Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 11 - Das Vertrauen -------------------------- Kapitel 11 – Das Vertrauen   -Sanji- „Sanji!“ Mit brechender Stimme kam die junge Navigatorin hereingestürmt. Ihr Haar war zerzaust, ihre Lippen bebten. „Was ist los?“ Leichte Panik erfüllte ihn, während er den Lappen auf den nächstbesten Tisch warf und zu ihr eilte. „Werden wir angegriffen?“ Sie schüttelte den Kopf, leise Tränen tropften ihre Wangen hinab. „Er ist aufgewacht!“ Alle Anspannung fiel in diesem Moment von ihm ab, als er die weinende junge Frau in seine Arme nahm. Für einen Moment lachten sie beide und Glück erfüllte die leere Aquarien-Bar, doch dann wurde er wieder ernst. „Ich danke dir. Du solltest jetzt ins Bett gehen. Versuch etwas zu schlafen.“ Nami schüttelte wieder den Kopf. „Sanji, du musst das nicht tun. Wenn du willst, spreche ich mit Ruffy.“ Erneut drückte er sie an sich. Nahm all ihre Kraft in sich auf. „Nein, meine liebe Nami. Ich muss mit ihm reden. Das ist meine Aufgabe.“ Mit glasigen Augen sah sie ihn an. „Es ist jetzt meine Aufgabe“, flüsterte er und ließ zu, wie sie eine einsame Träne auffing und dann mit zusammengepressten Lippen nickte. Noch einmal atmete er tief ein, griff für einen Moment ihre Hand und ging dann zur Tür hinaus. Die Dunkelheit umarmte ihn herzlich und die Kälte fraß sich in seine Seele, während er mit jedem hinkenden Schritt dem Unausweichlichen entgegen ging. Seine Wunden verheilten gut, zumindest die körperlichen, doch Chopper hatte ihm verboten für die nächsten Wochen zu kämpfen. Er hatte nur zu gut gewusst, dass diese Worte nicht ihm gegolten hatten, aber natürlich hatte er nichts gesagt. Der junge Arzt hielt sich so tapfer, er hatte es ihm nicht noch schwerer machen wollen. Vor dem Krankenzimmer blieb er schließlich stehen. Die letzten Tage waren die reinste Hölle gewesen. Doch er fragte sich allmählich, ob er je wieder aus diesem Alptraum erwachen würde. Schwach klopfte er gegen das starke Holz und trat ein. Auf der Bettkannte saß sein Käpt’n, eingewickelt in Verbände und mit tiefen Ringen unter den Augen, aber wach und lebendig. „Chopper, was ist denn jetzt los?“, fragte er wibbelig. Doch der kleine Schiffsarzt saß nur auf seinem Schemel und bearbeitet unablässig mit seinem Mörser ein paar Kräuter. Er konnte seinem Freund nicht in die Augen sehen. „Hey, Sanji!“, erkannte ihn nun der Schwarzhaarige, „Super. Ich hab Hunger!“ Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Noch war Ruffy glücklich, noch unbeschwert. Er war bewusstlos gewesen, bis jetzt. Bis jetzt war er unschuldig und fröhlich. Und es war seine furchtbare Aufgabe dies zu ändern. Er hob nur einen Arm: „Später, Ruffy“, und war froh, wie stark sich seine Stimme anhörte. „Chopper, möchtest du nicht für ein paar Minuten zu Nami in die Küche gehen und eine heiße Schokolade trinken, während ich mich mit unserem Kapitän unterhalte?“ Das Rentier nickte nur und sprang den Stuhl hinunter. Beim Vorbeirennen konnte der Smutje ganz deutlich die Tränenspuren sehen. Hoffentlich konnte Nami ihn etwas trösten. Sanft schloss er die Tür zur Küche hinter dem jüngsten Crewmitglied. „Sag mal, Sanji. Was ist denn los? Nami war eben auch total seltsam und Chopper wollte nicht mit mir reden.“ Ruffys Stimme war immer noch lustig angeheitert. Er verstand offensichtlich nicht was los war. „Wie lange war ich denn bewusstlos? Was hab ich denn alles verpasst?“ Langsam ließ Sanji sich auf den Schemel sinken und saß nun genau gegenüber von dem Gummijungen. „Ruffy.“ Allmählich wurde der andere ernst. „Woran erinnerst du dich noch?“ Der Strohhut sah ihn verwirrt an. Dann warf er die Arme in die Luft und verschränkte sie nachdenklich hinter seinem Kopf. „Lass mal nachdenken“, murmelte er, „Ah!“ Grinsend schwang er sich wieder nach vorne, „Wir waren auf dieser tollen Insel mit dem leckeren Fleisch. Zorro und ich haben das Lagerfeuer gemacht und Lysop ist total ausgerastet, weil wir irgendwelche Steine benutzt haben, die explodiert sind. Das war richtig lustig! Die Splitter haben Zorro und Lysop voll erwischt“, lachte er leise und dem Koch wurde es richtig schwer ums Herz. Diese glücklichen, unschuldigen Momente hatte er durch die furchtbaren Folgetage beinahe vergessen. Doch dann wurde die Stimme seines Kapitäns ernst. „Und dann waren diese ganzen Marinetypen da. Die haben uns angegriffen.“ Er senkte den Kopf. „Sie waren so stark. Vor allem der Kerl mit dem Mantel. Der hat mich einfach weggeschleudert, ohne mich auch nur zu berühren.“ Dann sah der Jüngere ihn grinsend an. „Aber ihr habt es gepackt! Ich weiß nicht wie, aber ihr habt mich rausgeholt. Das ist echt super, wie stark ihr alle geworden seid.“ Sanji wandte den Blick ab. Wie sollte er nur stark genug sein? Wie sollte er seinen Kapitän beschützen können? „Nein, Ruffy“, murmelte er und schüttelte den Kopf, „Wir haben nicht gesiegt.“ Er konnte ihn nicht ansehen. „Wie meinst du das?“, fragte Ruffy mit einem leisen Lachen, „Wer hat uns denn dann gerettet?“ „Niemand, Ruffy. Wir sind gefangen genommen worden.“ Er hatte keine Wahl. „Du warst von Anfang an ohnmächtig und hast nichts mitbekommen, aber nahe der Insel wo wir waren, gab es eine Marinebasis.“ Er konnte seinem Freund ansehen, dass dieser verwirrt war. „Ja, aber jetzt sind wir doch alle auf der Sunny. Also seid ihr ausgebrochen und habt mich mitgenommen? Das ist aber nett!“ Er wollte aufschreien! Selbst jetzt glaubte dieser naive Junge noch, dass alles in bester Ordnung war. „Ruffy hör mir zu.“ Er packte den anderem am Arm, so dass dieser ihn ansehen musste. „Ja, Sanji. Ich höre dir zu“, sagte er ganz simpel. Für ihn war alles so einfach. „Du hast Recht. Wir sind da raus gekommen. Zorro…“ Er stoppte und schüttelte den Kopf erneut. „Zorro hatte einen Plan und hat uns alle rausgeholt.“ Wieder grinste der Jüngere. „Natürlich! Zorro schafft doch alles. Schließlich wird er eines Tages der beste Schwertkämpfer der Welt!“ Verdammt! Wie in Zeitlupe spürte er diese eine nasse Perle seine Wange hinuntergleiten. Beschütze auch deinen Traum! Er konnte sehen wie die Augen seines Kapitäns eine Spur größer wurden und er ihn ungläubig ansah. Lebe Sanji! Unglaublich vorsichtig, als hätte er Angst den anderen wie ein Glas zu zerbrechen, legte er seine Hände auf dessen Schultern. „Ruffy, Zorro ist tot!“ -Nami- Ein qualvoller, lauter Schrei durchhallte die kalten Räume des Piratenschiffes. Niemand schlief mehr, schon vorher nicht. Sie alle konnten es hören. Sie alle konnten die Schmerzen spüren. Nami wandte sich zur Tür, auf deren andere Seite ihr Kapitän litt, um die erneuten Tränen vor dem jüngsten Crewmitglied zu verbergen. Zum Glück war die einzig andere Frau an Bord vor wenigen Minuten zu ihnen gestoßen und hielt den kleinen Arzt auf ihrem Schoß, das warme Getränk auf dem Tisch schon längst vergessen. -Chopper- Chopper weinte. Zum ersten Mal seit sie geflohen waren, zum ersten Mal seit sie die G6 hinter sich gelassen hatten, weinte er. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte seine ganze Aufmerksamkeit darauf gelegen, sich um Ruffy zu kümmern. Er hatte nicht nachgedacht, hatte nicht gefühlt, hatte einfach nur funktioniert. Nun war Zorro tot. Obwohl er in den warmen Armen seiner Freundin saß und obwohl seine Freunde da waren. Chopper war alleine. Chopper hatte Zorro verloren und er hatte ihm noch nicht einmal danken können. Er hatte ihm nicht dafür danken können, dass er für ihn da gewesen war, dass er ihn beschützt hatte, dass er ihm Mut gemacht hatte, dass er einfach Zorro gewesen war. Und nun war er alleine. Er konnte Ruffys Schrei immer noch in seinen Ohren hören. Dann wurde es dunkel um ihn. -Nami- „Unser Doktor ist ohnmächtig geworden.“ Die Stimme der Archäologin war sanft und gezwungen ruhig. „Das ist auch kein Wunder. Seit dem Angriff hat er sich die ganze Zeit um unseren Kapitän gekümmert und kaum geschlafen. Ich denke, er ist sehr erschöpft.“ Die Navigatorin nickte nur. „Wir sind alle sehr erschöpft“, flüsterte Robin weiter. „Robin?“ Langsam sah Nami ihre Freundin an. „Was machen wir jetzt?“ Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Diese Entscheidung obliegt unserem Kapitän.“ Die Jüngere nickte und kämpfte erneut mit den Tränen. „Aber wir können jetzt unseren jungen Freund hier ins Bett bringen, damit er zumindest ein paar ruhige Stunden Schlaf erhält. Die hat er sich verdient.“ Ihr Weg zum Jungenschlafsaal war ruhig. Einzig und alleine Ruffys wehklagende Stimme konnte man auf Deck wie ein geisterhaftes Klagen vernehmen. Im Zimmer selber war es ruhig und dunkel. Doch die drei anderen Anwesenden waren wach. Keiner von ihnen sagte etwas als die Archäologin das Rentier in seine Koje legte. „Ihr solltet alle versuchen etwas zu schlafen. Die nächsten Tage werden gewiss nicht einfacher“, riet sie sanft mit brutaler Ehrlichkeit. Der Kanonier stieß entnervt die Luft aus seinen Wangen. „Als könnte auch nur einer von uns schlafen.“ Seine Nase war immer noch geschwollen. Sein Gesicht immer noch zerkratzt von tausenden kleinen Wunden. „Versucht es zumindest“, murmelte die ältere Frau und ging wieder. Vor der Tür konnte Nami ganz deutlich sehen, wie ihre Freundin die Augen schloss und sich zwang, langsam zu atmen. Ja, Robin gab sich so stark, aber auch sie trauerte, wie sie alle. Mitfühlend legte sie eine Hand auf den kalten Unterarm der anderen und lächelte traurig. „Ist okay, Robin. Wir sind unter uns. Du musst jetzt nicht stark sein. Okay? Heute Nacht bin ich die Starke, denn morgen wird Ruffy dich brauchen. Morgen musst du wieder stark sein, okay?“ Die Schwarzhaarige ging zwei Schritte und hielt sich selbst, als würde sie frieren, während sie zum kühlen Mond hinauf starrte. Ganz langsam, wie in Zeitlupe glitten die Tränen ihr Gesicht hinab. Nami folgte ihr und legte von hinten beide Arme um sie. Irgendwann gaben die Beine der Älteren nach und sie glitt zu Boden, während sie laut aufschluchzte. Mit einer Hand hielt sie sich am Geländer fest und ließ zu, dass ihre Freundin sie weiterhin hielt. „Wieso nur?“, flüsterte sie irgendwann leise. Nami schüttelte nur leicht den Kopf und schmiegte sich noch etwas fester an ihre zitternde Freundin. -Sanji- Der nächste Morgen kam, ohne dass die Crew, mit Ausnahme des jungen Arztes, auch nur ein Auge zugemacht hatte. Es sollte ein guter Morgen sein. Der Kapitän würde wieder dem Frühstück beiwohnen, aber so richtig freuen konnte sich niemand und niemand hatte wirklich großen Hunger. Zu aller Überraschung war der Gummijunge jedoch eifrig dabei, die Speisen auf dem Tisch zu vertilgen. Am Anfang traute sich niemand, etwas dagegen zu sagen, doch sie alle waren verwirrt und auch besorgt. „Ruffy“, murmelte Nami schließlich, „Was machen wir jetzt?“ Das eh schon ruhige Frühstück wurde totenstill. Der Koch, welcher am Herd lehnte und das Treiben von weiter weg beobachtete, biss sich auf die Unterlippe. Er wusste was jetzt kommen würde. Der Strohhut zuckte mit den Achseln. „Wir segeln weiter!“ Alle starrten ihn entsetzt an. „Ruffy!“, schrie unvermittelt das kleine Rentier, „Wie kannst du nur so etwas sagen?!“ Sofort schossen die Wasserfälle wieder seine Wangen hinab und das Skelett legte mitfühlend einen knöchernen Arm um ihn. „Ganz einfach, weil ich der Käpt’n bin“, grinste der Gummijunge und aß ungehindert weiter. Wütend schlug die Navigatorin auf den Tisch. „Ruffy!“ Ihre Stimme war etwas höher als sonst. Doch nicht sie, sondern Robin sprach das Thema an, was sich keiner traute. Schwer lagen ihre dunklen Augen auf dem schwarzhaarigen Jungen. „Und was ist mit Zorro?“ Es war selten, dass sie seinen Namen nutzte. „Wie sollen wir ihn gebührend ehren? Unser Kanonier hat seine Schwerter mitgebracht. Sollten wir vielleicht auf der nächsten Insel ein Grab aufstellen oder eine Feuerbestattung der Schwerter?“ Ruffy sah nicht mal auf. „Nein, wir machen gar nichts“, murmelte er nur kurz und griff nach dem nächsten Teller. Entgeistert fingen die anderen an wild auf ihn einzureden. Einzig und allein Sanji blieb ruhig an seinem Platz stehen und sah seinem Freund kopfschüttelnd zu. Die gesamte Nacht hatten sie miteinander gestritten und er verstand den anderen einfach nicht. Plötzlich stand Ruffy auf, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen. „Jetzt hört mal her“, erklang er tief und ein bisschen wütend, „Wir ehren Zorro nicht und er bekommt auch kein Grab. Wir segeln weiter und nehmen Kurs auf die Fischmenscheninsel.“ „Aber…“, wollte der Cyborg wiedersprechen doch Ruffy grinste. „Zorro weiß, dass wir dahin wollen, also bin ich mir sicher, dass er da wieder zu uns stoßen wird. Und bis dahin bewahren wir seine Schwerter für ihn auf.“ „Willst du es einfach nicht begreifen?“ Es war nicht Nami, die verzweifelt aufgesprungen war, auch nicht Lysop oder Chopper. Nein, es war Robin. „Er kommt nicht wieder!“, rief sie und machte eine ausholende Handbewegung, „Zorro ist tot, er ist für uns alle gestorben. Es ist vorbei!“ Das Grinsen des Strohhutjungens wurde noch eine Spur breiter. „Nein. Ganz und gar nicht. Zorro lebt! Ich weiß es!“ Niemand wusste, was er darauf sagen sollte, doch schließlich ergriff Sanji das Wort. „Ruffy. Ich weiß, dass du es nicht wahrhaben willst. Aber wir haben alle gesehen, wie er in den Flammen umgekommen ist.“ Alle sahen ihn an. Seit der Flucht hatte er nicht mehr darüber gesprochen. Nur Ruffy hatte ihm den Rücken zugewandt. „Und selbst wenn er durch irgendein Wunder das Feuer überlebt haben sollte, er war schwer verletzt und konnte kaum noch stehen am Ende.“ Doch sein Kapitän schüttelte nur den Kopf: „Und trotzdem lebt er!“ Nun wurde Sanji doch wütend. Seine schmerzenden Beine ignorierend ging er zu dem Jungen und zwang ihn, sich umzudrehen. „Er stand vor mir und sagte mir, dass ich jetzt dran sei. Dass es jetzt meine Aufgabe sei, euch zu beschützen. Warum sollte er mir das sagen, wenn er noch eine Möglichkeit zu Überleben gesehen hätte?“ Er hatte es den anderen nicht gesagt, so wie er ihnen nichts von Thriller Bark erzählt hatte. Er war beide Male am nächsten dabei gewesen. Er wusste, wann es vorbei war. „Aber das ist doch ganz klar“ Ruffy legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Er meinte, bis er zurückkommt, denn er wird zurückkommen.“ Sanji wollte etwas erwidern, doch Ruffy winkte ab und verließ den Raum. Niemand folgte ihm. -Ruffy- Tief einatmend verließ er die bedrückte Crew in der schweigsamen Kombüse. Spürte ihren Schmerz, ihre Trauer, konnte es nicht mehr aushalten. Er verstand, was Sanji sagte und er hatte geweint, er hatte geschrien. Aber tief im Inneren war er sich ganz sicher, dass sein Schwertkämpfer noch am Leben war. Er musste darauf vertrauen. Er musste an den anderen Glauben, auch wenn es hundert Jahre dauern würde. Zorro würde zurückkommen und er musste solange an ihn glauben. Das war er ihm schuldig. Er saß auf seinem Lieblingsplatz und starrte auf die Weiten des Meeres hinaus. „Irgendwo da draußen bist du, Zorro. Das weiß ich.“ Und dann schrie er den Namen seines ersten Crewmitgliedes so laut er konnte in den Wind. Lorenor Zorro musste einfach leben! -Mihawk- Es war früh am Morgen, als er aufwachte. Die Nacht war kurz gewesen, doch er war nicht müde. Mit leisem Grauen erinnerte er sich an den vorigen Abend. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so wütend gewesen war, so aufgebracht war, aber er wusste, dass die Dinge sich von nun an ändern würden. Er hatte eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung die er nie hatte treffen wollen. Er würde auf diesen Jungen aufpassen. Gedankenverloren stand er unter der Dusche. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Nie hätte er geglaubt, dass die Dinge sich so entwickeln würden. Nie hätte er erwartet, dass ihm ein fremder Mensch noch einmal so wichtig werden könnte. Nie hätte er gehofft, dass er je wieder jemanden beschützen wollte. Seufzend betrachtete er sich selbst im Spiegel. Er erkannte sich selbst kaum wieder und dabei war er noch genau der Gleiche. Ein höhnisches Lachen entglitt seinen Lippen. Er wollte den einen Menschen beschützen, der ihn eines Tages besiegen sollte. Was war nur aus ihm geworden? Aber er wusste genau, warum er so handelte. Er dachte an seine Schwester. Er dachte an seine alte Crew. Beides hatte er verloren. Diesen Jungen würde er nicht verlieren. Nicht solange er, Dulacre, dies verhindern konnte. Aber das Gespräch vom vergangenen Abend würde ab jetzt alles unnötig verkomplizieren. Leider Gottes würde das alles jetzt nur noch anstrengender. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Er musste sich eine Lösung überlegen, aber nicht jetzt. Jetzt musste er erst einmal einen guten, starken Kaffee trinken. Den Kopf immer noch irgendwo anders, zog er sich langsam an, fuhr sich durchs Haar und strich im Vorbeigehen über sein geliebtes Schwert. Sein treuer Begleiter. Sein bester Freund. Das Haus war ruhig. Kanan war wahrscheinlich noch nicht da und der junge Pirat versteckte sich vermutlich noch im Land der Träume. Laut klopfte er beim Gästezimmer an. „Lorenor, du hast lang genug gepennt. Aufstehen!“ Doch er erhielt keine Antwort. „Lorenor?“, fragte er etwas missmutig nach. Erneut erfolglos. Der Kämpfer in ihm schaltete auf Alarmbereitschaft um. Er griff die Klinke und trat ein. Das Zimmer war leer, das Bett noch ungemacht, die Badezimmertür stand weit offen. Bis auf das helle Licht des Morgens war der Raum dunkel. Ein Fenster war leicht geöffnet und eine frische Meeresbrise wehte hinein. Dann sah er ihn, draußen. Der verzauberte Pirat stand im Garten des Hauses, mit nichts weiter bekleidet als seinem dünnen Nachthemd, und sah augenscheinlich aufs weite Meer hinaus. Schnell ging Dulacre die Treppe hinunter, am Trainingsraum vorbei und trat hinaus in den Garten. Sein Gast stand immer noch im taufrischen Gras. Das Haar wehte im Wind und das weiße Kleidchen riss an seinen Beinen. Die Wunden und blauen Flecken schimmerten immer noch, sahen aber schon deutlich besser aus, als am Vorabend. Das Mädchen schien in tiefen Gedanken gefangen zu sein. „Lorenor…“, murmelte er und ging mit nackten Füßen auf den Piraten zu. Dieser hatte ihn offenbar gehört, denn er drehte sich halb zu ihm um. Die großen grünen Augen wirkten dunkel und leer. Erst nach einer Sekunde schien der andere ihn zu sehen. „Was tust du hier?“, fragte er seinen Wildfang, der wieder zum Meer hinaus sah und leicht den Kopf schüttelte. „Lass uns reingehen. Ich brauche meine Kaffee.“ Ja, seit dem Vorabend war nichts mehr wie davor. Er wartete, bis das Kind bei ihm war und legte seinen Arm um ihn. Doch zu seiner Überraschung schnaubte der Pirat höhnisch. „Du meine Güte. Was hast du denn gefressen? Seit gestern bist du total daneben.“ Er zog den Arm wieder zurück. „Warst du nicht derjenige, der geheult hat?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue. „Ich muss mich mit weiblichen Hormonen auseinandersetzen. Was ist deine Ausrede?“ Er seufzte. „Du, du bist meine Ausrede und meine persönliche Hölle.“ Der Grünschopf grinste: „Selbst Schuld.“ Mit langsamen Schritten gingen sie ins Haus. „Was hast du überhaupt da draußen gemacht? Wenn Kanan dich gesehen hätte, wäre sie durchgedreht.“ Lorenor sah nur auf seine wunden Füße hinab und antwortete nicht. „Können wir heute mit dem Training weiter machen?“, fragte er stattdessen todernst. „Hast du gestern nicht zugehört?“, murrte er nur und hielt seinem Wildfang die Tür auf. Zorro verschränkte die Arme und erwiderte immer noch absolut ernst seinen Blick. „Doch. Ich habe verstanden“, sagte er glasklar, „Aber die erste Woche ist schon bald um und ich bin noch nicht soweit, um wieder ein Schwert in den Händen zu halten. Von einem richtigen Kampf ganz zu schweigen.“ Falkenauge schritt an dem Grünschopf vorbei und blieb dann überrascht stehen, als dieser sich verbeugte. „Ich verspreche, besser auf mich aufzupassen, also bitte, trainiere mich weiter!“ Er betrachtete den anderen für eine Weile. „Heute nicht.“ „Was?!“, rief das Mädchen aufgebracht. „Beruhig dich, Lorenor“, entkam es ihm gelangweilt, während er den Gang zur Küche hinunter ging. Er brauchte seinen Kaffee. Es war eindeutig noch zu früh, um sich mit so viel Starrsinn auseinanderzusetzen. Kleine Füße folgten ihn schwer stampfend. „Deine Wunden heilen ja wirklich so schnell, wie du behauptet hast. Wir werden morgen mit dem Training fortfahren. Heute ruhst du dich noch aus.“ Die wütende Frau öffnete aufgebracht den Mund, doch er sah sein Gegenüber kühl an. „Wenn du mir jetzt widersprichst, beweist du nur wieder, dass du noch nicht verstanden hast, was ich versuche dir beizubringen, Lorenor. Ein begriffsstutziger Schüler ist Zeitverschwendung.“ Grinsend beobachte er, wie der kleine Mund wieder zuklappte. „Na, du scheinst ja doch lernfähig.“ In diesem Moment konnten sie hören, wie die Haustür laut aufgeknallt wurde. „Hallo! Ich bin wieder da!“, hallte die energiegeladene Stimme der Haushälterin durch den Flur. „Oh nein…“, stöhnte der Samurai auf,  „Nicht vor meinem Kaffee“, litt er. „Das habe ich gehört, Ihr unsensibler Klotz.“ Das Mädchen lachte leise: „Hört sich seltsam an, wenn sie dich beleidigt.“   Im nächsten Moment kam die Haushälterin mit einem Berg von Kisten und Kartons. „Oh mein Gott“, entkam es dem jungen Schwertkämpfer und er hüpfte zur Seite ehe er erschlagen wurde. „Kann ich Ihnen was abnehmen?“ „Nicht nötig, mein Kind“, lächelte sie sanft. „Hier! Nehmt das!“, befahl sie dann herrisch und drückte ihre Last dem einzigen Mann im Raum in die Arme. „Am besten alles in die Abstellkammer bringen. Ich kümmere mich gleich drum.“ „Aber was…“ „Keine Widerrede“, unterbrach sie ihn sofort, „Ich mach Euch derweil Kaffee, ehe Ihr die Küche in die Luft jagt.“ Womit hatte er das verdient? Leise vor sich hin murrend brachte er den Kram weg, ohne zu wissen, was es war. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte. Danach kam er wieder in die Küche, wo schon der herrliche Duft der gerösteten Bohnen seine Nase füllte. Der Grünschopf saß auf dem kleinen Stuhl an der Seite und flocht sich umständlich die Haare, ein Glas Orangensaft vor ihm auf dem Tisch. Das ehemalige Kindermädchen war derweil am Frühstück vorbereiten und ergoss wie immer einen Wasserfall an Wörtern über jeden, der nicht schnell genug weglaufen konnte. „… und Seira war so begeistert von dir, meine Liebe. Sie hat heute Morgen nur von dir geschwärmt.“ „Aha, danke, schätze ich?“, murmelte der Pirat nur. Offensichtlich kämpfte er mehr mit der Herausforderung seiner Haare, als dass er der Haushälterin zuhörte. Diese hatte aber bereits ihr nächstes Opfer gefunden, Mihawk. „Tenkai hat mir erzählt, dass Ihr ihn tatkräftig auf der Versammlung unterstützt habt. Ich bin so stolz auf Euch. Euren Vater hätte das sicherlich auch gefreut.“ Dulacre nahm ihr die Tasse aus der Hand und zog nur eine Augenbraue hoch. „Ich glaube kaum, dass das meinen Vater in irgendeiner Form interessieren würde, sonst wäre er in den letzten 25 Jahren noch einmal auf Sasaki gewesen.“   Im Raum wurde es ruhig. Eine unangenehme Stille waberte zwischen ihnen. „Uah!“ Laut polternd viel der verzauberte Pirat vom Stuhl. Die Hände hoffnungslos in den Haaren verfangen. „Oh nein. Loreen!“, rief Kanan entsetzt und rannte zu dem Grünschopf, „Hast du dir wehgetan? Bist du verletzt?“ Stöhnend richtete das Kind sich auf. „Das einzig Verletzte ist mein angeknackster Stolz.“ Entnervt befreite der Jungspund seine Finger aus den Haarknäueln. „Ich geb‘s auf. Ich bin zu blöd dafür. Geben Sie mir eine Schere, die kommen ab.“ „Auf gar keinen Fall! Für so schöne Haare würden hunderte…“ „Mädchen töten! Ich weiß, ich weiß. Aber…“ Leise grinsend verfolgte er den Streit der beiden Frauen, während die Haushälterin den Gast des Hauses wieder auf den Stuhl drückte und sich nun an dessen Haare gab. Die beiden fuhren immer weiter fort, als würde es um etwas wirklich Wichtiges geben, dabei wurde es nur immer lächerlicher und er konnte einfach nicht verhindern, dass er irgendwann laut auflachen musste. Die Zankerei verstarb als er in seinen Morgenkaffee prustete. Beide Frauen sahen ihn verwundert an. „Was habt Ihr denn?“ „Machen Sie sich nichts draus. Der ist schon seit gestern Abend so komisch“, antwortete der Jungspund an seiner Stelle.   „Wenn die Damen dann fertig wären, würde ich es begrüßen, wenn du dich anziehen gehen würdest, Loreen. Wir haben heute noch viel vor.“ Schnell dirigierte er das Thema in eine bessere Richtung. „Wieso?“, fragte das Mädchen misstrauisch und er rechnete dem anderen wohlwollend an, dass er nicht direkt nach einer Unterrichtseinheit gefragt hatte. Vielleicht drang er doch allmählich zu diesem Starrkopf durch. „Wir werden heute nach Sarue fahren.“ Damit ging er zur Tür. „Allerdings nur, wenn du in der Lage bist, etwas anzuziehen, was nicht so ganz nach Obdachloser aussieht. Und morgen werden wir dein Training wieder aufnehmen. Ich hol jetzt die Zeitung“, murrte er und setzte seine Worte in die Tat um. Als er wieder kam, war nur noch die Haushälterin im Raum. Wieder schlich sich ein Grinsen auf die Lippen. „Scheint, als hätte ich unseren Gast endlich im Griff“, murmelte er selbstgefällig und griff wieder nach seiner Tasse. „Wer’s glaubt“, kommentierte Kanan, die ihm einen Teller mit Obst reichte, „Ich habe doch eher das Gefühl, dass dieses Mädchen Euch ganz schön um den Finger gewickelt hat.“ Er erwiderte über die Zeitung hinweg genervt ihren neckenden Blick. „Wovon reden Sie?“ Doch die Frau klaubte sich nur grinsend eine Weintraube von seinem Teller und steckte sie genüsslich in ihren Mund. „Ich wünsche Euch auf jeden Fall viel Spaß auf Sarue. Loreen hat auch schon das perfekte Kleid für einen Ausflug.“ Er rollte nur mit den Augen. „Wir fahren da nicht zum Vergnügen hin.“ „Natürlich nicht. Für sowas hat der feine Herr natürlich keine Zeit. Dann viel Spaß bei Eurem Arbeitsausflug, oder was auch immer Ihr da treibt.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Kanan“, murmelte er, ohne sie anzusehen. „Ja?“ Die Buchstaben der Zeitung verschwommen vor seinem unkonzentrierten Auge. „Was meinen Sie damit?“ „Womit?“, fragte sie unschuldig. „Mit dem um den Finger wickeln“, murmelte er und wurde mit jedem Wort leiser. „Ach, Dulacre.“ Überrascht sah er auf. Seit seiner frühesten Kindheit hatte sie ihn nicht mehr so angesprochen. „Ich weiß ja, dass ihr ein emotionaler Krüppel seid, aber selbst Euch muss es aufgefallen sein.“ „Was denn?“ Leicht lächelnd kam sie auf ihn zu und strich ihm liebevoll über die Wange, wie es nur eine Mutter tun konnte. „Ihr sorgt Euch um das Mädchen. Ihr kümmert Euch um sie. Ihr streitet mit ihr. Ihr unterhaltet Euch mit Ihr. Aber am aller wichtigsten. Ihr lacht wieder!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)