Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 14 - Der Weg -------------------- Kapitel 14 – Der Weg -Mihawk- Kopfschmerzen. Einfach nur Kopfschmerzen. Und er wusste noch nicht einmal warum. Eigentlich hatte er einen guten Tag gehabt. Er war früh aufgestanden, hatte einen wohlschmeckenden Kaffee getrunken, war mit seinem Schützling nach Sarue gefahren, wo dieser anscheinend einen möglicherweise funktionierenden Weg gefunden hatte, um vielleicht wieder ein Mann zu werden. Und auf dem Rückweg hatte er sich mit mehr Menschen über sein Liebensleben unterhalten als in den letzten zehn Jahren. Naja, auf Letzteres hätte er nur zu gerne verzichtet, aber es war nun mal so gekommen. Als sie wieder Zuhause gewesen waren, hatte Lorenor sich entschuldigt, um ein paar Stunden zu meditieren. Dementsprechend war er früh schlafen gegangen, nachdem er alle Einkäufe verstaut hatte. Eigentlich sollte heute somit ein gut gelaunter, ausgeschlafener Dulacre im Arbeitszimmer sitzen. Aber uneigentlich hatte er nun mal Kopfschmerzen. Am frühen Morgen wurde ein Paket mit Unterlagen über die vergangene Versammlung geliefert und da er höchstwahrscheinlich noch drei Wochen hier auf Sasaki bleiben musste, wäre es besser, wenn er das direkt erledigte. Den Hefter über den Fischfang hatte er desinteressiert direkt wieder weggelegt. Plötzlich klopfte es an der Tür. Kanan war wie immer überpünktlich. „Sie können rein kommen“, rief er ohne aufzublicken. Eine Sekunde passierte überhaupt nichts, dann pochte es erneut. Verwirrt blickte er auf. Erneut pochte es, dumpf, wie Holz gegen Holz. Im nächsten Moment knallte die Tür mit voller Wucht gegen die Wand. Im Türrahmen wankte der verfluchte Pirat mit einem vollbeladenen Tablett. Geschirr klapperte bedrohlich und es sah aus, als würde er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. „Was machst du da?“, rief der Samurai entgeistert und hechtete zum Grünschopf, ehe dieser den kompletten Kaffee über den Boden schütten konnte. Mit einer Hand fing er das Tablett auf, mit der anderen das Mädchen. „Was soll das werden, wenn du fertig bist?“ „Du bist doch der Idiot, der nicht die Tür öffnet! Da bring ich dir extra das Frühstück auf diesem Monstertablett hoch und du kommst noch nicht einmal auf die Idee mir die Tür so öffnen“, keifte das Mädchen zurück und befreite sich aus seinem Arm. „Wo bleibst du überhaupt? Du hast doch gesagt, dass wir heute weitertrainieren würden. Ich warte seit über einer Stunde unten darauf, dass du auftauchst!“, setzte der Pirat wütend hinterher. Dulacre wandte sich mit dem Tablett in der Hand um und setzte es relativ sanft auf dem Tisch ab. „Jetzt beruhig dich doch erst mal wieder. Woher soll ich wissen, dass du nicht wieder meditieren willst. Eine Trainingsmethode von der ich, offen gesagt, nicht viel halte“, unterbrach er die Tirade und schenkte sich etwas Kaffee ein. Eine zweite Tasse hielt er seinem Gast hin. „Außerdem habe ich noch eine Frage bezüglich dessen, was gestern vorgefallen ist.“ „Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht darüber reden werde“, murrte das Mädchen, schlug die Tür zu und nahm ihm die Tasse ab. „Hör mir doch erst mal zu“, entgegnete Falkenauge mit pochendem Kopf, „Ich sehe ein, dass du mir nicht erklären kannst, was mit dir passiert ist und wie du wieder deinen alten Körper erlangen kannst, weil das deine Rückverwandlung behindert. Ich will nur wissen, warum du so durch den Wind warst, nachdem du mit Banri, beziehungsweise Toutaku, gesprochen hast.“ Langsam ließ er sich wieder auf seinem Sessel nieder und zog sich die neue Zeitung heran. „Dass du auch nie abwarten kannst, ehe du losbrüllst. Diese unbesonnene Eigenschaft solltest du dir dringlichst abgewöhnen.“ „Ach, halt doch die Klappe“, knurrte Lorenor und hielt sich die Tasse an die Lippen. Bis auf die bösen Worte wirkte der Pirat wie das unschuldige Mädchen vom Lande. Auf nackten Füßen trug er eine knielange, enge schwarze Hose. Der Bund war verdeckt von einem weiten blauen Oberteil, welches bis zu den Ellenbogen ging. Drei lachende Sonnen prangten auf der Brust. Die Haarpracht war zu zwei Zöpfen geflochten, die wild umher tanzten. Und der Pirat sollte Recht behalten. Bis auf ein paar Blasen und Schürfungen an Zehen und Fußrücken schienen die Verletzungen komplett verheilt. Die Haut wirkte glatt und weich, als hätte sie nie gelitten. „Also?“, fragte der Samurai nach, während er die Zeitung aufschlug, „Was hat dich so verstört?“ Der Grünschopf antwortete nicht sofort, sondern trank erst mal in Ruhe seine Tasse leer, ehe er sich nachschenkte. „Er hat mir viel erklärt und erzählt.“ Der Jüngere seufzte leise. „Und dann musste ich die letzten Minuten meines alten Lebens noch einmal erleben.“ Überrascht sah Dulacre auf. „Aber darauf hätte ich wirklich gut verzichten können.“ Das Mädchen lächelte eine Spur zu breit und wandte sich dann ab. Die Stimme war etwas zu fröhlich, die Augen etwas zu sehr zusammengekniffen. Der Samurai seufzte leise, ein heikles Thema, das er da angeschnitten hatte. „Aber das ist doch…“ Er folgte den Augen des Grünschopfs. Der Pirat hatte seine Steckbriefsammlung entdeckt. „Du siehst“, sprach Mihawk mit einem leisen Grinsen in der Stimme, „Ich habe unseren Kampf von damals wirklich nicht vergessen.“ Das Abbild Lorenors, blutüberströmt, blickte böse grinsend auf sie hinab. „Also deswegen warst du gestern die ganze Zeit so abwesend?“, fragte er beiläufig ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Wen würde es nicht mitnehmen, wenn man einem Fremden von so einem Ereignis berichten musste? All das noch einmal fühlen musste? „Nein“, sagte sein Gegenüber kühl und ging auf sein eigenes Bild zu. Die Unterhaltung schien wieder einmal beendet, sodass der Schwarzhaarige sich nun der Zeitung zuwandte und seinem Gast die Möglichkeit gab, sich mit seinem Steckbrief auseinanderzusetzen. Viel schien in der Welt zu passieren, denn die Zeitung war verdächtig dick, doch das meiste davon schien aus Unwichtigkeiten zu bestehen. Fast die Hälfte der Blätter hatte er umgeschlagen als eine seltsame Überschrift seinen Blick fing. Weiß ist das neue Schwarz „Er hat mir das Leben gerettet.“ „Bitte was?“ Abgelenkt schaute er auf, als das Stimmchen seines Schützlings durch den Raum glitt. Der Pirat hielt sich mit der rechten Hand den linken Oberarm und sah weiterhin sein Foto an der Wand an. „Ich weiß, ich hätte über meinen Tod nachdenken sollen. Darüber ob es einen Grund gab, warum ich gestorben bin, warum ich jetzt hier bin. Aber alles, woran ich denken konnte, waren meine Freunde.“ Langsam wandte er sich dem Samurai zu. Seltsam ernst und unerwartet ehrlich war sein Gesichtsausdruck. „Ruffy hat mir damals das Leben gerettet, ohne, dass es mir bewusst war. Und er hat nicht nur mein Leben gerettet. Vor Ruffy wusste ich gar nicht, wie alleine ich gewesen war.“ Allmählich sahen ihn diese großen, grünen Augen an. Als wäre Dulacre der einzige, dem Lorenor die Wahrheit sagen konnte. „Sie sind meine Freunde, sie sind meine Familie. Vom absolut nervigen Koch bis zur ruhigen Robin. Ist es falsch, dass ich sie beschützen will? Dass ich keinen meiner Freunde verlieren will?“ Es war eine ernste Frage. Der Pirat hinterfragte seine Tat, er hinterfragte sein Opfer. Er fragte sich, ob er einen Fehler begangen hatte, ob er falsch gehandelt hatte, ob er sein eigenes Leben hätte retten sollen. Lorenor, lass mich dich beschützen Dulacre war aufgestanden. Dieser Gesichtsausdruck war ihm so vertraut. Bitte, lasst sie am Leben, ich tue alles was ihr wollt Er überbrückte die Distanz zwischen den beiden mit Leichtigkeit. Dieses Gefühl kannte er nur zu gut. Sie sind doch meine Freunde Behutsam legte er eine Hand auf die Schulter des anderen. Diese Zweifel waren auch einst die seinen gewesen. „Nein, ich verstehe dich. Ich würde auch alles für meine Freunde tun.“ Das Mädchen lachte, offensichtlich peinlich berührt über dieses emotionale Geständnis, und entzog sich Dulacres Berührung. „Da kann Jirou sich ja ganz schön glücklich schätzen.“ Auch Falkenauge lachte leicht, spürte wie ungesagte Worte zwischen ihnen eine ungewollte Spannung erzeugten. Wusste, dass das, was zwischen ihnen waberte, dem anderen kaum bewusst war, ihm dafür umso mehr. „Wir sollten jetzt mit dem Training beginnen. Nicht, dass du noch mehr unnötige Zeit vergeudest.“ Er nahm seinem Gast die Tasse ab und stellte das Geschirr auf das Tablett. Das Frühstück blieb unberührt, wie so oft. Mit einem Blick auf die Bilder unter der seltsamen Schlagzeile, schlug er die Zeitung zu. „Ich erwarte dich in zehn Minuten unten.“ Doch der Pirat hatte das Zimmer schon längst verlassen. -Zorro- „Ha..Ah…“ „Stell dich nicht so an! Noch mal!“ Schweiß tropfte auf die Fliesen zwischen seinen Fingern mit denen er sich abstützte, einzelne Haarsträhnen klebten an seinen Wangen, doch ihm fehlte die Kraft, sie wegzustreichen. Mit bebenden Muskeln stand er wieder auf. Biss sich trotzig auf die Unterlippe. Schwer atmete er. „Sind wir schon am Ende, Lorenor?“ Er schüttelte den Kopf und machte weiter. Wie viel Zeit vergangen war konnte er nicht sagen. Wie oft er zu Boden gefallen war, wusste er nicht. Wie lange Falkenauge ihn schon so anstarrte, interessierte ihn nicht. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Trainingseinheiten immer gleich abliefen. Er hasste es, dass er sich hier abmurkste und beinahe an seinem eigenen Atem erstickte, während der Samurai ihn einfach nur herablassend betrachtete, ohne sich auch nur einmal zu bewegen. Seit Stunden stand er da, gegen die Wand gelehnt und sah ihn einfach nur an. Am liebsten würde er ihm diesen kalten Ausdruck vom Gesicht runter schlagen. Nicht, dass er dazu in der Lage gewesen wäre. „Hab ich gesagt, dass du langsamer werden darfst? Beweg dich!“, schimpfte sein gegenwärtiges Objekt des Hasses. „Würde dir… ha ...auch …nicht schaden…“, knurrte er zwischen den brennenden Atemzügen. „Wie war das?“ Plötzlich stand der andere direkt vor ihm. Eine Hand gegen seinen eh schon schmerzenden Hals gedrückt, die andere Hand gegen die Wand in seinem Rücken gepresst. Wo kam denn diese Wand auf einmal her? Die verbliebene Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Seine Füße pendelten über den Boden. Einzelne Haarsträhnen wehten noch im Luftzug. Mit einem diabolischen Grinsen starrte der Samurai zu ihm hinab. Ganz langsam hob er ihn immer höher, ohne, dass er sich wirklich wehren konnte. Selbst für ein wütendes Wort fehlte ihm die Luft. Mittlerweile hing er gefühlte drei Meter über dem Boden und konnte nichts anderes tun, als hilflos zu dem anderen hinunter zu sehen. Seine müden Hände hob er hoch und drückte sie gegen die starken Finger, die ihn festhielten. Natürlich ohne, dass er sie auch nur eine Haaresbreite bewegen konnte. „Ach, hat die arme Zorroline etwa ein Problem?“ Noch nie hatte er die Stimme des anderen so böse erlebt. Der erste Schock legte sich langsam und ihm war bewusst, dass der andere weder aus unkontrollierten Gefühlen handelte, noch ihn irgendwie bestrafen wollte. Nein, es war wohl eine Lektion. Eine Übung für das echte Leben, den wahren Kampf, mit einem richtigen Gegner. Er zwang sich ruhig zu bleiben, während sein Körper immer mehr nach Sauerstoff schrie. Also, seine Hände waren nutzlos. Die Hand des Samurais war zu stark, sein Gesicht zu weit weg. Sich zu winden würde nichts bringen, der andere hatte ihn fest an die Wand geschnallt. Einen Moment schloss Zorro seine Augen, ignorierte den Kommentar des anderen. Dies war sein Augenblick. Er hörte, wie der andere erneut anfing zu reden. Jetzt! Mit beiden nackten Füßen stieß er sich von der Wand ab. Das linke Bein wollte er um den Nacken des anderen schlingen, während er den rechten Fuß in seine Nase rammen wollte. „Was willst du denn damit…Ah“ Mit voller Kraft biss er die Hand des anderen.  Die Beine waren nur eine Ablenkung gewesen, um das Kinn unter die ihn haltende Hand zu rutschen. Zum Glück hatte er als Frau eine so glatte Haut. Den Moment, den der andere verschwendete, um ihn überrascht anzusehen, nutzte er, um den linken Fuß Richtung Kiefer zu stoßen. Während die gelben Augen dorthin blitzten rammte er gleichzeitig die linke Hand vor den Ellenbogen des anderen und das rechte Knie in die Armbeuge. Er fiel zu Boden. Auf allen Vieren landete er, stieß sich mit beiden Füßen von der Wand hinter ihm ab und warf sich zwischen den langen Beinen des Samurais hindurch.   Im nächsten Moment rollte er sich ab und kam in Kampfstellung wieder zu stehen. Erst jetzt erlaubte er sich zum ersten Mal wieder zu atmen und konnte auch ein schwaches Grinsen nicht verhindern. Wie in Zeitlupe drehte sich sein Lehrmeister um. Ein fast schon zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht. „Das war gut.“ Die ersten lobenden Worte, die er je während dem Training von sich gegeben hatte. „Ich meine, natürlich war mir klar, was du vorhattest und keiner deiner Angriffe hätte im Endeffekt genug Kraft gehabt um mich dazu bewegen zu können, den Griff um deinen Hals auch nur ein bisschen zu lockern. Aber du warst innovativ. Hast relativ schnell deine unterlegene Stellung eingesehen und dir einen Fluchtplan überlegt. Ich glaube, das war das erste Mal, dass du deinen Körper wirklich richtig eingesetzt hast.“ Wie Schwefelsäure ätzten die Worte das Grinsen von seinen Lippen. Nein, er hatte nicht wirklich damit gerechnet, den anderen verletzten zu können, aber als dieser ihn fallen gelassen hatte, hatte er dann doch für einen Moment lang geglaubt, dass er es geschafft hatte. „Nur eine Frage hab ich noch.“ Noch war der Kampf nicht vorüber, er behielt die Spannung in seinen erschöpften Muskeln. „Selbstverständlich hatte ich gehofft, dass du den offensichtlichen Fluchtweg nehmen würdest. Aber was hättest du denn getan, wenn ich die Beine nicht so breit gestellt hätte?“ Er konnte spüren, wie diese Falkenaugen ihn förmlich unter die Haut gingen. „Ich wäre nach oben gegangen“, antwortete er schlicht und zum ersten Mal, konnte er einen perplexen Ausdruck auf dem Gesicht des besten Schwertkämpfers der Welt erkennen. „Wie nach oben? Hast du etwa bereits vergessen, was ich dir ganz am Anfang gesagt habe? Wo nach oben willst du hin?“ Wieder musste er grinsen. Mit dieser Antwort hatte der andere wohl tatsächlich nicht gerechnet, das gefiel ihm. „Nun ja, nach oben“, meinte er nur und deutete auf die Lendengegend des Samurais. Für einen Moment sah der andere ihn einfach nur an, folgte dann seinem Blick und schaute wieder auf. Plötzlich fing er lauthals an zu lachen und schlug sich selbst mit einer Hand auf den Oberschenkel. „Wirklich keine schlechte Idee und das obwohl du selbst ein Mann bist“, presste er zwischen zwei Lachern hervor. „Naja, du hast doch gesagt, ich soll das einsetzen, was ich habe. Ich habe nur die Waffen einer Frau zum Kämpfen und das Wissen eines Mannes, wo es wirklich weh tut.“ Zorro verstand jetzt nicht wirklich, was daran so lustig sein sollte, aber Dulacre lachte immer noch. „Du bist schon ein seltsamer Mann“, murmelte dieser, während er sich langsam beruhigte. „Hach…“ Laut atmete der Samurai einmal ein und aus. Dann wurde seine Miene wieder todernst. „Nun gut. Ich bin zufrieden. Wiederhol bitte die Übung vom Anfang nochmal für eine halbe Stunde und dann sind wir fertig für heute.“ „Ich kann noch länger. Komm schon!“ Falkenauge seufzte, während er auf ihn zukam und auf Schulterhöhe stehen blieb. „Also Erstens: In diesem Zusammenhang gerade, war deine Aussage alles andere als angebracht. Und Zweitens: Was hatten wir noch einmal besprochen? Wer ist hier der Lehrer und wer der Schüler? Ich dachte wir hatten ausgemacht, dass ich bestimme, wie lange du aushalten kannst, bis du selber in der Lage bist auf deinen Körper Rücksicht zu nehmen.“ Nach einer Sekunde nickte Zorro. „Okay, eine halbe Stunde, dann hör ich auf.“ „Fein gemacht“, lobte ihn der andere und ging zum Ausgang. „Hast du mich gerade wie einen Hund gelobt?“, fragte er und drehte sich um. Der Samurai hatte nur die Hand erhoben ohne stehen zu bleiben. „Ich hab dich als Streuner von der Straße aufgelesen, dir Essen gegeben und einen Namen. Ich finde, ich mach mich schon ganz gut als Herrchen.“ „Halt die Klappe!“, rief er ihm hinterher, während die Tür zuknallte und nur das schallende Lachen des Älteren zu ihm rüber hallte. „Was für ein Mistkerl.“ Ehe er schließlich den Trainingsraum verlassen konnte, war jedoch mehr als eine Stunde vergangen. Zum einen war er natürlich sehr erschöpft, was er aber nie zugeben würde, zum anderen hatte Kanan ihm ein rotes Kleid mit nur einem Träger und mit trägerlosem BH raus gelegt. Wieso bitte? Reichte es nicht schon, dass er Kleider trug? Er war völlig überfordert damit gewesen und hatte sich beim Anziehen gefühlt zehn Mal hingelegt. Das einzige Gute an dem Fetzen war, dass er nicht besonders lang war, weswegen er schwarze Leggings drunter hatte. Egal was er auch tat, die Haushälterin gab sich die beste Mühe, ihn immer schick raus zu putzen. Wenn es nicht so peinlich wäre, würde er es ja sogar recht lustig finden. Immerhin hatte er in den vergangenen Tagen vermutlich mehr verschiedene Klamotten angehabt als in seinem kompletten Leben und selbst die garstige Navigatorin an Bord der Thousand Sunny würde ihn um seine Auswahl beneiden, aber diesen Gedanken drängte er schnell aus seinem Kopf. Auch war er dankbar, dass Kanan seinen Wunsch akzeptiert hatte und sich von den Farben pink, rosa und wie sie nicht alle hießen, fernhielt. Dafür hatte er versprechen müssen, dass er nicht in einer Kamikaze-Aktion auf die Idee kommen würde, sich die Haare abzuschneiden und klaglos anziehen würde, was sie ihm rauslegte. Dieses Versprechen bereute er immer wieder aufs Neue. Den Gedanken über eine praktische Kurzhaarfrisur hatte er allerdings eh mittlerweile aufgegeben, da Dulacre ihm einen blöden Spruch gesteckt hatte, dass er es sich ja nur einfacher machen wollte. Also hatte er die Monsterhaarbürste in einer und ein rotes Haargummi in der anderen Hand. Die flachen roten Schuhe hob er hoch und trug sie mit raus. Eigentlich ziemlich dumm von ihm, wenn er so drüber nachdachte. Vermutlich hatten sie den ganzen Tag trainiert und es war schon Abend, dann hätte er gleich Schlafsachen anziehen können. Es war nicht so, als dass er gerne darin durch die Gegend lief, aber wenn er einem BH aus dem Weg gehen konnte, würde er das auch machen. Im Flur stelle er jedoch fest, dass Tageslicht durch die Fenster fiel. Nun gut, dann war es halt doch noch nicht Abend. Hunger hatte er trotzdem. Also machte er sich auf in die Küche, wenig verwundert darüber, dort Kanan anzutreffen. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, als er sich einen der Äpfel von der Theke klaubte und auf einen der Stühle setzte. „Vielen Dank, dass Sie mir immer die Klamotten rauslegen“, brach er dann die Stille. „Huch.“ Überrascht wandte sie sich um. „Ach guten Morgen, Loreen. Ich dachte du wärest nach dem Training zu Bett gegangen.“ „Morgen?“, fragte er verwirrt. „Natürlich, ihr habt die ganze Nacht durchgemacht. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, aber ich soll mich ja nicht einmischen“, sagte sie mit einem leicht zickigen Unterton, während sie ihm eine Platte Spiegeleier vorsetzte. Wo sie die jetzt plötzlich herhatte, konnte er gar nicht sagen. Während er sich über das Abendessen oder auch Frühstück her machte, wollte Kanan sich an seine Haare begeben, was er für unnötig hielt, da er sie alle sehr ordentlich aus dem Weg gekämmt hatte. Glücklicherweise schellte aus den Tiefen des Hauses eine Teleschnecke und die Haushälterin folgte dem Geräusch augenblicklich. So geschah es, dass er zum ersten Mal seit seiner Ankunft in diesem Haushalt in Ruhe für sich alleine Essen konnte. Wie sehr er sich jetzt einen Sake wünschte. Dieser mit der blauen Aufschrift, der so schweineteuer war, auf den hatte er gerade unglaublich Lust. Aber als er damals mit dem Samurai im Weinkeller gewesen war, hatte er auch nur solchen vorgefunden. Mit einem verstohlenen Blick auf die Küchentür stand er auf und ging zur Vorratskammer. Anders als auf der Thousand Sunny, war hier die Tür nicht verschlossen. Sein Glück. Leise grinsend öffnete er die Tür und fand sich im Schlaraffenland höchstpersönlich wieder. Doch so sehr er sich auch umsah – und er sah in alle Töpfe, Kartons und Schubladen, die er finden konnte – er konnte keinen Sake finden. Als er die polternden Schritte der Haushälterin hörte, verließ er den Raum und stopfte sich noch das restliche Ei in die Hungerluke. Als Kanan auftauchte, wirkte sie alles andere als glücklich. Wütend riss sie ihm den leeren Teller weg und warf ihn in die Spüle. Ein Wunder, dass er nicht zerbrach. „Ähm, Kanan, was haben Sie denn?“, fragte er, unsicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte. Überrascht drehte sie sich um. „Ach.“ Laut aufseufzend warf sie beide schaumbedeckten Hände in die Luft. „Es ist nichts.“ Doch die Art, wie sie vor sich rummosernd versuchte das Muster vom Teller zu spülen, sagte ihm was anderes. Nun gut, eigentlich wäre ja dann alles in Ordnung. Eigentlich konnte er jetzt gehen. Er hatte gefragt, mehr konnte man doch wirklich nicht von ihm verlangen. Verdammt, wann war er nur so weich geworden? „Sind Sie sich sicher?“ Fehler Nummer eins. „Ach Kind. Ich will dich nicht damit belasten, dass mein Lieferant die Waren für Morgen bereits heute geliefert hat. Dabei habe ich heute überhaupt keine Zeit, die Sachen zu holen und der Herr ist bereits unterwegs nach Suzuno und ich kann ihn nicht erreichen.“ Suzuno…Suzuno… Was war da nochmal? „Natürlich kann ich dich nicht darum bitten, die Einkäufe für mich abzuholen. Dafür sind es viel zu viele und du bist wahrscheinlich viel zu erschöpft vom Training, um den langen Weg bis ins Dorf zu gehen. Du musst hundemüde sein.“ War da nicht die Marinebasis, wo der Konteradmiral arbeitete? „Außerdem wäre es dem Herrn vermutlich gar nicht recht, wenn du so ganz alleine unterwegs wärest. Wir sollten ihn vorher um Erlaubnis bitten, findest du nicht?“ Wie bitte? „Kanan, natürlich kann ich die Sachen für Sie abholen. Das würde ich sehr gerne machen.“ Fehler Nummer zwei. Im nächsten Moment hatten die schaumigen Arme der Haushälterin ihn bereits umarmt. „Och Loreen, was würde ich nur ohne dich machen? Das ist wirklich zu freundlich von dir. Ich ruf den Lieferanten gleich an, dass du kommst.“ Dann rauschte sie zur Tür heraus. „Ich glaube, ich wurde heute reingelegt“, murmelte er in den leeren Raum. Wenige Minuten später schlüpfte er in die roten Schuhe und zog sich eine Jacke über. Den Apfel vom Frühstück verstaute er in einer der Jackentaschen.   „Bist du sicher, dass du die Wegbeschreibung verstanden hast?“, hakte die Haushälterin erneut nach. „Ja doch. Bis später.“ Und damit eilte er zur Tür hinaus, ins Licht der aufgehenden Sonne. So schwer konnte es ja nicht sein, den einzigen Weg ins Dorf zu finden, oder? Tja, das war dann wohl Fehler Nummer drei. -Mihawk- Er war etwas verärgert. Nicht viel, aber doch genug um die ganze Marinebasis in die Luft zu jagen, wenn nicht sein Kindheitsfreund dort arbeiten würde. Er war den ganzen Weg hierhergekommen, auf Bitten Jirous Vorgesetztem. Hatte über eine Stunde gewartet, nur um dann gesagt zu bekommen, dass sein Termin verschoben worden war. Er hatte dem Bediensteten nicht mehr zu Ende zugehört und hatte sich sofort auf den Rückweg begeben. Sowas ließ er nicht mit sich machen. Er hatte einen halben Tag unnütz vergeudet und hatte nicht bis zum Ende der Trainingseinheit bleiben können. Für nichts und wieder nichts! Es war schon früher Nachmittag, als er endlich wieder den Hafen von Sasaki erreichte. Mit eiligen Schritten ging er den altbekannten Weg, vorbei an großen und kleinen Häusern, an arbeitenden Menschen und spielenden Kindern, vorbei an Bäumen und Büschen, vorbei an der ruhigen Lichtung, bis er schließlich vor dem alten Herrenhaus ankam. Er hatte Hunger und war verstimmt. Er hatte noch keine Möglichkeit gehabt, die heutige Zeitung zu lesen. Bei seinem Aufbruch, war sie noch nicht geliefert worden und er hatte die leise Sorge, bereits neue Fotos von Lady Loreen darauf abgedruckt zu sehen. Langsam meldeten sich auch seine Kopfschmerzen vom vergangenen Tages wieder. Energielos stieß er die Tür auf und begab sich hinein. „Loreen, bist du das, Süße? Ich hab mir schon… oh.“ Kanan war aus der Küche in den Flur gestürmt, ehe er die Haustür schließen konnte. Ihre dunklen Augen waren geweitet, ihr Gesicht blass vor Sorge. „Ihr seid es“, stellte sie nur leise fest. „Kanan.“ Sie sah ihn verunsichert an. „Was ist mit unserem Gast?“ Innerhalb einer halben Sekunde hatte er die Situation erfasst. Sein ehemaliges Kindermädchen sah ihn ernst an. „Sie ist weg.“ Langsam ließ er die Worte sacken. Drei kleine Worte, ziemlich simpel in ihrer Bedeutung. Keine komplizierte Auslegung notwendig. Warum also, hatte er das Gefühl, die Aussage nicht zu verstehen? „Was meinen Sie mit weg?“ In diesem Moment fing die Haushälterin bitterlich an zu weinen. „Sie wollte mir doch nur einen Gefallen tun“, schluchzte sie in ein übergroßes blau-gelb gepunktetes Taschentuch, dass sie aus dem Nichts hervorzauberte. „Jetzt beruhigen Sie sich und sagen mir erst einmal, was hier los ist!“ Wieder schluchzte sie auf. „Sie wollte Waren für mich bei Shoun abholen gehen, aber das war vor knapp vier Stunden und sie ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Ich hab schon im Laden und auch schon bei Tenkai im Büro angerufen. Keiner hat sie heute Morgen im Dorf gesehen. Ihr ist mit Sicherheit was ganz Schreckliches passiert, aber ich konnte sie ja nicht suchen gehen, was wenn sie zurückkommen würde und vor verschlossener Türe steht?“ Große Krokodilstränen liefen die rundlichen Wangen hinab. Hunderte Gedanken jagten durch Falkenauges Kopf. Wo war Lorenor hin? Den einzigen offensichtlichen Weg zum Dorf hatte er anscheinend nicht genommen, sonst hätten ihn entweder die Bewohner angetroffen oder Dulacre selbst hätte ihn auf seinem Rückweg aufgesammelt. Zum Hafen war er also nicht unterwegs gewesen. Bis auf ein paar einzelne Momente hatte er den anderen doch keinen Augenblick aus den Augen gelassen, was konnte er schon groß als Flucht geplant haben? Aber halt, er war mehrere Stunden mit dem verzauberten Banri alleine gewesen, was wenn sie sich zusammen was ausgedacht hatten? Warte! Moment mal! Wozu brauchte Lorenor überhaupt einen Fluchtplan? Er war kein Gefangener, er war sein Gast. Schließlich war es der Pirat gewesen, der ihn um Hilfe gebeten hatte und nicht umgekehrt. Wenn er gehen wollte, waren alle Türen weit geöffnet. Das ließ aber nur noch zwei Möglichkeiten zu: Entweder er hatte sich unterwegs verletzt und wollte dann eine Abkürzung querfeldein zurück zum Haus nehmen, die er nicht zum Ende geschafft hatte, oder aber er war entführt worden. Dulacre schluckte. Letzteres war wahrscheinlicher, schließlich hatte er dem Jungspund noch nicht einmal eine Waffe gegeben und das Mädchen würde wohl kaum einen Gegner darstellen. „Hallo, mein Herr?“ Verwirrt sah er auf die Haushälterin hinab, deren Worte nur langsam zu ihm durchdrangen und die besorgt zu ihm aufsah. Nickend legte er eine Hand auf ihre Schulter. „Sie bleiben hier, für den Fall dass sie zurückkommt.“ „Und was macht Ihr?“ Er drehte sich zur Tür, deren Knauf er immer noch fest umschlossen hielt. „Ich werde sie suchen gehen.“ Er riss die Tür auf. „Wenn ich bis heute Abend nicht mit ihr zurück sein sollte, verständigen Sie bitte Herrn Koumyou und Jirou. Sie sollen die Sache aber auf jeden Fall diskret behandeln.“ Kanan nickte. „Und wie gebe ich Euch Bescheid, falls sie wieder zurückkommt?“ Er überlegte nur kurz. „Rufen Sie ebenfalls Herrn Koumyou an, er soll einen Boten nach mir suchen lassen, so groß ist die Insel ja nicht.“ Er war bereits hinausgestürmt. „Und Herr“, rief ihm Kanan hinterher, „Was werdet Ihr tun, wenn Ihr sie bis heute Abend nicht findet?“ Er sah nicht zurück. „Ich werde sie finden!“ Wütend jagte er in den Wald. Da war er einmal für ein paar Stunden weg und schon passierte sowas. Wer auch immer es gewagt hatte, seinen Schützling zu entführen, würde es schon bald bereuen. Er war sich fast sicher, dass diese Übeltäter noch auf der Insel sein mussten. Es gab neben dem Hafen nur sehr wenige, schlecht befahrbare Anlegestellen, sodass sie vermutlich auf die Dunkelheit warten würden, um ihre Geisel unerkannt wegzubringen. Er hatte doch gewusst, dass diese verdammte Paparazzineugierde auf die junge Frau noch gefährlich werden konnte. Verdammt! Lorenor, wo steckst du nur?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)