentlich größere Kraft darstellte, als alles, gegen das er bisher hatte antreten müssen. Am meisten beunruhigte ihn, dass ihn sein Instinkt noch nie im Stich gelassen hatte. In seiner Tasche suchte Ethos nach einem kleinen Rosenkranz, holte diesen hervor und schloss die Augen. Das leise Gebet, das er rezitierte, irritierte nicht nur den lenkenden Polizisten, sondern ebenso Pater Berry. „Meinen Sie, dass der Rücksitz eines Polizeiautos der richtige Ort ist, um zu beten?“ „Glauben Sie mir, Pater Berry, wenn das hier erst einmal richtig anfängt, ist jeder, wirklich jeder Ort der richtige zum Beten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)