17 Years von NinaNachtigall ================================================================================ Kapitel 1: Claire ----------------- Er würde sein Versprechen nicht brechen. Nicht eines, auf das sie seit Jahren wartete, weil sie immer und immer wieder vertröstet worden war. Sie wäre zu jung. Aber das war sie nicht mehr. Sie war kein Kind. Trotzdem erwischte sie sich dabei wie sie immer wieder aus dem Fenster sah, hinaus auf den Hof und nach ihm Ausschau hielt. Vor ihr auf dem Schreibtisch im kleinen Salon lagen Geschichtsbücher verstreut, die zu ihrem Unterricht gehörten, dem sie normalerweise mit großen Interesse und noch mehr Wissbegierde folgte. Heute war aber Sticken dran. Eine Bekannte erwartete ein Kind und sie beteiligten sich an einem Geschenk, wie es Tradition war. Eleanore fand die Handarbeit mindestens genauso dröge wie sie, aber sie war geschickter darin, wo Claire sich wenig Mühe gab und keinen großen Ehrgeiz zeigte. Außerhalb des Fensters wartete ein warmer Frühlingstag. Es zog sie hinaus und man musste ihr an der Nasenspitze ansehen, wie ungeduldig sie war. Wie auf heißen Kohlen saß sie in ihrem geflochtenen Korbsessel. Ihre Unaufmerksamkeit wurde bestraft, in dem sie sich immer und immer wieder mit der dünnen Nadel in die eigenen Finger stach und sie zum Mund führte, um den Stoff nicht mit Bluttropfen zu verschmutzen. Die dunkelhaarige Frau, die ihrer Arbeit nachging und über die Vorbereitung für die Sommersonnenwende sprach, tat als würde sie das alles nichts bemerken. Wo blieb er? Er hatte gesagt, dass er sich beeilen würde und nun war er eindeutig über der Zeit. Ob man ihn aufgehalten hatte? In der Stadt gab es genug zu tun und Randolph war dieser Tage ständig außer Haus. Claire pustete sich eine Locke aus der Stirn. Ihre Arme fühlten sich steif an, weil sie viel zu verbissen an ihrem blumigen Muster mit dem Kreuzstich arbeitete und dabei elend langsam vorankam. Hufgetrappel! Bevor Eleanore irgendetwas sagen konnte war ihr Rahmen auf dem Tisch gelandet und die junge Frau war zum Fenster gelaufen, das zum Hof zeigte. Roland! Sie winkte ihm zu mit einem breiten Lachen auf ihrem Gesicht. Er konnte sie gar nicht ignorieren, auch wenn der Stalljunge herbeigeeilt kam und ihm mit seinem schwarzen Hengst helfen wollte. Er hielt ihn zurück. Der Rappe tänzelte auf der Stelle und warf schnaufend seinen Kopf herum. Roland winkte sie zu sich. Sie solle raus kommen. Das wollte Claire sich nicht zwei Mal sagen lassen. Sie wirbelte herum, stoppte dann aber. „Nur ein kurzer Ausritt...“, begann sie mit bittenden Unterton. Auf den Lippen ihrer Ziehmutter sammelte sich ein Schmunzeln. Sie nickte mit dem Kinn in Richtung der Tür. „Geh schon. Sag ihm, dass ihr zum Abendmahl zu Hause sein sollt. Wir erwarten Besuch.“ Ein eifriges Nicken war ihre Antwort. Bis zum Abend war mehr als genug Zeit. Nichts konnte sie mehr im Haus halten. Sie gab Eleanore zum Dank einen Kuss auf die Wange. Noch im Flur schlüpfte sie aus ihren Halbschuhen, um sie gegen die festeren Stiefel zu tauschen. Voller Ungeduld brauchte sie länger mit den Schnüren und fluchte leise, weil ihre Finger weh taten von den kleinen Stichen, die sie abbekommen hatte. Es war ihre eigenen Schuld und sie wusste, dass Roland sie aufziehen würde, wenn er davon erfuhr. Sie nahm den hinteren Ausgang der kleinen südländischen Villa, die am Rande der Stadt lag. „Du bist zu spät, Revolvermann“, war das Erste was er von ihr zu hören bekam. Dabei war sie so erleichtert, dass er sie nicht hatte hängen lassen. Sie schirmte ihre Augen gegenüber der Sonne ab, die an einem fast wolkenlosen Himmel stand. In der Luft lag ein Hauch von Sommer, der noch schüchtern war. Die Schritte zu ihm hin eilte sie. Er war nicht mal abgestiegen, wie es sich gehörte, wenn man eine Dame begrüßte. Sein Gesicht lag halb im Schatten seines Huts verborgen und sie wusste trotzdem genau wie der Ausdruck in seinen Augen sein musste. Bis in kleinste Detail konnte sie es sich vorstellen, weil sie es hunderte Male gesehen hatte. Mit dem gleichen Vertrauen griff sie nach seiner Hand, die er ihr hinstreckte, damit sie hinter ihm auf das Pferd steigen konnte. Sie war geübt. Seitdem sie in seiner Welt einen Teil ihres Lebens verbrachte war sie unterrichtet worden und hatte sich an den Aufstieg auf einen Pferderücken gewöhnt. Wenn gleich Kanada sehr hoch war und sie den Steigbügel brauchte. Mit Schwung schwang sie ihr Bein hinüber. Er schnalzte mit der Zunge und hielt den Hengst ruhig, bis sich ihre Arme um seine Körpermitte legte und sie sich leicht an ihn drückte. Über seine Schulter warf er einen Blick zu ihr und sie lächelte. „Bereit?“ Ein Nicken und ein Druck seiner Knie. Kanada setzte sich in Bewegung. Erst im leichten Trab vom Hof. Die Dunkelhaarige sah nicht mehr zurück zum Haus, sonst hätte sie Eleanore am Fenster entdeckt, die ihnen nachsah und sich erst abwendete, als sie die Straße erreichten. Aber sie wollten nicht in die Stadt hinein. Nicht zum Markt oder zu Freunden, die verteilt lebten. Immer schneller wurde Kanada unter ihr, zügelloser sogar als sie die Felder erreichten, die vorbei an vereinzelten Farmhäusern führten. Sie hielt sich an ihn, genoss den Wind in ihren Haare und den Rausch des Ritts, die großen Bewegungen des angespannten Pferdekörpers unter ihr, der so viel Kraft ausstrahlte. Noch waren die Acker an denen sie vorbei kamen leer. Ein paar Bauer arbeiteten auf ihnen. Manche richteten sich auf, sahen dem Reiter und seiner Begleiterin hinter her. Ein paar erkannten sie sicher auch. Er der Sohn des Dinh und sie seine Ziehtochter. Das Mündel, das er aufgenommen hatte nach dem Krieg. Man kannte ihr Gesicht und niemand zweifelte daran aus welcher Welt sie stammte. Von welcher Seite des Abgrunds. Toronto und ihr kleines Zimmer im College waren weit weg. Sie preschten vorbei, immer schneller. Hindurch durch einen kleinen Waldausläufer weiter hinaus weg von der Küste in den grünen Reichtum, der die Stadt umringte. Roland zügelte den Schwarzen, als der Weg enger wurde und sie in den Wald hinein ritten, der ihr vertrauter war als alles andere. Sie waren so oft hier gewesen. Eleanore und sie aber auch die Deschains zusammen. Sie erinnerte sich, wie sie Verstecken mit dem Revolvermann gespielt hatte und wie er sie zwischen Bäumen gejagt hatte, bis sie völlig außer Atem gewesen war. Kinderspiele, die lange her waren. Dabei konnte sie ihm genau den Baum nennen an dem er gezeigt hatte, wie man richtig mit einem Messer umging und in dem sie ihren Namen geritzt hatte. Er war nahe der kleinen Lichtung, die oft von Jägern benutzt wurde, weil ein kleiner Bach an diesem entlang floss, der die Tiere anlockte. Wenn welche da gewesen wäre, verscheuchte sie das Getrappel der Hufe. Kanada kam zum Stehen. Roland ließ ihn auslaufen, bis zu dem klaren Gewässer. Er stieg als erster hinab. Schlug seinen roten Mantel zurück und schob den Hut nach hinten, so dass sie ihm endlich in Gesicht sehen konnte. „Womit haben sie dich heute gequält?“, wollte er wissen und streckte ihr in einer nonchalanten Geste die Hände entgegen. Er wusste, dass sie es alleine schaffen würde und an einem anderen Tag hätte sie abgelehnt oder gelacht, aber heute half er ihr hinunter vom Rücken des Tieres. Seine Hände lagen an ihrer Taille hielten sie sicher, bis ihre Stiefel im frühlingsgrünen Gras landeten. „Historie und Handarbeit. Ich wäre lieber zu Sai Spielman gegangen, aber Eleanore meint ich hinke hinter her.“ Nicht was Historie betraf, sondern ihre Stickereien. Tradition war Tradition und daran war nicht zu rütteln. Sai Spielman hingegen war der Apotheker der Stadt und einer der wenigen Heiler, die es gab, die nicht gleichzeitig der Wahrsagerei verschrieben waren. „Ah“, machte Roland, mehr nicht. Aber im Schatten seines Huts konnte sie sein Grinsen sehen, weil er sie nicht darum beneidete ihre Zeit für Stickereien aufwenden zu müssen. Am liebsten hätte sie ihm einen Knuff in die Seite verpasst, doch der Revolvermann trat in weiser Voraussicht zurück. Er fasste die Zügel und führte den Rappen zu den Bäumen am Rande der kleinen Lichtung, um ihn dort festzumachen. Ihre innerliche Aufregung stieg. Wäre er mit ihr verbunden hätte er ihr Herzflattern spüren können und ihre schwitzigen Hände, die sie aneinander rieb. Die Satteltasche nahm er herab und legte seinen Mantel, sowie den Hut ab. Es war viel zu warm und sie verstand sowieso nicht wieso er ihn überhaupt trug. Darunter kam sein Waffengurt zum Vorschein, den er an der Hüfte trug. Seine Hand streifte ihn, in dieser vertrauten Geste, ehe er sich hinunter beugte um den Wasserschlauch hervor zu nehmen. Claire war ihm die paar Schritte gefolgt und nahm ihn den Schlauch ab. „Du hast es versprochen, Roland“, erinnerte sie ihn im vollen Bewusstsein, dass ihm sehr genau klar war worüber sie sprach. Der Deschain brauchte dazu gewiss nicht ihre Gedanken, denn die zwei dunklen Iriden lagen erwartungsvoll auf ihm. „Und ich halte mein Versprechen. Trink etwas.“ Claire schraubte den Verschluss ab und gab nach. Das Wasser war kühl. Er musste es vor dem Ausritt frisch aufgefüllt haben. Obwohl sie Eleanore versprochen hatten zum Abend zurück zu sein, bekam sie immer mehr das Gefühl, dass der Revolvermann anderes im Sinn hatte. Sie fragte nicht danach und reichte nur das Wasser zurück. Ihr Blick wanderte umher und sie suchte nach der besten Stelle. Brauchten sie nicht ein Ziel? Irgendetwas, dass sie anvisieren konnte. Zu genau hatte sie nicht darüber nachgedacht, aber Roland hatte zielstrebig diese Stelle gewählt. „Bist du sicher, dass du bereit dafür bist.“ Er stand direkt neben ihr. Seine Hand lag an ihrem Oberarm, womit er ihre Aufmerksamkeit zu sich zog. Es war eine freundschaftliche Berührung. Eine, wie sie tausende zuvor geteilt hatte. Trotzdem zog ihre Lippen sich auseinander, was nicht alleine Vorfreude war. In der letzten Woche war es schwierig gewesen Roland für sich alleine zu haben. Immer war etwas dazwischen gekommen und selbst wenn sie in Toronto verblieb und gedanklich bei ihm war, hatte er reserviert gewirkt. Gar nicht so, wie sie ihn kannte. Als würde er angestrengt versuchen etwas vor ihr zu verbergen. Es war beinah lächerlich wie nah sie sich sein konnte und trotzdem wusste sie nicht was sie davon halten sollte. Aber sein Versprechen galt. „Du hast selbst gesagt, dass es gut wäre es zu lernen bevor wir aufbrechen.“ Er nickte. „Kein Wort zu Vater.“ Claire legte einen Finger an ihre Lippen. Roland trat fort von ihr und zog einen der Revolver aus dem Waffengurt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)