Stormpaw's Destiny von Kalliope (Warrior Cats - New Clans, New Stories) ================================================================================ Kapitel 15: ------------ Niemand sagte etwas oder rührte sich auch nur. Sturmherz fühlte, wie sehr sein Herz in seiner Brust pochte. Apfelpelz hatte die Loyalität zu seinem Clan verletzt, indem er sich mit Wolkentänzer aus dem WasserClan eingelassen und Jungen mit ihr gezeugt hatte, die nun auf direktem Weg zum Lager des FeuerClans waren. Schwarzsterns schwarzes Fell schien auf einmal kraftlos und stumpf zu werden. Bitterkeit spiegelte sich in seinen Augen wider und sein Schwanz peitschte unruhig durch die Luft. „Apfelpelz, das … ist das die Wahrheit?“ Der dunkelrote Kater nickte ergeben. Seine Mutter Rosentau war die erste Katze, die ihre Sprache wiederfand. Sie machte einen Schritt nach vorne, die grünen Augen weit aufgerissen, das Fell im Nacken leicht gesträubt. „Mein Sohn … Wie kannst du mir so etwas antun?“ Sie pausierte kurz, fuhr dann mit lauter, schriller Stimme fort: „Wie kannst du deinem Clan so etwas antun!“ Er würdigte sie keines Blickes, war ihr keine Rechenschaft schuldig, sondern nur Schwarzstern. Schwarzsterns Brust bebte. „Ich werde eine Entscheidung treffen müssen.“ Weiter kam er nicht, denn lautes Rascheln vom Eingangsbereich des Lagers kündigte die Ankunft einer weiteren Katze an. Wolkentänzer kämpfte sich mit ihrem langen, weißen Fell, das nur an wenigen Stellen von gräulichen Flecken unterbrochen wurde, durch die Hecke. Sie blieb kaum eine Fuchslänge hinter dem Eingang stehen und wirkte unendlich verloren. Ihre Augen, von denen eins strahlend blau und eins bernsteinfarben war, huschten nervös umher, bis sie an Apfelpelz und Schwarzstern hingen blieben. Sie setzte die beiden Jungen, die sie gemeinsam im Maul getragen hatte, vor sich auf dem Boden ab. Sie waren noch so winzig, hatten die Augen geschlossen, fiepten leise und kuschelten sich sogleich an ihre Mutter. Grau und Rot vor weißem Fell. Man musste kein Genie sein, um in Frage zu stellen, ob sie vollständig dem WasserClan entstammten. Schwarzstern starrte Wolkentänzer mit einer Mischung aus Resignation und Abscheu an. „Wolkentänzer.“ Dennoch nickte er ihr höflich zu. „Schwarzstern.“ Sie grüßte ihn mit fester und dennoch sanfter Stimme, neigte ihr Haupt und wartete, bis Apfelpelz an ihre Seite kam. Der rote Kater leckte ihr einmal tröstlich über den Kopf, dann setzten sie sich gemeinsam hinter ihre Jungen und warteten ab. „Apfelpelz hat mir bereits berichtet, was sich zwischen euch zugetragen hat.“ Schwarzsterns Blick fiel auf die beiden eingerollten Jungen zu ihren Füßen. „Der WasserClan hat dich und deine Jungen verbannt.“ Wolkentänzer nickte. „Das ist richtig.“ Sie wollte offensichtlich selbstbewusst wirken, doch wenn man ganz genau hinschaute, dann konnte man erkennen, dass ihr Körper zitterte. Immer wieder huschte ihr Blick umher und nur die Anwesenheit von Apfelpelz schien ihr Halt zu geben. „Apfelpelz sagte, dass der FeuerClan uns vielleicht … helfen könnte.“ „Anmaßend!“, zischte Rosentau. Sie war noch einen Schritt näher getreten und andere folgten ihrem Beispiel. Wie von selbst kesselte der gesamte Clan die beiden Verräter ein. Ankläger, die darauf warteten, dass ihr Richter das Urteil fällte – und es würde gefällt werden müssen, daran bestand kein Zweifel. Dennoch hielten sie einen Sicherheitsabstand ein. Sturmherz betrachtete die beiden Jungen, die vor Erschöpfung eingeschlafen sein mussten, denn sie gaben keine Geräusche mehr von sich. Rot und Grau. Zwei Junge, so winzig klein und jung. Wenn Schwarzstern sie verstoßen würde, würden sie höchstwahrscheinlich in der Wildnis sterben. Als Schwarzstern nichts mehr sagte, sprang Haselschweif für ihn ein. „Ihr kennt das Gesetz der Krieger. Loyalität zum eigenen Clan steht an oberster Stelle. Und ihr kennt auch die Bestrafung, die denjenigen droht, die sich mit Katzen aus fremden Clans einlassen. Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?“ „Ich bin mir durchaus bewusst, dass der FeuerClan mir kein neues Zuhause geben wird“, begann Wolkentänzer mit zitternder Stimme. „Deswegen bin ich auch nicht hier. Ich bin hier, weil es meinem … weil es dem WasserClan egal ist, ob in diesen Jungen zur Hälfte das Blut des WasserClans fließt. Silberstern hat ihr Urteil gesprochen und uns drei verbannt, wie es seit jeher im WasserClan gehandhabt wird. Ihr anderen Clans jedoch … Ihr gebt HalbClan-Katzen eine Chance. Ich bin nicht hier, weil ich darum bitten möchte, dass ihr mich in eure Reihen aufnehmt. Ich bin hier, weil ich möchte, dass meine beiden Jungen leben können. Sie sind kaum zwei Tage alt, aber ich produziere kaum noch Milch. Wenn sie mit mir in die Wildnis kommen, werden sie verhungern. Der FeuerClan, der Clan ihres Vaters, ist ihre einzige Überlebenschance.“ „Du, eine Ausgestoßene, kommst hier in das Lager meines Clans und verlangst von mir, HalbClan-Junge aufzunehmen, die dem WasserClan nie wieder unter die Augen treten dürfen?“ Schwarzstern musterte Wolkentänzer, dann auch Apfelpelz. „Und du unterstützt sie dabei?“ „Schwarzstern, wir bitten dich gemeinsam, diese Jungen zu verschonen. Lass nicht zu, dass sie auch vom FeuerClan verstoßen werden. Es sind hilflose, unschuldige Jungen. Sie können nichts dafür, dass wir ihre Eltern sind und aus verschiedenen Clans stammen.“ „Und wieso sollte ich mich deshalb mit dem WasserClan anlegen, Apfelpelz? Wieso sollte ich euretwegen riskieren, dass Silberstern uns noch weiter bedroht? Sie hat bereits entschieden, dass diese Jungen verbannt werden. Es steht mir nicht zu, die Verbannung, die ein anderer Anführer ausgesprochen hat, aufzuheben.“ Apfelpelz reckte keck das Kinn hervor. „Weil ich dein Enkel bin. Sohn von Fuchsauge. Meine Jungen teilen sich zu einem Teil auch dein Blut, Schwarzstern. Ich habe daran geglaubt, dass du sie hier im FeuerClan aufnehmen wirst, weil sie Teil der Familie, Teil des Clans sind – und weil auch du einst eine HalbClan-Katze warst, der man hier im FeuerClan eine Chance gegeben hat.“ Schwarzstern knurrte leise. Apfelpelz nutzt den Moment, um fortzufahren. „Wie du sehen kannst, sind unsere Jungen grau und rot. Graue Katzen kommen im WasserClan vor, aber keine rote Katzen. Das hat Silberstern und die anderen sofort misstrauisch gemacht. Dornstachel wäre als einziger als Vater in Betracht gekommen, doch er stritt die Vaterschaft vehement ab. Wolkentänzer blieb nichts anderes übrig, als Silberstern die Wahrheit zu sagen. Diese Jungen, unsere Jungen, sind, soweit wir das beurteilen können, kerngesund. Sie haben das kranke Blut des WasserClans nicht geerbt. Sie werden keine Belastung für den FeuerClan sein. Du kannst Wolkentänzer und mich verbannen, aber bitte nimm unsere Jungen auf.“ Als Schwarzstern noch immer nicht reagierte, fügte Apfelpelz etwas zögerlicher hinzu: „Heißt es im Gesetz der Krieger nicht, dass kein Junges hilflos zurückgelassen werden darf, auch wenn es nicht dem eigenen Clan angehört?“ Langsam machte Schwarzstern einen Schritt auf die beiden zu. Von oben herab betrachtete er die Jungen zu ihren Füßen. Sein Blick ruhte eine ganze Weile auf ihnen, dann kniff er für einen Moment mit schmerzhaftem Gesichtsausdruck die Augen zusammen. Sobald er sie wieder öffnete, war seine Miene kühl und unergründlich. „Der Rote, dein Sohn, wie heißt er?“ Apfelpelz und Wolkentänzer tauschten einen schnellen, hoffnungsvollen Blick. „Sonnenjunges.“ Schwarzstern seufzte. „Und deine Tochter, die Graue?“ „Mondjunges.“ „Also gut“, begann Schwarzstern mit lauter, fester Stimme. „Ihr dürft bleiben, bis ich diese Angelegenheit bei der nächsten Großen Versammlung mit Silberstern erörtert habe. Außerdem wird auch Honigblüte den SternenClan um Rat fragen müssen. Jedoch verfüge ich, dass Wolkentänzer für ihre Frischbeute selbst verantwortlich ist und das Lager des FeuerClans nur in Begleitung eines anderen Kriegers zum Jagen verlassen darf. Auch Apfelpelz wird, bis diese Angelegenheit geklärt ist, im Lager unter Arrest stehen. Ich weiß, dass du nicht genügend Milch produzierst, Wolkentänzer, doch es liegt nicht in meiner Macht, einer anderen Königin zu befehlen, sich um deine Jungen zu kümmern.“ Rosentau schnaubte. „Die Gefährtin meines Sohnes Blaukralle wird sich in dieser Sache ganz sicher –“ Wie aus dem Nichts hatte sich Zimtfeder lautlos angeschlichen. „Um diese hilflosen Jungen kümmern“, beendete sie Rosentaus Satz und ließ Blaukralles Mutter dadurch mit bitterbösen Blicken zurück. Selbst Blaukralle schien überrascht zu sein. Auch Sturmherz hatte Zimtfeder bislang immer nur als die ruhige, fügsame Gefährtin an Blaukralles Seite und die Mutter seiner Kinder kennen gelernt. Dass sie sich nun öffentlich für Apfelpelz‘ HalbClan-Jungen einsetzte, beeindruckte ihn. „Kein Junge sollte leiden müssen“, begründete Zimtfeder kurz, dann nickte sie Wolkentänzer freundlich zu. „Komm mit mir in den Bau der Königinnen.“ Honigblüte, die alles vom Eingang ihres Baus aus beobachtet hatte, gab Fliederpfote ein Kopfnicken. „Hilf ihr beim Tragen.“ Für einen kurzen Augenblick lang sah es so aus, als würde Honigblüte zufrieden mit dieser Entwicklung sein. Der Clan löste sich dadurch automatisch mit auf. Sofort bildeten sich raunende Grüppchen, die leise, aber sehr eifrig diskutierten, was gerade geschehen war. Sturmherz blieb einfach sitzen, wo er war, und als Schwarzstern und Haselschweif an ihm vorbei gingen, konnte er genau hören, wie der Anführer zu seinem Stellvertreter sagte: „Sonnenjunges und Mondjunges … Sie sehen genauso aus wie Fuchsauge und Grauwolke. Ob mir der SternenClan eine zweite Chance geben will?“ *** Am nächsten Tag verlief nichts so, wie es sein sollte. Jeder wollte die eingeteilten Aufgaben so schnell wie möglich erledigen und viel Zeit im Lager verbringen, um bloß nicht zu verpassen, falls Schwarzstern neue Entscheidungen fällen sollte. Wolkentänzer verließ den Bau der Königinnen so gut wie gar nicht, während Apfelpelz sie mit Frischbeute versorgte und auch Zimtfeder großzügig etwas mitbrachte, was Blaukralle wiederum nicht in den Kram passte. Sturmherz konnte die Anspannung im Clan schließlich nicht länger ertragen und schnappte sich seinen Schüler. Gemeinsam streiften sie eine große Runde durch das Revier des FeuerClans, übten ein paar Angriffs- und Verteidigungspositionen und spazierten dann weiter. Es war nur noch etwa eine Woche bis zur nächsten Großen Versammlung und Sturmherz zweifelte keinen Herzschlag lang daran, dass Silberstern außerordentlich wütend werden würde, wenn sie erfuhr, dass Schwarzstern die verstoßene Wolkentänzer vorübergehend bei sich aufgenommen hatte. „Wieso können Sonnenjunges und Mondjunges nicht einfach im Clan bleiben und alles ist gut?“, fragte Flockenpfote nach einer Weile des Schweigens. „Wieso müssen sich immer alle streiten?“ „Politik“, antwortete Sturmherz seufzend. „Der WasserClan legt das Gesetz der Krieger sehr streng aus und wenn Schwarzstern Silbersterns Entscheidung in Frage stellt, stellt er automatisch ihren Führungsstil in Frage, was ihr überhaupt nicht gefallen wird.“ „Ich mag Silberstern nicht. Sie klingt gemein.“ „Oh, das ist sie auch“, sagte Sturmherz lachend. „Sie mag keine HalbClan-Katzen, keine Einzelläufer und keine Hauskätzchen.“ „Also mag sie dich auch nicht?“ „Nein.“ „Und Schwarzstern auch nicht?“ „Das stimmt.“ Flockenpfote dachte eine Weile darüber nach. „Dabei ist Schwarzstern ein guter Anführer, nicht wahr?“ „Ja, das ist er. Er ist weise und gerecht und gibt jedem eine Chance, der wirklich eine Chance verdient hat. Deshalb dürfen Wolkentänzer und ihre Jungen ja auch wenigstens eine Woche bei uns bleiben.“ „Und wenn er sie dann trotzdem verbannt, sterben sie.“ „Aber sie haben vielleicht eine etwas höhere Überlebenschance. Jede Woche, die Schwarzstern für die Jungen herausschlagen kann, bedeutet, dass sie älter und kräftiger werden.“ „Oh!“ Flockenpfotes Gesicht hellte sich auf. „Dann ist das wirklich nett von ihm. Ich hoffe, die beiden dürfen bei uns bleiben. Ich mag sie. Sie haben doch sonst niemanden.“ „Ja, das ist wahr. Dabei macht Silberstern einen großen Fehler.“ „Wie meinst du das?“ Sein Schüler schaute ihn von der Seite her mit leicht schief gelegtem Kopf an. „Weil sie Junge verbannt, die gesund sind?“ Etwas zögerlich nickte Sturmherz. „Kann man so sagen.“ Dann blieb er stehen. „Weißt du … Ich glaube, der WasserClan steckt in Schwierigkeiten.“ Flockenpfote setzte sich ihm gegenüber auf den Waldboden und legte den buschigen, schneeweißen Schwanz über seine Pfoten. Aufmerksam hörte er seinem Mentor zu. „Schon vor meiner Zeit sind die meisten Jungen, die im WasserClan geboren wurden, krank und schwach gewesen. Viele sind kurz nach der Geburt gestorben oder schon tot zur Welt gekommen, andere konnten nicht hören oder nicht sehen, weshalb sie für den WasserClan wertlos sind. Außerdem gibt es wohl einige Krieger, die nie Nachwuchs bekommen haben, obwohl sie es wollten.“ „Meine Mutter hat mir auch davon erzählt“, stimmte Flockenpfote eifrig zu. „Sie sagt, das Blut im WasserClan verdirbt mit jeder Generation ein bisschen mehr, weil der SternenClan wütend über ihr Handeln ist. Sie sagt, dass du sie darauf aufmerksam gemacht hast, weil du von Außerhalb gekommen bist und es deshalb als einziger erkannt hast.“ „Das mag sein. Jedenfalls ist der WasserClan, soweit ich das beurteilen kann, der einzige Clan, in dem es keine HalbClan-Katzen gibt. Die drei anderen Clans sind gesund und stark, weil ihr Blut im Laufe der Zeit durchmischt worden ist. Der WasserClan wollte jedoch nie HalbClan-Junge bei sich haben. Bis Eisschatten und Schneewolke geboren wurden, hat es eine ganze Weile gar keine Schüler mehr im WasserClan gegeben.“ Wieder nickte Flockenpfote. „Und gibt es jetzt Junge im WasserClan?“ Sturmherz runzelte die Stirn. „Soweit ich weiß, gibt es ein Junges, das aber noch nicht zum Schüler ernannt worden ist. Genau weiß ich das aber nicht. Wieso fragst du?“ „Wenn der WasserClan keine Junge mehr haben kann, weil ihr Blut verdorben ist, dann ist Silberstern wirklich dumm, wenn sie Sonnenjunges und Mondjunges nicht behalten möchte. Die beiden könnten dem WasserClan neues Blut geben oder?“ „Ja, das könnten sie.“ Sturmherz nickte. „Das war auch mein Gedanke. Aber ich glaube nicht, dass Silberstern ihre Entscheidung rückgängig machen wird.“ „Silberstern ist gemein“, sagte Flockenpfote erneut und schaute dabei ganz ernst drein. „Und das, obwohl sie selbst gar kein reines WasserClan-Blut hat“, brummte Sturmherz. „Ihre Großmutter, die legendäre Mondstern, ist eine Einzelläuferin gewesen. Die einzige Einzelläuferin, die es jemals in den WasserClan geschafft hat. Mondstern verdammt Junge, weil sie HalbClan-Junge sind, dabei ist sie selbst zu einem Viertel nicht dem WasserClan angehörig.“ „Aber … Das widerspricht sich doch!“ Flockenpfote erhob sich wieder. „Sag das nicht mir, sondern Silberstern“, stimmte Sturmherz ihm zu und setzte sich ebenfalls wieder in Bewegung. „Aber ich möchte, dass du dieses Thema den anderen gegenüber nicht erwähnst. Ich weiß nicht wieso, aber die anderen wollen davon nichts hören. Du würdest sie nur verärgern. Überlass Schwarzstern die Entscheidung. Er konzentriert sich auf das Führen des FeuerClans und wir konzentrieren uns jetzt auf deine Ausbildung.“ Er grinste seinen Schüler schelmisch an. „Wer zuerst zurück im Lager ist, hat gewonnen!“ *** „Du musst dir mehr Mühe geben!“, schnarrte Honigblüte ungewohnt scharf, sodass ihre Schülerin Fliederpfote zusammenzuckte. „Verzeih mir, Honigblüte.“ „Der Blattfall schreitet voran und bis zur Blattleere musst du sämtliche Pflanzen in unserem Revier erkennen und zuordnen können!“ Fliederpfote sank noch ein Stückchen weiter in sich zusammen und heftete den Blick auf drei getrocknete, rote Beeren, die vor ihr auf dem Boden lagen. „Ich gebe mir Mühe.“ „Aber nicht genug Mühe!“, polterte Honigblüte ungehalten weiter. Sie fegte die drei Beeren mit einem einzigen Pfotenschlag quer durch den Gang, der zum Heilerbau führte. „Du musst jede dieser Beeren im Schlaf erkennen können. An der Form. Der Farbe. Dem Geruch. Zwei davon heilen unseren Clan, eine macht ihn krank.“ Sturmherz, der die Unterhaltung versehentlich mitbekam, fühlte sich fehl am Platz. Haselschweif hatte ihn gebeten, Zimtfeder und Traumtänzer mit Frischbeute zu versorgen, doch stattdessen blockierten Honigblüte und ihre Schülerin den Eingang. Für ihn hatten alle drei Beeren absolut gleich ausgesehen – und für Fliederpfote offenbar auch. Noch nie hatte er Honigblüte so ungehalten erlebt. Er räusperte sich, woraufhin Fliederpfotes Ohren sich in seine Richtung drehten, doch Honigblüte, die mit dem Rücken zu ihm stand, bemerkte ihn gar nicht. „Seit wie vielen Monden bist du nun meine Schülerin?“ „S-seit fast zwei Monden.“ „Und wie lange bilde ich dich schon davor aus?“ „Seit …“ Honigblüte ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Seit du geboren wurdest! Du konntest kaum laufen, da habe ich dich schon mit in den Heilerbau genommen, weil der SternenClan mir bei deiner Geburt verraten hat, dass du meine Nachfolgerin werden wirst. Ich habe dich hier in diesem Bau aufwachsen sehen, habe dich immer überall mit hin genommen. Und so dankst du es mir!“ Fliederpfotes Körper zitterte ungehalten. Sie senkte die Ohren, presste sich flach auf den Boden. „Bitte v-verzeih mir! Ich werde jede einzelne Pflanze auswendig lernen, das verspreche ich dir!“ „Mehr Mühe!“, giftete Honigblüte weiter, ohne darauf einzugehen. „Bis zur Blattleere, hast du mich verstanden!“ Dann drehte sie sich schwungvoll um, rempelte Sturmherz an und stapfte aus dem Lager. Sturmherz sah zu Fliederpfote, die noch immer wie Espenlaub zitterte und schwer schluckte. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Sie blinzelte, erhob sich wieder und reckte das Kinn in die Höhe. In ihren Augen lag derselbe stolze Blick, den er schon zur Genüge von Blaukralle kannte. Fliederpfote mochte so ruhig und zierlich wie ihre Mutter Zimtfeder sein, doch in ihrem Herzen loderte derselbe Stolz, den auch Blaukralle besaß, daran bestand kein Zweifel. „Es geht mir gut. Du willst zu den Königinnen?“ Er nickte. „Haselschweif schickt mich.“ Fliederpfote hatte sich bereits wieder gefangen und trat einen Schritt zur Seite. „Dann geh.“ Sie schaute ihm hinterher, doch kaum war er außer Sichtweite, glaubte er, ein ersticktes Schluchzen zu hören. Was auch immer in Honigblüte gefahren war, Fliederpfote hatte es nicht verdient, so hart behandelt zu werden. *** Die Zeit verging ohne Unterlass und als mit dem nächsten Vollmond die Zeit für die Große Versammlung war, machte sich Nervosität im FeuerClan breit. Niemand wusste, wie Silberstern und der WasserClan reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass Schwarzstern Wolkentänzer und ihre beiden Jungen vorübergehend im FeuerClan aufgenommen hatte. Wolkentänzer und Apfelpelz saßen eng aneinander gedrängt vor dem Bau der Königinnen und warfen sich immer wieder sehnsüchtige, hoffnungsvolle aber auch ängstliche Blicke zu. Was auch immer in dieser Nacht entschieden werden würde, es würde ihre Welt verändern. Schwarzstern und Haselschweif hatten sich eine ganze Weile darüber beraten, wer sie zur Großen Versammlung begleiten sollte. Schließlich entschieden sie sich für Blaukralle, Rindentänzer, Sturmherz, Eisbart und Nebelpfote. Sie formierten sich und brachen auf, als der Mond kurz vor seiner höchsten Position war. Es herrschte eine eisige Stimmung. Niemand schien sich unterhalten zu wollen und alle Krieger blickten grimmig und starr geradeaus. Schwarzstern trabte mit strammen Schritten voran und verringerte sein Tempo auch dann nicht, als sie die Grenze des FeuerClans hinter sich ließen und der steile Anstieg zum Plateau des Heiligen Bergs, auf dem sich die große, uralte Eiche befand, begann. Hier oben peitschte ihnen der Wind entgegen, der im Laufe des Tages von warm zu kalt gewechselt hatte und nun aus nördlicher Richtung wehte. Sturmherz fühlte, wie sein seidiges, langes Fell umhergewirbelt wurde und bald darauf in alle Richtungen abstand. Sobald die Abgesandten des FeuerClans ihren Platz eingenommen hatten, rückten sie mürrisch zusammen und richteten ihr Fell. Dem ErdClan erging es nicht anders. Die langhaarigen Krieger sahen aus, als hätten sie sich seit Tagen nicht geputzt. Kirschliebe, die Zweite Anführerin des ErdClans, saß auf einer der großen Wurzeln der Eiche und putzte sich verzweifelt, um wieder Ordnung in ihr Aussehen zu bringen. Schließlich eröffnete Löwenzahnstern die Große Versammlung und alle wurden still, um ihm zuzuhören. Er sprach davon, dass es bedauerlicherweise keine neuen Jungen im Clan gab, dies den ErdClan jedoch nicht schwächte. Rauchpfote, der Heilerschüler, schritt mit seiner Ausbildung gut voran und Tigerfuß war davon überzeugt, ihn in wenigen Monden zu einem vollwertigen Heiler ausgebildet zu haben. Nachdem Löwenzahnstern geendet hatte, sprach Wacholderstern über den LuftClan. Auch hier hatte es in diesem Blattfall bislang keine neuen Jungen gegeben, was vom LuftClan einheitlich mit einem bedauerlichen Murmeln kommentiert wurde. „Allerdings bin ich fest davon überzeugt“, schloss Wacholderstern seine Rede ab, „dass wir viele, gesunde Jungen im Clan begrüßen können, sobald der See in unserem Territorium wieder mehr Wasser führt. Während der Blattgrüne ist unser See bedauerlicherweise gut zur Hälfte ausgetrocknet, was unser Nahrungsangebot zwar verknappt, ansonsten jedoch zu keinen Problemen geführt hat. Der LuftClan ist weiterhin stark und wird dies auch bleiben.“ Laute Rufe aus dem Clan untermalten seine Worte. Sturmherz schaute interessiert zu den LuftClan-Katzen herüber. Sie waren weder dick noch dünn, aber dafür, dass es allmählich in Richtung Blattleere ging, hatten sie tatsächlich etwas zu wenig Speck auf den Rippen. Der LuftClan war der einzige Clan, durch dessen Territorium der Bach nicht floss. Dafür besaßen sie einen kleinen See, der durch einen unterirdischen Zufluss gespeist wurde. Weder jagten sie Fische, wie der WasserClan es tat, noch besaßen sie ein übermäßiges Angebot an Mäusen und Eichhörnchen, wie es im ErdClan oder FeuerClan der Fall war. Soweit Sturmherz bekannt war, jagte der LuftClan hauptsächlich Kaninchen und Vögel, weshalb die LuftClan-Katzen als sehr wendig und flink galten. Silberstern, die nun an der Reihe war, führte ihre Rede mit gewohnt großen Worten aus. Starker WasserClan, Bla-Bla, starke Krieger, Bla-Bla. Sturmherz hätte am liebsten gar nicht erst hingehört. „Zum Schluss möchte ich noch bekanntgeben, dass wir einen Verlust und eine freudige Nachricht zu verkünden haben.“ Er horchte auf. „Forellenjunges, der Sohn von Steinbeere und Nachttropfen, ist nun zum Schüler ernannt worden. Forellenpfote wird ein guter und gerechter Krieger werden.“ Ihr Blick wanderte weiter zum FeuerClan. „Und wir werden Forellenpfote das Gesetz der Krieger nach bestem Wissen und Gewissen lehren.“ Sie setzte wie üblich eine dramaturgische Pause. „Bedauerlicherweise hat sich zudem herausgestellt, dass Wolkentänzer eine Verräterin ist.“ Im WasserClan ertönte Knurren und Fauchen, wobei Otterpelz, der dunkelgraue Krieger mit dem langen Fell, nur traurig den Kopf senkte und sich nicht an der allgemeinen Hetze beteiligte. „Wolkentänzer hat das Gesetz der Krieger gebrochen, indem sie sich mit einem Krieger aus dem FeuerClan eingelassen hat.“ Das Knurren schwoll weiter an. „Und sie haben zwei Junge gezeugt.“ Daraufhin sträubte der WasserClan das Fell und warf dem FeuerClan bitterböse Blicke zu, als hätten sie höchstpersönlich Wolkentänzer aus ihrer Mitte gerissen. Auch in den anderen Clans ertönte mitleidiges Raunen, wenn auch weniger laut. Silberstern heftete ihren eisigen Blick unverwandt auf Schwarzstern. „Du kennst die Regeln, Schwarzstern. Ich habe Wolkentänzer und die beiden Jungen verbannt. Nun bist du an der Reihe. Ich verlange hiermit öffentlich von dir, dass du Apfelpelz in die Verbannung schickst.“ „Apfelpelz!“, riefen einige aus dem ErdClan aus und schüttelten darüber den Kopf, während der LuftClan dem WasserClan eifrig zustimmte. Schwarzstern räusperte sich und streckte die Schultern durch. „Mir ist dieser Sachverhalt bereits bekannt und auch ich möchte bei dieser Großen Versammlung etwas dazu sagen. Das Gesetz der Krieger erlaubt es nicht, sich mit Katzen aus anderen Clans einzulassen. Doch nirgendwo wird ausdrücklich erwähnt, dass HalbClan-Junge darunter zu leiden haben. Seit jeher verfahren alle Clans außer dem WasserClan so, dass HalbClan-Junge bleiben dürfen und nur ihre Eltern verbannt werden.“ Dies ließ die meisten Krieger wieder verstummen. Löwenzahnstern nickte Schwarzstern aufmunternd zu. „Ich werde nicht lange hinauszögern, was ich euch allen zu sagen habe: Der FeuerClan hat sich dazu entschieden, Wolkentänzer und ihre Jungen vorübergehend bei sich aufzunehmen. Wir werden ihnen solange eine Bleibe bieten, bis Sonnenjunges und Mondjunges alt genug sind, um sich für oder gegen den FeuerClan zu entscheiden. Bis dahin werde ich auch die Entscheidung über Apfelpelz‘ Verbleib aussetzen.“ Silberstern sträubte augenblicklich ihr Fell und plusterte sich vor Schwarzstern auf. „Damit stellst du meine Entscheidung als Anführerin des WasserClans in Frage!“ Ihr Clan stimmte ihr lautstark zu. Vor allem Dornstachel sah aus, als würde er Schwarzstern am liebsten an die Kehle springen. „Du übersteigst deine Kompetenz!“ „Und du schickst hilflose, gesunde Junge hinaus in die Wildnis, um sie dort zum Tode zu verurteilen.“ „Du …“ Sie funkelte ihn wütend an und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. Nur noch Löwenzahnstern stand zwischen Schwarzstern und ihr und blickte sie mahnend an. „Du bist nichts weiter als eine HalbClan-Katze, die es in die Position des Anführers geschafft hat! Du lässt deinen Clan verweichlichen! Erst lässt du das reine Blut des FeuerClans verkommen, dann nimmst du ein streunendes Hauskätzchen bei dir auf und nun bietest du einer Verräterin und ihren Jungen Asyl!“ Diese Beleidigung ließ Schwarzstern nicht auf sich sitzen. Auch er sträubte sein Fell und wirkte dadurch genauso groß wie Löwenzahnstern, der ein wahrlicher Riese war. Im Hintergrund ertönte Donnergrollen, während pechschwarze Wolken den Vollmond bedeckten. „Jeder andere Clan hier besitzt HalbClan-Blut in seinen Adern!“ Blitze zuckten über den Horizont. „Und keine HalbClan-Katze wird jemals eine vollwertige Clan-Katze sein können!“, rief Silberstern zornig auf das Plateau hinaus. „Schwarzstern, liefere mir diese HalbClan-Junge und die Verräterin aus, damit ich zu Ende bringen kann, wofür du zu verweichlicht bist!“ Schwarzstern knurrte Silberstern aufgebracht an. „Niemals! Ich werde sie nicht ihrem Tod überlassen!“ Sie erwiderte sein Knurren, doch von einem Augenblick auf den anderen verstummte sie, trat zurück und ließ blanken Hass in ihren Blick treten. „So sei es. Wir geben euch ein Ultimatum bis zur nächsten Großen Versammlung. Bis dahin hast du Zeit, um deine Meinung zu ändern, Schwarzstern. Beweise mir, dass du es wert bist, der Anführer des FeuerClans zu sein. Steh dazu, dass Apfelpelz verbannt werden muss … Oder hängst du etwa zu sehr an ihm, weil er der Sohn deines Sohnes ist?“ Der WasserClan spuckte und fauchte. Mit lauterer Stimme fuhr sie fort: „Beweise uns allen, dass der FeuerClan noch immer dem Gesetz der Krieger untersteht und nicht aus verweichlichten HalbClan-Katzen und Hauskätzchen besteht! Andernfalls werde ich persönlich dafür sorgen müssen, dass das Gesetz der Krieger durchgesetzt wird!“ Das Gewitter, das sich am Horizont abspielte, grollte vor sich hin. Silberstern sprang von der Eiche herunter und beendete damit die Große Versammlung. Sofort schloss sich der WasserClan ihr an und auch der LuftClan trat geschlossen den Rückweg an. Löwenzahnstern sah Schwarzstern mitleidig an, sagte jedoch nichts, sondern ging ebenfalls. Der FeuerClan blieb zurück, schaute zu seinem Anführer hinauf. Die ersten Regentropfen begannen zu fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)