Ich lasse dich darum flehen! von Traumfaengero_- ================================================================================ Kapitel 22: Lass dich aufklären! -------------------------------- 22. Kapitel Lass dich aufklären! Sehr viel hatte er in Anbetracht der zu erledigenden Arbeit nicht geschafft. Der Berg an nachzuholenden Berichten war erdrückend. Ron schrieb seine immer Zuhause, er hatte eine ihn liebende Frau, die gerne ein Auge auf diese Arbeit hatte. Heute verstand er endlich den Vorteil an dieser Übereinkunft, mit der Ron meist alles gleich erledigt hatte und so nie in die prekäre Lage kam, in der sich Harry nun befand. Doch sein aufschiebendes, schlechtes Verhalten hatte auch einen Vorteil. Mit jedem weiteren Bericht würde er einen weiteren Kuss bekommen und das war definitiv ein Ansporn. Müde massierte er sich die rechte Hand und beobachtete neugierig, wie Draco einige Kräuter abwog. Leider konnte er nicht viel davon sehen, denn das Meiste erledigte der ehemalige Slytherin drüben auf der Arbeitsfläche, sodass er die einzelnen Hangriffe mit dem eigenen Rücken verdeckte. Auf dem Tisch waren unterschiedliche Pflanzen ausgebreitet, einige von ihnen getrocknet, andere noch frisch. In der Küche hatte sich ein angenehmer Geruch ausgebreitet und die verschiedenen Kräuter mischten sich zu einem betäubenden Duft. Mit einem Lächeln lehnte sich Harry zurück und ließ seine Gedanken schweifen. Er wusste noch nicht, wie es zwischen ihnen weiter gehen würde und Bilder aus vergangenen Träumen tauchten neckisch vor seinem inneren Auge auf. Gedankenspiele, die er in langen Nächten erschaffen hatte und bei allem war er sich sicher, dass es niemals so sein würde. Draco jetzt hier zu sehen, langsam mehr über ihn und seine Vergangenheit zu erfahren, ließ alle kindischen, sehnsuchtsvollen Ideen verblassen, es raubte ihnen den Bezug zur Realität. „Schon fertig?“ Fragte die langsam vertraute Stimme und ein breites Grinsen lag auf den vollen Lippen des Aurors. „Nein, ich hätte da noch einiges, aber ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr. Außerdem tut mir meine Hand schon vom vielen Schreiben weh!“ Beschwerte er sich leicht und schob den Stuhl zurück um aufzustehen. Draco hatte sich zu ihm gedreht und war an den Tisch getreten. Seine schlanken Hände griffen nach einer der trockenen Pflanzen, eine langstielige, die mit duzenden kleiner Blätter bestückt war. Lange Zweige zogen sich vom Mittelstiel ab, an ihnen reihten sich die kleinen, beinahe runden, nur mit einer kleinen Spitze versehenen Blätter auf. „Oh, das tut mir aber leid!“ Frotzelte der Blonde und grinste frech. Er drehte sich um und schien sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren zu wollen. So schnell ließ sich der schwarzhaarige Auror jedoch nicht abschütteln und schob den Stuhl wieder an den Tisch heran. „Ich weiß, du leidest regelrecht mit, nicht wahr?“ Konterte er und umrundete den großen Eichentisch, um seinem Freund näher zu kommen. Dieser bemerkte ihn und antwortete keck. „Ja, siehst du nicht den Gram, der mich umtreibt?“ Lächelnd blieb Harry hinter dem ehemaligen Slytherin stehen und schlang sanft seine Arme um dessen Bauch, damit er über seine rechte Schulter blicken konnte. „Klar, darum muss ich dich ja festhalten. Nicht, dass du mir noch umkippst vor Schmerzen!“ Das liebevolle Schmunzeln versetzte seinem Herzen einen freudigen Stoß. Noch immer kam ihm ihr Miteinander wie ein Drahtseilakt vor, unter ihnen nur ein gewaltiger, dunkler Abgrund, der sie verschlingen würde, wenn sie fielen. Neugierig beobachtete er nun genauer, wie Draco die kleinen Blätter einzeln abzupfte und in einer Schale sammelte. „Da wir jetzt später haben, kannst du mir ja endlich erzählen, was es mit der Tätowierung auf deinem Arm auf sich hat!“ Forderte Harry nun, der gleich die Verspannung seines Freundes bemerkte. Irgendwie mochte er seine Art nicht. Jedes Mal, wenn er sich über eine Reaktion des Blonden freute, kam er mit einem unangenehmen Thema an. Vielleicht sollte er damit aufhören… obwohl er dadurch auch immer erfolgreich war. Ein Räuspern. Offenbar war er wieder verlegen. Was hatte es mit diesem Bild nur auf sich? Fahrig zupfte Draco an einem der trockenen Blätter und zerriss es dabei. „Ok, ich erzähle es dir, aber… wehe wenn du lachst! Ich vergifte dich und setzt dich mitten im Wald aus! Im Dunkeln!“ Gab er aufgebracht von sich und fügte seiner Drohung noch ein gemurmeltes „Ich werf dich Bellatrix zum Fraß vor.“ an. Verwundert zog Harry die Augenbrauen in die Höhe, ließ den Blonden jedoch nicht los. Er bemühte sich seiner Stimme einen sanften, beruhigenden Ton zu geben. „Ich werde mich sicher nicht darüber lustig machen. Ich habe nicht den Eindruck, dass du dir dieses Bild einfach so zum Spaß ausgesucht hast.“ Seine Worte schienen zu helfen und die Anspannung in dem schlanken Körper ließ leicht nach. Mit einem erneuten Räuspern begann Draco endlich zu erzählen. „Einer Legende nach versammelten sich alle Götter der Welt auf einer magischen Insel. Nun stritten sie darüber, wer unter ihnen der Gott wäre, der am Stärksten und am Mächtigsten sei. Sie stritten Tage lang, bis das Meer um sie herum wild und wüst wurde, dass es die Ufer aller Länder erklomm und sie ertränkte. Dabei tobte der Wind und trieb Wolken und Sturm über den Rest der Erde und aus der Macht der Götter wurde ein Fluch für die Menschen. Als sie in ihrem Rausch wilder Wut gefangen nichts von all dem bemerkten, trat plötzlich jemand unter sie, der viele Namen in der Welt hat. Einige bezeichnen ihn als das Leben, andere als die uneingeschränkte, allanwesende Zeit. Ich sage dazu Schicksal. Mit klarem Blick und tiefer Weisheit trat das Schicksal unter sie und allein die Anwesenheit einer solch erhabenen Macht beruhigte die Götter. „Ihr seid es, die im Konflikt miteinander den Mächtigsten unter euch zu suchen gedenkt. Ich will euch helfen.“ Sprach das Schicksal und hielt in seinen Händen einen Speer. Unbeschreiblich schön, mehr Zeremoniell als Waffe, mit Bändern und Gold geschmückt, erstrahlte er in einer beinahe reinen Göttlichkeit. Nun sprach das Schicksal weiter. „Ich gebe euch diesen Speer. Ihm ruht die Kraft der allwissenden Zeit inne. Derjenige, der unter euch der eine ist, der wird die Macht des Speeres spüren und eins mit ihm sein.“ Diesen Worten folgend griff nun der erste der Götter nach ihm und spürte, wie ihn ein Schwall unendlicher Macht erfüllte. „Ja, ich spüre es. Ich bin es!“ Rief er vor wilder Freude aus, doch da wurde ihm der Speer aus den Händen gerissen und ein anderer Gott zog ihn an sich. „Nein, ich bin es!“ Verkündete er nun, denn ein ebenso mächtiger Schwall Macht durchströmte ihn. Doch es blieb nicht dabei. Gott um Gott griff nun nach der Waffe und jeder verkündete, dass er es wäre. Schlussendlich blieben nur zwei Götter übrig und als Buddha auf das verzierte Stück blickte, meinte er nachdenklich. „Sind wir alle die Auserwählten?“ Und ja, er spürte die Macht ebenso wie all die Götter vor ihm. Doch er bemerkte auch das Wissen, welches er in diesem Moment erhielt. So blieb nur eine Göttin übrig und als sie von Buddha den Speer überreicht bekam, antwortete sie ihm. „Wir werden es gleich erfahren.“ Sie gilt als die Älteste unter ihnen, ohne Namen, wird sie von vielen nur die Mutter genannt. Sie soll die Natur und ihre Stärken, ihre Macht repräsentieren. Auch sie verspürte nun die Macht, von der all die anderen Götter sprachen und das Wissen, welches Buddha wahrgenommen hatte. Es war das Schicksal, welches nun aussprach, was so vielen unter ihnen entgangen war. „Jeder von euch ist wichtig für diese Welt. Jeder von euch hat Menschen, die an ihn glauben. Für sie seid ihr die einen, die wahren Götter und neben euch haben sie niemanden. Ihr seid die Welt für diejenigen, die euch ehren und sie zu beschützen ist eure Pflicht, nein, es ist euer Privileg! Wie könnt ihr euch in diesem Streit verlieren, während die Welt, der ihr euch bemächtigen wollt, untergeht?“ Anklagend deutete das Schicksal auf die Länder, die von Wasser und Wind zerstört und von Hungersnöten und Plagen heimgesucht wurden. Erst nach und nach begriffen die Götter, welchen Fehler sie begangen hatten und in ihrer Schuld flohen sie still und leise von der Insel, um dort zu helfen, wo ihre Macht Leben nahm und Verwüstung brachte.“ Schweigend zog Harry die Augenbrauen zusammen, als der ehemalige Slytherin die Stimme senkte, als wäre nun die Geschichte erzählt. „Und weiter?“ Fragte er, denn ihm fehlte das Ende. „Nichts und weiter! Das war es! Die Götter sind auseinander gegangen, sie haben nie wieder gestritten, wer unter ihnen der Mächtigste ist und haben sich um die Menschen gekümmert, die an sie glaubten. Fertig. Ende. Aus.“ Noch immer schien der Auror nicht ganz den Sinn dahinter zu verstehen, denn er bekam die Geschichte nicht mit dem Bild auf dem vernarbten Unterarm überein. Sollte die Schlange für einen Gott stehen? War es eine Huldigung dieser Geschichte? Und warum hatte die Schlange Flügel? Kannte er einen Gott, der in Schlangengestallt mit Flügeln erschien? Die Schlange war das Wappentier des Hauses Slytherin. Ob es damit zu tun hatte? Oder sollte diese Schlange etwa Draco darstellen? Sie hatte eine entfernte Ähnlichkeit zu dem Drachen, den er auf seiner Schulter trug. „Will ich wissen, was du jetzt denkst?“ In diesen Worten konnte Harry deutlich eine angespannte Distanz hören, die auch etwas Angriffslustiges hatte. Langsam löste er sich von dem schlanken Körper, trat neben ihn und lehnte sich locker an die Arbeitsfläche der Küchenzeile. „Eigentlich denke ich jetzt nur, dass ich völlig verwirrt bin und keine Ahnung habe, was du mir eigentlich sagen willst. Gibt es von dem…“ Er deutete mit beiden Händen eine unbestimmte Masse in der Luft an. „… eine kurze Variante?“ Noch immer brannten die blassen Wangen dunkel vor Verlegenheit, doch in die grauen Augen stahl sich ein sanfter Ausdruck. „Also eine Erklärung für begriffsstutzige Potters?“ Neckte ihn der ehemalige Slytherin und Harry verzog das Gesicht. „JA!“ Gab er leicht patzig von sich. Klasse, jetzt fühlte er sich wie der Dumme! Der Kräuterkundige drehte sich ebenfalls um, lehnte sich mit dem Rücken an die Küchenzeile und zog die Nase verlegen kraus. Seine Stimme klang peinlich berührt und sein Blick wanderte unsicher über den großen Schrank, der hinter dem Tisch die Wand zierte. „Der Speer soll den Speer in der Legende darstellen und die Schlange bin ich. Es ist die dämliche Idee, dass ich auch einen Platz in dieser Welt habe und eines Tages nicht mehr von dem Gefühl gejagt werde, dass ich in dieser Welt ungewollt bin. Es spiegelt die Hoffnung wider, dass ich irgendwann kein Außenseiter mehr bin. Die Flügel sollen dabei eine Art…“ Er musste sich nun wirklich zusammenreißen, offenbar wollte er dies nun Folgende nicht aussprechen. Ein zeitschindendes Räuspern folgte und Draco setzte wieder an. „Ich weiß, dass es wirklich dumm ist, ich meine, ich kann die Zeit nicht umdrehen. Ich kann meine Entscheidungen nicht rückgängig machen. Ich denke auch nicht, dass ich es wirklich bereue. Diese Menschen hätten mich eiskalt umgebracht und ich will nicht wissen, was sie dieser Welt schon alles angetan haben. Aber dennoch bin ich für ihren Tod verantwortlich. Manchmal wünsche ich mir einfach wieder der feige, egoistische Junge zu sein, der dir die Schulzeit zur Hölle gemacht hat. Ich war zu feige, um meine Hände mit Blut zu besudeln.“ Diese Worte verhallten kommentarlos in der Küche und nur das Schnaufen der Wölfin war zu hören. Es dauerte, bis da ein Lächeln auf den vollen Lippen des Aurors erschien. „Also, die Flügel stehen für deine verlorene Unschuld?“ Nur kurz sahen die grauen Augen in das kantige Gesicht und flohen gleich wieder. Da es keine Antwort gab, sprach Harry weiter. „Wir haben unsere Unschuld schon vor vielen Jahren verloren. Ich glaube, wir waren nie unschuldig. An unseren Händen klebte Blut, bevor wir laufen konnten. Es war egal, welche Entscheidungen wir getroffen hätten. Selbst, wenn ich damals deine Freundschaft angenommen hätte, wenn ich Slytherin geworden wäre, wir sind mit der Schuld unseres Schicksals geboren.“ Er musterte das ovale Gesicht, dessen Brandnarben er nun sehen konnte, da er zu Dracos linker Seite stand. „Dass wir hier sind, dass wir unser Leben so frei leben können, wie wir es jetzt tun, ist vielleicht mehr, als uns zustehen sollte. Ich bin Auror, Draco. All die Todesser, die ich jetzt noch jage, gehören entweder zu der wirklich üblen Sorte, diejenigen, die sich niemals fangen lassen und deren einziger Wunsch darin besteht, dass sie mit ihrem Tod möglichst viel Schaden anrichten. Oder die Sorte, die wir nie finden werden, weil sie nur das Siegel tragen und niemals in Erscheinung getreten sind. Die Todesser, deren Schuld allein in ihrem Denken und nicht in ihrem Handeln liegt. Solche Menschen sterben lieber, als sich den Rest ihres Lebens in Askaban einsperren zu lassen.“ Der Auror bemerkte, wie die blonden Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen wurden. „In diesen Jahren bedeutet mein Beruf beinahe der Tod zu sein. Wenn ich nicht hinter irgendwelchen schwarzmagischen Gegenständen herjagen muss, endet der Auftrag beinahe immer damit, dass ich jemanden umbringe. Als du mir gestern erzählt hast, dass du ein Kräuterkundiger bist, war ich unglaublich erstaunt. Ich wusste nicht, wie das gut gehen sollte. Du bist jemand, der Menschen rettet, der ihnen hilf, der ihnen Hoffnung gibt, ich hingegen bin wie ein Monster, das unter dem Deckmantel eines Auftrages in Blut badet!“ Nun fanden die grauen Augen doch wieder zu ihm und ein skeptischer Zug lag in ihnen. „Jetzt übertreibst du aber. Ich bin kein Heiliger und du kein Monster! Wir sind normale Menschen, die vielleicht ein wenig von Schicksal gebeutelt wurden!“ Gab er provozierend von sich und die vollen Lippen des Schwarzhaarigen zogen sich zu einem breiten Lächeln. „Genau darum geht es mir. Danke, dass du von alleine darauf gekommen bist!“ Erstaunt und wiedersprechend wollte er etwas entgegnen, schloss seinen Mund aber wieder kommentarlos. Dann verdrehte er die Augen und fuhr Harry nur genervt an. „Halt die Klappe, Potter!“ Ein leises Lachen war die Antwort und der Auror meinte noch dazu. „Ich mag dein Tattoo!“ Mit einem Kopfschütteln machte sich Draco wieder an die Arbeit und zupfte die Blätter weiter von den dünnen Zweigen ab. Harry blieb weiter an die Arbeitsfläche gelehnt und verschränkte locker die Arme vor der Brust. Mit einem Lächeln beobachtete er weiter die Handgriffe des Blonden. Es dauerte einen Moment, bis wieder eine angenehme Stimmung zwischen ihnen entstand und kurz sahen die Sturmdiamanten zu ihm auf. Die schmalen Lippen hatten sich zu einem Schmunzeln in die Höhe gezogen und ein leicht sanfter Ausdruck umspielte das Gesicht. „Du bist ein Idiot!“ Schimpfte er und seine Stimme klang belustigt zufrieden. Noch bevor er es verhindern konnte, beugte sich der Auror vor und stahl ihm einen flüchtigen Kuss. „Aber ich bin dein Idiot!“ Scherzte er und mit einem Kopfschütteln wendete sich der Blonde wieder seiner Wage zu. Doch offenbar hatten diese Worte aus seinem Schmunzeln ein breites Lächeln gezaubert. Bevor Harry jedoch auf weitere dumme Ideen kommen konnte, wurden sie von einem unerwarteten Gast unterbrochen. Eine kleine Eule flatterte vor dem Fenster auf und ab und pickte immer wieder gegen das Fenster. Erschrocken war Harry zusammengezuckt und auch Draco hatte sich so erschrocken, dass er die kleine Schale umstieß und ihren Inhalt auf dem Marmor verteilte. „Das ist aber nicht die, die du deiner Mutter geschickt hast oder?“ Fragte Harry nun, denn er hatte in Erinnerung, dass dieses Tier mehr graue Federn hatte, als dieser Waldkauz. Außerdem wirkte das Tier deutlich kleiner. Die Reaktion, die sein Freund darauf zeigte, gefiel ihm jedoch nicht. Draco wurde schlagartig angespannt, wirkte sehr ernst und auf gewisse Weise auch besorgt. „Nein, diese Eule ist nicht von meiner Mutter!“ Gab er von sich und langte über die Arbeitsfläche zum Fenster, um dieses zu öffnen. Erstaunt bemerkte Harry erst jetzt den kleinen Griff, der durch ein Drehen einen kleinen Teil des Fensters frei gab, damit man ihn öffnen konnte. Es war ein schlichtes Verfahren und wirkte ebenso alt, wie dieses Haus. Der Kauz sprang hinein und flatterte wild mit den Flügeln, sodass Draco große Schwierigkeiten hatte, dass kleine Briefröllchen an seinem Bein zu lösen. Fluchend fuhr er den kleinen, braun gefiederten Postboten an. Was genau er sagte, verstand Harry nicht. Er war reflexartig in die russische Sprache verfallen, doch die Wut konnte der Auror selbst in der Stimme deutlich erkennen. Was auch immer er gesagt hatte, aber der kleine Kauz erstarrte sofort und seine runden Augen blickten panisch zu dem Blonden auf. Schnell zogen die schlanken Finger an der Schleife, die das Röllchen an dem kleinen Bein befestigte. Vorsichtig versuchte Harry einen Blick auf das Schriftstück zu werfen. Leicht frustriert erkannte er, dass die Buchstaben ebenso unleserlich waren, wie die fremde Sprache. Kaum hatte der geflüchtete Engländer die wenigen Worte gelesen, als er das Papier auch schon wieder zusammenknüllte. „Блин!“ Fluchte der Blonde und langsam hatte Harry das Gefühl, dass es ein Schimpfwort war. Immerhin hatte er es nun schon ein paar Mal von Draco gehört. „Was ist denn los?“ Erkundigte er sich und war froh, dass er die Frage, ob alles ok wäre, gerade noch unterdrücken konnte. Er beobachtete, wie der ehemalige Slytherin seinen Blick konzentriert über die vielen Gegenstände wandern ließ, die er in der Küche ausgebreitet hatte. „Ich muss noch einmal los.“ Gab er wie nebenher von sich und dann setzet er sich auch schon in Bewegung. Irritiert und nicht wirklich schlauer blieb Harry in der Küche zurück. Er hörte, wie Draco die Treppe hinauf eilte, zwei Stufen gleichzeitig nahm und dann fiel eine Tür hinter ihm zu. „Ok… gut, danke, dass du mich aufgeklärt hast.“ Murmelte er leicht frustriert und warf einen Blick zu Noir, die ihn aus ihren gelben Augen ebenso verwirrt betrachtete. „Nein, ich habe keine Ahnung, um was es geht.“ Meinte Harry nur und die Ohren der Wölfin richteten sich ihm zu. Klasse, jetzt unterhielt er sich schon mit einem Wolf! Noch einmal stieß er die Luft aus, wirkte frustriert und machte sich dann doch auf den Weg dem Blonden nach. Was auch immer Draco gebissen hatte, er konnte ihm wenigstens kurz erklären, was geschehen war. Langsam schritt er die Treppe hinauf, überlegend, wie er seine Forderung am besten in eine höfliche Bitte verpacken konnte. „Draco?“ Rief er diesen erst einmal und hörte dann ein Geräusch aus dem Schlafzimmer. „Was ist denn los?“ Das war nicht die galante Lösung, die sich der Schwarzhaarige vorgestellt hatte, doch mehr fiel ihm nicht ein. Draco saß auf dem Bett, zog gerade die Schnürsenkel seiner Stiefel an. Den Dolch trug er schon wieder am Oberschenkel, die Tasche lag neben ihm auf der Decke, anscheinend gepackt. „Ich habe jetzt wirklich keine Zeit, dir dass zu erklären.“ Brummte Draco noch und konzentrierte sich auf das Binden einer Schleife. „Dann nimm mich mit und erklär es mir unterwegs!“ Wie er auf diese Idee gekommen war, konnte er nicht sagen, doch wieder einmal sprach er schneller, als er dachte. Die grauen Augen hoben sich, der Kräuterkundige hielt mitten in der Bewegung inne und nun wirkte es so, als schien er den Sinn dieser Worte erst verstehen zu müssen. Kurz hatte Harry das Gefühl, dass er für absolut verrückt erklärt wurde, der Blick dieser grauen Diamanten schien auf einem Geist oder einem Wahnsinnigen zu ruhen. „Dann beeil dich!“ Kam so unerwartet, dass Harry zuerst gar nicht reagierte. Mit einem Blinzeln kehrte das Leben in ihn zurück und seine Füße setzten sich von allein in Bewegung. Seine Hände griffen nach dem Dolch, den er wie in Trance hunderte Male zuvor schon angebracht hatte. Er schlüpfte in seine Stiefel und band sie nur mit halber Sorgfalt zu. Draco war schon wieder mit der Tasche aus dem Zimmer geeilt, während Harry noch leicht verzweifelt mit seinen Schnürsenkeln kämpfte. Was bei allen verbotenen Flüchen war denn in den gefahren? Kaum war Harry aufgesprungen, hörte er Draco schon wieder auf der Treppe nach oben kommen. „Ok, daran musst du noch arbeiten! Dein „Beeil dich“ ist verdammt langsam!“ Mit diesen Worten bekam er seinen Mantel in die Arme gedrückt und begriff gerade noch das Grinsen des blonden Zauberers. War das ein Scherz? Jetzt? Echt? Doch da begann sich die Welt um ihn schon zu drehen und einen Moment später spürte er den Boden unter den Füßen. Mit einem gewaltigen Ruck kamen die fliehenden Farben wieder zum Stehen und der Druck in seinen Ohren machte ihm klar, was eben geschehen war. Obwohl die Welt um ihn herum wieder stand, drehte sich sein Verstand noch immer und ein unangenehmer Schwindel erfasste ihn. Nur langsam begriff er, dass sie wieder im Wald standen. Es war noch nicht dunkel, der Schnee fiel nicht und die kahlen Bäume ragten um ihn herum in den grauen Himmel. „Wo…“ Doch weiter kam er nicht, ein bitterer Geschmack auf seiner Zunge ließ ihn innehalten. Oh nein, ganz ruhig! Ermahnte er sich selbst, sein Essen wollte er gerne behalten. „Kommst du jetzt?“ Dracos Aufforderung holte ihn in die Wirklichkeit zurück und mit einem zerknirschten Gesicht versuchet er das Gleichgewicht wieder zu finden. Mürrisch breitete er den Mantel im Gehen aus und warf ihn sich über. Der Kerl war anscheinend von einer Tarantel gestochen worden! „Ja, ja, ich komm ja schon. Als ginge es um Leben und Tod!“ Beschwerte er sich und hörte das Knirschen des Schnees unter jedem Schritt. Unerwartet blieb der Kräuterkundige stehen, er hatte seinen Umhang schon sicher über den Schultern liegen und die Tasche umgelegt. „Potter, es geht um Leben und Tod! Um genau zu sein, geht es um das Leben eines fiebernden, sechs Jahre alten Jungen, der die Nacht nicht überlebt, wenn wir seine Temperatur nicht runter bekommen. Also, wenn ich sage, beweg deinen Arsch, dann meine ich das auch so!“ Die grünen Augen wurden hinter der runden Brille groß und Harry entkam ein „Oh!“. Kaum hatte er sich wieder gefasst, beeilte er sich und setzte größere Schritte, um hinter Draco zu bleiben. „Sag das doch gleich!“ Beschwerte er sich und versuchte die Knöpfe seines Mantels zu schließen. „Das stand also auf dem Zettel?“ Fragte er und bemerkte gerade noch den Baum, der vor ihm aufgetaucht war. Mit einem Schritt zur Seite wich er dem dunklen Holz aus und geriet ins Stolpern. Er spürte den weichen Schnee unter sich und wären da nicht die kräftigen Hände, die ihn packten, wäre er sicher unsanft auf dem Boden gelandet. „Ok, knöpf erst deinen Mantel zu, sonst muss ich dich noch versorgen, bevor wir ankommen.“ Leicht beleidigt blickte Harry auf, da war doch wirklich ein Lachen in der vertrauten Stimme. Irgendwie kam er sich noch immer wie ein Trottel vor. Die Regeln dieses Waldes, dieser eigenen, kleinen Welt kannte er noch immer nicht und offensichtlich rannte er dabei immer gegen die falschen Wände oder anders gesagt, er nahm jedes Fettnäpfchen mit, dass auf seinem Weg zu finden war. Schnell fanden seine Finger die letzten Knöpfe und er drückte sie durch die passenden Öffnungen im Stoff. Kaum hatte er sie alle geschlossen, als sein Blick die Straße bemerkte, an der sie standen. Nun, Straße war vielleicht nicht das richtige Wort, eher Weg. Nein, selbst das traf es nicht ganz. Da waren zwei tiefe Spuren im Schnee, als wäre ein Karren von einem Pferd hier entlang gezogen worden. Die tiefen Abdrücke des Tieres waren zwischen denen der Räder zu erkennen. „Pferd und Wagen?“ Fragte er und folgte dem Mann, der sich nun wieder in Bewegung gesetzt hatte. „Was hast du erwartet? Eine ausgebaute Straße mit Fußweg und Beleuchtung?“ Fragte Draco belustigt und wirkte nun deutlich entspannter. Noch immer war in seinem Gesicht eine Dringlichkeit zu erkennen, die Harry antrieb, aber er war offenkundig lockerer. „Na ja, das nicht, aber… doch… vielleicht schon.“ Gab er nachdenklich von sich und während der Blonde den Pfad auf der einen Seite nahm, nutze er den plattgewalzten Schnee des anderen Rades. „Ok, dann kläre mich doch einmal von Anfang an auf. Nicht, dass ich mich gleich wieder wie ein Trottel benehme.“ Forderte er nun ein und hoffte, dass die Worte von eben nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Doch gleich war die Besorgnis wieder in den grauen Augen zu sehen und Harry wurde eines besseren belehrt. „Als ich dich fand, war ich auf dem Heimweg von besagtem Jungen. Gestern wollte ich noch einmal nach ihm sehen und jetzt hat mir Jelena geschrieben, dass sein Fieber wieder stark gestiegen ist. Soweit ich das einschätzen kann, hat er sich irgendwo angesteckt, er fiebert jetzt schon seit Tagen, immer wieder von Schüttelfrost Anfällen unterbrochen. Ich kann nicht genau bestimmen, was für eine Krankheit er hat, darum kann ich ihm auch nur bedingt helfen. Ich hatte die Baba Jaga extra um einige Kräuter gebeten, von denen ich hoffe, dass sie ihm helfen können.“ Nachdenklich erinnerte sich der Auror daran, dass die alte Frau etwas dergleichen gesagt hatte. Immerhin war ihr Korb kaum nach ihrer Ankunft vor ihm auf dem Tisch gelandet. Aber ja, darin befanden sich einige Kräuter, Kräuter, die er eben auch auf dem Tisch gesehen zu haben glaubte. Schweigen trat ein und nur ihr Atmen und das Knirschen des Schnees waren zu hören. „Ist es eigentlich ok, wenn ich dabei bin? Ich meine, die kennen mich doch alle gar nicht.“ Fragte er plötzlich und warf einen Blick hinüber zu dem Mann, der seine Kapuze wieder über den Kopf gezogen hatte. Der Wald wirkte plötzlich so ruhig, mehr als diesen kleinen Pfad schien es nicht zwischen den Bäumen zu geben. Er konnte hin und wieder Vögel hören, Flügelschläge am Himmel. Spuren in der weißen Decke verrieten, dass einige auf Beutezug über diesen Weg gelaufen waren. „Sie werden nicht begeistert sein, aber das ist das geringste Problem.“ Brummte Draco als Antwort und zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. „Gregory!“ Klang plötzlich die Stimme eines Kindes. Erstaunt sah er nach vorne und erblickte einen vielleicht 13 oder 14 Jahre alten Jungen, der begeistert strahlte, als er sie erkannte. Er hatte beide Arme in die Luft gehoben und rief noch einmal seinen Namen. „Gregory!“ Ach ja, da war ja etwas. Er konnte ja nicht mehr Draco zu ihm sagen. Er musste ja nun den anderen Namen nutzen. Warte, war das ein Lächeln? Nur kurz hatte er es auf den Lippen seines Begleiters gesehen, dann schob sich der Stoff der Mütze wieder davor. So richtete er sein Augenmerk auf den Jungen, der ihnen nun entgegen lief. Er war dick angezogen, trug feste Stiefel und eine wollende Mütze, die mit zwei Ohren an den Seiten eines schlanken Gesichtes herunter hing. Schwarze Haare stachen unter der Wolle der Innenseite hervor und umrahmten sein freudiges Gesicht. Er trug Handschuhe, die ihm zu groß wirkten und um seine Jacke war ein alter Gürtel geschlungen, um sie zusammen zu halten. Der Junge begrüßte ihn schon im Laufen. „Наконец-то!“ Was auch immer Draco antwortete, seine Stimme hatte wieder einen seltsam sanften Ton. „Как поживаешь?“ Fragte nun der Junge und griff unerwartet nach der Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Leider konnte Harry das Gesicht des ehemaligen Slytherin nicht erkennen, er konnte die Antwort nicht übersetzen und so blieb ihm nur der Klang der Stimme. Aufgeregt schien der fremde Junge wieder eine Frage zu stellen. „Кто это?“ Er warf einen Blick aus seinen dunklen Augen an dem Kräuterkundigen vorbei und musterte den Auror neugierig. Mit einem Lachen sah der blonde Mann auf und für einen Moment glaubte Harry, einen anderen Menschen zu sehen. Draco wirkte so anders, so entspannt und ausgeglichen. Zuerst antwortete er auf Russisch und als dann das Gesicht des Jungen voller Begeisterung und Erstaunen runde Augen bekam und ihm der Mund ein Stück aufstand, meinte er zu Harry. „Er wollte wissen, wer du bist. Ich habe ihm gesagt, dass ich dich ziemlich lange kenne und du ein mächtiger Mann bist, der böse Geister bekämpft und Verbrecher jagt.“ Erklärte der Zauberer nun und Harry schob beide Augenbrauen in die Höhe. Nun fragte der Junge wieder aufgeregt und sah ihn aus seinen großen, dunklen Augen an. Nun musste Draco erneut lachen und schüttelte den Kopf. Noch immer gingen sie die Straße entlang, der Kleine musste sich beeilen, um mit den großen Schritten der beiden Männer mitzuhalten. „Er will wissen, ob du die Geister im Wald bekämpfen kannst und ob es dann wieder ungefährlich ist.“ Diese Erklärung ließ Harry verwundert schnauben und er schüttelte den Kopf. „Der Wald ist verflucht. Da kann niemand etwas ändern.“ Brummte er und schüttelte leicht den Kopf. Als Draco diese Antwort übersetzte, stieß der russische Junge einen entsetzten Schrei aus. Er klammerte sich nun regelrecht an den blonden Zauberer und nun war es dieser, der den Kopf schüttelte. Er antwortete dem Jungen und dieser schien sich wieder zu entspannen. „Ok, ich denke, ich werde dir niemals meine Kinder anvertrauen!“ Kommentierte Harry diese Aktion und nun fand er sich mit den grauen Augen konfrontiert, die ihn fragend provozierend anblickten. „Ach, welche Kinder? Solange du noch keine hast, solltest du auch keine bekommen. Ich wüsste zumindest nicht, wie das mit mir gehen sollte!“ Seine Stimme hatte dabei einen gefährlichen Ton und ein Funkeln lag in den Augen. Nun schoss das Blut in seine Wangen und Harry räusperte sich. „Davon abgesehen, dass ich der Patenonkel von Teddy bin, war das nur ein Sprichwort, mehr nicht! Oder bist du eifersüchtig?“ Dabei klang er nicht so sicher, wie er gerne wollte. Es reichte jedoch, um den Mann an seiner Seite wieder sanfter zu stimmen. „Schon gut, ich muss das mit diesem Teddy noch immer verarbeiten. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass diese zwei Chaoten zusammen gekommen sind und dann auch noch ein Kind bekommen haben.“ Mit einem Schmunzeln richtete Harry seine Aufmerksamkeit wieder auf den Weg. Der Wald lichtete sich und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie dort ankommen würden, wo sie hinwollten. Nachdenklich ließ ihn jedoch ein Gedanke nicht los. Wollte er Kinder? Er hatte sich niemals darüber Gedanken gemacht, immerhin hatte er sich für Draco entschieden. „Sag mal, wolltest du Kinder?“ Fragte er plötzlich so unerwartet, dass sowohl Draco wie auch der Junge zu ihm sahen. „Ist die Frage ernst gemeint?“ Kam nun zurück und bei dem „Ja!“ schüttelte er nur den Kopf. „Lass uns nachher darüber reden.“ Obwohl er sich damit abgespeist fühlte, folgte er seinem Instinkt und stolperte beinahe über das Dorf, welches nun vor ihnen erschien. Es waren noch sicher 500 Meter bis zu der Mauer, die die wenigen Häuser umgab. Sie war nicht sehr hoch, aber ausreichend um kleinere Tiere abzuhalten. Er versuchte zu schätzen, wie viele Häuser dort standen, doch das war schwer. Ihre mit einfachen Schindeln belegten Giebel ragten in die kalte Luft und aus den schiefen Schornsteinen stieg der Rauch auf. Am offenen Tor stand ein breitschultriger Mann, seine Kleidung war aus rauem Stoff und Fell. Er hatte aus grober Wolle einen gestrickten Schal um seinen Hals geschlungen und trug schwarze Stiefel aus Wildleder. Der Junge riss sich von Dracos Hand los und rannte den Weg voran. Er lief dem fremden Mann entgegen und schien aufgeregt mit ihm zu sprechen. Neugierig beobachtet er alles, was er zu sehen bekam. Es dauerte nicht sehr lange, bis sie das Tor erreichten und kurz begrüßte Draco den Mann. Sie wechselten wenige Worte miteinander und mit einem kurzen Nicken schien er auch Harry zu grüßen. Schweigend folgte der Auror, als sich der Kräuterkundige wieder in Bewegung setzte. „Cестра! Сестра!“ Rief der kleine Junge und winkte wild mit den Armen. Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des ehemaligen Slytherin und er meinte leise zu Harry. „Jelena ist seine große Schwester. Seit dem Tod ihrer Eltern kümmert sie sich um ihn. Er heißt übrigens Jakow.“ Die grünen Augen musterten die junge Frau, die nun aus einem der kleinen Häuser trat. Sie trug ein einfaches, braunes Kleid, ebenfalls weiche Stiefel. Ein weiches Wolltuch war um ihren Hals geschlungen und sie trug ein großes über die Schultern. Auf dem Arm hatte sie einen kleinen Jungen, der wenige Jahre alt war. Sie hatte ihn mit in das Tuch gewickelt und er quietschte vor Freude, als er seinen Cousin sah. Erstaunt stellte Harry fest, dass der Junge auf ihrem Arm blonde Haare hatte, sie waren kurz, das kleine Gesicht leicht kantig. Seine Mutter hingegen hatte ebenso schwarze Haare wie ihr Bruder. Eine leise Stimme flüsterte Harry Worte zu, die er nicht hören wollte. Ein Blick zu dem Blonden zeigte, wie dieser vorsichtig die Kapuze zurück schob, ihr ein sanftes, freudiges Lächeln schenkte. Gut, die beiden schienen sich deutlich besser zu kennen. Innerlich zog die zweifelnde Wut in ihm auf, warum er jetzt so viel Zeit hatte. Vorhin war er von Draco regelrecht angefahren worden, dass er sich beeilen sollte und nun wanderte dieser Kerl langsam auf Jelena zu? Hieß sie so? War das die gute Freundin, die ihm den Brief geschrieben hatte? Innerlich zog sich etwas zusammen, als er beobachtete, wie Draco an sie heran trat. Sie sprachen miteinander, er breitete die Arme aus und zog sie und das Kind an sich. Hatte der Kleine graue Augen? Nein, oder? Oder doch? Panik brach in seiner Brust aus und schnürte ihm die Luft ab. War das sein Kind? Sie lachte, ihre Stimme klang sanft, zufrieden und auch seine Worte hatten so etwas Vertrautes. Harry schluckte und versuchte sich auf die Details zu konzentrieren, die ihn umgaben. Er musterte die Straße, die mit Kopfsteinpflastern belegt war. Die Häuser waren leicht schief, sie schienen alle mit einfachen Mitteln gebaut worden zu sein. Er bemerkte den Schnee, den sie zusammen geschoben hatten, die kleinen Figuren, die Kinder aus den Bergen bauten. Die Fenster waren mit kleinen Holzfiguren geschmückt, Papierblumen oder Männchen aus Kastanien. Aus Holz hatten sie einfache Fensterläden gemacht, von denen einige geschlossen waren. Viel war nicht zu sehen, die Häuser schienen einer bestimmten Anordnung nach aufgebaut zu sein, wenn man der Straße folgte, schien man in die Dorfmitte zu kommen. Mit möglichst viel Konzentration versuchte er den Brunnen zu erkennen oder das, was sich dort am Ende des Weges fand. „Kommst du Harry?“ Klang plötzlich Dracos Stimme in seinen Ohren wider. Mit einem Knurren drehte sich der Auror zu ihm um und nickte dann grimmig. „Alles ok bei dir?“ Fragte der Blonde plötzlich und mit einem leicht überzogenen Lächeln antwortete er nur knapp. „Ja. Ist nur kalt.“ Zumindest vorrübergehend ließ Draco diese Aussage durchgehen, obwohl ein Blick in die grauen Augen verdeutlichte, dass er im nicht glaubte. Kurz warf er einen Blick zu der Frau, die allem Anschein nach auch noch folgen würde. Jakow lachte, lief vor ihnen durch den Schnee und Sprang in einen niedrigen Haufen, der am Rand der Straße lag. Als Flocken in alle Richtungen aufstoben, quietschte der Kleine auf Jelenas Arm. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten. Die kleinen Finger umklammerten ihn und die leuchtenden Augen waren ganz eindeutig grau. Gut, er sah Draco in keiner Weise ähnlich, aber er hatte nicht den Eindruck, dass graue Augen und blonde Haare besonders in Russland verbreitet waren. Schweigend folgte er den beiden, beobachtete wie vertraut Draco mit dieser Frau war und wie sehr er nun ignoriert wurde. Anscheinend hätte er auch bleiben können, wo er war. Dieser verdammte Mistkerl hatte nur noch Augen für sie und ob er da war, schien ihn nicht zu interessieren. Mit einem Seufzen stieß er die Luft aus und entschied sich dazu, dass es ihm egal sein konnte. Hier war nicht der Ort und nicht die Zeit, um sich über das Gedanken zu machen. Allerdings… wann war sie besser? Er konnte ja eh nichts tun! Lange mussten sie nicht gehen, sein Blick schweifte über die kleinen Häuserfronten und mit einem Schlucken spürte er den kalten Schmerz, der sich langsam in seiner Brust ausbreitete. Ihre Stimmen klangen gedämpft in seinen Ohren, er verstand die Sprache eh nicht, in der sie sich unterhielten. Abrupt blieb er stehen, sie waren anscheinend angekommen. Neugierig warf er einen Blick auf das Haus, welches jedoch nicht anders wirkte, als die anderen. Draco klopfte an die Tür und nur einen Moment später wurde sie aufgerissen. Ein bärtiger Mann trat wütend heraus und seine tiefe Stimme hallte über den Platz. Erschrocken zuckte Harry zusammen, als der Kerl, der doppelt so breit wie Draco war und einen Kopf größer, ohne Vorwarnung auf den Blonden los ging. Bevor der Auror auch nur eine Chance zur Reaktion hatte, war Draco dem Angriff ausgewichen, hatte seinen Dolch gezogen und mit einem gezielten Gegenangriff den Mann gegen die Wand neben der Tür gedrückt. Erschrocken starrte Harry den ehemaligen Slytherin an, dessen Dolch an der Kehle seines Angreifers lag. In diesem Moment begriff Harry die Worte der Baba Jaga. Das war also die andere Seite, die grausame, die ohne zu zögern tötete. Doch der Dolch lag so ruhig an der Kehle des Mannes, dass es schon beinahe unglaublich wirkte. Jeder Muskel des blonden Mannes war angespannt und selbst der Mann, der sicher Mitte vierzig war, rührte sich nicht. Er starrte Draco nur mit großen Augen an, Wut brannte in ihnen, aber auch Angst. Jelena rief ihren Bruder zu sich und kaum war dieser bei ihr, drückte sie ihm den kleinen Jungen in den Arm. Sie wirkte angespannt und bevor Harry verstand, um was es ging, schob sie ihren Arm zwischen die Brust der beiden Männer und sprach direkt und eindringlich auf Draco ein. Sie griff mit der freien Hand nach seiner Schulter und schob ihn dann Stück für Stück von dem fremden Mann fort. Kannte sie ihn etwa auch so? Nun war Harry gänzlich verwirrt, starrte auf das seltsame Spektakel und die fremde Frau, die so vertraut und so… so… ihm fehlten die Worte. Sie hatte ihre Hände auf seine Schultern gelegt, sprach eindringlich auf ihn ein und offenbar schien es den Blonden zu beruhigen. Plötzlich erinnerte er sich an die Szene vor der Tür. Dieses Gefühl, nichts über Draco zu wissen und Welten von ihm entfernt zu sein. Diese Jelena war ihm so nah, sie stand an seiner Seite, schien ihn zu kennen und es wirkte beinahe so als… als… ja, es war genau das gleiche Bild. Langsam senkte Draco den Dolch, den Blick hatte er nicht von dem fremden Mann genommen. Ja, es war diese gleiche Vertrautheit, diese gleiche Art, mit der Hermine mit Ron sprach. War sie… war es bei ihnen genauso? Stimmte es etwa und dieser kleine Junge war sein Sohn? Hätte Draco ihm nicht davon berichtet? Hätte die Baba Jaga nicht etwas gesagt? Er müsste mehr verzeihen, als ein Mensch zu verzeihen im Stande war? Das hatte sie ihm gesagt… Aber was hatte sie damit gemeint? Draco ließ den Dolch wieder in die Vorrichtung an seinem Oberschenkel gleiten. Wer war diese Frau? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)