Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Prolog: -------- Prolog Mit aller Kraft die sie hatte, stemmte sie sich gegen die Arme die sie festhielten. „Nein! Wir müssen zurück! Wir können nicht ohne sie los! Sie sind noch da drin!“ Laut und panisch schrie sie, die Augen starr auf das Tor gerichtet, aus dem sie vor wenigen Sekunden gekommen waren. Mit einem kalten Knall war es wieder zugefallen, hatte die Welt dahinter verschluckt wie ein Hai seine Beute. Doch die Hände des jungen Mannes, der sie mit sich zerrte, waren stärker. „Red‘ keinen Unsinn. Du hast doch gehört was sie gesagt haben. Wir müssen zum Schiff! Die anderen warten dort schon auf uns.“ Immer noch wehrte sie sich gegen den Griff des anderen, konnte aber nicht verhindern, dass sie sich weiter und weiter vom großen, steinernen Gebäude entfernten, welches allmählich in der Dunkelheit und dem aufkommenden Nebel verschwand. Verzweifelt packte sie ihren Kameraden an den Schultern. „Aber…“ „Kein Aber! Du musst ihnen vertrauen. Sie haben einen Plan, da bin ich mir sicher. Je länger wir hier bleiben, desto eher sind wir in Gefahr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es hier vor Soldaten nur so wimmelt.“ Er hatte Recht, das wusste sie und trotzdem schnürte die Angst ihr die Kehle zu. Als würde er ihre Furcht spüren, lächelte er schwach. „Du kennst die beiden doch. Die packen das schon. Aber wenn wir zurück gehen, sind wir am Ende nur im Weg. Vertrau ihnen, okay?“ Sie wehrte sich nicht mehr, hatte selbst angefangen zu laufen, auch wenn sie nicht wusste wohin, klammerte sich verzweifelt an diese eine Hand, das Adrenalin trieb ihre müden Muskeln an, rannte einfach ziellos weiter. „Da vorne!“ rief ihr Begleiter. Aus der Schwärze der Nacht tauchten große Segel wie Gespenster auf. Leise hörte sie die Wellen des Meeres gegen den Bug des Schiffes schlagen. „Die Sunny!“ entkam es ihren Lippen. Der Mann an ihrer Seite holte tief Luft und öffnete den Mund, doch bevor er auch nur einen Ton von sich geben konnte, wurde mit einem gedämpften Poltern eine Strickleiter über die Reling geworfen. „Schnell, hoch mit dir!“ Wie von unsichtbaren Fäden geführt, sah sie zu, wie ihre eigenen Hände nach der Leiter griffen ohne sich jedoch richtig festzuhalten. Als hätte sie keine Kraft ließ sie zu, wie sie mehr oder weniger von ihrem Freund nach oben getragen wurde, wo sie schon zwei starke Arme in Empfang nahmen. Zitternd und stolpernd landete sie schließlich auf dem Deck der Thousand Sunny, dem Schiff der Strohhutpiraten, welches beinahe lautlos im Wasser dahinglitt, fort von dem kleinen Steg, auf dem sie vor wenigen Sekunden noch gestanden hatten. Fort von der Gefahr, der sie noch immer nicht ganz entkommen waren. Doch jetzt, hier oben, spürte sie eine vertraute Sicherheit, wusste, dass sie Zuhause war, und sehnte sich nur noch nach ihrem Bett im Inneren des Schiffes. Sie war so müde, so unglaublich müde. Sie konnte hören, wie hinter ihr die Strickleiter wieder eingesammelt wurde, während sich die beiden Männer angestrengt unterhielten. „Was sollen wir jetzt tun?“ „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Wir müssen auf den Plan vertrauen.“ „Super, du hast auch einen Plan! Wie lautet der denn?“ „Keine Ahnung! Ich hab nämlich gar keinen Plan! Wir sollten so schnell wie möglich nach draußen und dann hierher zum Wasser, wo ihr uns aufsammeln würdet. Ich dachte ihr wüsstet Bescheid.“ Verzweiflung klang in der Stimme hinter ihrem Rücken, doch sie ignorierte die Worte, ignorierte alles was um sie herum geschah. Ihr Blick war auf den Boden vor ihr gerichtet, wo zwei weitere ihrer Crew auf der vom Nebel feuchten Wiese hockten, der eine der beiden war offensichtlich bewusstlos und in dicke Verbände eingepackt. Der andere bemerkte sie, erhob sich und lächelte schwach. „Keine Sorge, er ist nur ohnmächtig. Die Wunden sind soweit gut versorgt und er ist nicht mehr in Gefahr. Ich bin mir sicher, dass er bald wieder aufwachen wird.“ „ Sollten wir es hier lebend raus schaffen, versteht sich.“ erklang eine weitere, kühle Stimme. „Soweit ich die Situation überblicke sehe ich keine Möglichkeit, wie wir die anderen beiden aus dem Stützpunkt rausholen sollen. Geschweige denn, wie wir es schaffen könnten, vor so vielen Marinesoldaten zu flüchten. Ein Kampf wäre natürlich vollkommen sinnlos. Wir sind alle müde und erschöpft, oder schlimmeres.“ fügte die Person hinzu, während sie sich über das am Boden liegende Crewmitglied beugte. „Keiner von uns hat eine Vorstellung, wie die Umgebung aussieht. Fremdes Gewässer in vollkommener Dunkelheit zu befahren ist keine gute Voraussetzung für eine Flucht. Und der einzige von uns, der überhaupt auch nur eine Idee hatte, die zumindest dazu geführt hat, dass wir alle hier sind und auch noch die Sunny wieder haben ohne scheinbar verfolgt zu werden, sitzt immer noch in genau diesem Stützpunkt mit mehreren tausend Marinesoldaten fest. Also, was sollen wir tun?“ Die Frage richtete sich an niemanden bestimmten, denn angesprochen wurde immer noch das bewusstlose Crewmitglied am Boden. Um sie herum wurde es still, als ihnen allen die niederschmetternde Wahrheit dieser verdammt ehrlichen Worte bewusst wurde. Sie hatten keine Chance! Zwar hatten sie es bis hierher geschafft, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Schiffe der Marine sie suchen würden. Abhauen konnten sie aber auch nicht, da sie noch nicht vollzählig waren und die Verbliebenen im Stich zu lassen kam für keinen der Anwesenden in Frage. Auch ein Kampf war vollkommen aussichtslos. Die Feinde hatten sie schon einmal gefangen genommen und zu diesem Zeitpunkt waren sie alle gesund und munter gewesen, zugegebener Weise auch unaufmerksamer, aber jetzt waren die Karten eindeutig noch schlechter für sie ausgelegt. Fahrig glitten ihre Hände durchs vom Wind zerzauste Haar, während sie fast schon panisch eine Lösung suchte, was sollten sie nur tun? In noch nicht mal weiter Ferne war die Marinehochburg kaum mehr als ein verschwommener Schemen in der Dunkelheit, und die noch immer anhaltende Stille zeigte ihnen, dass die Verfolgung zu Wasser auf sie noch nicht aufgenommen war. Langsam blickte sie auf, nur um zu zählen, was sie schon längst wusste: sieben von ihnen waren an Bord. Nicht genug. Auf keinen Fall genug. Sie sah die einzelnen Kameraden an. Alle waren sie angeschlagen, dreckig und kraftlos. Keiner von ihnen würde eine Auseinandersetzung mit der Marine überstehen. Aber dann würde ihnen nur ein Ausweg bleiben, mit oder ohne die anderen, sie mussten fliehen! Und mit einem Male wurde ihr zu all der Verzweiflung hinzu auch noch bewusst, dass sie für eine erfolgreiche Flucht der Crew verantwortlich war, nur sie allein konnte wissen was zu tun war, denn sie war die Navigatorin. Langsam atmete sie ein und schloss die Augen. Eigentlich hatten sie nur diese eine Möglichkeit und unrealistische Optionen durchzugehen würde nur unnötig Zeit kosten. „Also hört zu!“ sagte sie bestimmt und doch leise. Dankbar wurde sie von einigen Augen der Umstehenden angesehen, dankbar dafür, dass sie die Stille zerbrach, dankbar dafür, dass sie die Zügel in die Hand nahm. Noch einmal beruhigte sie still ihr schnell schlagendes Herz ehe sie ihre Entscheidung fällte. „Ich weiß, was wir tun müssen und zwar…“ BOOM! Die Welt um sie herum erbebte. Alles wurde schrecklich langsam und leise. Einen Moment lang drückte eine mächtige Kraft hinter ihr die Luft aus der Lunge, ließ sie nach vorne stolpern, zu Boden stürzen. Ein leises Piepsen erfüllte ihre Ohren. Ein Ringen störte ihre Gedanken. Ihr Kopf dröhnte, als wollte er explodieren. Plötzlich war die Welt um sie herum grell und laut. Unkontrollierte Hitze durchströmte ihren Körper, nahm ihr die Luft zum atmen. Sie konnte Rufe und Schreie hören, immer noch bebte der Boden und das, obwohl sie bereits auf allen Vieren kniete. Alles was sie wahrnahm, war ihr hämmerndes Herz, der hastige Atem und das unschuldig entspannte Gesicht, auf das sie hinab blickte. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie sich sicher, dass sie sterben würde, bis sie den Bewusstlosen ansah. Dann wurde es langsam ruhiger, doch das grelle Licht, welches lange Schatten warf, blendete sie weiterhin. Wie in Trance folgte ihr Blick ihrem eigenen langgezogenen, grotesken schwarzen Abbild, welches sich über den immer noch ohnmächtigen Kameraden erstreckte, ehe sie die Hand wahrnahm, welche ihr angeboten wurde. Zittrig stand sie auf und wandte sich um. Ein Bild des Grauens bot sich ihr. Der Marinestützpunkt, der Hafen, die Marineschiffe, der kleine Steg auf dem sie eben noch gelaufen war. Alles stand in Flammen! Und das Feuer breitete sich aus, schnell zerstörte es alles, was ihm im Weg war. Leckte sogar über die aufgewühlten Wellen des Meeres hinweg. Selbst die angrenzenden Berge konnten sich dem aufbäumenden Feind nicht erwehren. Durch das Knistern der Flammen und das Zischen des verdampfenden Wassers konnte man den wehklagenden Chor sterbender Männer hören. Gespenstisch und schrecklich hörte man die hilflosen letzten Lebenszeichen dieser zum Tod Verdammten. Wie erstarrt hielt sie sich den Mund zu, während ein tonloser Schrei aus ihrer Kehle brach. „Da!“ rief einer ihrer Freunde neben ihr, den Arm weit ausgestreckt. Dort, auf dem höchsten Turm des in Flammen stehenden Gebäudes konnte man zwei Gestalten erkennen, hart war ihr Kontrast zum Meer aus feurigem Licht, aber sie waren es unverkennbar. „Was machten wir denn jetzt?!“ „Wir müssen darüber!“ „Aber wie? Selbst das Meer brennt!“ Alle schrien sie durcheinander, wollten helfen, mussten helfen, nur sie stand da, und blickte zu den zweien hinauf. Es dauerte nur einen Moment, da sah sie was sie taten. „Achtung!“ Die anderen verstummten augenblicklich und horchten auf. Schnell wie ein Blitz! Nur wenige Meter neben dem Schiff konnte man ein lautes Platschen hören. Wie ein Pfeil war er auf sie zugerast, hatte sie nur knapp verfehlt, war ins ruhelose Meer gestürzt. Sie spürte, wie Hände sie zur Seite drückten, konnte erneut das Geräusch von Haut auf Wasser hören. Wenige Sekunden später Freudenschreie, als ein weiterer ihrer Kameraden auf die Sunny gezogen wurde, schwer hustend, verletzt aber am leben. Doch sie konnte sich nicht umdrehen, konnte nicht helfen. „Wo ist er?“ entkam es dem noch immer hustenden Piraten hinter ihr. „Da oben.“ flüsterte sie. Dort stand er, die Faust wie zum Gruße gen Himmel gestreckt. Eine unvergängliche Skulptur im Flammenmeer, schimmernd wie aus Bronze. Langsam erhob sie ihren Arm, streckte ihn gerade nach oben, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Hinter sich hörte sie Schreie. „Das kannst du nicht tun!“ rief der nasse junge Mann, der gerade auf die Beine kam und zur Reling hechtete. „Das kannst du doch nicht tun!“ Doch seine brechende Stimme ging unter im tosenden Poltern, als das uralte Gemäuer unter der Naturgewalt des Feuers zerbrach und der Turm in sich zusammenfiel. Wie eine Spielfigur fiel ihr Freund mit den Trümmern der Burg zu Boden, verzehrt von den wütenden Flammen. Er hatte den Plan gehabt, hatte sie alle aus den Kerkern der Marine befreit, hatte sie alle gerettet, jeden einzelnen von ihnen. Hatte sie alle beschützt, beschützt vor den Soldaten, beschützt vor dem Tod. Hatte sie und ihre Träume beschützt mit seinem eigenen Leben. Und nun war er tot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)