Schmetterlinge im Bauch von Veku ================================================================================ Kapitel 1: Schmetterlinge im Bauch ---------------------------------- Nun gab es kein Zurück mehr. Über die Dramatik seiner Gedanken musste er lächeln. Doch eben jenes Lächeln verblasste augenblicklich wieder, als die Realität ihn einholte. Nervös zupfte er an seiner Krawatte, strich sie glatt und fragte sich, ob er diese überhaupt richtig gebunden hatte. Irgendwie schien der Knoten aus seiner Perspektive nicht mit denen der Anderen überein zu stimmen. Gott, ausgerechnet heute hatte er sich auf seine routinierte Handarbeit nicht verlassen können. Er spürte, wie ihm der Mund ganz trocken wurde und es unmöglich schien, gegen den immer größer werdenden Kloß in seinem Hals anzuschlucken. Seine Hände fingen an zu zittern. Um dies zu verstecken, drehte er sie auf seinen Rücken und straffte seine Statur. Ihm war aufgefallen, dass er zudem alle paar Sekunden von einem Bein auf das andere getreten war. Konnte es nicht einfach losgehen? "Hey, Tiger, alles in Ordnung mit dir?" Eben Angesprochener zuckte zusammen und schaute neben sich seinem besten Freund in die Augen. Er öffnete den Mund, wollte antworten, brachte jedoch kein Wort zustande. Stattdessen nickte er einfach nur und versuchte sich an einem Lächeln. Doch anhand der Reaktion des Anderen erkannte er, dass es mehr schlecht als recht war. Ein Grinsen der Belustigung erschien auf dem Gesicht seines besten Freundes. Idiot, dachte er. Und dann setzte die Kirchenorgel ein. Ein monströses Musikinstrument, dass am Ende des Raumes beinahe die komplette Wand einnahm. Dröhnend überrollten die Klänge die anwesenden Gäste. Alle drehten sich wie auf Knopfdruck um und erhoben sich. Jedes Augenmerk war auf die Doppeltür gerichtet, die sich in jenem Moment öffneten. Ihr Anblick raubte ihm den Atem. Das weiße Kleid war bodenlang und etwas ausgestellt. Während ihr Gesicht von einem Schleier bedeckt wurde, konnte er jedoch sehen, dass sie ihre dunkelbraunen Haare hochgesteckt hatte. An ihrer Seite war ihr Vater, der sie zum Altar begleitete. Mit jedem Schritt kam sie näher, näher zu ihm, näher zu dem Versprechen, das sie sich heute geben würden. Während er sie beobachtete, dachte er an ihre erste Begegnung. Eines Tages, es war nach der Schule gewesen, hatten ihm drei Jungen seiner Klasse aufgelauert. Er konnte sie noch nie leiden und das beruhte zu seiner Missgunst auf Gegenseitigkeit. Die Jungen ließen nämlich nie eine Gelegenheit aus, ihn zu schikanieren oder gar körperlich anzugehen. Kneifen, Schubsen oder gar Anspucken waren noch die harmloseren Dinge, die sie gerne an ihm ausübten. Oft versuchte er sich zu wehren, sah dann aber schnell ein, dass er allein keine Chance hatte. Er ließ es über sich ergehen, mit der Hoffnung, dass sie dadurch das Interesse an ihm verlieren würden. "Seht nur, da ist unser Freund!", lachte der älteste Junge und die anderen fielen in sein Gelächter mit ein, "Wie es scheint, freut er sich auch, uns wiederzusehen." Wortlos stand er da, unsicher, wie er reagieren sollte. Gerade als er den Entschluss gefasst hatte, auf seine Schnelligkeit zu vertrauen und einfach wegzulaufen, kamen die drei schon auf ihn zugerannt. Keine Chance. Kaum waren sie bei ihm, traf ihn schon der erste Stoß gegen die Brust. Er stolperte, versuchte noch, sich zu fangen, doch er konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten. Unsanft landete er auf den Boden. Sofort bearbeitete sie ihn mit Tritten. Er versuchte, sein Gesicht mit seinen Armen und Händen zu schützen, während er vor Schmerzen aufstöhnte. Tränen traten ihm in die Augen. "Seid ihr feige!", erklang plötzlich eine Mädchenstimme. Die Tritte hörten auf. Die drei Jungen drehten sich nach eben jener Stimme um und auch er lugte vorsichtig zwischen seinen Armen hindurch. Keine zehn Meter entfernt stand ein Mädchen selbstbewusst mit einer Hand in der Hüfte gestemmt. "Was geht dich das an?! Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten." Der Älteste von den Jungen schien damit die Sache für geklärt und drehte sich ihm wieder zu, der nach wie vor zusammengekauert am Boden lag und lachte. Ohne weitere Vorwarnung, war das Mädchen bei ihnen und benutzte eine Wasserpistole, um die drei Jungen damit nass zu machen. "Hey", schrien sie unison. Sie rückten von ihm ab. "Wenn ihr nicht gleich die Biege macht, schreie ich so laut ich kann um Hilfe. Und dann wollen wir mal sehen, wie ihr die Situation erklären wollt!", mahnte das Mädchen und hielt ihre Wasserpistole weiterhin auf die Jungs gerichtet. Diese sahen sich nacheinander unsicher an, ehe sie einen letzten Blick auf ihn warfen. Der Älteste zuckte mit den Schultern. "Das ist er eindeutig nicht wert." Als die drei Jungen weit genug weg waren, ließ das Mädchen die Wasserpistole sinken und reichte ihm die Hand. Sie half ihm auf die Beine und lächelte. "Ich hätte nie gedacht, dass das klappen würde." Unglaubwürdig starrte er seine Retterin an. Sie war einen halben Kopf kleiner als er, strahlte aber eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein aus, die sie eher einen ganzen Kopf größer erscheinen ließ. "Was ist? Hat es dir jetzt etwa die Sprache verschlagen? Warte, ich helfe dir auf die Sprünge. In solch einen Moment sagt man einfach 'Danke'. Hm? Ist wirklich ganz leicht. Versuch es mal." Er lächelte zaghaft und blickte geradewegs in ihre blauen Augen. "Ich glaube, ich habe Schmetterlinge in meinem Bauch". Daraufhin fing sie an zu lachen und das war das Schönste, was er bis dahin jemals gehört hatte. Und damit begann eine wunderbare Freundschaft, aus der sich nach und nach eine Liebesbeziehung entwickelte. Als sie bei ihm angekommen war, griff er unsicher nach ihrem Schleier und enthüllte ihr Gesicht. Es war nach all den Jahren immer noch das, in welches er am Tag seiner Rettung geblickt hatte. Etwas älter, aber nicht minder schöner. Er spürte, wie es warm um sein Herz wurde und wertete das als Bestätigung dafür, dass er genau das Richtige tat. "Wie fühlst du dich?", fragte er leise, da er an ihr nicht die geringsten Anzeichen von Aufregung sehen konnte. Sie schien die Ruhe selbst zu sein, das genaue Gegenteil von ihm. Wie an jenem Tag. Sie lächelte und sagte: "Ich glaube, ich habe Schmetterlinge im Bauch." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)