Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 47: Der erste Tag ------------------------- Gespannt sahen Dumbledore, Madam Pomfrey und Syndia zu Mr Jones hinüber. Dieser ließ sich Zeit mit seiner Antwort und strich weiterhin mit der Lippe über seinen Handrücken. „Ich denke“, begann er ruhig, „die Eingewöhnung in die Gesellschaft ist nicht einmal das größte Problem.“ Sein Blick traf auf den von Syndia und sie wusste, dass auch er die beiden durchschaut hatte. Als Psychologe auch sicherlich nicht schwer. Aber wenn er Dumbledore erzählen würde, wie die beiden zueinander standen, hätten sie ein großes Problem. Doch die Hexe konnte nicht mehr tun, als angespannt darauf zu warten, was Jones sagen würde. „Viel problematischer ist es, die beiden voneinander zu trennen“, berichtete Jones und Syndia verspannte sich weiter. Dumbledore gab ein leichtes Nicken von sich, während Poppy die Stirn runzelte. „Sie spielen auf das abwechselnde Schlafen an“, vermutete sie. „Nicht nur das. Ja, sie schlafen abwechselnd, das sollte man natürlich nicht außer Acht lassen. Das tun sie mehr aus Instinkt als bewusst. Sie halten praktisch Wache, so wie sie es im Labyrinth getan haben. Und aus diesem Grund werden sie auch kein Auge mehr zu tun, wenn wir sie jetzt trennen. Sie haben nicht mehr die Sicherheit, dass der andere aufpasst.“ Syndia senkte den Blick, während Poppy nachdenklich wurde. Dumbledore ließ sich nicht anmerken was er dachte. „Aber das ist nur das Offensichtlichste“, er wandte sich an Syndia. „Ich denke, Sie haben auch bemerkt, was die beiden miteinander verbindet?“ Nun wurde die Lamia doch nervös. Eine Verneinung würde Jones ihr nicht abkaufen, genauso wie mangelnde Informationen. „Ihre Schwingungen haben sich verändert“, begann sie vorsichtig. „Sie sind... in gewisser Weise voneinander abhängig.“ Hoffentlich reichte ihm diese Halbwahrheit. Nickend stimmte ihr Jones zu. „Sie haben sich aufeinander eingespielt. Sie gehen sehr vertraut miteinander um, verstehen sich ohne Worte und geben einander Halt. Nur durch die Anwesenheit des anderen können sie ihre Erinnerungen in Zaum halten. Das sieht man bei Professor Snape noch besser als bei Mr Potter, denn er hatte sich bisher immer gut im Griff und wenn er unsicher wird, hält er Blickkontakt zu Mr Potter. Sie haben ihr Denken aufeinander eingespielt, instinktiv, weil sie durch die Ausnahmesituation dazu gezwungen worden sind. Sie haben gelernt den anderen zu lesen.“ Jones vertiefte sich immer weiter in seine Beschreibungen, gestikulierte dabei immer mehr und man merkte, dass er versuchte etwas zu beschreiben, das man kaum greifen konnte. „Am besten hat man das gesehen, als sie von dem Ausgang sprechen sollten“, er hob den Blick zu Dumbledore. „Haben Sie mitbekommen, dass Professor Snape meine Anwesenheit sofort bemerkt und es an Mr Potter weitergegeben hat?“ „Ich wusste, dass Severus etwas gespürt hatte, aber dass er sich mit Harry verständigt hat, war mir nicht aufgefallen“, antwortete der Direktor ruhig. „Und dann, als sie erzählen mussten“, fuhr Jones fort, als hätte er seinen Monolog nicht unterbrochen. „Sie haben sich dabei angesehen und gegenseitig unterstützt nicht in ihren Erinnerungen zu ertrinken. Hätten Sie die beiden einzeln befragt, hätten sie entweder nicht antworten können oder eine Panikattacke bekommen. Und ich fürchte, das wird auch passieren, wenn sie getrennt zurück in den Schulalltag geworfen werden. Die ersten Tage werden jede Menge Gefühlsausbrüche auftreten, weil der andere nicht da ist, um zu helfen.“ „Und was schlagen Sie vor sollen wir tun?“, fragte der Direktor und Syndia entspannte sich wieder. Jones hatte nichts erzählt was Severus Probleme bereitet hätte. Dann hatte er vielleicht doch nicht gesehen, wie anziehend sich die beiden fanden, auch wenn sie dagegen angingen. „Am besten wäre es, sie langsam einzugewöhnen“, schlug Jones vor. „Ich weiß nicht inwieweit das möglich ist, aber sie sollten die Möglichkeit bekommen, sich jederzeit zurückzuziehen. Und ich würde vorschlagen sie erst einmal nur zu Ereignissen zu verpflichten, wo sie beide gleichzeitig anwesend sind.“ „Also soll Severus nur die Slytherins und Gryffindors aus dem 6. Jahrgang unterrichten?“, fragte Poppy stirnrunzelnd und bezweifelte, dass man das so durchsetzen könnte. „Zumindest am Anfang“, nickte Jones. „Wenn das möglich ist. Ich weiß nicht, wie die Kapazitäten im Kollegium aussehen.“ „Dass Severus nicht von einem Tag auf den anderen wieder voll arbeiten soll, ist selbstverständlich“, schaltete sich der Direktor dazu. „Wir können das zwar nicht in allzu kleinen Schritten angehen, aber ich denke, Severus wäre sowieso beleidigt, wenn wir ihm so wenig zutrauen würden. Ich würde sagen, fürs erste werde ich sie nur bitten an den Mahlzeiten in der großen Halle teilzunehmen.“ Zweifelnd zog Syndia eine Augenbraue hoch. Dumbledore wollte die beiden der gesamten Schülerschaft aussetzen? Andererseits hatte er Recht. Wenn Severus auch nur dieses Gespräch hier gerade mitbekommen hätte, wäre er an die Decke gegangen. Sie sollten die beiden nicht zu sehr versuchen zu schonen. Aber sie beide erst einmal vom Unterricht zu befreien, klang ganz vernünftig.   Harry atmete tief durch und versuchte sich seinem Schicksal zu ergeben. Mitfühlend strich Hermine ihm über den Arm und wartete ab. Sie standen vor dem Tor zur großen Halle, aus der das gewohnte Stimmengewirr zur Essenszeit schallte. Es wäre das erste Mal, dass Harry sich seinen Mitschülern stellte, obwohl er bereits heute Morgen aus dem Krankenflügel entlassen worden war. Er hatte die Zeit der ersten Unterrichtsstunde genutzt, um unauffällig auf das Schlossgelände zu flüchten und war dort den gesamten Vormittag geblieben. Von Severus wusste er, dass dieser sich sofort im Keller verbarrikadiert hatte. Doch Dumbledore hatte von ihnen verlangt zum Mittagessen zu erscheinen und so blieb Harry nichts anderes übrig, als sein Versteck am See zu verlassen. „Dumbledore hat den Schülern verboten dir oder Snape Fragen zu stellen“, versuchte Hermine ihren Freund zu ermutigen. „Gehen wir einfach rein als sei nichts gewesen und ignorieren die anderen, okay?“ „So war eigentlich auch mein Plan“, murmelte der Schwarzhaarige, doch ein wenig zweifelte er daran, dass es funktionieren würde. Er raffte seinen Mut zusammen und ging durch das Tor. Es dauerte einige Sekunden, bis seine Anwesenheit bemerkt wurde. Immer mehr Blicke wandten sich ihm zu und in der Halle wurde es zunehmend ruhiger. Ron und Hermine gingen jeweils zu einer Seite von Harry und warfen besonders stark gaffenden Schülern böse Blicke zu. Als sie die Hälfte des Weges hinter sich hatten, begann das Getuschel. Ohne seinen Blick schweifen zu lassen, ging Harry zum Gryffindortisch und setzte sich neben Neville, der ihm bereits Platz gemacht hatte. Erst als er saß, wagte er es, die Halle zu betrachten. Die Lampen an den hohen Wänden gaben so ein warmes Licht ab und die verzauberte Decke sah atemberaubend aus. Es war, als würde Harry sie zum ersten Mal sehen. Als sein Blick zum Lehrertisch wanderte, begegnete er dem des Direktors, der warm lächelte. Die Plätze von Severus und Syndia waren noch leer. Inzwischen war es wieder unglaublich laut in der Halle und der Gryffindor wusste genau, dass gerade alle über das gleiche sprachen. Sein Blick hellte sich jedoch auf, als er die Speisen auf dem Tisch sah. Alles sah so unglaublich köstlich aus und er konnte nicht fassen, dass ihm nie aufgefallen war, wie unglaublich viel das alles war. Davon hätten sich die Schüler hier eine Woche lang ernähren können und es wurde ihnen nur als eine von drei Mahlzeiten am Tag aufgetischt. Was geschah denn mit dem restlichen Essen? Das wurde doch nicht weggeschmissen, oder? Harry war so damit beschäftigt das Essen zu bewundern, dass er gar nicht mitbekam, wie seine Freunde versuchten, sich so unbeschwert wie möglich zu unterhalten. Er füllte sich schließlich den halben Teller mit Gemüse voll, in der Absicht, so wenig Essen wie möglich übrig zu lassen. Man sah zwar, dass Dean ein Kommentar auf der Zunge lag, er sich aber nicht traute diesen auch wirklich auszusprechen. Nachdem der Grünäugige seine ersten Bissen genommen hatte, sah er erneut zum Lehrertisch, wo gerade die beiden Snapes erschienen waren. Erneut veränderte sich das Raunen in der Halle, doch verstummen taten kaum welche. Dennoch wurde der Tränkemeister nicht von Blicken verschont. Er sah nur giftig wie immer zurück und füllte sich dann etwas auf. Unglaublich. 'Er benimmt sich wie immer.', stellte Harry anerkennend fest. Im gleichen Moment jedoch stockte er schockiert über seinen Gedanken. Er kannte den anderen inzwischen gut genug, um zu sehen, dass diese kühle Art eine reine Abwehrreaktion war, aber erst jetzt, wo Harry bemerkte, dass er diese Abwehrreaktion schon seit Jahren zeigte, wurde ihm bewusst, was das über den anderen aussagte. Er versteckte seine wahren Emotionen schon seit er ihn kannte. Warum hatte Harry all die Jahre nicht erkannt, wie es Severus wirklich ging? Das war doch so offensichtlich, so blind konnte doch keiner sein! Der Blick des Gryffindors glitt zu den Schülern, die ebenfalls Severus musterten. Schulterzuckend taten sie ihre Beobachtungen ab und aßen weiter. Doch, offenbar konnte man so blind sein. Harrys Blick traf sich mit dem von Severus und der Gryffindor nickte leicht auf die Aussage hin, die hinter dem Blick des Slytherins steckte. Sie würden es schaffen so zu tun, als würde für sie wieder der normale Alltag eintreten. Und je besser sie sich verkauften, desto schneller würde das Getuschel verstummen. Doch das bedeutete gleichzeitig, dass sie auf Abstand gehen mussten und das verunsicherte den Gryffindor. Er würde Severus nur noch im Unterricht sehen und musste dort so tun, als sei ihm der andere völlig egal. Den Blick des Slytherins hatte er nicht vergessen, als sie gemeinsam den Krankenflügel verlassen hatten. Von nun an trennten sich ihre Wege wieder. Und Harry hatte den starken Drang, den anderen an sich zu ziehen, niederkämpfen müssen. Ihn ein letztes Mal zu spüren, seinen Duft einzuatmen... Doch dann schossen ihn wieder Severus' harte Worte durch den Kopf und ihm wurde bewusst, dass der andere das nicht gewollt hätte. Kopfschüttelnd hatte Harry dieses Gefühl daher verdrängt. Doch warum hatte in Severus' Augen kurz etwas anderes aufgeblitzt? Warum hatte er ihn so angesehen, als würde er selbst gegen diesen Drang ankämpfen? Sie hatten stumm in der Eingangshalle gestanden und sich einfach nur angesehen, wissend, dass das der letzte Zeitpunkt war, zu dem sie sich der Nähe des anderen sicher sein konnten. Ein stummer Abschied. Harry hatte gerade etwas sagen wollen, als Severus flüsterte: „Zeige den anderen keine Schwäche, dann werden sie dich irgendwann in Ruhe lassen.“ Zögerlich hatte Harry sich auf die Lippe gebissen und kaum merklich genickt. Damit hatte sich der Slytherin umgedreht und war in Richtung Kerker davongegangen, während Harry ihm hinterher gesehen hatte. Mit so vielen Worten auf der Zunge, die er hatte aussprechen wollen und es doch nicht konnte. Nun glaubte Harry wieder etwas in Severus' Blick zu sehen, während die Mitschüler sie ausnahmsweise mal nicht beachteten. Aber gleichzeitig wusste Harry, dass Severus einen Schlussstrich gezogen hatte. Mit der Entlassung aus dem Krankenflügel war das Thema Necrandolas und alles, was damit zu tun hatte, abgehakt. Oder zumindest versuchte er es, versuchte es zu verdrängen. Warum war er so gut darin? Zur Zeit konnte Harry dieses Talent durchaus gebrauchen. Seufzend wandte Harry sich wieder seinem Teller zu und schaufelte sich die nächste Portion darauf. So viel er auch aß, es wurde nicht weniger, auch wenn er wusste, dass die Schüsseln nur erneuert wurden, wenn sie leer waren. Er hatte vorgehabt nur einen kleinen Rest übrigzulassen, damit so wenig wie möglich weggeschmissen werden würde. Als das Mittagessen vorbei war, drängten die Schüler zu ihren Unterrichtsstunden. Harry verabschiedete sich von seinen besorgten Freunden und marschierte in Richtung Gryffindorturm. Zögerlich nannte er das Passwort und betrat den Aufenthaltsraum. Es waren kaum Schüler da, doch diese wandten sofort ihrem Blick Harry zu, blieben jedoch stumm. Sie schienen Dumbledores Anweisung wirklich ernstzunehmen und Harry war dankbar dafür. Ohne irgendwen weiter zu beachten, ging der Schwarzhaarige die Treppe hinauf zu den Schlafsälen. Mit einem seltsamen Gefühl öffnete er die Tür. Die Betten von Dean und Ron waren zerwühlt, während Nevilles und seines frisch gemacht aussahen. Langsam trat er auf sein Bett zu. Es sah aus, als wäre er niemals einen Monat fort gewesen. Als hätte er erst letzte Nacht noch darin geschlafen. Nicht einmal auf seinem Nachttisch war Staub zu finden. Offenbar hatten die Hauselfen jeden Tag alles geputzt. Mit zittrigen Händen griff Harry nach dem Bilderrahmen, den er neben seinem Bett aufgestellt hatte und strich sanft über das Foto seiner Eltern, während sich seine Brust schmerzhaft zusammenzog. Wie oft hatte er sich gewünscht, es noch einmal betrachten zu können, ein letztes Mal. Es hatte auf ihn wie ein Rettungsanker gewirkt, den er nicht haben konnte, aber dringend gebraucht hätte. So gerne hätte er das Foto bei sich gehabt, während er sterben würde. Ein Kratzen ließ ihn aufsehen und zum Fenster blicken. Dort auf dem Fenstersims saß eine wohlbekannte, weiße Eule und bat um Einlass. Schnell lief Harry zum Fenster und öffnete es, woraufhin Hedwig in den Raum flatterte und sich schuhuend auf Harrys Schulter niederließ. Ein breites Lächeln schlich über Harrys Lippen und er strich sanft über das Gefieder seiner treuen Gefährtin, die fröhlich an seinem Ohr knabberte und ein erneutes Schuhuen von sich gab. Ihre Federn waren so unglaublich weich. „Na meine Schöne“, flüsterte Harry mit kratziger Stimme, da er einen Kloß im Hals bekam. „Hast du mich vermisst?“ Hedwig ließ ihre Flügel kurz aufflattern und Harry lachte auf. Dann schmiegte er seinen Kopf an das unglaublich weiche Gefieder und schloss die Augen. „Ich dich auch“, sagte er, ehe seine Stimme versagte und er gegen die Tränen ankämpfte. Hedwig wiederzusehen schmiss ihn stärker aus der Bahn als alles andere. Wo Hedwig war, da war sein Zuhause. Sie strahlte die Ruhe und Wärme aus, nach der er sich die ganze Zeit gesehnt hatte. Eine ganze Weile war nur Harrys stoßweise gehender Atem und das gleichmäßige Klackern von Hedwigs Schnabel zu hören. Dieses Geräusch beruhigte den Grünäugigen ungemein und er sah lächelnd auf. Die Eule wandte ihm das Gesicht zu und begann wieder mit dem Klackern, wofür Harry ihr durchs Gefieder streichelte. „Jetzt ist alles wieder gut“, flüsterte er. „Ich bin wieder hier und ich lass dich auch nicht mehr im Stich. Versprochen.“ Ein Gurgeln kam aus der Kehle der Eule und Harry setzte sich mit ihr aufs Bett, wobei sie auf seinen Schoß flatterte. Während er Hedwig streichelte, wanderte Harrys Blick durchs Zimmer. Es war alles so vertraut. Der Geruch, die Atmosphäre, die Wärme... und dennoch war irgendwas anders. Es war, als würde er in die Vergangenheit geschickt werden. Wie, wenn man nach Jahren sein altes Kinderzimmer betrat und an all die wunderbaren Erinnerungen und Gefühle zurückdachte, man jedoch wusste, dass das gute alte Zeiten waren, die man nie wiederbekommen würde. Würde das Gefühl die ganze Zeit bleiben? Seufzend machte Harry sich lang, entschied sich dann aber, das Kissen beiseitezuschieben. Mal sehen, wie gut er heute Nacht schlafen würde.   „Harry, du musst die Bohnen nicht essen, wenn du sie nicht magst“, wandte Ginny sich an den Gryffindor, als er sich beim Abendessen unermüdlich den Teller mit Bohnen vollfüllte, obwohl er sichtlich mit denen zu kämpfen hatte. „Aber sonst isst die ja keiner“, erwiderte er und begann wieder damit, seinen Teller zu leeren. „Na und? Man kann nicht alles mögen“, entgegnete Dean stirnrunzelnd. „Wir müssen das nicht alles essen.“ Mit giftigem Blick sah Harry zu ihm auf. „Aber wenn das keiner isst, wird es weggeschmissen.“ „Na und?“, fragte Dean erneut unverständlich. So langsam ahnte Hermine, worauf Harry hinauswollte und warf Dean einen warnenden Blick zu. Doch der ignorierte sie. „Dann wird es eben weggeschmissen. Die Hauselfen hätten sonst eh Angst, dass wir nicht satt geworden wären...“ „Es gibt so viele Menschen auf der Welt, die hungern müssen und wir sollen absichtlich etwas wegschmeißen, um zu zeigen, dass wir satt sind?!“, unterbrach Harry ihn unwirsch und wurde langsam wütend. „Harry, Dean meinte nicht...“, versuchte Hermine zu schlichten, doch es war zu spät. Harry war bereits in Fahrt gekommen. „Nahrung ist überlebenswichtig und nur weil man meint so krütsch sein zu müssen etwas nicht zu mögen, muss man es nicht gleich wegschmeißen. Dann muss man sich eben zusammenreißen und sollte lieber dankbar dafür sein, dass man überhaupt etwas hat!“ „Harry, bitte“, versuchte Hermine es erneut und berührte seinen Arm. Doch damit machte sie nur alles schlimmer. Aufgebracht schlug Harry ihren Arm weg und stand auf. Inzwischen hatten sich die anderen Mitschüler ebenfalls zu ihm umgedreht und lauschten gebannt. „Nein, Hermine! Ihr habt doch gar keine Ahnung was Hunger bedeutet! Ihr habt noch nie in eurem Leben gehungert!“ Inzwischen schrie er so laut, dass alle mithören konnten und Harry war das sogar recht. Denn jeder einzelne hier im Raum wusste sein Essen nicht zu schätzen, da war er sich sicher. „Ihr jammert schon herum, wenn ihr eure drei Mahlzeiten am Tag nicht bekommen könnt und behauptet dann Hunger zu haben! So ein Bullshit!! Esst mal eine Woche lang nichts, vielleicht lernt ihr dann euer Essen mal zu schätzen!!“ „Potter, es reicht!“, rief ihm auf einmal eine tiefe Stimme entgegen. Er wurde an den Schultern gepackt und umgedreht, nur um dann in diese vertrauten, schwarzen Augen zu blicken. „Es ist gut, kommen Sie wieder runter“, knurrte Severus. Seine Stimme mochte wütend klingen, doch seine Augen verrieten, dass er es nicht war. „Aber wenn sie...“, begann Harry erneut. „Nein, Potter!“, unterbrach der Tränkemeister ihn bestimmt. „Aber... ich... Die haben doch KEINE Ahnung!!!“ Wollte ihn denn keiner verstehen? Musste er sich dafür die Seele aus dem Leib schreien? „Komm mit“, murmelte Severus und schob Harry bestimmt Richtung Ausgang. „Nein, lass... LASS MICH!“ Der Grünäugige wollte Widerstand leisten, doch der Slytherin ließ nicht locker. Wie gebannt sahen die Schüler zu, wie Snape den völlig hysterischen Harry aus der Halle schob, der immer noch herumschrie. Keiner wagte zu sprechen und auch Harrys Freunde waren geschockt. Als die beiden den Raum verlassen hatten, entstand eine bedrückende Stille, in der sich alle gegenseitig ansahen. Dean sah verwirrt aus, während Ron und Hermine bedrückt ratlose Blicke austauschten. Dann begann das Getuschel laut zu werden. Man konnte heraushören, dass es von negativer Art war und Neville warf seinen Mitschülern vorwurfsvoll Blicke zu. „Wie ich bereits sagte“, durchschnitt auf einmal Dumbledores Stimme die Gespräche und es wurde wieder still, „haben die beiden Dinge durchmachen müssen, die sich vermutlich niemand von euch auch nur vorstellen kann. Deshalb bitte ich um Nachsicht. Fragt sie bitte nicht über das aus, was ihnen widerfahren ist und habt bitte Verständnis dafür, wenn sie sich seltsam benehmen sollten. Es wird einige Zeit dauern, bis sie sich wieder eingewöhnt haben.“   Severus bog mit Harry hinter dem Tor zur großen Halle um die Ecke, um ein wenig Abseits zu stehen. Noch immer wehrte sich der Gryffindor. „Lass... warum verstehst du nicht...“ „Harry, reiß dich zusammen!“, schüttelte Severus ihn leicht und hielt ihn an den Schultern fest, damit er aufhörte sich zu wehren. „Sie verstehen nicht, was sie...“ „Ich weiß, Harry, aber dagegen kannst du nichts tun. Jetzt sieh mich endlich an!“ Völlig abgekämpft sah Harry auf und ließ sich von den schwarzen Augen in den Bann ziehen. Aus irgendeinem Grund wirkten sie beruhigend auf ihn und er hörte auf sich zu wehren. Erst jetzt, wo sein Atem sich langsam beruhigte, begriff er, was passiert war. Er hatte die Kontrolle verloren, war schon wieder ausgetickt. Und Severus war der einzige, der in der Lage war, ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Er gab ihm Halt, Sicherheit. Beschämt senkte Harry den Blick, während Severus seufzend seine Schultern losließ. Der Gryffindor schloss die Augen und entspannte sich. Er hatte versagt. Bereits am ersten Tag hatte er die Beherrschung verloren. „Ich bin so ein Idiot“, murmelte er leise und strich sich übers Gesicht. „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, erwiderte der Slytherin. Vor ein paar Wochen wäre Harry bei diesem Kommentar noch ausgetickt, doch jetzt erkannte er, dass Severus ihn nur necken wollte. Er sah zum Slytherin auf und war wieder verblüfft darüber, wie viel Ruhe dieser ausstrahlte. Aber er erkannte noch etwas anderes. Severus würde nicht zulassen, dass Harry sich jetzt selbst bemitleiden und verkriechen würde. Nein, er verlangte genau das Gegenteil von ihm. „Ich muss wieder zurück in die Halle“, sprach Harry den Gedanken laut aus und und erhielt ein Nicken vom anderen. Seufzend sammelte Harry sich, während Severus wieder einen normalen Abstand zu ihm einnahm. War es Zufall, dass im gleichen Moment Schüler um die Ecke bogen? „Entschuldige“, murmelte der Grünäugige, ohne Blickkontakt mit dem anderen aufzunehmen. „Das solltest du eher zu deinen Freunden sagen. Sie sind diejenigen, die du jedes Mal angreifst.“ Seufzend nickte Harry. Er hatte ja Recht. Seine Freunde taten alles, um ihm das Leben zu erleichtern und er brüllte sie nur an. Das war nicht fair von ihm. Noch einmal tief durchatmend sah Harry auf und Severus ging einen Schritt zurück, um ihn vorbeizulassen. Dann ging Harry entschlossen zurück zur Halle und betrat sie ohne zu zögern. Sofort waren die Blicke wieder auf ihn gerichtet, die alle Unsicherheit oder Skepsis ausdrückten. Kurz hinter ihm betrat Severus die Halle und ließ sich nicht anmerken, dass etwas anders sei als sonst. Als Harry sich zögerlich zurück auf seinen Platz setzte, wagte er es kaum die anderen anzusehen. Als erstes sah er zu Dean, der skeptisch dreinsah, um dann den Blick nacheinander zu Neville, Ginny, Ron und Hermine schweifen zu lassen, die allesamt besorgt aussahen und vielleicht ein wenig abgeschreckt. Er senkte den Blick zu seinem Teller und nuschelte: „Tut mir leid.“ „Ist schon okay“, fand Hermine als erste ihre Sprache wieder und hob den Arm, um über Harrys Rücken zu streichen, zögerte jedoch, als sie an seine letzte Reaktion dachte. Schließlich wagte sie es dennoch und Harry zeigte ein trauriges Zucken der Mundwinkel. Jetzt hatten seine Freunde schon Angst vor ihm. Wie weit würde er noch gehen? 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