Das Schicksal der Äußeren Kriegerinnen von Ruka_S_Orion ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 Gerechtigkeit, Liebe, Güte und Fürsorge, all die Werte, die Princess Serenity in ihren noch so jungen Jahren beigebracht worden waren, waren sie nichts mehr wert? Wie konnte ihre eigene Mutter so kaltherzig sein? Ausgerechnet sie?! Serenitys Augen weiteten sich. Sie wollte loslaufen, aber Jupiter war zu schnell und fing sie sofort wieder ein. Sie konnte nichts tun. Sie musste mit ansehen, wie ihre Freundinnen, ihre Vertrauten, ihre geliebten Gefährtinnen ihren Weg antraten. Uranus blickte zurück, lächelte der Prinzessin plötzlich zu. Doch Serenity war das kein Trost. Die Körper ihrer Beschützerinnen lösten sich auf, zunächst ganz langsam, aber dann immer deutlicher, bis sie völlig verschwunden waren. Serenity wollte schreien, wollte weinen. Jedoch brachte sie keinen Laut hervor. Die Anspannung verließ ihren Körper und sie rutschte in Jupiters Armen zu Boden. Einige Minuten lang sprach niemand ein Wort. Princess Serenitys junge Leibgarde war verunsichert. Die Reaktion ihrer Prinzessin hatte sie überrascht. Nachdem sie sich eine verirrte Träne aus dem Gesicht gewischt hatte, wandte sich Mars an Serenity. Sie atmete tief durch. Dann lächelte sie ihr zu: „Keine Sorge, wir werden sie garantiert wiedersehen. Sicher werden sie uns eines Tages mal besuchen kommen.“ Der Blick der Prinzessin wurde klarer. Sie starrte in Mars´ Augen, fand aber nicht, wonach sie suchte. Also sah sie von der Kriegerin ab, hin zu ihrer Mutter und Königin. Die anmutige Majestät ließ nur langsam ihre Arme sinken. Sie hatte Mars´ Versprechen gehört und wusste, was ihre Tochter nun von ihr hören wollte. Niemals würde sie eine Lüge vertreten, erst recht nicht der Thronerbin gegenüber. Unnachgiebig wurde sie von dem überwältigenden Azurblau fixiert. Schließlich konnte sie es nicht mehr vermeiden, ihrem Schützling direkt in die Augen zu sehen. Kein Wort war nötig, keine Geste. Princess Serenity konnte in der Aura ihrer Mutter wie in einem Buch lesen. Mars irrte sich. Eine Rückkehr Neptunes und Uranus´ war nicht vorgesehen. Sie würden nie zurückkommen, auch nicht für einen Besuch. Sie waren weg, traten in diesem Moment ihre verdammte Pflicht an. Und dieser würden sie bis zum Untergang des Silver Millenniums nachkommen. Princess Serenity stand auf. Wellen mystischer Energie strahlten von ihr aus. Jupiter ließ von ihr ab und die Thronerbin des Mondkönigreiches trat ihrer Mutter gegenüber. „Es tut mir leid, sie kannten ihren Weg. Gegen das Schicksal bin auch ich machtlos“, erklärte Queen bedrückt. Stumme Tränen rollten über die Wangen ihrer Tochter. Die Prinzessin schüttelte ihren Kopf. Dann verzerrten sich ihre Gesichtszüge und sie schrie: „Du hast es nicht einmal versucht!“ Ein herzzerreißendes Schluchzen, bevor sich Princess Serenity abwandte und loslief. „Prinzessin!“, rief Venus ihr nach, doch Queen hielt die jungen Kriegerinnen zurück. Die Einzigen, die Princess´ Ausbruch jetzt noch hätten aufhalten können, waren soeben verschwunden, auf dem unumkehrbaren Weg zu ihren weitentfernten Posten. Serenity rannte durch den Palast. Sie hatte kein Ziel, spürte nur Wut und Verzweiflung in sich. So mächtig und gütig war die Königin. Wieso hatte sie das Gesetz nicht einfach geändert? Serenitys Füße trugen sie vor die vertraute Tür. Noch immer war ihr Blick durch die unzähligen Tränen verschwommen. Wo sie war, wusste sie trotzdem. Vorsichtig berührte sie das warme Holz. Der Raum öffnete sich, aber die anziehende Energie, die hier seit Jahren geherrscht hatte, war verschwunden. Langsam wanderte Serenity zu dem großen Himmelbett. Zärtlich strich sie über die weiche Decke. Sie schlüpfte unter sie, schlang sie um ihren zierlichen Körper. Immerhin war der Duft geblieben. Als wären sie immer noch hier. Ihre Augen fanden den weißen Flügel. Das Verdeck der Tasten war geöffnet, als würde Uranus jeden Augenblick zurückkommen und ein Duett mit ihrer Gefährtin anstimmen. Doch die Kriegerinnen kamen nicht. Und sie würden auch nie zurückkehren. Zwei Säle des Mondpalastes würden von heute an auf ewig leer stehen. Princess Serenitys junger Körper bebte unter ihren tiefen Schluchzern. Auch hier hielt sie es nicht länger aus. Sie sprang aus dem Bett, lief erneut los. Wieder rannte sie blind durch die Korridore. Hörte sie andere Schritte als ihre eigenen, änderte sie ihre Richtung, wieder und wieder. Plötzlich hielt sie inne. Irgendetwas hatte sie eingeholt. Ein Gefühl? Eine Energie? Was auch immer es war, es hielt sie fest. Serenity sah sich um. Wo war sie? An diesen versteckten Saal des Palastes konnte sie sich gar nicht erinnern. War sie überhaupt schon einmal hier gewesen? Eine merkwürdige Aura strömte auf sie ein. Die Prinzessin schloss ihre Augen. Wärme und Geborgenheit streckten sich nach ihr aus. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Irgendetwas wollte die trüben Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben. Serenity ließ sich führen. Ihr Körper fand den Weg, ohne dass sie aufzusehen brauchte. Ihre Hände legten sich an das Tor, dem einzigen Grund, aus dem dieser Raum hier offenbar existierte. Denn bis auf das Tor war der kleine Saal vollkommen leer. Was auch immer hinter ihm lag, hierher stammte die mystische Energie. Geräuschlos öffnete es sich einen Spaltweit. Nebelschwaden bahnten sich ihren Weg hindurch und züngelten der Prinzessin verspielt entgegen. Serenitys wache Augen riskierten einen Blick. Was war das für ein Raum? Er gehörte auf keinen Fall mehr zum Mondpalast! Es schien fast, als würde er überhaupt nicht im Reich des Mondes liegen. War es überhaupt ein Raum? Vielleicht war es eher eine andere Dimension. Also musste dieses Tor eine Art Pforte sein. Die magische Energie rief stumm nach der Prinzessin. Sie klang so dunkel und einsam. Also trat Serenity vorsichtig ein. Der Boden war unnachgiebig wie Marmor, doch verursachten ihre Schritte kein einziges Geräusch. Der dichte Nebel hüllte sie ein. Er fühlte sich kalt an, aber trocken. Ein bedrückender Ort. Sie konnte sehen, jedoch nicht erkennen, woher das Licht kam, das hier so spärlich schien. Obwohl sie sich unbehaglich fühlte, wollte sie nicht gehen. Sie wollte herausfinden, welch arme Seele hier lautlos in ihrer Wehmut wimmerte. Einige Meter vor ihr stob der Nebel plötzlich empor. Etwas bewegte sich. Eine Silhouette wurde sichtbar. War dies das Wesen, welches die Prinzessin gerufen hatte? Die Gestalt kam näher. Ein Mensch, großgewachsen und schlank. Er hielt etwas in seiner Hand, einen Stab, vielleicht eine Art Zepter? Serenity machte einen Schritt vorwärts. Wer so nah am Palast lebte, konnte ihr nichts Böses wollen. Außerdem fühlte sich die Aura so vertraut und fürsorglich an, dass keine Angst in ihr aufkommen konnte. Ohne Vorwarnung hob die Gestalt ihren Stab. Seine Spitze begann granatrot zu glühen. Serenity wich zurück. So sehr sie sich von der Energie angezogen fühlte, so furchteinflößend war plötzlich diese Ausstrahlung. Die Prinzessin hielt inne. Eine düstere Stimme, stark, stolz und dominant, erklang: „Halt! Bis hierhin, aber keinen Schritt weiter! Ich beaufsichtige die Raum-Zeit-Pforte. Ich bin die Wächterin der Unterwelt. Außer mir darf niemand diesen Ort betreten. Wer gegen das Verbot verstößt, wird von mir vernichtet!“ Das rote Licht breitete sich aus. Serenity befreite sich aus ihrer Starre. Ein Schritt zurück, ein zweiter. Dann drehte sich die Prinzessin um und rannte davon, durch das Tor, den leeren Saal, die weiten Korridore. „Prinzessin? Prinzessin? Komm schon! Ich habe gesagt, wir lernen draußen, aber nur, wenn du dich nicht ablenken lässt! Prinzessin!“ Mit schnellen Wimpernschlägen erwachte Serenity aus ihren Träumen. Die Erde über ihr hatte sie in ihren Bann gezogen. Schon immer hatte die faszinierende Kugel, in deren Atmosphäre Wolkenströme immer neue Muster bildeten, die mittlerweile 11jährige Prinzessin mehr interessiert, als Mercurys Unterricht. Wie oft sie auch schon zu dem blauen Planeten geblickt hatte, entdeckte sie immer noch unbekannte Seen, bisher ungesehene Gebirge und neue Farbklekse auf der sich ständig wandelnden Oberfläche. Stets die Etikette wahren, lernen, erwachsenwerden. Princess Serenity war von dem Alltag des Adels eingeholt worden. Sie erinnerte sich daran, dass es nicht immer so gewesen war. Vor Jahren hatte es neben ihren Schutzheiligen noch andere geliebte Menschen gegeben, die in ihr eben nicht nur die Thronerbin gesehen hatten. Bei ihnen hatte sie Kind sein dürfen. Doch diese Freundinnen waren längst verschwunden und mit der Zeit waren auch Serenitys Erinnerungen immer blasser geworden, sodass sie sich mittlerweile nicht mehr sicher war, was sie wirklich mit den stolzen Kriegerinnen erlebt, und was sie sich nur erträumt hatte. Denn in manchen Nächten, wenn sich die Prinzessin missverstanden fühlte, träumte sie von sanften Melodien, von den Klängen einer Violine oder eines Flügels. Sie umhüllten sie, wenn es ihr schlecht ging, trösteten sie, wenn sie traurig war. Und wenn sie sich hin und wieder vor der nörgelnden Mars und der ehrgeizigen Venus im Palastgarten verstecken und zur Erde blicken konnte, fühlte es sich an, als würden die ruhigen Lieder ihr von dem blauen Planeten, seinen Meeren und Wäldern erzählen. Unter einem resignierenden Seufzen schlug Mercury ihr Geschichtsbuch zu. „Ich glaube, das Lernen hat sich fürs Erste erledigt. Vielleicht brauchst du einfach eine Pause.“ „Höre ich richtig? Ein Schonprogramm für unsere Prinzessin? Hat sie denn ihre heutige Lektion schon abgeschlossen?“ Bis vor wenigen Minuten hatte Venus mit Jupiter und Mars in einigen Metern Entfernung trainiert. Jetzt hatte sie ihrer Prinzessin eigentlich nur einen Besuch abstatten und sie für ihr Durchhaltevermögen lohnen wollen. Serenity noch halb in ihren Träumen versunken vorzufinden, hatte sie sich nun wirklich nicht erhofft. „Ich war ganz fleißig! Aber irgendwann kann ich einfach nicht mehr lernen…“, rechtfertigte sich die Thronerbin. Venus knurrte verstimmt. Mercury nickte ihr jedoch beschwichtigend zu, also konnte sie nicht anders, als augenrollend zu lächeln. Einen Schritt hinter ihr tauchte Mars auf, die sich eine verschwitzte Strähne aus der Stirn wischte. „Was denn? Den ganzen Tag über vor sich hin träumen und dann auch noch früher Schluss machen? Solche Privilegien würden mir auch gefallen!“ „Was denn für Privilegien?! Ich kann eben nicht immer den ganzen Tag lernen! Ich mache nichts Anderes! Manchmal fühle ich mich gar nicht wie eine richtige Prinzessin… Prinzessinnen sollten auch mal Spaß haben dürfen.“ Sehnsuchtsvoll blickte Serenity abermals zur Erde. „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte ausbrechen. Fragt ihr euch nicht auch hin und wieder, wie es da so ist?“ „Auf der Erde? Was willst du genau wissen?“ Schnell hatte Mercury einen besonders dicken Wälzer aufgeschlagen. „Ich will nicht wissen, was in den Büchern steht. Ich würde es gerne einmal selbst sehen können. Den Wind spüren und das Rauschen des Meeres hören…“ Jupiter folgte dem Blick ihres Schützlings. „Du meinst, wie Uranus und Neptune?“ Serenity legte ihre Stirn in Falten. „Uranus und Neptune… Ja… Vermisst ihr sie auch so sehr?“ „Natürlich vermissen wir sie“, seufzte Venus. „Aber sie haben nun mal eine Aufgabe. Sie erfüllen ihre Pflicht. Zerbrich dir nicht deinen Kopf über sie.“ Ruhelos drehte sich Serenity von der einen auf die andere Seite. Venus´ Worte vom Nachmittag hallten noch immer in ihrem Kopf wider. Eine Aufgabe… Eine Pflicht! Sie seufzte, konzentrierte sich, doch die leise Melodie, der sie lauschte, konnte sie heute nicht trösten. Sie war sich nicht mal mehr sicher, ob sie sie wirklich hörte, oder ob sie sich die sanften Klänge nur einbildete. Schließlich schob sich die Prinzessin aus ihrem Bett. Lautlos schlich sie durch den Korridor, den sie seit Jahren nicht mehr betreten hatte. Vor der Tür zu Uranus´ Schlafsaal stoppte sie. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf die Klinke. Statt die Tür zu öffnen, zog sie sich dann jedoch zurück. Den leeren Saal zu betreten, den seit langer Zeit unberührten Flügel zu sehen, das von ihr selbst zuletzt zerwühlte Bett vorzufinden… Es würde ihr keinen Trost spenden. Nicht mehr. Ziellos wanderte die Thronerbin des Silver Millenniums durch den Palast. Das Reich schlief. Nur sie war rastlos. Nach einiger Zeit des blinden Wanderns hielt sie inne. Sie sah sich um. Sie wusste nicht, wo sie war, nur, dass sie diese Korridore vor Jahren schon einmal durchwandert hatte. Wie damals hörte sie das stumme Weinen einer vergessenen Seele. Sie ging ihrer Intuition nach, fand wie von selbst den Weg in den verlassenen Saal. Vor dem mystischen Tor verharrte sie. Sechs Jahre war es her, diesmal würde sie nicht davonlaufen. Sie berührte die massive Tür nur ganz zaghaft, trotzdem schwang sie augenblicklich auf, als wäre sie leicht wie eine Feder. Der selbe Nebel wie damals waberte ihr entgegen. Bei jedem Schritt, den sie machte, stob er empor. Wie schon vor Jahren, konnte sie kaum etwas erkennen. Dennoch wusste sie, in welche Richtung sie gehen musste. Sie war deutlich zu spüren, die starke und dunkle Aura, die in ihrer Einsamkeit lautlos wimmerte. Die Prinzessin blieb stehen. Sie wusste, dass sie nur ein paar Sekunden warten musste. Dann erschien sie, die stolze Gestalt, mitten im Nebel. Sie hob ihr Zepter, baute sich vor dem eingedrungenen Kind auf und sprach ihre Drohung aus. Wie sie es erwartet hatte, breitete sich das energiegeladene rote Licht aus, aber Serenity wich nicht zurück. Stattdessen lief sie darauf zu. Ein furchteinflößendes Flüstern: „Dead-…“, doch weiter kam die Gestalt nicht. Sailor Pluto stockte der Atem. Was für eine neue Spielerei hatte sich der Nebel ausgedacht? Seit sie hier wachte, hatte niemand ihr Reich betreten. Hin und wieder spielte ihr die Einsamkeit grausame Streiche. Jahre des Alleinseins hatten ihre Gedanken verzerrt. Sie fühlte sich nicht mehr menschlich. Sie wachte hier, doch bis auf das Wissen um das Nachgehen ihrer Pflicht war ihr nichts geblieben. Längst war sie jedem ihrer Gedankengänge gefolgt. Jede Frage, die sich ein in der Dunkelheit lebender Mensch je hätte stellen können, hatte sie sich selbst beantwortet. Rätsel, die sich ihr einst offenbart hatten, waren gelöst. Sie lebte. Allein im Nebel. Ihr Element, die Zeit, die einzige Variable, die hier existierte, war zugleich zu ihrem Gefängnis geworden. Sie verging, erbarmungslos langsam. Nichts geschah. Sailor Pluto bewachte ihren Posten. Das Tor und der Nebel waren ihre einzigen Begleiter. Der eine starr und stumm, der andere kalt und wandelbar. Er erweckte Hirngespinste zum Leben. So oft ahmte er Gestalten nach, verwandelte sich in Gefährtinnen, in Gegner, in Königinnen, in grausame Herrscher. Was Pluto auch tat, ob sie ihre Angriffe in die Dunkelheit schleuderte, ob sie schrie, niederkniete, oder weinte, immer hatten sich die Kreaturen als bloße Figuren ihrer Einbildung entpuppt. Trotzdem griff sie die vermeintlichen Widersacher pflichtbewusst immer wieder an. Doch jetzt stand ihr offenbar ein realer Eindringling gegenüber. Ihr Garnet Orb glühte, dazu bereit, den Feind auszulöschen. Er lauerte, wartete auf den endgültigen Befehl. Zu oft hatte sich Sailor Pluto ihren durch Nebelschwaden Gestalt annehmenden Fantasiegespinsten gestellt. Nie hatten diese gelebt. Nie hatten sie gestrahlt, sich so real bewegt. Nie hatten sie eine eigene Aura besessen. Und es war nicht irgendeine Aura, die ihr jetzt immer näher kam. Unter Milliarden Menschen würde sie die Ausstrahlung, die Energie erkennen. Langsam senkte sich Plutos Zepter. Das Strahlen des Talisman verblasste. „Princess…“ Erleichtert atmete Prinzessin Serenity durch. Sie trat vor die anmutige Kriegerin, die eine ganz ähnliche Uniform trug, wie ihre Schutzheiligen. Darum konnte die Fremde ihr doch unmöglich etwas Böses wollen. Ein Lächeln umspielte den blass rosafarbenen Kindermund. „Du kennst mich?“, fragte die Thronerbin auf das gehauchte Wort hin. Sailor Pluto kniete nieder. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten zu Boden und gaben ungehindert einen Strom unzähliger Tränen frei. Sie wagte es kaum, aufzublicken. Scheu hob sie ihr Gesicht und sah in das königliche Antlitz. „Natürlich kenne ich dich“, mehr brachte sie nicht hervor. Serenitys Lächeln verschwand. „Warum weinst du?“ Sie legte ihre Hände auf die Wangen der weinenden Frau. Statt zu versiegen, brachen noch mehr Tränen hervor. „Weil ich nicht glauben kann, dass du hier bist, Princess. Du darfst hier nicht sein! Niemand außer mir darf diesen Ort kennen!“ „Das heißt, du bist hier ganz allein?“ Pluto hielt dem mitleidvollen Blick nicht länger Stand. Sie starrte abermals zu Boden. „Niemand darf diesen Ort kennen…“ Serenity seufzte. Im Mondpalast weinte nie jemand, höchstens sie selbst. Aber sie durfte das auch. Immerhin war sie die Prinzessin. Wenn sie nicht selbst hin und wieder sehnsuchtsvolle Tränen vergoss, wer sollte es denn sonst tun? Bevor sie sich dagegen wehren konnte, wurde Pluto in Serenitys Arme gezogen. Ihr Zepter entglitt ihr und fiel klirrend nieder. Pluto drückte den zierlichen Körper ihrer Prinzessin an sich. Flüsternd wiederholte sie abermals: „Du darfst hier nicht sein. Niemand darf diesen Ort kennen.“ „Jetzt bin ich aber hier!“, trotzte Serenity. „Und ich verstehe nicht, warum du hier allein leben musst. Womit hast du das verdient? So schlimme Dinge kannst du doch gar nicht angestellt haben…“ Pluto horchte auf. Sie ließ von der Prinzessin ab und setzte sich auf ihre Fersen. Azurblaue Augen, ernst aber gütig, wach und hoffnungsschenkend. Pluto wischte sich die Tränenbahnen von den Wangen. Traurig lächelnd antwortete sie dann: „Ich habe mich dir noch gar nicht richtig vorgestellt. Ich bin Sailor Pluto.“ Serenity kniff ihre Brauen zusammen. Also war die Fremde tatsächlich eine Sailor Kriegerin! Nur warum lebte sie hier vollkommen allein? Hier, wo nichts war, außer Nebel und Stille? „Ich stamme von Chronos, dem Gott der Zeit, ab. Ich bin die einsame Wächterin aller Pforten der Unterwelt, die es in den Spalten zwischen den Zeiten gibt“, erklärte Pluto leise weiter. „Es ist meine Pflicht, hier zu wachen und so die Zukunft des Mondreiches zu schützen. Zeit ist das letzte unantastbare Geheimnis. Ich habe, seit mir deine Mutter diese Aufgabe übertragen hat, die alleinige Kontrolle über dieses streng verbotene Gebiet und dessen Raum-Zeit-Pforten. Darum darf niemand von diesem Ort wissen.“ Serenity nickte verstehend. Wieder folgte eine Kriegerin ihrem Schicksal. Wieder erfüllte eine arme Seele bereitwillig ihre Aufgabe, ihre Pflicht, auferlegt von der Königin des Silver Millenniums. Uranus und Neptune, Mars, Venus, Mercury und Jupiter, auch wenn die mit ihr im Palast lebten, und jetzt auch Pluto. Jede opferte sich für das Mondkönigreich auf. Nur sie selbst war so töricht, von der Erde zu träumen und sich nach einem noch schöneren Leben zu sehnen, frei von ihren jetzt beinahe lächerlich wirkenden Pflichten. Die Thronerbin musterte das Gesicht ihrer Wächterin. Stolz und schön, doch in den granatroten Augen glänzte einsame Melancholie. Die kirschroten Lippen lächelten niedergeschlagen. Auf den gebräunten Wangen glomm immer noch ein leichter Rotschimmer unter den verwischten trockenen Spuren der Tränen. Abermals umschlossen Serenitys Hände Plutos Gesicht. Die Prinzessin flüsterte: „Die einsame, aber schöne Wächterin, Sailor Pluto.“ Verlegen senkte die Kriegerin ihre Lider. Außer Uranus und Neptune hatte ihr nie jemand etwas so ehrlich gemeintes Liebevolles gesagt. „Aber… Ich verstehe das nicht… Du bist doch die Königin! Du bist das Gesetz! Wieso befreist du sie nicht einfach von ihrer Pflicht? Es muss ja nicht endgültig sein. Was wäre so schlimm daran, würde sie hin und wieder ihren Posten verlassen?“ „Das habe ich dir schon einmal versucht zu erklären. Du musst lernen, Princess, dass einige Dinge noch über uns stehen. Das Volk, die Zukunft unseres Reiches, steht an oberster Stelle. Manchmal müssen wir unsere eigenen Wünsche zurückstellen, um im Sinne Aller zu handeln. Sailor Pluto darf ihren Platz nicht verlassen. Zu groß wäre die Gefahr, dass dunkle Mächte ihren Weg zu uns finden.“ „Was für dunkle Mächte?“ Queen Serenity schluckte. Ihre Tochter wusste nicht von dem Fluch, der auf ihr lag. An dem Tag, da Queen die dunkle Königin verbannt hatte, hatte sie ihren Untertanen, sich selbst und vor allem den Schutzheiligen der Prinzessin verboten, jemals über dieses Ereignis zu sprechen. Jetzt verlangten die wachen Augen Princess Serenitys nach einer ehrlichen Antwort. „Serenity, du… Du musst verstehen, dass unser Reich sehr mächtig ist. Durch den Magischen Silberkristall, der durch unsere Herzen gelenkt wird, dient uns nicht nur die Magie des Mondes. Dass wir in Frieden hier leben können, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist das Resultat unfassbarer Kräfte, die zusammen wirken. Und es gibt Mächte, die diese Magie ebenfalls nutzen wollen. Sie beneiden uns um unseren Wohlstand. Sie werden immer da sein. Sie verstecken sich, leben im Verborgenen, in unserem Schatten. Eine dieser dunklen Kreaturen zeigte sich, als ich dich unserem Volk vorstellte. Ich verbannte sie. Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich schnell genug war… Pluto, Uranus und Neptune, Venus, Mars, Mercury und Jupiter, sie sind unser stärkster Schild. Sie leben, um uns zu schützen, um dich zu schützen! Sie versprachen dir ihre Treue. Ihre Pflicht zu erfüllen, ist ihr ganzer Lebensinhalt. Sie existieren einzig, damit sich die Schatten nicht erneut erheben und ihre Klauen nach dir ausstrecken. Du bist mehr als nur meine Tochter, Serenity. Du bist die Zukunft unseres Reiches. Eines Tages wirst du unser Volk führen. Deine Kriegerinnen werden dich immer beschützen. Aber das können sie nur, solange sie ihre Posten verteidigen. Ich darf Pluto nicht von ihrer Pflicht freisprechen. Nicht für eine Minute. Zu groß wäre die Gefahr, dass… Du bist zu wichtig, als dass… Sie würden ihr Leben für dich geben. Jeder würde das tun. Du bist ihr Licht, egal, wie fern sie dir sind. Sie existieren nur für dich, zu deinem Schutz.“ Princess Serenity wartete, doch ihre Mutter hatte ausgesprochen, was ihr wichtig erschien. Die Majestäten schwiegen. Langsam senkte die Prinzessin ihren Blick. „Das heißt, wenn es mich nicht gäbe, wären sie frei? Also ist es meine Schuld, dass Uranus und Neptune gehen mussten? Es ist meine Schuld, dass Pluto schon so lange allein ist?“ „Nein, das verstehst du falsch, Serenity. Du bist-“ „Die Prinzessin?!“, unterbrach Princess Serenity unter Tränen. „Das Schicksal unseres Reiches?! Die zukünftige Königin und der Grund für diesen Fluch, der auf meinen Freundinnen liegt?! Das will ich nicht sein! Ich will nicht, dass sie für mich leben! Ich will, dass sie mit mir leben! In Freiheit, frei zu bestimmen, was sie tun und wohin sie gehen!“ Schluchzend sah sie auf. „Ich will nicht der Grund für ihre verdammte Bestimmung sein!“ Die Königin wollte etwas erwidern, doch ihre Tochter war nicht mehr dazu bereit, ihr zuzuhören. Sie hatte sich längst abgewandt und rannte davon. Diesmal kannte sie ihren Weg; nicht zu den Sälen Uranus´ oder Neptunes, nicht zu ihren Schutzheiligen, zu ihren Freundinnen. Sie stoppte erst, als sie das Tor erreicht hatte. Die Flügel schwangen auf. Zielstrebig trat sie in den Nebel, blickte sich um. Kaum einen Augenblick später tauchte sie auf, die vertraute Gestalt in der Dunkelheit. „Princess? Was tust du hier? Ich sagte dir doch-…“ Pluto schluckte. Kaum hatte sie sich etwas vorgebeugt, war ihr das Kind um den Hals gefallen. Serenity vergrub ihr Gesicht in dem schwer duftenden Haar ihrer Wächterin. Sie weinte: „Sie hat es mir gesagt. Meinetwegen musst du hier leben! Meinetwegen bist du allein! Nur wegen mir bist du hierzu verflucht!“ Seufzend setzte sich Pluto und zog die Prinzessin auf ihren Schoß. Sie wartete, bis sich die Thronerbin etwas beruhigt hatte, bevor sie mit leiser Stimme erklärte: „Du irrst dich. Für dich zu leben ist kein Fluch! Es ist ein Segen. Selbst hier, im dichtesten Nebel, in der Dunkelheit und Einsamkeit, sehe ich dein Licht. Weißt du eigentlich, dass es Menschen gibt, die nach dem Grund ihrer Existenz suchen? Es liegt in unserer Natur, alles zu hinterfragen. Wir wollen so vieles wissen. Und schon immer fragen wir uns, warum wir geboren wurden, worin unser Sinn liegt. Wir suchen unser Leben lang nach Antworten. Nur wir, die anderen Kriegerinnen und ich, haben das Glück, unsere Antwort bereits zu kennen. Du bist es. Du bist die Antwort auf all unsere Fragen. Du bist mehr als nur unsere Prinzessin. Du bist mehr als unsere Bestimmung. Du bist unsere Hoffnung, unser Antrieb. Du bist unser Licht. Unser Ursprung und unsere Zukunft. Unsere Planeten kreisen um die Sonne, bis ihre Zeit endet. Sie werden von ihr bestrahlt und von ihr angezogen. Genauso kreisen wir um dich. Wir leben nicht nur, um dir zu dienen und um dich zu beschützen. Wir leben durch dich! Du bist der Herzschlag, der uns am Leben hält. Dafür lieben wir dich, Princess. Mehr als alles andere.“ Serenity hatte ihrer Wächterin, während diese gesprochen hatte, aufmerksam gelauscht und die tiefroten Augen fixiert. Nachdem sie über die so aufrichtig gesprochenen Worte nachgedacht hatte, überlegte sie halblaut: „Auch du liebst mich? Dabei kennst du mich doch gar nicht richtig. Du sagtest mir, du hättest deine Aufgabe schon vor meiner Geburt angetreten. Wie kannst du mich da lieben?“ „Ja, ich verteidige meinen Posten schon seit einigen Jahren. Aber ich durfte ihn einmal verlassen. Um dich zu sehen, Princess. Als du geboren wurdest, rief deine ebenso junge wie starke Aura nach mir. An diesem Tag knieten wir vor dir nieder und leisteten unsere Schwüre. Zuerst deine Schutzheiligen, dann Uranus und Neptune und zu guter Letzt auch ich. Wir alle schenkten dir etwas, Tugenden, die dir auf dem Weg zum Thron hilfreich sein würden. Und wir versprachen dir unsere Treue und Liebe. Als ich dir mein Versprechen geben wollte, wachtest du auf. Zum ersten Mal durfte ich in deine strahlenden Augen sehen, schöner als der Himmel der Erde, wärmer als die Umarmung einer Mutter, aufrichtiger noch als die Königin unseres Reiches selbst. Von da an wusste ich, wofür ich mein Leben hier tristen würde. Zum ersten Mal war ich wirklich stolz auf meine Aufgabe. Seitdem weiß ich, dass ich gesegneter bin als die meisten anderen Menschen, weil ich nicht nur eine große Pflicht gegenüber dem Silver Millennium angetreten habe, sondern weil ich sie für dich erfüllen darf.“ Princess Serenity wandte ihren Blick ab. Noch immer war sie verunsichert. „Eine Umarmung oder ein Kuss sind nicht die einzigen Zeichen für Liebe, Princess. Jemanden still aus der Ferne im Auge behalten ist auch eine Form von Liebe.“ Obwohl ihr die Wächterin immer wieder erklärte, sie zu besuchen wäre gefährlich und spräche somit gegen jede Vernunft, suchte und fand Serenity in Sailor Pluto eine völlig neue Vertraute. Plutos Art der Fürsorge und Liebe war anders, als die, die ihr die anderen Kriegerinnen entgegen gebracht hatten. Die Wächterin der Zeit war nicht nur geduldiger als die Schutzheiligen, sie war auch reifer und weiser als es Uranus und Neptune gewesen waren. Egal, welches noch so kleine Leid sie vorbrachte, über welche Streiterei mit Mars, über welchen Disput mit Venus sie sich beklagte oder zum wievielten Male sie sich über Mercurys Gezeter oder Jupiters grenzenlosen Ehrgeiz beschwerte, bei Pluto traf Serenity immer auf Verständnis. Wenn es nötig war, hörte ihr die mystische Wächterin zu. Wenn die Prinzessin es forderte, brachte ihr Pluto wohlüberlegte Antworten. Über Jahre reifte so auch der Charakter Princess Serenitys. Doch mit ihm wuchs auch etwas anderes in der jungen Thronerbin heran: Sehnsucht. Trotzdem sie sich kaum noch an ihre früheren Gefährtinnen Uranus und Neptune erinnerte, behielt sie deren Geschichten immer im Herzen. Seit über zehn Jahren waren die Senshi des Windes und des Meeres nun schon verschwunden und statt den einst so geliebten Melodien zu lauschen, wandte die Prinzessin jetzt ihren sehnsuchtsvollen Blick immer häufiger der Erde zu. Mit kaum sechzehn Jahren hatte sie ihr Herz an den Prinzen verloren, dessen Wesen so ruhig wie ein Bergsee, dessen Herz ebenso aufrichtig wie mutig und dessen Augen so strahlendblau wie der Himmel der Erde selbst waren. Der zukünftige Regent des faszinierenden Planeten, um den Serenitys Welt kreiste, wurde bald auch zu ihrem eigenen versteckten Lebensmittelpunkt, der sie alles andere, ihre Verpflichtungen und ihre Gefährtinnen, nach und nach beinahe vergessen ließ. So wurden auch ihre geheimen Besuche am Tor zu Raum und Zeit immer seltener. Obwohl es Pluto innerlich zerriss, hielt sie still zu ihrer geliebten Prinzessin, die längst nur noch Auge und Ohr für Endymion hatte. Mit ihren heimlichen Ausflügen zur Erde veränderte sich auch Serenitys Aura. Geblendet von ihrem Liebesglück nahm die Thronerbin des Silver Millenniums nicht wahr, wie die Schatten sie beobachteten, ihr folgten und ihre Klauen nach ihr ausstreckten. Ihre Schutzheiligen, zu Beginn noch pflichtbewusst und besorgt um die Prinzessin, verloren sich bald selbst an die höchsten Ritter, die einstigen Lehrmeister Uranus´ und Neptunes. Keine von ihnen nahm die Zeichen ernst, die so viel Unheil versprachen. Dazu verdammt, an ihrem Posten zu bleiben, konnte Sailor Pluto nichts anderes tun, als Princess Serenity ihre Warnungen auszusprechen. Doch von denen hatte die zukünftige Königin längst genug gehört. Der alte Fluch hatte sie bereits eingeholt. Er umschloss ihre Gedanken und machte sie blind für diejenigen, die ihr einst Treue und Schutz bis in den eigenen Tod versprochen hatten. Von Plutos dunklen Vorahnungen wollte sie nichts wissen. Je energischer die Wächterin versuchte, ihre Prinzessin vor Unheil zu bewahren, desto seltener suchte diese die verbotene Pforte zu allen Unterwelten auf. Von dem Licht, das ihr immer Kraft, Hoffnung und Stolz geschenkt hatte, beinahe verlassen, lernte Pluto eine neue Form der Dunkelheit kennen. Aber auch die hätte sie stillschweigend ertragen können. Es war die Tragödie, der Princess Serenity blind vor Liebe so eindeutig entgegen schritt, die die Wächterin in die alles verzehrende Verzweiflung trieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)