Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 16 - Das Schwert ------------------------ Kapitel 16 – Das Schwert -Mihawk- „Jetzt warte doch.“ Genervt folgte er dem anderen, der bereits den Flur hinunter stürmte. „Nein, wir haben schon viel zu viel Zeit verschwendet“, antwortete die gebieterische, weibliche Stimme seines Gastes, der nicht daran dachte, stehen zu bleiben. Dulacre seufzte. Seitdem er auf dem Rückweg das Wort Training in den Mund genommen hatte, war der andere im Tunnelblick gefangen und die gemütliche Stimmung des Abends war verloren gegangen. „Solange du diesen Fummel anhast, gehst du mir nicht in den Trainingsraum.“ Der Pirat machte immer noch keinerlei Anstalten, stehen zu bleiben. „Hast du mich gehört, Lorenor? Dein Training geht erst weiter, wenn du dich umgezogen hast! Kanan wird es nicht recht sein, wenn du damit kämpfen willst. Und mir ist es nicht recht, wenn du in unangemessener Kleidung den Trainingsraum betrittst.“ Sein Wildfang wirbelte wütend herum, das schwarze Kleid tanzte um die schlanken Beine, das offene Haar wehte wie im Wind. Mit klackenden Schritten rauschte das Mädchen auf ihn zu. „Ich hatte gedacht, dass unsere Vereinbarung beinhaltet, dass du mit mir trainierst, während ich hier bin, und nicht, dass du mich auf jedes verdammte Treffen schleppst, zudem du eingeladen wirst. Hätte ich das gewusst, wäre ich nie drauf eingegangen“, fauchte der Grünhaarige ihn wütend an, die Hände auf den Hüften. „Also Erstens: Du hast mich um Hilfe gebeten. Zweitens:…“ „Hör mir auf mit deinem bescheuerten Erstens, Zweitens. Damit vergeuden wir nur noch mehr Zeit“, unterbrach ihn der Pirat grob. Langsam atmete Dulacre ein und aus, bemüht nicht wütend zu werden, was wirklich nicht einfach war. „Geh dich einfach umziehen!“, knurrte er und zeigte mit erhobenem Zeigefinger die Treppe hinauf. „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“, antwortete die Frau zickig und kam einen Schritt auf ihn zu. Durch die recht hohen Absätze war der Abstand ihrer beiden zornigen Gesichter nicht so weit wie sonst, als sie nun direkt voreinander standen. Die Spannung war greifbar. In ihm brodelte es so stark, dass er nicht sicher war, ob er sich dieses Mal rechtzeitig beherrschen konnte. Wie schaffte es dieser Junge immer wieder, dass er am Ende derjenige war, der die Kontrolle verlieren würde? Wieso hatte dieser Junge so viel Macht über ihn? Dabei brauchte er doch noch nicht einmal seinen kleinen Finger, wenn er den anderen jetzt töten wollen würde. Unerwartet drehte der Samurai sich um und ging langsam zur Haustür zurück. „Was hast du vor?“, zischte das Mädchen. Doch Dulacre antwortete nicht, sondern zog sich wieder seine Stiefel an, mühsam kontrolliert. „Was tust du da? Haust du etwa ab?“ Die Stimme des Piraten war etwas höher und lauter als gewöhnlich, doch immer noch weigerte sich der Ältere zu reagieren. „Dulacre!“ Langsam richtete er sich auf und sah seinen Gast an. Das grüne Haar schien vor Energie aufgeladen, die Augen weit aufgerissen, der Mund noch geöffnet. „Es ist genug“, sprach der Samurai leise, „Gestern und heute Morgen waren gute Einheiten, der Tag war lang. Ich denke es ist für uns beide besser, wenn wir es damit belassen.“ „Nein! Du hast gesagt…“ „Ich ertrage deinen Starrsinn nicht länger!“ Plötzlich war es ganz still um die beiden Schwertkämpfer. „Was? Aber…“ „Ich bin müde, Lorenor. Mach, was du willst. Ich werde dich heute Abend nicht mit meiner Anwesenheit belästigen.“ Damit öffnete der Schwarzhaarige die Tür. Er hatte die vergangenen Nächte wenig und schlecht geschlafen. Tagsüber zermarterte er sich den Kopf, hauptsächlich über den anderen und dessen Fortschritte, manchmal auch über dessen steigende Beliebtheit in der Zeitung, woran er selbst nicht ganz unschuldig war und natürlich über dessen Möglichkeiten wieder ein Mann zu werden. Die unerwartete Einladung vom Bürgermeister der Insel und seiner Frau zum Abendessen hatte für zusätzliche Unruhe gesorgt. All diese mehr oder weniger alltäglichen Probleme verdrängten aber nicht die Gewissheit, dass im Weltgeschehen etwas vor sich ging, das er noch nicht ganz erfassen konnte. Doch anstatt diesem Unbekannten auf den Grund zu gehen, stritt er sich mit dem undankbaren Jungspund. Er war zu alt dafür. Er war zu müde, um dem anderen eine solche Macht zu geben. Er musste sich beruhigen, bevor er von seiner eigenen Macht Gebrauch machen würde. Wie erwartet, war der Pirat entweder zu stur oder zu überrascht um zu reagieren, sodass er gehen konnte, ohne aufgehalten zu werden. Erst Stunden später wurde ihm bewusst, dass er in jenem Moment aufgegeben hatte. Das war wohl der erste Kampf seit Ewigkeiten, den er verloren hatte. -Zorro- Zorro stand vor der geschlossenen Haustür, fassungslos. Er verstand nicht, was gerade passiert war. Falkenauge war tatsächlich einfach gegangen. Mit einem Male wurde ihm bewusst, dass er ganz alleine in diesem viel zu großen, fremden Herrenhaus war. Sein erster Gedanke war, dem anderen hinterher zu jagen, doch war ihm nur zu schnell bewusst, dass dies keine gute Idee darstellen würde. Langsam strich er sich über den Oberarm. Er war es nicht gewohnt, dass jemand aus einer Auseinandersetzung floh, erst recht nicht der Samurai. Und nun stand er hier, all diese Gefühle in sich aufgewühlt. Der verfluchte Koch war nie einem Streit ausgewichen, hatte ihn nie so im Regen stehen lassen. Verdammt! Wütend auf sich selber, eilte er die Stufen der Treppe hoch, stolperte dabei beinahe über seine eigenen Füße und verlor beide Schuhe, ehe er oben angekommen war. Auf nackten Sohlen ging er weiter in sein Zimmer. Falkenauge hatte Recht gehabt, es war ein langer Tag gewesen, ein anstrengender Tag, ein guter Tag. Früh am Morgen hatten sie mit dem Training angefangen, einzig und allein die unerwartete Einladung zum Abendessen hatte sie kurz gestört, jedoch nicht lange genug, um wirklich erwähnt zu werden. Am späten Nachmittag hatten sie die Einheit dann beendet, damit Kanan genug Zeit hatte um ihn herzurichten. Mittlerweile hatte er sich mehr oder weniger seinem Schicksaal ergeben und ließ ihr freie Hand. Es war ja nicht so, als ob er wirklich etwas daran ändern konnte. Der Abend bei Familie Koumyou war dann überraschender Weise sehr angenehm gewesen. Das Essen war gut gewesen und das ältere Ehepaar schien ihnen äußerst wohl gesonnen. Natürlich hatte Zorro ein paar Themen nicht besonders gemocht, die Zeitungsartikel zum Beispiel, aber hauptsächlich hatten sie sich über aktuelle Geschehnisse aus aller Welt unterhalten, Dinge die ihn doch sehr interessierten. Der Rückweg war eher lustig gewesen. Die beiden Schwertkämpfer hatten einander aufgezogen und viel gelacht. Die Idee einer weiteren Nachteinheit hatte ihn aber erinnern lassen. Erinnern lassen, warum er hier war, wer er war und warum er so hart trainierte. Verdammt! Falkenauge war der Mann den er besiegen wollte, der Mann dessen Titel er wollte. Wie hatte er glauben können, dass sie wirklich Freunde sein konnten? Welten trennten sie voneinander und schlussendlich war selbst eine Lehrer-Schüler-Beziehung  mehr als sie wirklich einander bieten konnten. Er war so wütend auf sich deswegen. Nein, das war es nicht, wie er sich eingestehen musste. Er war nicht wütend auf sich, weil er anfing, dem anderen zu vertrauen oder gar zu mögen. Er hatte vergessen. Für ein paar Stunden, wenige Stunden, hatte er vergessen, warum er auf dieser Insel war, warum er trainierte, warum er kämpfte. Er hatte sie vergessen. Seine Crew. Er hatte ihn vergessen. Seinen Kapitän. Während er im Kerzenlicht mit fremden Menschen Wein getrunken hatte, erzählt hatte, gelacht hatte, trauerten seine Freunde vielleicht noch um ihn. Waren vermutlich noch verwundet und verletzbar durch seine fehlende Kraft. Und er witzelte mit seinem größten Feind über Belanglosigkeiten. Verdammt! Lange sah er sich im großen Spiegel an. Sah sein so verhasstes Spiegelbild. Das Kleid fiel zu Boden, gefolgt von der Unterwäsche. Langsam legte er die goldene Kette ab, zog die glitzernden Ohrringe aus den frisch gestochenen Ohrlöchern, verharrte einen Moment an seinem linken Ohr, und streifte den Armreif ab. Nackt stand er vor dem Spiegel und schlug mit aller Kraft zu. -Sanji- Als die Tür knarzte, blickte er auf. Es war schon dunkel, er hatte nicht damit gerechnet, jetzt noch einen der anderen zu sehen. Schließlich waren sie alle müde und erschöpft. Weniger von den gut verheilenden Wunden, als von den Nachtwachen und dunklen Träumen. Ihm ging es ganz ähnlich, und so blieb er lieber auf, als erneut den gesamten Männerschlafraum mit seinen Schreien aufzuwecken, wenn er wiedermal verbrannte oder jemand anderen verbrennen ließ. Zu seiner Überraschung war es der junge Arzt, der hinein getapst kam. „Hey, Chopper. Alles okay?“ Sanjis Stimme klang normal, so normal er es eben hinbekam, angesichts der Umstände, dass er zu wenig schlief und zu viel rauchte, wodurch alle seine Worte einen ungewollt rauen Klang bekamen. Die Knopfaugen sahen ihn leicht verwirrt an, erst jetzt schien dem Rentier bewusst zu werden, dass er nicht alleine im Raum war. „Ach, ähm, ich wollte nur nochmal schnell überprüfen, was ich auf der nächsten Insel noch alles einkaufen muss. Die Verbände werden langsam mau“, murmelte das jüngste Crewmitglied und wich seinem Blick aus. „So spät noch? Das kann doch ruhig bis morgen warten. Am besten holst du dir erst mal eine ordentliche Mütze Schlaf“, entgegnete Sanji schlicht und wandte sich wieder seinem Kochbuch zu. „Die anderen sind eh noch wach und unterhalten sich, da kann ich so oder so nicht schlafen.“ Choppers Antwort war noch leiser als zuvor, ehe er hinter der Tür des Krankenzimmers verschwand. Der Koch sah beim Klicken des Schlosses kurz auf, versuchte sich jedoch erneut auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Die letzten Tage waren für ihn unglaublich anstrengend gewesen. Fast jedes Mal, wenn er und Ruffy sich außerhalb der Mahlzeiten über den Weg liefen, endete es in einer Auseinandersetzung. Die übertrieben gute Laune seines Kapitäns war für ihn unerträglich. Er konnte nicht verstehen, wieso sein Freund die Augen vor der Wahrheit so fest verschließen konnte. Doch jeder Streit, jedes logisches Argument war fruchtlos. Immer wenn er auf das Geschehene zu sprechen kam, sahen ihn die großen dunklen Augen des Gummijungen einfach nur an, bevor Sekunden später wieder ein fröhliches Grinsen die kindlichen Züge erhellte. Ruffy wollte oder konnte nicht verstehen, dass Zorro tot war. Robin hatte schon das ein oder andere Mal anklingen lassen, dass dieses Verleugnen auch eine Art der Trauerbewältigung sein konnte und dass Sanji seinem Kapitän einfach mehr Zeit geben sollte. Schließlich hatte Ruffy erst vor wenigen Tagen vom Tod seines ersten Maats erfahren. Aber diese Rücksicht konnte Sanji nicht walten lassen. Wenn es hier nur um ihn gehen würde, wäre es vielleicht möglich, wäre er vielleicht in der Lage, über das typische Dauergrinsen seines Freundes hinwegzusehen. Aber es ging nicht nur um ihn. Das hirnrissige Gerede des Schwarzhaarigen über die baldige Rückkehr des Schwertkämpfers tat ihnen allen weh, erlaubte keinem von ihnen in Ruhe zu trauern, abzuschließen. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie sich in einem ehrfürchtigen Ritual von ihrem Freund hätten verabschieden können, wie damals bei ihrer geliebten Flying Lamb. Doch die Schwerter des Marimos standen unschuldig zwischen Sofa und Teleschnecke, wo Lysop sie damals aus pragmatischen Gründen verstaut hatte. Jeder, der in den Speiseraum kam, musste sie unweigerlich bemerken, musste unweigerlich an ihren Verlust denken und ihr Kapitän machte es nicht besser. Seine eigene Schrift verschwamm vor seinen Augen. Seine Konzentration war schon lange verflogen. Was sollte er nur machen? Wenn er Robin Folge leisten würde, würde Ruffys Verhalten dem Rest der Crew weiterhin zusetzen, aber wie sollte er Ruffy aus diesem Irrsinn aufwecken, ohne ihm gleichzeitig unendlich weh zu tun? „Sanji?“ Langsam hob er den Kopf. Chopper stand im Türrahmen, offensichtlich verunsichert. Der Blondschopf seufzte. Erst jetzt verstand er, was er schon viel früher hätte merken müssen, verstehen müssen. Er hatte es eben doch noch selber gedacht. Der junge Arzt war nicht noch auf, weil die anderen sich unterhielten. Er war aus dem Jungenschlafzimmer geflohen, wegen dem Thema der Unterhaltung. Er suchte irgendwo nach Schutz und Sanji war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er den kleinen Hilferuf seines Freundes gar nicht wahrgenommen hatte. Normalerweise wäre Chopper nicht zu ihm, sondern zu einem anderen gewissen jemand gegangen, doch dieser war nun ja nicht mehr da. „Was hast du, Chopper?“, fragte er sanft und legte die Lesebrille zur Seite. Der Arzt stand immer noch im Türrahmen und sagte nichts, während er betreten zu Boden starrte. Schließlich stand Sanji auf und ging rüber zum übergroßen Kühlschrank. „Es sind noch ein paar Erdbeeren übrig, möchtest du sie dir mit mir teilen?“ „Oh ja!“ Der Koch lächelte. Er wusste nicht, wie ausgerechnet der Marimo so einfach einen Zugang zu ihrem jüngsten Crewmitglied gefunden hatte, während er selbst immer die Hilfe von Süßigkeiten brauchte. Einen Moment später ließ er sich mit einer riesigen Schüssel gezuckerter Erdbeeren in Sahnecreme und zwei Löffeln wieder auf seinem Platz nieder. Chopper saß ihm bereits erwartungsvoll gegenüber. Für einige Minuten genossen sie die süßen Beeren in einvernehmlichem Schweigen, doch mit der Zeit konnte Sanji sehen, wie die kleinen Knopfaugen immer glasiger wurden. „Also, was ist los?“, eröffnete er erneut das Gespräch. Sein junger Freund schüttelte nur den Kopf und stopfte sich einen weiteren Löffel Nachtisch in den Mund. „Chopper, wenn es dir nicht…“ „Er mag keine Erdbeeren.“ Sanji verstummte. Er wusste sofort, von wem der andere sprach. Es gab nur einen Menschen auf der großen weiten Welt, den er kannte, der jeglichem Süßen nichts abgewinnen konnte. Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein, er konnte die wirklich wichtigen Schätze der Welt nie wertschätzen“, stimmte er leise zu und steckte sich einen dieser kleinen Schätze in den Mund. „Wir haben uns mal zusammen ein Eis gekauft. Er hat ewig lange bei der Auswahl der Sorten gebraucht, weil ihm nichts schmeckte. Hat sich am Ende für Pfefferminz entschieden.“ Die Worte des Rentiers waren unsagbar hoffnungsvoll, während er von dieser schönen Erinnerung erzählte, von der Sanji nichts wusste. „Glaubst du…“, murmelte Chopper ohne ihn anzusehen, „Könnte es vielleicht sein, dass Ruffy Recht hat?“ Müde schloss der Koch für einen Moment die Augen. Was sollte er auf so eine Frage antworten? Wer wollte bei diesem flehenden Blick nicht einfach nur das Blaue vom Himmel beschwören? Am liebsten würde er seinen jungen Freund in den Arm nehmen und ihm versprechen, dass der verdammte Marimo eines Tages wieder vor ihnen stehen würde. „Chopper…“, seufzte er. „Könnte es nicht wirklich sein“, begann dieser verzweifelt, „dass Zorro überlebt hat? Ich meine, er ist so stark. Wenn, dann schafft es Zorro.“ „Ach, Chopper…“ „Und wahrscheinlich“, die Stimme des Rentiers zitterte mittlerweile vor verschluckten Tränen, „hat er sich einfach nur verlaufen und ist auf dem falschen Schiff gelandet. Vermutlich ist er jetzt irgendwo im North Blue und denkt, er hätte die Fischmenscheninsel schon gefunden.“ Sanji legte den Löffel weg. „Das könnte doch sein, oder Sanji?“ Seine Stimme brach, während einzelne Tränen im Fell versickerten. Der Blondschopf biss sich auf die Unterlippe. „Nein, Chopper.“ Was hasste er sich in diesem Moment. „Nein, das ist nicht möglich. Zorro ist tot.“ „Aber Ruffy sagt doch…“ „Ruffy war ohnmächtig“, unterbrach er den schwachen Einwand, „Chopper, du hast es mit deinen eigenen Augen gesehen. Du hast gesehen, wie er mit dem Turm gefallen ist.“ Seine Stimme wurde noch rauer und er gierte nach seinem Nikotin. „Ja, aber vielleicht hat er es doch geschafft. Schließlich hat man… ihn nicht gefunden.“ Diese pure Verzweiflung nach einem dünnen Faden Hoffnung. „Was sagt dir denn dein Fachwissen, Chopper? Er hatte eine klaffende, entzündete Wunde die komplette Seite hoch, einen hohen Blutverlust, vermutlich ein Schleudertrauma, unglaublich viele Fleischwunden, möglicherweise eine Rauchvergiftung und dann noch das Feuer und der einstürzende Turm. Er konnte kaum noch stehen, geschweige denn Laufen. Sag mir, Doktor, kann das jemand, selbst wenn sein Name Lorenor Zorro ist, überleben?“ Chopper antwortete nicht und das war auch gar nicht nötig. Sanji hatte das Gesicht des anderen gesehen, sah es jede Nacht in seinen Träumen. Wenn Zorro noch einen Weg zum Überleben gesehen hätte, hätte er ihn damals nicht so angesehen. „Es tut weh, Chopper. Ich weiß. Aber die Wahrheit zu verneinen macht es nicht besser.“ „Aber Ruffy…“ „Ruffy ist noch nicht soweit, um zu trauern. Er klammert sich an den letzten Rest Hoffnung. Aber er war nicht dabei, Chopper. Er weiß nicht, wie schwer Zorro verletzt war.“ Der kleine Arzt blickte traurig zu Boden. „Ich wünsche mir so, dass er irgendwie doch überlebt hat.“ „Ich mir auch…“ -Mihawk- Als er das Haus betrat, war es ruhig. Die dunklen Schatten begrüßten ihn schweigend. Leise zog er Mantel und Stiefel aus, erst dann fiel ihm der schwache Lichtschimmer, aus dem Wohnzimmer kommend, auf. Im Türrahmen blieb er stehen. Auf dem Sofa lag Lorenor, offensichtlich am Schlafen. Mittlerweile trug er nicht mehr das lange Abendkleid, sondern ein übergroßes, schwarzes, trägerloses Top und eine dunkelgraue, lange Hose. Ein nackter Fuß lag halb stehend auf dem Boden, ebenso wie eine Hand. Die andere Hand lag zwischen den Seiten eines Buches, der Kopf ruhte müde auf dem Unterarm, während die zum Zopf geflochtenen Haare über die Schulter hinweg zu Boden pendelten. „Willkommen daheim, Herr“, grüßte ihn eine sanfte Stimme hinter ihm. Er wandte sich nicht um, sondern betrachtete weiterhin seinen Gast. „Sie hat die ganze Nacht auf Euch gewartet“, murmelte Kanan und gesellte sich zu ihm an den Türrahmen, „Ich konnte sie nicht dazu bewegen, ins Bett zu gehen.“ Dulacre schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Na, wenn sie meint.“ Und ging zur Treppe. „Herr?“ Die Stimme der Haushälterin ließ ihn inne halten. „Ist Euch bewusst, was dieser junge Mensch durchmacht?“ Langsam sah er sie an. „Natürlich.“ Sie hielt seinem Blick stand. „Es muss furchtbar sein, so ganz allein unter Fremden, hilflos und deren Wohlwollen ausgesetzt. Die Freunde zu vermissen und ihnen nicht nah sein zu können. Nicht einen Moment aufgeben zu dürfen, nicht einen Moment schwach sein zu dürfen.“ „Kanan…“ „Seit wann seid Ihr so schwach, dass ihr einen verzweifelten Menschen nicht aushalten könnt?“ Diese Anklage traf ihn unvorbereitet. „Ich bin nicht schwach!“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß nicht, worüber ihr gestritten habt und es wird langsam zur Gewohnheit, dass ich dieses Kind weinend antreffe, aber sie hat den Abend hier auf Euch gewartet, um sich zu entschuldigen. Sie ist nicht weggelaufen, während Ihr Euch die Nacht irgendwo rumtreibt.“ „Sie tun ja gerade so, als ob es meine Schuld wäre. Ich schulde Loreno…ihr nichts, verstanden? Sie bat mich um Hilfe, deswegen bin ich nur noch hier. Nur aus Gutmütigkeit habe ich diese verfluchte Insel noch nicht verlassen. Es gibt nichts, aber auch überhaupt nichts, das mich verpflichtet, auf dieses Kind aufzupassen und wenn Loreen sich nicht benehmen kann, muss ich mir das nicht antun.“ Wütend zischte er sie an. Wie konnte sie sich nur erlauben, ihn für seine Entscheidung belehren zu wollen? „Keine Verpflichtungen? Und was ist mit Eurer Ehre als Mihawk? Ihr habt sie aufgenommen, somit tragt Ihr die Verantwortung für dieses Mädchen. Ganz gleich, wer sie ist.“ Er antwortete nicht. „Ihr habt versprochen, sie zu trainieren. Ihr habt versprochen, sie zu beschützen. Anscheinend sind Eure Versprechen nichts mehr wert. Es scheint, als hätte ich in meiner Erziehung versagt, aber ich hatte doch zumindest geglaubt, dass Eure Schwester mehr Erfolg darin gehabt hätte, Euch zu einem ehrhaften Schwertkämpfer auszubilden.“ „Halten Sie Sharak daraus!“ „Nein! Mir ist bewusst, wie schwer es für Euch sein muss, wieder hier zu sein, wieder in diesem Haus zu leben. All diese Erinnerungen sind hier begraben. Aber verflucht noch eins, diese Erinnerungen sind vorbei! Eure Schwester und Eure Mutter sind tot. Was ist Vergangenheit. Aber dieses Kind lebt und kann nur mit Eurer Hilfe nach Hause gelangen. Und Ihr lebt! Mein Gott, ich habe Euch noch nie so lebendig erlebt, wie in den letzten Tagen.“ Die Haushälterin atmete schwer aus. „Ihr glaubt zwar, dass dieses Kind auf Euch angewiesen ist, aber vergesst ja nicht, dass auch Ihr auf Loreen angewiesen seid. Ich gehe jetzt die Scherben aufräumen und dann schlafen.“ Wütend stapfte sie an ihm vorbei. „Wieso mischen Sie sich ein? Woher wollen Sie das alles wissen?“, fragte er sie recht überrumpelt, doch sie wandte sich nicht um. „Ach bitte, ich lebte hier schon lange, bevor Ihr geboren wurdet. Es gibt nichts, was ich nicht weiß.“ -Zorro- „Aufstehen!“ Kalt begrüßten ihn die harten Worte. Verschlafen öffnete er die Augen. Er war im Gästezimmer. Vor ihm stand der verschwommene Schatten des Samurais. „In zehn Minuten unten im Trainingsraum. Komm nicht zu spät!“ Mit diesen herzlichen Worten verschwand der andere zugleich wieder. Aber immerhin war Zorro jetzt wach. Etwas verwirrt sah er sich im Gästezimmer um. Er war sich sicher, im Wohnzimmer eingeschlafen zu sein, nachdem er Ewigkeiten auf den Samurai gewartet hatte. Der vergangene Abend war wirklich verwirrend für ihn gewesen. Dass der andere bei einem kleinen Streit schon Reißaus nehmen würde, hatte er nicht für möglich gehalten. Eine Sekunde betrachtete er seine linke Hand, doch die vielen kleinen Schnitte waren bereits gut verheilt. Er musste weiter machen, er durfte nicht aufgeben, er musste kämpfen. Seine Alarmglocken schrillten. Was würde ihn nun erwarten? Was hatte Falkenauge mit ihm vor? Punkt auf die Sekunde stolperte er in den Trainingsraum. Wie erwartet, stand der andere schon da, ihm den Rücken zugewandt. „Du machst gute Fortschritte.“ Kühl hallten die Worte im Raum wider, machten deutlich, dass dies kein Kompliment sein sollte. Eine beunruhigende Spannung lag in der Luft. „Daher fangen wir heute mit dem echten Training an.“ Im nächsten Moment wich Zorro zur Seite, als ein silbernes Geschoss gezielt auf ihn zuraste. Er konnte genau spüren, wie der Luftzug seine Wange aufriss. Noch im selben Atemzug riss er seine Hand nach oben und packte zu. Das, was der Samurai nach ihm geworfen hatte, war ein Schwert. Bebend pulsierte es gegen seine Finger als er es festhielt. Im Spiegelbild der Klinge konnte er den blutigen Riss auf seiner Wange sehen, während einzelne Blutstropfen wie schwere Tränen hinab liefen. „Dieses Schwert“, sicherte sich der Ältere wieder seine Aufmerksamkeit, „heißt Josei und ist eines der zwölf Drachenschwerter.“ Gebannt starrte Zorro auf die Waffe in seiner Hand. Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Schwert gehalten. Er konnte seine Macht förmlich spüren, während die Energie von Klinge und Griff durch seine Finger hindurch, den Arm hinab strahlte. Er wusste, dass diese Waffe kein gewöhnliches Schwert war. Langsam betrachtete er den Griff unter seinen dünnen Fingern. Die leuchtend rote Seide war beinahe heiß unter seiner Haut und schien sich leise zu winden, während das nicht minder leuchtende Blau der Rauten versuchte eine beruhigende Kühle auszubreiten. Es schien, als würde das Schwert mit sich selbst um Kontrolle kämpfen, während es förmlich vor Zorn brodelte. „Josei ist eines von den sogenannten Zwillings-Drachenschwertern. Gegen seinen Bruder, Dansei, hast du ja bereits gekämpft, wenn ich mich recht erinnere.“ Überrascht sah er den Samurai an. Doch dann erinnerte er sich an die unglaubliche Kraft, die so konträr zu der Energie in seiner Hand war. „Homura“, murmelte er, während er an das Katana mit blauer Seide und roten Rauten dachte, dessen scharfe Klinge ihn vor gar nicht allzu langer Zeit einmal komplett aufgeschlitzt hatte. „Korrekt“, antwortete der Samurai kühl, „Während Dansei nur für ruhige Hände geeignet ist und jegliche Wut vermeiden will, ist Josei ein äußerst herrisches Schwert. Es ist unmöglich dieses Schwert zu kontrollieren, wenn man ihm nicht vollkommen vertraut und sich seinem Willen beugt. Diese Klinge giert nach Blut und ist äußerst gefährlich. Allerdings sollte das für dich nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches sein, schließlich gehört dir das Kitetsu der dritten Generation. Du solltest jedoch nicht davon ausgehen, dass dein Kitetsu auch nur ansatzweise mit einem Drachenschwert vergleichbar ist.“ Für eine Sekunde starrten sie einander an. „Warum erzählst du mir das alles?“, fragte er zweifelnd. Der Samurai seufzte: „Denk doch einmal nach; als Schwertkämpfer brauchst du eine Waffe. Dieses Schwert übergebe ich heute in deinen Besitz. Sobald du es gemeistert hast, wird es dir gehören. Aber merke dir, dass es nicht für deinen Drei-Schwerter-Stil geeignet ist. Josei erträgt keine anderen Götter neben sich.“ Zorro schluckte. Nachdem gestrigen Streit hatte er schon damit gerechnet, dass der andere ihn rauswerfen würde und nun wollte er ihm eines der mächtigsten Schwerter der Welt geben, einfach so? „Willst du mich verarschen?“ „Also ich hatte da doch mit etwas mehr Dankbarkeit gerechnet“, antwortete Dulacre kühl. „Verstehe ich es richtig, dass du mir einfach so eines der zwölf Drachenschwerter schenkst?“ Er konnte es kaum glauben. „Falsch.“ Es wäre ja auch nur zu schön gewesen. „Du scheinst mir nicht zuzuhören, Lorenor. Ich kann dir dieses Schwert nicht schenken. Josei entscheidet selbst, wer es besitzen darf und wer nicht. Wenn du es meistern kannst, darfst du es behalten, ansonsten nicht, da es dich töten würde.“ Mit einem Grinsen betrachtete Zorro seine neue Waffe. „Ich mag Herausforderungen“, murmelte er und wischte sich das Blut von der Wange. In diesem Moment öffnete sich die Tür, eine selten ruhige Kanan kam herein. Verwirrt sahen die beiden Schwertkämpfer zu ihr hinüber. Bisher hatte sie noch nie das Training gestört. „Mein Herr? Es ist wichtig.“ Ihre Stimme war ungewöhnlich leise. Der Samurai nickte. „Wiederhole die Übungen von gestern Vormittag nun mit dem Schwert. Wenn du merkst, dass es zu schwierig ist, gehe zurück zu den Grundpositionen. Überfordere dich nicht. Genauigkeit und Präzession gehen vor Schnelligkeit. Ich bin gleich wieder zurück.“ Im Vorbeigehen reichte der Ältere ihm noch die Scheide seiner neuen Waffe. Sie war in einem feurigen Rot gehalten, welches zum besseren Halt mit blauer Seide verziert wurde. Dulacre hatte bereits den Raum verlassen, doch Kanan stand immer noch da und starrte ihn beinahe fassungslos an. „Josei“, flüsterte sie den Namen des Schwertes beinahe mit Ehrfurcht. Der Grünhaarige drehte sich zu ihr und sah sie fragend an. „Sie kennen dieses Schwert?“ Er hatte sie nicht für eine Kriegerin gehalten. Sie nickte. „Natürlich, es gehörte der jungen Herrin.“ -Mihawk- Er wunderte sich, wo die Haushälterin blieb. Wenn es so wichtig war, dass sie sogar ihre Trainingseinheit unterbrach, konnte sie wenigstens den Anstand besitzen, ihm zu sagen, was denn so dringend sein musste. Sie war doch diejenige gewesen, die ihm zu diesem Schritt gedrängt hatte und nun würde er die ersten Schritte seines Schülers zu einem wahrhaftigen Schwertmeister verpassen. Seine Geduld wurde bereits jetzt auf die Probe gestellt und er betete für Kanan, dass sie einen guten Grund hatte. Mit nackten Füßen stampfte er den Flur hinunter, während er seine Haare zurückstrich. Gerade richtete er seinen Kragen, eine unnötige Angewohnheit, die er immer nach dem Training vollzog, als er stehen blieb. Ungläubig starrte er zur Haustür, während die Welt alle Farbe verlor. Als würde eine längst vergessene Erinnerung gegenwärtig, sah er, wie die Vergangenheit wieder Realität wurde. „Was willst du hier?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)