The Black Substitute von CaroZ (Miragia-Trilogie 3) ================================================================================ Kapitel 5: Aeris ---------------- Aeris Abrupt fuhr sie aus dem Bett auf. Nox, der flauschige schwarze Kater, sprang aufgescheucht von ihrer Bettdecke und kroch in den Schatten, der hinter der geöffneten Tür alles in Finsternis tauchte. „Wer ist da?“, fragte die Cetra, hellwach und angespannt auf der Matratze verharrend. „Ich bin’s“, drang eine dumpfe Stimme zu ihr herauf. Eine so vertraute, beruhigende Stimme, weich und langsam im Stil der Nibel-Muttersprachler. Jetzt allerdings zeugte sie zusätzlich von Müdigkeit und Erschöpfung. „Cloud ...“ „Ja. Ich weiß, es ist spät geworden. Bist du schon im Bett?“ Sie hörte seine Schritte auf der Treppe, sah ihn vor ihrem geistigen Auge benommen einen Fuß vor den anderen setzen und sich am Geländer festhalten. Als seine Silhouette im Türrahmen des Schlafzimmers erschien, schenkte sie ihm ein liebevolles Lächeln. Er hatte sich noch nicht einmal umgezogen, und sein Haar stand weit ungeordneter in alle Richtungen ab, als ein flüchtig streifender Blick würde erfassen können; nur sie als seine langjährige Partnerin erkannte, wenn seine Frisur nicht ihrer gewöhnlichen Form entsprach. „Du bist ja doch schon schlafen gegangen“, stellte er murmelnd fest und fuhr sich mit der behandschuhten Hand über die Augen. „Ich dachte, du kommst vielleicht doch nicht mehr.“ „Ich sage dir doch immer, wo ich bleibe, wenn ich nicht da bin. Aber ich ... wollte dich nicht wecken.“ Er sagte das jedes Mal, und vermutlich entsprach es der Wahrheit; er konnte nun einmal nicht ändern, dass sie, in deren Adern das Blut des Alten Volkes floss, einen allzu leichten Schlaf hatte. „Ist Melen auch schon im Bett?“, erkundigte er sich, schwer gegen den Türrahmen gelehnt. Sie nickte. „Ja ... Ich möchte sie jetzt auch nicht gern wecken.“ „Ich auch nicht.“ Er trat ins Zimmer und begann sich umzuziehen. Rücksichtsvoll ließ er das Licht aus, fand tastend alles, was er brauchte. „Cloud ...“ „Ja?“ „Was hat Dr. Einberg dir gesagt?“ „Oh ... im Prinzip nichts Wichtiges.“ Instinktiv spürte sie, dass er auswich, wie immer. Er war so wenig mitteilsam, dass es stets einer gewissen Hartnäckigkeit von ihrer Seite aus bedurfte, um ihm alles zu entlocken, was eine Rolle spielen würde; nun jedoch war sie zu müde, und sie wusste, dass er es auch war. „Na schön. Komm ins Bett.“ Sie schlug an seiner Seite des Doppelbettes die Decke zurück, und er kroch seufzend darunter. Endlich wieder die vertraute Wärme an ihrer Seite zu spüren vermittelte ihr ein Gefühl der Behaglichkeit. Sie kuschelte sich an ihn, und er legte seinen Arm um sie. Dies war die Position, in der sie jede Nacht gemeinsam einschliefen. Wenn Cloud denn daheim war. Sie schloss die Augen und versuchte, nicht über das nachzusinnen, was der ehemalige Shin-Ra-Soldat, ihr Lebensgefährte, ihr gerade in diesem Moment verschwieg. Als sie am nächsten Morgen einen Schluck Tee trank, musste sie feststellen, dass er sehr stark war. Nichtsdestotrotz trank sie die Tasse, die Cloud neben ihren Teller gestellt hatte, geduldig leer und räumte sie anschließend, bis in die letzte Zelle hellwach, in den Geschirrspüler. „Wann musst du wieder arbeiten?“, erkundigte sie sich, als er sich ihr gegenüber setzte und den Korb mit Früchten zu ihr herüberschob. „Morgen“, antwortete er, „eigentlich.“ „Was heißt das?“ „Barret hat es mir freigestellt ... Je nachdem, wie es Melen geht.“ Er beobachtete sie ungewöhnlich scharf. Sofort fühlte sie sich ertappt. Sie war froh gewesen, nicht sofort mit ihm darüber sprechen zu müssen. „Oh, es ist ... nur dasselbe wie damals ... Aber schlimmer. Leider ... und die Tabletten haben auch nicht geholfen dieses Mal ...“ Vorsichtig hob sie den Blick. Cloud sah beiseite. „Wie schön. Dann hörst du vielleicht endlich auf, ihr die Dinger ständig reinzustopfen.“ Es klang hart. Von Anfang an war Cloud dagegen gewesen, Melen mit Medikamenten ruhig zu stellen, und hatte keinen Hehl daraus gemacht. Aeris dagegen ... Sie hatte sich gefürchtet. Sie tat es auch jetzt noch. Die Cetra hatte weit mehr Angst vor dem Kind als Cloud, viel mehr Angst davor, zu erfahren, was Melens andere Seite sein mochte – was es gewesen war, das die schlafende Eizelle befruchtet und zu einem lebendigen Wesen gemacht hatte. Melen war intelligent und aufgeweckt, doch ... sie war nicht wie andere Kinder. Schlimmer noch, sie konnte mit Gleichaltrigen nichts anfangen, fand keine Basis des Austausches mit ihnen, wurde gemieden und sogar gefürchtet. All das schien sie allerdings nicht zu belasten. Sie war sanft, freundlich, sehr einfühlsam – und das mit zwei Jahren, einem Alter, in welchem Kleinkinder die Phase des ersten Egozentrismus’ für gewöhnlich erst aufbauten statt ablegten. Und dann diese Wunden. Aeris schauderte, als sie sich entsann, wie sie das erste Mal diese völlig undefinierbaren Wunden am Körper ihrer Tochter aufgefunden hatte. Kurz darauf hatte Melen erste Anfälle rasender Wut gezeigt, welche die Sedativa nötig gemacht hatten. Nötig, fand jedenfalls Aeris. Cloud hielt sie für überflüssig. Doch Cloud war auch nur selten zu Hause, erlebte Melen nicht so häufig, nicht so ... „Liebes?“ Sie zuckte zusammen, als seine Finger ihre berührten. Kurz darauf war seine Stimme wieder sachlich und so wenig von Gefühlen getragen, wie es seit jeher vertraut war. „Gab es Vorfälle? Ich meine, hat sie irgendwas angestellt, etwas ... kaputt gemacht? Oder haben die Leute ...“ Er zögerte. „... die Nachbarn ... jemand etwas gesagt ...?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nichts, Cloud ... und du siehst ja, sie schläft immer noch ... Aber dass auch Dr. Liouville diese Dinge ... nicht in den Griff bekommt ... das macht mir schon Sorgen, weißt du, ich denke da an die Zukunft und ...“ Die Zukunft. Tatsächlich brachen ihre Gedanken stets zusammen, wenn sie der Zukunft nur nahe kamen. „Warte das Jahr ab“, sagte Cloud ruhig. „Deine Mutter wird uns helfen können.“ „Dieses Jahr ist zu lang, Cloud.“ Tränen traten ihr in die Augen. „Ich halte diese Zeit nicht durch ... Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich kann nicht mit ihnen sprechen ... Ich, ich habe meine Kräfte nicht ...“ Sie hob die Hände, welche aussahen wie immer. „Im Moment bin ich nur ein Mensch, Cloud ... Aber unsere Tochter nicht.“ Er sah auf, und in seinem Blick lag die Korrektur: Deine Tochter. Doch er sagte nichts. Stattdessen wandte er sich seufzend ab und räumte sein Geschirr in die Spüle. Aeris blieb sitzen. Wie versteinert saß sie am Tisch, eins mit ihrem Stuhl, die Arme verkrampft auf der Mahagoniplatte. „Was ist, wenn bis dahin ... Wenn wir sie nicht mehr im Griff haben ...? Wenn sie etwas Gefährliches tut, und wir verlieren jede Kontrolle über sie –“ „Aeris!“, sagte er ungeduldig, sie beim Namen nennend, was selten genug vorkam. „Melen ist kein ungezogenes, böses Kind, das seine Eltern schlägt! Du sprichst von ihr, als wäre es nötig, sie in ein Erziehungsheim abzugeben! Hat sie dir je etwas getan? Selbst wenn sie wütend war?“ Stumm schüttelte sie den Kopf. „Siehst du!“, fuhr er fort. „Was auch immer sie ist, sie hat ein absolut freundliches Wesen, sie ist nicht böse. Auch wenn sie sich ...“ Er zögerte einen Moment. „... zuweilen ... merkwürdig verhält.“ „Merkwürdig war ich, als ich klein war, Cloud. Melen ist nicht merkwürdig.“ Er gab auf, holte tief Luft und sah ihr fest in die Augen. „Aeris, sie ist deine Tochter. Kann es trotzdem sein, dass ich sie mehr liebe als du?“ Sie presste die Lippen zusammen. „Das stimmt nicht.“ „Tatsächlich?“ Es war kein vorwurfsvoller Blick, den er ihr zuwarf, sondern ein eher neutraler, abwartender. Sie fasste sich. „Na schön, Cloud, wir ... warten das Jahr ab. Letztlich bleibt mir ja auch nichts anderes übrig ...“ Umständlich faltete sie die Finger, jene langen schlanken Körperteile, denen nun für ein weiteres Jahr lang keinerlei Magie innewohnen würde. „... aber du musst mir etwas versprechen.“ „Das da wäre?“, fragte er ruhig. „Sei öfter zu Hause.“ Er furchte die Stirn. „Sei einfach nicht Abend für Abend in Junon!“, präzisierte sie, nun mit flehendem Ton, und umschlang seine kühleren und raueren Hände mit ihren. „Gemeinsam wird es uns leichter fallen, sie ... ihr beizustehen, wenn sie uns braucht, und ... Ich sehe dich einfach zu selten, Cloud. Du warst schon immer ein Workaholic, aber im Moment übertreibst du es einfach.“ Sie wusste nicht, warum plötzlich all diese Dinge auf ihre Zunge sprangen; es schien, als sei nun der Punkt erreicht, an dem sie ihm alles mitteilen musste, was sie bedrückte. „Deine Arbeit kann unmöglich wichtiger sein als deine Familie!“, setzte sie hinzu. Jede noch so dumme Hausfrau machte ihrem Mann den Vorwurf „Du bist nie zu Hause“ und „Immer muss ich auf die Kinder aufpassen“. Tatsächlich hatte Aeris beschlossen, genau diese beiden Missstände zu akzeptieren – einfach, weil sie keine der gewöhnlichen dummen Hausfrauen war und sich für stark genug hielt, damit zurecht zu kommen. Doch nun ... mit Melen, das alles ... Es ging nicht mehr. Sie sah, wie Cloud Luft holte, sich zurücklehnte und seine Lippen befeuchtete – um dann, wie immer, nichts zu sagen. Er sah sie einfach nur an, sein Blick war abwesend. „Ich weiß, ich klinge wie ...“, begann sie, doch er unterbrach sie. „Ich versuche gerade, das Problem zu lösen“, sagte er in seiner langsamen und bedachten Sprechweise, die gemäß seiner Kultur so sehr jeder Emotion entbehrte. „Zumal ich ausgerechnet jetzt noch mehr zu tun habe als sonst ...“ Er sah kurz zur Seite, dann in ihr Gesicht. Wieder öffnete er den Mund, und es dauerte drei Sekunden, ehe ein Ton herauskam. „Es gab einen Mord“, sagte er dann schlicht. „Und zwar mit dem Schwert von Sephiroth. Und dieses wurde zuvor aus dem Hochsicherheitstrakt gestohlen, ohne Spuren oder Alarm.“ Aeris zuckte zusammen. Sie glaubte, nur ihr Herz hätte sich kurzzeitig verkrampft, doch als sie ihre Fingerknöchel betrachtete, waren diese ebenfalls weiß vor Anstrengung. „Die Masamune?“, brachte sie schwach hervor. „Was? Wer hat ... Aber wer könnte ...“ Ich stottere nie, erinnerte sie sich. Warum fällt er bei so etwas auch immer gleich mit der Tür ins Haus? Sie hatte Schwierigkeiten, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. „Du sagst, jemand hat einen Mord mit Sephiroths Schwert begangen?“ Er nickte. „Ja.“ „Und ... war es so wie ...“ Ihre Hand flog zu der Narbe auf ihrer Brust, wo die Spitze der Masamune wieder ausgetreten war, als Sephiroth sie ihr in den Rücken gestoßen hatte. „Ja, nein, eigentlich ... Da waren noch andere Wunden, riesige Fleischwunden mit ausgefransten Rändern, wie von einem wilden Tier gerissen. Wir ... suchen nicht nur nach der Masamune, sondern auch nach einer Bestie ...“ „Wir?“, echote sie. „Tifa und ich.“ „Oh.“ „Ich bedaure, dass die Cetra nicht helfen können“, murmelte Cloud und senkte den Blick. „Ich würde sie gerne dazu befragen. Ob sie etwas wissen über so ein Monster ...“ „Ich würde Sephiroth fragen, ob er jemanden weiß, der schon immer auf sein Schwert aus war“, sagte Aeris direkt, die Angst in sich spürend, wie sie sich crescendoartig aufschaukelte. „Oder wer in der Lage wäre, es zu stehlen ... und damit zu töten.“ Cloud zuckte ratlos die Schultern. „Fragen über Fragen.“ „Also fährst du morgen wieder nach Junon ...“ „Ja, ich ... ich muss mich mit Epston Plankin und Tifa kurzschließen.“ Aeris schürzte die Lippen und seufzte. Das war es also mit ihren Hoffnungen – Cloud würde mitnichten mehr Zeit für sie und Melen haben. „Ich wünsche euch viel Erfolg“, sagte sie aufrichtig, „und mach dir um uns keine Sorgen. Schnapp dir diesen Mörder und nimm ihm weg, was ihm nicht zusteht.“ Cloud sah sie an und musste dann ein schwaches Lächeln unterdrücken. „Dafür, dass er dich mit seinem Schwert ermordet hat, stehst du inzwischen wieder ganz gut zu Sephiroth ...“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich muss Bücher wälzen. Ich muss eine Möglichkeit finden, auch innerhalb der Zeit des Schlafes mit ihm Kontakt aufzunehmen. Und wenn ich selbst nach Miragia reise und ihn aufwecke ...“ „Geht das?“, fragte Cloud skeptisch. Sie hob die Schultern. „Ich werde es herausfinden, ich verspreche gar nichts. Eigentlich hielt ich es immer für ausgeschlossen. Das Speculum wurde vernichtet, wir können das Verheißene Land nicht mehr betreten.“ „Was für Hoffnungen machst du dir dann? Du kannst nicht einmal die Cetra befragen.“ „Es gab Menschen, die die Cetra erforscht haben. Sehr genau sogar.“ „Ah ja.“ Clouds Blick war nach wie vor zweifelnd, doch er schien weitere Fragen zu unterdrücken. Er vertraute ihr, das wusste sie. „Na schön, dann lass uns jetzt Melen wecken, damit sie nicht wieder die Letzte in der Gruppe ist. Die Erzieher werden allmählich anfangen, uns für unzuverlässig zu halten ...“ „Wir sind die Retter der Welt“, antwortete Aeris matt, „uns trägt man so schnell nichts nach.“ Das war Tatsache, wohin auch immer sie gingen. „Wie auch immer.“ Er stand auf. „Ich gehe gleich nach ihr sehen. Bin gespannt, ob sie mich noch erkennt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)