Von Vögeln mit gebrochenen Flügeln von Flying-squirrel ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Zack. Ein Ast traf sie an der Stirn. „Kommst du?“, rief Marika ungeduldig. „Ja, ja“ murmelte sie und stolperte weiter durch das Dickicht. Bloß nicht zu weit zurückbleiben! Aber der Wald wuchs hier so dicht, dass man ständig Ästen ausweichen musste und über Wurzeln und Gestrüpp stolperte. Marika durfte nicht denken, dass sie nicht geeignet für Waldmissionen war. Immerhin ging sie schon zur Schule! Heute in der Pause hatte ihre Freundin ihr die Geheimmission erklärt. Vom Dorf aus sollten sie sich durch den Wald zum Kiosk am Hauptweg durchschlagen. Das konnten nur echte Ninjas! Endlich hatte sie Marika aufgeholt. „Wir sind gleich da!“, verkündete diese und hielt einen großen Ast weg. Die beiden Mädchen krochen unter einem Dornenbusch hindurch, als sie plötzlich auf einer Lichtung standen, über der einen blaue Plastikplane hing. Neben einem Baum lagen ein paar Dosen und Flaschen, und… „Was ist das?“ flüsterte sie verängstigt und zeigte auf etwas Sackartiges. Es bewegte sich, und sie schrie auf. Ein Mann schaute sie an. Seine Haare waren verfilzt, rasiert war er auch nicht… fehlten ihm Zähne? Sie konnte ihren Blick nicht von ihm wenden. „Komm“, hörte sie Marika sagen. „Wir gehen besser. Das ist ein Penner.“ Und sie ließ sich von ihr wegziehen. „Großvater?“ - „Ja, mein Kind?“ „Was ist ein Penner?“ Er schaute sie ernst an. „Woher hast du dieses Wort?“ Sie schwieg kurz. „Hab' ich irgendwo aufgeschnappt.“ Er seufzte und lehnte sich zurück. Es muss in den späteren Jahren des Krieges gewesen sein. Sollten sie Konserven verteilen? Ja, das muss es gewesen sein. Es gab keine feindlichen Truppen in der Umgebung, aber seine Einheit sollte sicherheitshalber bleiben und sich irgendwie beschäftigen. Stimmung machen und die Leute vorbereiten. Das Volk versteht den Krieg nicht, also muss man es ihnen erklären, das war ihre feste Überzeugung. Vor allem, als die Vorräte knapper wurden und jeder mithelfen sollte. Es ging schneller als gedacht, aber niemand zweifelte am Sieg. Das war nur ein vorübergehendes Opfer für sein Land. Auf einmal rief man sie zu einem abgelegenem Weg. Er konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ausgehungerte, verwahrloste Gestalten, die um Essen bettelten und die Dorfbewohner belästigten. Wo sie herkämen, wurden sie gefragt, denn sie waren sicher nicht aus der Umgebung. Es stellte sich heraus, dass die meisten Bauern waren. Bauern, die ihre Felder brachliegen lassen, anstatt sie für ihr Volk und ihr Land zu bestellen!, rief der Kommandant. Die sich von ihrer Verantwortung stehlen und jetzt ihren Lohn wollen! Die Stimmung war feindselig. Die Gestalten sahen sie unsicher an, als hofften sie, dass sie doch noch etwas aus Mitleid bekommen würden. Doch für Menschen wie sie gab es kein Mitleid mehr. Was ist euer Lohn?, fragte der Kommandant. Was ist euer Lohn, Feiglinge? Redet! Wofür sollen wir euch belohnen? Sie starrten uns nur an. Rufe wurden laut. Verräter! Feiglinge! Diebe! Nichtsnutze! Verratet uns und wollt uns noch unser Essen stehlen!, rief einer hinter mir. Einige suchten meinen Blick, als sollte ich ihnen helfen. Als sollte ich diesen Schweinen helfen! Ich spürte den Hass in mir aufkommen. Schweine!, hörte ich mich rufen. Vaterlandsverräter! Sie wichen zurück. Hinter ihnen war nur der Wald. Was ist ihr Lohn?!, schrie der Kommandant. Plötzlich drehten sich einige um und liefen weg. Und dann war da dieser Junge. Er muss sich heimlich hinter uns geschlichen haben, denn auf einmal lief er mit einer Konserve in der Hand zwischen uns durch zu den anderen. Hey!, rief ein Kamerad, aber der kleine Junge ignorierte den Gewehrlauf. Und dann knallte es und das Chaos brach aus. Der Junge lag da, die Menschen rannten in den Wald und wir hinterher. Bloß nicht noch mehr Diebe entkommen lassen! Panik, Schüsse, Geschrei, noch mehr Panik, Warnschüsse wurden zu gezielten, Blut, Äste schlugen mir ins Gesicht, Anweisungen wurden gebrüllt, Verteilt euch, wir verteilten uns, und schossen, schossen, schossen. Nachladen, von vorn. Wo war das nächste Schwein? Hinter einem Gebüsch hatten sie sich hingekniet. Ich kam nicht zu spät. Ein Kamerad stand vor ihnen, das Gewehr im Anschlag. Ein Wimmern. Schuss, Blut spritzte. Er machte einen Schritt zum Nächsten. Die gleiche Prozedur. Wimmern, wie ein Hund. Ein Moment, um die Qual aus dem Gesicht zu lesen. Schuss. Ein weiterer Schritt. Er zielte… und schoss nicht. Er wartete. Der Mann sah ihn an. Ein verängstigtes, hoffnungsvolles… Lächeln?! „Neffe.“ Er breitete die Arme aus. „Erkennst du deinen alten Onkel?“ Ich kam näher, ein Ast knackste. Sie sahen mich an. Dann drehte er sich zurück, klammerte sich an sein Gewehr, machte einen Schritt nach vorne. Der Mann lächelte noch immer. Und dann knallte sein Kopf nach hinten. Wie in Zeitlupe folgte sein Oberkörper. Mein Kamerad sah mich an, das Gesicht voller Blut. Gehen wir. Ich weiß nicht mehr, wer von uns es sagte. Und dann gingen wir, ohne einen Blick zurückzuwerfen. „Grossvater?“ Er sah sie an. „Ein Mensch, der nichts mehr hat und alles bereit ist zu tun.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)