Das Schicksal der Äußeren Kriegerinnen von Ruka_S_Orion ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Ein eisiger Windzug. Rauch, verräterisch stinkend nach zerstörenden Feuern. Lange Schatten, unheilvoll verzerrt, langgezogen und finster. Stille. Verlorenheit, Machtlosigkeit, die sich um Neptunes Herz legten, es einschnürten, ihr die Luft abdrückten. Die Kriegerin des Meeres fühlte sich hilflos, innerlich leer. Abgebrannt, wie eine Kerze, deren Wachs zerschmolzen war. Allein. Sie sank nieder auf den kalten Boden, grub ihre Finger in den toten Sand, der den eisigen Brocken bedeckte, der einst den Grund ihrer Heimat beschrieb. Sie war zu spät. Hatte ihre einzige Pflicht, das Reich mit ihrem Leben zu beschützen, nicht erfüllt. Sie hatte versagt. Hatte alles verloren. Ihre Existenz war nicht länger von Bedeutung. Wofür sollte sie nun weiterleben? Die Luft geriet in Bewegung, ein warmer Sturm zog auf. Doch so schnell er entstanden war, war er auch schon wieder verschwunden. „Haru?“ Neptunes Augen suchten die Ruinen ihrer verwüsteten Heimat ab. Sie fanden eine vertraute Silhouette, jedoch schwarz und verblassend. Neptune stand auf, rannte auf die geliebte Gestalt zu, doch diese löste sich auf, ehe sie erreicht werden konnte. Stumme Tränen rannen über ihre Wangen. Ihre Lippen formten einen Schrei, doch ihr fehlte die Luft. Ihre Lungen verlangten nach Sauerstoff, aber sie fand keinen. Neptunes Hände legten sich um ihren Hals. Sie erstickte. Langsam und qualvoll. Erneut sackte ihr Körper zusammen. Ihr Blick verschwamm. Eine liebevolle Stimme. „Hab keine Angst.“ Kaum zu erkennen eine stolze Gestalt. Sie beugte sich vor, Neptunes Gesicht entgegen. Der Duft verriet sie. Plutos Lippen streiften die ihrer Gefährtin nur flüchtig und zart, nahmen der Senshi dabei jedoch jede Furcht. Neptunes Körper entspannte sich. „Hab keine Angst“, flüsterte Pluto abermals, bevor auch sie sich auflöste und nur einen roten Schimmer hinterließ, der sich ausstreckte und Neptune langsam umschloss. Ein weiteres Licht mischte sich ein. Es schien Neptunes eigener Stirn zu entspringen. Strahlendes Türkis. Sie schloss ihre Augen. Wieder ein Luftzug. Diesmal warm und beständig. Sie musste nicht aufsehen, um zu verstehen, dass sich der Geist ihrer Geliebten hinter ihr niederließ. Uranus legte ihre Arme um Neptune, hauchte ebenfalls: „Hab keine Angst.“ Ihr starkes, goldenes Licht blendete selbst Neptunes verschlossene Augen. Neptunes Körper verlor das letzte Bisschen Kraft. Langsam kippte er zur Seite. Ein greller Blitz. Plötzliche Wärme. Eine neue, unbekannte Stimme. „Hab keine Angst.“ Ein Zepter? Eine Klinge? Eine Sense, die sich senkt… Neptune schlug ihre Augen auf. Ihr Herz raste, ihre Atmung bebte. Sie blickte sich hektisch um. Blauer Marmor, der altbekannte Duft. Wache, silberblaue Augen blickten in ihre eigenen. „Du hattest einen Albtraum, richtig?“ Neptunes Panik legte sich. „Ich… Habe ich dich geweckt?“ Uranus schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich hatte auch einen.“ Wie es die Windkriegerin immer wieder schaffte, wusste sie nicht. Es interessierte sie auch nicht. Ihre Anwesenheit reichte, und die Wellen Neptunes Unterbewusstseins kamen zur Ruhe. ~~~ Dichter Nebel, verräterische Gestalten. Doch Pluto hatte gelernt, dass sie keine Bedrohung waren. Sie waren irreale Silhouetten, bloße Figuren ihres Unterbewusstseins, die immer fort ihre Streiche spielten. Sie nahmen vertraute Formen an, eine junge Frau, lange Zöpfe, gleißendes Licht. Doch bevor Pluto ihre Hand ausstrecken konnte, zerfielen sie. Die einsame Wächterin sank in sich zusammen. Seit Monaten fühlte sie sich verlassen, auf eine ganz neue Art und Weise. Sie hatte vergessen, wie viele Wochen vergangen waren, seitdem sie zum letzten Mal von ihrer Prinzessin besucht worden war. Sie hatte es selbst bewirkt. Ihr Pflichtbewusstsein, ihre Liebe für die Thronerbin hatte sie dazu gebracht, dem blonden Engel immer wieder ihre Warnungen auszusprechen. Natürlich wollte eine junge Frau auf dem Weg zum Erwachsenwerden nichts hören von Schatten, von Unheil, von den neidischen Flüchen der Dunkelheit. Sie hatte nach Verständnis gesucht. Nach Jemandem, der ihren Worten lauschte, sich mit ihr freute, über den stolzen Prinzen und seine Ergebenheit. Wie so oft schlang die Finsternis ihre Klauen um Plutos Herz. Sie verfluchte sich selbst um ihre verdammte Reife. Naivität und Sorglosigkeit hätten dazu beigetragen, Princess Serenity zu halten. Hätte sie ihre Pflicht nur ein wenig zurückgestellt, könnte sie die Gesellschaft der Thronerbin sicher heute noch genießen. Doch sie hatte keine andere Wahl gehabt. Und was hatte sie nun davon? Die Wellen des zerstörerischen Fluches bauten sich auf, sie konnte es sehen. Die Schatten wurden mächtiger, ihre Konturen von Tag zu Tag schärfer. Doch die Prinzessin war erblindet. Ein Prinz, dessen fantastische Welt, Wunder, von denen seine Worte erzählten, sie blendeten die Zukunftsträgerin des Silver Millenniums. Und Pluto zerbrach an ihrem eigenen Schicksal. Ihre Hände waren gefesselt, leistete sie selbst den Schwur, für alle Zeit ihren Posten zu verteidigen. Nur kam die Bedrohung nicht aus einer anderen Dimension, nicht aus einer anderen Zeit. Das rote Licht des Garnet Orb erstrahlte. Pluto sah mitten hinein. Sie suchte nach klaren Bildern, fand stattdessen nur unheilvolle Visionen. Doch sie waren verschwommen, unwirklich. Seit einer gefühlten Ewigkeit sah sie nur einzelne Bilder, die Prinzessin auf ihren versteckten Wegen zur Erde, Prinz Endymion, der vor seiner geliebten Serenity niederkniete, die Schutzheiligen, die unter dem Segen der inneren Planeten standen, jedoch verloren waren im Anblick der stolzen Generäle. Dies alles hätte sie ertragen, wären da nicht die Fratzen des Bösen, die ihre Zähne fletschten, im Angesicht der abgelenkten Schicksalsträgerinnen, in deren Händen die Zukunft des Mondkönigreiches lag. ~~~ Immer schneller werdende Melodien einer Violine hallten durch die weiten Säle des Miranda Castle. Uranus´ Finger ruhten längst auf den Tasten ihres Flügels. Ihr sorgenvoller Blick lag auf der Violinistin, die von dem Aussteigen ihrer Partnerin aus ihrem Duett nichts mitbekommen hatte. Erst nach einigen Minuten löste sich die Geigerin von dem Anblick der Stürme, die vor den großen Fenstern des Schlosses wüteten. Sie ließ ihr Instrument langsam sinken. Dann sah sie zu Uranus. Vor diesen Augen konnte sie ihre Ängste nicht verbergen. Ohne einen ersichtlichen Auslöser begann sie zu zittern. Sie bekam eine Gänsehaut. Geige und Bogen rutschten aus ihren Händen und bevor die Meereskriegerin selbst zu kippen drohte, wurde sie von ihrer Partnerin gestützt. „Guardian Uranus!“ Sekunden später tauchte die elfenhafte Gestalt neben ihrer Herrin auf. Sailor Uranus´ Blick ruhte weiter auf ihrer Geliebten. „Hast du immer noch nichts entdecken können?“ Ihre treue Gehilfin schüttelte den Kopf. „Nein, nichts. Was auch immer es ist, es kommt nicht von außerhalb des Systems. Ich habe alles abgesucht, alle Aufzeichnungen gesichtet, sogar mehrmals! Und Guardian Neptune sucht genauso gewissenhaft. Ich weiß nicht, was diese Ströme hervorruft…“ Sailor Uranus nickte verstehend. In der Zwischenzeit hatte sie Neptune auf ihre Arme gehoben und zum Bett getragen. Sie hielt ihre Gefährtin fest umarmt und versuchte so, diese vor dem Kollaps zu bewahren. Nachdem ihr Zittern ein wenig nachgelassen hatte, richtete sich Neptune mühsam auf. „Ich sollte zum Triton Castle zurück. Vielleicht hat Guardian Neptune doch etwas übersehen“, brachte sie murmelnd hervor. „Hör auf mit dem Blödsinn, Michi! Du kannst dich doch kaum auf den Beinen halten.“ Schon im nächsten Moment griff sich Neptune an die pochenden Schläfen und verzerrte schmerzgeplagt ihr Gesicht. „Verdammt, was passiert da?“ Uranus ließ sich von der Bettkante rutschen und kniete vor der Meereskriegerin nieder. Dann legte sie ihre eigenen auf Neptunes Hände. Sie wartete, bis sich die türkisblauen Augen zeigten, bevor sie sprach: „Ich weiß es nicht. Ich spüre es auch, aber ich fühle mich genauso nutzlos.“ Nutzlos. Das war es, das Gefühl, das sie umfangen hielt und sie zerdrückte. Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass ihren und Uranus‘ Augen nichts entgangen war. Doch vielleicht hatte Guardian Uranus recht. Vielleicht kam die Bedrohung nicht von außerhalb. Vielleicht… „Wir müssen zu Pluto Kontakt aufnehmen!“, erklärte Neptune entschlossen. „Vielleicht hat dieser… Schatten tatsächlich nicht den Raum durchquert, sondern die Zeit! Vielleicht war er bei ihr, vielleicht hat er sie überwältigt!“ Dieser neuen Panikattacke wollte Uranus zunächst entgegen wirken, doch die berechtigten Sorgen waren ansteckend. Die Blonde nickte also nur zustimmend und Sailor Neptunes Hände legten sich auf deren Brust. Unter einem hellen Lichtschein formte sich in ihnen der magische Talisman und seine Gebieterin blickte in ihn hinein. Zuletzt hatte sie versucht, ihr Königreich in der glatten Oberfläche zu finden, doch dabei war der Spiegel jedes Mal wieder beschlagen. Jetzt hatte sie ein anderes Ziel und hoffte, dass sie wenigstens dieses erreichen konnte. ~~~ Pluto rang nach Luft. Vollkommen entkräftet kniete sie vor dem Tor, das zwischen ihr und ihrer Heimat stand. Unnachgiebig. Einst ihr einziger Begleiter, jetzt der Todfeind. Wie viele Angriffe hatte sie ihm entgegen geschleudert, wie oft hatte sie sich gegen es geworfen? Doch das Tor blieb verschlossen. Und der Nebel zog erneut auf, verwischte die Spuren, die der Garnet Orb hinterlassen hatte. Hatte sie versagt? Wieso? Sie hatte doch nur ihre Pflicht erfüllt! Sie hatte ihren Posten nicht für einen Augenblick verlassen. Sie hatte ihren Schwur befolgt. Aber warum fühlte sie sich jetzt so schuldig? Was war geschehen? Hatte sie zu spät gehandelt? Zu spät entschieden, dass sie, um ihre Aufgabe zu erfüllen, ihre oberste Regel brechen musste? Das Tor zum Mondpalast gab ihr keine Antwort. Es schwieg. Und blieb verschlossen. Welcher Bann sich auch immer auf das Silver Millennium gelegt hatte, er sollte verhindern, dass Sailor Pluto in den Kampf eingriff. Ein letztes Mal bündelte die Wächterin ihre Kräfte. Sie hob ihr Zepter, immer heller strahlte ihr Talisman. Auch wenn sie irgendwann an ihrer Erschöpfung zugrunde gehen würde, aufzugeben konnte, durfte, wollte sie sich nicht erlauben! Ihre Muskeln spannten sich an, drohten zu zerreißen, doch noch immer beschwor Pluto mehr Kräfte herauf. Ihr Herz raste, schlug so kräftig gegen die Gitterstäbe ihres Brustkorbes, dass die Luft zu vibrieren begann und der Nebel am Tor zu Raum und Zeit auseinander stob. Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung fanden ihren Weg, bald darauf auch der von Selbsthass erfüllte Schrei. „PRINCESS!“ Der grelle Lichtblitz schien die ganze Dimensionsebene niederwalzen zu wollen. Der ebenso undefinierbare wie unerschütterliche Boden unter Plutos Sohlen erbebte. Gäbe es in dieser Spalte zwischen den Welten so etwas wie eine Zeit, wäre sie unter dem Ausbruch ihrer eigenen Hüterin zersprungen. Doch die gab es nicht. Nur ein Tor. Das selbst jetzt noch verschlossen blieb. Klirrend fiel erst ihr Zepter, dann die Wächterin selbst. Leere Augen starrten ins Nichts. Sie hatte alles gegeben. Ohne Erfolg. Sie war… nutzlos. ~~~ „Sie reagiert überhaupt nicht!“ Wieder und wieder rief Neptune nach ihrer Gefährtin, doch ihr Talisman war nicht in der Lage, den roten Schimmer aufzuspüren. „Es muss etwas passiert sein! Ihr muss es doch auch so gehen! Würde sie mich blockieren wollen, würde ich zumindest ihre Aura finden können, aber da regt sich überhaupt nichts!“ Verzweifelt warf sie den Spiegel auf die Matratze und raufte sich ihr Haar. Es dauerte nicht mehr lange, bis Uranus den Entschluss fasste: „Dann gehen wir zu ihr.“ Neptune sah sie misstrauisch an. „Wir sollen unsere Posten verlassen?“ „Wieso sollen wir hier noch wachen, wenn es bald vielleicht nichts mehr gibt, was wir beschützen können? Du weißt es genauso gut wie ich. Hier können wir überhaupt nichts mehr ausrichten. Was auch immer sich da um das Silver Millennium gelegt hat, es ist längst da! Wen interessiert, woher es kommt? Es wird unser Reich vernichten! Wir können hier nicht länger rumsitzen und weiter in die Ferne starren! Was soll der Blödsinn?!“ Uranus hatte nicht bemerkt, wie sie immer lauter geworden war. „Wir müssen zu ihnen! Zu ihr! Unsere Prinzessin braucht uns! WIR HABEN DOCH GESCHWOREN, SIE IMMER ZU BESCHÜTZEN!“ Jetzt war es die Windkriegerin, die zu zittern begonnen hatte. Sie senkte ihren Blick und flüsterte: „Ich kann ihr Licht nicht mehr spüren. Nicht, weil sie uns vergessen hat. Das war anders. Ich habe es dennoch finden können. Aber jetzt kann ich es nicht mehr sehen. Sie ist verschwunden, Michi!“ Sailor Neptune schluckte. Zum ersten Mal seit Jahren war es ihre Geliebte, die zu weinen begann, die sich von Hoffnungslosigkeit lähmen ließ. Neptune atmete tief durch. Entschlossen nahm sie ihren Talisman wieder an sich. „Dann lass uns gehen. Ich bringe uns zu Pluto. Dann sehen wir weiter. Gemeinsam. Wir sind die drei Herzen, die im Einklang schlagen und die gemeinsam aus der Ferne über das Silver Millennium wachen. Wir brauchen sie.“ ~~~ Noch immer starrte Pluto gedankenleer vor sich hin. Nicht einmal der Nebel hatte sich gewagt, sie aufzusuchen. Ihre Tränen waren getrocknet. Ihr Leben war vorbei. Zumindest ihrer Ansicht nach. Sie wartete darauf, dass ihr Herz endlich stehenblieb. Doch das tat es nicht. Quälend beständig hielt es den Strom ihres Blutes am Laufen. Worauf lauerte ihr Körper noch? Plötzlich registrierte das letzte Bisschen von Plutos Verstand etwas Neues. Zum ersten Mal seit Anbeginn kam in dieser unwirklichen Dimension ein Luftzug auf. Er legte sich um Plutos Körper, strich über ihre von der vergangenen Anstrengung gereizte Haut. Er trug einen Duft mit sich, der sich langsam in die Gedanken der Wächterin schlich. Überall hätte sie ihn erkannt, ihn unter tausenden herausfinden können! Doch wie war das möglich? Das konnte nicht wahr sein. Es war nur ein Traum, ein weiterer grausamer Streich. Die vertrauten Stimmen. Vielleicht war es nun doch soweit. Vielleicht waren dies die Zauber ihres Unterbewusstseins, die ihr den Weg in den Tod erleichtern sollten. Lächelnd schloss Sailor Pluto ihre Augen. Die Stimmen wurden lauter. Irrte sie sich, oder konnte sie selbst Schritte an diesem verlassenen Ort hören? Sie war zu erschöpft, um sich zu rühren, selbst das Denken fiel ihr schwer. „Pluto!“ Die Wächterin riss ihre Augen auf. Etwas hatte sie berührt, nicht sanft wie ein Windhauch, sondern fest und real. Ihre geschundenen Nervenenden meldeten den starken Schmerz in ihren Oberarmen, um die sich zwei Hände geschlossen hatten. Statt eine Antwort zu geben, stöhnte die Kriegerin auf. Sofort wurde der Griff um ihre Arme gelockert. „Pluto! Komm zu dir! Was ist passiert? Wurdest du angegriffen?“ Noch immer klang Uranus‘ Stimme dumpf und ihre Silhouette war verschwommen, doch ihre Aura bewies die unwiderrufliche Wirklichkeit. Sailor Pluto begriff allmählich, dass sie sich nicht in Halluzinationen verfangen hatte. Heiser flüsterte sie: „Uranus… Du bist hier? … Wie?“ Verunsichert blickte Sailor Uranus zu ihrer Geliebten, die neben Pluto niederkniete, sich über sie beugte und zärtlich über die kalten Wangen strich. „Wir spürten, dass wir gebraucht werden. Unsere Heimat wird angegriffen und von unseren Posten aus konnten wir nichts ausrichten“, erklärte Neptune ruhig. „Hast du sie gesehen?“ Plutos Blick klammerte sich an das rettend vertraute Gesicht der Meereskriegerin. „Nicht direkt. Ich sah ihre Schatten und Umrisse. Ich sah, dass sie näherkamen. Ich handelte zu spät. Auch ich hätte meinen Platz verlassen sollen, als ich es noch konnte. Aber jetzt ist das Tor verschlossen. Niemand kommt mehr zum Mondpalast.“ Noch immer klang Plutos Stimme brüchig. „Wir sind zu spät…“ Uranus sah sich um. Hinter ihr das Tor machte nicht gerade den Eindruck, unüberwindbar zu sein, aber die etlichen Brandmale, die den Boden vor ihm musterten, sprachen wohl davon, dass ihre Gefährtin nicht nur ein Mal versucht hatte, es zu überwinden. „Michi hat uns durch ihren Spiegel hergeführt“, berichtete sie. „Zu dritt haben wir sicher genug Kraft, durch ihn auch diesen dunklen Bann zu überwinden!“ Neptune schüttelte ungläubig ihren Kopf. „Ich konnte den Mondpalast nicht mal erkennen. Und Pluto ist völlig am Ende. Wie sollen wir das schaffen?“ „Wir sind die drei Herzen, die im Einklang schlagen und die gemeinsam aus der Ferne über das Silver Millennium wachen. Das sind deine eigenen Worte. Unsere Heimat braucht uns. Wir müssen sie beschützen. Wir müssen unsere Prinzessin beschützen! Wir haben es geschworen.“ Dumpf beschleunigte Plutos Herz seinen Schlag. Vielleicht war sie nun zu spät. Vielleicht hätte sie eher handeln müssen. Doch würde sie jetzt aufgeben, würde sie sich das auf ewig nicht verzeihen. Bis ans Ende der Zeit würde sie mit dem quälenden Gedanken leben müssen, nicht alles versucht zu haben. Und immer würde sie sich dafür hassen, ihre Prinzessin allein gelassen zu haben. Mühsam setzte sie sich auf, ließ sich dabei von Neptune stützen. „Uranus hat recht. Wir müssen zum Mondpalast. Und wenn ich daran zugrunde gehe, ich werde euch führen! Öffne mir nur das Tor deines Spiegels, Sailor Neptune.“ Kurz darauf hielten die Kriegerinnen ihre Talismane fest umklammert. Pluto und Uranus hatten je eine Hand auf Neptunes Schultern gelegt, die ihrerseits mit verschlossenen Augen stumm den Strom ihres Seelenflusses anflehte. Uranus‘ Geist war bereits eins mit ihrer Partnerin geworden. Nur Pluto zögerte noch. Sie fühlte sich schwach und noch immer zuckten ihre Muskeln unter den letzten Anstrengungen. Was, wenn sie den Weg zum Palast nicht finden würde? Und selbst wenn es ihr gelingen würde, zu ihrer Prinzessin zu gelangen, was wäre denn dann, wenn sie nicht stark genug wäre, um diese auch zu beschützen? Selbstzweifelnd schloss sie ihre Augen. Ihr Geist suchte nach einer Spur. Stattdessen fand sie etwas Anderes. Ihr Herz schien ein Echo zu haben. Pluto ging dem bizarren Gefühl nach. Sie erkannte nicht nur ein einzelnes Echo, sondern auch noch ein zweites. Das eine schlug kraftvoll, das andere sanfter, jedoch beide im selben Takt mit ihrem eigenen. Sie riefen nicht nur nach ihr, sie strahlten ihr entgegen. Je mehr sie sich anziehen ließ, desto wärmer wurde sie von den Lichtern umfangen. Ihre eigenen Kräfte kehrten zurück, mobilisierten sogar noch mehr Reserven. Sie würde stark genug sein, ihre Mitstreiterinnen zu führen. Sie musste sich nur in ihren Energiefluss fallen lassen. Pluto sah auf. Sie befand sich nicht länger am Tor zu Raum und Zeit. Die Welt, die sie umgab, war dunkel und voller Schatten. Sie ließ ihre Hand von Neptunes Schulter gleiten und umgriff fest ihr Zepter. Ihre Gefährtinnen blickten sich unsicher um. „Irgendetwas ist anders“, murmelte Neptune. „Normalerweise werde ich ungehindert durch meinen Spiegel gezogen. Ich spüre, wie sich mein Körper auflöst und wie mein Geist durch das Zentrum meines Talisman reist, bevor ich an dem von mir gewünschten Ort meine Gestalt zurückerlange. Doch wir sind nicht angekommen, oder? Sind wir noch im Spiegel?“ „Die Schatten drängen uns zurück“, antwortete Pluto ruhig. „Bleibt dicht hinter mir. Mit ungreifbaren Gestalten kenne ich mich nur zu gut aus.“ Ihr Garnet Orb begann zu strahlen. Das rote Licht erhellte einen kleinen Umkreis um die Wächterin und ihre Gefährtinnen und Pluto schritt voran. Immer wieder erhoben sich neblige Kreaturen, stöhnten auf und fielen über sich her und in sich zusammen, doch die Hüterin der Zeit ließ sich nicht beirren. Wie ein Mantra wiederholte sie ihre Mahnung: „Sie sind nicht real! Nur grausame Streiche, die unseren Verstand lähmen sollen.“ Je weiter die Senshi durch die Dunkelheit wateten, desto furchteinflößender wurden die Bilder. Die Figuren wurden realer, ihre Bewegungen und Handlungen deutlicher. Als sich eine besonders große Kreatur direkt neben Neptune aufbäumte, die Zähne fletschte und die Klauen nach ihr ausstreckte, schwang Uranus zum ersten Mal ihr Schwert. Sie stürzte auf das Ungetüm zu und rammte ihm die Klinge durch die Brust, doch schon als die Spitze den rauchigen Körper berührte, zersprang er. Mit geweiteten Augen starrte Uranus den letzten sich auflösenden Überresten nach. Ihr Herz raste und ihre Lunge rang nach Luft. Als sie eine Berührung an ihrer Hand fühlte, zuckte sie zusammen. „Sie sind nicht real, Haru. Sie können uns nichts tun“, wiederholte Neptune in sanfter Tonlage die Worte ihrer Anführerin. Beinahe entschuldigend sah Uranus erst zu ihr und dann zu Pluto. Langsam nickend deutete sie ihre Bereitschaft an, den Weg fortzusetzen. Wieder bildeten sich Nebelkreaturen, die ihren Puls in die Höhe trieben, doch ihre Gefährtinnen wanderten unbeirrt weiter. Die Windkriegerin umklammerte ihre Waffe fester und schwang sie immer aufs Neue, um mit dem dabei aufkommenden Wind wenigstens ein paar der Hirngespinste zu vertreiben, die nachwievor von Schritt zu Schritt realer zu werden schienen. Plötzlich verlangsamte Neptune ihr Tempo. Uranus folgte ihrem Blick. Waren es immer noch materiefreie Gespenster? Dieses Eine da erschien ihr dafür viel zu echt! Die Statur, die stolze Haltung, die neblige, wellige Mähne. „Ist das…?“ Doch schon im nächsten Moment richtete sich ein weiteres Monster auf und zerfetzte die Gestalt des Erdenprinzen Nephrite. Ruhig erklärte Pluto: „Je näher wir dem Mondreich kommen, desto stärker werden die dunklen Mächte. Sie lesen in unseren Erinnerungen. Darum werden die Gestalten immer greifbarer.“ Schwerer schloss sich die Dunkelheit um die kleine Gruppe. Mehr Szenen entstanden und stellten Freunde nach, die stöhnend und schreiend untergingen. Der Krach stieg an. Die bekannten Stimmen stachen in die Herzen der Wandernden, hetzten ihre Schuldgefühle, flehten um Hilfe und weinten unter unbeschreiblichen Qualen. Schließlich waren es die Schreie, die die drei einzigen wirklichen Körper in dieser Dimension zum Zittern brachten. Bald brach Neptune zusammen. Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und stieg kreischend in den teuflischen Chor mit ein. Uranus zog sie an sich, musste jedoch selbst die Augen schließen, um dem Wahnsinn standzuhalten. Einzig Pluto hielt sich auf den Beinen. Sie hob ihr Zepter und das Strahlen des Garnet Orb zog sich zusammen. Als er genug Kräfte gesammelt hatte, stieß seine Herrin das untere Ende des Stabes auf den Boden und die in alle Richtungen rollende Lichtwelle vertrieb die Gestalten und setzte dem grausamen Gesang ein Ende. Schwer atmend wandte sich Pluto an ihre wimmernden Freundinnen. „Diese Bilder sollen uns mürbe machen. Wer auch immer hinter ihnen steckt, will, dass wir unsere Kräfte an sie verschwenden.“ Die Wächterin hatte erwartet, die Stimmen würden erneut aufkommen, doch als sie sich endlich weiter durch die Dunkelheit wagten, blieb alles um sie herum still. Hatte sie den Bann gebrochen? Mit einem einzigen Angriff? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie spürte, dass das Mondreich nicht mehr fern war. Nur noch ein paar Schritte… Jedoch bemerkte sie in dem Augenblick, in dem sich Erleichterung in ihr ausbreiten wollte, dass ihre Gefährtinnen abermals stehengeblieben waren. Sie starrten in die gleiche Richtung, mit leeren Blicken und bleichen Gesichtern. Pluto wandte sich um. Ihr stockte der Atem. Konnte sie noch länger annehmen, die Bilder wären bloße Spielerei? Die Konturen scharf, selbst das wehleidige Gesicht erkennbar, nur die Farben blasser als sonst. War das noch ein Schatten? Zu wirklich sah er zu den Kriegerinnen. Markerschütternd der atemlose Schrei. Pluto stürzte auf die Gestalt zu und griff nach der Prinzessin, doch durch sie hindurch. Sie blickte in die unendlich enttäuschten, tränennassen Augen. „Du hast mich im Stich gelassen. Wo warst du, Pluto? Ich habe auf dich gewartet. Ich rief nach dir. Aber du bist nicht gekommen. Du hast gelogen, Pluto. Du hast deinen Schwur gebrochen. Du liebtest mich nie, Sailor Pluto.“ Die Kriegerin fand keine Antwort. Machtlos musste sie mit ansehen, wie Princess Serenity das Schwert hob, die Spitze auf sich selbst richtete und sich die Klinge in den Leib rammte. Der geisterhafte Körper fiel vornüber. Er spuckte Blut, nasses Blut, reales Blut, das sich seinen Weg zu Plutos Knien bahnte, die zusammengebrochen am Boden kauerte. „Princess…“, flüsterte die Kriegerin aufgebend. Sie legte ihre Hände in die schnell auskühlende, rubinrote Pfütze. „Princess!“ Ein letztes Mal sah die Schattenkreatur auf. „Ich habe gebetet, du würdest zu mir kommen. Du hast mich nicht erhört. Deine Prinzessin starb. Und du hast nicht einmal versucht, etwas dagegen zu unternehmen.“ Plötzlich verzerrte sich die Gestalt. Die Gesichtszüge wurden länger. Das geliebte Antlitz zerfloss. Die gütigen Augen zogen sich zusammen, die Zähne im sich weitenden Mund wuchsen und ragten spitz hervor. Endlich offenbarte sich das hässliche Monster zur Gänze. Von der Prinzessin war nichts mehr übrig. Das fast schwarze Ungeheuer baute sich vor der zermürbten, regungslosen Wächterin auf, dazu bereit, sie zu verschlingen. Doch bevor es über sie herfallen konnte, bohrte sich die Klinge des Kosmischen Schwertes durch seinen Torso. Kreischend richtete es sich ein letztes Mal auf, bevor es endgültig von einem machtvollen Angriff Neptunes zerfetzt wurde. „Nicht real“, murmelte Uranus. Aber Pluto hatte erkannt, dass sich hinter diesem Erlebnis die Wahrheit verbarg. Ihre Finger bohrten sich in den klumpigen Staub, der das Blut ihres Engels in sich aufsog. Sie schüttelte ihren Kopf. „Es war real. Die Wirklichkeit versteckt hinter den Schatten der Finsternis. Wir sind längst da!“ Sie tastete im dunklen Nichts, bis sie Gewissheit hatte. Sie fand ihn. Den leblosen, längst erkalteten Körper. „Nein!“, flüsterte sie. „Wir sind zu spät!“ Ihre Stimme erstickte in ihren Tränen. Sie tastete weiter, bis es ihr gelang, ihre Hände um die Oberarme ihrer Prinzessin zu legen. Erst als sie den Laichnahm auf ihren Schoß zog, fiel die Schwärze des Zaubers von ihm ab. „Princess… Princess! SERENITY!!“ Der Schrei der Wächterin löste den Bann endgültig. Die verhüllende Mantel fiel und gab den Blick auf das verwüstete Mondreich frei. Und endlich begriff auch Uranus, dass das Bild ihrer leblosen Prinzessin nicht länger ein Schattenspiel des Bösen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)