Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 15 - Die Bilder ----------------------- Kapitel 15 – Die Bilder   -Mihawk- Links! Rechts! Atmen! Ja, das wäre zwischendurch gar keine schlechte Idee. Stopp! Wütend blieb er stehen. Wütend auf sich selbst. Dann atmete er erst einmal aus. Dulacre stand mitten im Wald von Sasaki. Seit etwa einer halben Stunde folgte er den verschlungenen Wurzelpfaden in die Tiefen der Insel. Seit etwa einer halben Stunde ärgerte er sich über die Sorge, die ihn plagte. Vor gar nicht einmal so langer Zeit war er über die Grand Line gereist, war von der Welt und ihren Krankheiten so gelangweilt gewesen, dass er aufgehört hatte, nach einem Sinn zu suchen. Zu dieser Zeit, war er seinem Alter weit voraus gewesen, denn nichts, absolut nichts war in der Lage gewesen ihn zu erschüttern. Ein Blick in die Zeitung und er hatte gewusst, welche Entwicklungen die Welt in den nächsten Jahren durchmachen würde. Denn er hatte bereits genug erlebt für die nächsten zehn Leben. Die Welt hatte ihm nichts mehr bieten können, hatte ihn nicht mehr überraschen können. Zumindest hatte er das geglaubt. Und dann war Lorenor Zorro aufgetaucht. Aus dem Nichts erschien der arrogante Grünschnabel mitten im schwächsten Meer der Welt. Er hatte nicht damit rechnen können, dass ausgerechnet im East Blue ein so vielversprechendes Talent heranwachsen würde. Er hatte nicht damit rechnen können, dass ausgerechnet in jenem Moment ein ungeschliffener Diamant vor seine Füße rollen würde. Aber das, was ihn damals aufgeweckt hatte, was die Grundfeste seiner Welt in ihren Tiefen zum Erbeben brachte, war nicht das Talent des Jungen, oder die Schwertfertigkeit des Dämonen des East Blues gewesen. Nein, das, was die Glut in seinem Herzen zu neuem Feuer angefacht hatte, war die Gesinnung des anderen gewesen. Die Einstellung sich selbst und der Schwertkunst gegenüber. Der Junge aus dem East Blue war der erste gewesen, der erste Mensch, der seine Ansicht teilte, ohne dass sie sich je vorher begegnet waren. In jener Sekunde, als der andere sich mit ausgestreckten Armen zu ihm umgedreht hatte, breit lächelnd, respektvoll und fordernd zugleich, in genau diesem Augenblick waren die Ketten der Rationalität von ihm abgefallen. Als hätte jemand vor seinem inneren Auge die Filter weggenommen, sah er die Welt plötzlich wieder in Farbe, ein leuchtendes Grün der Hoffnung. Eine Hoffnung auf eine Zukunft. Auf einmal war da etwas, war da jemand, der eine Unberechenbarkeit in sein Leben brachte. Alle Konstanten seines Lebens waren in dieser Sekunde erschüttert worden, durch das Licht eines einzigen Kindes. Er war wegen einem uninteressanten Auftrag in den East Blue gekommen, hatte diese öde Aufgabe seinen faden Alltag unterbrechen lassen. Sie war es nicht mal wert gewesen, sie als nervig zu empfinden, doch vor Langeweile hatte sie ihn nicht bewahren können. Aber als er den East Blue verlassen hatte, war er ein anderer Mann gewesen, als wäre er in diesem Aufeinandertreffen mit dem Schwertkämpfer der Strohhutpiraten, was man noch nicht einmal als einen richtigen Kampf bezeichnen konnte, wiedergeboren worden. Seit jenem Tag hatte diese trostlose Welt wieder Farbe bekommen, hatte das Feuer seines Herzens wieder Zündstoff bekommen. Er hatte wieder geatmet, er hatte wieder gelebt. Nur wegen eines Jungens, der die Seele der Schwertkunst verstanden hatte, ohne überhaupt zu wissen, dass sie da war. Dulacre selbst war nicht bewusst gewesen, was der junge Mann in ihm erweckt hatte. Er selbst hatte nur zu gerne die Anzeichen ignoriert, hatte ignoriert, wie er immer mehr Hoffnung, Vertrauen und auch Glauben in den anderen steckte. Er hatte darauf gebaut, dass der andere nicht aufhören würde zu wachsen, bis er ihn eines Tages würde besiegen können. Und dann war dieser Bastard einfach gestorben! Der einzige, der ihn vielleicht je verstehen würde, der ihn vielleicht je besiegen konnte, war einfach gestorben und hatte ihn zurückgelassen in dieser farblosen Welt. Doch es war schlimmer, als vorher, denn nun wusste er, wie das Leben schmecken konnte. Bevor er jedoch in seinem Selbstmitleid der Einsamkeit versinken konnte, war da dieses Mädchen aufgetaucht, dieses Mädchen, dessen Körper er mit seinem kleinen Finger töten konnte, aber dessen Willen er wohl nie brechen könnte. Dieses Mädchen war Lorenor. Dieses Mädchen hatte erneut diesen kleinen Funken in ihm erweckt, hatte dann selbst sein Feuer immer mehr geschürt, sodass es ihm nun unmöglich war, diese Flammen wieder zu ersticken. Nachdem er Lorenor im East Blue getroffen hatte, konnte er Farben sehen, nun konnte er diese Farben selber gestalten. Dieses Kind, weise und naiv zugleich, hatte etwas in ihm verändert, ohne es auch nur selbst zu merken. Hatte ihn aufgeweckt, aus seinem jahrelangen Schlaf. Hatte ihn befreit, aus seinen kalten Ketten. Hatte die Gefühle, die tief in ihm vergraben waren, frei gelassen. Hatte ihm etwas gegeben, was man sich nicht nehmen konnte. Hatte ihm genommen, was er nie haben wollte: Seine Einsamkeit. Dulacre wollte nicht mehr alleine sein, in dieser Welt. Er hatte so viel verloren, so viel aufgegeben, so viel loslassen müssen. Seine Schwester, seine Crew, seine Freunde. Das einzige, was diese gottverdammte Welt ihm geschenkt hatte, war dieser nervtötende Junge. Dieser Junge, der wohl der einzige war, der ihn je verstehen konnte. Er wusste nicht, welches Wunder oder welcher Fluch dafür verantwortlich war, dass Lorenor Zorro nach dessen Tod in seinem Leben aufgetaucht war. Doch er wusste, dass, wenn es nicht genauso gekommen wäre, er immer noch in dieser Einsamkeit gefangen wäre. Mit nichts mehr als der verzweifelten Hoffnung, dass ihn vielleicht eines Tages irgendwer besiegen würde. Dass er noch einmal einen guten Kampf führen würde. Aus diesem Grund war es für ihn ganz einfach geworden. Er würde Lorenor Zorro beschützen. Er würde nicht loslassen, was der andere ihm gegeben hatte und er würde nicht zulassen, dass er ihn verlieren würde. Der Junge aus dem East Blue würde sich eines Tages seinen Titel holen, da war er sich ganz sicher und bis zu diesem Zeitpunkt würde er auf ihn aufpassen. Er würde diesen würdigen Traum des anderen wahren. Niemand durfte ihm seine Zukunft stehlen! Allmählich verstand er, was sein rothaariger Freund ihm damals hatte erklären wollen. Erst jetzt konnte er sehen, was dieser unbesonnene Trunkenbold schon vor so vielen Jahren gewusst hatte. Diese Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Es waren gute Gedanken, klare Gedanken. Dulacre hatte seine Gefühlswelt geordnet. Er verstand nun, warum er handelte, wie er handelte. Aber er empfand sein eigenes Verhalten nicht für angebracht. Emotionen hin oder her. Wenn er es nicht schaffen würde, einen kühlen Kopf zu bewahren, würde er sein schärfstes Schwert einbüßen, seinen Verstand. Also atmete er erneut tief durch und sah sich um. Der Weg zum Strand war leer gewesen. Keine auffälligen Fußabdrücke oder anderweitige Spuren. Die Klippen, an denen man möglicherweise als guter Seemann ankern konnte, waren verlassen gewesen und auch hier war die Natur ungestört gewesen. Daher durchforstete er nun den Wald. Leise eilte er zwischen Wurzeln und Moos vorwärts, ohne dass seine eleganten Schritte auch nur ein Geräusch machten. Er rief den anderen nicht, denn dadurch würde er nur die Aufmerksamkeit der Entführer auf sich ziehen. Doch das, was ihn am meisten sorgte war, dass er niemanden im Wald wahrnehmen konnte. Jemand, der Lorenor überwältigen konnte, selbst wenn dieser eine Frau war, konnte gar nicht so schwach sein. Mal ganz abgesehen davon, dass er auch seinen Schützling nicht spüren konnte. Er hatte vorher noch nie genau darauf geachtet, aber hatte er seine Präsens je wahrnehmen können? Damals im East Blue mit Sicherheit, aber seit dessen Tod? Dulacre war sich da unsicher, immerhin hatte er dessen stechenden Blick immer bemerkt. Diese Überlegungen ignorierend schlich er weiter wie eine Katze durchs Unterholz. Viel Zeit konnte seit seinem Aufbruch noch nicht vergangen sein, aber mit jedem Schritt wuchs seine Gewissheit, dass der andere, auf welchem Weg auch immer, die Insel verlassen haben musste. Vor seinem inneren Auge wurde das grüne Licht der Hoffnung schwächer. Mit einem Mal hallte ein tiefes Grollen durch den Wald. Mit panischen Augen blieb er stehen. Das war’s dann wohl mit seinem Raubtierverhalten. Innerlich schollt er sich dafür, dass er sich vor seinem Aufbruch nicht doch noch einen Moment Zeit genommen hatte. Bis auf die Tasse Kaffee am Morgen des bereits vergangenen Tages, hatte er noch nicht die Möglichkeit gehabt, etwas an Nahrung aufzunehmen. Nun rechnete sein Körper mit ihm ab. „Mann, das war ja laut. Ruffy bist du das?“ Hektisch wirbelte Falkenauge herum. Hinter ihm stolperte eine unverkennbare Gestalt aus dem Dickicht. Überrascht und doch leicht lächelnd stand Lady Loreen vor ihm in einem roten Kleid mit schwarzer Jacke, wie aus dem Ei gepellt. „Wo kommst du denn her?“, entkam es dem Samurai atemlos. „Du warst das? Meine Güte, das hätte…“ „Was ist passiert?“, unterbrach er das unwichtige Gebrabbel des Jüngeren, während er die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückte. Verwirrt sah ihn der Pirat an. „Was soll denn passiert sein? Ich soll nur ein paar Sachen für Kanan abholen, deswegen bin ich hier.“ Ungläubig sah Dulacre den anderen an. „Aber das war doch vor über vier Stunden!“ Er verstand nicht, was hier vor sich ging. „Ja, die Wegbeschreibung von Kanan war aber auch schlecht“, murrte der andere recht knittrig. Mit dem Tempo eines Wasserfalls verließ das Adrenalin den Körper des Älteren, der sich leicht verzweifelt den Hut abnahm und durchs Haar strich. „Du willst mir also erklären“, setzte er kopfschüttelnd an, „dass du es geschafft hast, dich zu verlaufen, obwohl es vom Haus nur zwei Wege gibt, einen zum Strand und einen ins Dorf hinein?“ Wütend stemmte die Frau vor ihm die Hände in die Hüften, eine wirklich weibliche Pose, wie ihm nebenbei auffiel. „Ich hab mich nicht verlaufen. Wie gesagt, Kanan hat mir nicht…“ „Du musst doch nur geradeaus gehen, Lorenor! Was kann an so einer Wegbeschreibung schwer sein? Ich fass es ja nicht!“ Fassungslos wandte er sich um, atmete tief durch. „Weißt du eigentlich, was Kanan sich für Sorgen macht? Sie dachte du wärest entführt worden, oder schlimmeres.“ „Was?“, kam es belustigt von seinem Wildfang, „Warum sollte mich jemand entführen? Die würden mich nach drei Minuten wieder laufen lassen.“ Lorenors leises Lachen erfüllte den Wald. „Wenn ich sie solange am Leben lassen würde.“ Immer noch den Kopf schüttelnd stemmte der Schwarzhaarige die linke Hand gegen einen Baum, diese unbesonnene Arroganz gepaart mit kindlicher Naivität war zu viel für ihn. „Du machst mich echt fertig.“ Erneut grummelte sein Magen wie eine aufgebrachte Gewitterwolke. „Wegen deinem mangelhaften Orientierungssinn eile ich hier völlig sinnlos durch den Wald.“ „Na, immerhin hab ich dich gefunden.“ „Du hast mich gefunden?!“ Wütend wirbelte er herum. „Hier.“ Ein ungewohnt sanftes Lächeln hatte sich auf die Lippen des verzauberten Piraten gestohlen, während er ihm einen märchenhaft roten Apfel hinhielt. Allein der Anblick des schönen Obststücks löste bei seinem Magen schon wieder eine Rebellion aus. Wütend starrte Dulacre auf den Verräter hinab. „Jetzt nimm ihn schon, bester Schwertkämpfer der Welt.“ Er war sich nicht ganz sicher, ob der andere ihn besänftigen wollte oder sich lustig über ihn machte. Da der Hunger mittlerweile aber groß genug war, griff er schließlich nach dem Objekt der Begierde und biss hinein. Ein Apfel hatte noch nie so gut geschmeckt. „Danke“, murmelte er im Ton einer Beleidigung. „Bitte“, antwortete der Jüngere, immer noch grinsend. „Was bist du nur so gut gelaunt? Bist du nicht Stunden durch den Wald geirrt und müsstest noch genervter sein als ich?“, fragte er zwischen zwei Bissen. „Warum musstest du nach Suzuno?“, antwortete der andere mit einer Gegenfrage ohne ihm wirklich zuzuhören. Lorenor hatte sich bereits wieder umgedreht und war drauf und dran im Dickicht erneut verloren zu gehen. „Wo willst du bitteschön hin? Das Haus ist da lang.“ Er packte den anderen an der Schulter und deutete in die andere Richtung. Herablassend sahen ihn diese verfluchten grünen Augen an. „Wärest du bitte so freundlich, meine Frage zu beantworten? Außerdem muss ich erst noch ins Dorf, Kanans Ware abholen.“ Mit einem lauten Knall schlugen die Überreste des Apfels gegen einen nicht weit entfernten Baum, durchbrachen ihn wie ein Kugelgeschoss und flogen durch zwei weitere. Von der Kraft des Aufpralls wankten alle drei Getroffenen bedrohlich, ehe sie schließlich kraftlos umkippten. Für einen Moment bebte die Erde, als die drei Riesen zu Boden gingen. Endlich stand eine gewisse Überraschung auf diesem kindlichen Gesicht und endlich hielt Lorenor mal seinen vorlauten Mund. Doch wirklich glücklich war Dulacre darüber nicht, schließlich war er gerade derjenige, der schon wieder emotional wurde. Aber immerhin hatte er jetzt erst mal die Aufmerksamkeit von seinem Wildfang. „Wärest du so freundlich mir einfach mal zuzuhören? Unglaublich, dass ich dir das immer wieder sagen muss, ich bin nicht dein Vater, kapiert?!“ Der Zorn in seiner Stimme war genug um den aufsteigenden Widerspruch des Kindes im Keime zu ersticken. „Also Erstens: Das Dorf ist westlich von hier, das heißt, du gehst trotzdem in die falsche Richtung. Zweitens: Ich hab dir vorher eine Frage gestellt, also bevor du mir etwas vorwirfst, halt dich selber dran und Drittens… Verdammt, ich bin so genervt von dir, dass ich den Rest vergessen habe.“ Er war todernst, als er das sagte und ihm war wirklich nicht nach Scherzen zumute, aber selbst er konnte nicht verhindern, dass er leicht grinsen musste, als sich der verschreckte Gesichtsausdruck des Piraten in ein Lachen verwandelte. „Komm, wir gehen.“ Dulacre packte den anderen recht grob am Oberarm und dirigierte ihn Richtung Dorf, nicht, dass er ihn wieder verlieren würde. Der andere wehrte sich kaum und versuchte mit seinen Schritten mitzuhalten. „Okay, ich hatte einen Termin auf der Marinebasis von Suzuno. Jetzt bist du dran.“ -Zorro- Der Weg zum Dorf dauerte maximal zehn Minuten und Zorro fragte sich mehr und mehr, wie er es geschafft hatte vier Stunden in einem Wald zu verbringen, der offensichtlich nicht größer war, als ein Kriegsschiff. Aber es war ein guter Morgen, mit einer sommerlichen Wärme und obwohl er müde war von der vergangenen Nacht, genoss er doch das Gefühl seines Körpers nach dem Training. Jede Bewegung brachte seine Muskeln erneut zum Arbeiten, jeder Atemzug ließ ihn wissen, dass er stärker wurde. Er liebte dieses Gefühl. Dieses Training hatte ihn bereits unglaublich weit gebracht, ohne dass er seinen eigenen Körper hatte bestrafen müssen für seine Schwäche. Er war dankbar. Seit dem vergangen Tag auf Sarue machte er endlich Fortschritte. Während seine kleinen Füße versuchten mit den langen Beinen des Samurais Schritt zu halten, unterhielten sie sich ruhig über die vergangenen Tage und über das, was vor ihnen lag, in diesen drei Wochen. Als sie zwischen den ersten Häusern auftauchten, wurden sie auch schon von dem geschäftigen Gewusel des Dorfes begrüßt. Arbeitende Menschen, rennende Kinder, laute Tiere und andere Geräusche füllten die Gassen. Verkäufer preisten ihre Waren an und die ersten Leute genossen ihre Mittagspause in der Sonne. Der kleine Brunnen in der Mitte des Marktes war augenscheinlich repariert worden, denn fröhliche Kinder spielten in durchnässten Klamotten zwischen den Wasserstrahlen, während aufgebrachte Mütter ihnen hinterherjagten. Erneut fielen Zorro die Blicke der anderen auf, doch diesmal war er sich ziemlich sicher, dass sie auf ihm lagen. Unwohl strich er sich eine Strähne zur Seite, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. Feindseligkeit konnte er zwar nicht vernehmen, aber trotzdem hatte er das Gefühl, als würden die hinter vorgehaltener Hand gesprochenen Worte über ihn urteilen. „Sieht aus, als wärest du eine kleine Berühmtheit geworden“, mutmaßte der Samurai und versteckte sein kaum merkliches Grinsen unter dem Schatten seines Hutes. „Was meinst du damit?“ Verwirrt sah er den anderen an. „Du liest nicht gerne Zeitung, oder?“, antwortete dieser mit einer Gegenfrage, doch er sprach direkt weiter ohne auf eine Antwort zu warten, „Eine weitere Unaufmerksamkeit, die du ablegen solltest. Es ist nie verkehrt zu wissen, was in der Welt passiert.“ Erneut versuchte er den anderen zu unterbrechen, ohne Erfolg. „Dann wäre dir vielleicht auch aufgefallen, dass in den vergangenen zwei Tagen ganze Fotocollagen von dir in der Zeitung zu sehen waren“, sprach der andere unbeeindruckt weiter. „Wie bitte?“ Das konnte doch nicht wahr sein. Der andere musste sich gerade einen Scherz mit ihm erlauben. Warum um Himmelswillen sollte irgendwer Fotos von ihm machen und dann auch noch in die Zeitung stellen? „Wieso das denn?“ Falkenauge zuckte mit den Achseln, während sie in eine Seitenstraße am Ende des Marktplatzes einbogen und bereits das Ladenschild des Verkäufers erblicken konnten. „Ich vermute, dein Auftritt auf der Versammlung hat für Aufsehen gesorgt. Nicht nur dein unerwartetes Eingreifen während der Versammlung sorgte dafür. Auch deine Erscheinung neben der Frau des Bürgermeisters war für viele vermutlich ein beeindruckender Anblick.“ Erst jetzt erinnerte sich Zorro daran, dass auch der alte Banri von so etwas gesprochen hatte, aber er hatte gedacht, dass es eher ein unbedeutender Schnappschuss während der Versammlung gewesen war, nicht mehr. „Natürlich macht ein unbekanntes, hübsches Gesicht umgeben von einflussreichen Menschen wie Eizen die Leute neugierig. Dementsprechend wurde auch unser Besuch auf Sarue bildreich dokumentiert. Mir scheint, als würde die Presse dringend versuchen die Aufmerksamkeit der Leute von etwas abzulenken und ein unschuldiges Mädchen wie du im Hause eines brutalen Samurai kommt da gerade recht.“ „Na ganz super“, murmelte Zorro nur als sie den Laden erreichten und hinein gingen. Nicht nur, dass er sich irgendwie mit seinem neuen Körper arrangieren musste, nein, jetzt würde es noch ganze Bilderreihen geben, die das verfolgen würden. Womit hatte er das verdient? „Guten Tag Herr Mihawk“, erklang eine raue, wenngleich freundliche Stimme. Der vom alter gebeugte Ladenbesitzer kam aus einem kleinen Raum hinter der Kassentheke. Als er Zorros Blick erwiderte, wurden seine Augen groß. „Oh, Lady Loreen!“, rief er freudestrahlend, „Ihnen geht es gut. Kanan hat hier schon mehrmals angerufen. Ist alles in Ordnung?“ Von Erleichterung überschwemmt eilte der alte Mann zu ihm und nahm seine kleinen Hände in die seinen. „Ich hätte mir nie verziehen, wenn einer jungen Frau wie Ihnen etwas passiert wäre, nur weil ich die Ware falsch bestellt habe.“ Zorro war überrascht von dieser Warmherzigkeit und Sorge eines Fremden, eines Menschen, dem es doch egal sein konnte, wenn ihm etwas passierte. Auf der anderen Seite konnte er sich vorstellen, dass man Kanan nicht unbedingt als Feind haben wollte und noch weniger Falkenauge. Spätestens seit er an der Seite des Samurais in der Zeitung aufgetaucht war, war es wahrscheinlich, dass die Dorfbewohner ihre Vermutungen anstellen würden. Er wohnte im Haus des Schwertkämpfers, dessen Vorfahren diese Inselgruppe bevölkert hatten und besuchte mit diesem die verschiedenen umliegenden Inseln, obwohl dieser normalerweise nicht mehr Zeit als nötig in seinem Elternhaus verbrachte. Natürlich würden die Leute eins und eins zusammen zählen und zu ihren Schlüssen kommen. Wenn er so darüber nachdachte, war er also entweder die verschollene Tochter oder die neue Flamme. Am liebsten würde er sich irgendwo übergeben gehen. Wenige Minuten und einen Anruf beim Herrenhaus später verließen die beiden Schwertkämpfer wieder den kleinen Laden. Bis auf einen Korb mit Blumen trug Zorro nichts. Als gut erzogener Gentleman war es anscheinend unbedingt nötig, dass Dulacre den ganzen anderen Rest alleine trug. Mit einem Seitenblick auf den Samurai fragte sich der ehemalige Piratenjäger erneut, wie die Haushälterin von ihm erwartet hatte, das alles zu tragen. In seinem eigentlichen Körper wäre es vermutlich keine große Herausforderung gewesen, aber als schmächtiges Mädchen… Mittlerweile schien die Mittagssonne so stark, dass er entschied, die Jacke auszuziehen und über den Korb zu hängen. In ruhigen Schritten hatten sie sich auf den Rückweg begeben und diesmal sah Zorro sie auch. Manche versteckt mit Sonnenbrillen und hinter Zeitungen, andere ziemlich offensichtlich und ohne jede Scham: Reporter, sechs oder sieben an der Zahl. „Was wollen die?“, murmelte er so leise, dass nur der Samurai neben ihm seine Worte hören konnte. Dieser lachte. „Fotos machen. Das ist ihr Job.“ „Ja, aber warum sind denn so viele hier?“ Er bildete sich ein, das Klicken ihrer Kameras zu hören, dabei konnte er diese noch nicht einmal sehen. „Eine der Presse-Zentralen liegt auf dem Sabaody Archipel, dementsprechend wimmelt es hier immer von deren Mitarbeitern und wie gesagt, ich vermute, dass du sie neugierig gemacht hast.“ Die Stimme seiner Begleitung war gelassen, doch er konnte spüren, dass dies auch den anderen nervte. In diesem Moment unterbrach eine klagende Stimme das Dorf. Nahe dem Brunnen saß ein kleiner Junge mit kurzen lila Locken auf dem Boden und weinte herzzerreißend. Nun ja, oder eben nervtötend, je nachdem wie man so etwas sah. Doch das Kind richtete alle Blicke auf sich und hörte nicht auf zu weinen. Nach einem Moment seufzte Dulacre neben ihm frustriert. „Ich hasse weinende Kinder“, murrte er übertrieben angefressen, „Sie sind so nervig.“ Zorro konnte ihm nur zustimmen. Er verstand auch nicht, warum Mini-Menschen immer so viel heulen mussten. Auf der anderen Seite war er vielleicht nicht derjenige, der urteilen durfte, wenn er an die letzten Tage dachte. Mittlerweile waren die beiden Schwertkämpfer die einzigen, die noch ihrer Wege gingen, alle anderen starrten auf den Jungen, doch niemand schien sich ihm anzunehmen. „Bring ihn doch bitte einer zum Schweigen“, klagte der Samurai, nun noch theatralischer als zuvor, „Mach was, Lorenor! Ich krieg Kopfschmerzen.“ „Was erwartest du von mir? Soll ich einen kleinen Jungen um die Ecke bringen, nur damit du keine Kopfschmerzen hast?“, knurrte er zurück. „Mir egal. Wenn er dann ruhig ist.“ Auf ihrem Weg musste das ungleiche Paar direkt an dem schreienden Kind vorbei, das immer noch von anderen angestarrt wurde, ohne dass jemand half. „Halt den Mund, Bengel“, bellte Falkenauges Stimme den Jungen an, während dieser mit seinen scharfen Augen auf ihn hinab starrte. Für einen Moment hörte der drei-Käse-hoch wirklich auf zu weinen und sah ihn einfach nur an, dann verzog sich sein Gesicht in eine ängstliche Grimasse und er schrie nur noch mehr. Zorro seufzte: „Das hast du ja wirklich toll hinbekommen.“ Die umher stehenden Leute beäugten sie misstrauisch. Womit hatte er das verdient? Erneut seufzend schritt der verwunschene Pirat um seinen Gastgeber herum und stellte sich mit verschränkten Armen von den Jungen. „Er hat schon Recht. Männer sollten nicht weinen, weißt du?“, sprach er ruhig und kalt aus. Nun sah der Junge ihn an, wirkte nicht mehr so verängstigt, nun, da eine Frau mit ihm sprach. „Aber… aber…“, versuchte er zwischen Schluchzern zu widersprechen. Zorro wartete nicht darauf, dass der andere seinen Satz zu Ende brachte, sondern erhob gebieterisch die freie Hand, während am anderen Arm noch der Korb baumelte. „Wenn du etwas sagen willst, steh auf und sag es mir. Vom Rumsitzen und heulen wird es auch nicht besser.“ Wieder seufzte er als der Junge versuchte, die Tränen zu verhindern. Immerhin versuchte er es. Langsam schüttelte Zorro den Kopf, dieser Junge war wie Chopper, verdammt, was vermisste er diesen kleinen Arzt. Er ging etwas in die Knie und reichte dem Jungen seine freie Hand. „Na komm. Steh auf!“ Nach einem Moment ergriff das Kind seine Hand mit seinen rotztriefenden Fingern und zog sich hoch. Als er stand, zog er noch einmal die Nase hoch und schaffte es dann tatsächlich ihn anzugrinsen. „Gut, und nun sag mir, was passiert ist.“ Unauffällig wischte er seine seltsam feuchte Hand an der Jacke ab. Der Junge setzte an zu reden, doch eine laute Stimme ließ den Marktplatz zusammenzucken. „Kon! Was tust du denn hier?“ Eine Frau mit ebenso lila Locken wie der Junge, in einem engen schwarzen Kleid, eilte den Markt hinunter. „Mama!“, rief der angesprochene Junge und lief auf sie zu. In ihrem Armen brabbelte er irgendetwas ganz aufgebracht vor sich hin und verdrückte sich zwei Tränchen. „Das ist Houran, die Sekretärin von Herrn Koumyou“, murmelte Dulacre überrascht, während er ein paar Kisten von einem Arm auf den anderen lagerte, „Ich wusste gar nicht, dass sie schon Kinder hat.“ Eben genannte schollt gerade ihren Sohn, für sein weinerliches Verhalten. Dann erblickte sie die beiden Schwertkämpfer, griff ihren Schreihals an der Hand und kam auf sie zugeeilt. Wenige Schritte vor ihnen blieb sie stehen und verbeugte sich tief, wobei der Blick auf ihr tiefes Dekolleté nur schwer zu vermeiden war, selbst für Zorro. „Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, die Sie meines Sohnes wegen hatten, Herr Mihawk.“ Dann wandte sie sich dem Piraten zu und verbeugte sich noch tiefer. „Und ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit, Lady Loreen. Mein Sohn hat sich beim Spielen verletzt, aber natürlich ist das noch lange kein Grund zum Weinen. Es tut mir leid, dass ich nicht früher da war, aber ich bin noch am Arbeiten.“ Zorro schüttelte den Kopf und heftete seine Augen gezielt auf ihre Lockenpracht anstatt weiter unten nach etwas zu suchen. „Es ist doch alles in Ordnung. Ich hoffe, die Verletzung ist nicht schlimm.“ „Natürlich nicht. Kon, bedanke dich.“ Wie auf Knopfdruck verbeugte sich der Junge. „Vielen Dank.“ Dann verabschiedeten sich die beiden und gingen. Auch die beiden Schwertkämpfer folgten ihren Weg. „Das war seltsam“, murmelte Zorro. „Ja, aber ich bin mir sicher, dass da schöne Bilder bei rauskommen.“ Der Pirat wirbelte herum, als er die feixenden Worte des Samurais hörte. Diese grinste äußerst böse zwischen seinen Kisten. „Warte mal. Hast du das mit Absicht gemacht? Dich so beschwert? Damit ich mich um den Jungen kümmere?!“ Dulacre wanderte immer noch breit grinsend an ihm vorbei. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Lady Loreen.“ „Du kannst mich mal!“ Laut lachend schritt der Samurai weiter. Den ganzen Rückweg über fluchte das Mädchen schlimmer als jeder Seemann, während der hochgewachsene Mann leise vor sich hin summte. Im Haus angekommen wurden sie von einer höchst aufgelösten Kanan empfangen, die sich auf Zorro warf und ihn beinahe mit ihrem mütterlichen Busen erdrückte, während sie Freudentränen weinte. Die drei Anwesenden verbrachten über eine Stunde in der Küche. Kanan räumte die Waren ein und erklärte dabei lauthals, wie glücklich sie war, dass Zorro nichts passiert war. Falkenauge las die aktuelle Zeitung und ignorierte die beiden Damen gekonnt. Denn auch der Pirat beschwerte sich äußerst lauthals, während er die Zeitung der Vortage durchblätterte und die verschiedenen Bilder und Artikel betrachtete, die sich hauptsächlich mit seiner Beziehung zum Samurai und seinen Klamotten beschäftigten. Aber die Zeitung hatte ihm schon einen Titel verpasst, der anscheinend von seiner Umgebung schon stark benutzt wurde: Lady Loreen Irgendwann unterbrach der Samurai seine Schimpftirade und schlug ihm eine weitere Trainingseinheit vor, die er natürlich nicht ausschlagen konnte. Sie hatten sich gerade auf den Weg zum Trainingsraum gemacht, als die Haushälterin ihnen hinterherrief: „Herr, ein Anruf von Suzuno kam während ihrer Abwesenheit, es ging um…“ „Ignorieren Sie es. Ich habe jetzt keine Zeit mehr dafür.“ Und damit begann die nächste Unterrichtseinheit. 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