Bleeding Hearts von Lina_Kudo (Blutende Herzen (Goku&Chichi)) ================================================================================ Kapitel 1: Enttäuschung ----------------------- ******************************************Rückblick****************************************** Doch eines hätte ich niemals erwartet. Es gab einen Feind. Der größte Feind von uns allen. Es handelte sich dabei nicht um Freezer. Nicht um Cell. Und auch nicht um Boo. Es war ein Feind, gegen den selbst ich absolut nichts ausrichten konnte und nicht einmal den Hauch einer Chance hatte. Das Schicksal. Zugleich war er aber auch unser bester Freund, da er es war, der uns überhaupt zusammengebracht hat. Doch das Schicksal hatte zwei grundverschiedene Seiten. Für uns hielt er nun seine teuflischste Seite bereit. Das grausame Schicksal, das auch bei uns gnadenlos zuschlagen und uns alle auf die härteste Probe unseres Lebens stellen würde … Ein Kampf um Leben und Tod. Schon sehr bald. ******************************************Rückblick****************************************** KAPITEL 1: ENTTÄUSCHUNG »Mal wieder hast du mich verlassen …« Weg war er. Schon wieder. Wieder hatte er sie verlassen. Dieser Vollidiot von einem Ehemann. Ist mit leuchtenden Augen zu seiner neuen Herausforderung geflitzt: Zu einem großen Kampf mit Oob, der Wiedergeburt von Boo. Und er hatte es noch nicht einmal für nötig gehalten, sich persönlich von ihr zu verabschieden. Er hatte sie noch nicht einmal angesehen, ihre Rufe gar nicht beachtet. Er war sogar gegangen, obwohl sie in Ohnmacht gefallen war für einige Minuten. Es hatte ihn überhaupt nicht gekümmert. Hatte er es denn überhaupt zur Kenntnis genommen? Er hatte doch sonst so feine Sinne - aber was sie oder einfach nur ihre Gefühlswelt anbelangte, war er blind wie ein Maulwurf. Um nicht zu sagen: Gefühlsresistent. So war er schon immer gewesen: Eine total unbekümmerte Seele, die ihr oft das Gefühl gegeben hatte, dass sie ihm total egal war. War es denn überhaupt noch lediglich ein Gefühl oder nicht schon längst traurige Gewissheit, diese Gleichgültigkeit ihr gegenüber? Wie sehr sie diese Sorglosigkeit an ihm auch schätzen und lieben gelernt hatte im Laufe der Jahre … In solchen Situationen könnte sie sie verfluchen. Schließlich war sie die Eigenschaft an ihm, die dafür verantwortlich war, dass er sie immer wieder verließ. Sie wusste eigentlich tief in ihrem Herzen, dass er sie liebte. Und doch fiel es ihr schwer, diese Liebe gerade in solchen Momenten nicht in Frage zu stellen. Durch seine Fortgänge gab er ihr unweigerlich das Gefühl, sie nicht zu brauchen. Doch … war es denn nicht auch so? Wie sollte sie das durch sein Verhalten anders verstehen oder deuten? Konnte man ihr ihre Gedanken wirklich übel nehmen? Waren sie wirklich so aus der Luft gegriffen? Alles, was er zum Leben brauchte, war das Kämpfen. Das war seine einzige große Leidenschaft, sein einziger wirklicher Lebensinhalt. Daneben gab es höchstens noch das Essen. Sie brauchte er doch nur, um jemanden zu haben, der ihm schön brav den Magen füllte und seinen enormen Hunger stillte. Doch anstatt dass sie endlich die Augen aufmachte und ihn verließ … wartete sie. Sie wartete stets brav auf seine Rückkehr wie eine liebeshungrige Idiotin. Bis er einmal auf den Gedanken kam, sich wieder für eine Zeit blicken zu lassen. Allerdings auch nur, um bald wieder das Weite zu suchen. War es ihm denn so zuwider, bei ihr zu sein? Und sie ließ alles mit sich machen. Ihr war doch wirklich nicht mehr zu helfen! Sie spürte das kalte Wasser auf ihrem Gesicht, mit dem sie sich gerade auf der Damentoilette wusch. Doch die erhoffte Erfrischung brachte es ihr nicht. Gedankenverloren blickte sie hoch in den Spiegel. Nasse Stirnfransen klebten auf ihrer Stirn. Sie sah erschreckend blass aus. Zu vergleichen mit einer leblosen Hülle. Wie der Geist einer einsamen, gebrochenen Frau. Er hatte sie doch echt einfach wieder verlassen. Immer noch konnte sie es nicht fassen. Dabei war sie sich doch so sicher, dass er diesmal wirklich bei ihr bleiben würde. So verdammt sicher. Er hatte es ihr schließlich versprochen, als er nach dem endlos langen Kampf gegen Boo endlich zu ihr zurückgekehrt war. »Ich war lange weg, und ich hoffe, ich habe euch genauso gefehlt wie ihr mir. Ich lebe wieder, weil mir der alte Kaioshin seine Lebenskraft übertragen hat.« Mit verdächtig glitzernden Augen konnte Chichi ihren geliebten Ehemann nur anstarren. Hatte sie richtig gehört? Nahm er sie gerade wirklich nicht auf den Arm? Das war viel zu schön, um wahr zu sein. »Du musst nicht mehr ins Jenseits? Du kannst wirklich mit uns nach Hause gehen? Dann versprich mir gefälligst, dass du uns nie wieder verlassen wirst.« Konnten sie nun wirklich wie eine richtige Familie weiterleben? Oh bitte … Seine Antwort ließ sie Hochgefühle erleben, auf die sie schon so lange verzichten musste. Wie sehr hatte er ihr doch gefehlt … »In Ordnung. Und du versprich mir, dass du immer was zu futtern für mich parat hast, wenn mein Magen knurrt.« Das war ihr Goku. Nun konnte sie ihre Tränen wirklich nicht mehr zurückhalten. Mit einem lauten Schluchzer ließ sie ihnen freien Lauf und schmiss sich sofort an seine starke Brust. Ein herrliches Gefühl breitete sich in ihr aus, als er seine Arme zärtlich um sie legte. Endlich. Endlich durfte sie sich wieder in seinen Armen fallen lassen. All die Last der letzten Jahre schien sie mit einem Schlag zu verlassen. Zwar taten seine tröstenden Worte ihr unheimlich gut, dennoch konnten sie den Fluss ihrer salzigen Flüssigkeit nicht stoppen. »Ist ja gut. Hey, hör doch auf zu weinen. So sehr hast du doch bestimmt noch nicht mal geweint, als ich gestorben bin, oder? Keine Sorge: Ich werde nun für immer bei dir bleiben. Ich liebe dich.« Sie schlug ihre Augen auf und befand sich wieder auf der Damentoilette des Turniergebäudes. Wie konnte sie damals nur so blöd sein und seinen Worten tatsächlich Glauben schenken? Sie war doch nicht mehr die Jüngste und ging mit großen Schritten auf die 50 zu - war es wirklich zu viel verlangt, wenn sie sich wünschte, die bevorstehende nächste Lebenshälfte gemeinsam mit ihrem Ehemann zu verbringen? Wie jedes andere normale Ehepaar auch? Mal ganz abgesehen davon, dass er bestimmt viel älter als sie werden würde, da Saiyajins ohnehin eine viel höhere Lebenserwartung hatten als Menschen. Das sah man ja allein schon daran, dass er nach wie vor aussah wie Ende 20 oder höchstens Anfang 30 und sie eben ihrem Alter entsprechend: 47. Auch wenn sie nach wie vor Komplimente für ihr Aussehen bekam: Mit einer Jugendlichen konnte sie natürlich nicht mithalten. Sprich: Neben ihm fühlte sie sich mittlerweile wie eine alte Oma. Wer wusste, ob sie diesmal überhaupt so lange auf ihn warten konnte? Wenn ihm vielleicht erst in dreißig Jahren mal wieder einfiel, dass er ja noch Familie und Kinder hatte, die ihn auch mal gerne wieder zu Gesicht bekommen wollen? Wenn sie zuvor schon das Zeitliche segnen würde und er sie dann nur noch an ihrem Grab besuchen konnte? Man konnte es doch nie wissen: Jeder Abschied könnte für immer sein. Eine Garantie, sich wiederzusehen, gab es doch nie ... Chichi ballte ihre Hände wütend zu Fäuste, während die vertrauten Tränen sich weiter den Weg über ihre Wangen bahnten. Eine unbändige Wut ergriff sie plötzlich neben dem großen Loch, welches er mal wieder mit seinem Weggang in ihrem Herzen hinterlassen hatte. Noch nie in ihrem Leben war sie so wütend und enttäuscht gewesen wie jetzt, obwohl es nicht das erste Mal war, dass er sie verlassen hatte. So sehr, dass sie das Gefühl bekam, dass diese schrecklichen Empfindungen ihr die Kehle zuschnürten, ihr die Luft zum Atmen nahmen und sie ohne Erbarmen zu ersticken drohten. »Chichi?« Erschrocken schlug sie die Augen auf und erblickte im Spiegel ihre langjährige Freundin Bulma, die direkt hinter ihr stand und sie mitfühlend ansah. »Du … bist schon seit Ewigkeiten in der Toilette, da haben wir uns Sorgen um dich gemacht«, begann sie etwas zögernd und näherte sich ihr langsamen Schrittes, als würde sie sich einem scheuen Reh nähern und Angst haben, dass es jederzeit die Flucht ergreifen könnte. Obwohl die Schwarzhaarige wusste, dass es eigentlich zu spät war und die Ältere sie längst beim Trauern erwischt hatte, gab sie sich alle Mühe, um ihre starke Fassade aufrechtzuerhalten. Schnell formte sie mit ihren beiden Händen eine Schale, hielt sie unter dem Hahn, aus dem immer noch kaltes Wasser floss, und spritzte es sich wieder ins Gesicht, um ihr tränenbenetztes Antlitz wegzuspülen. »Das ist lieb von euch, aber ihr müsst euch keine Sorgen machen. Mir geht es gut. Ich bin schließlich nichts Anderes von meinem Göttergatten gewohnt, als ständig von ihm verlassen zu werden. Was ist denn schon dabei?« Chichi gelang es jedoch nicht, die Verbitterung in ihrem Tonfall zu verbergen. Dafür schwang zu viel übertriebene Theatralik in ihrer bebenden Stimme mit. Bulma, die inzwischen bei ihrer Freundin angekommen war, legte tröstend die Hände auf ihre Schultern und sah durch den Spiegel tief in die schwarzen Augen ihrer Freundin. »Son-Goku ist ein richtiger Volltrottel. Ich kann es einfach nicht fassen, wie er dich immer und immer wieder so eiskalt sitzen lassen kann. Zwar ist er ein toller Kerl und der Retter der Menschheit, aber als Ehemann versagt er jedes Mal auf ganzer Linie. Ich bewundere dich für deine Stärke. Ich hätte ihm schon längst den Laufpass gegeben. Und da wir schon dabei wären: Auch das finde ich einfach unmöglich von ihm, dass er dich überhaupt nicht zu schätzen weiß. Du bist die einzige Frau die ich kenne, die es ihn immer wieder durchgehen lässt – und das schon seit Ewigkeiten. Wie schaffst du das nur? Hast du nie auch nur einmal daran gedacht, ihn zu vergessen und dein Glück zu leben? Ohne ihn? Das macht er doch schließlich auch ständig! Er denkt immer nur an sich, dieser Egoist! Einfach unmöglich!« Die Kindheitsfreundin schimpfte sich in Rage, was sehr typisch für sie war. Doch ob der Verlassenen damit wirklich geholfen war? Chichi ließ deren Worte auf sich wirken. Auch wenn es ihr nicht gefiel, was sie da hörte, traf Bulma den Nagel auf den Kopf. Sie hatte mit allem Recht. Obwohl sie es nicht wahrhaben, es nicht einsehen wollte: Es war leider so. Allein sich diese Tatsache einzugestehen tat verdammt weh. Und dennoch … »Ich habe schon gewusst, auf was ich mich da einlasse, bevor wir überhaupt geheiratet haben. Ich wusste schon immer, dass er ein schwieriger Typ ist, der einem jederzeit entgleiten kann. Ich war aber stets zuversichtlich, dass ich es schaffen könnte, ihn für immer an mich zu binden. Mit dieser Zuversicht habe ich ihn schließlich auch geheiratet. Es ist in Ordnung, dass er wieder fort ist, ich meine … Ich kenne es ja nicht anders. In unserer Ehe war er mehr weg als da. Ich bin seine Abwesenheit mittlerweile gewohnt und komme ganz gut damit zurecht. Er hat mich ja nicht endgültig verlassen. Solange er eines Tages wieder zu mir zurückkehrt … kann ich diesen vorübergehenden Verlust ertragen. Bisher ist er immer zurückgekommen, und ich bin mir ganz sicher, dass er es auch diesmal tun wird. Er ist einfach ein Mann, der auf Dauer nicht glücklich sein kann in diesem Alltagstrott. Er braucht die Abwechslung, ein Ziel, eine Herausforderung vor Augen, nach der er streben kann. Ich als seine Ehefrau muss das akzeptieren. Inzwischen sind wir ein richtig eingespieltes Team geworden. Man könnte glatt meinen, dass wir eine neue Definition eines perfekten Paares darstellen. Diese Verbindung zwischen uns kann niemand verstehen. Und was das Vergessen betrifft: Ich … kann ihn nicht vergessen. Er ist nach wie vor mein Ehemann, der Vater meiner beiden wunderbaren Söhne und ich liebe diesen Vollidioten für alles, was er ist. Die Liebe wächst mit der Entfernung. Eigentlich tut dieser Abstand auch mal ganz gut. Ich würde wohl früher oder später total verblöden und ihn eigenhändig umbringen, wenn ich ihn so viele Jahre am Stück an der Backe hätte.« Chichi versuchte, die Situation ein wenig ins Lächerliche zu ziehen und gab sich jede erdenkliche Mühe, das auch überzeugend rüberzubringen. Und das, obwohl ihr wirklich nicht danach war. Doch mit derartigen Situationen war sie ja schon mehr als nur vertraut. Misstrauisch hob Bulma ihre Augenbraue. Sie kaufte ihr anscheinend kein Wort ab von dem Schwachsinn, den sie gerade von sich gab. Ihr konnte man so leicht keinen Bären aufbinden. Denn eines musste man Bulma aber auch lassen: Wenn sie eines garantiert nicht war, dann dumm. Seufzend ergab sich die Schwarzhaarige scheinbar doch. »Ich habe in der Vergangenheit schon über zehn Jahre auf ihn gewartet. Es macht mir nichts aus, weitere zehn Jahre oder noch länger zu warten.« Sie sprach diese Sätze mit so einer überzeugenden Bestimmtheit, dass sie selbst über ihre schauspielerische Leistung erschrak. Die Wahrheit war: Sie machte allen etwas vor. In erster Linie sich selbst. Und ob es ihr etwas ausmachte. Egal wie oft er ihr den Rücken kehrte: Es tat jedes Mal noch mehr weh, wurde immer schlimmer. Jedes Mal riss er ihr damit ein Stück ihres Herzens weg, welches sie mit der Zeit zwar wieder mühsam zusammenflickte und es mit seiner Rückkehr beinahe sogar heilte, doch die Narben platzten nach jedem Weggang immer schlimmer und schmerzhafter auf. Es war ein Schmerz, an den man sich nie wirklich gewöhnen konnte. Und dass er sie an diesem Tag wieder verlassen hatte, war einmal zu viel. Sie war an der Grenze ihrer Toleranz angelangt. Sie hatte ihr persönliches Limit erreicht. Sie wusste: Von diesem Schmerz würde sie sich nie wieder erholen können. Das redete sie sich nicht bloß ein: So würde es kommen. Definitiv. So sicher wie das Amen in der Kirche. Doch keiner außer sie durfte davon erfahren. Es reichte schon, wenn sie am Ende war – sie durfte nicht auch noch ihre Mitmenschen mit in ihre Misere hineinziehen. Sie durfte nicht zulassen, dass sich die anderen um sie sorgten. Das Letzte, was sie wollte, war Mitleid. Es brachte weder ihr noch ihrer Familie und ihren Freunden etwas. Zumindest nach außen hin musste sie stark sein. Wie immer. »Du hast meinen allergrößten Respekt, Chichi. Aber bitte hüte dich davor, dich selbst zu vergessen. Gib einfach dein Bestes und versuche, nicht mehr an ihn zu denken. Lebe und genieße das Leben. Es ist zu kurz und wertvoll, um ihn mit Dingen zu verschwenden, die dir nicht gut tun.« Gedankenverloren hob sie ihren Kopf und warf ihn nach hinten in Richtung ihres Nackens, während sie mit festem Blick einen folgenschweren Entschluss fasste. Ganz still und heimlich in ihren Gedanken. »Son-Goku … Du brauchst nicht mehr zurückzukehren. Bleib, wo du bist und lass mich endlich mein Glück leben.« Ausgerüstet mit einem reichlich befüllten Obstkorb war Son-Gohan auf dem Weg zu seiner Mutter. Nach dem Feierabend wollte er noch kurz bei ihr vorbeischauen, um zu sehen, wie es ihr ging. Zwar wohnte Son-Goten immer noch zu Hause, doch trotzdem wollte er sich jeden Tag selbst ein Bild machen über ihren Gemütszustand. Es war ja nicht so, als würde er sie nicht auch sehen wollen. Er liebte seine Mutter abgöttisch – daran hatten auch die vergangenen Jahrzehnte nichts ändern können. Seit sein Vater sie alle Hals über Kopf verlassen hatte, war seine Mutter nicht mehr wiederzuerkennen. Zwar bemühte sie sich, sich nichts anmerken zu lassen, aber ihm konnte sie nichts vormachen. Dafür kannte er seine Mutter einfach viel zu gut. Dass sie ihnen allen nur etwas vormachte, merkte er alleine schon daran, dass sie in scheinbar unbeobachteten Momenten nur deprimiert Löcher in die Luft starrte. Ein Anblick, der ihm immer wieder eine unbehagliche Gänsehaut bescherte. Eine Gänsehaut, die ihm bis jetzt noch tonnenschwer und spürbar in den Knochen lag, wann immer er auch daran dachte. Zwar war sie früher natürlich auch traurig gewesen, als er damals für sieben Jahre tot gewesen war. Doch diese Trauer hatte längst nicht solche Ausmaße angenommen, wie es diesmal der Fall war. Da hatte sein Vater sie in der Tat einmal zu viel verlassen. Auch wenn er ihn immer noch schätzte und zu ihm aufsah: Er konnte seine unbändige Wut auf ihn nicht in Worte fassen, dass er sie alle so im Stich gelassen hatte. Von seinem versprochenen Besuch war ja bisher auch nicht die geringste Spur gewesen – ein ganzes Jahr war für seinen alten Herrn ja keine besonders lange Zeit. In der Hinsicht hatte er schon immer ein ziemlich utopisches Zeitgefühl gehabt. Dabei wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, durch seine »Momentane Teleportation« nach wie vor am Leben seiner Familie teilzuhaben. Doch dafür musste er es natürlich auch wirklich wollen. Das war mal wieder ein untrügliches Indiz dafür, dass er sich einen Dreck darum scherte, wie es ihnen ging. Hauptsache, er konnte seinen Kopf durchsetzen – von Rücksicht oder Taktgefühl war nicht die geringste Spur. Mal ganz abgesehen davon, dass er selbst seinen Vater vermisste, fragte auch Pan nahezu jeden Tag, wann sie ihren über alles geliebten Großvater endlich mal wieder zu Gesicht bekommen würde. Sie hing doch so sehr an ihm. Für einen Vater war es der reinste Horror, die Tochter weinen zu sehen und nichts dagegen unternehmen zu können. Es verletzte ihn, dass sein Vater sich anscheinend gar keine Gedanken um sie machte. Hatte er erst einmal ein Ziel vor Augen, ging ihm alles Andere am Allerwertesten vorbei. Da war er wie ein kleines Kind. Damals und heute. Oft hatte er mit dem Gedanken gespielt, seinen Vater ausfindig zu machen und ihm zu sagen, dass er gefälligst nach Hause kommen sollte. Doch seine Mutter hatte ihn immer zuvor bereits durchschaut und ihn inständig darum gebeten, sich nicht auf die Suche nach ihm zu begeben. Er sollte aus freien Stücken kommen, sonst würde er nur aus Pflichtbewusstsein zu ihr zurückkehren – und das wollte sie auf gar keinen Fall. Er durfte sich nicht verpflichtet und unter Druck gesetzt fühlen. Dieser Weg versprach nämlich kein Glück. Immer noch dachte sie immer nur an sein Wohl, auch wenn sie dafür immer zurückstecken musste. Auch wenn es für sie schier unerträglich war. Sein Glück bedeutete auch ihr Glück, argumentierte sie jedes Mal am Ende eines derartigen Gesprächs. Es wäre für sie noch schlimmer, ihren Mann zum Bleiben zu zwingen und ihn gegen seinen Willen einzusperren. Ihn unglücklich zu machen wäre für sie das Allerschlimmste überhaupt. Da zog sie lieber die Variante vor, die ihm gut tat. Auch wenn das bedeutete, dass sie dafür auf ihn verzichten musste. Dass sie auf ihn warten durfte, bis sie schwarz wurde. Immer kümmerte sie sich an erster Stelle um das Wohlergehen ihrer Lieben, doch eine Person vergaß sie dabei jedes Mal zwangsläufig: Sich selbst. Sein Vater war dafür das komplette Gegenteil, machte ihre Selbstaufopferung und Selbstlosigkeit wett durch seinen grenzenlosen Egoismus. Und doch hatte Son-Gohan sich entschieden, den Wunsch seiner Mutter zu respektieren. Es hatte überhaupt nichts mit Stolz zu tun, dass er nicht sofort zu seinem Vater flog und ihn anbettelte, doch zu seiner Mutter zurückzukehren und endlich seiner eigentlichen Aufgabe als Ehemann nachzugehen: Nämlich für sie zu sorgen und sie glücklich zu machen. Und zwar nicht nur für ein paar Jährchen, sondern für immer. Schließlich hatte er es ihr versprochen, als sie sich das Ja-Wort gegeben hatten. Nein. Für das Glück seiner Mutter und seiner Tochter war er bereit, jeglichen Stolz über Bord zu werfen. Er beugte sich hier einzig und allein dem Wunsch seiner Mutter. Er wusste, dass sie ihm das niemals verzeihen würde. Jedes Mal, wenn er diesbezüglich seine Gedanken aussprach, hatte sie immer mit einem zuversichtlichen Lächeln folgenden weisen Spruch parat gehabt, den er sich immer wieder in Erinnerung rief, weil er seine eigene, tief verankerte Hoffnung aufkeimen ließ … »Er wird zurückkehren. Glaub mir, mein Sohn: Ich kenne euren Vater besser als jeden anderen. Eines Tages wird es ihn wieder zu uns ziehen.« »Eines Tages« also. Sie hatte den genauen Zeitpunkt nicht zufällig offen gelassen – da war er sich sicher. Denn die Wahrheit war doch: Kein Mensch konnte erahnen, wann seinem werten Herrn Vater danach zu Mute sein könnte, sich mal wieder zu melden. Es könnte sich dabei leicht um Jahrzehnte handeln, so wie er ihn kannte. Aber er beließ es dabei und trug weiter die kleine Hoffnung in sich, dass sein Vater von sich aus wieder zu ihnen zurückkehren würde. Eines Tages. Hoffentlich nicht erst in zwanzig Jahren. Als er das Haus betrat, bekam er eine heiße Diskussion zwischen seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder mit. »Jetzt leg dich endlich hin und lass mich das machen, Mama!« »Es ist schon in Ordnung, Son-Goten. Mir geht es gut; außerdem hinterlässt du in der Küche wieder so ein Chaos, dass du mir damit nur doppelte Arbeit bereitest!« »Ich gebe mir diesmal wirklich Mühe, versprochen! Also beweg endlich deine zwei Buchstaben von der Küche weg und leg dich hin!« »Son-Goten!« »Was ist denn hier los?«, fragte Son-Gohan, als er seinen Kopf in die Küche reinsteckte und sah, wie die beiden jeweils die andere Seite eines Tellers hielten und anscheinend darum rangen, während sie sich gegenseitig anherrschten. Es grenzte an ein Wunder, dass sie überhaupt noch die Kraft besaß, um gegen Son-Goten anzukämpfen. Sie hatte in den letzten Monaten stark abgenommen und sah noch mehr aus wie eine zerbrechliche Frau. Allein der Anblick schmerzte jedes Mal auf‘s Neueste. Vor allem, wenn man ihr früheres Ich kannte. Son-Goten, der erleichtert zu sein schien, seinen großen Bruder zu sehen, legte gleich energisch los. »Gott sei Dank bist du da, Son-Gohan! Vielleicht schaffst du es ja, Mama endlich zur Vernunft zu bringen. Ihr geht es seit heute Morgen nicht gut. Sie hat Husten und Fieber und will sich einfach nicht ausruhen und mich die Arbeit machen lassen!« Der Besucher sah zwischen den beiden Streithähnen hin und her. Seufzend versuchte er sich als Schlichter. »Son-Goten hat Recht, Mama. Lass uns abspülen und leg du dich hin.« Dabei ging er auf die beiden zu und legte seine Hand auf die Stirn der Frau. Erschrocken blickte er ihr ins Gesicht, als er merkte, wie glühend heiß sie bereits war. Ihre Backen waren schon ganz gerötet – dass sie in diesem Zustand tatsächlich noch die häusliche Arbeit verrichten wollte, konnte er absolut nicht nachvollziehen. Okay, so war sie eigentlich schon immer, dass sie sich nie Pausen gönnte, doch damit war nun ein für alle Mal Schluss. Vor allem in ihrer jetzigen Verfassung konnte er das nicht mehr länger zulassen. »Bitte hör einmal auf uns und ruh dich aus, Mama«, redete Son-Gohan sanft, aber bestimmend auf sie ein. Chichi sah ihn nur verwundert an. Doch bevor sie etwas dagegen einwenden konnte, wurde ihr mit einem Schlag schwarz vor Augen. Ihre Beine gaben nach und sie verlor den Halt auf dieser Welt. Das Letzte, was sie noch wahrnahm, war ein entsetztes Rufen ihrer beiden Söhne. »Mama!« Im nächsten Moment wurde alles um sie herum in tiefste Finsternis getaucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)