ITE, MISSA EST! von In-Genius (DIEM NOCTEMQVE) ================================================================================ Kapitel 2: EXSPECTANTES TEMPVS ------------------------------ Danach flüchtete Jehan aus Reims. Er konnte nicht bleiben, wo er solch ein fürchterliches Blutbad angerichtet hatte. Ausgerechnet in einer Kirche. Wieder. Er hatte so stark gebetet … Er betete weiterhin stark, betete um Erlösung und betete für Stärke, nicht noch eines Priesters Blut zu vergießen. So ging Jehan nach Lille, nach Amiens, nach Rouen, nach Chartres und er liebte die Kirche in Chartres. Wenn er vor den strahlenden, predigenden Fenstern stand, glaubte er, wieder vor Jesus Christus zu stehen und seine herzerwärmenden Worte zu hören. Bald blutete auch hier ein Priester vor dem Altar. So ging Jehan nach Orléans, nach Tours, nach Cluny, nach Lyon, nach Avignon, nach Montpeller, nach La Rochelle, nach Mont-St-Michel. Der Krieg brach aus. Jehan flüchtete vor den blutenden Priestern und vor dem Krieg, welcher hundert Jahre andauern sollte. Bald war sein Name Yannaki, denn er ging nach Byzanz und blieb in Konstantinopel. Zumindest versuchte er es und entsagte dem Blut so gut er konnte, bis der Schwarze Tod über das Land hereinbrach. Offenbar zürnte Gott nicht nur ihm und seinem sündigen Dasein, dem Yannaki zu entfliehen versuchte, sondern er zürnte dem ganzen Menschengeschlecht. Der Schwarze Tod machte ganz Europa und den Mittelmeerraum unbesiedelbar, selbst für ein Nachtgeschöpf wie ihn. Yannaki verließ Byzanz und verließ die ihm bekannte Welt. Er ließ das Abendland hinter sich und zog am Morgenland, wo er einst mit Jesus Christus das Brot gebrochen und das Herz geteilt hatte, weit vorbei. Sein neuer Name war Yauhan und der Tempel von Angkor öffnete ihm die Augen. Glauben und Frieden waren so vielfältig und einzigartig wie ein Mensch zum anderen. Niemals würde er dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste abschwören, aber er lernte Geduld. Gottes Wege waren für Menschen – und Vampire in seinem Fall – schwer zu erkennen, um Erlösung zu erlangen, müsste er viel beten und lange warten. Dann war er ein guter Christ. Yauhan wartete und betete, verlor sich in der Schönheit des Angkor'schen Gotteshauses. Bis er wieder Priester tötete. Die Thais fielen ein. Yauhan, besser Johannes, flüchtete zurück nach Europa. Unauffällig zog er durch das Heilige Römische Reich, erkundete die Kirchen in Stralsund, in Lübeck, in Magdeburg, in Münster, in Limburg, in Ulm, in Regensburg und natürlich auch in Köln. Er musste immer weiter ziehen, weiter beten, weiter warten. Wann erhörte Jesus Christus endlich sein flehendes Herz? In Wittenberg erschreckte Johannes einen Professor, der hart und unerbittlich die Kirche angriff. Das konnte er nicht stehen lassen und fast hätte ihn ein Tintenfass erschlagen. Hätte er ihn bloß bis zum Tode erschreckt, wir er später feststellte und deutsche Lande fluchtartig verließ. Welch ein gräßlicher Krieg im Namen von Macht und falschem Glauben. Jesus Christus predigte Frieden, hörten sie seine Worte nicht? In dem neuen Land nannte er sich John, John Beloved. Amerika war ein Land so weit wie die Hoffnung hell. Hier schöpfte auch er wieder Hoffnung und Zuversicht, das Warten zermürbte ihn. Er betete gegen die Sünde des Blutes, aber sein Fleisch war schwach. Das war keine Entschuldigung, also betete er stärker. Er wartete auf die Erlösung, auf das Erbarmen seines Herrn Jesus Christus, wartete Jahr um Jahr, Dekade um Dekade, Jahrhundert um Jahrhundert, mehr als ein Millenium lang … und er wartete noch immer, als das neue Land die Fesseln der alten Welt abwarf. Es war jetzt unabhängig und John betete noch immer. Er ging zurück nach Frankreich, in den Kirchen mit ihren strahlenden Fenstern war er Gott näher. Hoffte er. Jean stand wieder in Notre-Dame de Reims und erschauerte beim Gedanken an jenen Abend, an all das Blut jenes Priesters … Er war eine entsetzliche Scheußlichkeit! Wie viele Priester, Diener Gottes, Mönche und Nonnen hatte er ihr Blut genommen? Manchmal sogar ihr Fleisch im Glauben an Jesus Christus. Wie konnte er den Namen seines geliebten Herrn derart beschmutzen? Pfui! Jean erschrak vor der Revolution und dem Blut, dass sie auf die Straßen brachte. Er floh vor der Guillotine nach Norden. Sein neuer Name war Shawn und er verstand, wie irische Mönche so lange das christliche Wissen Europas aufrechterhielten, während der Kontinent in Machthunger unterging. Hier war es ruhig, hier war es grün, hier war Gottes schöpfende Hand sichtbar. Ein einsames Kloster auf einer einsamen Klippe war ihm der passende Ort für weiteres Warten und Beten. Hier würde er die Versuchung und die Sünde abschütteln. Bald sah er sie im schwarzen Rauch des neuen Geldes nicht mehr. Die erste Briefmarke war so schwarz wie der Kohlestaub. Er musste atmen! Als Ivan durchstreifte er die slawischen Lande. So groß und alles durcheinander, wie ganz Europa durcheinander war. Wo war der Glauben und der Frieden hin? Wieso schlachteten sie die Familie ihres Herrn ab? Menschen konnten verdammt grausam sein … Tief in sibirischen Wäldern harrte er aus, hier war niemandes Blut und niemandes Feind. In diesen Wäldern, unter diesen Bäumen, war der Tag gleich dem Abend. Irgendwann verließ Ivan seinen Rückzugsort und sah das Sonnenlicht. Seit fast zwei Jahrtausenden zum ersten Mal wieder. Es raubte ihm den Atem. Als Yuehan mischte er sich unter die Menschen und wählte das falsche Land. Sie starben, es starben so viele vor Hunger. Er kannte dieses nagende, leere Gefühl in einem und auch seinem Hunger waren Menschen zu Opfern gefallen. Allerdings flehte er um Vergebung. Er flehte nach dem Ende dieser Qualen, doch im Angesicht dieses grassierenden Hungers flehte Yuehan nur noch um Reis und Korn für jeden Menschen. Als Johan ging er Jahrzehnte später zurück nach Europa, genoss die idyllische schwedische Landschaft. Er sah all diese Flüchtlinge. Der Mensch würde wohl niemals vom Kriege lassen. Kein Gott verlangte nach all diesem Leid, der Herr schenkte Liebe und so sehr Johan seinen Herrn Jesus Christus liebte, so sehr hoffte er auf Frieden unter den Menschen, in all ihrer Vielfalt und Einmaligkeit. Viele Jahrzehnte später sah Giovan den Halley'schen Kometen am vatikanischen Himmel und jubelte: Endlich segnete der Papst die Liebe und Ehe nach jeder Façon. Ihm fiel eine große Last vom Herzen und er dankte Jesus Christus, dass Familie und Liebe keine Sünde mehr war. Dass ihr Kuss keine Sünde mehr war. Erleichterung pochte in seinem Herzen, er bekreuzigte sich und mit Freude wartete er auf den nächsten Tag: Allerseelen, der Ehrentag der Toten. 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