Heimliche Hoffnung von Varlet ================================================================================ Kapitel 10: Schutz ------------------ Vollkommen entgeistert sah Camel auf das Baby in Jodies Armen. Er war überrascht, schockiert und perplex. Seine Augen hatten sich geweitet. Mit allem hatte der Agent gerechnet als Jodie ins Schlafzimmer verschwand. Aber Reiji war eine ganz andere Geschichte. Reiji Erneut wiederholte er den Namen des Babys in seinen Gedanken. Das war…Reiji. Der Reiji, der Akai die ganze Zeit über Sorgen machte. Er war die Person, die den – sonst so kühlen Agenten – dazu brachte, etwas Anderes zu fühlen. Sorge. Verlust. Angst. Reiji war ein Mann, der ihm Jodie wegnahm, sowohl körperlich als auch emotional. In seiner und in Akais Vorstellungen war Reiji ein großgewachsener Japaner, der Jodie mit Geschenken und Liebesbekundungen überhäufte. Aber der Reiji, den er nun vor sich sah, überhäufte Jodie nur mit seinem Sabber und Liebe. Die ganze Zeit über machten sie sich Sorgen, dass Jodie auf einen Fremden hereinfiel, ein Mitglied der Organisation, der Jodie nur verletzen wollte. Jetzt wusste Camel, dass sie sich die ganze Zeit täuschten. Reiji war ein kleines, verletzliches Geschöpf, welches sich an Jodie kuschelte und von ihr behütet und versorgt wurde. Camel blinzelte mehrere Male. Seinen Blick konnte er nicht von dem Baby wenden. Es war aber auch ein komisches Szenario. Jodie war Mutter geworden und keiner wusste oder ahnte etwas von dieser Entwicklung. Obwohl sie sich bereits seit über einem Jahr nicht mehr sahen, schien es, als wäre es gestern gewesen, dass sie in seinem Wagen saß und ins Quartier gefahren wurde. Und nun hatte sie ein Baby. Es kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Erst jetzt bemerkte Camel wie schwer das letzte Jahr für Jodie gewesen sein musste. Sie brach den gesamten Kontakt zu den japanischen Agenten ab, zog sich zurück und kündigte sogar ihre Arbeitsstelle. Und das nur für Reiji. Für seine Sicherheit. Eine Ahnung von Jodies Einsamkeit und ihrem Schmerz hatte er nicht, doch in ihm breitete sich eine kleine Vorstellung von dem aus, was Jodie durchmachte. Und jetzt stand Vermouth noch vor der Tür. Kein Wunder, dass Jodie sofort den Hilferuf an James schickte und selbst an der Haustür sicher gehen wollte, die richtige Person herein zu lassen. Jodie war stark, keine Frage, aber als Mutter war sie verletzlich. Er sah sie immer noch vor sich. Jodie saß auf dem Boden, sortierte die Unterlagen, richtete Akten ein, markierte die Felder und arbeitete ohne Pause. Sie scheute keine Mühe und wirkte damals so verzweifelt. Aber jetzt stand sie da. Stolz. Glücklich. Erwachsener. Und Camel musste zugeben, dass ihr ein Baby im Arm sehr gut stand. Langsam setzte sich Jodie wieder auf das Sofa. Diesmal näher an Camel, sodass er den Kleinen besser begutachten konnte. Reiji setzte sie auf ihren Schoss und strich ihm erneut durch die Haare, während der Kleine weiter an seinem Schnuller nuckelte. Die Aufmerksamkeit, die er nun bekam, schien ihn nicht zu stören. Camel beobachtete Jodie bei jedem Schritt. Dann kniff er sich in den Arm. „Au“, murmelte er leise. Er war definitiv wach. Es war kein Traum. Die Szene war echt und es gab auch keine versteckten Kameras. „Was sollte das?“, wollte Jodie von ihm wissen. Kurz darauf schüttelte sie allerdings den Kopf. „Schon gut. Ich versteh schon.“ „Ich…äh…naja ich dachte…ich träume.“ Verlegen kratzte sich Camel am Hinterkopf. „Du bist also…Mutter geworden…“ Manchmal fühlte sich Camel in Jodies Gegenwart wie ein kleiner Junge. Ein Junge, der einfach nicht wusste, was er sagen sollte. Sie besaß auch das Talent ihn – mit nur wenigen Handlungen oder nur mit einem Blick – vollkommen aus dem Konzept zu bringen. Bereits bei ihrer ersten – bewussten – Begegnung war es auch so. Der Agent wusste es, als wäre es erst gestern gewesen. Auf Geheiß von Shuichi Akai kehrte er nach Japan zurück. Freiwillig kam er nie auf die Idee und wollte die Arbeit lieber den anderen Agenten überlassen. Sein damaliger Fehler nahm ihm den Rest seines Selbstbewusstseins. Und trotzdem verlange Akai nach dem Agenten und merkte sich sogar seinen Namen. „Agent Camel, Sie werden unverzüglich nach Japan aufbrechen und die dortigen Agenten unterstützen.“ „Sir, ich denke nicht, dass ich…“ „Das ist keine Frage von wollen oder denken, Agent Camel.“ Der Vorgesetzte räusperte sich. „Agent Akai hat höchstpersönlich Sie angefordert. Enttäuschen Sie ihn nicht erneut.“ Camel flog unverzüglich und sollte sich anschließend um die Überwachung von Kir kümmern. Jodie war schon damals sehr skeptisch ihm gegenüber. Sie stellte Fragen, die sie lieber nicht hätte stellen sollen. Noch immer tat es ihm leid, dass er sie mit einem Fausthieb in den Bauch ausschalten musste. Dass Jodie es ihm auch danach übel nahm, merkte er an ihrer Reaktion. Die Begründung, dass Akai die Anweisung gab, Jodie von der Gefahr fernzuhalten egal wie, zog bei der Agentin gar nicht. Und so schien es eine ganze Weile, als würden die beiden nie Freunde oder gleichgestellte Kollegen sein. Schließlich war es aber ausgerechnet Jodie, die ihn aus einem Mordfall herausboxte und sich als seine feste Freundin vorstellte. Natürlich merkten alle Anwesenden, dass es gespielt war, aber allein der Gedanke, dass sich eine Frau wie Jodie auf einen Mann wie ihn, einließ, brachte sein gesamtes Gesicht zum Glühen. Von da an sah er mehr in Jodie als eine bloße Kollegin. Aber dann wurde alles anders. Mit Akais Tod war – so übel es nun auch klang - seine Chance gekommen. Anstatt abzureisen, blieb er in Japan und setzte sich für die Fortsetzung seines Einsatzes ein. Er wollte für Jodie da sein. Sie trösten, festhalten und ihr über den Kummer hinweg helfen. Jodie verzweifelt zu sehen, schmerzte ihn ungemein. Und dazu war da noch die Aufgabe, die Akai ihm stellte. Er sollte sie beschützen und auf sie aufpassen. Und genau deswegen durfte sein Einsatz in Japan nicht einfach so enden. Dass Akai auch seinen weiteren Einsatz in Japan zu seinem Plan zählte, wurde dem Agenten erst viel später bewusst. Aber nur so machte es einen Sinn. Nichtsdestotrotz fühlte sich Camel immer noch wie ein Versager. Er versuchte für Jodie da zu sein, merkte aber schnell, dass seine Anwesenheit rein gar nichts änderte. Jodie überforderte ihn. Genau so, wie auch jetzt. Jetzt, wo sie einen Sohn bekam. „Das bin ich“, nickte die ehemalige FBI-Agentin und sah zu Reiji. „Magst du Onkel Camel mal Hallo sagen, Reiji?“, wollte sie von ihm wissen. Reiji saß immer noch ruhig auf Jodies Schoss. „Ist er nicht goldig?“, fragte sie schließlich Camel. Erneut strich sie dem kleinen über die dünnen Härchen. Die Haarfarbe stammte eindeutig von Shuichi. Aber seine blauen Augen verdankte er seiner Mutter. Camel nickte. Es war nicht zu übersehen, dass Jodie in ihrer Mutterrolle aufging. Die neue Aufgabe schien sie vollkommen auszufüllen. Es freute ihn. Und doch war er auch ein wenig enttäuscht. Wieder wurde er außen vor gelassen und musste sich nun mit der Situation arrangieren. Camel dachte an das, was ihm Akai vor mehreren Wochen sagte. „Du hättest nichts tun können. Jodie hat selbst entschieden. Sie hatte ihre Gründe und konnte dich deswegen nicht in den Ablauf miteinbeziehen. Sie hat das getan, was ich in dem Fall auch getan hätte: So wenig Personen wie möglich einweihen.“ „Camel? Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Jodie. „Ich…äh…ja…also ich mein…ich war in Gedanken“, stammelte der FBI-Agent. Sein Blick ging wieder zu Reiji. „Wie…wie…ist…“ „Wie das passiert ist, dass ich ein Baby bekommen habe?“ Wieder nickte der Agent. „Muss ich dich jetzt darüber aufklären, wie man ein Kind zeugt?“, scherzte Jodie. „N…nein…“, sofort schüttelte Camel verlegen den Kopf. Er glühte. „Und wer…wer…ist…“ „Wer der Vater ist?“ „Ja.“ „Shu.“ Camel hatte nun den gleichen Gesichtsausdruck wie zu Beginn, als er Reiji erblickte. Er war überrascht und schockiert. „Aber…wann?“ Jodie lächelte warmherzig. „Erinnerst du dich noch als ich vor über einem Jahr so verbissen an den Akten über Vermouth gearbeitet habe?“, wollte sie von ihm wissen. „Natürlich weiß ich das noch“, gab Camel von sich. Wie sollte er diese Zeit auch nur vergessen? Aber jetzt ging dem Agenten ein Licht auf. James schrieb Akai. Und Akai suchte Jodie auf. Was dann geschah, wollte er sich lieber nicht vorstellen. „Ihr habt Shu zu mir geschickt. Naja…dann führte eines zum anderen und wir sind…und wir haben miteinander geschlafen. Dabei ist der kleine Mann hier entstanden.“ „Und deswegen bist du dann auch…“ „Ja“, nickte Jodie. „Zwei Monate später hielt ich mehrere positive Schwangerschaftstests vor mir. Fünf Stück um genau zu sein. Was meinst du, wie erschrocken ich war, dass die Möglichkeit überhaupt bestand. Vor allem in unserer Situation“, erzählte Jodie ruhig. „Aber als ich dann die Ergebnisse sah und mir die Schwangerschaft von einem Frauenarzt bestätigte, wusste ich, was ich zu tun habe. Deswegen durfte ich auch nicht weiter an der Gefahrenquelle sitzen. Weder in Japan, in Shus Nähe oder in den Staaten beim FBI. Hätte ich es doch getan, wäre alles viel zu früh heraus gekommen.“ „James weiß davon?“ „Ja, er weiß es“, entgegnete sie. „Ohne seine Hilfe wäre es für mich auch nicht einfach gewesen, Japan den Rücken zu kehren. Anschließend informierte er auch die Vorgesetzten hier, sodass meine Schwangerschaft nicht publik wurde. Ich glaube, sie hoffen immer noch, dass ich irgendwann zurück ins Büro komme und wieder arbeiten will.“ „Willst du das denn?“ „Ich weiß es nicht. Früher wusste ich, dass ich immer berufstätig sein werde. Aber jetzt…“, Jodie blickte zu Reiji. „Wenn ich daran denke, dass ich zurück in den Dienst und in die Gefahr kehre...mein Vater ist wegen seinem Beruf gestorben. Shu arbeitet auch für das FBI. Ich will einfach nicht, dass Reiji bei einem Unglück in der Zukunft seine beiden Elternteile verliert.“ „Ich kann dich gut verstehen, Jodie“, entgegnete Camel. „Der Kleine ist alles für dich.“ Camel schob sachte seine Hand zu dem Jungen hinüber und strich ihm über die Wange. „Du bist Mutter. Deswegen kannst du nicht mehr nur an dich denken.“ „Das war auch der Grund, warum ich so wenig Personen wie möglich einweihen durfte. Glaub mir, Camel, ich wollte es euch so oft sagen…so oft. Dir und Shu. Aber ich wusste, wenn ich es dir sage, dann dauert es auch nicht lange, bis Shu davon erfährt. Ich mein nicht, dass du es ihm sofort erzählt hättest, aber er hätte dir sicher angesehen, dass irgendwas nicht stimmt. Und dann wäre es vielleicht rausgekommen. Ich wollte es Shu…ich wollte…Shu…ich wollte es ihm so oft…sagen…“, wisperte Jodie leise. Sie kämpfte gegen die Tränen an. „Mit James hab ich noch oft Kontakt. Du weißt gar nicht, wie oft ich ihn bitten wollte, es Shu zu erzählen. Und dann…ich hatte so oft schon eine Kurznachricht getippt oder ein Bild von Reiji geschossen und wollte es ihm senden…ich durfte nicht. Du weißt, was er dann getan hätte.“ Camel nickte verständnisvoll. „Shu hätte seine falsche Identität als Subaru Okiya aufgegeben. Er hätte zu mir gestanden. Zu mir und zu seinem Sohn. Er hätte alles getan, um uns zu schützen. Aber irgendwann wäre der Organisation mein Zustand nicht verborgen geblieben und vielleicht hätte es ihm…und uns allen…das Leben gekostet. Deswegen konnte ich einfach nicht…“ Camel sah sie mitleidig an. „Und hätte ich es dann am Telefon tun können? Stell dir das doch mal vor, Camel: Hi Shu, ich bins. Im Übrigen ich bin schwanger mit deinem Sohn. Sonst geht’s mir gut und dir? Wie hätte das ausgesehen?“ Jodie drückte Reiji leicht an sich. „Wenn sie von ihm erfahren hätten…“ „Das war nicht einfach für dich“, murmelte der FBI-Agent leise. „War es wirklich nicht. Weißt du…ich saß damals in meiner Wohnung und sah auf die positiven Schwangerschaftstests, sah das Baby vor meinem geistigen Auge vor mir…aber ich konnte mich nicht freuen. Es war wie ein Albtraum. Reiji war, obwohl er zu dem Zeitpunkt eher als Ansammlung von Zellen galt, schon ein richtiges Leben. Ein Leben in mir. Und ich musste ihn beschützen. Die Horrorvorstellungen waren einfach nur furchtbar. Ich hab mich für meinen Beruf gehasst.“ Nun hielt Jodie ihre Tränen nicht mehr zurück. Sie konnte nicht. Camel schluckte. „Jodie“, sprach er leise und legte seine Hand auf ihren Arm. „Es ist alles in Ordnung. Die Organisation kann dir nichts mehr tun. Und wir werden dafür sorgen, dass Vermouth nicht mehr in deine Nähe kommt. Wenn Akai erst einmal hier ist, wird er dich nicht mehr aus den Augen lassen. Und in der Zwischenzeit pass ich auf dich auf. Versprochen.“ Camel versuchte zu lächeln. „Keines deiner Horroszenarien wird in Erfüllung gehen.“ „Das würde auch schlecht gehen“, warf Jodie ein. „Weißt du, Camel, ich hab mir vier verschiedene Szenarien vorgestellt. Nummer 1: Die Schwangerschaft geht eine Weile gut und dann findet es die Organisation heraus. Sie beschließen mir zu folgen und irgendwann gerate ich in einen Hinterhalt. Anschließend werde ich von ihnen in einen Raum gebracht, wo sie mich foltern und ich schließlich..“ Jodie musste schlucken. „…eine Fehlgeburt erleide. Dum mir dann noch ordentlich eins reinzuwürgen, lassen sie mich laufen, sodass ich mir mein gesamtes Leben lang Vorwürfe machen werde. Nummer 2: Anstatt mich nach der Fehlgeburt laufen zu lasen, bringen sie mich um.“ Jodie drückte Reiji wieder an sich. „Und dann noch Szenario Nummer 3. Was wäre gewesen, wenn sie mich kurz vor der Geburt geschnappt hätten und mir dann Reiji weggenommen hätten? Kannst du dir vorstellen, dass er dann bei ihnen aufgewachsen wäre? Ich hätte nicht damit leben können. Und Shu…er hätte die Organisation bis ans Ende der Welt gejagt. Aber was wäre, wenn Reiji dann einer von ihnen geworden wäre? Und was, wenn Shu durch Reijis Hand sterben würde? Gott…das…ich hasse diese Szenarien.“ Camel schluckte. „Und…was wäre Szenario vier?“ Er traute sich schon gar nicht zu fragen. „Das alles gut geht. Aber wir wissen beide, wie die Wahrscheinlichkeit dafür geständen hätte. Jetzt ist zwar alles relativ gut gegangen, aber in Japan…nie im Leben. Und jetzt weiß Vermouth von Reiji…sie wusste es die ganze Zeit über.“ „Die Organisation ist zerschlagen, Jodie, und das weißt du. Sie können dir nichts mehr anhaben. Du musst vor ihnen keine Angst haben.“ „Aber Vermouth…“ „Sie spielt sich doch nur auf“, warf der Agent vehement ein. „Vermouth kennt dich gut genug und sie weiß, wie sie dich am besten Treffen kann. Sie will dir doch nur Angst machen, nur damit wir alle sie in Ruhe lassen und sie nicht mehr gesucht wird. Sie wird euch nichts tun. Das weiß ich…ich spür es. Und wenn Akai erst von eurem gemeinsamen Sohn erfährt, wird er ihn nicht mehr aus den Augen lassen.“ „Falls Shu wirklich kommt…“, murmelte Jodie leise. „Jodie…“ „Ja, ich weiß. Du hast gesagt, dass Shu sich auf den Weg macht sobald der Arzttermin vorbei ist. Aber…was wenn er in Japan von irgendwas abgelenkt wird? Oder was, wenn er eine andere Spur findet, dieser folgt und sich ein Jahr nicht bei mir meldet?“ „Wir wissen doch beide, dass das nicht passieren wird. Und du weißt das auch, nicht wahr, kleiner Mann?“ Wieder strich Camel dem Kleinen über die Wange. „Akai hat sich die ganze Zeit über solche Sorgen um dich gemacht. Und als James ins Krankenzimmer kam, um von Vermouths Besuch bei dir zu berichten, wusste er von Anfang an, dass es um dich geht. Ihr…ihr gehört zusammen.“ Jodie versuchte zu lächeln. „Danke für die Aufmunterung, Camel.“ „Das ist wirklich die Wahrheit, Jodie. Er hat bei eurem Telefonat mal den Namen Reiji gehört und war ganz außer sich.“ „Was?“ Jodie schluckte. „Keine Sorge, er weiß nicht, dass Reiji sein Sohn ist. Aber seitdem ließ ihn Reiji nicht mehr los. Er wollte, dass ich heraus finde, ob er beim FBI arbeitet. Die ganze Zeit über hat er sich Sorgen um dich gemacht. Seine schlimmste Angst war, dass Reiji zur Organisation gehört, dir das Herz bricht oder dir anders weh tut.“ „Wirklich?“ Camel nickte. „Ja. Als wir dann die Liste mit den Namen der Organisation bekamen, versicherte sich Akai mehrfach, dass kein Reiji auf der Liste steht. Er war teilweise erleichtert. Allerdings ist die Frage im Raum geblieben, wer Reiji ist. Ich konnte es nicht herausfinden.“ „Es weiß auch kaum jemand, dass ich ein Baby bekommen habe“, entgegnete Jodie. „James hat es nur den direkten Vorgesetzten gesagt. Und du weißt ja wie die sind. Die halten alle dicht.“ „Ja, das glaub ich dir“, nickte der Agent. „Aber Akai weiß immer noch nicht, wer Reiji ist. Und genau deswegen denke ich auch, dass er bald vor deiner Tür steht. Es würde mich nicht wundern, wenn er seine letzte Untersuchung auslässt und die nächste freie Maschine hier her nimmt.“ „Damit kannst du Recht haben. Es ist ein Wunder, dass sich Shu überhaupt etwas von den Ärzten vorschreiben lässt.“ Jodie blickte zu Reiji. „Hast du das gehört, mein Schatz? Der Papa kommt ganz bald hier her. Und wenn es soweit ist, zeigen wir uns beide von der besten Seite, ja?“ Camel lächelte. „Du siehst so glücklich aus.“ „Das bin ich auch. Reiji ist ein kleines Wunder.“ Shuichi betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Es passte nicht zu ihm und war fremd. Der Hautton der Maske war heller als seine eigene Haut. Von den schwarzen Haaren war nichts mehr zu sehen. Stattdessen zierte eine rotblonde Perücke seinen Kopf. Sein neues Aussehen war mehr als befremdlich. Und dennoch besaß er keine andere Wahl. Es musste sein. Nichtsdestotrotz bestand die Möglichkeit, dass die Organisation die Wahrheit entdeckte. Doch diese Zeit lag hoffentlich in der Zukunft. Und schon wieder musste der Agent eine neue Identität annehmen. Wieder musste er alle aufgeben, einen Schlussstrich ziehen. Wieder verlor er das, was er sich in der Zwischenzeit aufbaute. Jodie. Und er wusste, wenn es vorbei war, würde er ihren gesamten Zorn spüren. Aber besser ihren Zorn als gar keine Regung. Und solange Jodie ihre Gefühle nicht verschloss, war alles gut. Gern hätte er sie eingeweiht. Allerdings war Jodie der Knackpunkt in ihrem Plan. Vermouth kannte Jodie. Die Organisation würde ihre Reaktion beobachten, eine bestimmte erwarten und lieferte sie nicht ab, war es das Ende. Sein weiteres Vorgehen war von Jodie abhängig. Sie hatte es in der Hand. Mit seinem Tod musste er sie so schwer verletzen und das nur, um ihre Zukunft zu sichern. „Sie sehen gut aus.“ Akai drehte sich um. „Das ist ja alles so spannend. Shin…ich mein Conan hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Sie sind ein FBI-Agent, der sich nicht so einfach unterkriegen lässt und immer noch versucht die Bösen zu kriegen. Das ist fast so wie in den Büchern von meinem Mann. Natürlich ist dort alles Fiktion und ich hätte nie gedacht, dass es im wahren Leben auch so aufregend, so dramatisch abläuft“, erzählte Yukiko vollkommen aufgedreht. „Wie fühlen Sie sich jetzt?“ „Ungewohnt“, antwortete Akai ehrlich. „Das ist vollkommen normal. Nach einer Weile geht das wieder weg und sie werden sich wohler fühlen. Ich spreche da aus Erfahrung. Und so wie ich Sie einschätze, werden Sie bald gar nicht mehr merken, dass Sie eine Maske tragen.“ „Mhmm...“, murmelte Shuichi. „Was hat der Junge über mich erzählt?“ Akai blickte zu Conan, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte. „Ich hab nicht viel erzählt. Tante Yukiko weiß nur, dass sie FBI-Agent sind und hier einen Einsatz haben. Deswegen hilft sie uns.“ „Genau. Conan hat mir gesagt, dass Sie jemanden suchen und aus dem Grund Ihren Tod vortäuschen und eine neue Identität annehmen müssen.“ Akai fixierte den Jungen. Allein das war schon zu viel. „Gucken Sie nicht so böse. Irgendjemanden musste ich schließlich einweihen. Und Tante Yukiko kennt sich sehr gut mit Masken aus. Außerdem kann sie ein Geheimnis bewahren, nicht wahr, Tante?“, fragte Conan die Ältere gespielt kindlich. „Natürlich Shi…Conan“, sagte diese. „Dazu ist es auch noch so atemberaubend. Ich mein, wann erlebt man so etwas hier in Japan?“ „Du lebst doch in den Staaten, schon vergessen?“ „Nein, aber dort ist das ja so eine Art Tagesordnung. Überall sieht man FBI-Agenten.“ „Oh man“, murmelte Conan leise. „Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie keine Kontaktlinsen wollen? Ich hab extra ein Paar blaue mitgebracht.“ „Nein, danke. Es wird das Beste sein, wenn ich für die Zeit meine Augen einfach nur zukneife“, entgegnete Akai. „Wie Sie meinen.“ Yukiko musterte ihn. „Aber wenn Sie sich doch umentscheiden, wissen Sie, wo eine Packung liegt“, fügte sie an und legte die Schalte auf den Tisch. „Gut.“ Erneut betrachtete sich Akai im Spiegel. Er runzelte die Stirn. „Gut, ich bin dann weg.“ „Was? Wo wollen Sie hin?“, wollte Conan alarmiert wissen. „Raus.“ „Aber das können Sie doch nicht machen.“ „Wieso? Wir müssen sowieso gucken, ob meine neue Identität etwas taugt oder nicht.“ „Aber…“, warf Conan ein. „Du solltest so langsam wissen, dass ich nicht so einfach zu erledigen bin“, gab Akai von sich und ging an dem Jungen vorbei. Shuichi trat nach draußen. Die frische Luft tat ihm gut. Nur widerwillig zündete sich Akai keine Zigarette an. Subaru Okiya – wie er sich nun nannte – rauchte nicht in der Öffentlichkeit. Und der Dran zu einer Zigarette konnte ihn unter Umständen verraten. Deswegen steckte sich Shuichi die Hände in die Hosentasche und ging seinen Weg. Der FBI-Agent beobachtete die Wohnung die in der oberen Etage lag. Das Licht war ausgeschaltet, aber das musste nichts heißen. Sie konnte auch schlafen. Oder sie war nicht zu Hause. Sein Tod war vor zwei Wochen. Es waren zwei lange Wochen. Die Villa, in der Conan ihn unterbrachte, konnte er nicht verlassen. Und auch sonst zeigte er sich nirgends. Nichts tun und warten. Wie er es hasste. Dazu bekam er keinerlei Informationen was die Arbeit der Organisation oder des FBIs anging. Es war nervig. Einfach nur nervig. Klack…klack…klack… Die Frau ging einfach so an ihm vorbei, bemerkte ihn nicht einmal. Durch die Laterne allerdings konnte er ihr Gesicht erkennen. Sie war blass, dünn und unglücklich. Und sie ging einfach so durch die Straße. Alleine. Shuichi unterdrückte ein Knurren. Er sollte sie doch schützen, auf sie aufpassen und sie nicht in der Nacht allein auf die Straße lassen. Dass Jodie kurz vorher weinte, sah er ihr auch an. Zwei Sekunden. Mehr brauchte er nicht. Shuichi schluckte. Er durfte nicht. Es war noch zu früh. Nur langsam schlurfte Jodie zum Wohnblock, öffnete die Tür und verschwand schließlich. Wenige Minuten später ging oben das Licht an. Sie kam heil oben an. Trotzdem wusste er, dass es ihr schlecht ging. Schon wieder war es eine Schuld. Schon wieder fügte er ihr Leid zu. Shuichi beobachtete die Wohnung eine ganze Weile. Es vergingen Stunden und die Tiefe Nacht brach ein. Das Licht in Jodies Zimmer brannte noch immer. Akai ahnte, dass sie im Bett lag, sich die Augen aus dem Kopf weinte und zum Schluss einschlief. Es fiel ihm nicht leicht. Seine Beine verselbstständigten sich und so sah er das Klingelschild seiner ehemaligen Freundin an. Starling. Der Name sprang ihm förmlich ins Gesicht. Shuichi wusste, dass er nun drei Möglichkeiten hatte. Er konnte klingeln und Jodie wecken, durch die Gegensprechanlage ihre Stimme hören und ihr sagen, dass alles gut werden würde. Er konnte sich aber auch mit seinem Ersatzschlüssel Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen. Oder er ging einfach. Nach Möglichkeiten eins und zwei gab es kein Zurück mehr. Akai haderte mit sich selbst. Er war bereit die Grenze zu überschreiten und trotzdem zögerte er. Shuichi seufzte leise und rief sich in Erinnerung, dass die Zeit noch nicht gekommen war. Er musste seine Versprechen halten. Shiho retten, Vermouth festnehmen. Und dann war da noch das Versprechen, dass er sich einst selbst gab. Jodie beschützen. Und das konnte er nur, wenn er sich ihr nicht offenbarte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)