Assassin's Creed Unity: Nothing is True von MlleBellec (Pairs 1774 | Pierre Bellec | Charles Dorian | Shay Patrick Cormac | OC) ================================================================================ Kapitel 9: Catacomb ------------------- Paris, 10. Juni 1774 Renée war spät dran. Beim Üben mit ihrer neuen Lanze vergaß sie gänzlich die Zeit. Schnaufend riss sie die Türe zum Trainingsraum über dem Café Theatre auf und betete, nicht den Ärger ihres Lebens zu bekommen. Sie wusste genau, wenn es etwas gab, dass ihr Lehrer nicht leiden konnte, dann war es Unpünktlichkeit. Auf alles vorbereitet, ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen und erblickte die neugierigen Augen von Charles. Von Bellec keine Spur. „Mademoiselle Moreau, guten Morgen!“ Begrüßte er sie. „Ach Charles, wir waren doch schon lange beim „Du“, nicht?“, entgegnete sie ihm. Charles verfiel immer wieder zurück zu alten Förmlichkeiten. In der Welt, aus der er kam, war eine höfliche Anrede Alltag und nicht weg zu denken. Es fiel ihm schwer, sich daran zu gewöhnen. „Verzeih“, begann er, ehe seine Augen die neue Waffe erspähten. „Was hast du denn heute Schönes dabei – eine Lanze?“ Stolz hielt Renée ihm die Lanze entgegen und erzählte, wie gut sie damit umgehen konnte. Den Teil mit der Hilfestellung seitens Bellec, ließ sie heraus, es war schließlich peinlich genug, dass er ihr überhaupt so intensiv zeigen musste, wie man die Waffe richtig hält und benutzt, dachte sie. Charles war völlig von den Socken, als er hörte, dass Renée die passende Waffe für sich gefunden hatte. Ehrgeizig demonstrierte sie ihr neues Können, wenngleich sie wusste, dass es noch Bedarf zum Üben gab und sie lange nicht soweit war zu behaupten, sie würde die Waffe beherrschen. Doch er war sowohl beeindruckt, als auch erstaunt, denn er selbst konnte mit der Lanze nie wirklich etwas anfangen. Für Charles war ein Rapier, gepaart mit einer Schusswaffe, der beste Begleiter. „Was ist mit Pierre, kommt der heute nicht?“, wunderte Renée sich. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht.“ Charles lief durch den Trainingsraum und holte vom Waffenständer eine Holzlanze und ein Holzflorett. „Üben wir, bis er kommt. Ich habe noch eine Strafe abzuarbeiten“, gab er dann freundlich fordernd wieder und Renée betrat die Trainingsfläche.   „Eine Strafe?“, blickte sie verwirrt drein, ehe es ihr von selbst wieder wie Schuppen von den Augen fiel. „Du meinst, weil du letzten Monat drei Tage lang nicht zum Training erschienen bist?“, hakte sie trotzdem neugierig nach. „Genau deshalb. Es gab wichtige Dinge, um die ich mich kümmern musste.“ Nickte er, als würde er der Sache aus dem Weg gehen wollen. „Pierre sagte, deinem Sohn ginge es damals nicht so gut. Ich wusste gar nicht, dass du Vater bist.“ So direkt wie immer, forschte Renée nach den Dingen, die sie interessierten. Doch alles, was sie fand, war der konfuse Blick von Charles, der mit einer gewissen Fassungslosigkeit gefüllt war. Sie realisierte, dass etwas nicht stimmte. Charles' Gesicht verriet ihr, dass es nicht in Ordnung für ihn gewesen sein musste, dass sie solch eine private Angelegenheit ansprach.  „Entschuldige. Ich vermute, diese Information war nicht für mich bestimmt.“ „Das war sie tatsächlich nicht.“ „Ich hoffe, ich habe damit keinen Unannehmlichkeiten losgetreten.“, beschämt sah sie zur Seite. Wieso musste Bellec ihr auch erzählen, dass Charles einen Sohn hatte, obwohl er offenbar wusste, dass es ihm nicht Recht war, dass andere davon erfuhren. Und wieso um alles in der Welt, musste ausgerechnet sie sich jetzt schlecht und schuldig für etwas fühlen, von dem sie eigentlich gar keine Ahnung hatte? „Fürwahr ist es eigentlich ein Geheimnis zwischen Pierre und mir. Aber die Tatsache, dass er Euch davon erzählt hat, lässt mich vermuten, dass er Euch so großes Vertrauen entgegenbringt, dass er Euch sogar von unseren engsten Geheimnissen erzählt.“ Renée wusste nicht, worüber sie sich als erstes beschweren sollte. Charles' höflicher Umgangston oder über die Aussage, Bellec würde ihr vertrauen. Der Kerl war die Pest und für ihn war sie die Pest. Daran änderte sich nach wie vor nichts. Jedenfalls war sie nun verwirrter als vorher und die Tatsache, dass er plötzlich weiter aus dem Nähkästchen plauderte, machte es nicht besser. „Er war krank.“, fuhr Charles dann bedrückt fort. „Hohes Fieber; drei Tage lang.“ Renée hatte den sonst so positiven Charles noch nie so antriebslos gesehen. „Aber nun geht es ihm doch hoffentlich wieder besser“, wollte sie in Erfahrung bringen. „Glücklicherweise. Aber es ist nicht so einfach, sein Kind großzuziehen und dabei sicher zu stellen, dass es von der Bruderschaft ferngehalten wird. Ich möchte nicht, dass er da mit reingezogen wird. Wenn er alt genug ist, werde ich ihm davon erzählen, aber nicht jetzt.“ Renée erinnerte sich an ihren eigenen Vater. Sie wusste schon früh, dass er einem Orden namens „Assassinen“ beigetreten war und genoss als kleines Mädchen, wenn er ihr Geschichten aus seinem Alltag erzählte. Doch nie war ihr bewusst gewesen, welch eine Bürde das eigentlich für ihn sein musste. „Mein Vater war auch Assassine. Ich glaube ich fange an zu begreifen, was du damit meinst.“ „Er war ein guter Mann.“, wandte Charles überraschend ein. Renée blickte verdutzt auf. „Du kanntest ihn?“ „Ich bin ihm hin und wieder im Sanktuarium über dem Weg gelaufen. Er war kurz davor, Meisterassassine zu werden und ich war gerade mal ein frischgebackener Novize. Er war in Gesellschaft andere Leute.“ „Achso“, kam es ihr dann enttäuscht über die Lippen. Für einen kurzen Moment schwiegen sie sich an. Dann war es Charles, dem etwas auf der Seele brannte. „Sag mal...“  Er hielt Inne, unsicher, ob er seine Frage stellen sollte, als ihn plötzlich eine Welle der Sehnsucht überkam. „Würdest du jemanden, den du liebst verlassen, wenn es einen Grund dafür gäbe?“ Bekümmert waren seine Augen. Renée schien allmählich zu begreifen, was Charles bedrückte. „Hmm... wenn der Grund das Leben anderer beeinflussen und zum positiven wenden kann, vielleicht ist es dann notwendig, dass Wege sich spalten. Ich weiß es nicht...“ „Ich verstehe.“ Renée legte ihrem niedergeschlagenen Freund die Hand tröstend auf den Rücken.  „Hab keine Angst“, sagte sie dann, „bei mir ist dein Geheimnis sicher. Im Gegensatz zu anderen Personen verstehe ich es, wenn mir jemand etwas als top secret anvertraut und behalte es für mich", kicherte sie. Charles lächelte voller Wehmut. Er wusste, er konnte ihr vertrauen. „Daran habe ich keinen Zweifel, Mademoiselle.“ „Renée“, korrigierte sie ihn. „Ich werde daran üben.“ „Ich will euch ja nur ungern bei dem stören, was ihr da gerade treibt, aber es gibt Arbeit.“ Geschlagene drei Stunden ließ Bellec seine Schüler auf sich warten. Renée zuckte kurzzeitig zusammen, als ihr Lehrer plötzlich mit einem großen Satz durch das Fenster hinein in den Trainingsraum sprang und ihr Gespräch mit Charles abrupt beendete. „Du bist echt spät“, bäumte sie sich auf. „Und du bist ganz schön vorlaut.“ , konterte er. „Mein Freund, möchtest du uns verraten, ob es einen Grund für deine Abwesenheit gab?“, wandte Charles ein. „Ratsbesprechung. Mirabeau war heute wieder besonders gesprächig“, erklärte Bellec.  Dieser gesellte sich zu seinen Schülern und holte eine Karte aus seiner Manteltasche hervor. „Sind das etwa....?“, murmelte Renée, als sie einen Blick auf die Karte warf. Sie sah nicht aus, wie normale Landkarten, doch die Umrisse schienen ihr nicht fremd. „Es sind die Katakomben, ganz richtig. Heute geht es tief unter die Erde. Zwischen dem Pantheon und dem Observatorium scheinen sich ein paar Templeridioten aufzuhalten. Einer unserer Männer wurde vor ein paar Tagen überfallen und verschleppt. Heute Morgen haben wir den ausschlaggebenden Hinweis auf den Aufenthaltsort bekommen und sollten uns besser schleunigst auf den Weg machen. Wenn sie ihn foltern, plappert er vielleicht.“ „Sind das deine einzigen Sorgen? Was ist, wenn sie ihm etwas antun?“, wandte Renée entsetzt ein. „Damit musst du rechnen, wenn du dich dazu entscheidest, Assassine zu werden.“, antwortete Bellec kalt. „Aber keine Sorge“, fuhr er fort, „Quemar hat sich persönlich dafür stark gemacht, dass du bei der Mission dabei sein wirst. Du kannst unseren Kameraden also eigenhändig da raus holen.“ Ehe Renée sich weiter dazu äußern konnte, schaltete sich Charles ein. „Wir sollten wohl besser keine Zeit verlieren und dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt.“ „Gut mitgedacht, Pisspott.  Geht zum Sanktuarium und füllt eure Waffenvorräte auf. Öllampen wären auch von Vorteil. Das Ganze kann einige Zeit in Anspruch nehmen, also deckt euch gut ein.  Ich sehe euch dann in dreißig Minuten am Pantheon.“  **** Renée war noch nie in den Katakomben unterwegs. Ihr Vater erzählte manchhmal davon, doch sie wusste nicht, was sie dort erwarten würde. Gespannt ging sie Bellec und Charles auf der steinernen Treppe in die Dunkelheit nach. Das erste, was ihr ins Auge sprang, waren Totenschädel die überall platziert waren - an den Wänden, zu ihren Füßen - Totenschädel, so weit das Auge reichte.  Obwohl es sie interessierte, woher sie kamen, wollte sie es besser nicht in Erfahrung bringen.  Nun, da das letzte Fünkchen Tageslicht im Schatten der Katakomben verschwand, ließ sie ihre Öllampe den Weg erhellen. Den beiden Männern schien das einzelne Licht ihrer Lampe auszureichen, sie zündeten ihre eigenen nicht.  Sie gingen eine Weile durch den Tunnel und hielten die Augen offen. „Wäre es nicht besser gewesen, hätten wir uns aufgeteilt?", wunderte sich Renée dann.  „Im Prinzip wäre es das. Nur ist das hier wohl der falsche Ort dafür. Die Karte ist nicht ganz vollständig." „Aber hast du nicht gesagt, die Katakomben enden am Observatorium?" „Einer der Ausgänge liegt dort, das ist richtig. Aber es gibt weitere, die nicht auf der Karte verzeichnet sind. Stell es dir wie ein Labyrinth vor, wenn du einmal falsch abbiegst, kannst du ganz wo anders landen." „Ich verstehe.", sah sie dann ein. „Und wir wollen ja nicht, dass dich die Geister der Totenschädel heimsuchen, was Püppchen?" „Machst du dich lustig?", grummelte sie dann. „Das würde ich nie tun." Vollidiot, dachte sie. Dann gingen sie weiter, eine Zeit lang sprachen sie kein Wort. Renée setzt ihre Schritte mit Bedacht voraus, die beiden Männer hingegen, liefen weiter, ohne sich große Gedanken zu machen. Offenbar waren sie nicht das erste Mal in den Katakomben zu Gange. Und auch, wenn das eigentlich bedeuten sollte, dass sie sich sicher fühlen konnte, war ihr ganz unwohl hier unten. Sie präferierte das Tageslicht und den Himmel über ihr - nicht Gestein. Außerdem schien ihr die Luft ganz stickig. Lange wollte sie nicht hier verweilen. Immer, wenn die drei an eine Weggabelung kamen, holte Bellec seine Karte hervor, die Renée mit ihrer Öllampe erhellte. Bevor er den beiden Novizen mitteilte, welcher Weg der richtige war, versank er für einen kurzen Moment in seinen Gedanken und wägte alle Möglichkeiten genaustes ab. Wenn er allein unterwegs wäre, würde er vollkommen anders an die Mission herangehen. Doch es lag ihm fern, seine Schüler in Schwierigkeiten zu bringen und so nahm er sich die Zeit für Kalkulationen. Er wusste, dass sie derzeit sicher waren. Kein Templer war in Sicht, das musste jedoch ebenfalls bedeuten, dass ihr Ziel noch in weiter Ferne lag. Er sah in die erschöpften Gesichter seiner beiden Begleiter und ließ sich auf eine kurze Pause ein. Aus einem Stück Holz, das herumlag, machte er kurzerhand eine Fackel, die ihnen die Ecke, in der sie sich niederließen, erhellen sollte, damit sie das Öl ihrer Lampen aufsparen konnten. Renée war nicht wohl bei dem Gedanken, mitten unter der Erde Halt zu machen, doch es war von Nöten. Sie hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen und ließ sich für einen Moment auf einem Stein nieder.  „Hast du Hunger, Charles?" „Ich würde jetzt viel für etwas zu Essen geben", antwortete er erschöpft. Renée kramte in ihrer Tasche, holte ein paar Stücke Brot hervor und reichte ihrem Freund eines herüber. „Bitteschön", grinste sie. „Du bist ja bestens vorbereitet.", lächelte er und nahm das Brot dankend an. „Das Brot habe ich kurz vor Aufbruch schnell auf dem Markt um die Ecke besorgt. Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute so eine Strecke laufen, hätte ich am Morgen etwas Besseres zubereitet.", erklärte sie.  Dann hielt sie ein weiteres Stück Brot in die Richtung von Bellec und fragte ihn, ob er nicht auch etwas davon haben möchte. Doch Bellec brummte. "Wir sind doch nicht zum Picknick hier." „Gut - dann esse ich es eben selbst", antwortete Renée dann trotzig. Unerwartet knurrte Bellecs Magen und er verdrehte die Augen. Dann hielt er die Hand auf. „Gib schon her. Musst schließlich auf deine Linie achten, Püppchen." „Natürlich", grinste sie dann schadenfroh. „Darf ich mir mal die Karte ansehen?", fügte sie hinzu. An seinem Brot knabbernd, reichte Bellec ihr stumm die Karte. Wenn er ehrlich war, hatte er fürchterlichen Hunger. Die ganze Nacht über hielt er sich im Waffenarsenal der Bruderschaft auf, um eine passende Waffe für seine Schülerin zu finden und gleich danach strapazierte auch noch der Rat seine Nerven. Und nun war er hier, in den Katakomben und alles, was er zwischen die Zähne bekam, war ein Stück Brot. Fast schon ein bisschen nostalgisch, dachte er. Seine Zeit bei der Miliz in Neufrankreich sah ähnlich aus. Auf dem Schlachtfeld im Dreck gab es häufig nicht mehr als Brot und irgendeinen scheußlichen Schleim. Alles, an das man sich in der Dunkelheit klammerte, war das Leben. Und genau vor jenem Leben floh er damals, doch nun saß er wieder hier, im Dreck mit einem Stück Brot in der Hand. Er fühlte sich verdammt, vielleicht war dieser Kreislauf sein Schicksal.  „Das ist ja interessant", stieß Renée nachdenklich aus. Doch in Gedanken versunken hörte Bellec ihr nicht zu. Viel mehr hämmerten Kanonenkugeln durch seine Gedanken und rissen die Siedlungen nieder, an die er sich allmählich erinnerte.  „Hallo?", bat Renée um seine Aufmerksamkeit, doch bekam sie nicht. Aus dem Augenwinkel sah Bellec die Flamme seiner Fackel und hörte die Schreie der Menschen, deren Leben im Feuer verendeten.  „Pierre?" Noch immer erhielt sei keine Antwort.  Seine leeren Augen starrten wortlos auf die Flamme. Renée trat vor ihn und fühlte mit ihrer Hand seine Stirn. „Also Fieber hast du keines.", riss sie ihn schlussendlich aus seinen Gedanken. „Bist du blöd? Kann man hier nicht mal in Ruhe essen?", fauchte er und streifte ihre Hand abweisend von seiner Stirn. „Ja ja, hier schau mal.", begann Renée dann und zeigte auf die Karte. „Wir sind hier. Das Pantheon da drüben und dort hinten sollte eigentlich das Observatorium liegen." „Und weiter?", wandte Bellec ein. „Siehst du den dunklen Fleck dort drüben - südlich des Observatoriums? Könnte eine Kammer sein. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass die Templer dort sind?"  „Sehr wahrscheinlich." „Dann müssten wir eine andere Route nehmen, um dort hin zu gelangen." Fügte Charles hinzu. „Richtig. Allerdings hätte euch das direkt zu Beginn der Mission auffallen müssen. Wärt ihr allein auf euch gestellt, wärt ihr vielleicht längst geschnappt worden." „Das war ein Test?" Überrascht sah Charles auf. „War es. Ihr übt besser das Kartenlesen nochmal genauer."  Charles und Renée sahen sich überrascht an. Sie hatten sich beide zu sehr auf ihren Mentor verlassen, ohne die Situation selbst richtig abzuschätzen. In einem Ernstfall, wäre das vielleicht fatal gewesen. „Nun lasst uns weitergehen. In einem Kilometer kommt eine neue Weggabelung. Diesmal entscheidet ihr, welchen Weg wir nehmen." Forderte Bellec die beiden auf. Sie erhoben sich uns setzten ihren Weg fort. „Nun - Rechts oder Links?" Ratlos sahen die Novizen auf die Karte. Bellec hielt sich diesmal gänzlich raus und ließ seine beiden Schüler die Entscheidung tragen. Sie mussten eigene Entscheidungen fällen und mit den Konsequenzen ihrer Wahl zu leben lernen. Deshalb würde er sich nicht einschalten, selbst wenn sie den falschen Weg wählen würden. Doch er hoffte insgeheim, sie würden sich für den rechten Weg entscheiden, wenngleich der linke der richtige war. Doch das Holz, das den linken Gang offen hielt, war so marode, dass er glaubte, es könnte mit nur einem Luftstoß in sich zusammenfallen. „Was hällst du von links?", schlug Renée vor und Charles willigte ein. Er schien noch ratloser als Renée und war sichtlich erleichtert, dass sie die Entscheidung zu Tage brachte.  „Gut, gehen wir nach links", sprach er dann und ging voran. Er steckte die Karte wieder ein. Bellec unterdrückte sein Seuftzen. Renées Lampenlicht war längst verbraucht und so holte Charles seine Öllampe hervor und erhellte den Tunnel. Bellec seufzte nun doch. Seine Augen hielt er stets auf die Holzlatten gerichtet. Er würde die beiden tadeln - nicht jetzt, aber später. Diesmal lasen sie die Karte richtig, doch verloren ihre Umgebung gänzlich aus den Augen. Sie bemerkten die Gefahr nicht.  Charles passierte den Torbogen zu erst und Renée wollte es ihm gleichtun. Unachtsam trat sie auf einen Schädel und verlor unerwartet das Gleichgewicht. Haltsuchend klammerte sie sich an eine der Holzstützen, die den Torbogen offen hielt und ahnte nicht, was sie damit auslöste. Mit einem lauten Krachen, brach die marode Holzstütze und ließ Gestein hinabfallen. Eine Wand aus Staub wirbelte auf, sie sah nichts mehr und das Atmen fiel ihr schwer. Bellec zog Renée nach hinten, weg von dem Eingang und sie ging erschrocken zu Boden. Beinahe hätten sie die Steine getroffen. Charles sprang reflexartig in den Tunnel hinein verschwand hinter einer Mauer aus Geröll. Als sie endlich wieder etwas sehen konnte, erblickte sie das Chaos.  „Charles!", stieß sie besorgt aus, als sie ihn nirgends erblickte. „Wo bist du?" „Alles in Ordnung, Pisspott?" Bellec lief zu dem eingestürzten Torbogen. „Alles noch dran. Die Frage ist nur, wie ich hier wieder rauskomme.", ertönte es schwach von der anderen Seite.  Renée atmete erleichtert auf. „Lass bloß die Finger von dem Geröll. Damit schaufelst du dir dein eigenes Grab.", bemerkte Bellec. „Das dachte ich mir fast", seufzte der Novize. „Lies die Karte und warte vor der Kammer auf uns. Renée und ich nehmen einen anderen Weg.", forderte Bellec ihn auf. Charles willigte ein, doch Bellec betonte ausdrücklich, dass er sich den Templern keinesfalls allein stellen dürfe. Renée war nicht ganz klar, wie sie und Bellec ohne die Karte den richtigen Weg finden sollten. Vielleicht war das auch wieder ein Test. Vielleicht wollte Bellec sehen, wie gut sie sich die Karte eingeprägt hatte, doch jedes Fünkchen Erinnerung daran war längst verblasst. Charles machte sich auf den Weg. Bellec und Renée nahmen die andere Route und liefen drauf los. „Hör mal, ich habe keine Ahnung, wo es lang geht.", betonte sie ausdrücklich. „Weiß ich. Komm.", antwortete Bellec und holte seine Öllampe hervor. Damit erhellte er den ganzen Gang und sie liefen schweigsam nebeneinander her.  Einige Stunden verstrichen und Renée fühlte langsam, wie sie die Kräfte verließen. Ob sie wirklich in die richtige Richtung liefen? Es kam ihr alles so lang vor. Würde man an der Oberfläche vom Pantheon zum Observatorium laufen, würde man bestimmt nicht so lang brauchen. Renée gefiel das gar nicht und sie ahnte bereits, dass auch Bellec keinen Schimmer hatte, wo sie waren.  „Laufen wir wirklich noch zum Observatorium?" „Wohl eher nicht", antwortete er dann knapp. „Hast du eine Idee, wo wir hier rauskommen?" „Du stellst zu viele Fragen." „Und du gibst nutzlose Antworten." Auch Bellec wurde müde. Auch wenn er lange Fußmärsche bei der Miliz gewohnt war, die schlaflose Nacht zuvor zeichnete Spuren. Allerdings wusste er, dass sie hier keine Pause einlegen konnten. Das letzte Bisschen Öl seiner Lampe würde bald verbraucht sein und dann säßen sie mitten in den Katakomben ohne Licht. Die Situation könnte nicht unvorteilhafter sein. Also liefen sie weiter und hofften, bald einen Ausgang zu finden.  „Mir knurrt der Magen.", stöhnte Renée. „Du hast doch eben erst etwas gegessen." „Das war vor Stunden!" Plädierte sie dann verständnissuchend. „Du bist verdammt anstrengend. Beim Militär wärst du längst-" „Ich bin aber nicht bei Militär", wandte sie dann genervt ein. „Das habe ich dir doch schonmal gesagt." Bellec antwortete nicht. Etwas anderes erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Er glaubte, ein Licht sehen zu können - einen Ausgang. Je näher sie dem Licht kamen, desto kühler wurde es.  „Endlich können wir raus, aus diesem Scheißloch", stieß er seufzend aus. „Ist das der Ausgang?" „Was glaubst du, könnte es sonst sein?" Renée rollte die Augen und konzentrierte sich dann nur noch auf den Ausgang. Ihre Schritte wurden zunehmend schneller, je näher sie kamen. Sie wollte endlich raus aus diesem stickigen Tunnel und nach Charles suchen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Schließlich musste er nun wegen ihrer Dummheit allein durch die Katakomben wandern.  Bellec und Renée passierten einen Torbogen, der sie zurück an die frische Luft brachte, doch letztere schien sichtlich überrascht, als der blaue Himmel längst im Schatten der Nacht versank.  „Wir sind heute Mittag gestartet - waren wir wirklich so viele Stunden unterwegs?" „Dass du kein Zeitgefühl hast, haben wir ja schon an deinem ersten Tag festgestellt.", gab Bellec wieder. „Aber du hast gut durchgehalten, alle Achtung." Renée nahm dieses Lob überhaupt nicht ernst. Sie glaubte, er würde nur wieder Streit suchen. Stattdessen sah sie sich um. Doch mehr als Sträucher und Bäume konnte sie nicht erblicken. Kein Fünkchen Licht - nur die schwarze Nacht und die leuchtenden Sterne, die hinter einer Wolkenwand verschwanden. Sie hatte keine Vorstellung, wo sie sich befanden. „Nun, wo genau sind wir?" „Du solltest deine Umgebung besser studieren, Püppchen. Dreh dich mal um und mach die Augen auf", tadelte Bellec. Als Renée sich umdrehte, wurde ihr plötzlich klar, warum ihre Reise so lange dauerte. „Die Stadtmauer von Paris. Hab ich nicht gesagt, die Katakomben gleichen einem Labyrinth?", erklärte Bellec dann. „Und du hast mit keinem Wort übertrieben", stellte sie überrascht fest. Es kam nicht oft vor, dass sie ihrem Lehrer Recht gab und sie wünschte, es wäre anders, doch sie waren wirklich außerhalb von Paris. „Du solltest es dir bequem machen. Hast hoffentlich kein Problem damit, im Freien zu schlafen." „Wie meinst du das? Suchen wir nicht nach Charles und den Templern?" „Habe ich dir nicht eben gesagt, du solltest deine Umgebung besser studieren?" „Hast du Angst vor ein bisschen Natur?" „Denk doch mal nach. Hier gibt es nichts, was darauf hin deutet, dass wir uns in der Nähe eines Stadttores befinden. Selbst wenn wir auch nur den Hauch einer Idee hätten, welcher Bezirk sich hinter dieser Mauer befindet, wüssten wir immer noch nicht, ob wir auf- oder abwärts laufen sollten, um zu einem Tor zu gelangen. Und wenn es ganz blöd läuft, sind wir länger als in den Katakomben unterwegs. Und sag mir, wie viel Kraft hättest du dann noch, um unseren Assassinen aus den Templerhänden zu befreien? Und außerdem", Bellec hielt seine Öllampe hoch, die jeden Moment zu erlöschen drohte, „sitzen wir in wenigen Augenblicken im Dunkeln."  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)