Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 24: ------------ Seit der Entscheidung, dass Flockenpfote seine Kriegerprüfung nicht bestanden hatte, waren knapp zwei Wochen vergangen und die Große Versammlung auf dem Heiligen Berg näherte sich mit riesigen Schritten. Die Morgenpatrouille kam gerade zurück und Zimtfeders Schwanz wippte aufgeregt, als sie das Lager betrat. „Ich habe Neuigkeiten über die Jungen aus dem ErdClan und dem LuftClan.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht und war in bester Plauderlaune. Sturmherz hatte sie seit seiner Ankunft im FeuerClan stets nur als Königin kennen gelernt. Umso überraschter war er nun, wie energiegeladen sie als Kriegerin war. Sie stand jeden Tag bei Sonnenaufgang als eine der ersten auf und scheute keine Mühen, um ihre Tochter und Schülerin Bienenpfote quer durch das Gebiet des FeuerClans zu jagen. Ja, Sturmherz würde sogar so weit gehen und sagen, dass sie mit ihrer fröhlichen, energetischen Art ziemlich charmant war. Er konnte verstehen, dass Blaukralle sich in sie verguckt hatte, auch wenn er noch immer bezweifelte, dass der blaue Krieger zu anderen tiefen Gefühlen außer Stolz und Eigenschmeichelei fähig war. Sogleich versammelten sich einige neugierige Katzen um Zimtfeder, allen voran Falkenherz, Schneeflügel und Rosentau. Mit etwas Abstand setzte auch Sturmherz sich hin, dicht gefolgt von Fleckennase und Dachsfuß. Die beiden hielten solidarisch zu ihm, wann immer es Streit im Clan gab. Zimtfeder grinste verschmitzt, setzte sich ebenfalls und leckte sich einmal über die rechte Vorderpfote. Bienenpfote nahm neben ihr Platz. „Mit wem soll ich anfangen, ErdClan oder LuftClan?“ Herbstwolke, die die Neuigkeiten um keinen Preis verpassen wollte, preschte vom Frischbeutehaufen herüber und wippte aufgeregt hin und her. „Mit dem ErdClan! Dem ErdClan! Wer hat Junge bekommen und wie heißen sie? Bisher hieß es immer nur, dass es im ErdClan zwei neue und im LuftClan drei neue Jungen gibt!“ Rosentau schnalzte mit der Zunge. „Sei ruhig und setz dich hin.“ Zimtfeder schüttelte ihr Fell. „Der ErdClan? In Ordnung.“ Sie gähnte, bevor sie weitersprach. „Ich könnte Wetten darauf annehmen, aber so bin ich nicht. Also. Gut. Es sind Mohnfänger und Lehmpelz.“ Sturmherz blinzelte einige Male. Mohnfänger und ihn verband eine lockere Freundschaft über die Clangrenzen hinweg, aber er hatte nie erwähnt, dass er und Lehmpelz ein Paar waren und sogar Junge erwarteten. Das war ihm neu. Aber auf der anderen Seite war es nicht überraschend, dass Mohnfänger ihm nicht direkt alles verriet, was in seinem Clan passierte, immerhin gehörten sie unterschiedlichen Clans an. Rosentau nickte gönnerhaft. „Das habe ich mir natürlich längst gedacht. Beide sind jung und bei bester Gesundheit. Es wäre eine Vergeudung ihres gesunden Bluts, wenn sie keine Verbindung miteinander eingegangen wären.“ „Bei dir klingt das immer wie ein Geschäft“, murrte Falkenherz sofort. „Es geht um Liebe, liebste Rosentau. Freuen wir uns einfach für die beiden und gut.“ Zimtfeder nickte. „Ihre beiden Jungen heißen Falkenjunges und Spechtjunges. Beide sollen das feuerrote Fell ihres Vaters geerbt haben.“ „Und sind es Mädchen oder Jungen?“ Herbstwolke wippte noch immer auf ihren Pfoten umher. Es war offensichtlich, dass dieser Tratsch der Höhepunkt ihres Tages sein würde. „Beides Jungen.“ Schneeflügel seufzte. „Dann wird es schwer für die beiden, eine Gefährtin zu finden. Es bleibt nur Staubblüte übrig und wir alle wissen, wie schwierig sie vom Charakter her ist.“ Vor allem, wenn man bedachte, dass sie ihr Herz in unglücklicher Liebe an Blaukralle verloren hatte, schoss es Sturmherz sogleich durch den Kopf. „Hoffen wir, dass im ErdClan bald noch viele weitere Jungen geboren werden, damit ihnen das Schicksal des WasserClans erspart bleibt.“ Schneeflügel sah aus, als wäre sie von echtem Mitgefühl ergriffen. Kein Wunder, schließlich hatte sie selbst drei HalbClan-Jungen mit dem ErdClan. Rosentau schnappte nach Luft. „Was geht uns das Schicksal des ErdClans an, solange der FeuerClan zu altem Glanz zurückfindet. Fahr fort, Zimtfeder. Erzähl uns vom LuftClan.“ Zimtfeder nickte. „Gut. Im LuftClan haben Windjäger und Kleesonne drei gesunde Jungen bekommen. Goldjunges und Schwalbenjunges sind männlich und Nachtjunges ist weiblich. Sie sind schon fast zwei Monde alt, aber die Informationen haben erst jetzt ihren Weg bis zu uns gefunden.“ „Der Nachteil davon, dass wir uns keine Grenze mit dem LuftClan teilen“, knurrte Falkenherz. „Aber schlecht ist es nicht. Wacholderstern kann mir gestohlen bleiben.“ Dann heftete sie ihren Blick auf Dachsfuß, deren Bauch von Tag zu Tag runder wurde. Viel milder sagte sie nun: „Viel mehr freue ich mich auf den Nachwuchs, den unser Clan erwartet. Es ist das schönste Geschenk des SternenClans, wenn neue Jungen geboren werden und gesund sind.“ Ihr Blick glitt weiter zu Milchkralle. „Und was ist mit dir? Wann willst du dir einen Gefährten suchen?“ Milchkralle, die gerade zufällig vorbeigelaufen war, blieb mitten im Schritt stehen und versteifte sich. „Was?“ „Wann du dir einen Gefährten suchen willst. Viel Auswahl gibt es im Moment zwar nicht, aber Frostzahn und Rindentänzer sind doch ganz schmucke.“ Falkenherz begann zu kichern, als Milchkralle ganz blass zu werden schien und verwirrt einen Schritt nach hinten machte. „Na, na, wer läuft denn direkt weg? Oder willst du Sturmherz? Der scheidet als Zweiter Anführer ja jetzt aus.“ Die anderen stimmten in ihr Lachen ein, sogar Rosentau, wenn auch gehässiger. Milchkralle kniff die Augen zusammen, drehte dem Grüppchen den Rücken zu und eilte mit schnellen Schritten aus dem Lager hinaus. Sturmherz seufzte und folgte ihr in einigem Abstand. „Hör nicht auf das, was die sagen. Niemand zwingt dich zu einem Gefährten.“ Milchkralle drehte sich zu ihm und verlangsamte ihr Tempo leicht. „Natürlich nicht. Aber sie können sich ihre Kommentare einfach nicht verkneifen. Nur weil wir jetzt in dem Alter sind, in dem wir Junge bekommen könnten, tun sie auf einmal so, als wäre es eine Pflicht.“ Sie schnaubte wütend. „Wer sagt, dass ich überhaupt Königin werden will? Das ist nichts für mich. Ich kann es mir absolut nicht vorstellen.“ „Musst du doch auch nicht.“ „Außerdem interessieren mich Rindentänzer und Frostzahn kein Stück. Nicht so. Nur als Krieger wie jede andere.“ „Ja, das weiß ich. Es unterstellt dir doch niemand etwas. Falkenherz hat sich nur einen Scherz auf deine Kosten erlaubt.“ „Und von dir will ich auch nichts!“, polterte Milchkralle weiter, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in eine andere Richtung davon. Sturmherz blieb seufzend stehen. Da hatte Falkenherz wohl einen ziemlich empfindlichen Nerv getroffen. Niemand würde Milchkralle dazu zwingen, jemals eigene Jungen zu bekommen und Königin zu werden. Wenn es passierte, dann passierte es, aber wenn nicht, war das auch in Ordnung. Und er selbst? Nun, da er Zweiter Anführer war, hatte sich das Thema ohnehin für ihn erledigt. Anführer dienten einzig und alleine ihrem Clan, genau wie Heiler. Es war ihnen nicht erlaubt, Nachwuchs zu zeugen, sobald sie im Amt waren. Sturmherz würde nie eigene Jungen haben und das war in Ordnung. Es störte ihn nicht. Nicht im Geringsten. Und doch bohrte sich, als er zum Lager zurückkehrte, der Gedanke in seinen Kopf, wie es wäre, wenn er eines Tages selbst Vater sein könnte. *** Die Abendpatrouille führte Sturmherz, Blaukralle und Fuchspfote an der Grenze zum WasserClan entlang. Wann immer es ihm möglich war, teilte er Blaukralle und sich nicht in derselben Patrouille ein, doch es ließ sich nicht immer vermeiden, so auch dieses Mal nicht. Schweigend trabten sie nebeneinander her, markierten hier und dort ihr Revier. Fuchspfote schien die Spannung zwischen den beiden zu spüren, denn er hielt sich im Hintergrund und stellte nicht, wie sonst üblich, diverse Fragen. Stattdessen lief er im Gleichschritt mit seinem Vater und Mentor. Sturmherz war gerade damit fertig, einen Baumstamm zu markieren, als sich das Unterholz teilte und zwei WasserClan-Katzen zum Vorschein kamen. Der Streit zwischen dem WasserClan und dem FeuerClan mochte beigelegt sein, doch der Frieden währte erst seit knapp drei Monden. „Schneewolke, Steinbeere, seid gegrüßt.“ Die beiden schneeweißen Katzendamen blieben in respektvollem Abstand stehen und neigten zur Begrüßung leicht den Kopf. Im Gegensatz zum Großteil des WasserClans waren sie dem FeuerClan nicht vollständig abgeneigt und behandelten alle Krieger, denen sie während der Patrouillen an der Grenze begegneten, mit dem nötigen Respekt. Sturmherz befand, dass ein wenig Smalltalk nicht schaden konnte. „Wie läuft es mit der Ausbildung deines Sohnes?“ Steinbeere kniff die Augen leicht zusammen, während eines ihrer Ohren zuckte, dann entspannte sie sich wieder. „Gut. Muschelzahns Training ist sehr gründlich. Er lässt sich Zeit, damit Forellenpfote ein verlässlicher und guter Krieger wird.“ Steinbeere und Dornstachel waren Geschwister gewesen, doch sie hatte nie den Anschein gemacht, dass sie wegen Dornstachels Tod einen Groll gegen den FeuerClan hegte. Beide Clans hatten ihren Zweiten Anführer verloren und wenn sie um ihren Bruder trauerte, ließ sie es sich nicht anmerken. „Er wird dem WasserClan alle Ehre machen“, fügte Schneewolke hinzu. Sie war kleiner als Sturmherz, ging ihm etwa bis zur Schulter, dazu zierlich gebaut. Doch ihr langes, weißes Fell machte seinem eigenen Fell Konkurrenz. Sturmherz fand sie wunderschön und er verstand, wieso alle davon sprachen, dass dem WasserClan dank Mondstern die Schönheit im Blut lag. Schneewolke und ihr Bruder Eisschatten, der weitaus schlechter auf den FeuerClan zu sprechen war, waren Enkel von Adlerschwinge, der wiederum Mondsterns Sohn war. Somit floss das Blut der legendären Anführerin auch in ihren Adern. „Das wird er“, bestätigte Steinbeere nickend. „Das freut mich zu hören“, antwortete Sturmherz. „Und wie geht es Sonnenpfote und Mondpfote?“ Die beiden Katzendamen wechselten einen kurzen Blick, ganz so, als wüssten sie nicht recht, was sie erzählen durften und was nicht. Doch schließlich ergriff wieder Schneewolke das Wort: „Sie machen sich ebenfalls sehr gut. Am Anfang haben sie den FeuerClan vermisst, doch sie verstehen allmählich, wie wichtig sie für den WasserClan sind.“ „Sie sind das Erbe des WasserClans“, sagte Steinbeere. „Wir ziehen sie wie Unseresgleichen auf. Wie unser eigen Fleisch und Blut.“ Blaukralle konnte sich ein leises Knurren nicht verkneifen. „Und doch werden sie immer zur Hälfte das edle FeuerClan-Blut in sich tragen.“ Steinbeere strafte ihn mit einem strengen Blick. „Das hat nun nichts mehr zu bedeuten. Sie leben bei uns, sind Teil unseres Clans. Mondpfote und Sonnenpfote werden für immer WasserClan sein. Bei uns haben sie ihr Zuhause gefunden. Es spielt fortan keine Rolle mehr, welches Blut sie in sich tragen.“ „Ich bin sicher, für Apfelpelz würde es noch immer eine Rolle spielen.“ Sturmherz zuckte zusammen, als Blaukralle seinen Halbbruder erwähnte. Der FeuerClan sprach nicht gerne darüber. Nach dem Kampf gegen den WasserClan hatte Apfelpelz seine große Liebe Wolkentänzer zur Clangrenze begleiten wollen, doch er kehrte nie zurück. Schwarzstern hatte nach ihm suchen lassen, doch Apfelpelz hatte sich entschieden. Er war gemeinsam mit Wolkentänzer in die Wildnis gegangen, weil er es nicht ertragen konnte, seine Geliebte und seine Jungen zu verlieren. Steinbeere schnalzte mit der Zunge. „Das kümmert uns nicht. Es ist euer Problem, was mit Apfelpelz geschehen ist. Wir haben Sonnenpfote und Mondpfote. Sie leben bei uns. So haben es Silberstern und Schwarzstern abgemacht.“ Schneewolke warf Sturmherz einen flüchtigen Blick zu. Sie schien den aufkeimenden Streit ersticken zu wollen. „Das reicht nun. Apfelpelz und Wolkentänzer haben beide ein tragisches Schicksal erlitten. Seien wir einfach froh, dass es Sonnenpfote und Mondpfote gut geht.“ „Hoffen wir nur, sie stellen sich nicht eines Tages gegen den Clan, der ihr Leben gerettet hat“, kommentierte Blaukralle mit schneidender Stimme. „Nicht wahr, Sturmherz? Du hast dich doch so dafür stark gemacht, dass die beiden dem WasserClan übergeben werden.“ Sturmherz konnte nicht verhindern, dass sich sein Nackenfell leicht aufstellte. Er wollte Blaukralle einfach nur ignorieren, schaffte es jedoch nicht. Ebenso schneidend gab er zurück: „Weil es so am besten war. Das Überleben aller Clans war davon abhängig. Außerdem hat es der SternenClan so gewollt.“ „Was für ein Glück für dich, nicht wahr? Dass du den SternenClan auch in dieser Sache auf deiner Seite hattest.“ In Blaukralles Augen blitzte Zorn auf – und Eifersucht? Neid? Missgunst auf jeden Fall. „Und wie man sieht, verstehst du dich nun auch mit dem WasserClan bestens.“ Die beiden WasserClan-Kriegerinnen starrten Blaukralle an. Dann schüttelte Steinbeere den Kopf. „Einen schönen Tag noch. Mit eurem Streit haben wir nichts zu tun.“ Schneewolke verabschiedete sich ebenfalls höflich, dann kehrten beide in ihr Territorium zurück. Sturmherz und Blaukralle funkelten sich weiterhin an, bis Sturmherz aufstand und den Rückweg zum Lager einschlug. Blaukralle und Fuchspfote folgten ihm zunächst, bis Blaukralle ihn mit schnellen Schritten überholte und damit wieder einmal seine Autorität untergrub. Im Lager angekommen dauerte es nur wenige Herzschläge, bis Blaukralle sich neben Eisbart gesetzt hatte und Sturmherz pikiert anschaute. „Stell dir nur vor, unser Zweiter Anführer freundet sich nun schon mit dem WasserClan an.“ „Eine höfliche Unterhaltung ist kein Hochverrat“, konterte Sturmherz genervt, während er an den beiden vorbei ging. Er konnte nicht glauben, dass sein ehemaliger Mentor Eisbart dem Gerede überhaupt Gehör schenkte. „Noch nicht“, fauchte Blaukralle. Sein Schwanz lag zwar auf dem Boden, war jedoch aufgeplustert. „Aber es ist mir nicht entgangen, wie überaus freundlich du dich neuerdings mit Schneewolke unterhältst. Da dürfte meine Frage doch berechtigt sein, ob du nicht mehr für den WasserClan empfindest, als du solltest, zumal doch du derjenige gewesen bist, dank dem wir Sonnenpfote und Mondpfote an den WasserClan verloren haben.“ Sturmherz wirbelte zornig herum. „Du kannst mich nicht für alles verantwortlich machen, was geschehen ist! Ich habe immer nur das Beste für den FeuerClan – und für alle Clans – gewollt! Natürlich tut es mir leid, dass Sonnenpfote und Mondpfote nicht mehr bei uns sind, aber um die beiden geht es dir doch gar nicht! Du willst einfach nur jeden winzigen Moment ausnutzen, in dem sich dir die Chance bietet, mich vor dem Clan schlecht zu machen. Aber damit wirst du keinen Erfolg haben, Blaukralle. Ich bin der Zweite Anführer – nicht du. Du kritisiert einfach nur.“ Ein dunkles Funkeln legte sich in Blaukralles Blick. „Auch ein Zweiter Anführer kann sich keiner Kritik entziehen, wenn sie berechtigt ist. Ruh dich bloß nicht auf deinem Posten aus, Sturmherz. Schwarzstern mag dich ausgewählt haben, aber wir, der Clan, hat es nicht. Außerdem hättest du es nicht nötig, dich zu rechtfertigen, wenn an meiner Kritik nicht etwas dran wäre.“ Zu spät merkte Sturmherz, dass er in Blaukralles Falle getappt war – schon wieder. Er schluckte, schaute sich um, sah, wie alle Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Niemand widersprach Blaukralle. Sturmherz wurde klar, dass die Kluft innerhalb des Clans noch größer geworden war. Und er hatte keine Idee, wie er den anderen beweisen sollte, dass er mit Leib und Seele für den FeuerClan einstehen würde. Er musste sich ihren Respekt erst mühsam erarbeiten. *** Als die Große Versammlung kam, wählte Schwarzstern nur eine Pfote voll Krieger aus, die ihn begleiten sollten. Sturmherz, natürlich, dazu Blaukralle, Fuchspfote, Milchkralle und Frostzahn. Der FeuerClan war früh dran und erreichte als erstes das Plateau auf dem Heiligen Berg. Die uralte, große Eiche stand wie ein Mahnmal mittig auf der mit Schnee und Eis bedeckten Wiese. Als sie sich ihren Weg zur Eiche erkämpften, hinterließen sie eine schmale Schneise in dem schulterhohen Schnee. Über ihnen tobten schwarze Gewitterwolken über den Himmel, doch weder schneite noch regnete es. Dafür zuckten am Horizont lautlose Blitze durch die Luft. Wind kam auf. Das Gewitter zog genau in ihre Richtung. Sturmherz war froh, als er endlich die dicken, hohen Wurzeln unter der Schneedecke spürte. Er schüttelte die Eiskristalle aus seinem Fell und nahm auf der höchsten Position der Wurzeln Platz, wie es sich für den Zweiten Anführer gehörte. Schwarzstern zog wortlos an ihm vorbei, sprang gegen den gefurchten, borkigen Stamm und kletterte bis auf den ersten, dicken Ast, der waagerecht von dem Stamm abstand. Er schüttelte sich ebenfalls und begann sich zu putzen, bis auch die anderen Clans eintrafen. Löwenzahnstern grüßte sowohl ihn als auch Schwarzstern mit einem freundlichen Nasenstupser. Silberstern war wie üblich distanziert, doch seit sie Muschelzahn als Zweiten Anführer an ihrer Seite hatte, wirkte sie ein wenig entspannter und umgänglicher. Der LuftClan kam zuletzt und Wacholderstern machte sich gar nicht erst die Mühe, die Zweiten Anführer zu begrüßen. Er nahm direkt oben auf dem Ast Platz. Sturmherz entging aus dieser Perspektive nicht, wie dünn Wacholderstern geworden war. Außerdem wirkte sein Fell glanzlos und stumpf. Dem LuftClan schien es wieder schlechter zu gehen. Hoffentlich war die Blattleere bald vorüber. Kirschliebe, Muschelzahn und Regenkauz machten es sich mit Sturmherz auf den riesigen Wurzeln der Eiche gemütlich. Sie saßen beieinander, ohne sich dabei zu berühren. Sturmherz wusste nicht, was die anderen darüber dachten, dass er Zweiter Anführer des FeuerClans geworden war, doch er vermutete, dass auch sie Blaukralle bevorzugt hätten – so wie fast jeder. Silberstern und Wacholderstern hatten sogar bei der ersten Großen Versammlung, der er als Zweiter Anführer beigewohnt hatte, offen ihre Zweifel geäußert, was damals ein gefundenes Fressen für Blaukralle gewesen war. Und sogar Kirschliebe, die kleine Katze aus dem ErdClan, schien zur Abwechslung mit den anderen einer Meinung zu sein. Wacholderstern eröffnete die Versammlung und berichtete den Anwesenden von dem Nachwuchs im LuftClan. Ausholend erzählte er, dass Windjäger und Kleesonne drei gesunde Jungen bekommen hatten und sie der ganze Stolz des Clans waren. Sturmherz freute sich für den gebeutelten LuftClan, der es in den letzten Monden nicht leicht gehabt hatte. Leider war sein Freund Hummelschatten nicht anwesend, sonst hätte er ihm Grüße an Kleesonne ausrichten können. Weitere Neuigkeiten gab es im LuftClan nicht und nach wenigen Minuten der gegenseitigen Glückwünsche für den Nachwuchs ergriff Löwenzahnstern das Wort. Auch er erwähnte den Nachwuchs im ErdClan, hielt sich mit dem Thema jedoch nur wenige Sätze lang auf und betonte stattdessen, dass Rauchsturm ein vollwertiger Heiler war. Aus diesem Grund störte es ihn nicht, dass Tigerfuß viel Zeit für die Ausbildung von Fliederpfote verwendete. „Es ist die Pflicht der Heiler, sich in Zeiten größter Not gegenseitig zu unterstützen. Honigblüte ist leider viel zu früh von uns gegangen und ihr Verlust wiegt schwer. Ich sehe es als meine Pflicht an, dem FeuerClan in dieser Angelegenheit zu helfen, so gut es dem ErdClan möglich ist.“ Sturmherz entging nicht, dass der LuftClan und der WasserClan auf diese Worte mit Augenrollen oder verzogenen Gesichtern reagierten. Der Krieg und der große Streit zwischen den Clans war zwar beigelegt, doch das änderte nichts daran, dass alte Freundschaften und Feindschaften noch immer fortbestanden – ebenso wie alte Vorurteile, was Sturmherz wenige Herzschläge später am eigenen Leib feststellen durfte. Als Silberstern zu sprechen begann, starrte sie Sturmherz ein Loch in den Rücken. „Ich möchte euch mitteilen, dass die Ausbildung von Sonnenpfote und Mondpfote gute Fortschritte macht. Sie sind zwar erst ganz am Anfang ihrer Zeit als Schüler, doch sie erweisen sich als überaus gelehrig und talentiert. Ich möchte nicht sagen, dass ich grundsätzlich befürworte, dass HalbClab-Katzen ein Gewinn für die Clans sind, doch in diesem Fall werde ich eine Ausnahme machen.“ Ihr Clan stimmte ihr murmelnd zu. „Des Weiteren ist es mir ein besonderes Anliegen, sicherzustellen, dass der Frieden, der zwischen uns und dem FeuerClan noch sehr zerbrechlich ist, auch gewahrt bleibt.“ Überraschte drehte Schwarzstern sich zu ihr um. „Warum sollte der Frieden nicht gewahrt bleiben?“ Silberstern legte elegant den dünnen, weißen Schwanz um ihre Pfoten. „Nun, mir ist mehrfach zu Ohren gekommen, dass es … Unstimmigkeiten über die Wahl deines Zweiten Anführers gibt, Schwarzstern.“ Sturmherz musste schwer schlucken. Alle Augen richteten sich mit einem Schlag auf ihn. Kirschliebe und Regenkauz verzogen kaum merklich den Mund und streiften ihn mit abwertenden Blicken. „Versteh mich nicht falsch, Schwarzstern. Der Frieden zwischen unseren Clans ist kostbar, aber ich spreche im Namen meines ganzen Clans, wenn ich eine gewisse Besorgnis mitteile. Sturmherz ist gerade einmal ein Jahr Teil des FeuerClans. Außerdem trägt er keinerlei Clan-Blut in sich. Es mag die eine Sache sein, HalbClan-Katzen als vollwertige Clan-Mitglieder aufzunehmen, aber jemand, der vollständig von außen kommt, ist eine andere Sache.“ Schwarzstern wollte etwas sagen, doch Silberstern hob eine Pfote an, um ihn zu unterbrechen. „Ich weiß, auch der WasserClan hat einst Mondstern aufgenommen, doch sie war eine Einzelläuferin und kein Hauskätzchen. Sie hat sich den Respekt des Clans über Jahre erarbeitet. Bei Sturmherz hingegen werden Stimmen laut, die behaupten, er würde viel zu viel geschenkt bekommen.“ Von irgendwoher rollte krachender Donner heran. Eisige Windböen fegten über das Plateau und brachten das Gefühl von Schnee, Sturm und Elektrizität mit sich. Sturmherz schluckte seinen Frust herunter und vergrub die Krallen tief in den furchigen Wurzeln des Baumes. Reichte es denn nicht, dass Blaukralle seinen eigenen Clan gegen ihn aufhetzte? Wacholderstern räusperte sich. „Ich muss Silberstern in dieser Angelegenheit zustimmen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, den SternenClan zu befragen, ob nicht vielleicht doch ein anderer Zweiter Anführer die bessere Wahl wäre.“ Schwarzstern plusterte sich auf. „Nein. Meine Entscheidung ist gefallen. Wer einmal zum Zweiten Anführer bestimmt wurde, bleibt es auch.“ „Natürlich wäre es ein Präzedenzfall, aber ich denke, wir könnten eine Ausnahme machen“, sagte Wacholderstern sofort mit Blick zu Silberstern, die nickte. „Ja, das könnten wir. Es ist ein Angebot, Schwarzstern.“ „Kein Angebot, das auch nur ansatzweise für mich in Frage kommt.“ Er setzte sich gerade hin, streckte die Schultern durch und den flauschigen Fellkragen raus. „Ich danke euch alle für eure Anteilnahme am Leben des FeuerClans, aber das Gerede, das die Runde macht, ist eben nur das – Gerede. Selbst wenn es Schwierigkeiten geben sollte, werden wir die innerhalb unseres Clans alleine lösen. Keinem steht das Recht zu, darüber zu urteilen, wie gut oder schlecht Sturmherz seine Aufgabe macht, außer dem FeuerClan selbst. Bedenkt, dass er die entscheidende Idee im Kampf gegen den Bären hatte. Und dass es alleine Sturmherz zu verdanken ist, dass zwischen unseren Clans wieder Frieden herrscht und Sonnenpfote und Mondpfote ein lebenslanges Zuhause gefunden haben. Sturmherz mag zwar ein ehemaliges Hauskätzchen sein, doch von seinem ersten Tag an hat er uns bewiesen, dass in seinem Herzen das wilde Clanleben schlägt.“ Schwarzstern Blick wanderte weiter zu seinen eigenen Reihen, blieb an Blaukralle hängen. „Ich dulde es nicht länger, dass mein Clan an dieser Streitfrage zerbricht.“ Blaukralle sah aus, als wollte er protestieren, doch Wacholderstern kam ihm zuvor: „Schwarzstern, denk wenigstens darüber nach. Keiner wäre dir deswegen böse, wenn du dich anders entscheidest. Auch der SternenClan kann über Fehler hinwegsehen.“ Silberstern gähnte. „Nun, es ist deine Entscheidung, aber meine Meinung kennt ihr. Sturmherz mag sich mehrfach bewiesen haben, vielleicht auch unzählige Male, doch das ändert nichts daran, dass jemand anderes, sagen wir beispielsweise Blaukralle, diese Position mehr verdient hätte. Er wäre jemand, mit dem der WasserClan leben kann.“ Wacholderstern nickte eifrig. „Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, aber ich denke auch, dass Blaukralle an dieser Stelle sehr ungerecht behandelt worden ist.“ Schwarzsterns Ohren zuckten. Er schaute zu Löwenzahnstern. „Was sagst du dazu, alter Freund?“ Löwenzahnstern erwiderte Schwarzsterns Blick, dann schaute er zu Boden. „Es tut mir leid, Schwarzstern, aber ich stimme Silberstern und Wacholderstern zu. Wir alle schätzen Sturmherz und das, was er für uns getan hat, aber hier am Heiligen Berg sollte kein Platz für ein Hauskätzchen sein, das eines Tages Anführer wird. Soweit sollte es nicht kommen. Ich spreche mich nicht gegen Sturmherz als Person aus, aber gegen die Tatsache, dass er nicht hier in den Clans geboren wurde. Der Heilige Berg ist seit der Zeit der Großen Fünf unsere Heimat. Ich möchte die tiefe Freundschaft, die der ErdClan mit dem FeuerClan hegt, nicht riskieren. Also nimm meinen Rat als Freund an.“ Schwarzstern schnaubte. Er sah enttäuscht aus, peitschte mit seinem buschigen Schwanz durch die Luft. „Dann wird es vielleicht endlich einmal Zeit, dass wir mit den alten Traditionen brechen! Ihr wisst, was die Heiler am letzten Halbmond beim SternenClan gesehen haben!“ „Niemand von uns weiß, was der SternenClan uns damit sagen will, dass sie uns davor warnen, dass das Ende naht!“, schnarrte Silberstern sofort. „Wer weiß schon, ob es sich nicht darauf bezieht, dass der FeuerClan seine alten Prinzipien Stück für Stück über den Haufen geworfen hat?“ „Fang nicht wieder damit an!“, polterte Schwarzstern zurück und hatte größte Mühe, nicht ausfallend zu werden. „Ihr seid doch ohnehin alle drei der Meinung, ich wäre nicht in der Lage, selbst darüber zu entscheiden, was für meinen Clan am besten ist!“ Blitze zuckten über den Himmel, tauchten das Gesicht des Anführers für einige Sekunden in grelles Licht, untermalten seine wütenden Worte. Silberstern ruderte sofort zurück. „Ich werde dir eins sagen, Schwarzstern: Wenn der Tag kommt, an dem ein Hauskätzchen Anführer eines Clans wird, wird der WasserClan nicht länger tatenlos zusehen.“ Wacholderstern rümpfte die Nase. „Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.“ Selbst Löwenzahnstern nickte betrübt. „Es tut mir leid, mein Freund. Sturmherz ist nicht die beste Wahl. Du siehst doch selbst, dass er deinen eigenen Clan entzweit.“ Blaukralle stand auf. „Ich kann für den FeuerClan sprechen, wenn ich sage, dass auch wir nichts gegen Sturmherz als Krieger haben, aber wir haben das Recht, einen Zweiten Anführer zu haben, dem wir loyal folgen können.“ Immer mehr Stimmen wurden laut, quer durch alle Clans. Sturmherz fühlte sich elend. Er drehte sich um, schaute hinauf zu Schwarzstern. Für einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke. Schwarzstern war aufgesprungen, stand nun auf allen Vieren. „Ist das euer letztes Wort? Sollen unsere Clans wirklich so auseinander gehen? Denkt nur daran, dass wir alle vor langer Zeit einmal ein großer Clan gewesen sind, der voller Güte jede Katze aufgenommen hat, die vor den Zweibeinern geflohen ist. Vor vielen, vielen Jahren waren alle unsere Vorfahren einst Hauskätzchen und Einzelläufer und der SternenClan hat auch über sie gewacht! Wenn ihr nicht einmal in der Lage seid, über eure eigenen Schatten zu springen, und zu würdigen, das Sturmherz in seinem Herzen ein wahrer Krieger ist, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen, dass wir alle das Ende verdient haben!“ Sturmherz‘ Fell stellte sich auf. Ein Blitz. Er war geblendet. Ohrenbetäubender Donner. Er war nicht länger Herr seines Körpers, rollte über die Wurzeln in den Schnee. Eisige Kälte. Hitze. Knistern. Verbranntes. Sein Herz setzte einen Moment lang aus, stolperte zurück. Ihm war schlecht. Schwindelig. Mit wackeligen Beinen kämpfte er seinen Körper zurück ins Stehen, alles drehte sich. Er hörte nichts als das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Überall Chaos, Krieger rannten umher. Ihre Rufe und Schreie bahnten sich nur langsam einen Weg in seine Ohren. Fliederpfote rannte panisch auf das Plateau, ebenso Tigerfuß, Rauchsturm, Nessellicht und Gewitterschweif. Gleichzeitig erreichten sie den alten Eichenbaum. Sturmherz folgte ihren Bewegungen, war selbst noch immer benommen. Dann erkannte er, was die Panik ausgelöst hatte, und seine Augen weiteten sich vor Schock. Ein Blitz hatte den Baum, der seit Generationen der Treffpunkt der Großen Versammlung war, mittig in zwei Teile zerstückelt. Dort, wo einst der massive Stamm gestanden hatte, schwelte verbranntes Holz vor sich hin. Funken stoben bei jedem Windstoß in die Luft und vermischten sich mit dem Rauch, der in den pechschwarzen Gewitterhimmel zog. Die Anführer. Die Anführer! Hektisch drehte er sich, bis er Schwarzstern am Boden liegen sah. Das Fell seiner ganzen rechten Körperhälfte war versengt, doch er lebte, schaute ihn an. Den drei anderen Anführern ging es ähnlich. Sie alle waren verletzt, doch sie atmeten und waren bei Bewusstsein. Es bestand kein Zweifel daran, dass jeder von ihnen mindestens ein Leben verloren hatte. Silbersterns Pfoten waren verbrannt und begannen bereits, Brandblasen zu werfen. Wacholderstern war nur noch ein Schatten seiner selbst, sein ganzer Körper zitterte und zuckte unkontrolliert. Löwenzahnstern stöhnte, rollte sich auf die Seite, die Augen fest zusammengepresst. Die Heiler rannten zu ihren Anführern, die Clans standen dicht gedrängt um sie herum. „Der SternenClan hat uns bestraft!“, riefen einige. „Die Clans hätten sich niemals zerstreiten dürfen!“, klagten andere. „Der SternenClan, er hat uns eine Botschaft geschickt!“, rief Tigerfuß über den Tumult hinweg. Nur langsam kehrte wieder Ruhe ein. „Was? Was hat er gesagt?“, röchelte Schwarzstern, doch er setzte sich bereits wieder auf, gestützt von Fliederpfote. „Das Ende ist gekommen!“, sprach Gewitterschweif. „Die Zeit am Heiligen Berg ist vorbei“, fügte Nessellicht an. Fliederpfote nickte. „Die große Gefahr ist noch immer nicht gebannt.“ „Sie steht uns erst noch bevor“, ergänzte Rauchsturm. Tigerfuß sah aus, als würde er in der weiten Ferne nach etwas suchen. „Vier Krieger, einer aus jedem Clan, sollen sich bei Sonnenaufgang hier versammeln. Weit im Norden, wenn der SternenClan in strahlender Pracht im Himmel tanzt, wird sich das Schicksal der Clans in einer neuen Heimat erfüllen. Doch bedenkt, dass ihr nur gemeinsam finden könnt, was uns alle retten wird.“ „Einer aus jedem Clan?“, piepste Silberstern mit dünner Stimme. Sie konnte kaum auftreten, weil ihre Pfoten so stark schmerzten. „Wer?“ „Einer aus jedem Clan“, wiederholte Rauchsturm. „In ihren Herzen wird der SternenClan sie leiten.“ Während Fliederpfote das sagte, schaute sie zu Sturmherz. Diese Mission entschied über das Schicksal aller Clans. Sturmherz wollte Schwarzstern nicht alleine lassen, doch er spürte, wie plötzlich etwas in seinem Inneren zog. Er war der Zweite Anführer des FeuerClans. Wie könnte er seinem Clan besser dienen, als diese Reise ins Ungewisse anzutreten? Doch er müsste alles hinter sich lassen, seine Freunde, seinen Schüler, seinen Clan. Schwarzstern, der hustend neben ihm zum Stehen kam, schaute ihn lange schweigend an. Als er den Blick senkte, war die Entscheidung bereits gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)