Non nobis, sed nomini tuo da gloriam von _Shiho_ ================================================================================ Kapitel 1: (Craft) ------------------ Unablässig schien die heiße Mittagssonne auf die überfüllte Straße, die zum großen Prunktor führte. Seit Stunden wartete der junge Ritter darauf, dass er endlich sein Ziel erreichte. Zoll um Zoll schoben sich die Menschenmassen durch die geöffnete Pforte und Zoll um Zoll kam er seinem Ziel näher. Als der Ritter mit seiner Eskorte endlich durch die gewaltige Toranlage, dem sogenannte Jaffa – Tor, ritt, weiteten sich seine Augen bei dem vollen Anblick der Stadt. Die Dächer und Häuser Jerusalems erstrahlten in purem Gold. Die Luft war erfüllt von fremden, exotischen Gerüchen und Klängen. Neugierig sah sich der junge, schlanke Mann um. Die meisten Häuser waren aus einer einfachen Konstruktion aus Lehm oder Stein und Holz gefertigt. Bei vielen spannten sich bunte Tücher über den Eingängen, vor denen einige Hausbewohner ihre kleinen Stände aufgebaut hatten. Aufmerksam sah er den Verkäufern zu, wie sie versuchten, ihre kostbaren Waren, wie Schmuck und Stoffe, zu verkaufen. Plötzlich wurde der junge Ritter aus seinen Gedanken gerissen, als ihn jemand von der Seite her ansprach. „Mein Herr, wir haben Euer Kommen schon sehnsüchtig erwartet.“ Ein hochgewachsener Mann in einem weißen Mantel, auf dessen Vorderseite ein rotes Kreuz gemalt war, stand vor ihm und verbeugte sich. „Ich werde Euch zu unserem Ordenssitz geleiten. Bitte folgt mir.“ Langsam setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und folgte einer breiten gepflasterten Straße. An manchen Stellen ging es nur mühsam voran, vor allem an den Kreuzungen, an denen mehrere Hauptstraßen aufeinander trafen und wo sich viele Menschen befanden. In der Ferne war die Grabeskirche zu sehen, eines der größten Heiligtümer seines Glaubens. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr eigentliches Ziel in Sicht war. Als sie an einer kleinen Wegbiegung vorbei kamen, öffnete sich die Sicht vor ihnen. Im Herzen der Stadt lag eine gewaltige Anlage. Diese war noch größer, als es sich der junge Ritter erträumt hatte. Fasziniert blieb er stehen. „Dies ist unser Ordenssitz“, der Templer, der ihn vorhin begrüßt hatte, wies auf eine etwas kleinere Palastanlange innerhalb des riesigen Tempelviertels, „kommt, wir werden schon erwartet.“ Sie ritten durch eine weitere Toranlage, kleiner als das Stadttor von Jerusalem selbst, doch war dieses aus hochwertigen Steinarten gefertigt und mit allerlei Mustern verziert, weshalb man es „die schöne Pforte“ nannte. Links von ihnen ragte ein weiteres großes Gebäude auf, das durch seine zentrale Lage den größten Teil des Viertels beherrschte. Sie wandten sich nach rechts und folgten einer weiteren Straße. Ein weiteres kleines Tor passierend, kam die kleine Gruppe daraufhin in einen geräumigen Innenhof, in dem ein geschäftiges Treiben herrschte. Jedoch blieb keine Zeit, um sich es genau anzusehen. „Von hier aus gehen wir zu Fuß…wenn es Euch beliebt“ Da er als Einziger zum ersten Mal an diesem Ort war, folgte er den anderen eine schmale Treppe hinauf und betrat das Innere des Gebäudes durch eine Flügeltür. Nachdem sie einen langen Gang durchquert hatten, blieben sie wieder vor einer Tür stehen. Leise schwang diese auf und gab die Sicht in eine große, prunkvoll ausgestatte Halle frei. Direkt gegenüber der Tür befand sich ein Podest, auf dem sieben hohe Stühle standen, von denen der mittlere schon einem Thron glich. Hinter diesem hing das Wappen der Templer, schwarz und weiß, an der Wand. Der Rest der Halle war mit einfachen Tischen und Bänken aus Holz ausgestattet, die parallel zum breiten Mittelgang angeordnet waren. Außer einer Person war niemand anwesend. Seine Eskorte wartete, bis der junge Mann eingetreten war und folgte ihm. Zögernd ging der Ritter in Richtung des Podests. Während seiner Reise von seiner Heimat bis ins Heilige Land hatte er sich immer wieder ausgeträumt, wie dieser Moment sein würde. Seit ihn die Nachricht erreicht hatte, dass man ihn in eines der sieben hohen Ämter des Templerordens eingesetzt hatte, konnte er es kaum abwarten, endlich an dieser Stelle zu stehen. Die Person auf dem Podest erhob sich. Sie hatte die ganze Zeit auf dem mittleren Stuhl gesessen. „Seit willkommen, Craft von Greifenstein. Ich bin froh, dass Ihr so schnell hier her gekommen seid.“ „Vielen Dank, Großmeister. Es ist mir eine Ehre, das Amt des Großmarschalls zu bekleiden.“, der junge Ritter lächelte. „Ihr müsst erschöpft sein. Euer Knappe wird Euch in Eure Gemächer führen. Wir sehen uns dann später.“ Der ältere Mann hob die Hand und winkte. Sofort trat ein schlanker Junge aus einer hinteren Ecke des Raumes. Zögernd kam er auf Craft zu und stellte sich neben ihn. „Bitte folgt mir, Herr.“ Der Großmarschall folgte seinem neuen Knappen durch eine kleine Tür direkt neben dem Podest. Während sie eine kleine Wendeltreppe hinaufstiegen, schwieg der Kleine. Am Ende der Treppe gingen sie durch eine weitere Tür und kamen auf einen Gang, der auf einer Seite zum Innenhof her offen war und mit einem Geländer und Säulen versehen war. Neugierig stellte sich Craft an das Geländer und sah nach unten: wie auch schon bei seiner Ankunft war der Hof voll von Menschen. In einer Ecke sah er mehrere Knappen, die das Kämpfen mit Schwert und Schild übten und dabei von zwei Tempelrittern beaufsichtigt wurden, die ihnen hin und wieder etwas zu riefen. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich die Stallungen, in denen auch Crafts Pferde in der Zwischenzeit untergebracht waren. Etwas weiter rechts davon befanden sich die Werkstätten der Handwerker, die für den Orden arbeiteten. Neben Sattlern und Färbern waren auch einige Schmiede anwesend, die nun unter seinem Befehl standen, denn als Großmarschall kümmerte er sich nicht nur um das Kriegswesen, sondern auch um die Waffen. Als der junge Ritter sich gerade weiter umschauen wollte, zog jemand an seinem Mantel. „Herr, wollt Ihr nicht weiter gehen? Ihr könnt Euch später etwas umsehen. Bitte kommt mit.“ Der kleine Knappe stand neben ihm und sah ihn eindringlich an. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging der zierliche Junge weiter. Er hat sich mir noch nicht einmal vorgestellt… Craft seufzte und folgte ihm schließlich in einen kleinen Raum. „Dies ist Euer Arbeitszimmer. Und hier-,“ er deutete auf eine Tür aus dunklem Holz, „befindet sich Euer Schlafgemach. Mein Zimmer befindet sich gleich neben Euren Räumen. Wenn Ihr etwas benötigt oder wissen wollt, müsst Ihr mich nur rufen.“ Der Junge verbeugte sich tief und wollte gerade wieder den Raum verlassen, als Craft ihn am Arm festhielt. „Wie soll ich dich denn rufen, wenn ich deinen Namen nicht weiß?“, sagte er und lächelte spöttisch. Der Knappe sah ihn zunächst verdutzt an, doch dann weiteten sich seine Augen. „Oh nein…das…es tut mir Leid, Herr. Ich war so aufgeregt…ich - das ist das erste Mal, dass ich einem Ritter diene und dann gleich dem Großmarschall persönlich…Ich bin Veit.“ „Veit…danke, du darfst jetzt gehen…“ Der Junge nickte und wäre beinahe gegen die geschlossene Tür gerannt, wenn Craft sie nicht im letzten Moment geöffnet hätte. Ein bisschen schusselig, aber trotzdem nett. Er musste unweigerlich lächeln. Einige Zeit später klopfte es leise an der Tür. Craft hatte sich in der Zwischenzeit ausgiebig in seinen neuen Gemächern umgesehen und saß nun an einem breiten Tisch aus schwerem dunklem Holz. Er hatte die Beine lässig über die Armlehnen gelegt und wandte, als er das Geräusch vernahm seinen Kopf nach rechts in Richtung des Klopfens. Sekunden später öffnete sich die Tür und Veit trat ein. „Mein Herr, wenn Ihr möchtet, könnt Ihr Euch vor dem Abendessen die Stallungen und die Werkstätten ansehen.“ „Gerne, aber du musst mich begleiten!“ Der Junge räusperte sich und nickte dann. Dieses Mal gelangten sie über eine andere, breitere Treppe in den Hof. Veit erklärte ihm, dass die schmale Treppe, über die Craft mittags in das Gebäude gelangt war, häufig nur bei bestimmten Anlässen benutzt wurde, die breite Treppe aber von allen benutzt wurde, da diese ebenfalls eine direkte Verbindung zu der großen Halle, sowie den Schlafgemächern und Bädern aufwies. Die kleine Wendeltreppe wurde nur von den sieben höchsten Würdenträgern verwendet, da diese unmittelbar zu deren Gemächern führten. „Wie Ihr sicherlich schon bemerkt habt, Herr.“, fügte Veit hinzu. Offensichtlich war es ihm etwas unangenehm, seinem Herrn ständig alles zu erklären und zu zeigen. Zunächst besichtigten sie die Stallungen und der Großmarschall vergewisserte sich als Erstes, dass seine drei Pferde gut versorgt waren. Danach sah er sich die verschiedenen Werkstätten an und versuchte sich mit einigen Handwerkern zu unterhalten, obwohl er nur wenig Arabisch oder Hebräisch sprach. Als Letztes kam er zu einem Waffenschmied, der gerade am Amboss stand. Dieser verbeugte sich, als er den jungen Ritter bemerkte. Neben ihm stand ein weiterer, jedoch jüngerer Schmied. „Ihr müsst der neue Großmarschall sein. Ich bin Lienhart und das ist mein Sohn Naftali.“, der Schmied deutete auf den Jüngeren, der sich nun ebenfalls verbeugte. Craft war überrascht, dass der ältere Schmied seine Sprache akzentfrei beherrschte. Er wandte sich seinem Sohn zu und musterte ihn aufmerksam. Seine Haut war etwas dunkler als die seines Vaters und er hatte hellbraune Haare. Er war etwas kleiner als Craft, aber genauso schlank. „Ich habe schon viel von Euch und Eurer Kunst gehört, Schmied. Ich hoffe, wir werden gut zusammenarbeiten.“ Der junge Ritter lächelte, bevor er sich umwandte und zurück in seine Gemächer ging. Kapitel 2: (Naftali) -------------------- Die morgendliche Sonne schien warm auf die Dächer Jerusalems. Die ersten Händler bereiteten ihre Stände für den Tag vor, denn langsam regten sich die Stadt und ihre Bewohner. Müde rieb sich Naftali die Augen. Blinzelnd sah er hoch. Durch das bunte Tuch, das als Sonnensegel diente, schienen blasse Sonnenstrahlen. Eine warme Brise strich sanft über seine Haut. Tief atmete er ein und genoss die letzten ruhigen Momente bevor der alltägliche Trubel um den nahegelegenen Viehmarkt begann. Langsam richtete er sich auf, setzte sich aufrecht hin und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Im Westen befand sich eine kleine Kirche, die „St. Maria der Deutschen“ genannt wurde. Ab und zu begleitete er seinen Vater zu den Gottesdiensten in diese Kirche. Weiter in der Ferne erkannte er im Osten den Palast des Königs, der durch die Sonne in goldenen Farben erstrahlte. Glockenschläge rissen Naftali aus seinen Gedanken. „Naftali?“ Der junge Mann streckte sich, stand auf und begab sich ins Untergeschoss des Wohnhauses. „Naftali?“ Seine Mutter stand an der Kochstelle und bereitet gerade Sauerteig zu. Sie sah auf, als ihr Sohn gerade zu ihr kam. „Dein Vater braucht dich in der Schmiede der Templer. Du solltest dich langsam auf den Weg machen.“ Sie musterte ihn. „Ach ja, vergiss auch bitte nicht den Auftrag für den Großmeister mitzunehmen.“ Ihr Sohn nickte knapp. Nachdem er die Auftragsarbeit aus der kleinen, an das Wohnhaus angrenzenden, Schmiede geholt hatte, begab er sich auf den Weg zum Ordenssitz der Templer. Als er auf die große Straße, die vom Jaffa-Tor kam, einbog, bemerkte er eine kleine Eskorte von Templern, die einen jungen, blonden Ritter Richtung Tempelbezirk begleiteten. „Wieder ein junger Fanatiker, der denkt er müsste hier sein Leben für Gott und das Christentum opfern.“ Schon vor einigen Jahren hatte seine Mutter ihm erzählt wie es ihr und ihrer Familie während der Kreuzzüge und der Jahre danach erging. Obwohl der erste Kreuzzug schon seit über vierzig Jahren beendet war, kamen immer noch Kreuzfahrer nach Jerusalem, um die Stadt nach ihrem Glauben zu kontrollieren und zu formen. Vor allem die eigentliche Bevölkerung litt unter diesen Zuständen, viele Menschen ließen ihr Leben während des Krieges und verabscheuten deshalb die Kreuzritter und ihre Religion. Gerade weil Naftali in zwei Kulturen aufwuchs, verstand er den Zorn der nicht-christlichen Bevölkerung und verabscheute die Intoleranz gegenüber anderen Religionen, die es nicht nur im Christentum gab. Er ließ die Gruppe hinter sich und passierte nach einigen Metern die „Schöne Pforte“. Der Königspalast kam in Sicht. Durch ein kleines verziertes Tor kam er in den Innenhof des Ordenssitzes. Dort verrichteten verschiedene Handwerkergruppen, wie Färber, Sattler oder verschiedene Schmiede, Arbeiten für den Orden. Die Waffenschmiede seines Vaters befand sich in einer Nische, die weiter hinten im Innenhof lag. Sein Vater erwartete ihn schon. Er stand gerade an der Feuerstelle als sein Sohn zu ihm trat. „Hast du die Auftragsarbeit mitgebracht?“ Sein Sohn reichte ihm ein in Stoff eingepacktes Bündel, dass er in eine Truhe legte und verschloss. „Du kannst mir bei einigen Aufträgen helfen.“ Daraufhin legte sich Naftali eine lederne Schürze um und begann einige kleinere Aufträge zu bearbeiten. Eine ganze Zeit lang arbeiteten sie nur schweigend nebeneinander. „Hast du schon gehört“, begann sein Vater nach einiger Zeit, „dass der neue Großmarschall heute eintreffen wird?“ Naftali ließ kurz von seiner Arbeit ab und sah seinen Vater an. „Nein. Wer ist es denn?“ „Ein junger Ritter aus Deutschland. Er soll kaum älter sein als du.“ Sein Sohn wandte sich wieder seiner Arbeit zu. „Selbst daran schuld, wenn er sein Leben für eine unnütze Sache aufs Spiel setzen will.“ Sein Vater musterte ihn scharf. „Ich habe dir schon oft gesagt, dass du solche Äußerungen hier nicht aussprechen sollst!“ Naftali senkte beschämt seinen Kopf. „Aber,-“ „Kein aber. Du sollst auf das hören, was ich dir sagen. Hast du das verstanden?“ „Ja, Vater.“ Beide wandten sich wieder ihrer Arbeit zu, die kurze Zeit später durch das Auftauchen eines jungen Ritters in Begleitung seines Knappen unterbrochen wurde. Als sein Vater den jungen Mann sah, verbeugte er sich und sagte: „Ihr müsst der neue Großmarschall sein. Ich bin Lienhart und das ist mein Sohn Naftali.“ Naftali verbeugte sich ebenfalls. Während sein Vater und der junge Ritter sich weiter unterhielten musterte er diesen. „Irgendwoher kenne ich diesen Mann… Das ist der junge Ritter, den ich heute Mittag auf der Straße gesehen habe. Kaum vorzustellen, dass so einer Großmarschall wird. Er ist bestimmt auch nicht besser, als alle anderen Ordensritter.“ „Naftali?“ Die Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen Gedanken. Verwundert sah er sich um. Der Großmarschall war bereits gegangen. Naftali sah seinen Vater an. „Was hältst du von ihm?“, fragte ihn sein Sohn. Lienhart seufzte. „Nun, da der Orden ihn gewählt hat, wird er wohl der Richtige für dieses Amt sein. Es steht uns nicht zu darüber ein Urteil zu fällen, schließlich stehen wir unter seinem Befehl.“ Sein Sohn erwiderte mit einem kurzen Nicken und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Als die Sonne langsam hinter dem Horizont zu verschwinden begann, beendeten die beiden ihre Arbeit und machten sich auf den Weg nach Hause. „Wir sollten uns etwas beeilen, nicht das deine Mutter sauer wird, weil sie so lange mit dem Essen auf uns warten muss.“ Sein Vater lachte. Als sie ankamen, holte Naftalis Mutter gerade ein großes Fladenbrot aus dem Backofen und legte es auf den Tisch, der schon für das Abendessen gedeckt war. Die beiden Männer setzten sich zu ihr an den Tisch. Nachdem sowohl sein Vater ein christliches Gebet, als auch seine Mutter ein jüdisches Gebet, gesprochen hatten, begannen sie mit dem Essen. Naftalis Mutter hatte Hummus zubereitet was aus pürierten Kichererbsen, Knoblauch und etwas Zitronensaft bestand. Das Hummus wurde auf dem Fladenbrot verstrichen gegessen. „Wie war euer Tag, Schatz?“ Seine Mutter sah beide fragend an. „Nichts Besonderes?“ Sein Vater überlegte kurz. „Der neue Großmarschall ist heute eingetroffen.“ „Also nichts Besonderes.“ Seine Frau sah ihn lächelnd an, woraufhin Lienhart seufzte. „Rahel…“ „Schon gut. Rede weiter.“ „Er ist noch recht jung. Schätzungsweise kaum älter als Naftali. Aber er macht einen sehr angenehmen Eindruck.“ Rahel wandte sich zu ihrem Sohn. „Und was meinst du?“ Verwirrt sah Naftali seine Mutter an und schluckte ein Stück Brot herunter. „Ähm…“ „Du bist seit heute Mittag irgendwie schon den ganzen Tag mit deinen Gedanken abwesend. Ist etwas passiert?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Nein!“ Ungläubig sah sein Vater ihn an. „Es ist alles in Ordnung“, entgegnete sein Sohn, „ich geh dann mal schlafen. Gute Nacht.“ Hastig stand er auf und lief in sein Zimmer. Auf dem Bett liegend starrte er an die Decke. Warum auch immer ging ihm dieser Großmarschall nicht mehr aus dem Kopf. So einer wurde Großmarschall. Hatte denn der Orden der Templer niemand anderes für diesen Posten? Wütend seufzte er. Was kümmerte ihn der Kerl eigentlich? Es sollte ihn gar nicht interessieren wer und wie er war. „Templer bleibt Templer. Keiner dieser Fanatiker ist zu irgendetwas zu gebrauchen!“ Naftali legte sich auf die Seite und schloss die Augen. Kapitel 3: (Craft) ------------------ In der Kirche war es heiß und stickig. Craft ließ sich langsam auf die Holzbank zurück sinken und schloss die Augen. Zwei Wochen waren vergangen, seit er nach Jerusalem gekommen war. Er hatte sich in der Zwischenzeit an sein neues Leben und sein neues Amt in der Stadt gewöhnt. Heute hatte er zum ersten Mal wieder etwas Zeit für sich. Heute wollte er in Ruhe das riesige Jerusalem erkunden. Also saß er jetzt in der schlichten Basilika, die „Sankt Maria der Deutschen“ genannt wurde, in der gerade der Gottesdienst zu Ende ging. Zwar feierte sein eigener Orden täglich ebenfalls die Messe, jedoch wurde diese immer auf Latein gehalten, da die Ordensmitglieder aus unterschiedlichen Ländern kamen. Craft sehnte sich danach, seine eigene Muttersprache wieder öfter zu hören. Der junge Mann öffnete wieder die Augen. Der Gottesdienst war vorüber und die Menschen strömten wieder aus der Kirche. Diese war zusammen mit einem Hospital von einem deutschen Ehepaar gestiftet worden, in dem man sich um deutsche Pilger kümmerte. Um deshalb weniger Aufsehen zu erregen, war Craft an diesem Tag in bürgerlicher Kleidung und nicht in seiner Ordenstracht unterwegs, denn er wollte es vermeiden, eine riesige Eskorte hinter sich her zu schleifen. Die Kirche war nun fast vollkommen leer und auch Craft erhob sich nun und ging Richtung Ausgang. Auf dem Weg dorthin sah er sich noch einmal um. Die dreischiffige Basilika war innen, im Gegensatz zu anderen Kirchen in Jerusalem, nicht sehr prunkvoll gestaltet. Auch von außen war die Basilika eher schlicht gestaltet. Der Fokus des Gebäudekomplexes lag unübersehbar auf dem Hospital, dem „Deutschen Haus“, das sich links und rechts der Basilika befand. Craft trat aus dem Gebäude. Draußen war es genauso heiß, doch wehte wenigstens eine leichte Brise durch die engen Gassen Jerusalems. Er bog auf die breite Straße ein, von der er vor einigen Stunden gekommen war. Jedoch wandte er sich in die andere Richtung und lief die Straße weiter entlang. Schon wenige Meter neben dem „Haus der Deutschen“ reihten sich die Wohnhäuser wieder aneinander. Diese waren, meistens zu viert, um einen kleinen Hof angeordnet und auch über diesen betretbar. Der Hof an sich war durch einen kleinen Torbogen von der Straße aus zu erreichen. Es dauerte nicht lange, da erreichte der junge Ritter den Viehmarkt, der sich unterhalb der Stadtmauer befand. Dieser erstreckte sich über einen großen Platz entlang der Straße, die vom südöstlichen Stadttor zur ankreuzenden West-Ost-Straße verlief. Neugierig steuerte der junge Mann auf den Markt zu. Zwar gab es natürlich auch in seinem Heimatland Märkte in den großen Städten, doch gab es auf diesem einiges Neues zu entdecken. Obwohl hier in erster Linie vor allem Tiere angeboten wurden, hatten sich auch einige Händler mit Gemüse – oder Obstsorten oder Gewürzen dort niedergelassen. So war es nicht verwunderlich, dass nach nur wenigen Schritten die Luft vom Duft der Gewürze erfüllt war. Obwohl es beinahe Mittag war und die Sonne unablässig auf die kleinen Stände und Buden aus Holz und Tüchern schien, war der Platz gut besucht. Craft musste unwillkürlich lächeln: mit seiner Eskorte, die ihn außerhalb des Ordenssitzes auf Schritt und Tritt begleitete, hätte er niemals so unbeschwert und unbeobachtet zwischen den kleinen Läden hindurch spazieren können. Für einen kurzen Moment blieb er stehen und sah sich um. An jeder Ecke standen Händler und priesen ihre Waren an. Einige hatten Gemüse oder Obst, das Craft noch nie zuvor gesehen hatte, in die Hand genommen und hielten es den vorbeilaufenden Kunden direkt entgegen. Andere wiederum standen auf kleinen Podesten und riefen, ihre Produkte in den höchsten Tönen lobend, über die ganze Menge hinweg. Vielleicht würde er seinen Eltern ein paar dieser exotischen Waren mitbringen, wenn er irgendwann einmal die Zeit dazu fand, sie zu besuchen. Der Templer setzte sich wieder in Bewegung und schlenderte weiter an den Ständen entlang. An manchen Stellen waren die engen Gassen so mit Menschen verstopft, dass man sich wohl oder übel einen anderen Weg suchen musste, wenn man sich nicht durch die Menschenansammlung hindurch drängen wollte. Und selbst auf der breiten Hauptstraße, die, wie es schien, ebenfalls kurzer Hand von den Händlern zu einem Teil des Marktplatzes erklärt worden war, tummelten sich viele Menschen. Und da Craft es sowieso nicht eilig hatte, nahm er einen kleinen Umweg gerne in Kauf. Bald hatte er die andere Seite des Marktes erreicht. Ein bisschen erschöpft, denn nicht immer war es ihm gelungen, verstopfte Gassen zu umgehen, erreichte er das andere Ende des Marktes und lehnte sich an eine Hauswand. Noch einmal ließ er seinen Blick schweifen. Er befand sich auf einem kleinen Platz, dessen eine Hälfte vom Viehmarkt eingenommen wurde. Die andere Hälfte grenzte unmittelbar an Wohnhäuser und kleinen Gassen an. Da Craft wenig Lust hatte, sich wieder durch die riesige Menschenmenge zu drängen, entschied er sich, einfach einer der kleinen Gassen zu folgen, die sich unterhalb des Tempelbergs befanden. Irgendwann würde er eh auf eine breitere Straße treffen und er hatte noch genug Zeit bevor er wieder zurück sein musste. Es dauerte nicht lange, bis Craft bemerkte, dass es in dem Wirrwarr aus Gassen und Häusern doch nicht so einfach war, einen Ausweg zu finden. Und kurze Zeit später musste er sich eingestehen, dass er sich hoffnungslos verlaufen hatte. Der junge Ritter blieb einen Augenblick stehen. Die ganzen Häuser sahen gleich aus und so konnte er nach kurzer Zeit nicht mehr sagen, aus welcher Richtung er überhaupt gekommen war. Während er immer noch ratlos da stand und versuchte sich zu erinnern – denn aus irgendeiner Richtung musste er ja schließlich gekommen sein – hörte er plötzlich ein Lachen. Sofort drehte er sich in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Ein kleines Mädchen stand auf einmal in einer engen Seitengasse und hob einen kleinen Ball auf. Als sie sich aufrichtete und den jungen Mann bemerkte, runzelte sie für einen Moment verwirrt die Stirn, nur um gleich wieder sich umzudrehen und zu verschwinden. Craft blickte noch einen Moment lang auf die Stelle, an der das kleine Mädchen eben noch gestanden hatte, bevor ihm klar wurde, dass sie wohl in einem Innenhof verschwunden sein musste. Zwar war es sonst nicht seine Art, einfach an die Tür fremder Menschen zu klopfen. Nicht, weil er einen Groll gegen sie hegte oder sie nicht leiden konnte, sondern weil er noch nie in so einer Situation gewesen war und es ihm zudem äußerst peinlich war. Jedoch würde er sich noch mehr schämen, wenn seine Ordensbrüder auf der Suche nach ihm wären, nur um festzustellen, dass sich ihr Großmarschall hoffnungslos verlaufen hatte. Also entschied er sich, sich zu überwinden und sich auf die Suche nach dem Mädchen zu machen. So schnell wie sie verschwunden war, konnte sie nicht weit sein. Und tatsächlich kam Craft nach nur wenigen Metern an einem Innenhof vorbei, in dem sich viele Menschen befanden, die alle an einer langen Tafel saßen. Etwas erschrocken darüber, dass er plötzlich auf sie viele Menschen treffen würde, ging Craft ein kleines Stück weiter. Auf einmal hörte er eine vertraute Stimme hinter sich und drehte sich um. Im ersten Moment erkannte er den älteren Mann, der vor ihm stand nicht, doch als er ihn ansprach, erkannte er ihn sofort wieder. Es war Lienhart, den Craft an seinem ersten Tag in Jerusalem zusammen mit dessen Sohn kennengelernt hatte. „Seit gegrüßt, mein Herr. Wieso seid Ihr alleine in so einem kleinen Viertel unterwegs?“ Etwas widerwillig erzählte Craft dem Schmied, wie sich alles zugetragen hatte. „Und nun scheint es, als hätte ich mich… naja… verlaufen.“ Beschämt sah er zu Boden. Der ältere Mann lachte: „Dann werde ich Euch wieder zurück bringen, kommt.“ Craft sah ihn erschrocken an. „Nein, ich finde den Weg schon alleine…und außerdem wollte ich noch nicht so früh zurück.“ „Wirklich? Vielleicht möchtet Ihr an dem Fest teilnehmen, das wir gerade feiern. Ich bin gleich wieder da.“ Daraufhin verschwand der Schmied wieder durch den kleinen Torbogen. Der junge Ritter sah ihm neugierig nach. Von den anderen Gästen schien ihn noch keiner wahrgenommen zu haben. Alle unterhielten sich angeregt miteinander. In einer Ecke entdeckte er schließlich Lienhart, der mit einer dunkelhaarigen Frau redete. Diese hielt in der einen Hand eine Schüssel, mit der anderen gestikulierte sie wild. Vielleicht wäre es doch keine gute Idee, sich zu den Feiernden zu gesellen. Immerhin wusste Craft nicht, wie sie auf ihn reagieren würden. Umso überraschter war er, als plötzlich die Frau auf ihn zukam, ihm am Arm packte und hinter sich herzog. An der langen Tafel angekommen, schob sie den jungen Ritter auf einen Stuhl fast am Ende des Tisches und winkte jemanden zu sich. Der Templer war von dem Verhalten der Frau völlig überrumpelt und traute sich erst aufzublicken, als sich jemand auf den Stuhl links von ihm setzte. Auch ihn erkannte Craft nicht sofort. Er auf den zweiten Blick, fiel ihm auf, wer neben ihm saß. Es war Naftali, der Sohn des Schmieds. Auch ihm schien die Situation unangenehm zu sein, denn er blickte seine Mutter vorwurfsvoll an, worauf diese ihm eine knappe Antwort erwiderte, sich umdrehte und gang. Einige Minuten lang saßen die beiden jungen Männer schweigend nebeneinander, bis sich Craft dazu durchrang, Naftali anzusprechen. „Was für ein Fest feiert ihr denn?“ „Das Neujahrsfest…“ „Im September?!“ Sein Gegenüber sah ihn etwas erschrocken an, lächelte dann aber schüchtern und begann Craft das Fest zu erklären. Es dämmerte schon, als das Fest zu Ende ging. Craft und Naftali saßen immer noch an dem Tisch und unterhielten sich schon die ganze Zeit über. Nachdem sich auch die Letzten von Naftalis Verwandten verabschiedet hatten, kam sein Vater zu ihnen herübergeschlendert. „Es wird Zeit, dass Ihr Euch auf den Weg macht, Herr“, sagte er an Craft gewandt. „Ihr habt Recht, ich sollte mich lieber auf den Weg machen, bevor man nach mir sucht.“ Der junge Ritter erhob sich und wandte sich zum Gehen um, als Naftalis Mutter etwas zu ihrem Sohn auf Hebräisch sagte. Dieser räusperte sich verlegen. „Meine Mutter will, dass ich Euch begleite, damit Ihr Euch nicht schon wieder verlauft…“ Craft sah ihn einen Moment verdutzt an, nickte dann aber nur und folgte Naftali auf die Straße. Widererwartend dauerte es nicht lange, bis sie die breite Hauptstraße erreichten, auf der sich, jetzt da es langsam dunkel wurde, das Markttreiben gelegt hatte. Schweigend gingen die beiden jungen Männer nebeneinander her. Craft wusste nicht recht, worüber er sich mit dem Anderen unterhalten sollte. Während des Fests hatte er die meiste Zeit über Naftali zugehört oder Fragen von seinen Verwandten beantwortet. Jetzt, da er alleine mit ihm war, viel es ihm schwer, mit ihm zu reden. Zudem musste sich der junge Ritter zurück halten, den jungen Schmied ständig anzusehen. Irgendetwas an ihm faszinierte ihn, doch er konnte nicht genau sagen, was. Endlich bogen sie auf eine weitere Hauptstraße ein und erreichten wenige Minuten später den Ordenssitz der Templer. Vor diesem blieben sie stehen und Craft sah verlegen zu Boden. „Ich danke Dir, dass Du mich begleitet hast…“ Sein Gegenüber schenkte ihm ein Lächeln, verbeugte sich und wandte sich zum Gehen um. „Halt, warte!“ Kapitel 4: (Naftali) -------------------- Zwei Wochen waren seit der Begegnung mit dem Ritter vergangen. Naftali hatte in der Zwischenzeit sein Möglichstes versucht ihn nicht wieder zu treffen, was ihm auch ganz gut gelungen war. Trotzdem konnte er nicht aufhören an Craft zu denken. Irgendetwas an ihm ließ Naftali den Großmarschall nicht vergessen. Doch an diesem Morgen hatte er seine Gedanken wo anders. Heute war der erste Tag im siebten Monat Tischri und das bedeutete, dass heute das jüdische Neujahrsfest gefeiert wurde. Und da er seiner Mutter versprochen hatte zusammen mit seinem Vater das Fest vorzubereiten, war er gerade auf dem Weg zum Viehmarkt, auf dem man außer Vieh auch andere Waren kaufen konnte. Da Naftali schon früh morgens losgegangen war, konnte er sich in aller Ruhe die Stände mit wohlriechenden Gewürzen, exotischem Obst und anderen Köstlichkeiten anschauen. Neben Zimt, Muskat und Honig kaufte er auch süße Trauben, Karotten, Äpfel und Granatäpfel. Als er alles zusammen hatte, machte er sich wieder auf den Weg nach Hause. Sein Vater hatte schon einiges vorbereitet. Im Innenhof war schon alles für das nachmittägliche Fest gerichtet. Seine Eltern hatten einige Tische und Bänke zu einer langen Tafel zusammengestellt an der später zusammen mit allen Gästen gefeiert werden würde. Naftali machte sich an die Vorbereitung für das Essen. Einiges, wie zum Beispiel Honigkuchen, hatte seine Mutter schon am Vortag gebacken, sodass nur noch kleinere Speisen zu richten waren. Kurz nach Mittag verabschiedete sich seine Mutter. Sie feierte zusammen mit ihrer Familie den Gottesdienst in der Synagoge. Danach würden sie alle zusammen bei ihnen das Neujahrsfest feiern. Bis dahin bereitete er das noch fehlende Essen zu und half seinem Vater bei den letzten Vorbereitungen. Sie hatten gerade die letzten Vorbereitungen getroffen, als auch schon seine Mutter mit ihren Verwandten in den kleinen Innenhof geschlendert kam. Nachdem er alle begrüßt hatte, half er seiner Mutter die Speisen für das Festmahl auf den Tischen zu drapieren und begannen danach mit den Feierlichkeiten für das Neujahrsfest. Mehrere Stunden waren vergangen, als Naftali bemerkte, dass seine Mutter den Innenhof verließ und nach wenigen Sekunden, einen jungen Mann am Arm haltend, wieder zurück an den Tisch kam. Sie platzierte ihn auf einen Stuhl am Ende der Tafel. Naftali musste einige Minuten überlegen bis ihm auffiel wer da gerade Platz genommen hatte. Es war kein anderer als der junge Großmarschall des Templerordens, dem er doch eigentlich aus dem Weg gehen wollte. Schnell schaute er in eine andere Richtung, um nicht die Aufmerksamkeit des Ritters auf sich zu ziehen. Doch in diesem Moment kam auch schon seine Mutter auf ihn zu. „Naftali, wärst du so nett und würdest dich um unseren Gast kümmern.“ Der junge Mann verdrehte die Augen und seufzte. „Natürlich.“ Genervt stand er auf und setzte sich neben den Templer. Dieser blickte verwundert auf und starrte ihn an. Einige Minuten lang saßen die beiden nur schweigend nebeneinander. Der junge Ritter räusperte sich und fragte: „Was für ein Fest feiert ihr denn?“ „Das Neujahrsfest…“ Der junge Mann sah ihn ungläubig an. „Im September!?“ „Kreuzritter! Keine Ahnung von Kultur!“, dachte sich sein Gegenüber, lächelte aber nur höflich und begann ihm alles zu erklären. „Die Juden feiern ihr Neujahrsfest, das übrigens auf Hebräisch Rosch ha-Schana genannt wird, immer am ersten Tag des siebten Monats, der Tischri genannt wird.“ Naftali sah Craft an. „Der Monat entspricht nach dem christlichen Kalender dem Monat September.“ Der Templer nickte kurz. Der junge Schmied fuhr fort: „Am Morgen des Festes gehen alle in die Synagoge zum Gottesdienst und danach gibt es dann ein Festmahl, bei dem auch verschiedene Segenssprüche gesprochen werden, die für die Familie im neuen Jahr in Erfüllung gehen sollen.“ Naftali wante sich wieder seinem Gegenüber zu, der ihn charmant anlächelte. „Und? Kennst du einen davon?“ Der junge Mann neben ihm hob eine Augenbraue und sah ihn ungläubig an. „Ja, natürlich.“ „Welchen?“ Naftali griff nach einer hölzernen Schüssel auf dem Tisch vor ihnen. In der Schüssel befanden sich geschnittene Äpfel, die mit Honig überzogen waren. Er holte einen der Apfelscheiben heraus, hielt sie dem jungen Ritter hin und sagte: „Schana tova umetuka. Ein gutes und süßes Jahr.“ Craft sah den jungen Mann verdutzt an. „Ihr müsst den Apfel essen.“ Der junge Schmied hielt ihm die Apfelscheibe weiter vor das Gesicht. Mit einem verschmitzten Lächeln griff der Großmarschall nach der Hand seines Gegenübers, zog sie weiter an seinen Mund und biss in das Stück Apfel. Erschrocken zog Naftali seien Hand zurück und starrte den Templer einige Minuten an. „Seid Ihr verrückt? Was wenn Euch jemand gesehen hat?“ „Keine Angst. Es ist niemand mehr von deinen Verwandten da.“ Der junge Mann sah sich verwundert um. Er hatte gar nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergangen war. Es dämmerte schon und außer seinen Eltern war niemand mehr im Innenhof. Naftali wollte gerade etwas sagen, als sein Vater zu ihnen kam. „Es wird Zeit, dass Ihr Euch auf den Weg macht, Herr“, sagte er an Craft gewandt. Dieser lächelte höflich und entgegnete: „Ihr habt Recht, ich sollte mich lieber auf den Weg machen, bevor man nach mir sucht.“ Der junge Ritter stand auf und wollte gerade gehen als Naftalis Mutter zu ihrem Sohn kam und ihm etwas auf Hebräisch sagte. Er räusperte sich verlegen. „Meine Mutter wünscht, dass ich Euch begleite, damit Ihr Euch nicht schon wieder verlauft…“ Craft sah ihn verdutzt an, nickte knapp und folgte dem jungen Mann auf die Straße. Es dauerte nicht lange bis sie die breite Hauptstraße erreichten, auf der nur noch wenige Menschen unterwegs waren. Bis sie den Ordenssitz der Templer erreichten würde es noch einige Minuten dauern. Da beide anscheinend nicht wussten worüber sie sich unterhalten sollten, gingen sie schweigend nebeneinander her. Als sie schließlich ihr Ziel erreicht hatten, blieben sie vor dem Eingangstor stehen. Der junge Ritter schaute verlegen auf den Boden. „Ich danke Dir, dass Du mich begleitet hast…“ Naftali lächelte, verbeugte sich und wollte gerade gehen als Craft ihn festhielt. „Halt, warte!“ Der junge Schmied blickte zuerst auf die Hand die seine hielt und dann in die Augen seines Gegenübers. „Was wollt Ihr noch von mir?“ Craft schluckte. „Sollte ich Dich gerade eben in irgendeiner Art beleidigt haben, möchte ich mich dafür entschuldigen!“ Der junge Mann fuhr mit seiner Hand durch seine Haare und seufzte. „Nein. Es ist alles in Ordnung.“ Er wandte sich zum Gehen um, doch der Andere hielt seine Hand weiter fest. Was will der denn noch von mir? Leicht genervt drehte er sich wieder zu dem Templer um. Wieder sah dieser ihn mit einem verschmitzten Lächeln an. „Na, wenn Du gegen so etwas nichts dagegen hast, wie ist es dann, wenn ich das tue.“ Mit seiner freien Hand streichelte er leicht über die Wange von Naftali. Dieser wich instinktiv einen kleinen Schritt zurück, jedoch zog ihn Craft wieder zu sich heran. Die Hand, die gerade die des jungen Schmieds noch festhielt, ruhte nun auf dessen Rücken. Das Gesicht des Großmarschalls kam dem Naftalis immer näher. Stur drehte dieser seinen Kopf zur Seite und versuchte sich aus der engen Umarmung zu befreien, doch der junge Ritter hielt ihn weiterhin fest an sich gedrückt. Behutsam fasste er das Kinn von Naftali und dreht langsam dessen Kopf, sodass sie sich beide direkt in die Augen schauten. Mit seinem Daumen strich Craft sanft über die Unterlippe seines Gegenübers. Verwirrt starrte der junge Schmied den Templer an. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr in, als dieser mit seinen Lippen immer näherkam. Er schloss die Augen. Im selben Moment legten sich Crafts warme Lippen auf die seinen und er wurde in einen leidenschaftlichen Kuss hineingezogen. Leicht keuchend trennten sich ihre Lippen voneinander. Der junge Ritter berührte mit seiner Stirn die des anderen und sah ihm tief in die Augen. „Komm morgen Abend zu mir. Ich sende Dir eine Nachricht, wo und wann wir uns treffen können.“ Er gab ihm einen Abschiedskuss und verschwand durch das Eingangstor des Ordenssitzes. Ungläubig starrte ihm Naftali hinterher. Mit seiner rechten Hand berührte er leicht seine eigenen Finger. Er konnte nicht glauben, was ihm gerade passiert war. Irritiert machte er sich auf den Heimweg. Naftali hatte die ganze restliche Nacht lang kein Auge zugetan, weshalb er die ganze Zeit an ihrem kleinen Tisch in der Küche verbracht hatte. Er war noch in Gedanken bei dem was gestern Abend passiert war, als ein Klopfen an der Tür ihn aufschrecken ließ. Langsam öffnete er die Tür und sah einen jungen Knappen des Templerordens vor sich stehen. „Seit Ihr Naftali?“ Der junge Schmied hob prüfend eine Augenbraue. „Ja. Und wer möchte das wissen, Templer?“ Der Junge räusperte sich kurz und hielt seinem Gegenüber einen versiegelten Brief hin. „Mein Herr, der Großmarschall unseres Ordens, schickt mich. Ich bin sein Knappe Veit.“ Genervt nahm Naftali den Brief entgegen und schickte den Knappen fort. Er setzte sich wieder an den kleinen Tisch, brach das Siegel und öffnete den Brief. Auf diesem geschrieben stand: Triff mich heute Nacht am westlichen Seitentor des Ordenssitzes. Craft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)