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Bloody Eternity

von

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Zwischen den Stühlen

Nach den aufregenden letzten Wochen kehrte langsam wieder Normalität ins Hause McCollins ein; viel zu früh wurde Jane von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen, sie duschte sich, dann frühstückte sie mit ihrer Mutter. Vielleicht gingen die beiden Frauen ein bisschen liebevoller miteinander um als sonst, nachdem sie einander beinahe verloren hätten, doch ansonsten war alles wie gehabt.

Nun, abgesehen von ihrem jetzt temporären Mitbewohner.

Den hatte Jane allerdings an diesem Morgen noch nicht gesehen, wie ihr auffiel, als sie die Schlagzeilen der Zeitung überflog. Normalerweise stand Aiden kurz nach ihr auf (Sie vermutete, dass er ihre Zimmertür hörte und ihr folgte) und trottete dann zu ihr an den Küchentisch. Heute hatte sie noch kein Lebenszeichen von ihrem Untoten gehört, worüber sie sich aber keine allzu großen Gedanken machte. Er war schon groß, konnte auf sich aufpassen und hatte zur Not einen Haustürschlüssel. Dass er plötzlich anfing, Amok zu laufen und auf ihrer Jagdliste auftauchte, erwartete Jane eigentlich nicht.

Wenig später wurde ihre Vermutung, alles sei in Ordnung, schon bestätigt, denn die Haustür öffnete und schloss sich leise. Na also, der Vampir war einfach nur jagen gewesen. Kein Wunder, dass er Durst gehabt hatte, denn soweit sie wusste, hatte er direkt nach ihrem Kampf gegen die Stalkerin noch nichts getrunken. Ohne weiter darauf zu achten, dass Aiden sich zu ihr gesellte, griff Jane nach ihrer Kaffeetasse und trank einen Schluck.

Erst, als sie seine Stimme: „Morgen“, krächzen hörte, blickte sie auf. Konnten Vampire Erkältungen oder sonstige Krankheiten bekommen? Zumindest der Anblick, den Aiden gerade bot, hätte darauf schließen lassen; seine sowieso blasse Haut wirkte leicht grünlich, er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sein sonst so widerspenstig gelocktes Haar hing glatt und verschwitzt an seinem Gesicht.

Ohne groß zu überlegen, legte Jane die Zeitung nieder, streckte ihre Hand nach ihm aus und strich ihm kurz, aber relativ zärtlich die Haare aus dem Gesicht, um sich zu vergewissern, ob sich unter seinen Augen diese berüchtigten dunkle Säcke gebildet hatten.

"Du siehst schrecklich aus", sprach die junge Frau trocken und mit einem Hauch von Sorge als sie den Kopf ein schieflegte und sie sich ein wenig zu ihm neigte. Ihre Augen verrieten sie; in ihnen lag für einen flüchtigen Moment eine Spur von Besorgnis.

"Charmant wie immer", lachte Aiden, ohne auf die implizierte Frage, was denn los sei, zu antworten.

"Hast du getrunken?", ignorierte die Vampirjägerin seine Rüge über ihre schlechten Manieren. Sie ging einfach davon aus, dass Durst der Grund für sein miserables Aussehen war. Es hätte sie allerdings verwundert, wenn er nicht gejagt hätte, da sie davon ausging, dass er deswegen so lange unterwegs gewesen war. Entgegen ihrer Erwartungen verneinte Aiden jedoch und behauptete, nicht durstig zu sein, wogegen sein Aussehen aber ganz eindeutig sprach. Sie hatte ihn noch nicht oft trinken gesehen, doch es war bei beiden Gelegenheiten überdeutlich gewesen, wie gut ihm die (flüssige) Nahrung tat; seine Haut war direkt nach dem Trinken weniger blass, seine Haltung entspannter und er alles in allem konzentrierter. Hätte sie nicht gewusst, dass der Blutkonsum seine übermenschlichen Kräfte noch stärkte, hätte sie gesagt, er sei ´menschlicher` nachdem er getrunken hatte, so aber würde sie es als ´kontrollierter` bezeichnen.

"Wir haben noch genug Zeit, falls du noch etwas zu dir nehmen willst. Oder hast du schon beide Konserven geleert?", erkundigte Jane sich, während sie das dreckige Geschirr in die Spülmaschine legte. Dabei hielt sie kurz inne, als ihr auffiel, wie normal es sich inzwischen anfühlte, über die Ernährung ihres Hausgastes zu sprechen. Als sprächen sie über den Lebensmitteleinkauf, nicht über Blut von Menschen.

Kurz sah Aiden sie an wie ein Ufo, dann rieb er sich den Nasenrücken und stand auf. "Nein, es ist noch eine da. Danke."

Er verschwand und Jane beendete ihre Aufräumarbeiten, wobei sie sich ihre Gedanken über sein Verhalten machte. Klar, Aiden war ein seltsamer Kautz, aber heute Morgen war er irgendwie besonders merkwürdig. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr am Vorabend gesagt hatte, dass er etwas hatte holen müssen und darum so plötzlich verschwunden war. Vielleicht war dabei etwas passiert? Allerdings ging es sie nichts an, wenn er private Probleme hatte, über die er nicht sprechen wollte, sodass Jane ihren Gast nur einen kurzen Blick zuwarf, als dieser zurückkehrte. Dabei fiel ihr auf, dass der gehetzte Zug um seine Augen nicht wie erwartet verschwunden war, weshalb sie sich doch nachzufragen gezwungen fühlte.

"Hast du alles erledigt?“, formulierte sie eine recht offene Frage, um nicht zu zudringlich zu erscheinen.

Erneut sah der 500 Jahre alte Vampir sie verwirrt an, bevor er den Sinn ihrer Worte erfasste und leise antwortete: "Ja… ich schätze schon."

'Ja, ich schätze schon'? Was sollte das denn nun heißen? Wieso schätzte er es? Er musste doch eigentlich wissen, ob er die Aufgabe erledigt hatte oder nicht. Sie schüttelte dann aber nur leise seufzend den Kopf, da sie davon ausging, dass er nicht darüber reden wollte. Wahrscheinlich war das so ein Vampir-Ding, über das er nicht sprechen oder das er nicht preisgeben wollte. Wer wusste das schon? Eigentlich war sie sogar recht erleichtert, das Thema hinter sich lassen zu können, als Aiden den Gesprächsgegenstand wechselte.

"Müssen wir heute gar nicht zur Uni?"

„Doch. Die Vorlesungen beginnen am Freitag immer erst um zwei", erklärte Jane ihre 'Noch-Anwesenheit' Zuhause. "Wenn du dich wirklich weiterhin als Student und mein Kommilitone ausgeben willst, dann solltest du vielleicht mal damit beginnen, deinen Stundenplan auswendig zu lernen."

„Ich bin dein Kommilitone, dafür muss ich mich nicht ausgeben...", murmelte er gedankenverloren, den Blick auf den Tisch gerichtet. Dann zuckte sein Mundwinkel wieder leicht und er lächelte sie schwach an. "Außerdem hab ich doch dich, die meinen Stundenplan kennt, oder?"

"Ja, ja... du bist mein Kommilitone - wenn auch, ein wahrlich schlechter", entgegnete die Brünette daraufhin nur und strich sich die Haare hinters Ohr. „Ich sollte dir doch dein Handy zeigen. Gib mal her, dann speichere ich dir gleich unseren Stundenplan ein.“

Dann verbrachte sie die nächste halbe Stunde damit, einem merklich verwirrten Vampir sein Smartphone zu erklären. Sie war sich nicht sicher, ob er am Schluss alles verstanden hatte, beschloss aber um kurz vor zwölf, vorerst aufzugeben.

"Ich werde jetzt noch Logan besuchen. Du schaffst es heute alleine in die Universität, nehme ich an?", klärte sie ihn über ihre Pläne auf, wobei sie natürlich davon ausging, dass er ihr wohl kaum zu ihrem guten Freund folgen wollte; die beiden Männer schienen nicht das beste Verhältnis zu haben, erinnerte man sich an die Bezeichnung ´Waschlappen`, die Janes Mitbewohner zuletzt für Logan gefunden hatte. Wobei der Vampirjägerin wirklich schleierhaft war, was Aiden gegen ihren Kommilitonen hatte. Logan war liebevoll, hilfsbereit, lustig…

"Ach, er ist krank, oder? Sag ihm gute Besserung von mir… Und entschuldige mich bitte, ich werde mich noch ein wenig hinlegen. Wir sehen uns dann später.“

Damit ließ Aiden eine ziemlich baffe Jane zurück. Sie sollte Logan gute Besserung von ihm wünschen? Hatte sie sich gerade verhört? Er war doch bis vorgestern nicht unbedingt allzu gut auf ihn zu sprechen gewesen und nun so etwas? Irgendetwas stank hier gewaltig und wenn das so weiterging, würde die Vampirjägerin wohl oder übel gewisse Nachforschungen anstellen oder ihren Mitbewohner löchern müssen. Da Jane aber nicht wusste, wohin diese 'Verstimmung' seinerseits führen und wie weit sie gehen würde, würde sie vorerst noch die Füße stillhalten. Womöglich machte sie sich einfach zu viele Gedanken und es war nur die ungünstige Kombination von Schlafmangel und aufkommendem Durst.

Leise seufzend und kopfschüttelnd sah sie Aiden hinterher. Solle einer schlau werden aus den Blutsaugern.

Nachdem Jane ihre Sachen gepackt hatte, fuhr sie zu Logan, der die Grippe hatte. Wie geplant gab sie ihm die Kopien und seine eigenen Notizen zurück, die der Patient nach einem kurzen Dank jedoch recht schnell beiseitelegte, um mit seinem Gast zu reden. Irgendwie war sie heute nur von kränkelnden Männern umgeben, fiel der Brünetten auf, die beim Anblick von Logans erschöpftem Gesicht unwillkürlich an ihren temporären Mitbewohner denken musste.

„Was hast du eigentlich an deinem Knöchel gemacht?“, erkundigte Janes Kommilitone sich, dem natürlich die Schiene und ihr etwas steifer Gang aufgefallen war.

Er war wirklich viel zu aufmerksam, gerade in solchen Situationen. „Ich… war mit Aiden im Wald und bin ungünstig aufgetreten. Nichts Wildes“, erklärte sie nach nur einem kleinen Zögern. Die erste Regel beim Lügen war, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, und das war praktisch die wahre Geschichte, ließ man den verrückten Blutsauger außen vor.

Auch hatte Logan keinen Grund, ihr zu misstrauen, sodass er nur mitfühlend das Gesicht verzog. „Ah, das ist dumm gelaufen… Du hättest auch nicht extra kommen brauchen.“

„Ach was, das ist doch nichts. Ich bin ja mit dem Auto hier“, wehrte sie rasch ab.

„Trotzdem, ich weiß das zu schätzen. Danke.“

Ihr Freund lächelte sie warm an, was die Brünette natürlich erwiderte. Kurz sahen die jungen Leute sich nur an, dann wurde der Moment unterbrochen, indem Logan hustete und Jane aufstand, um ihm eine neue Kanne Tee zu kochen. Als es schließlich Zeit für die Vampirjägerin wurde, ihren Krankenbesuch zu unterbrechen, begleitete ihr Kommilitone sie noch zur Tür.

„Bis Ende des Monats musst du aber wieder auf den Beinen sein“, bemerkte Jane vor dem Abschied. „Kate wäre enttäuscht, wenn wir nicht alle zusammen zum Halloween-Ball gehen würden:“

„Ach ja, der Ball… Den hatte ich schon fast vergessen.“ Logan wandte sich ab, um zu husten, dann lächelte er entschuldigend. „Das sind noch zwei Wochen. Bis dahin bin ich sicher wieder auf dem Damm. Also… Gehst du auf jeden Fall hin?“

„Ja, natürlich. Das hat doch schon Tradition. Obwohl wir dieses Jahr zu spät dran sind für ein Gruppenkostüm“

„An unseren Auftritt als Ninja Turtles von letztem Jahr kämen wir sowieso nicht mehr ran“, grinste der junge Mann, worüber sie nur lachte.

„Stimmt wohl… Gute Besserung, Logan“, wünschte sie noch, dann machte Jane sich auf den Weg zur Uni.

Nach seiner schlechten Verfassung vom Morgen hatte die Vampirjägerin schon erwartet, ihren Mitbewohner nicht an der Universität anzutreffen, doch Aiden wartete wie immer vor dem Lehrsaal auf sie. Inzwischen hatte er wohl zumindest herausgefunden, wohin er musste, wenn schon nicht, wann welcher Kurs stattfand. Nach wie vor war Aiden nicht besonders gesprächig, was Jane nutzte, um vor dem Vorlesungsbeginn noch ein wenig ihre Unterlagen durchzugehen. So zog sich der Tag recht schweigsam und unspektakulär hin. Wie immer hörte sie, mehr oder weniger interessiert, den Professoren zu und notierte sich die wichtigsten Dinge. Nach den Lektionen schnappte sich Jane ihre Sachen und begab sich zu ihrem Wagen, um nach Hause zu fahren. Auf der Fahrt dachte sie über einiges nach und ihr Blick fiel dabei kurzzeitig auf den Ring des Zirkels, sodass sie unwillkürlich an Eldrics wiederholte Frage bezüglich eines Paktes mit Aiden dachte. Bevor allerdings irgendwelche komischen Gedanken in ihr aufkeimen konnten, schüttelte sie den Kopf, um diesen wieder frei zu kriegen.

"Gehst du eigentlich auf den Halloween-Ball?", wollte sie von Aiden wissen, weil sie sich ablenken wollte. Außerdem konnte sich die Brünette so dafür wappnen, wenn er sich für das Halloween-Fest an der Universität entscheiden würde.

Mit einem zerstreuten: "Hm?", wandte er sich vom Fenster, aus dem er geblickt hatte, zu Jane. "Halloween? Ich weiß nicht... Möchtest du hingehen?"

"Ich habe es geplant. Unsere Clique geht eigentlich jedes Jahr hin, wenn man nicht gerade verhindert ist oder so."

Während sie sprach, musste sie an die vergangenen zwei Halloween-Bälle denken, sodass sich ein kleines Schmunzeln auf ihre Lippen schlich. Es war immer wieder lustig gewesen, vor allem, als sie sich dazu entschieden hatten, sich als Power Rangers auszugeben. Es war zwar verdammt heiß unter den Helmen gewesen, doch den Spaß beim Posieren war unvergesslich gewesen. Da sie dieses Jahr aber kein Motto untereinander ausgemacht hatten, würden die einzelnen Kostüme ein Überraschung werden.

Eine weitere Überraschung würde Aidens Teilnahme an dem Fest sein, denn er murmelte nur: „Mal sehen…“, und schwieg während der restlichen Fahrt. Langsam nervte Jane sein Brüten ziemlich, vielleicht, weil sie es gewohnt war, dass er jeden noch so unwichtigen Gedanken laut herausplapperte. Auch hielt sie nicht viel von Wehleidigkeit. Was immer sein Problem war, es würde nicht verschwinden, nur, weil Aiden darauf herumkaute wie auf einem zähen Stück Fleisch.

Jedenfalls sprach sie sein merkwürdiges Verhalten nicht an, und da sie den Rest des Tages mit Revision und Hausarbeiten verbrachte, bekam sie ihren Haus-Vampir nicht mehr zu sehen.
 

Präsenter wurde Aiden in den nächsten Tagen nicht mehr. Sie hatte den Vampir als Querkopf kennengelernt, der ihr am liebsten auf Schritt und Tritt folgte, doch in seiner Zeit im McCollins-Haus bekam keine der Damen ihren Gast sonderlich oft zu Gesicht. Elizabeth machte sich natürlich Sorgen, ihre Tochter dagegen winkte nur ab. Er war schon groß und konnte den Mund aufmachen, wenn ihn etwas störte. Außerdem ging sie davon aus, dass er sich einfach noch nicht eingelebt hatte und sich deshalb so seltsam verhielt. Wenn sie sich daran erinnerte, dass er sich anfangs nicht mal ungebeten gesetzt oder seine Koffer hereingebracht hatte, machte das durchaus Sinn.

„Trotzdem“, beharrte die Ärztin. „Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Du solltest mit ihm reden.“

Ich? Wieso ich, wenn du dir Sorgen um ihn machst?“

Elizabeth runzelte die Stirn. „Du kennst ihn doch viel besser als ich. Außerdem bedeutet es ihm sicher viel, wenn du deine Anteilnahme zeigst.“

Gerade das befürchtete Jane ja; dass ihr Stalker sich irgendetwas darauf einbildete. Ihrer Mutter etwas abschlagen konnte sie allerdings auch nicht, sodass sie auf den richtigen Moment wartete, um das Thema anzusprechen. Insgeheim hatte sie gehofft, er würde nie kommen, aber schon zwei Tage später bot sich Jane die Gelegenheit, ungestört mit ihrem Hausgast zu sprechen – und das ausgerechnet in der Waschküche.

Sie traf den Vampir, der wohl gerade gebügelt hatte, als sie einen Wäschekorb in den Keller brachte. Er schien sich unwohl zu fühlen, und auch Jane hätte auf diese Begegnung verzichten können. Jetzt waren sie aber schon da, also konnten sie es genauso gut hinter sich bringen. Sie kniete sich vor die Waschmaschine und stopfte ihre Kleidung hinein.

„Wir müssen mal miteinander reden“, fing Jane direkt an, da sie nichts von Herumgedruchse hielt. „Meine Mutter macht sich Sorgen und hat gesagt, ich solle dich fragen, ob irgendetwas dir nicht gefällt. Sie will, dass du dich wohlfühlst.“ Betont umsichtig füllte sie das Waschmittel in die Maschine, um Aiden nicht ansehen zu müssen. Er las ihr Unterbewusstsein oftmals besser, als Jane lieb sein konnte.

„Ihr braucht euch keine Gedanken machen. Es ist sowieso so großzügig, dass…“

„Darum geht es nicht.“ Jane wandte sich jetzt doch zu dem Vampir um, der mit seinem Wäschehaufen bereits auf halbem Weg zur Tür zu sein schien. Wollte er… Etwa vor ihr flüchten? „Du wohnst jetzt hier, und sollst sagen, wenn dich etwas stört. Egal, für wie großzügig du deinen Aufenthalt hier hältst. Wenn du mich… Uns stören würdest, hätten wir dich gar nicht eingeladen, mach dir das endlich bewusst.“

„Ihr schuldet mir nichts.“

„Meine Mutter will trotzdem, dass du bleibst. Vielleicht fühlt sie sich so sicherer, ich weiß es nicht. Wir können sowieso nichts daran ändern. Jedenfalls solltest du es einfach hinnehmen und nicht ständig hinterfragen.“

„Ja… Wir können nichts daran ändern…“, murmelte er, die Gedanken scheinbar weit weg.

Jane runzelte verständnislos die Stirn. „Was?“

Aiden blinzelte, sah sie wieder an und zeigte das stoische Lächeln, das fast immer auf seinen Lippen lag und sie inzwischen als Lüge erkannte. „Nichts. Ich… Danke. Wirklich. Ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, also… Danke.“

Die junge Frau schnaubte nur und wandte sich wieder ihrer Wäsche zu. Mit einem leisen Lachen verließ ihr Mitbewohner den Keller, sodass sie alleine mit der dreckigen Kleidung zurückblieb. Erleichtert wandte Jane sich der frischen Wäsche zu, die gebügelt werden musste, bloß war diese praktisch nicht mehr vorhanden. Auf dem Bügelbrett lagen fein säuberlich zwei Kleiderhaufen, je einer für sie und ihre Mutter. Aiden hatte offensichtlich trotz der Wäsche gerochen, welches Kleidungsstück welcher Frau gehörte, was Jane ein wenig beunruhigte. Als sie sich dem Stapel näherte, sah sie jedoch, dass der Wäscheständer keineswegs leer war; ihre Unterwäsche hing noch daran. Der altmodische Vampir hatte es wohl nicht gewagt, sie zu berühren.

Jane fuhr sich leicht unbehaglich durch die Haare. Sie würde sich noch daran gewöhnen müssen, einen männlichen Mitbewohner zu haben.

Später kehrte sie mit der Wäsche in ihr Zimmer zurück. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf ihr Handy und grinste, als sie eine lustige Mail vom (noch immer kranken) Logan sah. Die Kleidung wurde auf einem Stuhl zwischenquartiert und Jane griff nach ihrem Mobiltelefon, um zu antworten, da fiel ihr Blick auf das Bild über ihrem Computertisch.

Als Aiden ihr erzählt hatte, darauf sei sein Vater zu sehen, war Mitleid in ihr aufgewallt. Immerhin war auch ihr Vater schon lange nicht mehr unter den Lebenden, eine traurige Gemeinsamkeit der beiden. Im Gegensatz zu ihr besaß der Vampir jedoch nicht mal ein Bild von seiner verstorbenen Familie, weshalb sie ihm die Zeichnung nur zu gerne überlassen hätte.

Zuerst hatte sie nicht verstanden, wieso Aiden ihr Angebot ablehnte, doch Anbetracht seiner Lebensweise machte es durchaus Sinn. Sie hatte sogar kurz überlegt, den Teil mit ihm und seinem Vater auszuschneiden. Natürlich, es behagte Jane nicht, ein Bild von ihm in ihrem Zimmer zu haben, doch der Impuls, dies zu tun, entsprang größtenteils aus Mitgefühl. Allerdings hatte sie entschieden, das einzige Vermächtnis seines Vaters nicht zu zerstören und es ihm auf andere Weise zukommen zu lassen.

Diese Gelegenheit schien jetzt gekommen – immerhin wohnte Aiden im Moment fest bei ihr, und wie es aussah, würde er nicht so bald ausziehen. Und selbst wenn, könnte das Bild einfach in seinem jetzigen Zimmer hängenbleiben. Gesagt, getan, nahm Jane den schweren Rahmen von der Wand und ging damit über den Flur. Sie trat sacht mit dem Fuß gegen die Tür, weil sie gerade nicht klopfen konnte, erhielt aber keine Antwort. Als sie eintrat, sah sie, dass ihr Hausgast gar nicht da war.

Kurz blieb sie unentschlossen stehen, dann ließ sie das Bild zurück, während sie Hammer und Nägel holte. Elizabeth, die das Klopfen hörte, kam irritiert heran, lächelte aber nur, als sie ihre Tochter heimwerken sah. Als die Nägel angebracht waren, hoben die Frauen gemeinsam die schwere Zeichnung an ihren neuen Platz und betrachteten sie eine Weile.

„Er wird sich bestimmt freuen“, stellte die Mutter fest und legte den Arm um Jane. „Und vielleicht fühlt er sich so ja ein wenig wohler.“

Jane hätte es nie zugegeben, aber das hoffte sie auch.
 

Die folgende Woche ging relativ unspektakulär vorbei. Jane konzentrierte sich auf ihr Studium und sehnte ungeduldig die Genesung ihres Knöchels und ihrer Schulter herbei, um endlich wieder arbeiten zu können.

Ihren Mitbewohner bekam sie noch immer in der Universität öfter zu Gesicht als zu Hause, aber sie hatte nicht mehr das Gefühl, Aiden würde ihr explizit aus dem Weg gehen. Außerdem hatte ihre Mutter sie nicht gebeten, ihn nochmal anzusprechen, also würde sie das auch nicht tun. Die Erinnerung an die Aussprache im Wäscheraum war ihr unangenehm genug, wiederholen wollte sie das sicher nicht.

Es war Freitag, und der gesunde Teil ihres Freundeskreises sowie Aiden verließ gerade das Fakultätsgebäude als Janes Handy klingelte. Ein wenig überrascht nahm sie ab. „Logan? Alles ok?“, fragte sie sofort besorgt, worüber er leise lachte.

„Ja, alles gut. Ich bin bald wieder auf den Beinen“, beschwichtigte ihr Kommilitone, dessen Stimme allerdings immer noch angeschlagen klang. „Ich rufe nur an, weil ich fragen wollte, ob du mir die Unterlagen der letzten Woche vorbeibringen könntest. Ich muss vermutlich einiges nachholen.“

„Es geht eigentlich. Aber klar bring ich dir alles. Wann wäre es dir recht?“

„Wenn du Zeit hast, von mir aus gleich, dann brauchst du nicht nochmal extra los“, schlug Logan vor und sie stimmte zu.

„Was braucht er denn?“, erkundigte Cynthia sich hinter Jane.

Diese machte eine abwehrende Geste, um sich auf Logans Worte zu konzentrieren, als er sagte: „Ach, du bist noch bei den anderen? Frag sie doch, ob sie auch kommen wollen.“

„Bist du schon fit genug für so einen Auflauf?“

Ihrem Freund war das Schmunzeln deutlich anzuhören, als er erklärte: „Es ist süß, dass du dir Gedanken machst, aber sterbenskrank bin ich nicht.“

„Dafür schwänzt du aber schon ziemlich lange“, neckte Jane, worüber er lachte. Dann wandte sie sich an den Rest ihrer gemeinsamen Freunde: „Wollt ihr Logan besuchen? Er braucht Gesellschaft.“

„Damit wir uns anstecken? Eher nicht“, scherzte Kate, aber am Schluss kamen die beiden Frauen mit. Benjamin musste zur Arbeit und bot Aiden an, ihn mitzunehmen. Dass der Vampir nicht unbedingt scharf darauf war, Logan zu besuchen, überraschte seine Mitbewohnerin nicht. Zwar gab er sich ihrem Kommilitonen gegenüber nicht mehr so kühl wie am Anfang, doch Freunde würde Jane die beiden nicht nennen. Woran das lag, war ihr allerdings schleierhaft; mit ihren anderen Freunden verstand Aiden sich gut, und eigentlich waren er und Logan sich gar nicht so unähnlich. Beide waren freundliche Zeitgenossen, die nicht gerne im Mittelpunkt standen, anderen (Vor allem Jane) aber stets halfen. Natürlich war der Vampir zusätzlich eine Nervensäge, eine Plaudertasche und ein Kindskopf, was man von Logan überhaupt nicht behaupten konnte. Der Blutsauger war mindestens zwanzig Mal so alt wie der junge Mann, aber auch mindestens zwanzig Mal alberner. Eigentlich hätten sie also auf einer Wellenlänge sein müssen, aber aus irgendeinem Grund waren sie das nicht, sodass Aiden die Mitfahrgelegenheit bei Benjamin nutzte, um nach Hause zu kommen.

Sobald die beiden Männer gefahren waren, verteilten die Frauen sich auf Janes und Kates Autos und fuhren in Richtung Logan. Dieser hatte in der Zwischenzeit auf den Wunsch seiner Freundinnen chinesisches Essen bestellt, zu dem die vier jungen Leute sich im Wintergarten der Familie Gallaghar niederließen.

„Wie geht die Planung des Halloween-Balls eigentlich voran?“, erkundigte Logan sich bei Kate, nachdem er über alle anderen wichtigen Neuerungen an der Universität ins Bilde gesetzt worden war.

„Furchtbar – wie bei allem, was man so plant“, jammerte die Brünette, sofort professionell-erschöpft mit den Stäbchen gestikulierend. „Die Band hat vorgestern abgesagt, sodass wir die Gruppe der Schwester von einem Orga-Mitglied engagieren mussten. Irgend so eine unbekannte Truppe, die scheinbar hauptsächlich Rocksongs covern, aber auf die Schnelle haben wir nichts anderes gefunden.“

„Wie heißen die?“, fragte Cynthia, die ihr Handy hervorgezogen hatte und ein Youtube-Video der Band abspielte, sobald sie deren Namen erfahren hatte.

„Klingt doch nicht schlecht. Die Party wird bestimmt ein Erfolg“, besänftigte Logan, obwohl die Musiker nicht sehr professionell klangen.

„Du bist ein Schatz, Logan… Findest du nicht, Jane?“, fügte Cynthia hinzu, was die Angesprochene etwas überrumpelte.

„Äh? Ja… Klar?“

Logan, der neben ihr saß, wuschelte Jane durch die Haare. „Nur nicht lügen!“, scherzte er, und die beiden grinsten sich an.

Aus dem Augenwinkel sah Jane, wie ihre Freundinnen sich Blicke zuwarfen, und die Jägerin fragte sich, was für einen Witz sie verpasst hatte. Da wollte aber Cynthia wissen, als was sich alle verkleideten, und das Gespräch drehte sich weiter. Die Studenten räumten später zusammen auf und wiederholten in Logans Zimmer den Stoff der letzten Woche, sodass sie ihm bei Unklarheiten gleich helfen konnten. Ihre Lerngruppe machte immer mal wieder Späße miteinander, trotzdem war Jane zufrieden mit ihrer Revision, als sie am Abend Cynthia nach Hause brachte, die schon zuvor bei ihr mitgefahren war. Kate hatte ihr eigenes Auto.

„Danke für’s Mitnehmen“, sagte Janes Freundin, als sie vor deren Haus parkten. Sie schnallte sich ab, blieb aber noch einen Moment sitzen und lächelte die Vampirjägerin an. „Was ich noch sagen wollte… Es ist schön, dass wir im Moment so viel Zeit miteinander verbringen. Sonst haben alle immer so viel zu tun, dass das oft auf der Strecke bleibt.“

Diese Zuneigungsbekundung überraschte Jane ein wenig, freute sie aber sehr, sodass sie Cynthia umarmte, ehe diese ausstieg. Es stimmte schon, ihre Clique sah sich am häufigsten in der Universität. Kein Wunder, immerhin arbeiteten die Studenten und hatten andere Hobbies, Freunde und Familie. Es stimmte allerdings auch, dass sie vor allem in den letzten beiden Wochen viel miteinander unternommen hatten. Sie waren essengegangen, hatten miteinander gelernt und waren feiern gewesen. Jane wusste, dass das an ihrer durch die Verletzung eingeschränkten Arbeit für den Zirkel lag.

Obwohl sie es natürlich mochte, mehr Zeit für ihre Freunde zu haben, beschloss sie, sich genug ausgeruht zu haben. Ihre Schulter schmerzte schon ein paar Tage nicht mehr, und die Schiene am Knöchel würde sie zu Hause endlich abnehmen. Ihre Mutter hätte es zwar sicher bevorzugt, hätte Jane sich noch ein wenig geschont, aber diese hasste es, nicht voll einsatzfähig zu sein.

Zum Glück war Elizabeth noch nicht da, als Jane heimkam. So konnte sie im Arbeitszimmer der Ärztin in Ruhe die Schiene entfernen und austestend ein wenig herumlaufen. Na also, tat gar nicht mehr weh.

Jane ging in ihr Zimmer, um ihre Alltagskleidung gegen schwarze Leggins und ein Sport-Shirt zu tauschen. Das Haar band sie sich zu einem Zopf, dann begab sie sich in den Keller des Hauses. Dort befand sich bei McCollins neben den üblichen Lager- und Waschräumen ein Sport- sowie ein Sicherheitszimmer. Letzteres lag am Ende des weiß gefliesten Flurs hinter einer wuchtigen Stahltür. Darin gab es zwei Feldbetten, Nahrung und Wasser für einige Tage und, in einem extra gesicherten Tresor, ein Teil von Janes persönlichem Waffenarsenal. Diesen Raum hatte es schon gegeben an dem Abend, an dem ihr Vater getötet worden war, aber alles war so schnell gegangen, dass Nathaniel nicht hatte flüchten oder zu seinen Waffen hatte greifen können. Er war doch auch ein Jäger gewesen, ein sehr guter, wie seine früheren Kollegen nicht müde wurden, Jane zu erzählen. Er hätte sich doch verteidigen können müssen…

Jane war mitten im Flur stehen geblieben und hatte die Sicherheitstür angestarrt, schüttelte jetzt aber den Kopf und bog in den Sportraum ab. Damit ihr – Und vor allem ihrer Mutter – so etwas nie passierte, musste sie stets auf der Hut und in bester Form sein. Sich so gehen zu lassen wie sie in den letzten Wochen, war gefährlich.

Außerdem hatte sie nach dem Schock bezüglich Richard nichts mehr unternommen, um den Mörder ihres Vaters zu finden. Sie nahm sich vor, das am nächsten Tag noch zu ändern, und ging zum Laufband, um sich vor dem Training aufzuwärmen. Neben diesem Gerät standen im Fitnessraum der McCollins unter anderem diverse Hanteln (kleine für Elizabeth, schwerere für Jane), ein Trampolin, ein Box-Sack, ein Gerät, an dem sie Zielen übte, und eine Stange für Klimmzüge. Nach einer halben Stunde gemütlichen Joggens – Jane wollte ihren Knöchel nicht sofort wieder überlasten – stieg die Vampirjägerin vom Laufband und wischte eine dünne Schweißschicht von ihrer Stirn. Unzufrieden runzelte sie die Stirn. Sie war mehr aus der Form, als sie erwartet hatte.

Als nächstes widmete sie sich Kraftübungen, dann war Zielsicherheitstraining mit ihren Messern an der Reihe. Konzentriert stand sie vor den Scheiben, die auf einem Band in Dauerschleife etwa zehn Meter von ihr entfernt rotierten. Mit einer flüssigen Bewegung schleuderte sie das erste Messer, zückte das nächste und warf erneut. Das wiederholte sie, bis ihr Griff in das Etui an ihrem Oberschenkel ins Leere ging, sie also alle Klingen aufgebraucht hatte. Erst jetzt gönnte Jane sich einen Blick auf ihr Ergebnis und stellte zufrieden fest, dass fast jeder Wurf ins Schwarze oder zumindest dicht daneben getroffen hatte. Sie ging, um die Messer für eine zweite Runde einsammeln, fuhr aber herum, als sie hinter sich plötzlich ein langsames, spöttisches Klatschen hörte. Beinahe hätte sie instinktiv das Messer geworfen, das sie soeben aus der Zielscheibe gezogen hatte, doch sie hielt sich gerade noch zurück, als sie sah, dass es Aiden war, der ihr applaudierte.

Schnaubend über seinen eher amüsierten Beifall wandte die Jägerin sich ab, um weiter aufzuräumen. „Was machst du hier?“

„Ich habe Geräusche aus dem Keller gehört und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe“, erklärte der Vampir, der in den Trainingsraum schlenderte und sich neugierig umsah. Beinahe beiläufig hob er eine der 30 Kilo Hanteln auf, die Jane säuberlich auf das dafür vorgesehene Regal gestapelt hatte.

„Ich war eh gerade fertig“, beschloss Jane, als sie ihre Messer bei sich hatte und die Anlage ausschaltete. Normalerweise trainierte sie länger, doch sie wollte ihre Schulter nicht überlasten und dadurch womöglich noch länger außer Gefecht gesetzt sein.

Aiden sah zu, wie seine Mitbewohnerin ihre Waffen auf deren Schärfe prüfte, bevor sie diese in gepolsterten Futteralen verstaute. „Deine Freunde wären sicher überrascht zu sehen, was man im hauseigenen Fitnessstudio so alles machen kann“, kommentierte er, dann trat er an den Box-Sack und schlug spielerisch danach. „Hast du schon mal überlegt, ihnen alles von deinem… Nebenjob zu erzählen?“

„Wieso sollte ich?“, fragte Jane, woraufhin er die Schultern zuckte.

„Sie könnten als dein soziales Umfeld immerhin in Gefahr geraten.“

Es war offensichtlich, dass der Vampir damit auf Elizabeths Entführung anspielte, und Jane strafte ihn dafür mit einem bitterbösen Blick. Antworten tat sie trotzdem: „Es besser für sie, wenn sie nichts von meiner Arbeit für den Zirkel oder Vampire generell wissen. Außerdem hält die Regierung es für besser, eure Existenz vor der breiten Masse geheim zu halten, um eine Panik zu vermeiden. Da wäre es kontraproduktiv, wenn die Leute aus dem Zirkel herumlaufen und allen von ihrem Jobs erzählen würden.“

„Deine Mutter weiß es doch auch“, merkte Aiden an.

Elizabeth wusste von der Arbeit des Jäger-Zirkels nicht erst durch ihre Tochter, sondern wegen ihres verstorbenen Mannes, der neben seiner Tätigkeit als Architekt wie gesagt Vampirjäger gewesen war. Da Jane jedoch noch immer nicht über ihren Vater sprechen wollte, wandte sie sich ab, um ihre Messer zurück in den Tresor zu sperren, während sie antwortete.

„Bei engen Angehörigen wird eine Ausnahme gemacht. Zumal ich noch sehr jung war, als ich mit meiner Ausbildung angefangen habe, sodass die Erlaubnis meiner Mutter erforderlich war.“

„Hm“, machte Aiden missbilligend, worauf Jane nicht einging. Sie hatten darüber schon mal diskutiert und würden heute wohl kaum weiter kommen.

Inzwischen hing der Vampir an der Stange für Klimmzüge und zog sich ein paar Mal in die Höhe. So, wie die Muskeln in seinen Armen sich dabei anspannten, fielen Jane ihre Überlegungen von ihrem gemeinsamen Shopping-Ausflug wieder ein; da Aiden immer wieder andeutete, mal ein Mensch gewesen zu sein, war er in einen Vampir verwandelt worden. Dies wiederum bedeutete, dass sein Körper sich nicht mehr verändern konnte. Wunden heilten nach Blutkonsum, ohne Narben zurückzulassen, sein Haar kehrte stets in denselben Zustand zurück, wenn er es nicht jeden Tag schnitt (Das war ihr erst aufgefallen, seit sie zusammen wohnten), und so weiter. Dadurch war davon auszugehen, dass Aiden schon vor seiner Verwandlung so trainiert gewesen war, was Jane überraschte, da er angedeutet hatte, in eine Aristokraten-Familie zu gehören. Und dass glaubte sie, sonst wäre wohl kaum ein Portrait seines Vaters aufgetaucht und er hätte Lady Jane Grey gar nicht erst kennengelernt. Wäre er, wie sie zuerst geglaubt hatte, als Mensch ein Soldat gewesen, wären seine Muskeln verständlich, aber so?

„Hast du…“ Sie zögerte, weil sie keine passende Formulierung wusste und nicht schon wieder über ihre ´unpassende Wortwahl` belehrt werden wollte. Allerdings fiel Jane nichts Besseres ein, also sagte sie es geraderaus: „Hast du in deinem Menschenleben eine Art spezielles Training absolviert?“

„Wie kommst du darauf?“, fragte der sichtlich überraschte Vampir, der die Stange losließ und leichtfüßig auf der Matte darunter landete.

Jane zuckte die Schultern. „Du siehst so aus.“

Wie erwartet, kräuselten Aidens Lippen sich wegen dieser Aussage amüsiert, doch er verkniff sich einen Kommentar, als er antwortete: „Nun, ich habe eine umfassende Ausbildung mit Waffen erhalten. Außerdem bin ich immer gerne geritten und geschwommen, wenn es die Umstände erlaubten. Außerdem war es für junge Männer üblich, zu turnieren. Ich denke, daher kommt dieses… Aussehen.“

Jane nickte nur. Sie hatte schon herausgehört, dass ihr Untermieter alle Arten von Sport mochte. Demnach zu schließen, was er gerade sagte, hatte er sich das aus seinem richtigen Leben beibehalten. Unwillkürlich fragte sie sich, der Rest seines Charakters sich in den letzten 500 Jahren genauso wenig verändert hatte – Und wie ihre Vorfahrin sich in diesen Kindskopf hatte verlieben können, wenn er denn damals schon so gewesen war.

„Ein Taler für deine Gedanken.“

Verblüfft von dieser veralteten Ausdrucksweise sah Jane den Vampir an, dann konnte sie nicht anders, als leise lachend den Kopf zu schütteln. Bereits auf dem Weg zur Tür sagte sie: „Die sind mehr wert… Komm, gehen wir.“

Folgsam wie immer lief er ihr nach. „Ich bin mir sicher, dass sie mehr wert sind, aber umso lieber würde ich sie hören.“

„Keine Chance“, schmunzelte die Vampirjägerin auf der Treppe. Dann sah sie ihren Begleiter an, runzelte kurz die Stirn, ehe sie erklärte: „Übrigens… Kannst du den Trainingsraum auch nutzen, wenn du möchtest.“

Aiden hatte ausgesehen, als würde ihn das Equipment interessieren, und so, wie er jetzt lächelte, hatte dieser Eindruck nicht getäuscht. „Das würde ich gerne, vielen Dank.“

Jane steuerte die Küche an, um nach ihrer Trainingseinheit etwas zu trinken. Mit der Flasche in der Hand warf sie einen Blick in den Kühlschrank, auf der Suche nach Inspirationen, was sie nach einer Dusche kochen sollte. Vielleicht Lachs…

Aiden riss sie aus ihren Überlegungen, indem er sagte: „Nächstes Mal könnten wir ja zusammen trainieren.“

Die Flasche noch am Mund, wandte Jane sich zu ihrem Hausgast. Damit hatte sie nicht gerechnet, nachdem er sie während der letzten beiden Wochen so konsequent ignoriert hatte. Eigentlich hatte sie, als sie Aiden anbot, hier einzuziehen, damit gerechnet, dass er sich noch penetranter in ihr Privatleben einmischen, noch mehr Zeit mit ihr verbringen wollen würde. Das war nicht passiert. Sie war nicht traurig darüber – nur verwundert. Deshalb überraschte es sie jetzt so, wieder ein Angebot von ihm zu bekommen, etwas miteinander zu unternehmen. Vor allem eine Aktivität für den Zirkel, wo er doch eigentlich gegen Janes Arbeit für selbigen war.

Obwohl… Eigentlich war es logisch, immerhin war er potentiell ihr langfristiger Partner. Würden sie weiter zusammenarbeiten, müssten sie gemeinsam üben, um sich aufeinander einzuspielen. Bisher war das zwar kein Problem gewesen; sowohl bei Richard, als auch bei der Vampir-Mutter hatten sie hervorragend miteinander harmoniert. Aber sicher war sicher, und es ging immerhin um ihr Leben.

Mal wieder ertappte Jane sich dabei, darüber nachzudenken, zukünftig mit Aiden zusammenzuarbeiten, und sie runzelte die Stirn. In der Hinsicht war noch nichts entschieden. Sicher, es hätte seine Vorteile, einen Partner zu haben, aber Aiden war und blieb ein Vampir, und Jane wollte sich nicht so eng auf einen solchen einlassen. Andererseits war eben wirklich noch nichts entschieden – Was hieß, sie hatte sich auch noch nicht dagegen entschieden.

Deshalb…. Wieso sollte sie es nicht ausprobieren und gemeinsam mit ihm trainieren? Schaden konnte es wohl kaum.

„Von mir aus“, stimmte sie zu und ging in Richtung Tür. „Wenn ich das nächste Mal im Zirkel trainiere, nehme ich dich mit.“

Sie konnte sich gut vorstellen, wie Aiden lächelte, aber sehen wollte sie es nicht, weshalb sie unter die Dusche flüchtete. Verdammt. Sie wurde doch tatsächlich ein wenig weich, was den Blutsauger anging.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben :)

Also ist Aiden doch noch im Hause McCollins geblieben - wer hätte es gedacht? xD Wir haben noch ein paar Kapitel für das erste Buch, nähern uns aber dem Ende. Hat jemand schon Ideen, wie es zu Ende gehen wird?

Im nächsten Kapitel:
Halloween steht vor der Tür, und mit dem Geisterfest auch der Ball an der Uni. Nachdem Aiden sich dazu entschlossen hat, bei McCollins zu bleiben, nimmt er mit Jane und ihren Freunden an dem Fest teil. Aber kann es ganz ohne Schreck ausgehen, wenn ein echtes Monster am Grusel-Spaß teilnimmt?
Vor allem, wenn nicht unser Schoßvampir dieses Monster ist? Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  utasama16
2017-05-31T20:49:37+00:00 31.05.2017 22:49
Für das Ende könnte man nehmen, dass Jane letztendlich doch herausfindet, dass Aiden ihren Vater getötet hat. Das ist glaub ich das offensichtlichste :3
Lg utasma16
Antwort von:  RedRidingHoodie
01.06.2017 08:30
Vielen Dank für den Kommentar und die Theorie.
Aber ist das Offensichtlichste immer das beste? ;D ich hoffe du bleibst dran :)
LG
Antwort von:  utasama16
02.10.2017 22:40
Nein, hast recht...aber könnte sein dass sie wenigstens einen hinweis auf den Mörder ihres vaters findet.

Und wer weiss, vielleicht kommen sich aiden und jane näher?
Man weiss es nicht. Natürlich werde ich dran bleiben, die geschichte gefällt mir sehr gut


Lg utasama16


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