Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 5: Nachtwanderung ------------------------- Harry Potter raufte sich die Haare, als er diesen Vormittag mit seinen beiden Freunden das Klassenzimmer für Zaubertränke verließ. „Ganz ruhig, Harry“, redete Hermine auf ihn ein, während dieser tief durchatmete, um sich zu beruhigen. „Dieser Kerl macht mich noch wahnsinnig! Wir sind noch in der ersten Schulwoche und schon ertrage ich diesen Bastard nicht mehr!“, keifte der Gryffindor mit unterdrückter Wut. „Aber wenigstens hast du es heute mal geschafft die Klappe zu halten. Du machst Fortschritte.“ „Dafür hast du übrigens meinen Respekt“, mischte Ron sich ein. „Der hat dich heute ja noch fieser behandelt als sonst und trotzdem bist du ruhig geblieben. Ich wäre schon bei seinem ersten Kommentar explodiert.“ „Natürlich hat er mich heute fieser behandelt als sonst. Nachdem ich ihn gestern Abend so gesehen habe, ist es kein Wunder, dass er sich rächt.“ Der Gryffindor schloss kurz die Augen und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor er weitersprach: „Es sind auch nicht seine Kommentare gewesen, die mich so wütend gemacht haben. Er hat versucht Legilimentik bei mir anzuwenden.“ „Was?!“, kam es empört von Ron und Hermine gleichzeitig. Harry zuckte nur die Achseln. „Und hat er etwas gesehen?“, fragte Ron vorsichtig nach. Harry schüttelte den Kopf. „Als er merkte, dass ich ihn bei dem Versuch erwischt habe, hat er aufgehört. Er scheint in Legilimentik nicht so gut zu sein wie seine Schwester. Die hat meine Gedanken schon einmal gelesen, ohne das ich es bemerkt habe.“ „Warum machen die das überhaupt? Es geht die doch überhaupt nichts an was wir tun oder denken! Das ist unsere Privatsphäre!“, beschwerte Ron sich weiter. „Bei Snape ist es doch offensichtlich: Er wollte herausfinden, wie viel ich gestern Abend mitbekommen und ob ich es weitererzählt habe.“ „Das gibt ihnen noch lange nicht das Recht in deinen Gedanken herumzuschnüffeln!“, meckerte Ron weiter. Der Schwarzhaarige sagte nichts weiter.   Harry rannte und rannte, aber der Gang, in dem er sich befand, wollte kein Ende nehmen. Immer wieder sah er hinter sich und stellte fest, dass die Schwärze hinter ihm immer näher kam. Sie durfte ihn nicht erreichen. Er wusste nicht, was dieser Nebel war, aber er wusste, dass er verloren wäre, wenn er hineingeraten würde. Endlich konnte er eine Tür vor sich erkennen. Er riss sie auf und fand sich in einem helleren und wesentlich kürzeren Flur wieder. In den Wänden waren Türbögen eingebaut, doch er konnte nicht hindurchgehen. Die Durchgänge waren von einem seltsamen Schleier verdeckt, von denen aus Menschen zu flüstern schienen. Er konnte nicht verstehen was sie sagten, doch das interessierte Harry im Moment auch gar nicht. Der schwarze Nebel hatte bereits die Tür erreicht und kam bedrohlich näher. Panisch lief Harry den Gang entlang. Am Ende angelangt, stand er vor einer weiteren Tür, doch als er versuchte sie zu öffnen, gab diese nicht nach. Verzweifelt rüttelte er an der Klinke, doch es half nichts. Harry drehte sich um und suchte nach einem anderen Fluchtweg. Erst jetzt entdeckte er zwei weitere Türen. Er stürmte zu einer der beiden hin und öffnete sie. Dahinter befand sich ein winziger, dunkler Raum, in dem ein weiterer Torbogen mit Schleier stand. Aus diesem waren ebenfalls flüsternde Stimmen zu hören, doch Harry konnte aus diesem Stimmengewirr eine deutlich heraushören. „Harry! Harry!“, rief diese Stimme immer wieder. Als Angesprochener sich den Schleier genauer ansah, konnte er das Gesicht seines Paten darin erkennen. „Harry! Harry!“, flüsterte Sirius immer wieder. Durch Harrys langes Zögern hatte der schwarze Nebel die Tür erreicht und versperrte ihm den Ausgang. Plötzlich wurde alles um ihn herum schwarz und nur der Torbogen schien leuchtend vor ihm zu stehen. Langsam verblasste Sirius' Gesicht im Schleier und der Torbogen verschwand. Sirius' Stimme jedoch wurde immer lauter. „Harry! Harry!“, hallte es nun von überall her. Panisch sah Harry sich um, doch er konnte nichts erkennen. „Hilf mir, Harry! Hilf mir!“, konnte er Sirius' Stimme sprechen hören, die an nicht sichtbaren Wänden widerhallte. Immer wieder rief Sirius nach ihm und bat um Hilfe. Harry drehte sich im Kreis und versuchte verzweifelt herauszufinden, woher die Stimme kam. Auf einmal packte ihn etwas am Knöchel und er schnellte herum. Vor ihm lag Sirius auf dem Boden und hatte deutlich Schwierigkeiten Luft zu bekommen. Er sah zu Harry hinauf, welcher nun das Blut an der Stirn seines Paten herunterlaufen sah. Sirius gab ein Husten von sich, wobei weiteres Blut aus seinem Mund lief. „Harry, hilf mir!“, röchelte er. „Hilf mir! Wegen dir bin ich hier. Wegen dir ist mir das zugestoßen. Also hilf mir!“ Gerade als Harry sich zu seinem Paten hinunterbeugen wollte, verschwand dieser und Harry war wieder von der Schwärze umgeben. Unsicher stand er auf. „Sirius?“, fragte er ins Dunkle hinein. „Hilf mir!“, konnte er wieder aus allen Richtungen hören. „Wo bist du?“, schrie Harry verzweifelt. „Hilf mir!“, rief Sirius nur weiter. Die Panik des Jungen stieg weiter ins Unermessliche. Orientierungslos lief er in irgendeine Richtung, in der Hoffnung auf etwas zu stoßen. Plötzlich sah er den blutüberströmten Sirius drei Meter vor ihm liegen, doch als er auf ihn zu rannte, verschwand dieser wieder. Kurz darauf erschien sein Pate rechts von ihm, doch kaum hatte Harry einen Schritt gemacht, war er wieder weg. Nur Sirius' Stimme war weiterhin zu hören, die um Hilfe rief. Plötzlich konnte Harry hören, wie sein Pate einen entsetzlichen Schrei von sich gab. Der Schrei hallte von allen Seiten und wollte nicht enden. Harry drehte sich verzweifelt im Kreis, in der Hoffnung, Sirius irgendwo zu entdecken. Doch alles blieb dunkel und der Schrei war weiterhin von allen Seiten zu hören. Er hielt es nicht mehr aus. Er konnte diesen Schrei nicht mehr hören. Er ertrug es nicht länger diesen Qualen zu lauschen. Verzweifelt hielt Harry sich die Ohren zu, doch der Schrei wurde dadurch nicht gedämpft. Er ließ sich auf die Knie sinken, während er weiterhin seine Hände auf seine Ohren presste. Harry riss die Augen auf. Zuerst nahm er nur Schwärze wahr, doch dann erkannte er langsam die Umrisse eines Bettes, in dem er lag. Er sah sich weiter um und erkannte noch vier weitere Betten, in denen Dean, Seamus, Neville und Ron ruhig schliefen. Langsam ließ der Grünäugige sich in sein Kissen zurücksinken und versuchte seinen schnellen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Er befreite sich aus der Decke, die sich um seinen verschwitzten Körper gewickelt hatte. Dann vergrub er sein Gesicht in den Händen und versuchte sich zu beruhigen. Als sein Atem sich wieder einigermaßen normalisiert hatte, nahm er die Hände herunter und sah an die Decke. 'Es war nur ein Albtraum.', versuchte Harry sich selbst zu beruhigen, doch er schaffte es nicht seine zitternden Hände in den Griff zu bekommen. Langsam setzte der Gryffindor sich auf und strich sich durch die Haare. Dann stand er auf und ging ins Bad, wo er den Wasserhahn aufdrehte und sich kaltes Wasser ins Gesicht klatschte. Am Waschbecken abgestützt, blickte er in den Spiegel. 'Oh man seh ich beschissen aus!', konnte er nur denken und drehte den Wasserhahn zu. Dann ging er zurück in den Schlafsaal und legte sich in sein Bett, doch der erhoffte Schlaf wollte nicht kommen. Jedes mal, wenn Harry seine Augen schloss, sah er wieder den blutüberströmten Sirius vor sich. Nach einer halben Stunde gab Harry auf und setzte sich hin. Er kramte einen Pullover aus seinem Koffer und zog ihn sich über. Dann schnappte er sich seinen Tarnumhang und verließ den Schlafsaal. Im Gemeinschaftsraum war niemand zu sehen. Das Kaminfeuer war bereits ausgegangen und so war der Raum nur von der letzten Glut beleuchtet. Am liebsten hätte Harry 'Lumos' angewendet, aber er wollte unentdeckt bleiben und tastete sich im Dunkeln zum Portraitloch. So leise wie möglich stieß er das Gemälde zur Seite und im Flur angekommen verschwand er unter seinem Tarnumhang. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er die Karte des Rumtreibers vergessen hatte, doch er wollte nicht nochmal umkehren. So leise wie möglich schlich der Brillenträger durch die Gänge von Hogwarts, mit dem Ziel Astronomieturm. Er musste dringend frische Luft schnappen und einen klaren Kopf bekommen. Harry nahm einen Umweg, um die Gänge zu benutzen, die große Fenster hatten und somit vom Mondlicht beleuchtet waren. Es wäre zu auffällig 'Lumos' zu benutzen und wenn er sich nicht in der völligen Dunkelheit verlaufen wollte, musste er wohl oder übel diese Gänge nutzen. Bevor der Gryffindor um die nächste Ecke bog, konnte er eine Stimme hören. Er hielt kurz inne und lauschte, doch es war nichts mehr zu hören. Für einen Augenblick dachte Harry, dass er sich verhört oder dass ein Gemälde nur im Schlaf gesprochen hatte. Gerade als er weiterlaufen wollte, hörte er wieder jemanden sprechen. „Also werde ich den Jungen nie zu Gesicht bekommen?“, sprach eine tiefe, männliche Stimme im Flüsterton. „Sicher wirst du das. Aber noch nicht jetzt. Es ist noch zu gefährlich“, antwortete eine weibliche Stimme, die Harry als die von Professor Levin erkannte. Ganz vorsichtig spähte Harry um die Ecke. An einem Fenster konnte er zwei Gestalten erkennen, die sich beide auf dem Fensterbrett abstützten und aus dem Fenster sahen. Vorsichtig trat Harry näher heran, immer darauf achtend, dass er keinen Laut von sich gab. Nun konnte er die beiden Gestalten als Levin und Snape identifizieren. „Und wann glaubst du ist es ungefährlich? Wenn ich das richtig sehe, ist es das nie“, fing Snape wieder an zu sprechen. Levin seufzte leise auf. „Wir werden sehen. Es wird schon noch eine Zeit kommen, in der diese Versteckspielchen nicht mehr von Nöten sind.“ Snape lachte humorlos auf. „Ja sicher. Darauf hoffe ich schon seit 20 Jahren und es ist noch nichts passiert“, antwortete er bitter. Harrys Lehrerin drehte sich um, um sich gegen das Fensterbrett zu lehnen. Erschrocken trat Harry einen Schritt zurück, doch dann fiel ihm ein, dass er unter seinem Tarnumhang war und sie ihn gar nicht sehen konnte. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass die Hexe kurz zu ihm herüber sah, doch dann blickte sie zur gegenüberliegenden Wand. „Es werden auch wieder gute Zeiten kommen“, sprach sie aufmunternd zu ihrem Bruder. „Es gibt so viele große Zauberer, die hinter Voldemort her sind. Irgendwann wird es einem von ihnen gelingen, ihn zu vernichten.“ „Irgendjemandem ist gut“, grummelte Snape weiter. „Du weißt, was der Tagesprophet schreibt und du weißt, dass es diese Prophezeiung wirklich gibt.“ Nun zögerte er kurz, bevor er sehr leise hinzufügte: „Ich habe sie selbst gehört.“ Harry stockte der Atem und er sah stirnrunzelnd zu seinem Lehrer. Er hatte die Prophezeiung gehört? Aber wie war das möglich? Die einzigen Menschen, die die Prophezeiung kannten, waren Dumbledore und er selbst. Dumbledore hätte diese Prophezeiung doch nicht an Snape weitergeleitet, oder? „Wo wir gerade von Potter sprechen“, riss Levin Harry aus seinen Gedanken, „Er hat heute Nacht das Bett verlassen.“ Nun hatte sie ihre Arme verschränkt und sah direkt auf die Stelle, an der sich Harry befand. Erschrocken starrte dieser seine Lehrerin an und war nicht in der Lage sich zu bewegen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah Snape seine Schwester an. „Heute Nacht?“ „Ja, heute Nacht“, bestätigte Levin und sah nun wieder zu ihrem Bruder. „Ich habe ihn dabei erwischt, wie er in den Gängern herumschlich.“ „Mit oder ohne Tarnumhang?“ „Ah, du weißt also, dass er einen besitzt.“ „Natürlich weiß ich das. Er geht nicht gerade mit Vorsicht vor. Bereits im ersten Schuljahr habe ich gemerkt, dass ständig jemand unsichtbar durch die Gänge schleicht. Aber erst im dritten Schuljahr hatte ich den Beweis, dass es Potter war.“ „Nun...“, setzte Levin neu an und sah wieder direkt zu Harry, „heute Nacht trug er auch wieder seinen Umhang. Allerdings wusste er nicht, dass ich in der Lage bin, ihn trotzdem zu sehen.“ Harry musste schlucken. Diese Frau bluffte nicht. Sie hatte ihn wirklich entdeckt und es wartete sicherlich noch eine saftige Strafe auf ihn. Allerdings verstand der Gryffindor nicht, warum Levin ihn nicht direkt ansprach und ihn somit vor Snape verriet. Immerhin hatte er ihr Gespräch belauscht, wenn auch unabsichtlich. Snape konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen. „Ich hoffe du hast ihn dementsprechend bestraft“, sprach er weiter und sah seine Schwester forschend an. „Natürlich“, antwortete sie leicht beleidigt. „50 Punkte Abzug für Gryffindor und eine Strafarbeit. Strafe genug?“ Grummelnd sagte Snape:„Ich hatte schon befürchtet, dass du deinen Schützling auch noch bevorzugen würdest.“ Harry runzelte die Stirn. Schützling? Hatte er etwas verpasst? „Ich handle immer so gerecht wie möglich, Severus.“ Seufzend stieß Levin sich vom Fensterbrett ab. „Naja, ist jetzt auch egal. Ich werde allmählich müde. Ein Bett hört sich jetzt sehr verlockend an. Gute Nacht“, sprach sie weiter und gab ihrem Bruder einen Kuss an die Schläfe. Dieser murmelte ein „Nacht“ und sah weiterhin aus dem Fenster. Die Schwarzhaarige ging nun an Harry vorbei und als sie direkt neben ihm war, machte sie mit einer Handbewegung deutlich, dass er ihr folgen sollte. Dem Gryffindor wurde mulmig, doch er hatte keine andere Wahl. Leise schlich er seiner Lehrerin hinterher, die etwas langsamer lief als sonst, damit Harry ihr geräuschlos folgen konnte. Als sie in dunklere Gänge einbogen, hielt Levin ihren Zauberstab hoch, der sofort zu leuchten begann. Schon bald blieb die Hexe vor einer Tür stehen und öffnete sie. Sie trat ein und ging einen Schritt zur Seite, um Harry hereinzulassen. Dieser schluckte noch einmal, bevor er Levins Büro betrat. „Hier können Sie Ihren Umhang ablegen, Mr Potter“, sprach die Lehrerin und schloss die Tür. Etwas zögerlich tat Harry, was sie sagte und sah sich unsicher um. Das Büro der Hexe war sehr weiträumig und warm eingerichtet. Levin ging an ihm vorbei und lehnte sich gegen ihren Schreibtisch. „Also“, setzte sie an und verschränkte die Arme, „warum schleichen Sie mitten in der Nacht durch das Schloss?“ Harry sah ihr in die Augen. Die Schwarzhaarige hatte ihre Gesichtszüge perfekt im Griff und zeigte keinerlei Gefühlsregungen. Das machte es dem Gryffindor noch schwerer seine Unsicherheit zu verbergen. Er legte seinen Tarnumhang auf eine kleine Kommode und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Ich... konnte nicht schlafen und wollte ein bisschen frische Luft schnappen. Eigentlich war ich gerade auf dem Weg zum Astronomieturm.“ Forschend sah Levin ihren Schüler an. Harry hatte auf einmal das Gefühl geröntgt zu werden, was ihn dazu brachte leicht die Stirn zu runzeln. Dieses Gefühl kannte er bisher nur von Dumbledore. Langsam löste die Hexe ihre Arme und stützte sich an der Tischplatte ab. „Haben Sie des Öfteren Alpträume?“, fragte sie mit weiterhin forschendem Blick. Harry wusste nicht, was er antworten sollte. Es ging diese Lehrerin überhaupt nichts an, was er tat oder fühlte. „Sie sollten mal mit jemanden über Ihre Sorgen sprechen. Das hilft Ihnen, das Vergangene zu verarbeiten.“ Erstaunt sah Harry zu seiner Lehrerin. Warum hielten es alle Lehrer für selbstverständlich, in seinen Erinnerungen herumzuwühlen?! „Sie scheinen sehr häufig Gebrauch von Legilimentik zu machen, kann das sein?“, fragte er gerade heraus, ohne darüber nachzudenken, dass er einem Lehrer gegenüber gerade unhöflich wurde. Harry glaubte ein Schmunzeln erkennen zu können, bevor seine Lehrerin antwortete. „Ich kann das zum Teil gar nicht kontrollieren und es ist auch nicht die Art von Legilimentik, die Sie kennen.“ Fragend sah Harry der Hexe in die Augen. „Bei normaler Legilimentik werden Erinnerungen des Gegenübers aufgerufen. Somit kann man dann anhand von Bildern erkennen, ob man belogen wird oder nicht. Es gibt natürlich genügend Zauberer, die diese Art von Legilimentik dazu benutzen, um an Informationen heranzukommen. Die Art von Legilimentik, die ich jedoch anwende, funktioniert ein wenig anders.“ Gespannt aber auch misstrauisch lauschte Harry den Worten seiner Lehrerin. Diese lächelte und fuhr fort: „Ich brauche keine Zauberformel zu sprechen oder zu denken, um in den Kopf meines Gegenübers zu tauchen. Und ich sehe mir auch keine Erinnerungen an, sondern lausche den Gedanken.“ Langsam nahm Harry diese Informationen auf und fing an zu grübeln. „Gibt es viele Zauberer, die diese Art von Legilimentik anwenden?“ „Jeder, der Legilimentik beherrscht, kann davon Gebrauch machen. Allerdings braucht man dafür Fingerspitzengefühl und da viele dieses nicht haben, sehen sie sich lieber Erinnerungen an“, beantwortete Levin Harrys Frage fachmännisch. „Fingerspitzengefühl?“, hakte dieser stirnrunzelnd nach. Levin knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe. „Es ist schwierig zu erklären“, setzte sie an und machte wieder eine kurze Pause. „Wenn man vor hat, sich nur Gedankengänge anzuhören, muss man in der Lage sein diese zu filtern. Sobald man den entsprechenden Zauber ausgesprochen hat, hört man sämtliche Gedanken aller Menschen, die gerade in der Nähe sind. Wenn man diese Gedanken dann nicht filtern kann, wird man von ihnen erschlagen.“ „Aber... wenn man mit einer Person alleine ist, müsste es doch funktionieren, oder nicht?“ „Die Gedanken eines Menschen sind ziemlich verworren. Teilweise werden Gedanken nicht beendet oder von anderen gestört. Aus diesem Chaos den Gedanken herauszusuchen, der momentan im Vordergrund steht, ist gar nicht so einfach.“ Grübelnd sah Harry auf den Schreibtisch. Snape hatte ihm Legilimentik nie so genau erklärt. Wenn er es getan hätte, hätte Harry größeres Interesse gezeigt und wäre vielleicht sogar besser in Okklumentik gewesen. Stirnrunzelnd dachte Harry wieder an den Anfang ihrer Unterhaltung. „Sie sagten, Sie könnten das nicht kontrollieren.“ Levin seufzte kurz. „Neugierde kann eine gefährliche Sache sein. Sie bringt das Gleichgewicht von Angst und Mut durcheinander. Sie unterdrückt die Angst, die ursprünglich dafür gedacht war, den Menschen vor gefährlichen Situationen zu schützen. Natürlich will ich damit jetzt nicht sagen, dass Sie sich mit Ihrer Frage in Gefahr gebracht haben. Aber Sie sollten lernen, wann Sie Ihrer Neugierde nachgeben können und wann nicht“, gab seine Lehrerin etwas kühl als Antwort. Harry nickte stumm. Er war wohl zu weit gegangen. Diese Frau war schwer zu verstehen. Im ersten Moment war sie noch redefreudig und im nächsten wies sie einen kalt ab. Anscheinend hatte er mit seiner Frage auf eine Schwäche hingewiesen, die seine Lehrerin aufwies. Er durfte nicht vergessen, dass sie eine Snape war. Ein Snape gab nie zu, dass er Fehler machte oder gar Schwächen hatte. Plötzlich lachte Levin leise, was Harry aus seine Gedanken zog. Er hatte diese Frau noch nie lachen sehen. Es ließ sie gleich viel sympathischer wirken und verlieh ihr eine warme Ausstrahlung. Verwirrt sah Harry seine Lehrerin an, die sich gerade von ihrem Lachanfall erholte. „Tut mir Leid, aber Ihre Gedanken waren gerade zu komisch. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut Sie meinen Bruder inzwischen analysiert haben.“ Stirnrunzelnd sah der Gryffindor Levin an. „Sie meinen, dass ich weiß, dass er keine Fehler und Schwächen zugibt?“, fragte er nach, um sich zu vergewissern. Immer noch lächelnd nickte die Schwarzhaarige. „Das ist ja auch nicht schwer herauszufinden“, murmelte der Gryffindor und sah auf den Teppich. „Obwohl Sie offensichtlich der meist gehasste Schüler von Severus sind, scheinen Sie ihn besser zu kennen, als irgend ein anderer Schüler.“ Erstaunt sah Harry auf. „Ich glaube Sie überschätzen mich da ein wenig, Professor.“ „Sie unterschätzen sich. Das scheinen Sie in vielen Dingen zu tun. Allerdings ist das gar nicht mal so schlecht. Dadurch sind Sie bescheiden statt überheblich und sorgen in brenzligen Situationen für Überraschungen.“ Forschend sah die Schwarzhaarige Harry an. „Und das ist auch der Grund, weshalb Sie Voldemort so häufig entkommen sind, nicht wahr?“ Harry ließ die Schultern leicht hängen. „Das hat aber nichts damit zu tun, dass Sie mich mit meiner Menschenkenntnis überschätzen. Ich glaube nicht, dass ich Professor Snape besser kenne als die Slytherins. Und selbst wenn es so wäre, würde das wahrscheinlich nur daran liegen, dass ich so häufig bei ihm Nachsitzen musste und auch Okklumentikunterricht bei ihm hatte“, verteidigte Harry seinen Standpunkt. Levin verschränkte die Arme und schüttelte lächelnd den Kopf. „Professor?“, fragte Harry irritiert nach. Zuerst bekam er keine Antwort, doch nach einiger Zeit begann die Hexe leise und nachdenklich zu sprechen: „Ich finde es nur erstaunlich, was für ein seltsames Schüler-Lehrer-Verhältnis zwischen Ihnen und Severus herrscht. Es ist mir sofort aufgefallen und fasziniert mich immer wieder.“ Harrys Blick verfinsterte sich leicht, als er durch seine zusammengebissenen Zähne sprach: „Er hasst mich. Das ist alles.“ „Gerade das ist ja das Faszinierende“, sagte Levin ruhig und Harry runzelte die Stirn. „Es ist interessant zu sehen, wie Severus mit einigen Situationen umgeht. Er weiß nicht, wie er sich Ihnen gegenüber verhalten soll und hat sich dafür entschieden, Sie kalt und unfair zu behandeln.“ Harry biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Wieso sollte Snape nicht wissen, wie er sich ihm gegenüber verhalten soll? „Ich weiß, dass es nicht nur der Hass auf meinen Vater ist. Er tut so, als ob ich was verbrochen hätte“, jammerte Harry nun schon fast. Levin lächelte leicht. „Ich denke dieses 'Verbrechen' sind Ihre Augen.“ „M-Meine Augen?“, fragte Harry verdutzt. „Ja, Ihre Augen. Sie sehen zwar aus wie ihr Vater, haben aber Lilys Augen und gerade das bringt Severus durcheinander.“ Harry stutzte und sah Levin verwundert an. „Was hat das mit meiner Mutter zu tun? Er mochte sie doch nicht.“ „Wieso sollte er seine Freundin nicht gemocht haben?“, stellte die Schwarzhaarige mit hochgezogener Augenbraue als Gegenfrage. Nun machte Harry eine Pause. In seinem Kopf begann es zu arbeiten. „Wussten Sie nicht, dass er mit Ihrer Mutter befreundet war?“, fragte Levin erstaunt weiter. Harry hatte es die Sprache verschlagen, sodass er nur den Kopf schütteln konnte. „Oh...“, kam es nur von seiner Lehrerin, die nun ihre Lippen aufeinander presste und ertappt zur Seite sah. „Ups.“ Sie sah zurück zu Harry und stieß sich vom Schreibtisch ab. „Ich denke, Sie sollten jetzt gehen, bevor ich noch mehr Dinge erzähle, die Severus offensichtlich für sich behalten will.“ Doch der Gryffindor hatte nicht vor zu verschwinden. Nicht jetzt. Nicht, nachdem sie auf seine Mutter gekommen waren. „Professor, heißt das, dass Sie und Professor Snape meine Mutter gut kannten?“ Levin verschränkte die Arme und seufzte widerwillig auf. „I-Ich habe nicht vor in Professor Snapes Leben herumzuschnüffeln“, fügte er hastig hinzu, als er bemerkte, dass seine Lehrerin ihm keine Antwort geben wollte. „Es ist nur... Es ist schwierig jemanden zu finden, der wirklich lange mit ihr befreundet war und mir ein bisschen mehr über sie erzählen kann. Deshalb... dachte ich...“ Weiter sprach Harry nicht. Er sah nun auf den Boden und wartete darauf, dass Levin ihn abwimmelte, doch zu seiner Verwunderung setzte sich diese auf ihren Schreibtisch und schwang ihre Beine hin und her, während sie nachdenklich an die Decke schaute. „Es ist verständlich, dass Sie etwas über sie erfahren wollen.“ Die Lehrerin sah ihren Schüler nun wieder direkt in die Augen, als sie weitersprach: „Ich habe sie nicht allzu gut gekannt. Ich hatte sie als die beste Freundin meines Bruders kennengelernt und wir verbrachten in den Sommerferien einige Tage zu dritt im Park und spielten dort.“ Harry schluckte seine Verwunderung hinunter. 'Beste Freunde' auch noch? Levin ließ sich von Harrys Reaktion nicht ablenken und fuhr fort. „Unsere Eltern nahmen nicht so viel Notiz von ihr, da sie unser Haus nur selten betrat. Meistens wartete sie draußen auf Severus oder er ging zu ihr, um sie abzuholen. Sie wohnte nur ein paar Straßen weiter. Die beiden hingen ständig zusammen.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, während sie in Erinnerungen versunken war. „Zu Anfang hatten sie sich nur heimlich getroffen. Den genauen Grund hatte ich nie erfahren, aber ich glaube es hatte etwas mit Lilys neugieriger Schwester zu tun.“ Harry unterdrückte ein Schnaufen. Petunia schien sich also schon damals in alles reingesteckt zu haben. „Jedenfalls fiel mir auf, dass Severus ständig außer Haus war und nie erzählen wollte, wo er war. Irgendwann bin ich ihm nachgeschlichen und habe die beiden dann auf einer Wiese im Park sitzen sehen.“ Nun konnte sich die Hexe ein Lachen nicht verkneifen. „Ich werde nie Severus' Blick vergessen, als ich auf einmal auf sie zu kam. Er wollte mich gleich wieder wegscheuchen, aber Lily war neugierig und bat mich zu bleiben. Wir verstanden uns gut und von Zeit zu Zeit ging ich ebenfalls nach draußen, wenn Lily mal wieder vor unserem Haus stand. Ich war nie so eng mit ihr befreundet wie Severus und ich sah sie auch wesentlich seltener, aber bei diesen wenigen Treffen hatten wir viel Spaß zusammen.“ Nun sah die Lehrerin Harry wieder direkt an. „Wir haben uns nie über unsere Familien oder unseren Alltag unterhalten und deshalb weiß ich auch nicht viel über sie. Aber sie war eine sehr aufgeschlossene, selbstbewusste und neugierige Person und ihre Freunde waren ihr das Wichtigste im Leben. Außerdem wurde es mit ihr nie langweilig, da sie immer eine spaßige Idee parat hatte. Und ich muss sagen, dass Sie viele Ihrer Charakterzüge übernommen haben.“ Während sie sprach war ihr Grinsen immer breiter geworden und Harry konnte nur zurücklächeln. Er brauchte einen Augenblick, um diese ganzen Informationen aufzunehmen. Dann wurde er jedoch wieder nachdenklich. „Aber eines verstehe ich nicht. Ich habe mal... durch Zufall... aus Versehen...“, druckste Harry herum, während er sich durch sein Haar strich, „aus Neugierde heraus eine Erinnerung von Professor Snape gesehen, in der er meine Mutter als Schlammblut beschimpft hat. Mir erschien es nicht so, als seien sie wirklich so gut befreundet gewesen. Ich... ich versteh nicht, wieso...“ „Bevor ich Ihnen dazu etwas erzähle, würde ich gerne wissen, ob Severus von Ihren... 'Nachforschungen' weiß“, sagte die Hexe und sah Harry prüfend und streng an. Dieser sah auf den Boden und fing leise und beschämt an zu sprechen: „Ja er... er hat mich erwischt. Er ist völlig ausgerastet, was ich natürlich verstehen kann“, fügte er hastig hinzu. „Ich weiß auch ehrlich gesagt gar nicht, warum ich in dem Denkarium herumgeschnüffelt habe. Wahrscheinlich einfach aus...“ „Neugierde“, beendete Levin den Satz für ihn, sodass Harry nur wieder nicken konnte. Nun rutschte die Lehrerin vom Tisch herunter, um sich dann Arme verschränkend gegen die Tischplatte zu lehnen. „Ich will Ihnen nicht zu viel aus Severus' Leben erzählen und sage Ihnen deshalb nur, dass es eine Zeit gab, in der die beiden ständig Streit hatten. Diese Erinnerung muss wohl aus diesem Zeitrahmen stammen.“ Harry merkte, dass er nicht weiter bohren sollte und nickte deshalb nur. „Und nun sollten Sie langsam wieder in den Gryffindorturm zurückkehren.“ Etwas enttäuscht atmete Harry durch, drehte sich um und schnappte sich seinen Tarnumhang. Dann hielt er jedoch inne und sah noch einmal zu seiner Lehrerin. „Professor?“ „Ja?“ „Vorhin im Korridor... Wieso haben Sie mich nicht vor Professor Snape verraten? Es wäre für Sie doch einfacher gewesen ihm zu sagen, dass ich gerade im Flur stand. Warum haben Sie gelogen und ihm erzählt, dass Sie mich schon vorher erwischt hätten?“ Nun lächelte die Hexe wieder ihr kaum erkennbares Lächeln. „Ich dachte mir, dass es Strafe genug sei von einem Snape entdeckt zu werden. Hätte Severus herausgefunden, dass Sie da standen... nun, ich denke Sie wissen zu genüge, wie er reagiert hätte. Außerdem hätte er meine Pläne durchkreuzt. Ich will immer erst wissen, weshalb ein Schüler etwas tut, bevor ich denjenigen zusammenfalte. Er scheint es vorzuziehen, es genau anders herum zu machen“, sagte sie mit einem nun sichtbarem Lächeln auf den Lippen. Harry grummelte zustimmend. Es war schon merkwürdig so eine Situation aus der Sicht eines Lehrers zu sehen und noch seltsamer war es, Snape aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Diese Frau hatte es tatsächlich geschafft, Harrys Ansicht über seinen Hasslehrer ins Positive zu verändern. Snape wirkte auf Harry nun viel... menschlicher... irgendwie. „Also“, setzte Levin wieder neu an, „Sie sollten jetzt wirklich gehen, wenn Sie noch ein wenig Schlaf bekommen wollen. Und vergessen Sie nicht, wozu ich Ihnen geraten habe: Sie müssen sich Ihren Sorgen stellen und mit jemanden darüber reden. Ansonsten wird Sie die Vergangenheit immer wieder einholen.“ „Ja, ist gut“, sagte Harry seufzend zu ihr. Sie hatte leicht reden. Mit wem sollte er sich denn bitte darüber unterhalten? Klar, er hatte Freunde, aber die schienen dafür nicht die richtigen Ansprechpartner zu sein. Seiner Lehrerin entging dieses Seufzen nicht und sah den Jungen forschend und mitleidig an. „Wenn es Ihnen hilft: Meine Tür steht immer für Sie offen.“ Der Gryffindor sah der Hexe in die Augen, murmelte ein „Danke“ und verließ unter dem Tarnumhang ihr Büro, um in Richtung Gryffindorturm zu verschwinden. Levin wusste, dass dem Jungen mit ihrem Ratschlag noch immer nicht geholfen war und so gab sie ein sorgenvolles Seufzen von sich, ehe sie durch eine Nebentür in ihre Privaträume verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)