Die Nacht der Krähe von Phinxie (Phinxies Bloodborne Lores) ================================================================================ Kapitel 4: Zielen und Schießen ------------------------------ Ich lief weiter, so weit mich meine Füße trugen. Fort von der Oedon-Kapelle, fort von Pater Gascoigne, diesem… diesem Monster. Ich schenkte den gruseligen, viktorianischen Verzierungen der Stadt keine Beachtung mehr, sondern hetzte weiter – mein Atem ging stoßweise und mehrmals stolperte ich über einen losen Stein, doch ich fiel nie hin. Die Waffen dicht an meine Brust gepresst rannte ich, der Dolch schlug immer wieder gegen meine Seite, doch es war mir egal, solange ich nur so viel Abstand wie möglich zwischen mich und Pater Gascoigne bringen konnte. Ich hörte ein Stöhnen und warf mich instinktiv zur Seite – und dann sah ich die Zacken der Mistgabel, die genau dort auf dem Boden aufschlugen, wo ich gerade eben noch gestanden hatte. Das Gleichgewicht verlierend stolperte ich noch ein paar Schritte weiter, ehe ich zu Boden stürzte – das Säckchen mit Silberkugeln fiel mir beinahe aus der Hand und ich umklammerte es fester; warum, das wusste ich nicht so genau, doch es schien mir, als müsste ich sie irgendwann nutzen. Der Boden war kalt und klebrig vom Blut der bereits getöteten Bestien. Ich atmete schwer und hob den Kopf, während dieser seltsam langgliedrige Mann – ein Einwohner Yharnams – mit seiner Waffe ausholte, um mich dieses Mal zur Strecke zu bringen. Instinktiv rollte ich mich wieder zur Seite und entging dem Angriff nur knapp. Schnell stopfte ich die Pistole in meinen Gürtel und legte mir die Schlaufe des kleinen Säckchens um das Handgelenk, dann rappelte ich mich wieder auf und blickte dem Mann an. Er hatte kaum mehr Gefühl in seinen Augen, keine Regung war zu erkennen. „Bestie!“, spie er aus und kam auf mich zugeeilt. Ich zog meinen Dolch, umpackte seinen Griff fest, duckte mit unter dem nächsten Schlag der Mistgabel hinweg und stach ihm in den Oberschenkel. Der Mann gab ein Brüllen von sich und versuchte, mich zu packen, aber ich sprang schnell zurück, drehte mich um und rannte wieder davon: Mit seiner Beinwunde würde er mir nicht hinterherlaufen können. Ich war eine schnelle Läuferin und recht geschickt – das hatte selbst Pater Gascoigne grummelnd angemerkt, nachdem ich ein paar Minuten lang mit ihn trainiert hatte. Den Griff des Dolches weiterhin umklammernd rannte ich wieder durch die dunklen Gassen Yharnams. Die Waffe in meiner Hand gab mir ein beruhigendes Gefühl, denn ich fühlte mich nicht mehr so ganz schutzlos wie vorher. Und ich konnte auch jemanden damit verletzten. Pater Gascoigne hatte sie alle getötet, aber den Hass, den er verspürte… den verspürte ich nicht. Wahrscheinlich würde ich einen dieser Werwölfe ebenfalls töten, aber bisher war ich ihnen immer gut entkommen. Aber so kann es nicht ewig weitergehen. Nein, das konnte es definitiv nicht. Ich bog in eine kleine Gasse ein, rannte unter einer Brücke hindurch und entdeckte die Tür eines Hauses. Die meisten Türen waren verschlossen, doch als ich hoffnungslos an dem Griff rüttelte, erkannte ich, dass sie offen war. Ich schlüpfte hinein, schloss die Tür hinter mir und ließ mich dann sofort auf den Boden gleiten, das kalte Holz im Rücken. Ich schnappte nach Luft und hielt mir die Seite, wo sich Schmerzen anbahnten. Meine Schulter pochte und ich biss die Zähne zusammen, als ich sie mit einer Hand vorsichtig befühlte und das Blut ertastete, was langsam wieder raustropfte. Ich nahm die Hand wieder weg und spürte das Gewicht der kleinen Blutphiole in meiner Tasche mit einem mal sehr viel deutlicher als vorher. Du hast den Fluch auf dich genommen und jetzt musst du lernen, ihn zu deinem Vorteil zu nutzen! Pater Gascoignes Worte kamen mir wieder in den Sinn und ich lehnte den Kopf an die Tür. Von draußen hörte ich Schreie und Brüllen und erneut erklang dieses schaurige Kreischen der unbekannten Bestie. Ich schloss kurz die Augen, doch als die Dunkelheit mich umfing, bekam ich Angst, und ich öffnete sie sofort wieder. … Der Pater hatte Recht gehabt: Ich hatte den Fluch auf mich genommen. Und irgendwie schien er etwas mit mir gemacht zu haben… vielleicht sollte ich wirklich versuchen, damit zurecht zu kommen... den Fluch kennenzulernen, um zu wissen, was ich damit alles bewirken konnte. Aber dafür musste ich auch das Blut trinken… Alleine schon der Gedanke ließ mich erschaudern und ich schüttelte den Kopf, obwohl es niemand sehen konnte. Dann fuhr ich mir mit einer Hand über das Gesicht und stand auf: Ich konnte nicht auf ewig in diesem Haus bleiben. Ich durchquerte das Erdgeschoss und rüttelte an der Tür, die direkt gegenüber lag. Verschlossen. Seufzend wandte ich mich um und entdeckte im schwachen Licht eine Treppe, die nach oben führte. …vielleicht konnte ich auf einen Balkon steigen und dann darüber das Haus wieder verlassen. Den Weg zurück wollte ich nämlich nicht mehr einschlagen, aus Angst, Pater Gascoigne könnte mich finden. Und wer wusste schon, was er dann tun würde? Wahrscheinlich würde ich dann Bekanntschaft mit seiner Axt machen. Und diese Art von Bekanntschaft… darauf konnte ich auch gut verzichten. Langsam stieg ich die knarrenden, hölzernen Treppenstufen hoch – das Haus schien verlassen zu sein, überall lagen kaputte Glasflaschen und anderer Kleinteile herum und es knirschte leise unter meinen Schuhen. Dennoch ging ich weiter und entdeckte zu meiner Überraschung eine weitere Tür. „…dann wollen wir mal schauen, wo die hinführt“, murmelte ich leise vor mich hin und streckte die Hand nach dem Knauf aus – er ließ sich drehen und mit einem Quietschen schwang die Tür nach außen auf. Ich trat auf den steinernen Weg und fand mich einer Treppe gegenüber. Vorsichtig ging ich die Stufen hoch und runzelte die Stirn. Ich musste mich auf einer Art… Brücke befinden. Zumindest wirkte es so, mit den ganzen gotischen Wasserspeiern, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren, den Pflastersteinen und dem Geländer, auf dem die Wasserspeier hockten. Außerdem war ich ja auch nach oben gegangen. Interessant… vielleicht konnte ich mir mal ein Bild von der Stadt machen. Also trat ich weiter vor und wollte mich zu einer Stelle begeben, von wo aus ich einen guten Blick auf die Stadt hatte, als ich hinter mir ein Knurren hörte. Langsam drehte ich mich um und blickte einem auf allen vieren laufenden, rotäugigen und schwarzhaarigen Werwolf in die Augen. Ein paar Sekunden lang schien die Zeit still zu stehen und der Wolf und ich sahen uns an. Dann reagierte ich schnell, wirbelte herum und rannte die Brücke herunter. Der Werwolf jaulte und setzte mir mit großen Sprüngen nach. Ich blickte nicht nach hinten, sondern rannte weiter – dort am Ende der Brücke konnte ich ein Tor erkennen, vielleicht schaffte es ich es, dort rauszukommen! Ich rannte durch einen Torbogen hindurch, noch ein paar Meter weiter, als ich bemerkte, dass ich den Wolf hinter mir gar nicht mehr hörte. Erstaunt über die plötzliche Stille, die auf der Brücke herrschte, drehte ich mich wieder um. Das schwarzhaarige Biest kauerte an dem Torbogen, den ich durchquert hatte, schnüffelte ein wenig herum und warf mir immer wieder angriffslustige Blicke zu, doch er kam mir nicht hinterher gesprungen. Ich runzelte verwirrt die Stirn, doch im nächsten Augenblick war ich sehr erleichtert: Vielleicht war dieser Ort gesegnet worden und Werwölfe konnte ihn nicht betreten? Dann war ich auf jeden Fall erst einmal sicher und konnte meine Gedanken mal richtig ordnen! Ich lächelte ein wenig und wollte mich schon guter Dinge daran machen, mir die Pistole genau anzusehen, als ich ein Kreischen hörte. Ein ohrenbetäubendes Kreischen. Das Kreischen, das ich immer schon in Yharnam gehört hatte. Meine Finger, die das Säckchen mit den Quecksilberkugeln schon halb geöffnet hatte, erstarrten und mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Ich hob den Blick wieder an und erkannte den riesigen Schatten, der auf dem Tor hockte, durch das ich eigentlich hatte hindurch gehen wollen. Es war eine riesige Bestie mit schwarzem, zotteligen, langen Fell und roten Augen. Die Schnauze war weit aufgerissen und zwei Reihen messerscharfer, silberner Zähne stachen mir ins Auge, jede einzelne von ihnen halb so groß wie ich selbst. Ich starrte die riesigen Klauen an, den zerfetzten Brustkorb, die stämmigen, muskulösen Beine... Ich war vor Schreck regelrecht gelähmt. Jetzt wusste ich, warum mir der Werwolf nicht hinterher gekommen war. Ich ließ das Säckchen fallen und wollte umdrehen und zurückrennen – doch am Torbogen hatte sich ein seltsamer Nebel gebildet, den ich, als ich dort angekommen war, nicht durchdringen konnte. Ich keuchte auf, konnte hinter der Nebelwand noch die Umrisse des Werwolfs erkennen, der dort auf mich wartete und wünschte mir, ich würde mich bei genau jenem auch befinden. Die Bestie hinter mir kreischte noch einmal laut auf. Dann hörte ich, wie sie sprang und auf der Brücke aufkam. …und für mich gab es kein Entkommen. Ich drehte mich wieder um und zog meinen Dolch. Gegen die Größe der Bestie kam mir meine kleine Waffe zwar lächerlich vor, aber es war besser, wenigstens versuchen, sich zu wehren, als sich von dem Monster aufessen zu lassen. Meine Schulter fing wieder an zu schmerzen und ich biss die Zähne aufeinander, während die kreischende Bestie immer weiter auf mich zukam. Sie hob eine ihrer mächtigen Klauen und wollte sie auf mich hinabsausen lassen, doch – getrieben von meiner Angst – duckte ich mich hinweg und lief genau auf die Bestie zu. Ich wusste nicht, was ich tat. Jegliches rationale Denken hatte sich verabschiedet und in meinem Körper kochte das Adrenalin und gab mir Kraft. Ich riss meinen Dolch hoch und rammte ihn in das Bein der Kreatur, die einen schrillen Schrei ausstieß. Ich zog den Dolch, der mit rotschwarzem Blut bedeckt war, zurück und stach erneut zu, erntete einen weiteren Schmerzensschrei dafür. Dann sprang die Bestie zurück und schlug wieder mit ihrer Kralle nach mir – dieses Mal war ich nicht schnell genug und sie erwischte mich am Arm. Ich stieß einen hellen Schrei aus und landete auf dem Boden, purzelte noch ein paar Meter weiter – keuchend blieb ich liegen und umklammerte mit einer Hand die Wunden an meinem Arm, während ich in der anderen krampfhaft den Dolch festhielt, denn genau davon hing gerade mein Leben ab. Dieser Schmerz…! Tränen schossen mir in die Augen und ich keuchte schwer, während das Monster weiter auf mich zugestapft kam. Es kreischte mich an und mehrere Speicheltropfen flogen mir trotz der Entfernung in das Gesicht und machte meine Kleidung nass, doch entgegen meiner Schmerzen war das nur ein geringes Übel. Wenn ich nur etwas dagegen tun könnte…! Du hast den Fluch auf dich genommen und nun musst du lernen, ihn zu deinem Vorteil zu nutzen. Ich wollte nicht sterben. Noch nicht. Also friemelte ich die Phiole aus meiner Tasche, während die Bestie einen weiteren Sprung auf mich zu machte – mit letzter Kraft rollte ich mich unter der Attacke hindurch, ließ dabei meinen Dolch fallen, als ich versuchte, die Phiole aufzustöpseln. Es ging genauso leicht, wie ich erwartet hatte und ich schüttete mir den Inhalt mit einem Mal in den Rachen und schluckte. Es war ein… seltsames Gefühl, den metallischen Geschmack im Mund zu haben, doch gleichzeitig spürte ich etwas anderes… Etwas durchströmte mich und die Schmerzen in meinem Arm versiegten beinahe Augenblicklich, genau, wie die in meiner Schulter. Meine Augen weiteten sich einen Moment und ich keuchte ob des überwältigenden Gefühls, denn auf einmal fühlte ich mich wieder… gesund. Und voller Kraft. Das Gefühl konnte ich aber nicht lange genießen, denn schon sprang die Bestie wieder auf mich zu, doch gestärkt schaffte ich es erneut, ihr auszuweichen. Ich sprang zur Seite und landete auf den Füßen, spürte etwas Rundes, Hartes unter ihnen. Schnell ließ ich den Blick gleiten und erkannte, dass ich mich bei der Stelle befand, wo die ganzen Quecksilberkugeln auf dem Boden lagen… Ohne wirklich nachzudenken riss ich meine Pistole aus meinem Gürtel und kniete mich hin, schnappte mir eine der Silberkugeln. Die Bestie vor mir kreischte und ich konnte ihren nach Blut und Verwesung stinkenden Atem riechen, doch ich versuchte verzweifelt, nicht allzu sehr darauf zu achten. Ich friemelte die Kugel in den Lauf der Pistole und entsicherte sie. Zielen und Schießen, hatte Gascoigne mir geraten. Das Monster sprang auf mich zu. Ich hob die Pistole an, zielte auf ihren Kopf und schoss. Die Kugel traf das Biest direkt in das Auge und es kreischte wie wahnsinnig auf; der Boden erbebte unter meinen Füßen und normalerweise hätte ich jetzt dagestanden und mich gewundert, dass es tatsächlich geklappt hatte, aber ich sah selbst ein, dass ich dafür keine Zeit mehr hatte. Solange die Bestie nun abgelenkt war, rannte ich los – mein Dolch lag weit weg von mir, aber irgendetwas in meinem Körper – war es die Blutgier? – trieb mich an und ich steuerte auf die Bestie zu. Ich verspürte einen ungeheuren Kraftschub und ohne nachzudenken hob ich meine rechte Hand und rammte sie der Bestie in die Wunde, die ich ihm schon vorher zugefügt hatte. Ich wusste nicht, woher die Kraft kam, aber sie pulsierte in meinem kompletten Körper. Ich stieß einen Schrei und meine Finger umklammerten Muskeln und Sehnen und mit einem Ruck riss ich sie heraus. Blut spritzte mir ins Gesicht und durchtränkte meine Kleidung und die Bestie kreischte noch heller. Die Bestie knickte ein und landete auf dem Boden; ich konnte mein Spiegelbild in dem verbliebenen Auge sehen – furchterregend und monströs – als ich ihm die Hand wieder in den Körper rammte, nur dieses Mal durch das verletzte Auge. Die Bestie schrie auf, hieb nach mir, doch sie verfehlte mich, während sich meine Finger in die Hirnmasse gruben und ich sie mitsamt meiner Hand wieder raus zog. Das Monster gab einen letzten, markerschütternden Schrei von sich, dann brach es zusammen und blieb regungslos liegen. Ich stand dort, mit der blutigen, tropfenden Hirnmasse in der einen Hand und starrte auf das tote Monster. Dann ließ ich mich auf die Knie sinken; das Adrenalin verpuffte in meinem Körper und ich fühlte mich ausgelaugt und erschöpft. Ich kroch auf die Brüstung zu und lehnte mich gegen den kalten Stein, schloss die Augen, als wolle ich mich ausruhen. Ich merkte gar nicht mehr, wie einer dieser seltsamen, gruseligen Viecher, die ich in Iosefkas Klinik kennengelernt hatte, erschienen war und an meiner Kleidung zupfte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)