To See The Sun Means To Avoid The Moon von ChiliCat ================================================================================ Kapitel 3: Another Home ----------------------- Ab diesem Tag waren Naruto und ich so gut wie nie allein anzutreffen, außer auf dem Weg zur Uni und nach Hause. Ich wohnte ganz schön weit weg vom Campus, während Naruto nur wenige Schritte bis in sein Zimmer im Wohnheim gehen musste. Es war, als würden wir uns gegenseitig genauestens beobachten, zu jeder Zeit, jedoch ohne den anderen dabei merklich bei irgendetwas zu stören. Das einzige, was ich nicht hinbekam, war in Narutos Gegenwart zu zeichnen – zum Großteil wohl deswegen, weil seine Kulleraugen sofort über meine Schulter geschaut hätten und er mir viel zu nah gewesen wäre, als dass ich noch irgendetwas anderes als ihn hätte wahrnehmen können und zum anderen, weil es sein Gesicht war, welches mir tagtäglich im Kopf herumspukte. Schon seit Tagen war es immer wieder auf den leeren Seiten meines Skizzenbuches gelandet – ohne, dass ihm das Porträt auch nur irgendwie ähnlich sah.  Ich zweifelte nicht an meinen analytischen oder künstlerischen Fähigkeiten, nein, ich zweifelte daran, ob ich Naruto überhaupt richtig sah. Es vergingen einige Wochen und wir waren uns wirklich kaum von der Seite gewichen, als der Winter merklich eingezogen war. Wir hatten Mitte November, es war Freitag, und der Wind sowie alle Räume in der Universität waren eiskalt. Zum Glück hatte es noch keinen Schnee gegeben, obwohl die Temperaturen bei maximal einem Grad lagen. Naruto hatte - wie immer - die passende Musik dabei, als es plötzlich stürmte und dicke Flocken vom Himmel fielen. Keine Weihnachtslieder oder Gesang vom ersten Schnee. Stattdessen spielte er mir in der Cafeteria irgendeinen Indie-Song vor. Ohne Gesang, sehr wirr und mit scheinbar tausenden übereinander gelegten Musikspuren. Die nachfolgenden Stunden hatte ich nichts als diese Melodie und Naruto im Kopf. Ich fragte mich, woran er wohl dachte, wenn er diese Lied hörte, dass so sehr nach einer verlorenen Kindheit klang ... Nach der Veranstaltung fuhr absolut nichts mehr irgendwo hin. Ich musste also mit mehreren Stunden rechnen, die ich an verschiedenen Bahnhöfen verbringen würde - doch als ich schließlich ganz einsam an der U-Bahn Haltestelle stand, kam Naruto zu mir, eine Tasse heißen, grünen Tee in der Hand. Eine Weile standen wir weiter da, die Tasse hatte kurzzeitig den Besitzer gewechselt. Wir redeten nicht, sondern genossen die Stille an der sonst so überlaufenen Station und zitterten in der Kälte, die ich selbst allerdings kaum spürte. Sowohl der Tee als auch der Gedanke, dass ich Naruto nicht egal war, wärmten mich beständig von innen. Als jedoch die Tasse geleert war, machten wir uns fast automatisch auf den Weg zu ihm. Es brauchte nicht mehr als einen Blick, sein mitleidiges Schmunzeln und ein stummes Nicken, um zu entscheiden, dass ich einfach bleiben sollte. Zuhause wartete niemand auf mich, ich hatte den ganzen Tag bisher nichts gegessen und Narutos Neugierde war scheinbar niemals gestillt. Ich hatte, nach allem, was ich inzwischen von Naruto wusste (was bei weitem nicht viel war), natürlich nicht erwartet, dass er kochen konnte. Trotzdem war ich beinahe schockiert von der Menge an Fertig-Ramen, die sich in seiner Küche fand und gleichzeitig erstaunt, dass er trotz dieser Ernährung alles andere als ungesund oder schlecht gebaut aussah. Was mich an diesem Gedanken beunruhigte und nachdenklich meine Nase krausen ließ, war nicht die Tatsache, dass ich Naruto als gutaussehend empfand, sondern dass ich mir überhaupt Gedanken um einen anderen Menschen machte. Auch, wenn es nur seine Essensgewohnheiten waren: Ich war beinahe so etwas wie … um sein Wohl gesorgt? Konnte ich so weit gehen? So formulieren? Durfte ich so weit denken oder gehen? Ich verfiel in meine übliche Grübelei, meine Nase blieb gekräuselt ... Als er erfolgreich fünf Schüsseln der Fertignudeln gekocht hatte, von denen er selbst vier aß, sah ich ihm seinen nächsten Satz schon an dem unübersehbaren Grinsen an: "Hm~~ ich liebe Ramen einfach! ❤️" Und dabei sah er so zufrieden aus, dass ich nichts weiter sagte, sondern stattdessen ein leichtes Lächeln über mein Gesicht herrschen ließ. Und wahrscheinlich war das das erste mal seit mehr als einem Jahr, dass ein kleines bisschen Glück auch meine Augen für eine Sekunde erreichte. Eine winzige Sekunde … sah ich Naruto womöglich wirklich. Obwohl es total normal war, dass man an einem Freitagabend bei einem Freund übernachtete, war die Situation für mich nun einmal komplett neu. Das Resultat: Ich verbrachte die Nacht auf der Couch in Narutos Zimmer (immerhin bestand seine Studentenwohnung nur aus Küche und Wohn-Schlafzimmer mit Bad) und machte kaum ein Auge zu. Zu Anfang hatte mich nichts gestört, ich war einfach eingeschlafen, doch inzwischen machte mir die ungewohnte Umgebung zu schaffen. Es war nicht mein Zimmer. Draußen rauschten Autos vorbei. Das Bett fühlte sich anders an, ich lag anders darin, als ich es Zuhause tun würde, das Zimmer roch anders als meins, genau wie die Klamotten, die er mir geliehen hatte, denn Naruto benutzte ein anderes Waschmittel, welches mir penetrant in die Nase kroch und ... ich konnte jeden einzelnen Atemzug hören, den er tat. Mein Herz passte sich diesem Rhythmus langsam an, nur um dann doch wieder zu rasen und mich in den Wahnsinn zu treiben! Meine Haare wuselten ständig in meinem Gesicht herum – weil sie viel zu lang waren und der Bettbezug sie merkwürdig elektrisierte. Das alles machte mich nervös, wühlte mich auf, machte mich … verrückt!  Ich setzte mich auf. Die Decke raschelte leise von meinem Oberkörper. Ich stand so leise wie möglich auf und verschwand langsam aus dem Zimmer. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, holte ich tief Luft, als wäre die Luft hier so viel kühler oder reiner als im Zimmer, wo doch die ganze Nacht das Fenster leicht geöffnet war. Da das Schlafzimmer linear mit Mini-Flur, Küche und Bad verknüpft war, war es hier in der Küche beinahe vollkommen still. Der perfekte Ort, um mich zu beruhigen, wenn mein Herz nur nicht so schnell hämmern würde! Ich machte einen Schritt zur Seite und setzte mich an der Wand auf die kühlenden Fliesen. Ich fühlte mich, als hätte ich Fieber. Meine Stirn war heiß und meine Glieder schwach, ich fühlte mich matt. Ich drehte meinen Kopf der Tür zu und versuchte so, meine Schläfe an der orangefarbenen Tapete zu kühlen. Als plötzlich der Wind durch das Fenster pfiff und heulte wie ein Wolf, verfiel ich in andauerndes Zittern. Hoffentlich hörte das bald wieder auf ... Ich zog die Knie an und legte meine Arme darum. Es war heiß und kalt zugleich, still und doch dröhnte die Luft laut in meinen Ohren. Ich legte den Kopf auf die Knie und schloss die Augen. Ich wollte doch schlafen! Ganz normal, weil ich müde war, und nicht die Nacht durchwachen weil alles zu viel war! Das Scheuern der Bettwäsche und das Rascheln, Narutos Atem, die Autos draußen ... Mir wurde schlecht und mein Kopf wurde von dem Gedanken, dass ich mich doch beruhigen musste, vollständig lahmgelegt - doch weil ich mich einfach nicht beruhigen KONNTE, steigerte ich mich immer mehr in dieses unangenehme Gefühl, eine Mischung aus Wut, Verzweiflung, Müdigkeit und Trauer. Trauer ... Einsamkeit. Ich dachte daran, wie sich mein Bruder immer um mich gekümmert hatte. Wie er manchmal die ganze Nacht bei mir gelegen hatte, wenn ich genau so etwas wie jetzt durchmachte. Ich wusste, es gab keinen besonderen Grund für diese Art von ... Anfall? Und trotzdem hatte ich mich und meine Sinne nicht genug unter Kontrolle! Was würde ich dafür geben, wenn Itachi mich abholen könnte, beruhigend auf mich einreden könnte, doch - Es rummste so gewaltig hinter meinem Rücken, dass ich zusammenfuhr. Unsicher, ob ich nachsehen sollte oder sitzen bleiben sollte und ziemlich verschreckt wartete ich ab. Mein Herz schlug noch immer lauf, doch langsam, als würde es ebenfalls abwarten. Nach einem resigniert klingenden Stöhnen hörte ich nackte Füße über den Boden patschen. Tap, tap. Dann tap, tap, tap, tap - und die Tür neben mir öffnete sich. Naruto steckte seinen Kopf hindurch und fragte in die Dunkelheit: "Sas? Bist du noch da? Ist alles okay?" Und tastete nach dem Lichtschalter. "Nicht! Lass das Licht aus ...", kam es nicht so kühl von mir wie beabsichtigt. Ich musste doch meinen Schein wahren … kraftlos ging mal gar nicht! "Okay", kam es leise und müde zurück. Naruto hatte mich wohl auch so geortet und trat nun in die Küche ein. "Willst du was trinken oder so?" "Nein." Meine Stimme klang rau und angestrengt, doch die Stille im Raum war für mich nicht mehr zu hören. Endlich hatte das aufgehört ... Naruto wartete etwas, bevor er wieder sprach: "Kannst du einfach nur nicht schlafen?" Ich wusste, dass er mehr hinter meiner Flucht in die Küche vermutete und umklammerte in meiner unveränderten Position meine Handgelenke. Als ich ihm keine Antwort gab, sagte er genau das, was alle Leute sagten, wenn sie mich jemals so gesehen hatten: "Hey, ich weiß, ich rede viel mehr als du es wohl jemals tun wirst, aber ... Wenn du möchtest, höre ich zu. Und ich tue was ich kann, wenn es dir hilft, okay?" Vielleicht hatte ich es mir eingebildet. Vielleicht war Naruto doch nicht so besonders. Ein Fehler von mir, so von ihm zu denken, denn im nächsten Augenblick kniete er sich mir gegenüber auf die eiskalten Fliesen und sah mich an. In seinen Augen war kein Mitleid und nur ein wenig Sorge zu erkennen. Naruto war ernst und zugleich zu neugierig, um sich zu zügeln, als er sich langsam vorbeugte und mir seine Hand wirklich vorsichtig auf die linke Schulter legte. Obwohl er Abstand hielt, wirkte er so nah, so viel zu nah! Seine Augen blitzten mich durch die Dunkelheit grau, doch stetig an. "Glaubst du, dass du noch schlafen kannst oder soll ich mit dir wach bleiben?" Er sprach so sanft. Der gleiche Vorschlag kam früher immer von meinem Bruder. Meistens war ich dann bei dem Versuch, wach zu bleiben, doch irgendwann mit ihm eingeschlafen. "Komm, ich mach die Couch fertig und ... Wie können einen Film schauen? Wenn du möchtest, von mir aus auch ganz leise. Oder Musik hören?" Bei seinem zweiten Vorschlag nickte ich kaum merklich. Dieser war inzwischen aufgestanden und ließ mir ein wenig Zeit, während er die Schlafcouch wieder in den Tagesmodus versetzte. Er schaffte es auch bei allem überflüssigen Lärm zu machen, aber ... eigentlich war mir alles willkommen. Hauptsache, ich musste nicht mehr allein mit der Stille zurechtkommen. Irgendwie war ich, trotz meiner Gedanken, viel ruhiger geworden. Als ich mich aufraffen konnte und wieder ins Schlaf- und Wohnzimmer ging, lagen statt der Bettwäsche, die auf dem Boden Platz gefunden hatte, nun andere Kissen und eine flauschige, braune Tagesdecke auf der orangefarbenen, noch immer ausgezogenen Schlafcouch. Ich runzelte leiht die Stirn, als ich Naruto allerdings auf dem Bett sitzen sah, an einem Laptop, inmitten von feinstem Kabelsalat. "Was machst du?" Er sah auf und wirkte alles andere als zuversichtlich, irgendwie verwirrt und etwas überfordert. "Naja, ich versuche, den Player zu synchronisieren ... Speicher voll und ich gehe mal davon aus, dass du jetzt gerade kein Metal hören willst", grinste er schelmisch. "Brauchst du Hilfe?" "Kannst du das denn? Ist mir noch nie passiert, dass das Ding SO voll war!" "Zeig her." Ich nahm neben ihm Platz und schnappte mir das Gerät sowie eines der Kabel und innerhalb von ein paar Sekunden hatte ich das Problem durchblickt ich schmiss alles, was unter "Heavy Metal" gespeichert war, kurzerhand runter und ersetzte die Musik durch die Alben und Titel, die Naruto mir nannte. Mit meiner Erklärung würde er das Ganze das nächste Mal auch alleine ändern können. Das einzige, was mir fehlte, um den Moment perfekt zu machen, war der Sternenhimmel statt der weißen Zimmerdecke. Ich hatte mich links neben Naruto in die Kissen geworfen und jetzt lagen wir nebeneinander und teilten uns ein Paar Kopfhörer. Es lief ruhige Musik und ich war seit langem mal wieder wirklich entspannt – vor allem, wenn man bedachte, wie aufgewühlt ich zuvor gewesen war. Aber ich hatte auch gute Erinnerungen an meinen Bruder, die nicht ständig den Gedanken enthielten, dass ich diese Dinge nie wieder mit ihm wiederholen könnte. Naruto hatte seine kleine Tischlampe neben sich angemacht und las nebenbei in einem Buch, während ich nur der Musik lauschte und nach oben an die Decke sah - und recht oft zu ihm hinüberschielte. Da ich mich in der ganzen Zeit kaum bewegte und wir nicht wirklich redeten, begann ich langsam aber sicher, etwas zu frieren. Meine Haare kitzelten mein Gesicht schon wieder - ich musste sie wirklich dringend mal wieder schneiden. Ich strich mir die Haare einfach nach hinten aus den Augen und schloss die Augen, als Naruto meinte: "Du kannst ruhig schlafen. Ich bleibe wach, wenn du aufwachst oder du irgendwas brauchst." Ich wandte ihm mein Gesicht zu und zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke ohne dass meine Haare sich ins Sichtfeld schoben. "Seh ich so fertig aus?" Leicht verzogen sich meine Mundwinkel. "Wahrscheinlich nicht schlimmer als ich, aber trotzdem." Und Gott, er sah alles andere als gut aus. Sonst wirkte er immer so frisch, aber jetzt wirkten seine Haare durcheinander und matt und es zeichneten sich dunkle Schatten unter seinen Augen ab. Ich sah wieder zur Decke, seufzte leise. Mir war ohnehin zu kalt, um schlafen zu können ... Doch Naruto schien etwas ähnliches zu vermuten, denn er legte sein Buch aufgeklappt auf seinem Bauch ab und beugte sich an der rechten Seite der Couch herunter, um dann die dort liegende Bettdecke über uns beide zu legen - oder zumindest über unsere Beine. Während er sich neu positionierte, nutzte ich mein Chance, schnappte mir einen Zipfel seines Shirts und rückte an ihn heran, sodass mein Kopf an seiner Seite lag. Nun hörte ich auf dem rechten Ohr sein Herz schlagen, links die Musik, die aus vielen Ton- und Gesangsspuren bestand und spürte wie er atmete, statt es nur zu hören. "Ähm ... Sasuke?" " ... Lass mich, bitte", hauchte ich, schloss die Augen, und wusste zugleich, dass sich etwas ändern musste. Und morgen würde ich damit anfangen. Aber Naruto störte sich nicht weiter daran. "Okay", hauchte er zurück, bevor er die Beine etwas anzog und sich wieder seinem Buch widmete. Ich hoffte nur, dass er auch schlafen würde ...Wie er dabei den Arm um mich legte, bekam ich schon gar nicht mehr mit. Er roch nach milden Orangen und war so schön warm ...  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)