Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 29 - Das Loslassen -------------------------- Kapitel 29 – Das Loslassen   -Zorro- Immer noch lachten sie. Witzelten über die großen Augen der anderen Gäste. Über die piepsige Stimme des Weltaristokraten, der ihnen hinterhergerufen hatte. Über den fassungslosen Eizen. Über sämtlichen dämlichen Idioten, die ihnen nachgeschaut hatten. Sie lachten darüber, dass Zorros Absatz abgebrochen war und dass Dulacres Maske einen hässlichen roten Abdruck auf seiner Nase hinterlassen hatte, den man anscheinend nur mit Wasser und Seife abwaschen konnte. Sie lachten darüber, dass keiner von ihnen gewusst hatte, dass sich das Zeichen für den letzten Tanz geändert hatte und darüber, dass der große Samurai irgendein unschuldiges Mädchen zum Tanz aufgefordert hatte, das vermutlich eine Heidenangst vor ihm gehabt hatte. Sie lachten bei dem Gedanken darüber, was am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde und ob sie Ärger bekommen würden. Sie lachten noch, als sie Sasaki erreichten und Dulacre ihn den kompletten Weg zurück trug. Auch darüber lachten sie. Zorro hatte sich seinem Schicksal ergeben. Seine Füße waren wund und sein Absatz war im Arsch. Tatsächlich genoss er, dass er nicht laufen musste. Erst als ihnen bewusst wurde, dass Kanan über kurz oder lang herausfinden würde, was passiert war, hörten sie auf zu lachen. Doch grinsen mussten sie immer noch. „Was meinst du, wie die Frau vom Bürgermeister deswegen ausrasten wird?“, kicherte er leise, während er sich das Jackett des anderen noch etwas mehr um die schmalen Schultern zog. Natürlich hatten sie bei ihrer Flucht ihre Mäntel und auch Mihawks Hut nicht mitgenommen. Zum Glück hatte er nicht auch sein Schwert dabei gehabt. Und da es in den Nächten immer noch kalt war und er nicht mehr anhatte als ein rückenloses, hauchdünnes Kleid, hatte Zorro sich diesmal nicht beschwert, als der andere ihm seinen Anzug gegeben hatte. Auch der Samurai lachte tief: „Ich höre sie schon Tenkai, du hättest die Kinder aufhalten müssen! Was haben die sich nur gedacht? Du weißt, dass wir das morgen bereuen werden?“ Zorro schüttelte den Kopf: „Ich würde nie etwas tun, was ich bereuen würde.“ Doch dann stockte er. Ja, nach diesem Glauben hatte er wohl leben wollen. Aber letzten Endes… „Lorenor?“ „Hm?“ Er blickte auf. Die goldgelben Augen sahen ihn durchdringend an, doch er wollte ihn nicht ansehen. Nicht diesen Mann, der nicht nur sein Freund sondern auch sein größter Konkurrent war. Der Mann, an dessen Brust er lehnte, seufzte tief. „Was ist denn los? Woher plötzlich diese bedrückte Stimmung?“ Der Wald um sie herum war ruhig. Seltsam, wie ein so aufregender Tag doch enden konnte. „Los, sprich schon“, murrte der Ältere, immer noch mit diesem kühlen Blick. „Du nervst“, antwortete Zorro kühl und verschränkte die Arme. „Erinnerst du dich noch an damals?“, fragte er dann, ohne den Blick des anderen zu suchen, „Nach unserem Kampf habe ich geschworen, dass ich nie wieder verlieren wollte, bis ich der beste Schwertkämpfer der Welt sein würde.“ Nie hätte er sich träumen lassen, dass er ausgerechnet mit Falkenauge darüber sprechen würde. „Ich erinnere mich“, meinte der Ältere schlicht. „Ich habe verloren“, flüsterte er dann, „gegen Homura. Ich habe versagt.“ Sein Gesprächspartner lachte leise. „Was ist daran zum Lachen?“, knurrte er ihn an. Da öffnete er sich einmal und der andere machte sich sofort über ihn lustig. Dulacre grinste immer noch. „Es ist schon amüsant, wie unsere Meinungen über die gleiche Tatsache so weit auseinander gehen.“ „Was redest du da? Es ist Fakt. Ich habe den Kampf verloren!“ Doch der andere ließ sich seine gute Laune nicht verderben. „Hast du das?“, fragte er dann, „Hast du wirklich verloren? Meiner Ansicht nach, ist es Nataku, der versagt hat.“ Zorro starrte zu ihm herauf, doch nun sah Dulacre in die Ferne, ohne ihn anzusehen. „Ich habe mich mit Hakkai unterhalten. Er hat mir interessante Dinge erzählt. Zum einen, dass sie gar nicht den Auftrag gehabt hatten, euch festzunehmen. Doch als Nataku für einen Zwischenbericht zu Besuch kam, hatte er die Idee. Und er hat auch verlangt, dass er derjenige sein würde, der dich ausschalten würde.“ Mihawk seufzte. „Ich vermute, dass er von unserer Begegnung gehört hatte und mir wieder mal mein Spielzeug kaputt machen wollte. Wie dem auch sei. Nataku ist ein Meister der Schwertkunst. Es hätte für ihn kein Problem darstellen sollen, deine Stärken und Schwächen abschätzen zu können.“ Dann sah er ihn wieder an. „Nach eurer Festnahme hat Nataku sich bei Hakkai für deinen Zustand entschuldigt. Er sagte ihm, dass er im Kampf mit dir entschieden hatte, dass es zu gefährlich wäre, einen Mann wie dich am Leben zu lassen. Er sagte Hakkai, dass er dein Verhör vorziehen sollte, da du den Sonnenaufgang nicht mehr erleben würdest. Nataku war der Überzeugung, dass du innerhalb von wenigen Stunden nach eurem Kampf sterben würdest.“ Wieder lachte der Samurai leicht. „Und einige Tage später lebst du immer noch und zerstörst den gesamten Stützpunkt und rettest darüber hinaus auch noch deine Crew. Wenn du mich fragst, warst nicht du der Verlierer in eurem Kampf, sondern Nataku. Er hat auf ganzer Linie versagt.“ Es wurde ruhig zwischen ihnen, nur die dumpfen Schritte des Älteren waren zu hören. „Nur eines verstehe ich immer noch nicht“, begann Mihawk erneut, „Warum seid ihr auf dieser kleinen Senichi-Insel nahe der G6 überhaupt an Land gegangen? Sie ist doch unbewohnt und zu klein für jegliche magnetische Polarisierung des Log Ports.“ Zorro seufzte schwer. Ja, das war seine Schuld gewesen. Eigentlich war das nur seine Schuld gewesen. „Die anderen wollten feiern“, murmelte er ruhig, „Ruffy war der Überzeugung, dass zu einem ordentlichen Fest ein Lagerfeuer gehörte und er ist der Käpt’n, Befehl ist Befehl.“ Er seufzte erneut. „Ich wollte nicht, dass sie das tun, dieses Fest. Aber Ruffy war so glücklich, wie ein kleines Kind. Ich hätte ja schlecht ablehnen können. Doch ich habe nicht aufgepasst, habe meine Deckung vernachlässigt. Sonst hätte ich schon viel früher festgestellt, dass wir in Gefahr waren.“ „Aber du bist nicht der einzige in eurer Crew, dem das hätte auffallen müssen, oder?“ „Aber nur Ruffy, Lysop und ich waren an Land, die anderen kamen erst, als sie bemerkten, dass wir in Schwierigkeiten steckten. Sie waren noch auf der Sunny, warum auch immer, während wir das Lagerfeuer gebaut haben. Und weder Ruffy noch Lysop sind für ihre Wachsamkeit bekannt.“ Dulacre zuckte mit den Schultern. „Nun gut, selbst wenn die Schuld bei dir lag, du hast deine Freunde gerettet, also hast du sie beglichen, oder nicht? Es gibt nichts, was du bereuen müsstest.“ Auch Zorro zuckte mit den Schultern. „Für jemanden wie dich ist es leicht sowas zu sagen.“ „Was? Glaubst du etwa, ich hätte in meiner Vergangenheit meine Crewmitglieder nie durch Fehlentscheidungen in Gefahr gebracht? Tze, da muss ich dich enttäuschen. Ich war nicht immer der gefürchtete Samurai, vor dem alle Respekt haben. Ich habe Fehler gemacht und musste danach für sie einstehen. Das ist nun mal die Verpflichtung, die du eingehst, wenn du Verantwortung übernimmst.“ Sie schwiegen beide, während Zorro über die Worte des anderen nachdachte. Tatsächlich bereute er nicht, dass er die anderen beschützen wollte oder die Verantwortung tragen musste, sondern… „Was war eigentlich mit Comil?“ Überrascht hob er wieder den Kopf und vor ihnen tauchte in der Ferne das alte Herrenhaus auf. „Was meinst du?“ Konnte der andere bemerkt haben, um wen es sich bei dem Vizeadmiral handelte? „Bitte halte mich nicht für so dumm. Natürlich habe ich eure Unterhaltung bemerkt. Für zwei völlig Fremde wart ihr viel zu vertraut. Denke nicht, dass ich nicht eins und eins zusammenzählen kann.“ Der andere machte seinem Namen als Stratege wirklich alle Ehre. Zorro hatte nicht gedacht, dass es so offensichtlich war. Auf der anderen Seite hatte Dulacre auch den alten Banri getroffen und auch wenn Zorro ihm nicht erzählt hatte, was er von Banri erfahren hatte, so traute er dem Samurai doch locker zu, sich zusammenzureimen, dass es noch mehr von ihnen gab. „Im Grunde war sie ganz nett“, murmelte er schließlich. „Sie?“ Erstaunt sah ihn der Ältere an. Zorro nickte. „Ja, Comils anderer Name ist Jade.“  Dann schüttelte er den Kopf. „Du weißt, dass ich dir nicht mehr darüber sagen werde. Warum fragst du also?“ Der andere schwieg jedoch, offensichtlich ernsthaft am Nachdenken, während sie den Vorgarten des Hauses durchquerten. Als sie die Haustür erreichten, atmete Mihawk fast schon erleichtert auf. „Es hatte also nichts mit meinem Vater zu tun.“ Seine Worte waren nicht an Zorro gerichtet. Der Pirat konnte sehen, wie der Schwarzhaarige immer noch seine tiefen Denkerfalten pflegte. Dabei hatte er selbst keine Ahnung, wo denn die Verbindung zwischen Comil und Mihawk Senior liegen sollte. Der Samurai öffnete die Tür mit dem Ellbogen, machte sich noch nicht einmal die Mühe, Zorro abzusetzen oder seine Schuhe auszuziehen, sondern ging einfach weiter. Die Heiterkeit von vor wenigen Minuten war verflogen. Seltsam, wie keiner von ihnen in der Lage schien diese fröhliche Stimmung beizubehalten. Dementsprechend war es kaum verwunderlich, dass ihre engsten Freunde solche gravierenden Parallelen aufwiesen. Im Haus war es dunkel aber warm. Kanan würde die Nacht wieder einmal auf die Katzen ihrer Tochter aufpassen. In jeweils eigenen Gedanken gefangen, schwiegen beide Schwertkämpfer. Mit leisen Schritten stapfte der Ältere die Stufen hoch. Zorro konnte seinen Herzschlag hören. Bildete er es sich ein, oder war er schneller als sonst? Wahrscheinlich nicht. Er selbst war müde und seine Sinne waren nicht mehr so scharf, wie er es gerne hätte. Er ließ zu, dass der andere ihn auf seinem Bett absetzte, hier im Gästezimmer. „Es lief besser als erwartet“, murmelte er dann leise, „Ich bin weder verheiratet, noch versklavt. Damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet.“ Der andere lachte müde, er wirkte ebenfalls erschöpft. „Morgen werden wir sehen, was für andere Folgen dieser Abend noch für uns bereithält.“ Zorro grinste. „Jetzt mal doch nicht alles so schwarz. Hilf mir lieber aus diesem verfluchten Fummel raus.“ Endlich war dieser eine Abend vorbei, wo er Fräulein spielen musste. Egal was am nächsten Tag kommen mochte, in ein paar Tagen wäre das alles eh vorbei. Langsam stieg sein Hochgefühl wieder, als ihm bewusst wurde, dass er keinen Tanzunterricht mehr haben würde, auf keine Versammlungen mehr gehen brauchte. Endlich! In ein paar Tagen würde er seine Freunde wieder sehen. Schnell zog er Schuhe und Handschuhe aus. Als er aufstand und sich zum Samurai umdrehte, stellte er fest, dass dieser wieder einmal errötete. „Ich hab mich noch nicht einmal ausgezogen!“, meinte er nur grinsend und legte sich seine Haare über die Schulter. „Du musst mir helfen.“ „Was?“ Dulacre schien alles andere als erfreut. Zorro seufzte. „Ich krieg die Schnüre nicht selber auf und Kanan ist nicht hier. Ich bin darunter doch nicht nackt. Also vergiss einfach mal deine gute Erziehung für einen Moment und mach es auf!“ Himmel hilf war das schwierig mit dem Kerl. Wenn er den Koch gefragt hätte, hätte er den Satz noch nicht einmal zu Ende gebracht, ehe der Blondschopf ihn schon ausgezogen hätte. Warte, das hörte sich verdammt falsch an und er wollte nicht länger über dieses Bild nachdenken. Trotzdem war der dauerprüde Herr Mihawk in etwa genauso nervig. Zorro hob beide Arme und offenbarte dabei die beinahe unsichtbaren Schnürungen aus hauchdünnen Bändern auf beiden Seiten. Der Samurai wandte den Blick ab. „Jetzt stell dich doch nicht so an! Ich bin schließlich immer noch ein Mann, nur in einem Frauenkörper!“ Langsam wurde er wütend. Warum musste der andere daraus so ein Spektakel machen? „Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass du mich halb nackt siehst, also komm jetzt her!“ Er stampfte gereizt einen Fuß auf den Boden. „Und sowas schimpft sich bester Schwertkämpfer der Welt.“ Erst da sah der andere ihn an, nun auch ein bisschen wütend. „Pass auf deine Worte auf“, warnte er ihn. Doch tatsächlich kam Dulacre auf ihn zu. Zorro hob wieder beide Arme, während der andere versuchte, ihn aus dem Kleid zu befreien. „Das Ganze wäre einfach so viel einfacher, wenn du wieder ein Mann wärest“, grummelte der Samurai leise vor sich hin, absolut nicht in der Lage die Schnüre zu öffnen, sondern sie nur enger zu binden. „Wenn ich ein Mann wäre, hätten wir dieses Problem hier gerade nicht“, antwortete Zorro ebenso mürrisch, „Außerdem hätte ich dann ganz bestimmt kein Kleid an.“ Er konnte nicht verhindern, dass die Worte des anderen ihn irgendwie trafen. Zum einen weil er schon so genug mit seiner körperlichen Verfassung zu kämpfen hatte und zum anderen hörte es sich so an, als wäre Mihawk enttäuscht von ihm. Enttäuscht davon, dass er noch immer eine Frau war. „Pass auf, du schnürst mir die Luft ab“, murrte er nur. „Jaja, hab dich nicht so. Das muss so.“ Der Samurai kniete sich nun hin, seine Augen waren konzentriert zu Schlitzen verengt. „Das ist erbärmlich“, murrte Zorro erneut. „Was?“ Dulacre hörte ihm kaum zu. „Dass gerade du nicht in der Lage bist, dieses verdammte Kleid zu öffnen und wir hier wie zwei Idioten rumstehen.“ „Also noch einmal, Lorenor.“ Der andere sah ihn gar nicht an, immer noch waren seine Finger in den Bändern verknotet. „Ich weiß ja, dass du mich schon dein halbes Leben verfolgst, aber ich bin trotz allem auch nur ein Mensch. Ich mag zwar ein Samurai sein, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich ein ganz gewöhnlicher Mann bin und dieser Verschluss mich heillos überfordert.“ Zorro sah zu dem anderen hinab. „Ich weiß“, meinte er nur schlicht. Natürlich wusste er, dass hinter dem Phänomen Falkenauge auch nur ein Mensch steckte, der irgendwann auch alt werden würde, sterben würde. Also was bezweckte der andere mit seinen Worten? Plötzlich ließ der Druck auf seiner rechten Seite nach und ein überraschend kindliches Grinsen erhellte die Züge des Samurais. „Na geht doch“, lachte er, „Siehst du, Lorenor, ich krieg alles hin, was ich hinkriegen will.“ „Ja, du furchteinflößender Krieger der Weltmeere“, murrte Zorro mit hochgezogenen Augenbrauen und kaum verhohlenem Sarkasmus, „allerdings hast du die andere Seite vergessen.“ Mit einem bösen Grinsen wandte er sich um, während der Ältere sein Grinsen verloren hatte. „Meine Güte, was für ein unnötiges Hantier.“ „Hör auf dich so anzustellen und lös einfach die Bänder. So schwer kann das doch nicht sein.“ „Sagte der Kerl, der noch nicht einmal in der Lage ist Haki anzuwenden.“ Einen kurzen Moment sahen sie einander an. „Das musste jetzt sein, oder?“, meinte er minimal beleidigt. Der Samurai erhob sich mit einem angsteinflößenden sanften Lächeln und sah zu ihm herab. „Ich muss doch noch die Zeit auskosten, in der ich dir überlegen bin.“ Zorro errötete. In dem Moment lösten sich die anderen Schnüre und das Kleid fiel zu Boden. „Lorenor!!!“ Nun war es an Dulacre zu erröten. Wobei das untertrieben war. Sein Gesicht dampfte beinahe schon vor Scham als er sich beide Hände wie ein kleines Kind aufs Gesicht klatschte. „Du hast doch gesagt, dass du was an hast!“ Und nun war es an Zorro zu grinsen. Auch wenn es natürlich doch etwas überraschend kalt war, so ganz oben ohne und nur in weißem Höschen und Strapse. Er verschränkte die Arme siegessicher, natürlich unterhalb seiner zur Show gestellten Oberweite. „Ich habe gesagt, dass ich unterhalb des Kleides nicht nackt bin. Bin ich nicht, wie du sehen kannst.“ Er lachte böse. „Sehen könntest“, korrigierte er sich immer noch kichernd. „Und jetzt hilf mir mit der Strapse“, trieb er es auf die Spitze. „WAS?!“ Von Panik gepackt starrte der andere durch seine Finger hindurch, erkannte wieder, dass Zorro immer noch oben ohne im kühlen Raum stand und presste beide Finger wieder fest zusammen. „Du bist ja wahnsinnig!“ Der Grünhaarige konnte gar nicht anders, als über das Verhalten des anderen zu lachen. Grinsend drehte er sich um und griff nach dem dünnen Nachthemd auf dem Bett. „In solchen Moment frage ich mich, wie du es je mit einer Frau ins Bett geschafft haben sollst“, murmelte er mehr zu sich, als zu dem anderen und zog sich den weichen Stoff über, ehe er sich auf dem Bett sinken ließ. „Das ist was anderes“, rechtfertigte sich der Samurai, „Hast du jetzt was an?“ „Ja doch“, antwortete er und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Seine Füße taten ihm wirklich weh. „Warum ist das was anderes? Müsste es dir nicht eigentlich bei mir leichter fallen? Mir ist es egal, wenn du mich nackt siehst und eigentlich bin ich ein Kerl, also…“ Er beendete seinen Satz nicht, als sich der andere endlich erneut traute durch seine Finger zu spähen und die Hände dann sinken ließ. „Es ist ein Unterschied, Lorenor. Du bist nicht mein Bettgefährte.“ „Bettgefährte? Wie alt bist du eigentlich?“ Ehe der andere etwas erwidern konnte, zog er das Hemd hoch und offenbarte die Ösen der Strumpfhalter. „Lorenor!“ „Jetzt zier dich nicht so.“ „Kannst du das nicht selber?!“ „Doch, eigentlich kann ich das sogar sehr gut“, grinste er böse. „Aber warum…?“ Er ließ den anderen nicht aussprechen. „Ist das nicht offensichtlich?“ Der Samurai kniete sich tatsächlich vor ihn und lehnte sich so weit vor, dass sein Kopf beinahe Zorros Brust berührte, während seine Finger sich an den kleinen Köpfen zu schaffen machten. Mit einem bestialischen Grinsen beugte er sich vor, legte eine Hand auf Dulacres Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Rache!“ „Ein gefährlicher Wegbegleiter.“ Doch auch der Ältere grinste nun, immer noch mit roten Wangen, und gab sich an Zorros anderes Bein. „Aber wofür?“ „Für deine blöde Frage auf dem Ball! Ich meine, ein Kuss? Ernsthaft?!“ Nun hob der andere eine Augenbraue und sah auf. Ihre Gesichter waren sich gefährlich nahe. „Was hattest du denn erwartet? Ein Leben? Was soll ich denn mit mir anfangen? Du kannst weder kochen noch putzen. Als Sklave wärest du eine totale Niete.“ Der Samurai rollte beide Strümpfe hinunter. „Ich hatte mit einer Nacht gerechnet“, meinte Zorro ein bisschen schmollend, „Du hättest mich mitgenommen, wir hätten trainiert und das wäre es gewesen.“ Dulacre stand auf und ging zur Tür. „Schlaf jetzt, es war ein langer Tag. Ab morgen werden wir wieder richtig trainieren.“ Sein harter Themenwechsel kam unerwartet, doch dann wandte er sich um. „Ich würde dich nie zu etwas zwingen wollen. Ich wollte, dass du freiwillig mit mir mitkommst, auf deinem Wunsch hin und nicht, weil du dich verpflichtet gefühlt hättest.“ Hinter ihm schlug die Tür zu. Was zurückblieb war eine unerwartete Melancholie. Freude und Albernheit, Wärme und Herzlichkeit waren mit dem Samurai verschwunden. Wie seltsam, dass der andere so dachte, hatte Zorro sich nicht bereits vorher für ihn entschieden? Mit abwesenden Bewegungen ging Zorro ins Badezimmer, wusch sich langsam die Schminke von Gesicht, Hals und Dekolleté. Die Worte des anderen hingen noch in seinem Kopf, wurden jedoch allmählich von den anderen Stimmen des vergangenen Abends erdrückt. Homura war weniger das Problem, doch er befürchtete, dass Eizen ihn nicht so einfach davon kommen lassen würde. Aber auch er war nicht derjenige, dessen Worte ihn am meisten aufwühlten. Du wirst erst in der Verfassung sein, deinen anderen Körper zu erhalten, wenn du deinem Wissen Taten folgen lässt. Leise Tränen fielen unerwartet zu Boden, als Comil ihn erreichte. Er wusste, was er tun musste. Es gab nur einen Weg, da war er sich sicher. Leise sank er auf dem weichen Teppich des Badezimmers zu Boden und umschlang seine Knie. Nun war es ihm das erste Mal egal, dass er die Tränen nicht aufhalten konnte. Was passierte hier nur mit ihm? Warum war das alles so schwer? Warum musste er solche Entscheidungen treffen? Vor alle dem hier war er glücklich gewesen, er war wirklich glücklich gewesen bei seiner Crew. Es hatte alles gereicht! Sie waren mehr als er je gebraucht hatte. Und jetzt saß er hier und weinte. Wie ein kleines Kind. Das Leben hier hatte ihn verändert, die Menschen hier hatten ihn verändert, Dulacre hatte ihn verändert. Er musste eine Entscheidung treffen und egal wie er sich entscheiden würde, er würde Menschen, die ihm wichtig waren verletzen. Würde Dulacre seine Entscheidung verstehen können? Würde er ihn dann noch respektieren? Damals, als Zorro ihn um Hilfe gebeten hatte, hatte er dessen Respekt beinahe verloren. Würde Dulacre ihm für seine Tat verzeihen? Seit wann war es ihm so wichtig, was der andere von ihm dachte? Würden die anderen ihm verzeihen? Würde er sich verzeihen? Warum zum Teufel musste er das durchmachen?! Wenn man ihm je die Wahl gegeben hätte, wäre er vielleicht wirklich lieber einfach gestorben! Dann würde er nicht entscheiden müssen, nicht handeln müssen, niemanden verletzen müssen. Er musste seinen verdammten Stolz überwinden, nur so konnte er weiter kommen! -Mihawk- Das Wasser tropfte von seinem Gesicht ins kühle Waschbecken aus schwarzem Marmor. Immer wieder schlug er sich das kalte Nass auf die Wangen. Dann sah er in den Spiegel, sah wie sich die spiegelnden Tropfen in seinem Bart verfingen, sah diese kleine rote Kerbe auf seinem Nasenrücken, die immer noch nicht verschwunden war. Er sah diese verfluchten Augen, die ihn so ungewohnt wütend anstarrten. Sein Herz raste. Ihm war heiß! Ihm war kalt! Er wollte schreien! Er wollte irgendetwas zerstören! Mit beiden Armen stützte er sich auf dem kalten Stein ab, während schwere Atemzüge sich aus seiner Brust kämpften. Dann riss er sich die Klamotten vom Leib. Er schien darunter zu verbrennen. Doch die verfluchten Manschettenknöpfe ließen sich nicht öffnen. „Verdammte Scheiße!“ Im nächsten Moment zerriss er das Hemd und warf es zu Boden. Die Schuhe flogen durch die Luft und er rannte durchs Zimmer. Vor Yoru blieb er stehen. Seine zitternde Hand gierte nach der Berührung des schwarzen Schwertes. Beinahe zögernd erlaubte er seinen Fingern, über die kühle Klinge zu gleiten. Sofort konnte er es spüren: Seine innere Ruhe, seine innere Gelassenheit. Sein treuster Freund, sein engster Begleiter. Nur Yoru wusste, was er fühlte, was er dachte. Niemand war ihm so vertraut wie sein Partner. Niemand kannte ihn so gut wie Yoru. „Was soll ich nur tun?“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Kann ich überhaupt irgendwas tun?“ Immer noch berührte er die fleischgewordene Nacht. „Er hat es doch gesagt, oder? Er trifft seine eigenen Entscheidungen. Egal was ich sagen oder tun würde, es wäre falsch.“ Warum antwortete sein Freund nicht? Warum summte Yoru nur so leise vor sich hin? „Du findest das ganze lustig, nicht wahr? Dass ein kleines Kind mich so aus der Ruhe bringt.“ Nun vernahm er das erste Mal Zustimmung. Er seufzte. Genoss die Kraft, die in ihn hinein floss, ihn beruhigte. „Was denkst du denn? Du hast sein Blut geschmeckt und hast mir verziehen, dass ich ihn am Leben ließ. Würdest du ihn immer noch töten wollen?“ Die Antwort war so eindeutig, dass es ihn überraschte. „Er wird mich verlassen und wir wissen, dass das gut so ist.“ Er ließ Yoru los und wandte sich um. Es war gut so. Lorenor musste zu seiner Crew zurück. Er erwartete von dem anderen, dass er seinen Weg gehen würde. Das machte den Piraten aus, dass er seine eigenen Regeln aufstellte. Genau deswegen war er soweit gekommen. Genau aus diesem Grund war er jetzt hier, bei ihm. Wenn Lorenor diesen Charakterzug nicht hätte, wäre er nicht Lorenor. Das war der Grund, warum er ihn um einen Kuss gebeten hatte. Er wollte ihn nicht besitzen, wollte nicht über ihn bestimmen, nicht eine Sekunde. Er hatte das Gefühl, das er diesen Wildfang nicht zähmen sollte, zähmen wollte. Ganz unabhängig davon, ob er das überhaupt konnte. Aber Lorenor verstand nicht. Lorenor sah nicht. Er hatte ein festes Ziel vor Augen. Zurück zu seiner Crew zu gelangen. Und das war gut so. Gut für den Jungen. Mit dem Rücken an Yorus Kommode ließ er sich auf den Boden sinken. „Aber es geht hier nicht um mich“, antwortete er niemandem bestimmten. Eine Hand zog an der Schublade zu seiner Linken. Mit gezielten Handgriffen zog er die Flasche mit braungoldener Flüssigkeit heraus. Zum Glück hatte er überall in diesem Haus seine Notfallreserven. Eine Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich beiläufig, ob der Pirat im Gästezimmer die dortigen Verstecke schon gefunden hatte. Mit dem Mund riss er den Korken ab und setzte die Flasche an. Heute hatte er die Möglichkeit gehabt, die Möglichkeit Lorenor an sich zu binden. Aber natürlich hätte er das nicht getan. Er wollte, dass Lorenor glücklich war und das konnte er nun mal nur bei seiner Crew sein. Er hatte gesehen, wie Jirou in der Lage gewesen war, den Jüngeren zum Lachen zu bringen. Wie er sich gewünscht hatte, dass Lorenor auch mal mit ihm so lachen würde, aber es kostete ihm größte Mühen, dem anderen nur ein Lächeln abzuringen. Aber er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass er bei seinen Freunden, bei seiner Crew, bei diesem dauergrinsenden Strohhut auch so lachen konnte. Er setzte die nun deutlich leichtere Flasche neben sich auf den Boden. Einige Tropfen wertvollen Alkohols rannen durch seinen Bart, tropften auf seine nackte Brust und versanken im Hosenbund. Immer wieder stieß er seinen Kopf leicht gegen das Holz an seinem Rücken. Er wusste, was er wollte. Es war das erste Mal seit langem, dass er wirklich etwas haben wollte. Und es war das erste Mal, dass er es sich nicht nehmen würde, auch wenn er konnte. Verdammt, was war aus ihm geworden? Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Aber nächstes Mal wäre es nett, wenn du mich nicht nur mit dem Blick ansiehst, den ich verdiene, sondern mit dem, den ich dir wert bin. Seufzend hob er wieder die Flasche. Wenn er das tun würde, würde er den anderen mit Sicherheit verlieren. Seine eigenen Gefühle machten ihm Angst, aber er wusste, dass sie den anderen nur noch mehr verschrecken würden. Lorenor war nicht bereit für so etwas. Würde es vielleicht nie sein. Und ob er soweit war, wusste er auch nicht. „Verdammte Scheiße“, murmelte er erneut und leerte die Flasche. Das Brennen in seinem Hals tat ihm gut. Körperlicher Schmerz war schon immer einfacher zu ertragen, als dieser andere. Er schloss die Augen, doch die Bilder des anderen suchten ihn heim. Rache. Ach, wenn der andere doch wissen würde, wen er hier am meisten bestrafte. Ja, heute würde er sich in Selbstmitleid ertränken und ab morgen würde er wieder der sein, den der andere von ihm erwartete. Mihawk Falkenauge Dulacre. Kühler Stratege und bester Schwertkämpfer der Welt. Der andere akzeptierte seine Bevormundung, seinen Schutz und seine Freundschaft. Das war alles, was er ihm geben durfte, denn mehr würde der andere nicht annehmen können. Immerhin hatten sie den Ball hinter sich gebracht und Lorenor war gut gelaunt gewesen. Vermutlich schlief er bereits lächelnd in seinen Laken und träumte davon, wieder bei seiner Crew zu sein. Wenn Comil tatsächlich einer dieser komischen Gestalten war, die nach ihrem Tod in anderen Körpern wiedergeboren wurden, dann hatte er Lorenor mit Sicherheit bei seiner Lösung geholfen. Darum war der andere so glücklich gewesen. Er hatte herausgefunden, wie er wieder ein Mann werden würde. Ihre Absprache beinhaltete, dass er den anderen beschützen durfte, solange dieser eine Frau war. Seufzend zog er die nächste Schublade auf. Die Nacht war noch lang und es reichte ja auch, wenn einer von ihnen die nächsten Stunden gut schlafen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)