Ranmas Abtritt von Hibiki (Seltsame Dinge geschehen in Nerima) ================================================================================ Kapitel 7: Die andere Seite des Lichts -------------------------------------- Kapitel 7 Die andere Seite des Lichts Das alles geschah vor sechs Monaten. Ich erwachte auf dem Boden eines düsteren Raumes, hatte ein Summen in den Ohren, richtete mich auf die Knie, schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen, und sah zu dem grünen Leuchten, durch das ich gefallen war. Ich sah eine Maschine, die der große Bruder von dem Ding sein könnte, die Hepbourne in mein Büro mitgebracht hatte. Grüne Buchstaben leuchteten darauf, ich rappelte mich auf, damit ich sie lesen konnte, und kratzte dabei mit den Fingernägeln geistesabwesend über die Unterarme: Und so verließ ich die Stadt, und wo ich schließlich landete - nun Mister, ich glaube, das ist meine Angelegenheit. Finden Sie nicht auch? Und darunter, zentriert, noch ein Wort: ENDE. Ich las es noch einmal, und dann kratzte ich mit den Fingern über den Bauch. Ich tat es, weil etwas mit meiner Haut nicht stimmte, das nicht gerade schmerzhaft war, aber auf jeden Fall nervtötend. Kaum hatte ich daran gedacht, stellte ich fest, dass dieses unheimliche Gefühl von überall kam - vom Halsansatz, den Oberschenkeln, von überall. Gürtelrose, dachte ich plötzlich. Ich habe Hepbournes Gürtelrose. Ich spüre den Juckreiz, und ich habe ihn nur deshalb nicht gleich erkannt, weil . . . "Weil ich vorher noch nie einen Juckreiz hatte", sagte ich, und dann fügte sich auch der Rest zusammen. So schnell und fest, dass ich tatsächlich schwankte. Ich ging langsam zu einem Spiegel an der Wand, bemühte mich, meine seltsam kribbelnde Haut nicht zu kratzen, und wusste, in welches Gesicht ich blicken würde. In das von Hepbourne. Jetzt wusste ich, was passiert, wenn Schriftsteller irgendwie das Leben einer Figur übernahmen, die sie geschaffen hatten. Es handelte sich doch nicht exakt um Diebstahl. Eher um einen Tausch. Ich stand da und betrachtete Hepbournes Gesicht - das jetzt meines war -, und spürte die Haut kribbeln und jucken. Hatte er nicht gesagt, dass seine Gürtelrose besser wurde? Wenn dies besser war, wie hatte er das Schlimmere ertragen könne, ohne völlig den Verstand zu verlieren? Ich befand mich natürlich in Hepbournes Haus - das jetzt mein Haus war -, und im Bad neben dem Arbeitstisch fand ich die Medizin, die er gegen die Gürtelrose nahm. Meine erste Dosis nahm ich nicht einmal eine Stunde, nachdem ich auf dem Boden unter dem Schreibtisch des Computers aufgewacht war, und es war, als hätte ich statt der Medizin sein Leben geschluckt. Als hätte ich sein ganzes Leben geschluckt. Heute gehört die Gürtelrose der Vergangenheit an, kann ich glücklicherweise sagen. Vielleicht hat sie einfach ihren Lauf genommen, aber ich denke gern, dass der alte Kampfgeist von Ranma Saotome etwas damit zu tun hat. Ranma war sein ganzes Leben lang nicht einen einzigen Tag krank gewesen, wissen Sie, und obwohl ich in diesem abgehalfterten Körper von Daniel Hepbourne immer Schnupfen zu haben scheine, soll mich der Teufel holen, wenn ich mich davon unterkriegen lasse. Und seit wann hat es geschadet, wenn man ein wenig positives Denken betrieb? Ich glaube, die korrekte Antwort lautet: noch nie. Aber ich habe eine schlimme Zeit durchgemacht, und die erste unangenehme Überraschung erfolgte keine vierundzwanzig Stunden, nachdem ich in diesem unvorstellbaren Jahr 2003 aufgewacht war. Ich suchte in Hepbournes Kühlschrank nach etwas Eßbarem (am Abend zuvor hatte ich mich über sein Black Horse-Bier hergemacht und stellte fest, dass es meinem Kater nicht schaden konnte, wenn ich etwas dazu essen würde), als plötzlich Schmerzen in meine Eingeweide schnitten. Ich glaubte, ich müsste sterben. Es wurde schlimmer, und da wusste ich, dass ich sterben würde. Ich fiel auf den Küchenboden und versuchte, nicht zu schreien. Einen oder zwei Augenblicke später geschah etwas, und die Schmerzen ließen nach. Ich habe schon oft in meinem Leben den Ausdruck "scheißegal" gehört und es akzeptiert. Das hat sich an jenem Morgen geändert. Ich säuberte mich, dann ging ich die Treppen hinauf und wusste, was ich in Hepbournes Schlafzimmer finden würde: nasse Laken auf Hepbournes Bett. Die erste Woche in Hepbournes Welt verbrachte ich ausschließlich mit Toilettentraining. In meiner Welt ging natürlich nie jemand aufs Klo. Oder zum Zahnarzt, was das betraf; an meinen ersten Ausflug zu dem, dessen Name in Hepbournes Taschenkalender stand, möchte ich gar nicht denken, geschweige denn darüber sprechen. Doch gelegentlich gab es auch einen Lichtblick in dieser Dunkelheit. Zunächst einmal brauchte ich in dieser verwirrenden, düsenbetriebenen Welt von Hepbourne nicht auf Jobsuche zu gehen; seine Bücher verkaufen sich offenbar nach wie vor ausgezeichnet, und ich habe keinerlei Schwierigkeiten, die Schecks einzulösen, die mit der Post kommen. Meine Unterschrift und seine sind völlig identisch. Und was mögliche Bedenken betrifft - dass ich nicht lache! Diese Schecks sind über Geschichten über mich. Hepbourne hat sie nur geschrieben; ich habe sie erlebt. Verdammt, ich habe die fünftausend allein dafür verdient, dass ich auch nur in Reichweite der Dämonen gekommen bin. Ich rechnete damit, dass ich Probleme mit Hepbournes Freunden bekommen würde, aber ich hätte es eigentlich besser wissen müssen. Würde jemand mit echten Freunden allen Ernstes in eine Welt verschwinden, die er auf der Bühne der eigenen Phantasie geschaffen hat? Unwahrscheinlich. Hepbournes Freunde waren seine Frau und sein Sohn gewesen, und die waren tot. Es gab Verwandte und Nachbarn, aber die schienen mich für ihn zu akzeptieren. Die Frau auf der anderen Straßenseite wirft mir manchmal von Zeit zu Zeit verwirrte Blicke zu, und ihre Tochter weint, wenn ich auch nur in ihre Nähe komme, obwohl ich schon den Babysitter für sie gemacht habe (jedenfalls behauptet sie das, und warum sollte sie lügen?), aber das macht nichts. Ich habe sogar mit Rumiko Takahashi und ihrem Verleger gesprochen, einem Mann aus New York namens Verrill. Sie wollen wissen, wann ich mit meinem neuen Buch anfange. Bald, sagte ich ihnen. Bald. Ich bleibe weitgehend drinnen. Ich habe keine Lust, die Welt zu erforschen, in die mich Hepbourne gestoßen hat, nachdem er mich aus meiner eigenen vertrieb; ich sehe auf den wöchentlichen Ausflügen zum Supermarkt und zur Bank ohnehin mehr, als ich je wissen will, und ich habe mich keine zwei Stunden nach meiner Ankunft mittels Fernseher umgesehen. Es überraschte mich nicht mehr, dass Hepbourne diese ächzende Welt mit ihrer Last von Krankheiten und sinnloser Gewalt verlassen wollte - eine Welt, in der nackte Frauen in den Schaufenstern von Nachtclubs tanzen und Sex mit ihnen einen umbringen kann. Nein, ich verbringe meine Zeit weitgehend drinnen. Ich habe jeden seiner Romane noch einmal gelesen. Es bereitete mir durch meine Fremdsprachenkenntnisse keine Schwierig-keiten. Und jedesmal war mir, als blätterte ich die Seiten eines heißgeliebten Albums durch. Ich habe auch einige Fanfics von anderen gelesen um mir einen Überblick, über die Vielzahl an Storys zu verschaffen. Besonders ist dabei die Geschichte "Der Einsteiger" von Mark Soul herausgestochen. Und selbstverständlich habe ich mir beigebracht, seinen Textcomputer zu benutzen. Der ist nicht wie die Fernsehmaschine; der Bildschirm sieht ähnlich aus, aber mit dem Textcomputer kann man die Bilder erzeugen, die man selbst sehen will, weil sie alle aus dem eigenen Kopf stammen. Das gefällt mir. Sehen Sie, ich habe mich vorbereitet - habe Sätze ausprobiert und wieder verworfen, wie man Teile eines Puzzles ausprobiert. Und heute morgen habe ich ein paar geschrieben, die richtig klingen - jedenfalls fast richtig. Möchten Sie sie hören? Okay, los geht's: Als ich zur Tür sah, erblickte ich zwei niedergeschlagene Personen. Es waren Akane und Mousse. "Ich glaube, wir haben uns sehr gemein zu dir verhalten, Ranma", sagte Akane zu ihm, nachdem sie und Mousse versucht hatten, gleichzeitig zu sprechen. "Wir sind gekommen, um zu sagen, dass es uns leid tut." Es waren mehr als zwei Wochen vergangen. Mousse sah unverändert aus. Und ich meine unverändert. "Wie geht es dir, Akane?" fragte ich, mich innerlich über die Entschuldigung freuend. Ein ganzes Geröll an Steinen fiel von meinem Herzen, und ich schien innerlich zu schweben. "Na ja. Besser. Es tut mir leid, Ranma." Sie fing an zu schluchzen und verließ den Raum wieder. Ich sah Mousse direkt an, wusste nicht, was ich sagen sollte. "Du trägst immer noch deine Brille", sagte ich. Mir fiel nichts besseres ein. "Ja. Wir haben die Operation probiert, aber es hat nicht geklappt." Er seufzte, dann grinste er und zuckte die Achseln. In dem Augenblick fühlte ich mich besser als je zuvor. "Aber was soll's, Ranma - schlecht zu sehen ist auch kein Weltuntergang." Es ist nicht perfekt; klar, das weiss ich. Ich war Martial Artist, jetzt bin ich Schriftsteller. Aber ich glaube, man kann fast alles, wenn man nur will, und wenn man dahin geht, wo der Hund begraben liegt, dann ist es auch nur eine andere Art von Schlüssellochgucken. Größe und Form des Textcomputers sind ein wenig anders, aber es ist trotzdem so, als sähe man in das Leben anderer Leute hinein. Ich bringe es mir aus einem ganz einfachen Grund bei. Ich will nicht hier sein. Sie können es als L. A. 2003 bezeichnen, wenn Sie wollen; ich nenne es die Hölle. Die gräßlichen Tiefkühlgerichte, die man in einer Kiste namens "Mikrowelle" kocht, die Turnschuhe, die wie Frankensteins Pantoffeln aussehen, die Musik im Radio, die sich anhört, als gare man Kühe bei lebendigem Leib in einem Dampfkochtopf; es ist . . . Nun, es ist einfach alles. Ich will mein Leben zurück. Ich will alles wieder so, wie es war, und ich glaube, ich weiss, wie ich es anstellen muss. Sie sind ein trauriger, diebischer Dreckskerl, Dan - darf ich Sie noch so nennen? -, und Sie tun mir leid . . . aber nur bis zu einem gewissen Punkt, denn das entscheidende Wort ist diebisch. Meine anfängliche Meinung zu diesem Thema hat sich durchaus nicht geändert, sehen Sie - ich bin immer noch nicht der Meinung, dass die Gabe, etwas zu erschaffen, auch zum Stehlen berechtigt. Was machen Sie in diesem Augenblick, Sie Dieb? Speisen Sie im Petit Déjeuner, das Sie geschaffen haben? Schlafen Sie neben Shampoo in einem Bett? Fahren Sie sorglos nach Hokkaido? Oder lehnen Sie sich einfach nur in meinem Schreibtischstuhl zurück und erfreuen sich Ihres schmerzfreien, geruchsfreien und scheißefreien Lebens? Was machen Sie? Ich habe mir das Schreiben beigebracht, das ist meine Beschäftigung, und nachdem ich es heraus habe, glaube ich, dass ich zunehmend besser werde. Ich kann Sie schon fast sehen. Morgen werden Ranma, Akane und Mousse zusammen ins Ucchans' gehen, das neu eröffnet hat. Und er wird die Entschuldigung der beiden annehmen. Das ist der zweite Schritt. Ja, ich kann Sie schon fast sehen, Dan, und bald werde ich es. Aber ich glaube nicht, dass Sie mich sehen werden. Erst wenn ich hinter einer Tür hervorkomme und Ihnen die Hände um den Hals lege. Diesmal geht niemand nach Hause. ENDE PS: Diese Stelle benutze ich jetzt, um meinem Reader Mark Soul zu danken, der sich die ungeheure Mühe gemacht hat, meine Geschichte aufmerksam zu lesen und die vielen Schreibfehler korrigiert hat. Zu der Geschichte: Es gibt keines der Bücher, das ich erwähnt habe, bis auf Mark Souls Geschichte "Der Einsteiger" (jedenfalls weiss ich es nicht besser). Alle zusätzlichen Charaktere sind frei erfunden. Diese Geschichte wird nur im Deutschen erschienen, da ich keine Lust habe, das alles zu übersetzen. Wollt ihr Sie in einer anderen Sprache, braucht ihr ein Übersetzungstool. Bitte schreibt Kommentare, wie ihr die Story fandet. Denn darüber wäre ich sehr froh. Na ja, jetzt nur noch die Mitteilung, dass ich von dieser Geschichte keine Fortsetzung schreiben werde. Aber wenn ihr Lust habt, könnt ihr es ja gerne tun. Mailt mir dann, wo ihr sie veröffentlicht. E-Mail Adresse: Joachim.Katz@t-online.de Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)