So Eden Sank To Grief von Arianrhod- (OneShots - 1o. [NaLu]) ================================================================================ arma virumque cano... [Part I] ------------------------------ Intro – Magnolia, 12.12.X776 Es war dunkel, denn in der kleinen Hintergasse, durch die sie sich ihren Weg suchten, blieben die meisten Straßenlampen dunkel – entweder kaputt oder zerbrochen. Von der Hauptstraße drang Licht herüber und der Lärm der Stadt, Stimmen, fahrende Autos und die Schritte der vorbeieilenden Leute, die zu einer Kakophonie von Geräuschen verschmolzen. Es war kalt und der Atem stand ihnen in kleinen Wölkchen vor den Gesichtern. Natsu korrigierte den Griff, mit dem er seinen kleinen Bruder hielt, so dass Happy nicht mehr so seltsam über seinem Arm hing, sondern der kleine Kopf sicher auf seiner Schulter ruhte. Der kleine Junge schlief tief und fest, aber kein Wunder – es war schon spät. Natürlich hieß sein winziger Bruder nicht wirklich so, aber niemand nannte ihn bei seinem richtigen Namen und Natsu hatte diesen längst vergessen. „Nicht so schnell, Zeref.“, flüsterrief er der anderen Gestalt hinterher, darauf hoffend, dass seine Stimme Happy nicht aufweckte. Der Angesprochene hielt inne und drehte sich um. Während der mittlere Bruder den kleinsten trug, war der Älteste vollgepackt mit Tüten aus dem Einkaufsladen, zu dem sie eben einen Trip gemacht hatten. „Was ist? Ist Happy dir zu schwer?“ „Nein. Ich kann aber nicht so schnell.“, erklärte Natsu und beeilte sich, zu seinem großen Bruder aufzuschließen. Immerhin war der schon erwachsen und Natsu erst zwölf. Er konnte Zerefs trauriges Lächeln in dem schwachen Licht kaum ausmachen, nur die Zähne blitzten hell in der Dunkelheit auf. „Tut mir leid, Kleiner.“ Hätte er eine Hand frei gehabt, hätte er vermutlich durch Natsus Haare gewuschelt, doch glücklicherweise war dem nicht so. Natsu hasste das. Etwas entfernt flammte plötzlich eine Straßenlaterne auf, die die ganze Zeit nur vor sich hin geflackert hatte, und er fuhr erschrocken zusammen. Das Licht beleuchtete die Gasse, in sich der große Abfallcontainer aneinanderreihten. Dazwischen stapelten sich zusätzliche Müllsäcke und an einer Wand lehnten einige Bretter und Paletten aus Holz. Zwei weitere Straßen führten rechts und links tiefer in das Labyrinth der Hintergassen, das von den Häusern um sie herum gebildet wurde. Zeref wollte gerade etwas sagen, als eine der Hintertüren aufsprang und ein Mann rücklings herausfiel. Er landete mit einem quatschenden Geräusch in dem Schneematsch, der die Straße bedeckte, und schrie gepeinigt auf. Von innen hörte man lautes Krachen und dumpfe Kollisionen, doch der Mann im Schnee stand nicht auf, sondern stöhnte nur leise und einer seiner Arme bewegte sich ziellos über den Boden. Der andere hatte einen seltsamen Winkel und sein T-Shirt glänzte feucht und rot. Natsu starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und drückte unwillkürlich seinen kleinen Bruder enger an sich, der sich unruhig bewegte, aber nicht aufwachte. Zeref ließ erschrocken seine Einkaufstüten auf den Boden fallen und einige Konservendosen polterten heraus und kullerten über den vereisten Boden. Einen Moment später flog eine zweite Gestalt aus der Tür, doch sie rollte sich geschickt im Schnee ab und war einen Moment später wieder auf den Füßen, schnell genug, um dem auf ihn herabsausenden Schwert auszuweichen, das an ihm vorbeiwischte und eine Linie durch den Schneematsch zog. Die Klinge gehörte dem gigantischen Mann mit breiten Schultern, der nach draußen gefolgt war, offensichtlich der Angreifer. Er trug einen langen Ledermantel und sein rötlichbraunes Haar hing ihm in wirren Strähnen um das finstere Gesicht. Im Gegensatz zu den anderen war er unverletzt und atmete nur ein wenig schwer. Sein Gegner war dunkelhaarig, kleiner und schmaler. Er hatte einen Schnitt am Oberarm und einen zweiten im Gesicht und jetzt zog er ein langes Messer, um es drohend auf den Rothaarigen zu richten. Doch wie wollte er damit gegen das Schwert ankommen?! Die Klinge war so viel kürzer, dass es einfach lächerlich wirkte. Den nächsten Schwertstreich blockte er im letzten Moment ab, doch er entkam dem Tritt nicht, der folgte, und dem dritten Hieb konnte er auch nur knapp ausweichen. Er atmete schon so schwer, dass Natus jeden Atemzug sehen konnte, und sein Gesichtsausdruck wurde immer gehetzter. In letzter Sekunde riss er sein Messer hoch, um den nächsten Schlag direkt zu blocken, und die beiden standen sich einen Moment gegenüber, die Klingen gekreuzt zwischen sich, sich gegenseitig mit den Blicken fixierend. Dann ertönten in der Ferne plötzlich Sirenen, die sich rasch näherten, und der Schwertträger fluchte laut und unflätig. Der Dunkelhaarige stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. „Was willst du jetzt tun, Wächter, huh?“, knurrte er und über sein Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus. „Du kriegst mich niemals klein, ehe sie da sind.“ Der Rothaarige schien einen Moment fieberhaft zu überlegen, dann schüttelte er enttäuscht den Kopf. „Sollte ich euch noch einmal erwischen, bringe ich euch um.“, erklärte er mit tiefer, drohender Stimme, ehe er … etwas machte und der andere Mann landete auf dem Rücken im Dreck der Straße. Doch statt ihm nachzusetzen, fuhr der Schwertträger herum und rannte mit langen Schritten eine der Gassen hinunter. Innerhalb von Sekunden war er verschwunden. Der Dunkelhaarige starrte ihm einen Moment nach, dann fluchte er ebenfalls und rappelte sich auf. „Diese verdammten Wächter! Warum können sie nicht einfach...?!“ Er schob das Messer in die Scheide zurück und ließ sich neben seinem Freund in den Schnee fallen. „Lebst du noch?“, wollte er wissen und bekam nur ein Stöhnen zur Antwort, dass von den Sirenen, die inzwischen gefährlich nahe waren, beinahe übertönt wurde. „Gut, warte einen Moment, ich hab's gleich.“ Der Dunkelhaarige fummelte an seinem Mantel herum und dann zerrte er etwas unter seinem Mantel hervor, das wie ein langer Stab aus Metall ansah und etwa so dick war wie sein Handgelenk. Natsu wusste nicht, was der Stock bringen sollte, aber der Mann brachte ihn zum Leuchten – vielleicht war er eine Lampe? – und bewegte ihn mit geringem Abstand parallel über den Körper seines Freundes. Das war eine seltsame Geste, doch ehe die wie gebannt zusehenden Jungs etwas tun konnten, packte der Mann das Gerät wieder weg. „Geht's wieder?“, wollte er wissen. „J-ja.“, war die Antwort und der ehemals Verletzte setzte sich mit einer raschen Bewegung auf. Die Sirenen waren inzwischen vor dem Haus zu hören und dazwischen konnte man laute Stimmen ausmachen. „Gott sei Dank für Atlantis‘ Technologie!“, knurrte der Dunkelhaarige und half seinem Freund hastig auf die Beine. „Jetzt aber weg von hier, ehe die Bullen uns erwischen!“ Sie verschwanden in die entgegengesetzte Richtung wie der Schwertträger und waren wie er einige Momente später verschwunden. Endlich konnte Natsu sich aus seiner Starre lösen. „Wa...Was war das?“, wollte er wissen, doch sein großer Bruder konnte nichts als den Kopf schütteln. „Warte hier.“, zischte Zeref, der bereits dabei war, die Konserven wieder aufzusammeln. Doch dann rannte rasch zu dem Platz hinüber, an dem eben noch gekämpft worden war, und bückte sich, um etwas aufzuheben und es in die Tasche zu stopfen. Eilig kam er wieder zurück und nahm seine Einkaufstüten auf. „Komm, bleib bei mir.“ Damit lief er hastig den Weg zurück, den sie gekommen waren, während hinter ihnen Stimmen lauter wurden. Natsu fragte nicht, warum sich sein Bruder so seltsam verhielt – seit dem Tod ihrer Eltern vor ein paar Wochen war alles anders und Zeref machte manchmal komische Dinge. Stattdessen lief er hinter ihm her so vorsichtig, wie er konnte, um Happy nicht zu wecken. Die Polizei bemerkte sie anscheinend nicht, denn niemand hielt sie auf und zwanzig Minuten später als geplant kamen sie in der winzigen Wohnung an, die sie im Moment bewohnten, nachdem sie einen riesigen Bogen geschlagen hatten. Happy jedenfalls fühlte sich tonnenschwer in seinen Armen an. Zeref verriet nicht, was er im Schnee gefunden hatte, doch Natsu konnte später einen Blick darauf erhaschen. Es war ein runder Anhänger aus Silber. Vier konzentrische Kreise waren darauf eingraviert und in der Mitte prangte ein seltsames Symbol, das ihm nichts sagte. Am Rand jedoch waren Worte geschrieben, die er ebenfalls nicht verstand, und sie lasen Veritas Omnia Vincit. ~~*~~♒~~*~~ Station 1 – Landhaus der Familie Dreyar, Nähe Magnolia, 07.06.X790 Energisch klopfte Natsu an die Tür des Arbeitszimmers und stieß sie auf, ohne überhaupt auf eine Antwort zu warten. Der großzügige Raum dahinter war groß und sonnendurchflutet. Regale, vollgepackt mit Büchern, säumten die Wände und vor den hohen Sprossenfenstern hatte ein schwerer Schreibtisch aus Mahagoni seinen Platz. In dem großen Kamin flackerte ein kleines Feuer, obwohl es warm war, und die alten Dielen knarrten unter seinen Schritten. „Yo, Opa Dreyar.“, grüßte Natsu, als er in das Zimmer marschierte. Als Antwort bekam er nur ein langmütiges Seufzen von dem alten Mann, der hinter dem Schreibtisch saß. Er war so winzig, dass das Möbelstück viel zu groß für ihn wirkte, doch gleichzeitig machte er den Eindruck, als wäre er selbst zu groß für den Raum. Sein Kopf war überwiegend kahl, nur ein Kranz von grauen Haaren umgab einen Schädel, und sein Gesicht war von tiefen Runzeln geprägt. Vorwiegend waren es Lachfalten, doch einige Furchen zeugten von Sorgen. Ein weißer Schnauzbart zierte sein Gesicht und seine buschigen Brauen, die über scharfen Augen saßen, waren kühn geschwungen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du es für angemessen hältst, deinen Arbeitgeber auf diese Art anzusprechen.“, erklärte er, doch sein Lächeln strafte der harten Worte Lügen. „Vielleicht hat er einfach eine seltsame Art von Humor, Professor.“, bemerkte die dritte Person im Büro, ein hochgewachsener Mann mittleren Alters und schulterlangem, schmutzig blondem Haar. Er trug eine Sonnenbrille, Jeans und ein dunkles T-Shirt mit einer verschnörkelten Vier darauf, dem Logo seiner Bergungsfirma. „Ich denke einfach, es mangelt ihm an guter Erziehung.“, erklärte 'Opa Dreyar'. „Aber egal. Natsu, das ist Goldmine, ich habe dir bereits von ihm erzählt?“ Der Angesprochene nickte und reichte dem Blonden die Hand. „Der Typ, der deine Expeditionen sonst leitet, nett dich zu treffen.“ Goldmine stand auf, um den Gruß zu erwidern. „Ich hörte, du und deine Truppe wollt meinen Job übernehmen.“ „Öh... 'Übernehmen' wäre vielleicht etwas zu viel gesagt.“, gab Natsu zu. Tatsächlich hatte er keine Intention, irgendwem den Job wegzunehmen. „Oh nein, natürlich nicht.“, erklärte ihrer beider Arbeitgeber hinter seinem Schreibtisch. „Sie verfolgen nur eine eigene Spur. Vier Augen sehen mehr als zwei – oder in unserem Fall, zwei Teams erreichen mehr als eines.“ „Ich fände es auch schade, wenn unsere Zusammenarbeit bis jetzt einfach so auseinander fällt.“, gab Goldmine zu. „Darf ich fragen, wohin diese Spur euch führt?“ Natsu grinste frech. „Zur Küste.“ Die Antwort, obwohl nur in einem sehr weit gefassten Sinne war, brachte ihm ein erstaunt-belustigtes Lachen ein. „Wohin auch sonst? Aber…“ „Nein, nein.“, unterbrach jetzt Professor Dreyar und stand auf, um hinter seinem Tisch hervorzukommen. Beide seiner Angestellten überragten ihn um mehrere Haupteslängen, trotzdem war er es, der die Autorität hatte. „Ihr sollt euch nicht gegenseitig von euren Fährten ablenken. Ich halte es für besser, wenn ihr eure Ideen separat haltet. Kommt, wir sollten uns anschauen, wie weit die Vorbereitungen sind.“ Damit verließ er das Zimmer und die beiden jüngeren Männer folgten ihm ohne Protest. Er führte sie mit raschen Schritten durch die langen Gänge des Dreyar-Anwesens, dass sie Mühe hatten, Schritt zu halten. „Nee, mal ehrlich.“, begann Goldmine ruhig, als sie ein Stück zurückgefallen waren. „Araña, meine Historikerin, denkt, dass es ein paar Hinweise im Kloster Caitshelter gibt, wobei sie sich nicht so im Klaren darüber war, ob nun in der Bibliothek oder im Kloster selbst.“ „Levy redet die ganze Zeit von diesem Typen, ah, wie hieß er doch gleich noch?“ Natsu kratzte sich am Kopf. All diese historischen Daten, Fakten und Namen waren schwer für ihn zu merken, also machte er sich inzwischen kaum mehr die Mühe. Wofür hatte er Levy? „Zitrone oder so. Jedenfalls denkt sie, dass da eine Verbindung ist.“ „Wer auch immer es ist, er wird wohl kaum Zitrone heißen.“, antwortete Goldmine belustigt und dann erreichten sie eine große Halle, die durch Glastüren einen guten Blick über einen Hof bot. Dort standen mehrere Autos, die gerade beladen wurden, doch Natsus Aufmerksamkeit wurde von dem geradezu riesigen Mann angezogen, der vor den Türen stand und hinausstarrte. Seine Schultern waren von einer beeindruckenden Breite und es zeichneten sich deutliche Muskeln unter dem einfachen T-Shirt und den Trainingshosen ab. Das blonde Haar leuchtete im morgendlichen Sonnenlicht und durch sein markantes Gesicht zog sich eine blitzförmige Narbe, die seine rechte Augenbraue teilte. Vermutlich hatte er ungeheures Glück gehabt, dass er das Organ nicht verloren hatte. Doch trotz seiner Masse wirkte er ausgezerrt und kränklich, seine Wangen hohl und seine Haut auf eine ungesunde Art blass. Während Natsu dem Hausherrn, Makarov Dreyar, seines Zeichens hochgeehrter Professor der Geschichte von Ishvar und gleichzeitig Lord Dreyar, Besitzer weitläufiger Ländereien, schon öfter begegnet war, kannte er dessen Enkel nicht. Und das, obwohl dieser der einzige Grund war, warum der Professor überhaupt zu ihm gekommen war. „Ah, Laxus!“, rief der alte Mann aus. „Wie geht es dir?“ „Würdest du aufhören, mich das jedes Mal zu fragen, wenn wir uns treffen?!“, knurrte der Angesprochene und drehte sich um. „Mir wird es nicht plötzlich besser gehen!“ Über Makarovs Gesicht huschte ein trauriger Ausdruck, doch er ging nicht auf die Worte ein. „Goldmine kennst du ja schon, das ist Natsu Dragneel. Er und sein Team haben ein paar neue Ideen auf den Tisch gebracht.“ „Mir egal.“, schnaufte der Riese und stieß ein abfälliges Geräusch aus. „Wann wirst du endlich aufhören, Hirngespinsten hinterherzujagen und naiven Abenteurern wie diesen beiden Idioten Geld in die Taschen zu stopfen?“ Sein Großvater schien bei den Worten in sich zusammenzusinken und Natsu wollte diesem arroganten, undankbaren Lackaffen gerade ganz genau erklären, was er von ihm hielt, als Laxus zu husten begann. Es war ein tiefes, schmerzhaft klingendes Geräusch, das seinen ganzen Körper erschütterte und tief aus der Brust zu kommen schien. Er spie Blut in seine plötzlich unkontrolliert zitternden Hände und sein Gesicht nahm eine gräuliche Farbe an. Dieser Mann starb langsam über Jahre hinweg und er wusste es genau. Und die ständigen, hoffnungsseligen Pläne, die sein Großvater aufstellte, um ihn zu retten, das viele Geld, das dieser dafür ausgab, halfen ihm nicht, mit dieser Tatsache Frieden zu schließen. Plötzlich hatte Natsu Mitleid mit ihm. Aus dem Hintergrund kam ein zweiter Mann geeilt, schlank und athletisch gebaut, mit zu einem einfachen Zopf gebundenem, langem grünem Haar. „Laxus, du weißt doch, dass du dich nicht aufregen sollst.“, schalt er mit nachdrücklicher Stimme und half dem kranken jungen Mann, zu einer Bank hinüberzuwanken. Er warf den anderen im Raum einen scharfen Blick zu und machte eine Kopfbewegung in Richtung der Türen. Makarov folgte dem wortlosen Wink und ging leise auf die Glastür zu. Er gestikulierte zu seinen Begleitern und sie verließen das Gebäude, um auf den großen Hof zu treten. Mit dem lauen Frühsommerwind kamen ihnen die Geräusche der Vorbereitungen entgegen, Stimmen, eilige Schritte, Gegenstände, die herumgewuchtet wurden. „Laxus hat nicht mehr viel Zeit.“, erklärte Makarov, nachdem sie die Türen wieder hinter sich geschlossen hatten. „Ich befürchte, dies ist seine letzte Chance. Ihr habt beide gute Spuren gefunden, realistische, aber er hat die Hoffnung schon aufgegeben.“ Der alte Mann warf einen kurzen Blick über seine Schulter und für einen Moment huschte ein Ausdruck der Verzweiflung über sein Gesicht. Doch er fing sich rasch. „Aber solange noch Leben in ihm ist, werde ich sicher nicht aufgeben.“ Damit marschierte er auf die Autos zu. Bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass die Wagen zu zwei unterschiedlichen Exkursionen gehörten. Makarov stellte sie ihnen zur Verfügung, gemeinsam mit dem größten Teil der Ausrüstung, Geld und nützlichen Verbindungen. Dazu allen möglichen Firlefanz, den sie sonst noch anforderten. Goldmines Gruppe umfasste weit mehr Leute und Fahrzeuge als Natsus – zwei Motorräder, ein Van mit einer kompletten Computerzentrale darin und vier Land Rover würden eine ganze Karawane ergeben. Natsus Team dagegen brauchte nur zwei Wagen, ebenfalls moderne Land Rover in einfachem Schwarz. Einer davon allerdings zog einen Anhänger mit zwei geländegängigen Motorrädern darauf. Goldmines Leute wirkten professionell und routiniert, sie trugen ähnliche Kleidung wie ihr Boss, beinahe eine Uniform, zweckmäßig und robust und mit demselben Logo auf den Hosentaschen und Shirts. Sie hatten Übung mit Expeditionen und allem, was dazugehörte, und vollführten ihre Aufgaben mit wirkungsvoller Effizienz. Natsus Team dagegen war eher … ein zusammengewürfelter Haufen. Zuerst einmal war da Levy, die aufgeregt um einen der Land Rover herumschwirrte und ihre wertvollen Bücher so geschützt wie möglich und gleichzeitig griffbereit unterzubringen versuchte. Sie war eine winzige, junge Frau mit nahezu knabenhaftem Körperbau und einem wirren Mopp aus blauem Haar, das sie meist mit einem Haarband zurückgebunden trug. Was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie an Verstand wieder wett, denn sie war die klügste Person, die Natsu je getroffen hatte, wusste alle möglichen Daten und Fakten, von denen er nie auch nur gehört hatte, und fand reelle Verbindungen zwischen den seltsamsten Dingen. Dazu kamen Gray und Lyon, zwei Brüder, die sich liebend gerne Wortgefechte lieferten und sich selten über ein Thema einig waren. Beide waren sie hochgewachsen, gutaussehend und muskulös, doch da endeten die Gemeinsamkeiten schon. Lyon hatte ein klassisch geschnittenes Gesicht mit schmalen Augen und einem freundlichen Lächeln, umgeben von weißem Haar. Grays Haare dagegen waren schwarz und er trug meist einen abweisenden, kühlen Gesichtsausdruck zur Schau. Natsu und Gray kannten sich schon seit einigen Jahren und keiner von ihnen würde es je zugeben, doch sie waren tatsächlich beste Freunde. Das war auch der Grund, warum die Brüder Milkovich jetzt überhaupt dabei waren, stellte Atlantis für sie doch eine Märchengeschichte dar. Während Lyon für diesen Trip eine Auszeit auf unbestimmte Zeit beim Rettungsdienst genommen hatte, war Gray ihr Experte für alles, was fuhr, flog oder schwamm. Momentan standen sie bei dem zweiten Auto und zofften sich offensichtlich darüber, wie man die Gepäckstücke am besten verstaute, die noch auf dem Hof standen. Eskaliert konnte die Situation nicht sein, denn Lyons Freundin Meredy, eigentlich Krankenschwester, saß nur wenige Schritte entfernt auf dem Boden und tippte auf ihrem Computer herum. Sie trug ihr langes, pinkes Haar heute zu einem Zopf geflochten, dessen Spitze sich über das Kopfsteinpflaster ringelte. Im Gegensatz zu Levy hatte sie eine kurvig-weibliche Figur und ihr niedliches Gesicht wurde von den intensiv grünen Augen dominiert. Den Laptop hatte sie von Makarov zur Verfügung gestellt bekommen, das neueste, beste Modell, das er hatte auftreiben können. Allerdings arbeitete sie schon seit drei oder vier Tagen daran, ihn auf ihre Bedürfnisse anzupassen. Die letzte Frau in ihrer Gruppe war Erza, eine rothaarige, muskulöse Schönheit und die gruseligste Person, die Natsu sich überhaupt vorstellen konnte. Als er vor ein paar Wochen die Fühler ausgestreckt hatte um jemanden für die schmutzige Arbeit der kommenden Expedition zu finden, war sie es gewesen, die ihn kontaktiert hatte, kaum Stunden nach seiner ersten Andeutung, jemanden zu brauchen. Er wusste weder, wie sie ihn so schnell gefunden hatte, noch was sie antrieb und warum sie sich ihnen anschließen wollte, doch seltsamerweise vertraute er ihr und er hatte absolut keinen Zweifel, dass sie den Job erledigen konnte, für den sie sie brauchten. Sie kam ihm wie eine ehrliche Person vor und auch Makarovs gründliche Hintergrundüberprüfung hatte nichts zu Tage gebracht. Gleich bei der ersten Begegnung hatte sie Natsu und Gray gleichzeitig unangespitzt in den Boden gerammt – und sie beide waren keine unerfahrenen Weicheier, die sich im Kampf leicht besiegen ließen. Im Moment war sie nicht zu sehen, also befand sie sich vermutlich im Haus. Und dann war da natürlich Happy, Natsus kleiner Bruder, der die Ferien eigentlich in einem Sommercamp hätte verbringen sollen, das urplötzlich wegen aggressivem Schimmel in den Hütten abgesagt worden war. Die Lösung, ihn mitzunehmen, war weit weniger ideal, doch er hatte auf die Schnelle keine andere finden können. Happy war erst vierzehn und hatte damit eigentlich nichts auf einer gefährlichen Expedition zu suchen, trotzdem würden sie es erst einmal auf diese Art versuchen. Er war ein für sein Alter kleiner, aber sehniger Bursche, der kaum stillhalten konnte, mit einem niedlichen, freundlichen Gesicht und wildem, blauem Haar. Als er seinen älteren Bruder entdeckte, sprang er von dem Autositz, auf dem er herumgelümmelt hatte, und winkte ihm aufgeregt zu. „Natsu! Geht’s jetzt endlich los?“ Natsu winkte zurück und Goldmine schüttelte den Kopf. „Warum nimmst du ein Kind auf diese Expedition mit? Du weißt schon, dass das gefährlich werden kann?“ Der Angesprochene seufzte. „War nicht so geplant.“, antwortete er. „Aber jetzt kann ich nichts Anderes mehr für ihn organisieren. Keine Sorge, Happy ist tough. Der hält das schon aus. Er wird mit Levy in der Basis zurückbleiben und ihr dort helfen.“ „Na, wenigstens hast du genug Menschenverstand dafür.“ Der Blonde grinste und Natsu protestierte: „Was soll das bedeuten?“ „Dass dort draußen einige Leute sind, die nicht wollen, dass jemand Atlantis findet, und sie schrecken auch von Gewalt nicht zurück. Die Wächter werden auch mit einem Kind nicht nachsichtig umgehen.“ „Ich sagte doch, er wird bei Levy bleiben.“ Entschlossen schob Natsu das mulmige Gefühl beiseite, das immer wieder hochkam, seit feststand, dass Happy sie begleiten würde. „Du wirst es schon wissen.“ „Keinen Streit, Kinder.“, unterbrach Makarov sie. „Die Vorbereitungen scheinen bald abgeschlossen zu sein. Solltet ihr noch etwas brauchen – Geld, Ausrüstung, was auch immer, setzt euch mit mir in Verbindung. Ich werde dafür sorgen, dass ihr die Dinge in kürzester Zeit erhaltet. Unterrichtet mich, falls ihr nennenswerte Fortschritte macht. Ansonsten sehen wir uns in, wann immer ihr euer Ziel erreicht – oder feststellt, dass das auf eurem Weg unmöglich ist.“ Natsu grinste und in ihm stieg Aufregung auf, ein euphorisches Gefühl voller Erwartungen. Er wusste, dass es um etwas Ernstes ging – Laxus‘ Leben um genau zu sein und seinen eigenen Bruder – doch er konnte nicht umhin, im Moment einfach nur freudige Neugier und Ungeduld zu fühlen. Ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus. „Danke, dass du uns diese Chance gibst, Opa.“, erklärte er Makarov. „Du weißt, dass für mich auch einiges an dieser Suche hängt und ohne dir wäre es mir niemals möglich, diese Reise so anzutreten.“ Makarov war immerhin derjenige, der ihnen alles finanzierte, der ihnen Kontakte und Ausrüstung gab. Natsu mochte ein paar Dinge auf den Tisch bringen, Wissen und Leute, aber ohne Geld würde er Zuhause sitzen und mit einem Kellnerjob versuchen, Happy und sich selbst ein halbwegs bequemes Leben zu ermöglichen. Dann wäre gar nicht daran zu denken, auf eine andere Art nach der legendären Versunkenen Stadt zu suchen als von der örtlichen Bibliothek aus. Der alte Mann klopfte ihm auf den Arm. „Du gibst mir auch etwas zurück, denk daran.“ Er warf einen Blick über die Schulter zurück zu den Türen, durch die sie gerade getreten waren, und seufzte. Dann wandte er sich wieder um. „Hört zu, alle beide. Ich habe aus diversen Richtungen gehört, dass die Gesellschaft im Moment äußerst aktiv ist. Denkt daran, wie gefährlich sie sind und dass für sie der Zweck die Mittel heiligt.“ „Keine Sorge, die kriegen uns nicht klein.“, versicherte Natsu, doch seine Gedanken schweiften einen Moment ab. Die Gesellschaft der Wahren Morgendämmerung war eine geheime Organisation, die seit knapp drei Jahrhunderten bestand und sich dem Zweck verschrieben hatte, Atlantis zu finden, um mit ihren Schätzen die Lebensqualität der Menschheit zu verbessern und allgemein den Standard von Allem zu erhöhen. Das klang auf den ersten Blick ziemlich gut, aber wenn man hinter die Kulissen sah, merkte man, dass nicht alles Gold war, das glänzte. Die Gesellschaft interessierte die Kollateralschäden nicht, die sie auf ihrer rücksichtslosen Suche hinterließen, und auch nicht, wie brutal und menschenunwürdig ihre Methoden waren, solange sie nur ihr Ziel erreichten. Da stellte sich die Frage, wie viel ihrer Erkenntnisse sie wirklich mit dem Rest der Menschheit teilen würden – und für welchen Preis. Ursprünglich war sie von einer Gruppe gelangweilter Adliger ins Leben gerufen worden und bis jetzt hatte sich ihr Halt in den höchsten Schichten nicht verändert, auch wenn sie zahlreiche weitere Anhänger gewonnen hatte. Sie schienen Leute in jeglichen Positionen zu haben und damit Ohren überall. Makarov schüttelte nachsichtig den Kopf. „Passt einfach nur auf euch auf und unterschätzt sie nicht. Und jetzt auf geht’s, ihr Balgen. Bringt mir ein paar Ergebnisse zurück!“ „Darauf kannst du gefasst sein.“, erklärte Natsu und wandte sich kurz an Goldmine. „Viel Glück. Sagt uns Bescheid, wenn ihr etwas Interessantes findet.“ „Ebenfalls.“, antwortete der und drückte kurz seine Schulter. „Macht’s gut.“ Damit ging er mit langen Schritten zu seinen Leuten hinüber. Auch Natsu wandte sich zu seinem Team und ging rasch zu ihnen hinüber. Erza war inzwischen aufgetaucht und hatte kurzerhand den Streit zwischen Gray und Lyon beendet, die jetzt in Eintracht nebeneinanderstanden und ihr böse Blicke zuwarfen, während sie die letzte Tasche in den Kofferraum stopfte. „Seid ihr bereit?“, wollte Natsu wissen, während er näherkam. Meredy rappelte sich von ihrem Platz auf und klappte den Laptop zu. „So gut wie.“, erklärte sie. „Den Rest kann ich auf dem Weg machen. Professor Dreyar hat sogar eine Satteliteninternetverbindung springen lassen.“ Das schien sie besonders zu begeistern. „Alles bereit.“, erklärte Erza im geschäftsmäßigen Ton. Sie wirkte äußerst unzufrieden mit der mangelnden Disziplin ihrer Kameraden. Doch sie zog es vor, vorerst nichts darüber zu sagen. „Also dann, einsteigen, es geht los!“ Natsu selbst hüpfte beinahe zu dem Beifahrersitz hinüber, den er sich während der Teambesprechung am letzten Tag geschnappt hatte. Gray stieg neben ihm ein, Levy und Happy hatten es sich auf ihrer Rückbank bequem gemacht. Lyon, Meredy und Erza nahmen das andere Auto. Natsu fummelte mit dem Funk herum, um ihn auf die passende Frequenz zu bringen, während Gray den Wagen anließ und langsam vom Hof fuhr. Makarov winkte ihnen zu und Goldmine, dessen Leute länger brauchten, um sich zu sortieren, grüßte mit einer kurzen Geste. Durch das Fenster erhaschte Natsu noch einen kurzen Blick auf Laxus, der hinter den Glasscheiben stand und mit verschlossenem Gesicht den losfahrenden Autos hinterherstarrte. ~~*~~♒~~*~~ Station 2 – Grabungsstätte, Nähe Crocus, 08.06.X790 Ihr erstes Ziel lag etwa zwei Autostunden westlich von Crocus, der Hauptstadt Fiores, an der sie am nächsten Tag relativ früh vorbeifuhren. Die Nacht hatten sie in einer niedlichen Pension verbracht und Levy war zufrieden mit dem bisherigen Verlauf. Noch waren ihnen keine Probleme begegnet, es hatte nicht einmal einen ernsthaften Streit gegeben, aber sie war sich sicher, dass das nicht mehr lange anhalten würde. Die Gruppe, die Natsu um sich versammelt hatte, war laut und explosiv. Levy hatte erstens eine Ahnung, dass es früher oder später zu einem ernsthaften Zusammenstoß kommen würde, und zweitens keinen Zweifel daran, dass sie zusammenrücken und an einem Strang ziehen würde, wenn die Situation es verlangte. Sie warf einen Blick aus dem Fenster auf die vorbeihuschende Landschaft. Der Himmel war wolkenlos und strahlend blau und die Sonne schien schon jetzt kräftig herab; es würde ein heißer Tag werden. Unweit von ihnen erhob sich das Crocusgebirge, die Wipfel bedeckt von ewigem Schnee, selbst jetzt noch. Um sie herum erstreckten sich Bäume und weite Felder und Wiesen, hin und wieder durchbrochen von kleinen Dörfern oder einzelnen Gehöften. Die Besiedlung war hier dünn gesät. „Wir müssten die Grabung bald sehen.“, erklärte sie, als ein bekanntes Straßenschild an ihnen vorbeihuschte, und klappte das schwere, alte Buch zu, das sie im Schoß hielt. „Die Ruinen sind schon lange für die Öffentlichkeit zu besichtigen, aber sie haben letztes Jahr überraschend ein paar neue Stätten gefunden, also wurden die Grabungen wieder aufgenommen. Jean-Luc war ziemlich aufgeregt und da er wusste, dass ich mich dafür interessiere, hat er mir Bescheid gegeben.“ „Worüber?“, wollte Happy neugierig wissen. Im Gegensatz zu allen anderen wusste er nur die gröbsten Dinge über die Expedition. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Allerdings hatte er schon sein ganzes Leben über Atlantis gehört, lange ehe Natsu mit seinen eigenen Forschungen angefangen hatte, soviel wusste sie. Der ältere Bruder der beiden war besessen von der Stadt, was letztendlich dazu geführt hatte, dass Natsu mit Professor Dreyar Kontakt aufgenommen hatte. „Zirkonis‘ Stadt.“, erklärte sie ihm sofort begeistert. Über dieses Thema konnte sie sich Stunden um Stunden auslassen, es war wirklich interessant. „Es wurde ziemlich lange darüber gerätselt, ob es sie wirklich gab. Auf der einen Seite wurde sie so oft in Quellen erwähnt und sie war den Leuten offensichtlich ein Begriff. Auf der anderen Seite gab es keine Spur von ihr. Zu denken, dass die Ruinen bei Fuchsia ein Teil von ihr sind…“ Sie begann, wieder in ihrem Buch zu blättern, bis sie die gesuchte Doppelseite fand. Darauf war eine Bleistiftskizze abgezeichnet, vermutlich eine Mutmaßung, wie Zirkonis‘ Stadt früher ausgesehen haben mochte. „Nun wurde sie gefunden und ich wette, wir werden dort bestimmt einen Hinweis auf Atlantis entdecken. Nicht nur, dass sie völlig neu ist und gerade jetzt ausgegraben wird, nur wenige wissen überhaupt von Zirkonis‘ Verbindung mi Atlantis.“ Sie wusste gar nicht mehr, wie lang es gedauert hatte, bis sie selbst die Verknüpfung erkannt hatte. Aber inzwischen war sie fest davon überzeugt, dass der antike Architekt Zirkonis, der den ursprünglichen Palast und den Circus von Crocus entworfen hatte, ebenso wie die berühmtesten Aquädukte, die auf dem Kontinent zu finden waren, nicht nur eine Verbindung zu Atlantis hatte, sondern ein Atlanteaner gewesen war. Sie erzählte Happy noch eine Weile von Zirkonis, doch der Junge hörte bald nur noch mit halbem Ohr zu. Nicht dass sie das störte… Sie konnte ewig über dieses Thema sprechen, ohne dass ihr überhaupt jemand zuhörte. Kurz darauf rollten sie auf einen Parkplatz, auf dem ein seltsamer Mischmasch an Wagen stand – von Familienvans bis hin zu Jeeps war alles dabei. In den zwei Wohncontainern, die etwas abseits standen, mussten Labore oder Lagerräume untergebracht sein. In einiger Entfernung konnte man die alten Gebäude erkennen, einige Ruinen, die die Zeit überdauert hatten, darunter ein Amphitheater und ein Aquädukt, das von den Bergen herunterkam, auch wenn es nicht mehr intakt war. Zwischen ihnen spazieren Touristen herum, kletterten auf heruntergefallene Steine oder Mauern und machten Fotos. Die neue Grabungsstätte befand sich dahinter in Richtung der Hügel und war durch einen Zaun abgesperrt. Immerhin wollte man nicht, dass unwissende Touristen oder übereifrige Laien etwas Wichtiges kaputt machten oder unbeabsichtigt zertrampelten. „So, sollten wir hier nicht jemanden treffen?“, wollte Gray wissen und sah sich suchend um. „Jean-Luc wollte uns einen seiner Assistenten schicken.“, bestätigte Levy und einen Moment später entdeckte sie einen schlaksigen, jungen Mann, der auf sie zusteuerte. Er hatte rotbraunes, halblanges Haar und ein kantiges Gesicht, über das sich jetzt ein freundliches Lächeln ausbreitete. „Seid ihr zufällig Professor Nevilles Gäste? Levy McGarden?“ Er blickte hoffungsvoll von Erza zu Meredy zu Levy, die vortrat und ihm die Hand hinstreckte. „Das bin ich. Schön, dass Jean-Luc uns empfangen kann.“ „Er ist auch ziemlich aufgeregt, dass du vorbeikommst.“, antwortete der Student. „Ich bin übrigens Jet und werde euch ein wenig herumführen. Es ist doch okay, dass ich Du sage?“ „Klar, wir sind doch alle im gleichen Alter.“, winkte Natsu ab und stellte sich und den Rest ihrer Truppe vor. Währenddessen machten sie sich auf den Weg zur Grabungsstätte und Levy fühlte sich ein wenig, als würde sie nach Hause kommen. Wie oft hatte sie während ihrer Studienzeit an einem ähnlichen Ort verbracht und wie oft hatte sie sich gewünscht, dort zu sein, wenn sie es nicht war? Tief sog sie die frische Sommerluft ein und störte sich gar nicht an der Hitze, die sich bereits ausgebreitet hatte. Professor Jean-Luc Neville, den Levy aus ihrer eigenen Studienzeit kannte und für den sie zwei Jahre lang als Hiwi gearbeitet hatte, war der Leiter der Grabung und demnach ziemlich beschäftigt. Sie fanden ihn in einer Diskussion mit zwei Kollegen über einer halb ausgegrabenen Wand. Trotzdem entschuldigte er sich, kaum dass er sie gesehen hatte, und kam mit einem breiten Lächeln zu ihnen herüber, als Jet nach ihm rief. Er war ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit von Grau durchschossenem Haar, einer Halbglatze und einem dichten Vollbart. „Levy! Wie schön, dich wieder zu sehen. Jedes Jahr hoffe ich, dass du dich entscheidest, wieder zurückzukommen und vielleicht deine Doktorarbeit zu schreiben und nebenbei mir etwas behilflich zu sein. Du warst die beste Lehrassistentin, die ich je hatte.“ Levy drückte ihm die Hand und lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, Professor. Aber ich bin grad mit etwas anderem beschäftigt.“ „Und das führt dich hierher? Oder machst du nur eine kurze Pause für Zirkonis‘ Stadt? Ich weiß, du warst immer sehr interessiert daran.“ „Ersteres.“, gab Levy zu. „Meine Begleiter und ich wurden von jemandem beauftragt, etwas zu finden und ich hoffe, dass wir hier einen Schritt weiterkommen.“ „Und was wäre das, das ihr in einer knapp zweitausend Jahre alten Stadt sucht?“ Levy stieß Natsu den Ellbogen in die Seite, als dieser fröhlich herausposaunen wollte, dass sie nach Atlantis oder besser, Infos darüber, suchten, und erklärte: „Das ist eine lange Geschichte und ich weiß nicht, ob unser Finanzier so begeistert darüber wäre, wenn wir sie so herausplappern würden. Aber ich verspreche dir, unser Ziel liegt nicht hier und ich hoffe nur, den einen oder anderen Hinweis zu finden.“ Es war nicht so, dass sie Jean-Luc nicht vertraute, aber selbst er würde sie auslachen, wenn sie mit ihren wahren Zielen herausrücken würden. Und Levy hoffte, diesen Zeitpunkt noch etwas nach hinten zu verschieben. Zumindest so lange, bis sie alles hier gesehen hatten, was man ihnen zeigen würde. Das eine oder andere Mitglied der Grabung würde es wohl als Beleidigung ansehen, wenn sie ernsthaft erzählten, Atlantis wäre das Ziel. Also ließ sie es darauf beruhen und der Archäologe fragte zum Glück nicht weiter nach. Er vertraute Levy und wusste, dass sie sich lieber einen Arm abhacken denn zulassen würde, dass die Grabung gefährdet wurde. „Na gut.“, sagte er stattdessen. „Dann wollen wir nicht länger hier herumtrödeln, oder? Ich habe leider auch nicht so viel Zeit, wie ich mich gerne für dich nehmen würde, Levy, aber ich zeige euch, so viel ich kann. Kommt bitte mit.“ Jean-Luc nickte seinen Kollegen kurz zu und breitete die Arme aus. „Hier befinden wir uns in einer Kaserne, wie wir im Moment annehmen.“, erklärte er und deutete auf ein paar Steine, die aus der Erde ragten, die Teile einer zusammengefallenen Mauer. „Das Ganze hier muss ein freies Feld gewesen sein, auf dem Waffenübungen stattgefunden haben mussten. Wir haben auch eine Reihe von Statuen gefunden, die vermutlich entlang einer Straße aufgestellt waren, wie eine Art Allee.“ So weitersprechend führte er sie durch die Grabung. Das Team, zusammengesetzt aus den Mitarbeitern und Studenten aus drei Universitäten aus Fiore, hatte bereits große Teile freigelegt, darunter ein Badehaus, ein Hafen am Fluss, ein Gerichtsgebäude komplett mit Gefängnis und ein Lagerhausdistrikt, an dem gerade begonnen wurde. Dennoch war unklar, wie viel noch fehlte. Levy fand alles unglaublich faszinierend. Zirkonis hatte seine Stadt von Grund auf geplant und hochgezogen. Sie war nicht zufällig entstanden oder natürlich gewachsen, sondern gänzlich durchdacht und logisch erbaut worden. Nichts war dem Zufall überlassen worden und die Einwohner waren erst gekommen, nachdem sie schon gestanden hatte. Es musste ein unglaubliches Projekt gewesen sein, vor allem für die Zeit, zu der sie erbaut worden war. „Wir suchen noch nach dem Tempel.“, erklärte Jean-Luc und deutete zu einer Hügelkette, hinter der sich die bereits länger bekannten Ruinen befanden. „Wir vermuten ihn im Moment dort drüben. Morgen wollen wir anfangen, einige Proben zu entnehmen, um diesen Verdacht zu bestätigen.“ Levy nickte; das machte Sinn. Tempel waren oft an erhöhten Plätzen erbaut worden, um den Göttern näher zu sein oder sie aus der Masse herauszuheben. „Gibt es auch einen Palast?“, wollte sie wissen. Der Archäologe nickte. „Er befindet sich außer Sichtweite und was wir gefunden haben, sind nur Reste. Vermutlich ist er irgendwann geschleift worden, ich gehe von einer Revolte aus, in Anbetracht der Tatsache, dass der Rest der Stadt anscheinend nichts abbekommen hat.“ Eine Weile gingen sie plaudern und fachsimpelnd nebeneinander her und Levy war mit jedem Schritt mehr überzeugt, dass Zirkonis ein Genie gewesen war. Sie bemerkte kaum, wie ihre Freunde hinter ihnen immer weiter zurückblieben und eher gelangweilt als interessiert hinter ihnen her schlenderten. Für sie gab es hier nicht viel zu sehen, das viel Sinn machte – jede Menge Löcher im Boden, der mit Schnüren und Stöcken abgesteckt war, manchmal ausgegrabene Wände, ein paar Fresken oder Statuen, dazu Scherben, rostzerfressenes Metall, Tierknochen und ähnliches. Meredy schoss trotzdem einen Haufen Fotos, mal mit, mal ohne menschlichem Motiv – meistens waren es Lyon und Gray, oft auch Happy und Natsu. Erza, mit der sie keine persönliche Verbindung hatte, und Levy, die sie ebenfalls kaum kannte und sowieso anderweitig beschäftigt war, war eher selten auf dem Bild. Als sie schließlich wieder am Parkplatz ankamen, sahen sie alle ziemlich gelangweilt aus, nur Levy könnte noch mehrere Runden über das Grabungsgelände drehen. Der Grabungsleiter schien davon nicht viel mitzubekommen, denn er war ebenso begeistert wie Levy und wäre sicher weiter mit ihr gegangen. Allerdings war es inzwischen auch schon früher Nachmittag und ihr knurrte der Magen, da sie seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte. Sie verabschiedeten sich von Jean-Luc, der seiner ehemaligen Assistentin das Versprechen abrang, sich bald wieder zu melden und dann zurück auf die Grabung verschwand. Die Gruppe der zurückbleibenden Atlantisforscher blickte sich betreten an. „So, das hat uns ja nicht viel gebracht.“, murrte Gray griesgrämig und sein Magen knurrte laut, wie um zu zeigen, warum genau er so schlecht gelaunt war. Er hatte damit ausgesprochen, was sie alle dachten. Das las Levy zumindest aus den langen Gesichtern. „Im Gegenteil.“, erklärte sie und blickte zu der Hügelkette hinüber, die Jean-Luc als den Standort des Tempels genannt hatte. „Ich weiß jetzt, wo wir suchen müssen.“ „Ernsthaft?!“, rief Natsu freudig aus. „Lasst uns…“ „Immer langsam mit den jungen Pferden.“, hielt Lyon ihn auf, ehe er davonstürzen konnte – wahrscheinlich um ein paar Spaten zu holen. Nicht nur, dass das eher wenig gebracht hätte, Jean-Luc hätte ihnen vermutlich auch noch die Schädel eingeschlagen, wenn sie das versucht hätten. „Ich glaube kaum, dass wir das so offen durchziehen können.“, fügte auch Erza hinzu und Levy schüttelte den Kopf. „Wir müssen uns das heute Nacht nochmal ansehen.“, erklärte sie. „Wenn ich meinen Quellen trauen darf, dann müssen wir nach dem Tempel suchen. Dort war eine Bibliothek angeschlossen, zumindest klang es danach, und das ist der Ort, an dem wir am ehesten auf Informationen stoßen. Und wenn mich nicht alles täuscht, suchen Jean-Luc und seine Kollegen am falschen Ort danach.“ Sie flitzte zum Land Rover hinüber, um eines ihrer Bücher herauszuholen. Die anderen folgten ihr. Happy hüpfte aufgeregt auf und nieder. „Was hast du gefunden?“, wollte er wissen und sie fand endlich die richtige Seite. Darauf war ein ungefährer Plan von Zirkonis‘ Stadt abgebildet und sie drehte ihn so, dass sie ihn von der richtigen Seite ansehen konnten im Hinblick darauf, an welcher Stelle sie im Moment standen. „Seht ihr? Hier der Palast… das Lagerviertel und die Kaserne… Wenn wir danach gehen, müsste der Tempel dort drüben sein.“ Sie deutete in die entsprechende Richtung zu einem einzelnen Hügel. „Dort schauen wir uns heute Nacht um. Und jetzt lasst uns etwas essen gehen.“ Nachts den richtigen Weg zu finden war schwieriger, als Levy sich das vorgestellt hatte. Die Wege waren kaum mehr als ausgetretene Trampelpfade und ständig musste man darauf achten, nicht in ein Loch zu treten oder über etwas zu stolpern. Glücklicherweise liefen sie nicht in Gefahr, entdeckt zu werden, denn niemand dachte daran, die Grabungsstätte zu bewachen. Oder wenn doch, dann war wie immer kein Geld für derlei Schnickschnack übrig. Über Nacht wurden die wertvollen Dinge, wie Werkzeug oder freigelegte, tragbare Funde, weggeschlossen und die Plätze, an denen gerade gearbeitet wurde, abgedeckt und das Team schlief in der Stadt in den drei oder vier Pensionen, die extra dafür angemietet worden waren. Levy leuchtete den Weg mit der Taschenlampe aus und ging eifrig voran; sie konnte es kaum erwarten, endlich an dem Platz zu sein, an dem sie den Tempel vermutete und damit auch das, was sie tatsächlich interessierte: die Bibliothek. Diese musste unterirdisch liegen – Zirkonis, der für die Ewigkeit hatte bauen wollen, auch wenn dies nicht so ganz geklappt hatte, musste er sie so gut gesichert haben, wie es ihm möglich gewesen war. Wer wusste es schon, vielleicht hatte er sogar Techniken und Wissen aus Atlantis verwendet, um die Struktur stabil und solide zu machen. Bei so etwas Wichtigem wie der Bibliothek würde er ganz sicher nicht geschludert haben und das bedeutete für sie, dass sie eine reelle Chance hatten, etwas zu finden. Denn Zirkonis, dafür würde sie ihre Hand ins Feuer legen, war einer von jenen, die den Untergang der legendären Versunkenen Stadt überlebt hatten. Und Atlanteaner waren ein hochkultiviertes, zivilisiertes Volk gewesen, dass Kultur und, Bildung höher geschätzt hatte als Kriegstreiberei und Tribalismus. Trotz allen Wurzeln und Löchern, die sie zum Fall bringen wollten, kamen sie heil auf der Hügelkuppe an. Sie war geradezu überwuchert von Gebüsch und niedrigen Bäumen – vielleicht war das der Grund, warum Jean-Luc sie noch nicht beachtet hatte. „Also, ich entdecke nichts.“, erklärte Natsu, nachdem sie eine Weile im Unterholz herumgestiefelt waren und sich umgesehen hatten. Gray rollte mit den Augen. „Es wird sich wohl auch kaum ein Neonpfeil aus dem Boden erheben, um uns den Weg zu weisen.“ Lyon grinste, sagte aber nichts und wandte sich an Levy: „Hast du eine Idee? Wir können nicht anfangen, den Hügel umzugraben.“ „Nein, dazu haben wir wohl kaum die Zeit.“, stimmte Erza zu und stellte ihren Spaten auf die Erde. Sie hatten ein paar Werkzeuge mitgenommen in hoffnungsvoller Erwartung, auf sie zurückgreifen zu müssen. Aber die beiden hatten Recht. Wenn sie jetzt auf gut Glück anfingen, den Hügel umzugraben, wären sie noch hier, wenn die Sonne aufging. Und so sehr Jean-Luc Levy auch mochte, er würde es ihr nie verzeihen, wenn sie unerlaubt auf einer archäologischen Stätte herumbuddelte, selbst wenn es eine Stelle war, die nicht mehr wirklich im Zielgebiet lag. Levy holte tief Luft und ließ den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über die weite Fläche der Hügelkuppe gleiten. Da waren Bäume und etwas Gestrüpp mit viel zu vielen Dornen dran. Oh! Noch mehr Gestrüpp! Dazwischen lagen ein paar Felsenbrocken und Steine, altes Laub und heruntergefallene Äste bedeckten den Boden und hohe Grashalme sowie Nester aus Brennnesseln erschwerten ihre Aufgabe noch weiter. Genau wie dieses ätzende Gestrüpp hier überall! Sie befreite sich aus einigen Ranken, die sich um ihren Fuß gewickelt hatten, und ging weiter, den Lichtkegel vor sich auf den Boden gerichtet, so dass er über Blätter, Laub und Steine huschte. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, nachts herzukommen.“, murrte Lyon und Erza zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht so, als ob wir eine Wahl gehabt hätten.“ Levy musste beiden insgeheim zustimmen. Es würde ihr die Sache definitiv leichter machen, wenn sie nicht nur ein paar Lichtkegel zum Sehen hätten! Im Hintergrund konnte sie Natsu und Gray leise streiten hören, aber sie blendete die Diskussion aus, um sich voll auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Und all dieses Gestrüpp ging ihr langsam wirklich auf die Nerven! Moment, diese Felsen sahen irgendwie komisch aus… Sie lenkte ihren Lichtstrahl zurück auf eine Gruppe von seltsam gleichmäßig geformten Steinen. Wenn die natürlich waren, würde sie ihre angefangene Doktorarbeit zerreißen und in den Shredder stopfen. „Hey, schaut euch das mal an.“, sagte sie und ging vor den Steinen in die Hocke. „Die sind eindeutig bearbeitet worden, wenn sie auch schon eine Weile dem Wetter ausgesetzt sind.“ Sie begann, Moos und Erde von der rauen Oberfläche zu entfernen. „Lyon, kommst du?“, rief Gray hinter ihr. „Levy hat was gefunden!“ „Einen Moment!“, erklang die Stimme seines Bruders aus einiger Entfernung. „Ich dachte nur, ich hätte hier etwas gesehen.“ Die anderen gesellten sich inzwischen zu ihr und Natsu ließ sich sogar neben ihr auf die Erde fallen, um selbst Hand anzulegen. „War das ein Teil der Tempelmauer?“, wollte Erza wissen und stützte sich auf ihren Spaten. Sie und Gray hielten die Lampen, damit sie besser sehen konnten. „Hey, ihr…“, begann Lyon, der sich eben etwas entfernt durch einen Busch kämpfte. Unter ihnen ertönte plötzlich ein seltsames Geräusch, das beinahe wie ein Stöhnen klang, als würde etwas nachgeben… Einen Moment später wusste Levy, dass sie die richtige Stelle gefunden hatten, denn die Erde unter ihnen brach einfach weg. Erschrocken quiekte sie auf, als sie auf einmal keinen Boden mehr unter den Füßen hatte und sie nach unten fielen. Ihr Magen drehte sich um, ein Gefühl wie beim Anfahren eines Aufzuges und jemand neben ihr schrie laut auf. Doch sie hatte gar keine Zeit zum Schreien, denn einen Moment später schon schlugen sie hart auf einer steinigen, unebenen Oberfläche auf und rutschten und purzelten kopfüber in das Loch hinein. Die Lichter der Taschenlampen tanzten wild über die Wände und Levy erhaschte kurze Blicke auf glatten, bläulich grauen Stein, Wurzeln, die durch die Decke ragten, schwere Steinplatten, die eben diese stützten, gigantische Gesichter… „Uff!“ Mit einem lauten Stöhnen kam sie am Boden auf und keuchte noch einmal auf, als jemand in sie hineinkrachte. Es war Gray, wie sich einen Moment später herausstellte, als er sich entschuldigend aufrappelte. Levy winkte seine Worte beiseite – es war nicht so, dass er das absichtlich getan hatte – und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. „Alles in Ordnung?“, ertönte etwas entfernt Erzas Stimme. „Ist jemand verletzt?“ Natsu antwortete nur mit einem tiefen Stöhnen und Levy klopfte sich ab, um zu sehen, ob etwas gebrochen war. „Nein, mir geht’s gut.“, erklärte Gray. „Bis auf ein paar blaue Flecke, verdammte Scheiße.“ Levy kicherte leicht, um ihre Nervosität zu verbergen und blickte sich nach einer Taschenlampe um. Sie fand drei Lichtkegel, einer beleuchtete die Wand, ein zweiter den steinigen, bewachsenen Abhang hinauf, den sie eben hinuntergepurzelt waren, doch der dritte leuchtete direkt in das schöne, beinahe lebensechte Gesicht einer gigantischen Statue. Sie musste so hoch sein wie drei ausgewachsene Männer und war komplett aus weißem Stein gearbeitet. Levy stockte der Atem ob des perfekten Antlitzes und dem Können des Künstlers. Die vierte Leuchte musste bei ihrem Fall zerbrochen sein – eigentlich ein Wunder, dass es nur diese eine gewesen war. „Lyon?“, rief Gray hinter ihm und Erza hob eine der Taschenlampen auf, deren Kegel über die Wände huschte. „Ich bin hier oben.“, drang die Stimme des älteren Bruders zu ihnen und ein weiterer Lichtstrahl drang in die Höhle. Tatsächlich stand Lyon noch oben bei dem Loch, durch das sie gebrochen waren. „Ich glaube, ihr habt den Tempel gefunden.“ Er klang amüsiert. „Kein Witz, Herr Offensichtlich!“, knirschte Gray. „Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten ihn auf eine andere Art entdeckt!“ Natsu stöhnte noch einmal und Levy setzte sich endlich in Bewegung, um die Taschenlampe aufzuheben, die in der Nähe lag. Sie ließ den Kegel über den Boden huschen, bis sie den jungen Mann fand, der alle Viere von sich gestreckt hatte und sich nicht bewegte. Sie eilte hastig zu ihm. „Hast du dir etwas gebrochen?“ „Nein, der jammert nur.“, erklärte Gray von der Seite. „Memme.“ Er grinste und Levy wollte schon protestieren – Natsu konnte sich ernsthaft etwas getan haben! – als dieser aufsprang. „Sag das nochmal!“ „Memme.“ „Könnt ihr mal aufhören, euch wie kleine Kinder zu benehmen?!“, herrschte Erza und stampfte zu ihnen herüber. „Kommt ihr da wieder hoch?“, schaltete sich auch Lyon ein. „Das sieht ziemlich steil und rutschig aus.“ „Wer will schon hoch, wenn er hier unten ist?“, wollte Natsu wissen und angelte nach der dritten Taschenlampe, um das Licht über die Wände wandern zu lassen, die teilweise aus aufgeschichteter Erde bestanden und dann ein Steinquader übergingen. Die Decke wurde abgestützt durch riesige Steinplatten und unter ihnen zog sich ein gepflasterter Weg weiter hinunter. Natsu ließ das Licht diesem folgen, bis er die Füße der Statue beleuchtete, deren Gesicht Levy vorhin schon gesehen hatte. Einige Meter weiter rechts befand sich eine zweite Skulptur, ebenso gigantisch, ebenso schön und ebenso lebensecht. Und zwischen ihnen erstreckte sich ein Torbogen aus weißem Stein, der sie sogar noch überragte. Über dem breiten Rahmen zogen sich große Buchstaben, die wenig mit dem altfiorianischen Alphabet gemeinsam hatten, aber Levy von den wenigen Schriften her kannte, die sie aus Atlantis gesehen hatte. Natsu stieß einen Freudenschrei aus und auch Levy warf die Arme in die Luft. „Wir haben es geschafft!“, jauchze sie. „Das ist es! Zirkonis’ Bibliothek!“ „Lasst uns das mal genauer ansehen!“, schlug Natsu begeistert vor und setze sich in Bewegung. Gray zog ihn am Kragen zurück. „Immer langsam mit den jungen Pferden. Wir sollten uns erst den Rückweg sichern.“ „Aber…“, begann Natsu und so sehr Levy seine Begeisterung auch verstand, denn am liebsten wäre sie sofort losgestürzt, so wenig Interesse hatte sie daran, hier unten festzusitzen. Erza hatte die Notwendigkeit des Ausganges ebenfalls erkannt, denn sie probierte bereits, den Steilhang zu erklimmen. Er schien durch einen Erdrutsch entstanden zu sein, der Geröll, Erdreich und Steine durch den Eingang hinuntergepresst hatte. Vermutlich hatte er dem einen oder anderen von ihnen das Leben gerettet, denn wären sie durch das Loch direkt auf den Boden gefallen, hätte ihnen das ganz sicher mehr als nur ein paar blaue Flecke oder gebrochene Knochen eingebracht. Doch er war zu steil, um ihn wieder zu erklimmen, wie Erza eben mehr als einmal bewies. Schließlich gab sie auf und trat zurück. „So wird das nichts.“, erklärte sie und Lyon rief von oben: „Also gut, wie wäre es damit: ich besorge ein paar Seile und noch ein paar andere Dinge, ihr schaut euch da unten um. Aber passt nur auf, dass das Gemäuer stabil ist. Atlantis ist nicht euer Leben wert.“ „Aye, aye, Sir!“, bellte Gray sarkastisch hinauf und Levy sah selbst von hier unten, wie Lyon dramatisch die Augen verdrehte. Doch er ging nicht auf die Spöttelei ein, sondern fragte: „Braucht ihr sonst noch etwas?“ Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich alle sortiert hatten und Lyon noch ein paar der Ausrüstungsgegenstände hinuntergelassen hatte, die sie eventuell brauchen würden. Dann ließ er das einzelne Seil, das sie mitgebracht hatten und zu kurz für den Aufstieg war, nach unten fallen, und verschwand mit dem Versprechen, pünktlich zur vereinbarten Zeit hier zu sein, um sie aus ihrem Gefängnis zu befreien. Levy sah mit einem dumpfen Gefühl zu, wie er von dem Eingang verschwand, dann schalt sie sich selbst. Sie mochte ihn nicht so gut kennen wie Natsu und Gray, aber er würde sie nicht hier unten sitzen lassen. Jetzt lag es an ihnen, ihre Aufgabe zu erfüllen und zu finden, wofür sie hergekommen waren. Sie schulterten ihre Rucksäcke und die Werkzeuge und dann machten sie sich auf den Weg zu dem hohen Tor, das sie tiefer in die Erde lockte. Gray spielte mit Meredys Kamera herum, die die junge Frau ihnen mitgegeben hatte mit dem Versprechen, viele Fotos zu machen, wenn ihnen etwas Aufregendes vor die Linse geriet. Und wenn das hier nicht aufregend war, wusste Levy auch nicht. Ein Blitz durchschnitt die Dunkelheit und beleuchtete für einen Moment die Statuen. Gray murmelte etwas vor sich und trat ein paar Schritte zurück, um es erneut zu versuchen. „Denkt ihr, das sind die Protectores?“, wollte Natsu plötzlich wissen. „Das sind Statuen.“, klärte Gray ihn abgelenkt auf. Doch Natsu zuckte nur mit den Schultern und ein aufgeregtes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. „Es könnten auch Roboter sein! Vielleicht erwachen sie zum Leben, wenn wir eine gewisse Linie überschreiten. Oder ihr Saft ist alle, nach zweitausend Jahren soll sowas schon mal vorkommen.“ Gray warf ihm einen Blick zu, als sei er verrückt geworden, und Levy grinste. Sie wusste schon lange, dass Natsu ein Anhänger der Theorie war, dass die Protectores Sancti – die Heiligen Beschützer – Androiden waren, darauf programmiert, jeden, der den Geheimnissen von Atlantis zu nahe kam, zu auszuschalten oder zumindest aufzuhalten. Sie tauchten immer wieder in den Texten und Quellen über die Atlanteaner in der Zeit nach dem Untergang auf, aber um was es sich bei ihnen wirklich handelte, das war nicht ganz klar. Es gab einige Theorien und sie reichten von es sind Roboter! über besonders ausgebildete Kämpfer bis hin zu magischen Wassergeistern, die sie aus Atlantis selbst begleitet hatten. Ersteres wie letzteres waren wilde Vermutungen, die in zwei völlig verschiedene Richtungen gingen und Levy beide für gleich phantastisch und aus der Luft gegriffen hielt. Das hier war weder ein SciFi- noch ein Fantasy-Roman! „Die Protectores könnten durchaus einfache Statuen sein.“, zeigte sie auf. Sie selbst hatte die Elitekämpfer immer als die realistischste Möglichkeit gehalten und würde auch jetzt nicht davon abweichen. Mit Natsu hatte sie über dieses Thema schon mehr als eine laute Diskussion geführt, die nie irgendwo hingegangen war. Falls es diese sagenumwobenen Beschützer überhaupt gab. Niemand hatte sie je gesehen, offensichtlich. „Vielleicht sind sie nur eine Legende, die maßlos übertrieben sind oder gar völlig aus der Luft gegriffen.“ „Aber das wäre doch total langweilig!“, protestierte Natsu. „Wer will schon Statuen, wenn er Kampfroboter haben kann?“ „Als ob es darum gehen würde!“, fauchte Levy. „Wäre es nicht besser für uns, wenn es sie nicht geben würde?! Mit den Wächtern allein fertig zu werden, wird schon schwer genug!“ Denn die Wächter von Atlantis waren die, zu denen die Protectores Sancti gehörten. Und die Wächter selbst… Nun ja, sie waren ebenfalls ein harter Brocken, vielleicht sogar der härteste, den sie auf diesem Weg nach Atlantis begegnen würden. Noch weit älter als die Gesellschaft hatten sie sich der Aufgabe verschrieben, die versunkene Stadt unter allen Umständen davor zu beschützen, wieder gefunden zu werden und verfolgten dies mit beinahe religiösem Fanatismus. Angeblich reichten ihre Wurzeln bis zum Untergang selbst zurück und für ihre Bestimmung gingen sie selbst über Leichen. Es gab Theorien, dass sie entweder dafür verantwortlich waren oder aber Nachfahren der Überlebenden, die es ans Festland geschafft hatten. Warum es dann jedoch Leute wie Zirkonis gab, die Hinweise auf den Verbleib der Stadt gestreut hatten, konnte Levy nicht erklären. Innerhalb der Subkultur der Atlantisforscher gab es viele entsetzliche Geschichten über sie und niemand war sich so recht einig darüber, welche davon erfunden, welche übertrieben waren und welche der Wahrheit entsprachen. Sie waren der Boogeyman, die unbekannte Gefahr, die in der Dunkelheit lauerte. Sie legten den Abenteurern Steine in den Weg, lenkten sie ab und führten sie in die Irre und wenn es sein musste, schnitten sie ihnen die Kehlen durch. Sie taten im wahrsten Sinne des Wortes alles dafür, dass niemand ihrem ungewöhnlichen, aber gut behüteten Schatz zu nahe kam. Tauchten irgendwo Artefakte auf, die eindeutig auf Atlantis zurückzuführen waren, so kam es nicht selten vor, dass sie bald darauf auf Nimmerwiedersehen verschwanden, und alle Eingeweihten wussten, wer sie gestohlen hatte. Meistens kamen und gingen die Wächter unerkannt, doch jeder im Kreis der eingeweihten Atlantisforscher wusste um ein paar Mörder im Gefängnis, die nie über den Grund für die Tötung gesprochen, sich aber sofort schuldig bekannt hatten und ohne große Verhandlung hinter Gitter gewandert waren. Die Tötung von Leuten, die zu eben jenem Kreis gehört hatten und dem Geheimnis der Stadt zu nahe gekommen waren. Wenn das kein Grund zur Vorsicht war, würde Levy ihre Karriere als Historikerin an den Nagel hängen. Dazu kam, dass die Wächter von Atlantis und die Gesellschaft der Wahren Morgendämmerung sich aufs Blut bekriegten. Bis jetzt war noch kein Ende dieses Kampfes in Sicht, aber jeder, der zwischen die Fronten geriet, ging unweigerlich unter. Levy wäre es am liebsten, wenn sie weder der einen noch der anderen Gruppierung über den Weg laufen würden, doch sie hatte so das Gefühl, dass ihr dieser Gefallen nicht erfüllt werden würde. „Aber ich brenne richtig auf einen Kampf gegen einen Protector!“, versicherte Natsu ihr und hob beide Fäuste zum Kampf. „Das wäre sicher eine Herausforderung!“ „Wenn es zu einem Kampf kommen sollte, dann…“, begann Levy ihn zu belehren, doch Erza verlangte plötzlich: „Mach ein Bild von uns.“ Damit riss sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie stand mit in die Hüften gestützten Fäusten einige Meter entfernt und starrte die Statuen herausfordernd an. „Falls das wirklich die Protectores sind, will ich einen unanfechtbaren Beweis, dass wir ihnen begegnet sind!“ Gray zog ein langes Gesicht, doch Natsu stimmte ihr begeistert zu und zog Levy mit sich zu ihr hinüber. „Also?“, verlangte er und grinste breit. Gray verzog das Gesicht, aber dann zuckte er mit den Schultern und hob die Kamera, um ein paar Bilder zu schießen. „Aber jetzt lasst uns weitergehen.“, verlangte er und niemand wiedersprach. Natürlich erwachten die Statuen nicht zum Leben um sie unter ihren riesigen Füßen zu zermalmen, als sie sich ihnen näherten. Unauffällig atmete Levy erleichtert auf, als sie an ihnen vorbeigingen, ohne dass etwas geschah. Aufgeregt lenkte sie ihren Lichtstrahl in den Flur hinein, über ebenmäßige Fliesen und feste, steinerne Mauern. Ihre Schritte hallten an den Wänden wieder, als sie sich tiefer hineinwagten. Es war trocken und kühl hier unten und roch nach Staub, Stein und Alter. Dies hier, schoss es Levy durch den Kopf, war Geschichte. Wer wusste schon, wie lange diese antiken Gewölbe nicht mehr betreten worden waren? Es war vermutlich Jahrhunderte her und allein dies gab ihr ein Gefühl von Ehrfurcht und alberner Aufgeregtheit. Konnte es wirklich sein, dass sie selbst als Erste einen Fuß hier hinein setzen durfte? In diese sagenumwobene Bibliothek, von der so viele Leute dachten, dass es sie gar nicht gäbe? Die ihnen vielleicht, vermutlich, hoffentlich einen direkten Weg zu einem noch viel legendäreren, unmöglicheren Ort zeigen würde? Vorausgesetzt, Levys Überlegungen und Berechnungen stimmten und sie fanden hier unten das, was sie suchten. Was im Moment eher unwahrscheinlich war, denn es gab hier nichts zu sehen. Wobei ‚Nichts‘ auch wieder falsch war, denn es gab einiges zu sehen – Statuen, steinerne Möbel, Ornamente, Reliefs, Fresken, Vasen, Mosaike, Töpfe, Waffen, und und und. Sie kamen an zahllosen Zimmern vorbei, an Abzweigungen und durch hohe steinerne Hallen mit Kuppeldecken und Mosaiken. Und alles war so gut erhalten, dass sie sich fragte, ob der Zahn der Zeit hier keine Macht hatte oder was ihn sonst aufhielt. Gray machte fleißig Fotos, die sie später als Beweise zumindest ihren Freunden vorlegen würden. Manchmal waren es einfach Bilder von den verschiedenen, interessanten Dingen, die sie hier unten fanden, angefangen von dem Inhalt von Regalen über größere Gegenstände bis hin zu auffälligen Verzierungen und Strukturen in der Architektur. Oft waren seine Begleiter darauf, entweder Schnappschüsse oder weil sie ihm ins Bild latschten oder auch weil sie vor den Gegenständen posierten. Levy könnte jahrelang hier unten verbringen, Stunden und Tage vor einzelnen Fresken verbringen, die ganze Wände bedeckten, die aufwendigen Verzierungen auf Vasen und Möbeln studieren und die Statuen genau dokumentieren. Was Jean-Luc und seine Kollegen wohl aus all dem machen würden? Denn das hier unten war kein Keller, kein Tempel und nichts, was sie schon einmal gesehen hatte. Dies hier unten war eine ganze Stadt und Levy wurde der Atem geraubt von dem unbeschreiblichen Ausmaß. Sie konnte sich all das nicht einmal vorstellen, obwohl sie es direkt vor sich hatte, und würde sie es nicht mit eigenen Augen sehen, würde sie es nicht glauben. Nur eines fanden sie nicht: Bücher. „Hey, ich könnte mich hier drinnen komplett verstecken!“ „Tu’s, dann können wir den Deckel drauf machen und wir sind dich los.“ „Du würdest auch noch hier reinpassen!“ „Nein danke, dir möchte ich lieber nicht so nahe kommen. Deine Dummheit könnte ansteckend sein.“ „Du willst wohl eine aufs Maul, Dumpfbacke!“ „Haltet die Klappe, alle beide!“ „Hast du alles auf deinem Plan?“ „Ja, keine Sorge. Ich habe auch keine Lust, mich hier unten zu verlaufen. Ansonsten kommen wir wohl nie wieder nach oben.“ „Zu Not könnten wir den Weg anhand von Grays Fotos rekonstruieren.“ „… Das scheint mir sehr mühselig.“ „Darum machst du ja auch deinen Plan. Und ihr zwei, haltet endlich die Klappe! Uns anderen ist ehrlich egal, ob man diesen Fisch essen könnte, wenn er echt wäre!“ „Schau mal, Gray, das könnte dein Zwilling sein!“ „Ich glaube, du solltest mal zum Optiker, deine Augen scheinen nachzulassen.“ „Ich stimme zu, das sieht dir nicht einmal ähnlich.“ „Danke, Erza.“ „Also, ich glaube, ihr seid alle mit Blindheit geschlagen. Das könnte dein Abbild sein – der krumme Rücken, die kurzen Beine, diese Fratze…“ „Niemand will deine Meinung hören, Natsu.“ „Also, Crocus-Architektur ist das nicht, das sehe sogar ich.“ „Du hast recht. Da und da, da kann man es ganz genau erkennen. In Crocus verwendete man außerdem andere Techniken bei den Stützbögen. Alles dort sollte großartig und majestätisch aussehen.“ „Und was machst du hieraus? Ich habe noch nie ähnliche Bauwerke gesehen. Und die ganzen Bilder…“ „Ich würde natürlich dafür nicht meine Hand ins Feuer legen, aber… Es könnte atlanteanisch sein. Ich meine, da, siehst du die Form der Säulen? Und den Torbogen da drüben? Ich habe mich für eine Hausarbeit mal eingehend mit antiker Architektur in Fiore beschäftigt und nichts gesehen, dass diesem Stil hier auch nur ähnlich war.“ „Was nur eine Bestätigung deiner Theorie wäre, dass Zirkonis tatsächlich aus Atlantis stammt.“ „Und wir auf dem richtigen Weg sind!“ „Hör auf, der Statue Hasenohren zu machen! Ich will ein anständiges Bild davon.“ „Aber so ist sie doch langweilig!“ „Nach einer kurzen Überlegung, warum gehst du mir nicht ganz aus dem Weg? Deine hässliche Fratze verdirbt nur das Foto. Vielleicht sprengt sie mir doch noch die Kamera, wenn ich sie zu oft aufnehme.“ „Dann ist ja ein Glück, dass du sie bedienst, sonst wäre sie schon lange explodiert!“ „Jungs!“ „Nun macht schon, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit, ihr Faulpelze!“ „Ein paar Minuten Pause dürften doch wohl drin sein!“ „Ich bin auch dafür! Hier, will jemand einen Schokoriegel?“ „Oh mein Gott, werft die Papierchen doch nicht einfach auf den Boden! Sammelt das sofort auf!“ „…“ „Warum versteckst du dich hinter Gray?“ „Levy, seit wann bist du so gruselig?!“ „Da lang! Ich glaube, ich rieche etwas.“ „Was bist du, ein Hund? Ich finde, der andere Weg sieht sicherer aus.“ „Hier unten ist überhaupt nichts baufällig, warum sollte ein Weg da ‚sicherer‘ sein?“ „Also, ich schlage diesen Gang vor. Er erscheint mir sympathisch. Außerdem ist er hübsch.“ „Hach. Können wir mal nicht nur aus dem Gefühl heraus entscheiden?“ „…seht ihr diesen perfekten Übergang der Farben? Wer auch immer hier am Werk gewesen ist, er war ein Meister seines Fachs. Könnt ihr euch vorstellen, so etwas Wunderschönes zu machen, mit den Mitteln, die sie damals zur Verfügung hatten? Denk daran, diese Stätte ist zweitausend Jahre alt! Ich weiß gar nicht, wie das noch so gut erhalten ist, das ist eigentlich unmöglich. Vielleicht hat die Umgebung hier unten etwas nachgeholfen, sie muss die perfekten Bedingungen ergeben und… Schaut, wie perfekt die Ornamente in die Wellen übergehen!“ „Aha.“ „… Bei euch ist alle Hoffnung verloren.“ „Natsu, das ist kein Streichelzoo! Hör endlich auf, jahrhundertealte Statuen anzutatschen!“ „Wer weiß, wo die schon alles waren.“ „Aber das fühlt sich so seltsam an! Gar nicht wie normaler Stein.“ „Mir wäre es trotzdem lieber, du würdest sie nicht alle anfassen. Sonst machst du noch etwas kapu…“ „Uuuups.“ „En Garde!“ „Woah, Natsu, leg das wieder hin!“ „Sonst stichst du dir noch ein Auge aus.“ „Klappe, Gray, ich weiß, was ich tue! Du bist ja nur neidisch auf mein tolles Schwert.“ „So sieht es auch aus, Loser. Als ob ich so ein Teil bräuchte, um mit dir fertig zu werden.“ „Erza, tu doch bitte was.“ „Wie faszinierend. Das ist wirklich eine Schönheit! Wo hast du das her?“ „Da drüben sind noch mehr. Schnapp dir eins und dann können wir fechten. En Garde!“ „Irgendwie führt das hier zu nichts. Ich meine, nichts für ungut, das alles ist toll und so, aber … nicht wirklich das, was wir suchen.“ Gray fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Und wir haben schon beinahe die Hälfte unserer Zeit aufgebraucht, wenn ich das mal so anmerken darf.“ „Was trödeln wir hier noch so rum? Zack, zack!“, drängte Erza daraufhin und verdoppelte das Tempo ihrer Schritte. „Nicht jeder hat so viel Energie wie du.”, stöhnte Levy. „Ich weiß auch nicht, was wir tun sollen.“, gab sie dann zu und blickte in die Runde. „Hat jemand eine brillante Idee? Wir könnten jetzt wirklich eine gebrauchen.“ Gray und Erza zuckten beide hilflos mit den Schultern. Natsu war bereits vorausgewandert und spähte hinter diverse Türen. Inzwischen war niemand mehr an dem Inhalt der Räume interessiert, solange es sich dabei nicht um Bücher handelte. Und trauriger Weise tat es das nie. Nicht einmal Levy brachte noch genug Energie für zufälligen Kram auf. Natürlich, sie war noch immer fasziniert von der meisterhaften, genialen Kunstfertigkeit und Architektur um sie herum, aber der Glanz ließ nach, wenn man erstmal ein paar Stunden hindurchgetrottet war. Am liebsten würde sie sich hier auf dem Boden zusammenrollen und eine Runde schlafen. Sie beneidete Meredy und Happy, die im Hotel zurückgeblieben waren und es sich dort bequem machen konnten. Zumindest fast. „Hey, Leute!“, rief Natsu aufgeregt. „Schaut mal da!“ „Natsu, kannst du dich nicht einmal auf eine Sache konzentrieren?“, wollte Levy gereizt wissen. „Ich dachte, das wäre auch wichtig für dich!“ „Das frage ich mich auch manchmal.“, murmelte Gray neben ihr. „Nein, ehrlich, schaut mal! Ihr müsst euch das ansehen!“, wiederholte Natsu und schob die große Flügeltür weiter auf, vor der er gerade stand. „Wir könnten morgen noch einmal kommen.“, schlug Gray vor, ohne weiter auf ihn zu achten. „Ich bezweifle, dass Professor Neville und seine Kollegen demnächst auf diesen Hügel klettern und zufällig in das Loch fallen, das wir gemacht haben. Vermutlich haben wir noch eine Weile Zeit, ehe wir diesen Ort teilen müssen.“ „Damit dürftest du recht haben.“, gab Levy zu, doch sie fühlte sich nicht wohl dabei. Am liebsten hätte sie Jean-Luc in ihre Operation miteinbezogen, doch das hätte er nie zugelassen. Ganz zu schweigen davon, dass sie dann auch ihre Infos über Atlantis teilen müssten und die Gefahr, dass diese dann in falsche Hände gerieten, war erschreckend hoch. „Vielleicht ist das wirklich die beste Möglichkeit.“, stimmte Erza zu. „Zum Glück haben wir aufgeschrieben, wo wir bereits waren. Morgen sollten wir aber mit einem Plan kommen und alles systematisch absu…“ „Na schön!“, fiel Natsu ihr ins Wort und Levy konnte sein breites Grinsen geradezu hören. „Dann schau ich mir diese Bibliothek eben alleine an!“ Einen Moment brauchte sie, um die Worte zu realisieren, dann fuhr sie herum. „Was? Warum sagst du das nicht gleich!“, fuhr sie auf und auch die beiden anderen sahen aufgebracht aus. Natsu grinste sie nur breit an und deutete dann mit großer Geste in den Raum hinter ihm. Levy war die erste, die sich in Bewegung setzte und sie stürzte auf ihn zu und an ihm vorbei und traute ihren Augen nicht. Vor ihr lag kein einfacher Raum, es war ein regelrechter Saal, rund und mehrstöckig, mit zwei Galerien, die über geschwungene Steintreppen zu erreichen waren. Direkt in die Mauern eingearbeitet waren Regalfächer, so dass jeder Zentimeter der Wände davon bedeckt war. In ihnen, Rücken an Rücken, standen reihenweise Bücher und sie alle schienen in einem unmöglich guten Zustand zu sein. Endlich hatten sie gefunden, was sie die ganze Zeit schon suchten! In zwei Halbkreisen waren steinerne Tische davor angeordnet, hinter denen Bänke standen, so dass man an zwei gegenüberliegenden Stellen zwischen ihnen hindurchlaufen konnte. In ihrer Mitte erhob sich eine überlebensgroße Statue von einem Mann in einer Toga, deren Faltenwurf lebensecht aus dem rötlichen Alabaster herausgearbeitet war und der in einem Arm ein kleines Buch hielt. Allerdings stellte sie keine von jenen beinahe idealisierten Personen dar, die man sonst vom Crocus-Imperium gewohnt war. Der Mann wirkte eher untersetzt und ein wenig plump, mit einem breiten, flachen Gesicht, das sie an einen Frosch erinnerte, und zwei links und rechts am Kinn herabhängen Bartsträhnen, die eher als ‚dürftig‘ zu bezeichnen waren. Dazu kamen große Segelohren und ziemlich buschige Augenbrauen, was ihn ein wenig lächerlich wirken ließ. Die Statue stand auf einem schwarzen Sockel, auf dem eine metallene Plakette mit einem Schriftzug angebracht war. „Wow.“, stieß Gray hinter ihr aus. „Das sind ganz schön viele Bücher. Wie sollen wir hier jemals die Infos finden, die wir brauchen? Wir würden Jahre brauchen, alles durchzusehen.“ „Das stimmt.“, gab Natsu zu und kratzte sich am Kopf. „Dazu kommt, dass das alles vermutlich auf altfiorianisch geschrieben ist.“, merkte Levy an und trat tiefer in den Raum. „Oder andere, ähnlich alte Sprachen. Kann das jemand von euch?“ „Ich hatte es in der Schule.“, antwortete Gray, doch Erza und Natsu schüttelten beide verneinend die Köpfe. „Wir können Lyon und Meredy dazu holen, sie haben auch zumindest rudimentäre Kenntnisse.“, fügte der Schwarzhaarige an, doch er klang nicht so, als würde er das als einen großen Fortschritt ansehen. War es auch nicht – sie würden eine ganze Armee von Historikern brauchen, um all diese Bücher durchzusehen. Zwei Leute, die früher in der Schule mal Altfiorianisch als Fach gehabt hatten, würden echt nicht viel ausrichten. Dazu kam, dass die Informationen über Atlantis vermutlich nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen war. Die überlebenden Atlanteaner wie Zirkonis – inzwischen war sie einhundert Prozent davon überzeugt, dass diese Vermutung tatsächlich zutraf, wie sonst war diese unterirdische, viel zu gut erhaltene Anlage sonst zu erklären? – hatten ihr Wissen über die Stadt zwar für die Nachwelt aufgeschrieben, doch meistens verschlüsselt. Ansonsten hätten Abenteurer und Forscher wie sie nicht solche Probleme, ihr Ziel zu erreichen und Atlantis längst keine bloße Legende mehr. Nicht nur die Gesellschaft oder die Wächter legten ihnen Steine in den Weg. Anscheinend sollte nur jemand Atlantis finden, der dafür ‚würdig‘ genug war, was auch immer das in den Augen der Atlanteaner bedeutete. „Vielleicht … haben wir ja Glück und finden es auf Anhieb?“ „Wunschdenken.“, widersprach Erza und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Das hier wird uns einige Zeit rauben“ „Nein, lasst uns logisch da ran gehen.“, widersprach Levy und trat zu den Tischen, um ihr Gepäck darauf abzulegen. Sie wirbelten jede Menge Staub auf, aber sie fand es noch immer seltsam, dass es ansonsten nur sehr, sehr wenig Spuren von Verfall gab. Sie schob diesen Gedanken beiseite, denn er würde ihr nichts bringen. „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Zirkonis seine Infos über Atlantis einfach so offen rumliegen ließ, dass jeder sie finden konnte. Es war ihm wichtig. Er ist sogar so weit gegangen, dass er seine Identität und Herkunft verschleiert hat, um nicht mit Atlantis in Verbindung gebracht zu werden. Also hat er das Buch irgendwo versteckt.“ „Und wie finden wir es?“, ließ Gray sich auf ihr Gedankenspiel ein und entledigte sich ebenfalls seines Rucksackes. Erza wanderte an den Regalen entlang, doch es war deutlich, dass sie aufmerksam zuhörte. Natsu dagegen ließ seine Last auf den Boden fallen und kramte darin herum, um ein paar Müsliriegel herauszuholen. „Indem wir nachdenken.“, erklärte Levy. „Wir wissen jetzt, dass Zirkonis ein Atlanteaner war. Ich bin nur durch Querverweise darauf gekommen, nirgendwo steht das. Die Originalquellen sind auch alle sehr vage… Das ist schon ein Anfang.“ „Aber es bringt uns nicht weit.“, erklärte Erza von weiter hinten im Raum. „Hm, nein.“, gab Levy zu. Im Moment würde diese Information ihnen nicht weiterhelfen. „Hey, denkt ihr, Froschgesicht hier soll Zitrone darstellen?“, wollte Natsu wissen. Er stand im Moment direkt vor der Statue, einen angebissenen Müsliriegel in der Hand und den Kopf in den Nacken gelegt, um der Figur ins Gesicht sehen zu können. „Zirkonis hat keine Abbilder von sich machen lassen.“, widersprach Levy und betonte dabei die richtige Aussprache des Namens. Allerdings hatte sie es längst aufgegeben, ihn aktiv zu korrigieren. Er würde es nie lernen. „Kamerascheu, sozusagen.“ „Und was, wenn das wirklich Zirkonis ist?“, wandte Gray ein und trat zu Natsu. „Vielleicht ist es ein Hinweis? Es gibt keine andere Statue hier unten, die diesem Typ ähnlich sieht.“ Levy stellte sich neben sie, aber statt die Bildhauerei selbst anzusehen, konzentrierte sie sich auf den Schriftzug auf der Plakette. „Huh.“, machte sie, als sie den Namen und das Zitat darunter las, etwas über feste Fundamente und helfende Hände. „Das scheint tatsächlich Zirkonis darzustellen. Steht da.“ „Vielleicht ist das Buch, das wir suchen, in ihn eingebaut!“, rief Natsu begeistert und stopfte sich den Rest seines Müsliriegels in den Mund. Seine nächsten Worte waren daher nicht zu verstehen und er versprühte überall Krümel. Gray verzog angewidert das Gesicht. „Schluck runter, bevor du sprichst!“ Natsu tat genau das und wiederholte: „Wir sollten ihn umschmeißen.“ „Untersteh dich!“, herrschte Levy ihn an und er sprang hastig zurück und versteckte sich hinter Gray. „Manchmal bist du echt gruselig.“, gab er zu und sie hob drohend den Finger. „Wag es nicht, Hand an Artefakte zu legen, du … du … du Kunstbanause!“ Gray lachte. „Das ist die beste Beleidigung, die dir einfällt? Du musst das schon richtig machen, hör zu, so: okay, du Armleuchter, vielleicht ist das zu kompliziert für dich Hirnakrobat, aber Leute, die herumgehen und jahrtausendealte, antike Statuen umwerfen, sind nicht sonderlich beliebt, du Hornochse.“ „Hey, ich zeige dir, wer hier ein Hornochse ist!“, protestierte Natsu und schuppste ihn. Einen Moment später war eine ausgewachsene Rangelei im Gange und Levy starrte die beiden junge Männer entgeistert an. Manchmal fragte sie sich, was in ihren Hirnen vor sich ging, denn sie verstand es einfach nicht. „Könnt ihr euch nicht einmal wie Erwachsene benehmen!“, donnerte Erza vom hintersten Ende des Saales und stapfte auf sie zu wie eine Rachegöttin. Doch es war schon zu spät und die beiden Jungs krachten mit voller Wucht gegen den Auslöser des Streites. Für einen Moment befürchtete Levy, dass Natsu seinen Wunsch doch erfüllt bekam und sie eine antike Statue von unschätzbarem Wert zerstörten. Doch die Statue wankte nicht einmal. Stattdessen gaben ihre Taschenlampen ein Geräusch von sich, das wie brzzzzzzzzt! klang und flackerten wie wild, was eine wirre Lichtershow auf den Wänden verursachte. „Was ist denn jetzt kaputt?“, fragte Natsu überrascht und Erza war mitten im Schritt stehen geblieben und schaute sich um. „I…ich habe keine Ahnung.“, stotterte Levy. „Das ist jedenfalls nicht normal.“, knurrte Gray und schüttelte seine eigene Stablampe. Dann flackerte plötzlich etwas hinter ihnen und Levy fuhr erschrocken herum, doch sie konnte nichts erkennen. Doch nur für einen Moment, denn dann flimmerte die Luft ein paar Meter entfernt erneut mit einem grünen Licht. Es war weder groß noch hell, eher eine … Form, die sie entfernt an eine Silhouette erinnerte, ehe es wieder verschwand. „Wa…was ist das?!“, quiekte sie erschrocken, doch niemand hatte eine Antwort für sie. Natsu starrte mit offenem Mund die Stelle an, an der es erschienen war und auch Gray und Erza schienen sprachlos zu sein. Irgendwo brummte etwas laut und ein Rattern ertönte, dann zuckte das grüne Flackern erneut auf, doch diesmal verschwand es nicht. Stattdessen verfestigte es sich zu einer durchscheinenden Gestalt. Einen Moment später erkannte sie ihn. Es war Zirkonis, ein genaues Abbild der Statue, vor der sie standen. Er bewegte tonlos den Mund, als würde er sprechen, doch die Worte waren nicht zu hören. Mit einer Hand klammerte er sein Buch fest. „Du meine Güte.“, sagte Gray und er klang dabei so fassungslos, dass Levy beinahe hysterisch kicherte. Erza trat neben sie und ihr Rucksack fiel mit einem dumpfen Geräusch in den Staub, als sie ihn sich von den Schultern streifte. Keiner von ihnen hatte ein Wort dafür, was hier eben geschah. Es war einfach nur so … bizarr. Wie konnte eine Ruine, die knapp zweitausend Jahre alt war, eine Technologie besitzen, die weiter entwickelt war als ihre eigene? Falls Levy einen letzten Beweis für die Existenz von Atlantis gebraucht hatte, so stand er nun vor ihr. „Das ist … das ist eine Projektion.“, flüsterte sie schließlich fasziniert und trat näher. Gray packte sie am Arm. „Nicht. Was, wenn das gefährlich ist?“ „Was soll an Hologrammen gefährlich sein?“, wollte Natsu wissen und marschierte an ihr vorbei. Mit der ausgestreckten Hand griff er nach Zirkonis, doch seine Hand glitt einfach durch diesen hindurch. „Siehst du? Zitrone ist noch nicht mal fassbar.“ „…ie würdig sind, sollen dieses Ziel erreichen.“, donnerte plötzlich eine tiefe Stimme durch den Saal und Levy kreischte auf. Natsu sprang erschrocken einen halben Meter in die Höhe und auch die anderen beiden stießen keine sehr würdevollen Geräusche aus. „Alle anderen sollen auf dem Weg untergehen!“ Es war Zirkonis, der sprach, oder zumindest sein Abbild, wie eine Aufnahme. Eine High Tech-Aufnahme in einer antiken Stadt. Verdammt, das war doch wie eine Episode aus einer SciFi-Serie! Viellicht würde sie bald auch an Roboter-Protectores glauben! Levy brauchte einen Moment um zu bemerken, dass das Hologramm altfiorianisch sprach, und den verwirrten Gesichtern der anderen nach zu urteilen war sie die einzige, die ihn verstand. „Bedenket, dass euer Weg nicht leicht werden wird und einige von euch der Tod erwartet, dass ihr all euren Mut, eure Stärke und eure Klugheit benutzen müsst, um sicher das Ende zu erreichen. Ihr werdet viele Erprobungen überstehen und viele Hindernisse überkommen müssen, aber eure Belohnung wird großartig und mehr als ausreichend sein.“ „Levy, ich hoffe du verstehst das.“, bemerkte Erza und Natsu fragte sofort: „Levy, was sagt der?“ „Pssst!“, zischte diese. „Lasst mich zuhören.“ Sie bezweifelte, dass die Projektion ihre Worte noch einmal wiederholte. Dass sie den ganzen Anfang verpasst hatten, schien sie auch nicht zu stören. Aber wenn sie sich dieses pompöse Gelaber so anhörte, hatten sie vermutlich nichts Aufregendes verpasst. Zirkonis sprach noch eine Weile auf diese Art weiter und Levy filterte heraus, dass er wollte, dass jemand Atlantis fand – aber niemand, den er für unwürdig erachtete, darum hatte er eine Art Schnitzeljagd vorbereitet. Was an und für sich allein schon verrückt genug war. Aber ihr kam es sowieso vor, als wären sie in eine Parallelwelt hineingestolpert, seit sie diese unterirdische Anlage betreten hatten, also, was soll’s? „…am Ende wird euch die großartigste Stadt erwarten, von der Menschheit je zu träumen gewagt hat, und dies wird euch für alle Mühen und allen Verlust entschädigen.“ Die Projektion hob die freie Hand und deutete auf die Statue. „Nehmt meine Aufzeichnungen an euch und zieht aus, um sie zu finden, Atlantis, die Versunkene.“ „Hat der gerade von Atlantis gesprochen?“, fragte Natsu sofort und Levy nickte langsam, während Zirkonis noch etwas weiterlaberte: „Denkt daran, nur die Würdigen werden das Ziel erreichen. Gebt lieber auf, wenn ihr Zweifel habt.“ Dann flackerte die Projektion und verschwand. Augenblicklich stabilisierte sich das Licht der Taschenlampen und die vier jungen Abenteurer starrten einen Moment schweigend auf die Stelle, an der der Atlanteaner eben noch gestanden hatte. Schließlich drehte Natsu sich zu Levy um und fragte erwartungsvoll: „Und?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat ziemlich viel rumgelabert.“, gab sie zu. „Davon, dass unsere Suche ziemlich gefährlich ist und nur die Würdigen ankommen werden und alle anderen untergehen und so etwas. Aber er sagte auch: nehmt meine Aufzeichnungen und folgt den Anweisungen. Dabei deutete er auf die Statue, also…“ Wie auf Kommando drehten sie sich um und starren die Figur an. „Was wir suchen, muss also dort sein?“, fragte Erza und Levy nickte. Gray und Natsu stürzten nach vorne, um die Plastik mit den Händen zu untersuchen, mal tasteten sie diese Stelle ab, mal zerrten sie an jener, als erwarteten sie, dass ein Geheimfach sich öffnete, wenn sie nur das richtige taten. Aber Levy hielt das für eher unwahrscheinlich. Es musste etwas anderes sein. Vielleicht war die Statue selbst nur ein Hinweis. Vielleicht gab es eine zweite Figur wie diese hier unten und die Aufzeichnungen waren dort. Vielleicht war das Zitat auf der Plakette ein Hinweis. Vielleicht… „Jungs, hebt mich mal hoch.“, verlangte Erza in bestimmtem Tonfall und die beiden kamen sofort herbei, um ihr eine Räuberleiter zu bauen. Die Rothaarige stützte sich an der Statue ab, als die beiden sie hochhoben, den Blick fest auf das Buch gerichtet, das die Statue hielt. „Okay, haltet mich stabil.“, verlangte sie und tastete nach der steinernen Lektüre. Konnte es wirklich so einfach sein? Levy runzelte zweifelnd die Stirn. Sie hätte natürlich nichts dagegen, aber… Erza zog an dem steinernen Buch, schüttelte und zerrte, aber nichts geschah, es bewegte sich nicht, war ein Teil des Alabasters, aus dem auch der Rest des Standbildes geschlagen worden war. Natsu seufzte enttäuscht. „Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist. Können wir dich wieder absetzen? Du wirst nämlich langsam schwer.“ „Willst du damit sagen, ich bin dick, Natsu?“, antwortete Erza in gefährlichem Tonfall und der junge Mann schluckte. „Ne…nein, gar nicht! Wir können dich noch stundenlang da oben halten, nicht war, Gray?“ „J…ja.“, beeilte sich dieser hinzuzufügen. „Gar kein Problem!“ Levy konnte erkennen, dass das eine Lüge war, denn die beiden sahen ziemlich angestrengt aus. Aber Erza schien die Antwort zu genügen, denn sie wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. Doch was auch immer sie probierte, nichts geschah. Levy wollte gerade vorschlagen, dass das tatsächlich keinen Sinn hatte, als Staub auf Gray hinabrieselte, der direkt unter dem Arm stand, der das Buch hielt. „Was war das?“, wollte er wissen und verzog das Gesicht. „Es bewegt sich!“, rief Levy aufgeregt, als Erza von unten schob. Tatsächlich wackelte das Buch und weiterer Steinstaub fiel auf Gray herab, als es sich weiter löste. Erza stieß ein Keuchen aus und presste mit aller Kraft, so dass der Wälzer – denn in den Händen einer überlebensgroßen Statue mochte er klein aussehen, aber für sie normalgroße Menschen war er das ganz und gar nicht – mit einem knirschenden Geräusch geradezu aus seiner Halterung flutschte. Mit einem lauten Knall landete er auf dem Boden. Risse zogen sich über die rötliche Oberfläche und ein paar Brocken hatten sich über den Boden verteilt. „Erza!“, beschwerte sich Levy bestürzt und fiel neben dem Gegenstand auf die Knie. Sie hatte erwartet, dass Natsu oder vielleicht sogar Gray etwas hier unten kaputt machte, aber doch nicht Erza! Doch ein Blick zeigte ihr, dass es nicht wirklich kaputt war, im Gegenteil. Vorsichtig wischte sie Steinsplitter und Staub von dem Buchrücken und darunter kam dunkles Leder zum Vorschein. Irgendwie hatten die Bildhauer es geschafft, ein echtes Buch in der Statue zu verstecken. Hinter sich hörte sie abwesend, wie Erza auf den Boden zurückkam und die beiden Jungs sich stöhnend die Arme rieben. „Schaut, Erza hatte recht.“, teilte Levy ihnen mit, während sie mehr von der steinernen Umhüllung entfernte. Diese bestand vermutlich aus Gips, der kunstfertig angemalt worden war, um dem Rest der Statue zu gleichen. Jedenfalls ließ er sich leicht abbrechen, wenn Levy ihre Finger darunter zwang. Sofort kamen die anderen dazu, aber sie schlug ärgerlich ihre Hände weg, als sie versuchten, ihr zu helfen. Es dauerte nicht lange, da hatte sie den großen Folianten freigelegt. Sie hob ihn aus dem Staub heraus und trug ihn zu den Tischen hinüber, um ihn darauf abzulegen. Der Einband wirkte beinahe wie neu und auf dem Deckel waren nur drei konzentrische Kreise abgebildet, die silbrig im Licht der Taschenlampen schimmerten. „Was steht drin?“, drängte Natsu, aber wenigstens wagte keiner mehr, nach dem Buch zu greifen. Vorsichtig öffnete Levy den Einband und blätterte behutsam ein paar Seiten um, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Vermutlich brauchte sie keine solche Achtsamkeit an den Tag zu legen, denn der Foliant wirkte beinahe wie neu. Die Seiten waren aus dickem, schweren Papier und mit dunkler Tinte beschrieben worden. Die Schrift war klar und deutlich zu lesen und die Texte schienen alle in altfiorianisch geschrieben zu sein. Hin und wieder waren detaillierte, präzise Zeichnungen auf dem Papier zu sehen, manchmal nur Skizzen einer Ecke, manchmal breiteten sie sich über beide Seiten aus. „Das scheinen Zirkonis‘ Ausführungen über Atlantis zu sein. Hier erzählt er von den weitläufigen Gärten, durch die er gerne gewandert ist und die anscheinend wahre Meisterwerke der Botanik waren, unerreicht selbst von den Palästen in Crocus.“ „Okay, aber steht da was drin, das uns weiterhelfen wird?“, drängte Natsu, ungeduldig wie immer. Doch auch Gray und Erza schienen gespannt auf die Antwort, also zuckte Levy mit den Schultern. „Nichts, dass ich auf den ersten Blick erkennen würde, aber ich gehe davon aus, dass ich etwas finde, wenn ich mich genauer damit beschäftige.“ Kollektives enttäuschtes Stöhnen erklang um sie herum und sie schmunzelte. „Gibt es nicht ein Inhaltsverzeichnis oder sowas?“, wollte Erza praktisch wissen, während Levy langsam weiterblätterte. „Karte!“, brüllte Natsu und Gray schlug ihm auf die Schulter. „Schrei mir nicht so ins Ohr, du Affe.“ Doch tatsächlich war Natsus Entdeckung das erste, was wirklich hilfreich zu sein schien. Die Landkarte breitete sich über eine ganze Seite aus und schien einen Küstenabschnitt zu zeigen. An einer Stelle befand sich ein Kreuz – eindeutiger konnte man nichts markieren. „Das scheint mir nicht Atlantis zu sein.“, bemerkte Erza und Levy deutete auf den Schriftzug darunter. „Hier findet ihr das letzte Schiff, das euch sicher nach Atlantis bringen wird.“, übersetzte sie frei Hand. „Das letzte Schiff?“, wiederholte Gray. „Das klingt ominös.“ „Vermutlich befinden hier sich im Text noch weitere Hinweise.“, bemerkte Erza, aber auf der Seite daneben ging es anscheinend um die Schönheit der atlanteanischen Frauen, die von keinem anderen Volk übertroffen wurde, und Levy konnte sich nicht vorstellen, wie ihnen das weiterhelfen sollte. Zirkonis jedenfalls schien ziemlich fixiert darauf zu sein, seine Heimatstadt als den himmlischsten, idyllischsten, tollsten Ort der Welt darzustellen, ein Paradies auf Erden, das seinesgleichen suchte und in dem es allen gut ging. Er schwärmte über die Kultur, toller und feiner als die aller anderen, über die Moral, die allen anderen Völkern fehlte, über die hochentwickelte Zivilisation, die technischen Errungenschaften, die Freundlichkeit und Gastlichkeit, den Anstand und den Stil und die Fähigkeit, ihre Werte und Errungenschaften gegen jeden Feind zu verteidigen. Das klang natürlich alles sehr toll, aber ihnen brachte es nichts. Plötzlich stutze sie. „Das ist nicht altfiorianisch.“, erklärte sie den anderen und deutete auf die Seite, die sie eben umgeblättert hatte. „Das scheint mir Atlanteanisch zu sein.“ „Und was steht da?!“ Natürlich war es mal wieder Natsu, der seine Ungeduld nicht in Zaum halten konnte. „Ich habe keine Ahnung!“, antwortete sie gereizt. „Atlanteanisch ist nicht unbedingt eine Sprache, die man an der Uni lernt!“ „Aber du kannst sie.“, sagte Erza und fügte dann weniger überzeugt hinzu: „Richtig?“ „Naja…“, gestand die Historikerin ein. „Ich … hab ein paar Erfahrungen. Aber ich bin nicht wirklich fließend darin. Es gibt wohl nur eine Handvoll Leute, die das halbwegs von sich behaupten können.“ „Aber von denen kennst du ein paar, ja?“, hakte Gray nach und Levy nickte. „Wir könnten das Buch zu Professor Van Dyke bringen, er ist der Beste und ich habe schon mit ihm gearbeitet. Außerdem ist er ehrlich und hat kein Interesse daran, persönlich nach der Stadt zu suchen.“ Langsam blätterte sie weiter. „Hier steht etwas über die Politik von Atlantis. Und hier… Hey, das ist über die Protectores Sancti!“ Das war interessant, vielleicht wusste Zirkonis genaueres über diese legendären Gestalten. Dann wüssten sie zumindest, auf was sie sich vorbereiten konnten – Roboter hin oder her. Auch Erza horchte auf. „Was sagt er?“ Levy fuhr mit dem Finger über die Zeilen und paraphrasierte: „Dass sie gefährlich sind… Anscheinend waren sie schon in Atlantis und sind aus Leuten – oder Dingen? – entstanden, die sie damals Vamani nannten, das Wort habe ich noch nie gehört. Hier erzählt er etwas über magische Kräfte, mit denen sie Stürme und Feuer entfachen konnten… Hm.“ „Magische Kräfte, ja klar.“, warf Gray spöttisch ein und Levy zuckte die Schultern. „Ich übersetze nur. Aber denkt daran, für manch einen mag hochentwickelte Technik wie Magie erscheinen. Vielleicht bedient er sich dieser Worte, um den primitiven Leuten um ihn herum verständlich zu machen, was er meint.“ Das klang auch für Gray logisch, denn er nickte zögerlich. Dieses Hologramm von eben hätte auf einen Altfiorianer ganz sicher wie eine magische Illusion gewirkt oder gar eine Erscheinung aus dem Jenseits. Sie blätterte weiter und starrte einige Seiten später auf das Abbild eines großen, zähnefletschenden Hundes mit gesträubtem Fell, liebevoll wiedergegeben. Es gab keine Beschreibung dazu, wieder mal. „Huh.“, machte Erza. „Das ist willkürlich.“ „Nochmal etwas in atlanteanisch.“, erklärte sie und versuchte, ein paar Zeilen zu verstehen. „Anscheinend geht es hier um eine ‚Perle des Ozeans‘.“ An ein paar Worte erinnerte sie sich zumindest. „Atlantis?“, schlug Gray vor. „Immerhin lag die Stadt mitten im Meer.“ „Von diesem Spitznamen hab ich noch nie gehört, könnte aber sein.“, gab sie zu. „Nach all dem überschwänglichen Geschwafel könnten die Atlanteaner ihre Stadt aber so genannt haben.“ Sie blätterte weiter. „Also gut.“, unterbrach Erza sie schließlich. „Ich schlage vor, wir packen unsere Sachen und verschwinden hier. Lyon wird schon auf uns warten und wir wollen von hier verschwunden sein, ehe der Tag anbricht und deine alten Freunde hier aufkreuzen, um uns die Hölle heiß zu machen, weil wir unerlaubt hier herumstiefeln.“ Levy blickte auf und nickte langsam. So gern sie auch noch geblieben wäre – all dieses Wissen, all diese tollen Artefakte, all diese Geheimnisse – oder weiter in dem Buch gestöbert hätte, so sehr musste sie zustimmen, dass Erza recht hatte. Wenn sie diesen Folianten über Atlantis behalten wollten, mussten sie sehen, dass sie davonkamen, ehe jemand sie damit entdeckte. Nicht, dass ihr bei dem Gedanken, etwas von einer Grabungsstätte zu entfernen, nicht sowieso schon unwohl wäre, sie wollte auf keinen Fall dabei erwischt werden. Jean-Luc wäre so enttäuscht von ihr. Und das Argument, dass ein Leben davon abhängen könnte, würde bei ihm nicht ziehen. Er würde ihr nicht glauben, dass diess die Lösung dafür war, Laxus zu retten. Oder auch, dass die Gesellschaft unbedingt von diesem Wissen fernzuhalten war. Ihr schauderte bei dem Gedanken daran, was die mit dem Buch anstellen würde. Sie hatten bestimmt jemanden, der die atlanteanischen Texte übersetzen konnte… Hastig packten sie ihre Sachen zusammen und Gray verteilte die Reste der Gipsumhüllung über dem Boden, um weniger auffällig zu machen, dass etwas entfernt worden war, ehe sie den Raum verließen. Sie eilten zum Eingang zurück und brauchten weit weniger Zeit als das erste Mal. Zum Glück hatten sie sich ihren Hinweg aufgezeichnet, ansonsten hätten sie sich komplett verirrt. Lyon erwartete sie mit Seilen und Kletterausrüstung und atmete erleichtert auf, als er sie kommen sah. Die Sonne färbte den Himmel bereits rosa und blau, als sie todmüde, erschöpft und triumphierend beim Hotel auftauchten. ~~*~~♒~~*~~ Station 3 – Primrose, 10.06.X790 „Und der alte Knacker lebt hier?“ Erstaunt blickte Natsu sich um. Die Gegend war nicht gerade die beste, die hohen Mehrfamilienhäuser und Apartmentkomplexe um ihn herum hatten schon bessere Tage gesehen. Graffiti beschmierte die Wände und die Rinnsteine und Gehwege waren gesäumt von Müll. Aus der einen oder anderen Nebengasse drang ein verdächtiger Geruch, dessen Herkunft er lieber nicht herausfinden wollte. Die Passanten waren ein Mix aus unterer Mittelschicht und Arbeiterklasse und einige Obdachlose hatten sich auf den Stufen der Kirche versammelt, die ihren einzelnen Turm in den ergrauenden Himmel reckte. „Ja.“, antwortete Levy. „Und nenn ihn nicht ‚alter Knacker‘. Er wird schon von genug Leuten geringgeschätzt, obwohl er ein echtes Genie ist. Und du weißt es besser.“ Natsu zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich dachte nur, er wäre Professor. Können Professoren sich nicht bessere Wohnungen leisten?“ „Nicht, wenn sie von ihren Kollegen ausgelacht werden.“, erklärte Erza ungeduldig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wo müssen wir jetzt hin?“ Levy seufzte. „Hier entlang.“ Sie deutete auf eine der Nebenstraßen. „Wer nicht weiß, wie er Van Dyke erreicht, hat keine große Chance, ihn tatsächlich zu finden.“ Dann wandte sie sich wieder an Natsu, während die drei ihren Schritt beschleunigten. „Van Dyke ist einer der Spezialisten über Atlantis, vor allem die Sprache und jegliche Texte, die von ihnen oder über sie hinterlassen wurden. Wenn uns einer weiterhelfen kann, dann er. Aber genau das macht ihn zu einer Lachnummer unter den ‚ernsthaften‘ Wissenschaftlern. Sie halten ihn entweder für einen Betrüger oder einen leichtgläubigen Idioten.“ Natsu nickte. Er wusste genau, wie verlacht Leute waren, die ernsthaft nach der sagenumwobenen versunkenen Stadt suchten. Die den Mythos für etwas Anderes hielten als eine reine Legende, trotz aller Beweise, die doch für seine Existenz sprachen. Aber das sollte nicht sein Problem sein – mit ernsthafter Wissenschaft hatte er nichts zu tun. Es ging ihm nicht darum; er interessierte sich einzig für seinen Bruder. Er warf einen kurzen Blick auf die hölzerne Kiste, in der Levy Zirkonis‘ Buch vorsichtig mit sich herumtrug. Sie hatte sich geweigert, das gute Stück jemand anderem zu überlassen, wenn ‚sie es schon unerlaubt aus einer Grabung entwendeten‘. Was hätten Jean-Luc und seine ernsthaften Kollegen wohl darüber gedacht? Zum Glück mussten sie es nicht herausfinden, da sie es im Moment hatten und sie konnten eh viel mehr damit anfangen. Van Dyke, so hatte die kleine Historikerin versichert, würde ausflippen über diesen Fund. Er sollte es sich ansehen und ihr helfen, die atlanteanischen Texte zu übersetzen. Während der Fahrt hierher hatte sie sich viel mit dem Folianten beschäftigt und immer wieder Auszüge davon laut paraphrasiert, damit ihre Mitfahrer sie verstanden. Es hatte ihnen nicht viel gebracht im Hinblick auf ihre Expedition, doch es war ziemlich amüsant gewesen. Zirkonis hatte jedenfalls eine ziemlich blumige Sprache drauf und seine Meinung über Atlantis konnte nicht höher sein. Selbst Natsu, der von niemanden als negative Person angesehen werden konnte, fragte sich, was die Schattenseiten dahinter waren. Nichts konnte so durch und durch gut und schön sein. Levy führte sie durch ein Gewirr von Gassen und Hinterhöfen, bis sie zu der Rückseite eines fünfstöckigen Mehrfamilienhauses kamen. Einige große Müllcontainer standen auf der Seite und ein Tunnel führte zur Straße hinaus, doch er war von einem schweren Gitter versperrt und Fahrräder und alte Möbel blockieren den Weg. Eine überdachte Tür stellte einen Eingang dar, neben dem sich eine ganze Gruppe Briefkästen aufreihte, von denen die Farbe abblätterte. Darüber brannte inzwischen eine nackte Lampe, die die größte Lichtquelle darstellte – der Himmel färbte sich inzwischen dunkelrot und violett, so dass der Hof tief im Schatten lag. „Hier?“, wollte Erza wissen und Levy zuckte mit den Schultern. „Als ich das letzte Mal mit Van Dyke gearbeitet habe, habe ich mich für eine Woche lang fünfmal verlaufen, ehe ich den richtigen Weg gefunden habe. Ich bezweifle, dass er umgezogen ist, wenn er sich hier sicher fühlt.“ „Warum die Vorsicht?“, fragte Natsu und die beiden Frauen starrten ihn an. „Vielleicht hat er Angst vor den Wächtern?“, schlug die Rothaarige dann vor, als wäre es das Offensichtlichste der Welt. „Oder der Gesellschaft.“, fügte Levy hinzu. „Sie haben schon öfter bei ihm angefragt, das weiß ich. Aber Van Dyke hat eine sehr hohe Moral und würde sich ihnen niemals anschließen. Sie stellen alles dar, was er verabscheut.“ Natsu verzog beleidigt das Gesicht. „Ich frag ja nur.“ „Vielleicht solltest du das nächste Mal vorher dein Hirn anschalten.“, empfahl Erza ihm spöttisch und suchte unter den zahlreichen Knöpfen neben der Tür nach der Klingel des Professors, fand ihn aber nicht. „Er steht da nicht drauf.“, bemerkte Levy und hob die Hand, als die Tür sich öffnete. Erschrocken sprang sie zurück und auch Erza und Natsu machten einen Schritt nach hinten. Auch die junge Frau im Türrahmen quiekte auf und stolperte beinahe über ihre eigenen Füße, während sie sie anstarrte wie ein Kaninchen die Schlange. Sie trug einen eleganten, hochgeschlossenen Mantel und ihr blaues Haar ringelte sich über den Kragen und die Kapuze. Einen Moment später fing sie sich. „Verzeihung.“, sagte sie höflich und sie warf ihnen einen kurzen Blick aus meerblauen, mandelförmigen Augen zu, ehe sie die Lider senkte und an ihnen vorbeiging. Dabei stülpte sie sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf. Hinter ihr folgte ein gigantischer, dunkelgrauer Hund, der Natsu stark an einen Wolf mit einem massigeren Körperbau und zu viel Fell erinnerte. Die schmalen, roten Augen des Tieres waren misstrauisch auf die Fremden vor der Tür gerichtet und die fedrige Rute hoch erhoben. Er musste seiner Herrin bis zur Hüfte gehen, wenn er nicht sogar noch größer war. Außerdem trug er ein breites, rosa Lederhalsband, das mit Strasssteinen besetzt war und an diesem Monstrum völlig fehl am Platze wirkte. „Komm schon.“, befahl die junge Frau und der Hund schloss zu ihr auf, als sie ihre Schritte beschleunigte und davoneilte. „Wow.“, erklärte Levy und ihre Augen waren nahezu rund. „Hast du jemals so einen großen Hund gesehen? Wie kann sie den in einem Cityapartment halten?“ „Vielleicht wohnt sie nicht hier.“, schlug Natsu vor, während er sich die gleiche Frage stellte. „Kommt ihr?“, unterbrach Erza das unnötige Gespräch und hielt ihnen einladend die Tür auf, die sie aufgefangen hatte, als die junge Frau hinausgetreten war. „In welchem Stock wohnt er?“, wollte Natsu wissen, während sie in den muffig riechenden Eingangsraum traten. Am Aufzug hing ein Blatt mit der Aufschrift ‚Defekt!‘ und direkt daneben führten Stufen nach oben, die Erza ohne zu zögern ansteuerte. „Dritter.“, erklärte Levy und die Stufen knarzten selbst unter ihrem Federgewicht. Auf dem Weg nach oben überholten sie eine alte Dame, die sich mit einem Krückstock die Treppen hinunterkämpfte. Sie wackelte aus dem Weg und lächelte sie freundlich an. Ihr weißes Haar wirkte sehr hell im Halbdunkel des Treppenhauses und ihr Gesicht war voller Runzeln. Der dritte Stock war so düster wie der Rest des Gebäudes, die drei nackten Glühbirnen brachten nicht viel Licht in den langen Flur, der mit einem ausgetretenen Teppich undefinierbarer Farbe ausgelegt war. Am hinteren Ende des Ganges gab es ein einzelnes Fenster, doch draußen war es beinahe ganz dunkel, also machte es den Flur auch nicht heller. In regelmäßigen Abständen waren Türen in die Wände eingelassen, doch keine davon rührte sich, während sie den Flur hinunterliefen. Es war still, so dass nur ihre eigenen Schritte zu hören waren und der gedämpfte Verkehrslärm von draußen. Irgendwie hatte Natsu ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Die ganze Atmosphäre war bedrückend und wie aus einem Horrorfilm. Sie jagte ihm einen Schauer über den Rücken, dabei ließ er sich sonst nicht von solchen Dingen beeinflussen. „Er wohnt in Apartment 3-25, das ist das ganz hinten.“, erklärte Levy aufgeräumt und hüpfte beinahe den Gang hinunter. Sie war offensichtlich erfreut darüber, wieder mit dem alten Knacker zusammenarbeiten zu können und bemerkte die düstere Stimmung gar nicht. Wie sie auf der Herfahrt erzählt hatte, hatte er ihr bei einigen wichtigen Übersetzungen geholfen, nachdem sie es geschafft hatte, ihn zu finden und davon zu überzeugen, dass sie ihn nicht für einen Trottel hielt. Demnach hatten sie es seiner Hilfe zu verdanken, überhaupt so weit gekommen zu sein. „Warum ist die Tür offen?“, durchbrach Erza die Stille und beschleunigte ihre Schritte. Sie stieß die Tür ganz auf, aber Levy drängte sich hastig an ihr vorbei, ehe sie etwas tun konnte, und tastete mit der Hand nach dem Lichtschalter. Kurz darauf flammten die Deckenlampen auf und Natsu stieß einen Fluch aus. „Scheiße!“ Das gesamte Apartment war demoliert. Bücher, die achtlos aus den jede freie Wandfläche bedeckenden Regalen gerissen waren, lagen verstreut auf dem Boden, teilweise sogar in Fetzen. Alle Kissen waren vom Sofa gerissen und aufgeschlitzt worden, genau wie das Sofa selbst. Umgekippte Möbel, zerbrochene Lampen und der überall verteilte Inhalt der Schränke vervollständigten das Bild. In der offenen Küche bedeckten Scherben den Boden und alles war mit Federn bedeckt. Es roch nach Rauch und direkt auf den Fliesenboden des Eingangsbereiches befand sich ein schwarzer Fleck und ein Haufen Asche und einige verkohlte Reste von Büchern. „Aber…“, begann Levy und ihr Gesicht war leichenblass. Dann stürzte sie nach vorne und entwich damit Erzas Hand, die sie aufhalten wollte. „Professor Van Dyke! Professor? Ich bin es, Levy, Levy McGarden! Erinnern Sie sich?“ Levy stieß zuerst eine Tür auf, die ins Schlafzimmer führte, in dem überall Kleider verteilt waren, und dann eine zweite. Währenddessen sprach sie immer weiter, ihre Stimme hoch und panisch. „Professor! Wir haben mal zusammen gearb-“ Ihre Stimme brach abrupt ab. „Oh mein Gott!“ Erza und Natsu wechselten einen Blick und folgen ihr hastig in den kleinen Raum. Es war offensichtlich ein Arbeitszimmer, wenn man nach dem Schreibtisch gehen konnte, und befand sich in einem ähnlichen Zustand wie der Rest der Wohnung. Doch das war nicht das, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Direkt vor dem alten Schreibtisch lag der Professor. Er hatte kurze, graue Haare und einen Schnauzbart, trug altmodische, klischeehaft professorenhafte Kleidung und war mausetot. In seiner Brust steckte ein Dolch mit einem kunstvoll verzierten Griff und eine Blutlache hatte sich unter ihm ausgebreitet. Die Seiten von Büchern, die um ihn verteilt waren, waren bereits rot eingefärbt. „Oh, Professor Van Dyke.“ Levys Stimme brach und sie trat zu ihm, um neben ihm in die Hocke zu gehen. Mit zitternden Fingern tastete sie nach dem Plus, doch sie gab nach einigen Versuchen auf. „Er ist tot.“, erklärte sie unglücklich, als wäre das nicht offensichtlich. „Aber er ist noch warm.“ „Verdammt noch mal!“, zischte Erza und stürzte nach draußen. Die Zurückbleibenden konnten hören, wie sie den Flur hinunterrannte, ehe ihre Schritte verklangen. „Wo will sie hin?“, wollte Levy verdutzt wissen und Natsu zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hofft sie, noch jemanden zu erwischen.“ Er drehte sich wieder zu der Leiche und kratzte sich am Kopf. „Ich will ja nicht unsensibel sein, aber das wirft unseren Plänen einen ganz schönen Knüppel zwischen die Beine.“ Die kleine Blauhaarige warf ihm einen bösen Blick zu. „Du hast recht, das ist unsensibel.“ Sie nahm den Kasten mit ihrem Buch wieder hoch, den sie neben sich auf den Boden gestellt hatte, und drückte ihn an die Brust. Dann stand sie auf und Natsu konnte Tränen in ihren Augen schimmern sehen, während sie den toten Mann ansah. „Und es ist ein ziemlicher Rückschlag für uns. Ich weiß nicht, ob ich ohne seine Hilfe den Text anständig übersetzt bekomme.“ „Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben.“, bemerkte Natsu. „Oder weißt du noch jemanden, der uns helfen kann?“ Sie schüttelte den Kopf. „Niemanden, der uns auf die Schnelle helfen wird und nicht danach sofort für eine schnelle Münze zur Gesellschaft rennt. Nun ja, vielleicht Abate, aber…“ Sie verstummte grübelnd. Natsu blickte sich noch einmal um und zog dann sein Handy aus der Tasche. „Ich rufe erstmal die Polizei. Wir können ihn ja nicht so liegen lassen.“ Levy nickte abwesend, noch immer in Gedanken. Dann hob sie die Hand. „Warte!“, rief sie so abrupt und laut, dass Natsu sein Handy beinahe fallen ließ und sie erschrocken anstarrte. „Was?!“ Doch sie achtete gar nicht auf ihn, sondern drückte ihm die Kiste mit dem Buch in die Hand. „Hier, halt das Mal. Van Dyke hatte Notizbücher… Vielleich sind sie noch da, sie würden mir definitiv helfen!“ Levy rannte in das Schlafzimmer hinüber und schlug den Läufer zurück, der die Dielen vor dem Bett bedeckte. Natsu war ihr gefolgt und schaute ihr jetzt interessiert zu. „Sieht nicht so aus, als hätte dieses Versteck jemand gefunden.“, bemerkte er, während Levy an den Dielen herumfummelte, die sich langsam lösten. „Aber warum hat er seine Notizbücher so versteckt?“ Sie lachte leise. „Er war ein wenig paranoid. Es hat ewig gedauert, bis er mir verraten hat, wo er die Dinger versteckt. Er hat darin alles notiert, was ihm wichtig für seine Forschungen erschien. Vielleicht hat er sich Sorgen darüber gemacht, dass die Wächter seine Aufzeichnungen finden.“ Endlich hatte sie das Brett aus seiner Verankerung gelöst und legte es beiseite. Darunter kam ein Hohlraum im Boden zum Vorschein und sie fasste ohne zu Zögern hinein und tastete darin herum. Natsu verdrehte die Augen und benutzte sein Handy, um Licht zu machen. Levy zog nacheinander elf gut genutzte Notizbücher hervor, die ziemlich zerfleddert aussahen und aus der diverse Zettel hingen. Ein paar waren in Leder gebunden, die meisten allerdings wirkten eher wie billigere Kladden aus dem Supermarkt. Zuletzt beförderte sie ein in ein Tuch gewickeltes Päckchen hervor. „Das ist nur eine Kette.“, erklärte Levy auf Natsus fragenden Blick. „Allerdings eine, von der wir beide vermuteten, dass sie aus Atlantis stammt oder zumindest von einem Überlebenden gefertigt wurde. Tatsächlich hat sie nur sehr wenig zu bedeuten.“ Sie stopfte sich die Kette in die Jackentasche und verschloss das Geheimversteck wieder. Im Schrank fanden sie eine Stofftasche, in der sie die Notizbücher unterbringen konnten. Die würde vermutlich niemand vermissen, also würden sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn sie sie mitgehen ließen. Irgendwie machten sie es gerade zu einer schlechten Angewohnheit, Dinge von Orten mitzunehmen, von denen eigentlich nichts weggenommen werden sollte. Sie strichen den Läufer wieder glatt und verstreuten ein paar Kleider darüber. Die Polizei musste nicht unbedingt wissen, dass sie etwas vom Tatort entwendeten, aber sie brauchten diese Notizbücher. Sie traten zurück vor die Apartmenttür und Natsu tätigte endlich seinen Anruf zur Polizei. Kurz darauf kam Erza zurück, einen unzufriedenen Ausdruck im Gesicht. „Ich habe niemanden gefunden.“, erklärte sie. „Aber die alte Dame, die wir vorhin auf der Treppe getroffen haben, war so freundlich mir zu erklären, dass hier keine jungen Frauen mit großen Hunden wohnen.“ Station 4 – Ankhseram-Tempel, Nähe Hargeon, 14.06.X790 Drei Tage hatte sie das Debakel mit Professor Van Dyke gekostet und Levy hatte ein schlechtes Gewissen, dass das ihr größtes Problem war. Natürlich, sie trauerte um den Mann, der trotz seines Genies von seinen Kollegen so verlacht worden war, der sie, nachdem er sein anfängliches Misstrauen überwunden hatte, stets freundlich und zuvorkommend behandelt hatte und so viel Begeisterung für seine Forschungen hatte aufbringen können. Trotzdem konnte sie nicht umhin, dass ihre Gedanken immer wieder zu der Expedition zurückkehrten. Immerhin, beruhigte sie sich selbst in Gedanken, hing immer noch ein Leben damit zusammen, das sie noch retten konnten, wenn sie es nur schafften, die Rätsel zu lösen, die die Suche ihnen vorwarf. Auch wenn das nicht der richtige Grund für ihren Eifer war – oder zumindest nicht der einzige. Wenigstens hatte sie die verlorene Zeit dafür nützen können, sich in ihre Übersetzung zu vertiefen und genug davon erledigen können, um das nächste Etappenziel festzulegen. Zwar war sie noch im Zweifel darüber, dass ihre Übersetzung korrekt war – Van Dykes Notizbücher halfen, aber sein Wissen und seine Erfahrung wären viel besser gewesen – doch Natsu, ungeduldig und gelangweilt durch das lange Herumsitzen, hatte darauf bestanden, dass sie es zumindest versuchten. Sie würden damit ja nichts verlieren, hatte er gemeint. Während sie sich in ihre Übersetzung vertieft hatte und sie allgemein auf das Okay der Polizei warteten, hatten Lyon und Meredy sich die Stadt angesehen und Happy, Natsu und Gray diverse Fast Food-Restaurants und Diners durchprobiert. Erza dagegen war brütend im Zimmer geblieben und hatte Levy von ihrer Arbeit abgelenkt oder Meredys Laptop geborgt. Was genau sie damit tat, wusste niemand und sie rückte auch nicht mit der Sprache hinaus. Aber Van Dykes Tod hatte etwas in ihr ausgelöst und nun war sie fieberhaft auf der Suche. Nach was verriet sie niemandem. Zwischendurch hatte die Polizei mit den dreien gesprochen, die bei der Entdeckung des Leichnams dabei gewesen waren. Zum Glück hatten sie ein hieb- und stichfestes Alibi für den Zeitpunkt des Mordes – sie hatten gerade in das Hotel eingecheckt und die Kamera sowie die Rezeptionistin bestätigten dies. Weiterhelfen konnten sie auch nicht, da sie nicht wirklich etwas gesehen hatten. Also hatte man sie gehen lassen, nachdem man ihre Kontaktinformationen aufgenommen hatte. Jetzt lenkte Gray den Land Rover auf den weitläufigen Parkplatz des berühmtesten Tempels von Ankhseram in der Nähe von Hargeon. Er erhob sich auf den Klippen und war auch vom Meer her weit zu sehen, ein uraltes Gebäude mit Säulen so dick, dass drei erwachsene Männer sie nicht umfassen konnten und Statuen so fragil, dass sie lebendig wirkten. Vor ein paar Jahren war der Tempel restauriert worden und hatte ein neues Dach bekommen. Jetzt befand sich ein Museum in den alten Hallen, deren Mauern größtenteils original waren, und davor waren ein paar kleinere Gebäude errichtet worden – die Eingangshalle inklusive einem Restaurant, eine kleine Bar und der Souvenirstand. Levy kannte den Tempel noch aus der Zeit, als man einfach so hinlaufen und sich alles ansehen konnte. Sie hatte es noch nicht geschafft, ihn nach der Restaurierung zu besuchen und auch jetzt hatte sie noch gemischte Gefühle über diese Aktion. Ihrer Meinung nach war eine solche Restaurierung unnötig und nahm den Ruinen etwas von ihrem Zauber. Allerdings machte er so wiederhergestellt durchaus etwas her, das musste sie zugeben. Gray parkte den Wagen unter einigen alten Maronibäumen neben einem knallorten Mini und Erza reihte den anderen daneben ein. Nach der langen Fahrt, die sie quer durch das Land gebracht hatte, tat es gut, aus dem Auto zu steigen und sich erstmal zu recken. Gray neben ihr ließ den Nacken knacken, so dass Levy zusammenzuckte, und Happy rannte um die Autos und die Bäume herum, um die überschüssige Energie loszuwerden. Er und Natsu waren während der letzten drei Stunden nur erträglich gewesen, weil sie sich in ihrer Übersetzung vergraben hatte, an der sie immer noch etwas störte. Sie wollte gar nicht wissen, wie Gray die beiden ausgehalten hatte. Vermutlich mit der Drohung, gegen den nächsten Baum zu fahren, falls sie ihn nicht in Ruhe ließen. „Okay, wie wäre es, wenn wir erst einmal etwas essen und dann diese Tafel anschauen?“, schlug Lyon vor und kramte eine Sonnenbrille aus der Tasche. Das Klima hier war sehr viel wärmer als in Van Dykes Heimatstadt und die Sommersonne knallte mit voller Kraft vom Himmel. „Auf keinen Fall!“, beschwert sich Natsu. „Ich bin dafür, erst die Karte anzusehen und herauszufinden, wo wir als nächstes hingehen.“ Erza nickte grimmig; sie war noch immer in einer seltsamen Stimmung und niemand schaffte es, sie aufzuheitern. „Aye!“, stimmte Happy lautstark zu. Während der letzten Tage mussten Gray und Natsu ihm auch noch den Rest über die Expedition erzählt haben, denn er war ebenso begeistert über den Fortschritt wie sein Bruder. „Ich bin auch für Essen.“, stimmte Gray seinem eigenen Bruder zu und Levy, so aufgeregt sie auch war, musste zugeben, dass die Aussicht auf Essen durchaus gut klang. „Ich muss eh noch ein paar Sachen überprüfen.“, erklärte sie und raffte ihre Notizen, Zirkonis‘ Foliant und das Wörterbuch zusammen, um sie in ihre Umhängetasche zu schieben. „Erst Essen.“ Damit schien das Thema vom Tisch zu sein, denn niemand wiedersprach ihr. Meredy blinzelte ihr sogar gutgelaunt zu, ehe sie sich bei ihrem Freund einhängte und die ganze Gruppe machte sich auf den Weg zu den Gebäuden hinüber. Touristen liefen auf dem weitläufigen Gelände umher, die meisten strömten zwischen dem Parkplatz und der Eingangshalle hin und her, doch einige spazierten über die Klippenwege und genossen den schönen Tag. Erza verschwand erstmal aufs Klo, während der Rest sich lärmend einen Tisch am Fenster aussuchte, von dem sie einen guten Blick auf den Tempel hatten. „Das sieht schon beeindruckend aus.“, bemerkte Meredy, die sich den Platz neben Levy gesucht hatte. Von hier konnten sie sogar die größeren Muster auf den Mauern und dem Dachsims erkennen. Die hohe Kuppel war tiefrot glasiert, eine fundierte Vermutung, wie es früher einmal ausgesehen haben könnte, und glänzte in der Sonne. Die eindrucksvolle Fassade erstreckte sich sicher fünf-, sechshundert Meter breit und es waren sogar einige Nebengebäude errichtet worden, allerdings nicht an der Stelle, an der sich die ursprünglichen Fundamente befanden. „Ursprünglich war eine Statue auf dem Dach.“, erklärte Levy. „Aber sie wurde angeblich gestohlen und es gibt keine Beschreibungen.“ Sie setzte sich auf ihren Stuhl und kramte Zirkonis‘ Buch hervor. Gerade, als sie es aufschlug, erschien eine Bedienung, eine junge Frau mit lockigem, dunkelbraunem Haar, das ihr offen über die Schultern fiel. Sie trug ein enges, kurzes Top in Knallrot und eine schwarzes Jeans unter der einfachen Schürze. Auf dem kleinen Schild an ihrem Ausschnitt stand Cana und sie verteilte mit einem freundlichen Lächeln die Menükarten. „Willkommen in Ankhserams Schmaus und Plausch, wisst ihr schon, was ihr trinken wollt?“, begrüßte sie die Gruppe betriebsam. „Schaut mich nicht so an, ich hab den Namen nicht ausgesucht.“ Während die anderen ihre Getränkebestellungen aufgaben, blätterte Levy in ihrem Buch herum, um die Seite zu finden, die die Ortsangaben enthielt. Die Worte der anderen gingen über einfach sie hinweg. „Sagt bloß, ihr seid nicht zum Spaß hier?“, wollte die Bedienung plötzlich direkt neben ihr wissen und sie zuckte heftig zusammen. Cana wich erschrocken einen Schritt zurück und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Tut mir Leid, ich wollte dich wirklich nicht erschrecken.“ „Sch-schon gut.“, beruhigte Levy sie. „Ich war nur vertieft. Nichts passiert.“ Cana hob ihren Block. „Was möchtest du denn trinken?“ „Öhm. Nur ein Wasser bitte.“ Die Kellnerin beugte sich eifrig über ihr Blatt. „Sucht ihr nach Atlantis?“, grinste sie und schob ihren Stift und den Block in ihre Schützentasche zurück. Natsu lachte. „Ist das so offensichtlich?“ „Nun ja.“, gab Cana zu und breitete die Arme aus. „Der Tempel wurde bereits vor zehn Jahren von vorne bis hinten dokumentiert. Da gibt’s nix Neues mehr zu entdecken. Wer hierher kommt, ist entweder ein Tourist oder aber wegen der Steinkarte hier.“ „Oh… Ja.“, gab Levy zu. „Kann man sie denn von Nahem anschauen?“ „Wendet euch an die Museumsführer.“, war die Antwort. „Zuerst haben sie sie hinter eine Glasscheibe gepackt und niemand durfte näher als zwei Meter an sie ran, aber dann gab es ständig Einbrüche. Anscheinend hält euch Irre nichts und niemand davon ab, nach der versunkenen Stadt zu suchen, nicht einmal die Gefahr, ins Gefängnis geworfen zu werden.“ Sie blinzelte ihnen mit einem breiten Lächeln zu, um zu zeigen, dass sie es nicht böse meinte. „Darum kann man sich jetzt einfach formlos melden, seine Berechnungen direkt an der Karte durchführen und wieder verschwinden. Natürlich passen sie auf, dass man nichts kaputt macht.“ „Gut zu wissen.“, murmelte Gray, der sich hinter seiner Menükarte verkrochen hatte, als wollte er sich verstecken. Er und Lyon waren noch immer nicht ganz an Bord mit der Idee, dass die Stadt tatsächlich existierte. Auch wenn Zirkonis und eine Leiche sie arg ins Grübeln gebracht hatten. Cana verschwand wieder und kurz darauf kam sie mit den Getränken zurück, so dass sie die Bestellungen aufgeben konnten. Währenddessen war auch Erza aufgetaucht, die berichtete, dass die Eintrittspreise zum Tempel horrend waren. Zum Glück mussten sie sie nicht aus eigener Tasche bezahlen. Levy bekam nur am Rande mit, wie Meredy und Lyon sich für einen kurzen Spaziergang entschuldigten. Sie nahmen Happy mit, der auf seinem Stuhl nicht stillsitzen konnte, und die anderen drei steckten die Köpfe zusammen und redeten leise miteinander. Als das Essen kam, hatte Levy ihre Übersetzung dreimal überprüft und noch keinen Fehler gefunden, also gab sie erstmal auf. Eine und eine halbe Stunde später hatten sie endlich ihre Eintrittskarten und machten sich auf den Weg hinüber zum Museum. Im Inneren des Tempels war es kühl und hell. Die Fresken an den Wänden waren noch original, wenn auch an einigen Stellen aufgebessert worden. Wären sie nur aus Spaß hier, wäre Levy begeistert von einem Schaukasten zum nächsten gerannt und hätte sich alles eingehend angesehen. Sie mochte nicht damit übereinstimmen, dass der Neuaufbau eines alten Gebäudes der richtige Weg war, aber Mann, hatten die daraus etwas Tolles gemacht! Stattdessen gesellten sie sich zu einer der Führungen, die sie mit einer fachkundigen Kraft durch das Museum führte. Diese stellte sich als eine hübsche, junge Blondine heraus, die ein elegantes Kostüm trug und durchaus wusste, von was sie sprach. Das Namensschild an ihrer Brust nannte sie Jenny und ihr Lächeln war freundlich und einladend. Levy wusste schon über alles Bescheid, das die Führerin ihnen erzählte, aber die anderen hörten gespannt zu. Der Tempel war so alt wie Atlantis‘ Untergang und anscheinend von einem Überlebenden errichtet worden – das erzählte Jenny ihnen natürlich mit einem nachsichtigen Lächeln das genau zeigte, was sie von dieser Anekdote hielt. Es gab ziemlich viele Geschichten und Legenden darüber, aber niemand hatte hier je irgendwelche Beweise auf Atlantis selbst gefunden. Es gab Gerüchte, dass die Gesellschaft der Wahren Morgendämmerung bereits vor hundert Jahren alles unter den Nagel gerissen hatte, was es in dieser Hinsicht zu finden gab. Nach allem, was Levy über die Gruppe wusste, konnte dies durchaus der Fall sein. Sie horteten alles für sich, was aus Atlantis kam. Schließlich erreichten sie den Hauptraum des Tempels, einen langgestreckten Saal mit einem Podest am Ende, auf dem eine fünf Meter hohe Statue von Ankhseram stand. Doch das war nicht, was Levys Blick auf sich zog, denn in der Mitte erhob sich die Steinkarte. Sie musste genauso alt wie der Tempel sein und hatte die Jahre in einem bemerkenswert guten Zustand überstanden. Wer sie geschaffen hatte, wusste niemand, aber sie war ein zentraler Anlaufpunkt für alle Atlantisforscher, denn es gab hunderte Hinweise, die sich auf sie stützten. Es handelte sich dabei um eine Karte von Ishgar, die auf eine gigantische, quadratische Platte geschlagen war, die, im Boden verankert, aufrecht in der Mitte der Halle stand. Darauf zu sehen waren kaum Ortschaften, keine Straßen und erst recht keine Namen. Aus dem Stein waren jedoch alle wichtigen Punkte und Landmarken herausgearbeitet worden, Berge, Flüsse, Seen, Wälder, die Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überstanden. Unter den wenigen Städten, die sich darauf befanden, gehörten Crocus, die Hauptstadt des damaligen Imperiums, Magnolia, Dahlia im Süden und natürlich auch Hargeon. Sie alle waren schon vor zweitausend Jahren Metropolen gewesen und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Dazu kamen ein paar imaginäre Anhaltspunkte, die in den Texten immer wieder auftauchten – der Mittelpunkt der Welt, der Ort der Götter und ähnliches. Außerdem war die Karte erstaunlich präzise. Dies war nicht das erste Mal, dass sie die Karte sah, genau genommen hatte für sie alles damit begonnen, als sie sie als zehnjähriger Stöpsel das erste Mal erblickt hatte. Denn in ihrem kindlichen Hirn hatte sich die Frage festgebrannt: Wer machte sich all diese Mühen für einen dummen Mythos? Niemand. Und das war all der Beweis, den sie für Atlantis‘ tatsächliche Existenz benötigt hatte. Ihre Archäologieprofessor-Eltern hatten ihre Obsession mit der legendären Stadt zwar weder gutgeheißen noch unterstützt, trotzdem hatte sie sich mit Begeisterung auf ihr eigenes kleines Forschungsprojekt gestürzt, das sie bis heute verfolgte. Und jetzt stand sie endlich hier, vor diesem Stein, bereit, ihre eigene Theorie daran auszuprobieren. „Entschuldigen Sie, können wir die Karte näher ansehen?“, unterbrach Natsu die Führerin kaltschnäuzig. Die junge Frau schob ihre randlose Brille die Nase hoch und fragte: „Sagen Sie bloß, Sie sind auf der Suche nach Atlantis.“ „Klar.“, antwortete der junge Mann und verschränkte seine Hände hinter seinem pinkhaarigen Schopf. „Also?“ „Vielleicht sollten wir das nicht überall so hinausposaunen.“, murrte Erza neben Levy, wenn auch leise genug, dass nur ihre Begleiter sie verstehen könnten. „Das ist gefährlich! Was, wenn die Wächter auf uns aufmerksam werden?“ Jenny verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln und warf einen entschuldigenden Blick in die Runde. „Tut mir Leid, dass ich Sie jetzt damit aufhalten muss.“, begann sie, sich an den Rest ihrer Gruppe wendend, und sie hätte nur deutlicher werden können, dass sie alles für den größten Blödsinn der Welt hielt, wenn sie dies laut ausgesprochen hätte. „Aber eine unserer Vorschriften im Museum lautet, dass wir einer solchen Bitte nachkommen müssen. Das sollte nicht lange dauern. Bitte schauen Sie sich doch währenddessen schon einmal die bekannte Statue von Ankhseram an, die vor über zweitausend Jahren aus dem Fels der Klippen gehauen wurde.“ Gemurmel und Gelächter erhob sich unter den Leuten, doch die meisten schienen alles für einen großen Spaß zu halten. „Das ist so aufregend!“, bemerkte eine ältere Frau. „Was für ‘n Quatsch.“, wiedersprach jemand anderes. „Haltet ihr es wirklich für möglich, dass ihr die Stadt findet?“, fragte eine dritte Person, ein Mann mittleren Alters. Jenny rang sich ein weiteres Lächeln ab. „Natürlich werden sie die Stadt nicht finden, denn sie existiert nicht. Aber um Vandalismus und Einbrüchen vorzubeugen, müssen wir diesen Kompromiss eingehen. Bitte, nur ein oder zwei von Ihnen.“ Mit dem letzten Satz wandte sie sich an Natsu und seine Begleiter. Levy stieg ohne zu zögern über die niedrige Absperrung, obwohl sie sich der vielen Blicke bewusst war, die auf ihr lagen. Die meisten Leute waren weitergewandert, aber ein paar waren zurückgeblieben und sahen interessiert zu. Meredy war es, die ihr folgte, die Kamera in der Hand; offensichtlich hatte sie keine Probleme damit, die neugierigen Besucher zu ignorieren. Jenny beobachtete sie mit Argusaugen, als sie ihr Notizbuch aus der Tasche holte und darin herum blätterte, bis sie die Stelle fand, wo sie alle Informationen über ihr nächstes Ziel aus Zirkonis‘ Buch zusammengefasst hatte. Die Worte leise vor sich her murmelnd trat sie an die Karte und begann, vom Mittelpunkt ausgehend. Mit einem mitgebrachten Lineal maß sie die Entfernungen ab. Meredy half ihr dabei. Als sie sich schließlich dem Ende näherten, versuchten sie mit ihren Körpern die Blicke der neugierigen Leute aufzuhalten. Schließlich landete Levys Finger auf einer bestimmten Landmarke und sie hob die Augenbrauen. „Okay.“, sagte sie zu der jungen Frau neben sich. „Wenigstens ist es am Meer?“ Meredy hob unschlüssig die Schultern und machte ein Bild, ehe sie zu ihren Freunden zurückkehrten. „Das war’s?“, wollte Natsu enttäuscht wissen und Gray lachte. „Was hast du erwartet? Feuerwerk und Trompetenstöße?“ „Ich weiß nicht.“ Natsu zuckte mit den Schultern. „Irgendwas?“ Jenny trat zu ihnen und ihre Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten. „Sind Sie fertig? Ich denke, es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen.“ Lyon verzog enttäuscht das Gesicht. „Ich hätte gern noch den Rest der Führung gesehen.“ Die Frau schaute ihn ein wenig verschnupft an, als hätte er sie beleidigt, und antwortete: „Ich vertraue darauf, dass Sie den Ausgang alleine finden.“ Damit wandte sie sich ab und ging weiter, bereits die Gruppe zusammenrufend. Betreten blickten die Zurückbleibenden sich an. „Wir scheinen jemanden beleidigt zu haben.“, meinte Gray schließlich. „Aye.“, stimmte Happy gutgelaunt zu. „Aber was geht die das an?“ „Ist doch unser Problem, was wir mit unserer Zeit anstellen.“, murrte Natsu, dann zuckte er mit den Schultern. „Also gut. Ein paar Stunden ist es noch hell, wir können also noch ein paar Kilometer hinter uns bringen, was sagt ihr?“ Allgemein zustimmendes Gemurmel antwortete ihm; sie würden hier nicht bleiben, wenn sie nicht willkommen waren, auch wenn Levy das bedauerte. Sie selbst hätte die Führung theoretisch beenden können. Allerdings konnten sie zurückkehren, wann immer sie wollten, tröstete sie sich mit einem bedauernden Blick auf die Ausstellungsstücke. Meredy machte noch ein paar Bilder von der Steinkarte, dann kehrten sie zu den Autos zurück. Cana die Bedienung stand neben dem Mini und kramte in ihrer Handtasche. Als sie sie kommen sah, lächelte sie sie an. „Und, habt ihr Atlantis gefunden?“ Sie schien ebenso viel von dem Mythos zu halten wie die Führerin im Museum, aber sie sprach nicht derartig herablassend mit ihnen und schien die ganze Sache mit Humor zu nehmen. „Nein, noch nicht.“, gestand Levy. „Das tut mir leid. Wo soll’s jetzt hingehen?“ „Genau, wo geht’s hin?“, schaltete sich auch Natsu ein, der wie alle anderen keinen Blick auf ihr Ziel hatte erhaschen können. „Gallowstown.“, erklärte Meredy launig. „Hoffentlich ist der Name kein Omen.“ ~~*~~♒~~*~~ Station 5 – Höhlensystem, Nähe Gallowstown, 16.06.X790 „Nimm meine Hand. Langsam.“ Das Seil spannte sich unter Lyons Gewicht, als er sich weiter zur Seite reckte. Seine Fingerspitzen waren nur Zentimeters von Erzas entfernt, die an der Wand klebte wie eine Spinne, den Arm nach ihm ausgestreckt. Die andere Hand hatte sie im Stein verkrallt, ihre Stiefel steckten in Felsspalten. Einige Strähnen ihrer roten Haare, die ihrem Pferdeschwanz entkommen waren, klebten ihr im schweißnassen Gesicht. Unter ihr öffnete sich der Fels zu einem Abgrund. Wie tief es genau hinunterging, hatten sie nicht herausgefunden, da die Lichter ihrer Taschenlampen nicht so weit reichten, und sie hofften, dass Erza es nicht auf eine weniger angenehme Art herausfinden musste. „Komm schon, du schaffst das!“, murmelte Gray neben ihm und Natsu fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Diese ganze Aktion war eine Katastrophe gewesen. Gallowstown war ein Reinfall und sie hatten auf Meredy hören sollen, die nicht begeistert von dem Vorhaben gewesen war und immer wieder erklärt hatte, dass sie kein gutes Gefühl bei der Sache hatte. Anscheinend hatte sie gute Instinkte, denn das Höhlensystem – halb natürlich, halb von Menschenhand erbaut – in dem sie sich gerade herumtrieben, war nicht ungefährlich und ganz sicher nicht ihr gewünschtes Ziel. Ein rollender Stein, wie direkt aus einem Indiana-Jones-Film, war nur die kleinste Überraschung gewesen. Vermutlich hatte Zitrone an Leute wie sie gedacht, als er von ‚Unwürdigen‘ gesprochen hatte, die sich Hals über Kopf in unausgegorene Abenteuer stürzten, ohne richtige Pläne und mit falschen Informationen. Levy hatte die ganze Zeit noch darüber gemotzt, dass bei ihrer Übersetzung etwas nicht passte, und inzwischen waren sie alle überzeugt, dass Zirkonis sie entweder absichtlich in die Irre geführt hatte oder sie schlichtweg den falschen Ort erwischt hatten. Im Moment war die kleine Historikerin nicht dabei – sie und Meredy waren mit Happy in der Pension zurückgeblieben. Happy hatte zwar heftig protestiert, aber Natsu würde sich eher eine Hand abhaken, als seinen kleinen Bruder in eine so unkalkulierbare, potentiell gefährliche Situation mitzunehmen. Zu Recht, wie sie bald bemerkt hatten und sich jetzt wieder einmal bestätigt hatte. Meredy hatte versprochen, ihn zu beschäftigen und sie und Levy konzentrierten sich hoffentlich in diesem Moment noch einmal auf den Folianten aus der unterirdischen Anlage. „Okay, nur noch ein Stück.“, durchschnitt Lyons Stimme seine Gedanken und Natsu riss sich ins Hier und Jetzt zurück. „Lasst mir noch etwas Seil.“, brüllte der Weißhaarige über seine Schulter zurück und Gray tat wie geheißen. Das Tau spannte sich um eine natürliche Säule herum und knarzte leise, doch es bewegte sich langsam. Vorsichtig machte Lyon einen weiteren Schritt und Erzas Hand schloss sich um sein Handgelenk. Gray atmete erleichtert auf und Natsu griff nun ebenfalls nach dem Seil. „Okay, jetzt zurück, Stück für Stück, langsam.“, wies Lyon sie an und sie taten wie geheißen, um die beiden sicher auf den Vorsprung zu schaffen, auf dem sie selbst momentan standen. Das war ein weiteres ihrer Probleme. Sie wären schon längst hier draußen, wenn sie den gleichen Weg nehmen könnten, den sie auch hineingekommen waren. Aber so viel war ihnen wohl nicht vergönnt, denn das war ihnen nun unmöglich, nachdem an einer Stelle die halbe Decke heruntergekommen war, nachdem Natsu gegen einen Felsen gestolpert war. Aber sie würden schon einen Rückweg finden. Einige Minuten später kletterten Lyon und Erza über den Absatz und waren für den Moment erstmal in Sicherheit. „Das war knapp.“, bemerkte die junge Frau, nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Allein hätte ich das wohl nicht geschafft.“ Sie schien es sich nicht anmerken zu lassen, doch es war trotzdem für sie alle sichtbar: sie hatte Todesangst gehabt. Natsu konnte es ihr nicht verübeln und auch die Milkovich-Brüder sagten nichts dazu. Stattdessen reichte Gray ihr eine Trinkflasche und klopfte Lyon auf die Schulter, der sich daran machte, seine Ausrüstung wieder einzusammeln. Ein Glück, dass er sich bereit erklärt hatte, sie zu begleiten. Seine Expertise war unbezahlbar. „Da sind sie!“, ertönte plötzlich eine laute Stimme und erschrocken fuhren sie herum. Waren sie denn etwa nicht allein?! Anscheinend nicht, denn auf der anderen Seite des Abgrundes tauchten einige Leute aus einem der Gänge auf. Sie alle trugen sehr zweckmäßige Kleidung, die einiges aushielt und militärisch anmutete, Rucksäcke, Seile und Pistolen. Ihr Anführer schien ein hochgewachsener, muskulöser junger Mann zu sein, mit wildem, dunklen Haar und bronzefarbener Haut. Er trug ein Stirnband und goldene Kreolen in den Ohren, die einzigen Attribute, die ihn von seinen Lakaien unterschieden. „Hey man, wie hab ihr es geschafft, so einfach an uns vorbeizukommen?“, brüllte er herüber und Erza verengte misstrauisch die Augen. „Packt eure Sachen.“, zischte sie den anderen zu, die sich eilig beeilten, dem Befehl nachzukommen. „Wir sind hier einfach hineingelaufen!“, antwortete sie auf die Frage. „Wenn ihr alle Tomaten auf den Augen habt, ist das nicht unser Problem! Wer seid ihr überhaupt?“ „Mein Name ist Ajeel Ramal.“, erklärte der Mann und hob beide Hände um zu zeigen, dass er ihnen nicht feindlich gesinnt war. Trotzdem stellte die Pistole an seinem Gürtel eine Aussage dar, mit der Natsu nicht zurechtkam. Auch die anderen schienen sich nicht sehr behaglich zu fühlen. „Und ihr seid Leute auf der Suche nach Atlantis.“ Sein Ton war gelassen und nichts deutete darauf hin, dass er etwas an dieser Idee lächerlich fand. Seine nächsten Worte bestätigten dies: „Genau wie wir. Wir können uns gegenseitig helfen.“ Er machte eine Bewegung zu seinen Männern, die ihre Waffen nun endgültig wegzustecken. „Ich meine, es kostet ja nichts, Infos auszutauschen, oder? Vielleicht habt ihr neuen Input für uns und wir können euch ganz sicher mit einiger Erfahrung dienen. Immerhin tun wir und unsere Gruppe das schon eine ganze Weile. Auf jeden Fall könnten wir euch helfen, hinauszufinden. Wir kennen uns hier unten ganz gut aus.“ Natsu runzelte die Stirn. Gruppe? „Wir dachten immer, dass hier jeder für sich allein nach Atlantis sucht.“, gab Erza zu. Ajeel winkte ab. „Ach was, wer hat euch diesen Blödsinn erzählt? Wir arbeiten gerne mit Neulingen wie euch zusammen.“ Er lächelte leicht. „Denn das seid ihr, nicht wahr? Dies ist euer erster Versuch. Dafür ist es wirklich erstaunlich, wie weit ihr es schon geschafft habt.“ „Naja…“, gab die Rothaarige zu. „Wir haben unsere Quellen.“ Der Fremde nickte. „Das sehe ich. Wobei ich euch mitteilen muss, dass ihr hier nichts finden werdet. Ziemlich viele Eingeweihte sind schon hier durchgekommen, das hier ist sozusagen unser geheimes, kleines Versteck. Ein ziemlich tödliches für viele, aber wer nicht stark genug ist, hat auf dieser Jagd sowieso nichts zu suchen.“ „Zusammenarbeit, verarschen kann ich mich auch selbst.“, knurrte Gray leise. „Ziemlich herzlos.“, stimmte auch Lyon zu und Natsu konnte nur nicken. Wer so abfällig über menschliches Leben sprach, hatte ganz sicher nicht vor, seine wichtigen Informationen mit jemandem zu teilen. Ajeel schien ihr Widerstreben zu bemerken, denn er trat noch einmal vor, bis er am Rande des Simses stand. „Ein kleiner Hinweis, der euch nichts kosten wird, als Zeichen unseres guten Willens.“ Er breitete die Hände aus. „Wir haben einen der Wächter hier herumschleichen sehen. Hütet euch. Die haben echt was dagegen, dass man interessante Spuren weiterverfolgt und sind manchmal recht schnell mit der Klinge zur Hand. Wir wollen ja nicht, dass euch etwas zustößt.“ „Danke für den Hinweis.“, antwortete Erza trocken, doch die anderen wechselten beunruhigte Blicke. Sie waren erst so kurz im Spiel und schon trafen sie auf Wächter? Irgendetwas mussten sie richtig machen, wobei der Schwierigkeitsgrad jetzt nur stiegen würde. Immerhin hatten die Wächter ihnen bereits bewiesen, dass sie über Leichen gingen. Ganz zu schweigen von all den Geschichten über sie, an denen etwas dran sein musste. Vielleicht hätte er Happy doch nicht mitnehmen sollen… „Nun, was sagt ihr zu unserem Angebot?“, riss Ajeels laute Stimme Natsu aus seinen Gedanken. „Wir wissen noch nicht einmal, für wen ihr arbeitet!“, widersprach er laut. „Wir übergeben euch sicher nicht treuherzig unsere Quellen!“ Ein verärgerter Ausdruck huschte über das Gesicht des Fremden, doch er fing sich rasch. „Wir gehören zu einer Gruppe, die es sich schon vor langer Zeit die Aufgabe gemacht hat, Atlantis zu finden.“, antwortete er. „Auf dass die Technologie die Welt und das Leben der Menschen verbessert.“ Und plötzlich wusste Natsu, wer sie waren. Oder besser: zu wem sie gehörten. „Die sind von der Gesellschaft.“, zischte er. „Lasst uns verschwinden.“ Mit denen wollte er nichts weiter zu tun haben; er konnte sie nicht leiden, seit sie ihm seinen Bruder weggenommen hatten, ohne es überhaupt zu bemerken. „Nein, danke.“, wehrte er ab. „Ich glaube, wir versuchen unser Glück allein. Schönes Leben noch!“ Damit wandte er sich um, schulterte seinen Rucksack und betrat den von Menschen erbauten Flur hinter ihrem Vorsprung. Die anderen folgten ihm schweigend. „Die starren uns hinterher.“, erklärte Gray, der einen Blick über die Schulter warf. „Aber ich glaube nicht, dass sie uns aufhalten werden. Jetzt noch nicht zumindest.“ „Wir müssen jetzt dreifach aufpassen.“, erklärte Erza. „Nicht nur, dass dieses Höhlensystem eine Todesfalle ist, jetzt haben wir auch noch Kontakt mit der Gesellschaft gemacht und wenn es stimmt, was der Typ gesagt hat, dann sind die Wächter ebenfalls hier… Und ich kann ehrlich nicht sagen, wer von denen schlimmer ist.“ „Lasst uns von hier verschwinden, so schnell wir können.“, knurrte Lyon. „Dann schnappen wir die anderen und suchen uns ein Versteck, wo wir bleiben können, bis Levy die Übersetzung geknackt hat.“ Das Höhlensystem war bei weitem uninteressanter als Zirkonis‘ unterirdische Stadt. Oft bestanden die Wände aus unbehauenem Fels, in den meisten Fällen gegraben von Wasser und nicht von Personen. Hin und wieder kamen sie jedoch an Plätzen vorbei, die eindeutig von Menschen bearbeitet waren, darunter behauene Säulen, die die Decke stützten, Steinplatten und Quader, die Mauern bildeten, gigantische alte Wandgemälde in unterschiedlichen Stilen – einige aus der Zeit von Höhlenmenschen, andere jünger, wenn auch immer noch alt. Levy könnte ihnen sicher einiges darüber erzählen, doch sie war nicht hier. Sie wäre sicher auch sehr entzückt über all die Toten, die sie hier unten fanden. Anscheinend hatte einer der primitiven Stämme, die dieses Gebiet einst bewohnt hatten, die Höhlen als gigantische, natürliche Grabanlage verwendet. Sie lagen in Nischen gebettet oder in Steinsärge, reihenweise Urnen, die auf dem Boden oder auf Simsen aufgestellt waren wie Entenküken hinter der Mutter. Manchmal hatte man die Körper einfach aufeinandergeschichtet und nun lagen die Knochen in seltsam sauberen Haufen. Einige der Ruhestätten davon waren eindeutig durchwühlt worden – vermutlich hatte man die Grabbeigaben gestohlen. Ein paar davon sahen sie immer noch, meistens Keramiken, an denen Grabräuber vermutlich kein Interesse hatten, hin und wieder spannendere Dinge wie die Überreste von Waffen, Glasperlen, manchmal sogar Goldschmuck, wenn es sich dabei um Gänge handelte, die seltener betreten wurden. Keiner von ihnen dachte auch nur daran, die Dinge anzufassen. Vermutlich wäre Levy die einzige von ihnen, die dies wagen würde – selbstverständlich aus rein wissenschaftlichem Interesse, ohne auf den materiellen Wert der Gegenstände zu achten oder ihn überhaupt zu bemerken. Vermutlich hätte sie eh mehr Interesse an der Keramik. Natsu erinnerte sich an mehr als ein Gespräch, das er mit ihr bis tief in der Nacht gehabt hatte, bei der sie sich über die Unterschiede von Keramik, ihrer Machart und ihrem Aussehen in verschiedenen Völkern ausgelassen hatte. Oder vermutlich war ‚Monolog‘ die bessere Bezeichnung gewesen, denn er selbst konnte sich an einem solchen Gespräch kaum beteiligen. Aber Levys Begeisterung riss ihn manchmal einfach mit, da war es leicht, selbst für so ein obskures Thema Enthusiasmus aufzubringen. Im Moment durchquerten sie eine riesige Kaverne auf einem Sims, der einige Meter über dem Boden an der Wand entlang führte. Zumindest vermutete er das, denn der Boden war nicht zu sehen, da die gesamte Höhle einen unterirdischen See darstellte. Ob dies hier der tiefste, betretbare Punkt des Höhlensystems war? Tropfsteine hingen von der Decke und ragten aus dem spiegelglatten See, über den kaum Wellen rollten. Kristallene Strukturen zogen sich durch die Wände, manchmal wie dünne Adern, manchmal ganze Flächen, die das Licht ihrer tragbaren Strahler funkelnd zurückwarfen. Hin und wieder erhaschten sie Blicke auf weitere, natürliche Stege, die über den See führten, quer durch die Dunkelheit. Plätschern erfüllte die Höhle, das als Echo von den Wänden zurückgeworfen wurde. „Irgendwie ist das unheimlich.“, murmelte Lyon, seine Stimme gesenkt, damit der Wiederhall sie nicht aufgreifen konnte. „Hast du etwa Angst?“, stichelte Gray sofort, wenn auch ebenso leise und Lyon schnaubte. „Ich sag ja nur.“ „Mir kommt es gerade fast so vor. Brauchst du jemanden, der dir ein Händchen häl…“ „Psssst!“, fuhr Erza heftig dazwischen. „Habt ihr das gehört?“ Augenblicklich verfielen sie in Schweigen und lauschten angestrengt. Gerade wollte Natsu verneinen, als ein leises Scharren ertönte und sofort riss Erza ihren Lichtstrahler herum und ließ ihn durch die Dunkelheit schneiden, doch alles, was er beleuchtete, waren Felsen und Tropfsteine und Wasser und… Dann erfasste er eine dunkle Silhouette und Erza hielt abrupt inne – schlank und hochgewachsen, gekleidet in einen langen, schwarzen Mantel, der Kopf unförmig und groß und mit gigantischen Augen, die das Licht zurückwarfen… Dann duckte sich die Kreatur hinter einen Stalagmiten und verschwand aus ihrem Blickfeld. „Okay, was war das?“, fragte Natsu verdutzt und Erza verzog grimmig das Gesicht. „Eine Person, die uns beobachtet hat. Lasst uns von hier verschwinden.“ „Aber…“ Auf ihn hatte das nur entfernt an einen Menschen erinnert. Doch Erza rollte mit den Augen. „Das war eine Maske, du Idiot. Und wenn ich dich mit der Nase darauf stoßen muss: Ajeel und seine Leute tragen ganz sicher keine.“ „Nun, das ist unangenehm.“, murmelte Lyon und wich langsam zurück. Die anderen taten es ihnen gleich, standen sie doch von Angesicht zu Angesicht mit Ajeel und seinen Männern, die eben auf der anderen Seite der Halle einen Gang verlassen hatten. Keiner von ihnen sah sehr glücklich über diese Begegnung aus. Sie wirkten eher sehr, sehr grimmig. Der dunkelhäutige Anführer hob beide Hände. „So sieht man sich wieder.“, begrüßte er sie mit einem Grinsen. „Habt ihr es euch vielleicht doch noch mal überlegt? Eine Zusammenarbeit könnte wirklich von gegenseitigem Nutzen für uns alle sein.“ Doch seine Leute straften diese freundlichen Worte Lügen, denn diesmal hielten sie sich nicht zurück damit, die Waffen auf Natsu und seine Freunde zu richten. ‚Unangenehm‘ traf die Situation nicht ganz… Ajeel zuckte mit den Schultern und griff nach seiner eigenen Pistole. „Entweder seid ihr mit oder gegen uns. Und wir mögen keine Konkurrenten.“ „Weil es auch so motivierend ist, sich einem anzuschließen, wenn man jemanden mit der Waffe bedroht, richtig?“, wollte Erza sarkastisch wissen und Natsu schluckte. Er jedenfalls fand es ziemlich überzeugend. Auch wenn er natürlich kein Interesse daran hatte, tatsächlich mit der Gesellschaft in die Kiste zu steigen. Aber vielleicht konnten sie so tun? Die kannten sich hier unten wenigstens etwas aus, wenn man Ajeels Worten von vorhin Glauben schenken konnte, und sie konnten ihnen sicher einen Ausweg zeigen… „Ich hielt es immer für ein ganz überzeugendes Argument.“, echote Ajeel Natsus Gedanken, während seine Männer sich ausfächerten. Natsu fragte sich, ob sie wirklich schießen würden. Er hatte gewusst, dass ihre Expedition nicht ganz ungefährlich werden würde, aber dass sie gleich zu den Waffen griffen, hatte er nicht angenommen! Oder taten sie das nur, weil hier unten eh genug Leute verschwanden, so dass ein paar mehr nicht auffallen würden? Da zog er einen anständigen Faustkampf doch alle mal vor. Trotzdem sagte er nichts und als Erza kommandierte: „Lauft!“, fuhr er mit den anderen herum und rannte in den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren. Zum Glück ging es nach ein paar Metern bereits um eine Ecke und kurz darauf würden sie eine Kreuzung erreichen… Hinter sich hörte er einen aufgebrachten Fluch und dann das Kommando: „Hinterher! Lasst sie nicht entkommen. Fangt sie lebendig, aber wenn einer was abkriegt, ist mir das auch egal!“ „Nicht stehen bleiben!“, drängte Erza und bog in den erstbesten Gang ab. Sie folgten ihm rennend; Natsus Rucksack stieß mit jedem Schritt gegen seinen Rücken, Gray neben ihm fluchte leise vor sich hin und Erza trieb sie mit unbarmherzigen Worten voran. Sie schien genau zu wissen, was sie tat. Hinter ihnen waren laute Rufe und trampelnde Schritte zu hören und Ajeels wütende Stimme, die abwechselnd seine Männer antrieb und den Flüchtenden Drohungen und Flüche hinterherschrie. Sie schlugen Haken, bogen wahllos in Gänge ab und Natsu schickte einen kurzen Dank in den Himmel dafür, dass sie alle trainiert und jung waren. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie jemanden dabei gehabt hätten, der diese halsbrecherische Geschwindigkeit nicht durchgehalten hätte. Dazu kam, dass sie nur ihre Taschenlampen als Lichtquellen hatten und die Kegel tanzen über die Wände und den unebenen Boden, so sehr sie auch versuchten, sie still zu halten. Das machte ihnen das Vorankommen nicht gerade leichter und einmal schlug Lyon sich beinahe den Schädel ein, als er fast in einen überstehenden Felsvorsprung hineinrannte. Die Stimmen hinter ihnen wurden weniger, aber nicht leiser, und mit jedem Schritt schien es immer unwahrscheinlicher, dass sie ihre Verfolger abhängen konnten. Verdammt, verdammt, verdammt! Er würde es sich nie verzeihen, wenn er Happy allein lassen würde! „Macht euch bereit zu springen!“, kommandierte Erza plötzlich und Natsu spähte an ihr vorbei. Tatsächlich, ihr Weg endete abrupt an einer weiteren Schlucht und ging auf der anderen Seite etwas unterhalb weiter. Der Abstand musste etwa zwei Meter betragen, was an und für sich nicht sehr weit war. Aber… Erza zögerte keine Sekunde, sie raste einfach weiter und sprang… um sich auf der anderen Seite geschickt abzurollen. Auch Lyon hatte keine Probleme, aber Gray wankte beim Aufkommen einen Moment und Natsu wusste bereits beim Absprung, dass etwas schief gehen würde. Hart kam er auf dem Sims auf der anderen Seite auf und glitt aus. Er schlug mit dem Kinn am Boden auf und seine Füße traten plötzlich in die Leere, und er rutschte und tastete verzweifelt nach allem, was ihn von einem Absturz bewahren würde, aber Steine und Staub lösten sich unter seinen Händen… Ihm war plötzlich übel und das Gefühl, in die Leere zu treten- Starke Finger schlossen sich um sein Handgelenk und seine Rutschpartie kam abrupt zum Stoppen. Natsu starrte mit weit aufgerissenen Augen in Grays Gesicht und war nicht zum ersten Mal dankbar um dessen schnelle Reflexe. Einen Moment später packte auch Lyon zu und gemeinsam zogen sie den Pinkhaarigen wieder zurück auf den sicheren Grund. „Haben wir euch!“, ertönte über ihnen plötzlich eine Stimme und Steine schlugen auf den Felswänden auf, als sie hinunterfielen. „Oh nein.“, murmelte Gray und Natsu drehte sich in seiner hockenden Stellung um, um den Blicken seiner Freunde zu folgen, während sie alle versuchten, ihren keuchenden Atem zu beruhigen. Einige Meter über ihnen auf einer kleinen Brücke über dem Abgrund standen drei von Ajeels Männern. Sie hoben jetzt ihre Waffen und richteten sie auf Natsus Team. „Keine Bewegung oder wir können für nichts mehr garantieren.“, grinste einer von ihnen, ein wahrer Riese von einem Mann. Natsu schielte zu dem Gangeingang hinüber, der ihnen Schutz bieten würde. Aber sie würden einige Augenblicke brauchen, um ihn zu erreichen, genug Zeit für ihre plötzlich schrecklichen Feinde, sie einfach abzuschießen wie Hühner auf der Stange. Zumindest einen von ihnen würde es erwischen, so viel Glück konnten sie gar nicht haben. „Ganz recht, ihr sitzt in der Falle.“, triumphierte der Riese und seine Freunde grienten. „Aber…“, begann Natsu unwillkürlich, doch weiter kam er mit seinem Protest nicht. Wie aus dem Nichts stürmte eine weitere, völlig in schwarz gekleidete Gestalt auf die Brücke, bewaffnet mit einem Stock. „Hey, was…!“ Einer der Männer fuhr herum, doch bevor er die Drehung ganz vollenden konnte, schnellte der Stock des Fremden hoch und traf ihn hart in die Seite. Natsu würde nie den Schrei des Mannes vergessen, als er fiel. Tief unten konnten sie ihn nach viel zu vielen Augenblicken dumpf aufschlagen hören. Aber der Angreifer kümmerte sich gar nicht darum, sondern fuhr in einem tiefen Kick herum und fegte dem zweiten die Beine unter dem Körper weg, so dass auch er schreiend über den Rand der Brücke stürzte. Der Riese jedoch wich tänzelnd zurück und riss seine Pistole hoch. Er schoss, doch die Kugeln pfiffen nutzlos an dem tödlichen Feind vorbei, der einfach weiter nach vorne strebte. Jetzt ergriff er auch mit der zweiten Hand seinen Stock und riss diesen mit einer fließenden Bewegung auseinander. Da bemerkte Natsu seinen Fehler; das war gar keine leicht gebogene Stange, sondern ein Katana, deren Klinge im Licht der Taschenlampen glänzte. „Ihr verdammten Wäch…“, brüllte der Riese, doch der Satz ging in einem nassen Gurgeln unter, als die Klinge an seiner Verteidigung vorbei in seine Brust eindrang. Der Angreifer trat einen Schritt näher und schien dem Mann etwas zu sagen, denn erst nach einem Moment nutzte er sein Schwert, um auch den Riesen von dem Sims zu stürzen. Der Mann fiel schweigend, bereits tot, ehe er unten ankam. Der gesamte Angriff hatte nur ein paar Augenblicke gedauert und Natsu war zu bestürzt, um etwas zu sagen oder überhaupt etwas zu tun. Seinen Freunden schien es ebenso zu gehen, denn keiner von ihnen rührte sich. Gray hatte eine Hand vor den Mund geschlagen und Lyon sah bleich aus. Einzig Erza schien halbwegs gefasst zu sein. Einen Moment starrte der Schwarzgekleidete den Gefallenen hinterher, dann wandte er sich um und sie hatten das erste Mal richtig die Möglichkeit, ihn anzusehen. Es war eine Frau, erkannte Natsu, deutlich zu erkennen an dem tailliert gefassten, eleganten Mantel, der ihr beinahe zu den Knien reichte. Die Kapuze trug sie über dem Kopf und die untere Hälfte ihres Gesichtes war von einem Schal verdeckt. Die Augen waren hinter einer Art verdunkelter Schutzbrille verborgen, wie man sie von Skifahrern oder Steampunkern kannte, gekreuzt mit einer klobigen, großen Sonnenbrille. Deren verspiegelten Gläser waren es, die Natsu bei dem ersten kurzen Blick für die Augen gehalten hatte. Glattes, jettschwarzes Haar fiel der Fremden zu einem Zopf geflochten über die Brust bis zur Hüfte hinunter, was das das einzige war, was wirklich von ihr zu sehen war. Jetzt schüttelte sie das Blut von ihrem Schwert, ehe sie es auf die Freunde richtete. „Lasst euch das eine Warnung sein.“, sagte sie und ihre Stimme klang fest und zornig. „Atlantis ist nicht für euch. Geht heim.“ „Aber das geht nicht so einfach!“, widersprach Natsu, der an seinen Bruder dachte und an Laxus, der todkrank war, und an Makarov, der auf sie baute. Gray und Lyon mochte es egal sein, ob sie die Stadt fanden, aber Levy und Erza hatten ihre eigenen Gründe, danach zu suchen. Bei Levy mochte es schlichtweg Neugierde und Forscherdrang sein, doch bei Erza hatte er eine Ahnung, dass der Grund viel tiefer ging… „Nein.“, widersprach die Wächterin mit kühler Stimme. „Wenn euch euer Leben lieb ist, dann brecht ihr dieses Unternehmen sofort ab.“ Sie bewegte leicht ihr Schwert, um zu verdeutlichen, was genau sie meinte und Natsu sah vor seinem inneren Auge erneu die Männer fallen. Die schwarzgekleidete Frau wies mit der Spitze des Katana auf den Eingang hinter ihnen. „Folgt diesem Gang und haltet euch nach links, dann kommt ihr raus. Und denkt daran, wir verteidigen Atlantis. Geht heim.“ Damit drehte sie sich um und stolzierte mit raschen Schritten davon, während sie mit einer fliesenden Bewegung ihr Katana in die Scheide zurückschob. Die Absätze ihrer Stiefel klapperten laut über den Boden. Für einen Moment starrten sie ihr bloß hinterher; keiner von ihnen wagte etwas zu sagen. Es war eines, mit einer Leiche konfrontiert zu sein, aber etwas völlig Anderes zu sehen, wie drei Leute einfach so niedergemetzelt wurden. Die Rufe aus den Höhlengängen brachten sie wieder in die Gegenwart zurück und die sehr reale Gefahr, die sie noch erwartete. „Weiter!“, befahl Erza. „Wir können uns später hierüber Gedanken machen!“ Damit setzten sie sich in Bewegung und nahmen rasch ihr Tempo wieder auf. Würde diese verlorene Zeit ihnen nun teuer zu stehen bekommen? Sie hielten sich nach links in der Hoffnung, dass die Wächterin sie nicht angelogen hatte. Aber was blieb ihnen anderes übrig? Durch die wilde Flucht hatten sie keine Ahnung mehr, wo genau sie sich befanden und ein Weg war so gut wie der nächste. Wenigstens wurden die Rufe von Ajeel und seinen Leuten hinter ihnen leiser, bis sie schließlich ganz verhallten, so dass sie langsamer machen konnte. Als Gray, der sich an die Spitze gesetzt hatte, auch noch verkündete: „Licht!“, atmete Natsu erleichtert auf. Dies war keine Erfahrung, die er wiederholen wollte, aber sie hatten sie beinahe überstanden! Erleichtert stürmten sie ins Freie. Doch der Platz vor der Höhle war nicht so leer wie zu dem Zeitpunkt, als sie sie betreten hatten. Ein paar Autos standen am Waldrand und in der Mitte befand sich ein Motorrad, dessen Motor gerade aufheulte. Darauf saß die Wächterin, die sie jetzt noch einmal ansah und die universelle Bewegung von Ich beobachte euch machte. Dann raste sie unter einem Regen von Kies davon. ~~*~~♒~~*~~ Station 6 – Motel, Dahlia, 22.06.X790 Sie hatten sich ein Motel abseits der Touristenfallen und Massenhotels gesucht und sich dort beinahe häuslich eingerichtet. Dabei störte es niemanden, dass die Gegend nicht unbedingt die beste war, auch wenn Natsu glaubte, an diversen Ecken Drogendealer und Prostituierte gesehen zu haben. Den anderen war das wohl ebenfalls aufgefallen, aber niemand sagte etwas. Selbst Happy war ungewöhnlich leise, obwohl er nicht ganz verstand, was los war, da sie ihm nicht alles erzählt hatten. Aber Natsu wollte nicht unbedingt, dass er von dem ganzen Ausmaß ihres kleinen Abenteuers in den Höhlen erfuhr. Rollende Felsen waren ja ganz lustig, wenn niemand davon verletzt wurde, aber bewaffnete Männer und Frauen mit Schwertern waren ein ganz anderes Kaliber. Er wünschte sich, dass das Sommercamp nicht dicht gemacht hätte und Happy all dies erspart geblieben wäre. Nach der Pleite in den Katakomben waren sie in eine willkürliche Richtung gefahren und hatten sich in einem idyllischen kleinen Ort eine Pension gesucht. Dort hatte Levy sich noch einmal auf ihre Übersetzung gestützt, während alle anderen versucht hatten, die vorangegangenen Ereignisse zu vergessen. Wenigstens schien Ajeel nicht zu wissen, wohin sie verschwunden waren – oder es war ihm schlichtweg egal. Vielleicht glaubte er auch, sie hätten sich von der Wächterin genug einschüchtern lassen, um die Suche nach Atlantis abzubrechen. Noch stand in der Schwebe, ob das nicht doch geschehen würde. Der Enthusiasmus seiner Begleiter hatte seitdem um einiges nachgelassen und Natsu befürchtete, dass sie die Expedition aufgeben würden. Eine Woche lang war Levy sehr zur Verwirrung ihrer Gastgeber in ihren Büchern verschwunden, dann war sie triumphierend wieder aufgetaucht und hatte erklärt, sich dieses Mal zu neunzig Prozent sicher zu sein. Nach einem zweiten Besuch im Ankhseram-Tempel hatten sie sich auf den Weg zu dem äußersten Winkel im Südwesten von Fiore gemacht, um in Dahlia, der einzigen, nennenswerten Stadt der Gegend, einen Zwischenstopp einzulegen. Hier wollten sie ihr zukünftiges Vorgehen besprechen und planen. Nicht jeder war noch an Bord damit, die Expedition fortzuführen. Kugeln, die einem um die Ohren pfiffen, waren ein sehr überzeugendes Argument, eine Sache abzubrechen. Die schwertschwingende Irre hatte ihnen den sprichwörtlichen Todesstoß gegeben. Doch Natsu war noch nicht bereit dafür und wenn es sein musste, würde er auch allein weitermachen. Erza hatte sich ebenfalls lautstark dafür ausgesprochen, den Weg bis zum bitteren Ende zu gehen und er fragte sich einmal mehr, was genau sie antrieb. Alles Fragen half jedoch nichts, also wartete er ab – irgendwann würde sie ihnen genug vertrauen, ihnen den Grund mitzuteilen, da war er sich sicher. Levy war hin und her gerissen zwischen ihrer Neugierde und ihrem Wissensdurst auf der einen und der Angst vor einer Kugel im Kopf oder einem Schwert in der Brust auf der anderen Seite. Die Milkovich-Brüder und Meredy dagegen waren nicht mehr so überzeugt. Was wie ein aufregendes Abenteuer angefangen hatte, hatte sich rasch in einen Albtraum verwandelt. Natsu fragte sich, wie er es schaffen sollte, dass sie weiter bei ihnen blieben, und ob er das überhaupt wollte. Ohne die drei würde ihr Job weit schwerer werden, da sie alle spezialisiertes Expertenwissen mitbrachten. Auf der anderen Seite waren sie seine Freunde und er wollte sie nicht verlieren – weder an den Tod noch über die Tatsache, dass er sie in etwas hineingezogen hatte, das eine Nummer zu groß für ihre kleine, zusammengewürfelte Truppe war. Goldmine und seine Leute würden mit diesen Problemen vielleicht fertig werden oder einfach noch mehr Schläger anheuern. Sie hatten diese Möglichkeit nicht. Sie mussten sich auf das verlassen, was sie hatten. Aber noch war überhaupt nicht klar, was genau sie überhaupt brauchen würden. Im Moment saß Natsu auf dem Bett, das er sich ausgesucht hatte, den Telefonhörer am Ohr und den Blick unfokussiert aus dem Fenster gerichtet. Draußen war es dunklen und grau und das Geräusch des Regens, der an die Fensterscheiben hämmerte, übertönte sogar die leisten Stimmen von Gray und Happy, die vor dem hintersten Bett auf dem Boden saßen und Schiffe versenken spielten. Natsu war wirklich dankbar, dass Gray seinen hyperaktiven kleinen Bruder etwas beschäftigte und diesen von den anstehenden Problemen ablenkte. Levy und Erza waren in ihrem eigenen Zimmer, um sich etwas frisch zu machen, und Meredy und Lyon waren aufgebrochen, um etwas Essbares zu besorgen. Der Laptop stand auf dem Tisch neben Natsu, doch im Moment flimmerten nur Fotos darüber, die als Bildschirmschoner dienten und während der Expedition geschossen worden waren. Dies machte eine seltsame Ansammlung von Bildern, angefangen bei ziemlich chaotisch wirkenden Aufnahmen des Landsitzes der Dreyars über Fotos von Rastplätzen, Mahlzeiten und den Spaziergängen, die Lyon und Meredy so genossen, dem Ankhseram-Tempel und der unterirdischen Stadt von Zirkonis bis hin zu Meredy, Levy und Happy beim Grimassenschneiden. „Landsitz der Familie Dreyar, was kann ich für Sie tun?“, meldete sich endlich eine kühle, weibliche Stimme, die Natsu nichts sagte. „Öhm…“, begann er, abrupt in die Wirklichkeit zurückgerissen. Doch er fing sich schnell. „Hier ist Natsu Dragneel. Ich muss unbedingt mit Opa Makarov sprechen. Es hat einige Entwicklungen gegeben.“ Für einen Moment blieb es still, dann meldete die Frau: „Einen Augenblick bitte.“ Kitschige Musik drang an sein Ohr und am liebsten hätte er den Hörer angewidert weggelegt, doch er konnte nicht riskieren, den alten Mann zu verpassen. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis die Frau zurückkam. „Ich stelle Sie durch.“ Ein Klicken ertönte und dann meldete sich Makarov selbst: „Guten Abend, Natsu. Ich hoffe, es geht euch gut. Evergreen sagte mir, ihr hättet etwas herausgefunden?“ „Ja. Levy hatte absolut Recht mit ihren Theorien und sie denkt, dass wir jetzt das richtige Ziel haben“, antwortete der Angesprochene. „Aber … es gab ein paar Zwischenfälle.“ „Euch geht es aber gut?“ Ehrliche Sorge schwang deutlich in der Stimme des Professors mit und Natsu nickte unwillkürlich. „Wir sind alle mit heiler Haut davongekommen, aber nur knapp. Und im Moment sind wir uns nicht einig darüber, wie wir weitermachen sollen.“, gab er zu. „Keine Sorge, ich werde auf keinen Fall aufgeben, aber die anderen vielleicht schon. Außer Erza. Ich weiß nicht, welche Laus ihr über die Leber gelaufen ist, aber sie scheint verbissener denn eh und je. Levy bleibt vielleicht auch. Aber … Naja, auf uns wurde geschossen und dann ist diese Wächterin mit einem Schwert aufgetaucht und hat drei Männer getötet.“ Für eine Weile blieb Makarov still. Dann sagte er vorsichtig: „Natsu, ich will nicht lügen. Du weißt, was für mich auf dem Spiel steht. Aber ich kann euch nicht bitten, weiterzumachen, wenn ihr nicht wollt. Trotzdem würde es mir viel bedeuten. Oder ihr leitet eure Infos an Goldmine weiter, damit er übernehmen kann.“ „Kriegt er denn ein zweites Team auf die Beine gestellt?“, fragte Natsu erstaunt, während sich in ihm alles dagegen sträubte, seine hart erkämpften und erarbeiteten Hinweise jemand anderem zu überlassen. Nein, das war sein Job. Er würde nicht aufgeben und wenn er allein weitermachen müsste! „Keine Sorge, Opa.“, grinste er darum in den Hörer, ehe Makarov antworten konnte. „So leicht wirst du mich nicht los.“ „Natsu, stürz dich da bloß nicht Hals über Kopf rein!“, rügte der Professor ihn. „Ich möchte nicht, dass du stirbst. Besser, du brichst die Expedition ab, verstehst du?“ „Jaja.“, winkte Natsu ab und sein Blick wanderte zum Laptop hinüber, auf dem gerade ein Bild von Happy und Meredy zu sehen war, die Grimassen in die Kamera schnitten. „Aber ich denke, wir können das schaffen. Wir haben wirklich schon viel erreicht und jetzt wissen wir ganz genau, worauf wir uns einstellen müssen! Mach dir keine Sorgen um uns, Opa!“ Er konnte das Zögern im Makarovs Stimme hören, als dieser einwarf: „Ihr seid nicht für solche Situationen ausgebildet. Vielleicht wäre es doch besser, wenn wir Goldmine Bescheid geben, damit er übernehmen kann. Sein Team hat schon einige Erfahrungen mit der Gesellschaft gemacht und er behauptet, dass sie auch ein paar Mal auf Wächter gestoßen sind. Mit denen ist nicht zu scherzen.“ „Das wissen wir. Aber mit uns auch nicht. Und Erza ist echt gruselig, wenn sie mal loslegt. Nein, das ist unser Job. Wir haben das herausgefunden. Wir sind so weit gekommen. Und wir werden das Rätsel lösen.“ Für eine Weile blieb es still und nur, weil Natsu im Hintergrund jazzige Musik hören konnte, wusste er, dass der Professor noch auf der anderen Seite der Leitung war. „Also gut, wenn du dir so sicher bist.“, stimmte Makarov schließlich zu und in seiner Stimme klang ein Hauch von Erleichterung mit. Wahrscheinlich dachte er an seinen Enkel. „Keine Sorge.“, wiederholte Natsu zuversichtlich. „Wir retten Laxus.“ Er blickte auf, als die Tür sich öffnete, doch es waren nur die anderen, die nacheinander hereinkamen. Lyon und Meredy trugen Plastiktüten mit dem Logo des Chinarestaurants, das sie am Ende der Straße gesehen hatten. „Darauf kann ich nur hoffen.“, war die resignierte Antwort. Viel von dieser Hoffnung schien nicht mehr übrig zu sein. Doch noch hatte der Mann nicht aufgegeben, denn er sprach rasch weiter: „Darf ich wenigstens erfahren, wohin es jetzt geht?“ „Wir sind im Moment in Dahlia. Wir denken, ein Außenposten der Überlebenden war in einem der kleinen Orte hier an der Küste. Vermutlich haben sie ihn gegründet und all die Jahrhunderte weiter unterhalten. Wir sehen uns da mal um und dann melde ich mich wieder. Vielleicht finden wir was Interessantes.“ „In Ordnung.“, stimmte Makarov zu. „Aber haltet mich auf jeden Fall alle drei, vier Tage auf dem Laufenden und falls etwas den Bach hinuntergeht, sagt ihr sofort Bescheid. Wenn ihr Goldmine schon nicht übernehmen lassen wollt, lasst ihn zumindest helfen. Er stellt euch bestimmt Leute an die Seite.“ „Geht klar, Opa. Bis dann.“ Natsu beendete den Anruf und legte den Hörer auf die Gabel zurück. Als er aufsah, blickte er in mehrere vorwurfsvolle Gesichter, die ihn von ungläubig bis wütend anstarrten. Einzig Erza schien sich der allgemeinen Aufregung nicht anschließen zu wollen, und schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Wir kommen also klar?“, blaffte Gray ihn schroff an. „Wir retten Laxus, mach dir keine Sorgen?“ Seine Stimme wurde dabei immer frostiger. „Hast du vielleicht mal daran gedacht, dass wir anderen nicht sofort die Chance ergreifen, unser Leben für eine uralte Stadt aufs Spiel zu setzen, so phantastisch sie auch sein mag?!“ Natsu erhob sich. „Und hast du vielleicht mal dran gedacht, dass ich deine Erlaubnis nicht brauche, um weiter nach ihr zu suchen? Ich verlange ja nicht, dass ihr mitkommt, aber ich werde jetzt auf keinen Fall aufhören! Das ist vielleicht die einzige Chance, die wir je kriegen werden.“ „Das einzige, was du kriegen wirst, ist eine Kugel im Kopf.“, zischte Gray. „Begreifst du das denn nicht? Diese ganze Aktion war schön und gut, als es noch ein kleines Abenteuer war, aber jetzt nicht mehr, nicht, wenn Leute auf uns schießen! Von dieser schwertschwingenden Irren ganz abgesehen!“ „Schwertschwingende…“, wiederholte Happy und ihm blieb der Mund offen stehen. „Natsu, warum hast du mir nichts davon erzählt?!“ Aber Gray schien noch nicht fertig mit seiner Tirade, denn er fuhr fort: „Ganz zu schweigen davon, wie unverantwortlich es ist, Happy auf diesen Trip mitzunehmen!“ Jetzt platzte auch Natsu der Kragen. Es war nicht so, als ob sein kleiner Bruder überhaupt hier sein sollte. Aber was hatte er für eine andere Möglichkeit gehabt? Außerdem hatte auch Happy ein Recht, dabei zu sein. Immerhin ging es hier um Zeref. „Was hätte ich denn tun sollen?! Ihn irgendwohin abschieben? Konnte ich ja nicht ahnen, dass da welche auf uns schießen!“ „Aber jetzt weißt du es! Warum ist er dann immer noch hier? Warum sind wir dann noch hier?! Überlassen wir unsere Erkenntnisse Goldmine und verschwinden! Ich bin sicher, der Professor wird uns trotzdem einen Teil unserer Belohnung bezahlen und wir…“ „… sollen unsere harte Arbeit einfach jemand anderem überlassen? Ich denke nicht! Außerdem weißt du genau, warum ich das mache! Goldmine wird sich wohl kaum darum kümmern! Wenn du zu feige bist und mit eingeklemmten Schwanz nach Hause zu Mami rennen willst, nur zu, aber mich kriegen hier keine zehn Pferde weg!“ „Ich glaube nicht, dass das mit Feigheit zu tun hat.“, warf Lyon von der Seite in einem betont vernünftigen Tonfall ein. „Eher mit gesundem Menschenverstand.“, fügte Meredy trocken hinzu. „Was ist los?“, fragte Happy verwirrt und blickte von einem zum anderen. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeigte etwas zwischen Aufregung, Faszination und Angst. „Wer schießt auf uns? Warum schießt jemand auf uns?“ „Niemand schießt auf dich.“, beruhigte Erza ihn und zog ihn beiseite, um in gedämpften Tonfall mit ihm zu sprechen. Levy starrte die Szene mit weit aufgerissenen Augen an, ihr Notizbuch an sich gedrückt. Sie schien noch immer nicht gewillt, Partei zu ergreifen. „Siehst du?!“, schnappte Gray. „Ich bin nicht der einzige, der es für reine Dummheit hält, jetzt noch einfach so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen!“ „Das ist, weil ihr es einfach nicht versteht!“, fauchte Natsu zurück und dachte an Zeref. „Für euch steht nun mal nichts auf dem Spiel, für mich aber schon! Und wie ich sagte: es ist mir scheißegal, was ihr tut. Ihr könnt gern nach Hause gehen. Ich jedenfalls habe noch nicht abgeschlossen! Und wenn euch das nicht recht ist, ist das nicht mein Problem!“ Damit schnappte Natsu sich seine Jacke und stürmte aus dem Zimmer. „Natsu! Wo willst du hin!“, brüllte Gray ihm hinterher. „Ich brauche einen Drink.“, antwortete der Angeschriene. „Derweil könnt ihr hier unter euch ausmachen, was genau ihr wollt. Ich hoffe, ihr habt euch entschieden, wenn ich wieder da bin!“ Er stürmte die Treppe nach unten und durch die Eingangshalle ohne nach links und rechts zu sehen. Kühle Luft und Lärm schlugen ihm entgegen, als er auf die Straße trat, und der stetige Regen prasselte auf das kleine Vordach über ihm. Kaum hatte er ein paar Schritte darunter hervorgemacht, war er schon halb durchnässt. Eilig hastete er durch die Straßen, schob sich an Menschen vorbei und versuchte, sich nahe an den Gebäuden zu halten, so dass er dem Regen entkommen konnte. Eine Weile stapfe er ziellos umher, dann fielen ihm ein paar hell beleuchtete Fenster ins Auge. Dog Bar stand in großen, geschwungenen Lettern darauf und Musik drang auf die Straße, als die Tür sich öffnete und ein paar Männer herauskamen. Natsu schob sich kurzerhand an ihnen vorbei und betrat die Kneipe. Wärme empfing ihn. Der Geruch von Alkohol und menschlichen Ausdünstungen hing in der Luft und der Innenraum wirkte klein und gemütlich. Tische waren ziemlich wahllos verteilt, dazu kam eine Theke auf der linken Seite, hinter der Flaschen und Gläser in Regalen aufgereiht waren. Kaum einer der Gäste blickte auf, als er eintrat, und der Barkeeper nickte ihm grüßend zu, als er sich auf einen der Stühle vor dem Tresen niederließ. „Wodka, pur.“ Der Barkeeper, ein hochgewachsener Mann mit orangerotem Haar und einem gut geschnittenen Gesicht, blickte ihn mitleidig an. „Schlechter Tag gehabt?“, wollte er wissen, während er ein Glas vor Natsu abstellte und es füllte. „Kann man so sagen.“, antwortete dieser und kippte den Shot in einer Bewegung hinunter. „Noch einen?“, bat er den Barmann, der der Bitte nachkam und das Glas wieder auffüllte. Diesmal jedoch kippte er das Getränk nicht sofort hinunter. Er war nicht mit dem Ziel hierher gekommen, sich zu betrinken. Gray würde ihn umbringen, wenn er das tun würde. Außerdem hatte er keine Lust, morgen mit einem Kater flachzuliegen. Er rieb sich durch das Gesicht. Vermutlich war es keine Heldentat gewesen, einfach so aus dem Zimmer zu stürmen und seine Freunde sprachlos zurückzulassen. Und Happy noch dazu, der begonnen hatte, verstört auszusehen. Die Nachricht, dass auf sie geschossen worden war, hätten sie ihm auch schonender beibringen können. Aber Erza würde sich schon um ihn kümmern… Hoffte Natsu zumindest, denn noch empfand er es als unmöglich zurückzugehen. Eigentlich hatte er keine Probleme damit, sich einer Konfrontation zu stellen, sich zu entschuldigen, falls dies nötig war, oder zu versuchen, andere für seine Ideen zu begeistern. Aber heute war das anders. Vielleicht, weil so viel auf dem Spiel stand, alles, worauf er die letzten Jahre hingearbeitet hatte. Vielleicht, weil ihn die Ereignisse in dem Höhlensystem ihn mehr mitgenommen hatten, als er zugeben wollte. Denn auch er hatte Angst vor dem, was ihn erwarten konnte. Aber schwerer als das wog sein Wunsch, Zeref wiederzusehen und ihn nach Hause zu bringen. Allerdings hatten seine Freunde keinen solch starken Antrieb… Hatte Gray denn Recht? Sollten sie alles abbrechen, weil es zu gefährlich für sie geworden war? Aber alles in ihm sträubte sich dagegen, aufzugeben und jemand anderen den Rest der Arbeit zu überlassen. Es war nicht nur der Gedanke an Zeref, der ihn weitertrieb, obwohl er damit ebenfalls Recht hatte. Niemand anderes interessierte sich für seinen älteren Bruder als er, sowie niemand anderes sich für Laxus interessierte als sein Großvater. Nur hatte Makarov das Geld, andere in seine Angelegenheiten mit hineinzuziehen, und Natsu nicht. Natsu hatte nur das, was er selbst aufbieten konnte, und das Glück, jemanden wie den alten Professor zu treffen, dessen Ziele zufällig ähnlich genug waren wie seine, dass ihre Interessen auf einer Linie lagen. Nein, Gray hatte nicht Recht. Nicht, was Natsu betraf. Aber wie weit würde er allein kommen? Sollte er doch Goldmine nach einem Team fragen und sich diesem dann anschließen? Oder hatte er eine Chance, seine Freunde dazu zu überreden, doch am Ball zu bleiben? Neben ihm glitt jemand auf einen der hohen Barhocker und der süße Duft eines blumigen Parfüms stieg ihm in die Nase. Er blickte trotzdem erst auf, als eine helle Stimme neben ihm sagte: „Guten Abend.“ Sie sprach mit dem Mann hinter dem Tresen, trotzdem konnte Natsu einen Moment lang nicht den Blick von ihr wenden. Die Frau mochte etwa Mitte Zwanzig sein und war wunderschön. Ein Gesicht, wie von einer dieser Statuen, die die Altfiorianer so geliebt hatten – nur viel lebendiger und ausdrucksstärker, mit großen, braunen Augen, vollen, rosa geschminkten Lippen und einer niedlichen Nase. Ihre Haut war ebenmäßig sonnengebräunt und wirkte golden im Licht der Lampen, ebenso wie das lange, seidige Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz nach oben gebunden hatte. In dieser schmuddeligen Bar wirkte sie vollkommen fehl am Platz, eine schlanke, zierliche Gestalt, die sich wohl im Viertel vertan hatte. Die Kleidung klebte ihr nass am kurvigen Körper, ein einfaches, dunkles Tanktop und rosa Hotpants, die wenig der Phantasie überließen. Dann riss er sich von dem Anblick los und erhaschte gerade noch einen kurzen Blick auf ihr süßes Lächeln, das sie dem Barkeeper zuwarf. „Kannst du mir einen Erdbeer-Daiquiri bringen?“, wollte sie von diesem wissen, der ihr ein charmantes Grinsen schenkte. „Darf ich dir sonst noch etwas besorgen?“ „Subtil.“, bemerkte Natsu. „Nicht.“ „Wirklich nicht.“, bestätigte die junge Frau und der Barkeeper lachte. „Mein Fehler. Kommt sofort.“ Damit wandte er sich ab, um sich um die Bestellung zu kümmern und Natsu erwiderte das kurze Lächeln, das das Mädchen ihm zuwarf. Dann wurde er durch eine Bewegung im Augenwinkel abgelenkt und sein Blick fiel auf ihren Begleiter, einen kolossalen Hund mit rotbraunem, voluminösen Fell. Brust und Bauch waren weiß und sein Rücken sowie die Halskrause etwas dunkler als der Rest. Die spitzen Ohren waren aufmerksam aufgerichtet und er blickte sich selbstsicher um, ehe er sich hinter dem Stuhl seiner Herrin schwer auf den Boden sinken ließ und gähnte, wobei er ein beeindruckendes Gebiss mit geschätzt fingerlangen Zähnen zeigte. Er hatte etwas von einem Wolf oder vielleicht nur einem Husky und als er bemerkte, dass die Blondine auf ihn herunterlächelte, wedelte er erfreut mit dem buschigen Schwanz. „Keine Sorge, wir gehen gleich nach Hause. Der Regen lässt bestimmt gleich nach.“ „Wow, ist der groß.“, sagte Natsu und hätte am liebsten den Kopf auf den Tresen geknallt. Etwas Offensichtlicheres hätte er auch nicht sagen können. Die junge Frau warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und antwortete. „Vermutlich stimmt das. Aber eigentlich ist er nur ein kleiner Kuschelbär.“ Sie zwinkerte ihm zu und entblößte perfekte Zähne in einem freundlichen Lächeln. Kurz darauf brachte der Barkeeper ihren Drink und Natsu wandte sich wieder seinem eigenen Glas zu. Nur mit halbem Ohr bekam er mit, wie der Barmann versuchte, mit der Blondine zu flirten, die ihn freundlich, aber bestimmt abwies. Schließlich ließ er von ihr ab und kümmerte sich um andere Gäste, die schon langsam ungeduldig wurden. „Bist du aus der Gegend?“, wollte die Frau plötzlich wissen und Natsu brauchte einen Moment um zu realisieren, dass sie mit ihm sprach. Verdutzt blickte er auf. „Wa…? Wie? Ich?“ Sie nickte, einen amüsierten Ausdruck im Gesicht. „Ist sonst noch jemand in der Nähe?“ Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, antwortete aber rasch: „Nein, ich bin nur auf der Durchreise.“ „Oh. Auf Urlaubsreise?“ Versuchte diese Erscheinung vor ihm gerade wirklich, mit ihm ein Gespräch zu beginnen? Er konnte es kaum glauben, dass jemand, der so aussah wie sie und auch noch so freundlich war und … und … ausgerechnet mit ihm sprach. Vermutlich versuchte sie nur, etwas Konversation zu betreiben, um höflich zu sein, rief er sich zur Vernunft. Sie spielte in einer ganz anderen Liga wie er. „Nein. Ich … Wir sind wegen der Arbeit hier.“ „Wir?“ Verwirrt blickte sie sich um, entdeckte aber natürlich niemanden, der so aussah, als gehöre er zu Natsu. „Meine Freunde sind im Motel.“, winkte er ab. „Aber ich hab es nicht mehr ausgehalten.“ Er zuckte mit den Schultern und fügte verlegen hinzu: „Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ Sie nippte an ihrem Drink und schaute zu ihm herüber. „Oh? Willst du darüber sprechen?“ „Es ist nichts Großes… Wir hatten vor ein paar Tagen nur eine haarige Situation und jetzt müssen wir uns darüber klar werden, wie wir weitermachen. Ob wir überhaupt weitermachen.“ „Und du willst nicht?“ „Wa…? Nein. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Da hängt schon zu viel dran. Aber ich kann die anderen verstehen.“ Er rieb sich das Gesicht und kippte den Rest seines Wodkas hinunter. Er fühlte bereits, wie ihm der Alkohol zu Kopf stieg. Vielleicht hatte er deswegen so eine lose Zunge – es ging diese Fremde weder etwas an noch hatte sie vermutlich tatsächliches Interesse an seinen ‚Job’problemen. Warum plapperte er so viel? Vielleicht war es einfach nur nett, seine Sorgen loszuwerden und sie lieh ihm so bereitwillig ihr Ohr. Noch etwas, wofür Gray ihm den Kopf abreißen würde. Er wollte sich gerade entschuldigen, als sie sagte: „Vielleicht solltest du aufgeben.“ Etwas an ihrem Tonfall war seltsam und er wandte ihr langsam den Kopf zu. Sie blickte ihn über den Rand ihres Daiquiriglases an, ein harter Zug um den vorhin noch so weich wirkenden Mund, der Blick lauernd. „Vielleicht ist das nichts für euch.“ Natsu rutschte von seinem Hocker, zog seinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche und warf einen Schein auf den Tresen, der mehr als genug für seine Getränke war. „Ich gebe nicht auf. Ist nicht mein Stil.“ Er grinste sie an. „Vielleicht bin ich einfach nur zu dumm zum Aufgeben.“ Damit wandte er sich von der Bar ab. „War schön, dich kennen zu lernen.“ Sie stellte ihr Glas auf dem Tresen ab, das noch beinahe voll war, und ihr Hund, der eben noch ausgesehen hatte, als würde er schlafen, rappelte sich hoch. Natsu warf ihm einen misstrauischen Blick zu und wich einen Schritt zurück, noch ehe sie zu sprechen begann: „Glaub mir, du willst diesen Weg nicht weitergehen.“ Ihr Kopf legte sich zur Seite und sie wirkte jetzt gar nicht mehr leutselig. „Das ist nur eine freundliche Warnung. Geht heim.“ Und die letzten beiden Worte zeigten ihm, wer genau sie war. Oder zumindest was. Die Wächterin mit dem Katana hatte genau das Gleiche gesagt. Und er beabsichtigte, jetzt genau das Gleiche zu tun wie vor ein paar Tagen: die Worte in den Wind schlagen. Wenigstens trug diese hier kein Schwert bei sich und selbst ein Messer wäre bei diesen Kleidern nur sehr schwer zu verstecken. Und dieser Hund würde sich wohl kaum einmischen. Oder? Das Nackenfell sträubte sich, was ihn noch größer erscheinen ließ, und die Lefzen zogen sich leicht nach oben. Oder?! Sie zog einen eigenen Geldschein aus dem Ausschnitt und warf ihn ohne hinzusehen auf den Tresen. „Wirklich.“, bekräftigte sie. „Ansonsten müssen wir härtere Maßnahmen ergreifen und ich denke nicht, dass ihr das wollt.“ „Sorry, geht nicht. Ein Leben hängt davon ab. Und ich hab noch ein persönliches Interesse daran. Vielleicht solltet ihr es sein, die uns nicht mehr in die Quere kommen sollten. Nur ein gutgemeinter Rat.“ Sie lächelte ihn freundlich an und schlug zu, so schnell wie eine zuschnappende Schlange. Natsu duckte sich mit einem erschrockenen Aufschrei von dem Haken weg, trotzdem erwischte ihre Faust ihn schmerzhaft am Kopf. „Woah! Nicht so wild!“, rief er aus, doch sie ging sofort zu einem harten Kick über, den er nur mit Mühe blocken konnte. Der Schlag vibrierte schmerzhaft durch seine Hände und seine Arme. Um sie herum brauch plötzliche Geschäftigkeit aus, als die anderen Gäste aufsprangen und sich in verschiedene Richtungen in Bewegung setzten. Ein paar kamen zu ihnen herüber, andere verschwanden aus der Tür, wie man an dem Klappen derselben hören konnte. „Hey, was soll das?!“, brüllte der Barkeeper und dann mischte sich der Hund ein, der mit wildem Knurren auf jemanden losging. Natsu ignorierte alles und konzentrierte sich auf seine Gegnerin, deren beherrschte, präzise Bewegungen zeigten, dass sie wusste, was sie tat. Irgendwer hatte sie gründlich ausgebildet. Aber er würde ihr zeigen, dass er auch nicht gerade ein harmloser Jammerlappen war und dass er wusste, was er tat. Igneel hatte ihn gründlich trainiert. Er blockte ihre Schläge, während er nach einer Lücke in ihrer Verteidigung suchte. Als sie das nächste Mal mit einem hohen Kick zutrat, fing er ihr Bein auf, doch sie zögerte nicht einmal, sondern katapultierte sich mit dem freien Fuß vom Boden ab. Dieser traf ihn am Kinn, so dass sein Kopf hart zurückgeworfen wurde und unwillkürlich ließ er sie los, dass sie mit einem Überschlag wieder auf den Füßen landete wie eine Katze, während Natsu nach hinten taumelte und über ein paar Stühle stolperte. Er rieb sich das Kinn und schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. „Gar nicht mal schlecht.“, gab er zu, während der Barkeeper hinter seinem Tresen zeterte: „Hört auf damit! Ich rufe die Polizei! Ihr könnt mir doch nicht alle meine Gäste vertreiben!“ Der Hund stritt sich mit einer Gruppe von großen, muskulösen Männern, die hin und wieder nervöse Blicke in die Runde warfen und sich langsam in Richtung Tür davonmachten. Anscheinend hielten sie es nicht für wert, dass sie, nur, weil sie helfen wollten, von einem Hund angefallen wurden. Ansonsten waren bereits alle Gäste verschwunden. Das Mädchen ignorierte sie alle und ging sofort wieder zum Angriff über. Sie täuschte einen Schlag an, brachte aber ihr Bein in einem Roundhousekick nach oben. Natsu blockte ihn, doch die Kraft dahinter trieb unwillkürlich einen Schritt zur Seite. Diesmal jedoch erwiderte er die Attacke mit einen eigenen Schlag, der allerdings nicht wie vorgesehen ihre Magengrube traf. Doch er streifte ihre Hüfte, als sie auswich. Ihre Riposte verlor dadurch an Kraft und Genauigkeit, so dass sie seine Schulter traf. Einen Moment später wirbelte sie auf einem Bein herum und brachte das andere auf ihn nieder. Er schrie auf, als die Ferse ihn genau an der gleichen Stelle traf, doch er ignorierte den darin explodierenden Schmerz und ließ sich nach unten fallen, um ihr mit einem Kick die Beine unter dem Körper wegzufegen. Mit einem harten Stoß kam sie auf dem Boden auf und einen Moment später war er über ihr und holte aus. Sie rollte sich blitzschnell zur Seite und sein Schlag traf nur den Boden; Schmerz zuckte durch seine Finger. Einen Moment später sauste ihr Fuß auf sein Gesicht zu, doch aus der hockenden Stellung hatte der Tritt zu wenig Kraft, so dass er ihren Knöchel erneut einfangen konnte. Er warf sich zurück, so dass sie mit einem erschrockenen Hmpf! das Gleichgewicht verlor und ihm so genug Zeit zum Aufstehen gab. Natsu grinste über das ganze Gesicht. Schon lange hatte kein Kampf sein Blut so in Wallung gebracht und das Adrenalin rauschte durch seine Adern und ließ alles viel schärfer und klarer erscheinen. Wie hatte er das vermisst! Die Blondine warf ihre Beine in die Luft und sprang mit Schwung auf ihre Füße zurück, um sofort wieder in Kampfstellung zu gehen. Lauernd umkreisten sie sich langsam. Außer ihnen war nun niemand mehr anwesend, selbst der Barkeeper hatte das Weite gesucht. Vermutlich aber erst, nachdem er die Polizei gerufen hatte. Natsu wollte eigentlich nicht schon wieder durch Befragungen und Verhöre Zeit verlieren, also musste er dafür sorgen, dass er von hier verschwunden war, ehe die Bullen eintrafen. Also wartete er nicht länger, sondern sprang nach vorne, um rechts anzutäuschen und links zuzuschlagen. Er traf sie hart in die Seite, doch sie erholte sich viel zu schnell und brachte ihr Bein nach oben, so dass er sich zurückwerfen musste, um dem Tritt zu entgehen. Während er sich wieder aufrichtete, schnappte sie sich den nächsten Stuhl und führte ihn ein einem weiten Bogen auf ihn zu. Er blockte den Angriff mit den Armen, so dass die behelfsmäßige Waffe zersplitterte, doch er brüllte trotzdem vor Schmerzen auf. Dies würde er noch Tage spüren… „Bist du verrückt?“, brüllte er sie an, langsam war das nicht mehr witzig. Doch ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung, als sie weiter auf ihn eindrang. Er blockte die meisten ihrer folgenden Schläge und Tritte und brachte selbst einige Gegenangriffe an, die sie schmerzerfüllt aufkeuchen ließen. Schließlich traf er sie mit einem heftigen Schlag in den Bauch und einen Moment später mit einem Aufwärtshaken, der sie nach hinten schleuderte. „Hast du jetzt genug?“, schnaufte er und seine Brust hob und senkte sich schwer unter der Anstrengung. Sein T-Shirt hatte einen Riss und er wischte sich das Blut aus einer aufgeplatzten Lippe aus dem Gesicht. Doch die Blondine rappelte sich nur aus den Stühlen auf, zwischen die sie gefallen war, die Augenbrauen ärgerlich zusammengezogen. Auch sie hatte Blut im Gesicht und auf ihrer Wange formte sich bereits ein dunkler Bluterguss, doch anscheinend hatte sie nicht vor, jetzt aufzugeben. Stattdessen rannte sie die kurze Strecke plötzlich auf ihn zu und sprang. Ihre Füße trafen ihn gegen die Brust und während er gegen einen Stuhl krachte und darüber stolperte, landete sie geübt auf dem Boden, rollte sie sich in einer einzigen Bewegung ab und kam wieder auf die Füße. Sie ging sofort einen fliegenden Roundhouskick über, der ihn endgültig zu Boden warf, doch ihrem nächsten, von oben kommenden Schlag wich er aus, indem er sich zur Seite rollte. Na toll, er hatte sie wütend gemacht. Von seiner liegenden Position aus versuchte er, einen Stuhl auf sie zu werfen, doch sie stieß diesen einfach beiseite. Immerhin verschaffte ihm die Aktion Zeit, wieder halbwegs auf die Beine zu kommen und er ging übergangslos in einen Kick über, der sie an der Hüfte traf. Sie stolperte und er setzte mit einem zweiten Tritt ins Knie nach, so dass sie endgültig das Gleichgewicht verlor. Polternd fiel sie auf einen Tisch und von dort zwischen zwei Stühle. Ein scharrendes Geräusch hinter ihm warnte ihn gerade noch rechtzeitig und er fuhr herum. Ein Maul voller Zähne kam auf ihn zu wie ein Güterzug. Mit einem lauten Aufschrei warf er sich zurück und trat beinahe panisch nach dem roten Hund. Er musste das Tier getroffen haben, denn es wich mit einem Jaulen zurück. „Machst du Witze?!“, brüllte er aufgebracht. Wer hetzte mitten in einem Kampf einen Hund auf seinen Gegner?! Das Tier knurrte tief aus der Kehle und entblößte seine imposanten Beißerchen in einem wahrhaft furchterregenden Zähnefletschen. Natsu jedenfalls wollte diese Fänge nicht näher zu spüren bekommen und rappelte sich hastig hoch, ohne den Hund aus den Augen zu lassen. „Ruf ihn zurück!“, verlangte er von der Frau, die inzwischen auf wieder stand und keinerlei Anstalten machte, ihr Haustier zu beruhigen. Stattdessen nahmen die beiden ihn in die Zange, als wären sie ein eingespieltes Team. Auch das noch…! Diese Wächter waren ja komplett irre und konnte er nicht doch lieber die mit dem Schwert haben? Bei dem wusste er wenigstens, wie er reagieren konnte, aber ein Hund war eine völlig unbekannte Variable. Das war jetzt echt nicht mehr lustig…! Die Blondine selbst war es, die den Kampf wieder eröffnete, in dem sie ihn gegen sie Seite trat. Oder wollte, denn er machte einen hastigen Schritt auf sie zu und fing ihren Oberschenkel auf, um ihn gegen seine Hüfte zu pressen. Doch statt zurückzuweichen, brachte sie auch das zweite Bein nach oben und verhakte die Knöchel hinter seinem Rücken, um sich eine gute Voraussetzung zu schaffen, die Stirn mit Schwung in sein Gesicht zu knallen. Er hörte etwas knirschen und hoffte, dass sie nicht seine Nase gebrochen hatte, während er blindlinks nach vorne stürzte, bis er auf die Theke traf, und sie schrie schmerzhaft auf, als sie mit dem Rücken dagegen krachte. Ihr eiserner Griff um seine Hüften lockerte sich und er warf sie von sich auf den Tresen. Mit ihrem Körper wischte er die Gläser und Flaschen von der Bar und als er sie losließ, rutschte sie noch ein Stück und stürzte mit einem Fluch über die Kante. Aber der Hund schnappte nach seinem Bein und er konnte es gerade noch so vor einem Biss in Sicherheit bringen, in dem er auf die Bar sprang. Trotzdem schlitzten scharfe Zähne sein Hosenbein und die Haut darunter auf und er rollte sich über die Theke, um dem Hund zu entkommen. Einen Moment später krachte die Frau ihn hin hinein und stieß ihn in die Regale hinter ihm. Gläser klirrten und einige Flaschen fielen ringsum heraus und Natsu brachte beide Arme nach oben und packte sie am Kragen, ehe er sie beide mit Schwung drehte, so dass diesmal sie es war, die gegen die Regale krachte; Gläser regneten aus den Fächern. Unter seinen Füßen knirschen die Scherben und der Geruch von Alkohol aus den zerbrochenen Flaschen hing schwer in der Luft. Hinter ihm knurrte wütend der Hund und Natsu riss seine Herrin herum, um sie als Schutzschild gegen ihn zu verwenden. Doch das Tier stand nur auf der Bar, das Fell gesträubt und die Zähne entblößt. Erneut sauste der blonde Kopf auf ihn zu, doch er stieß sie weg, so dass sie gegen die Bar krachte, und einen Moment brauchte, um sich zu sammeln. Natsu griff nach einigen Gläsern und warf sie in rascher Folge nach seinen Gegnern, während er langsam zurückwich. Doch die beiden hatten keine Probleme, den improvisierten Geschossen auszuweichen, die sich klirrend im Rest der Kneipe verteilten. Die Blondine stürmte wieder auf ihn zu, doch statt dem erwarteten Faustschlag tauchte sie plötzlich nach unten und trat nach seinen Knien. Der Kick vibrierte schmerzhaft durch seinen Körper und er fing sich mit einer Hand im Regal ab, was weitere Flaschen hinausbeförderte. Um sie einen Moment auf Abstand zu halten trat er ziellos nach ihr, was sie für den Moment zurückweichen ließ. Von draußen drang plötzlich das sich rasch nähernde Geräusch von Sirenen zu ihnen hinein und die Kämpfenden erstarrten. Wie ein Mann blickten sie alle in Richtung der Vordertür und die Blondine zischte: „Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt!“ Sie sah zu Natsu hinüber und hob die Faust. „Heute ist dein Glückstag.“ Dann drehte sie um und rannte auf eine zweite Tür zu, die sich im hinteren Bereich der Bar befand. Der Hund folgte ihr, nicht ohne einem weiteren, drohenden Knurren, das dem jungen Mann einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Natsu kratzte sich am Kopf – natürlich wollte sie keinen Ärger mit den Bullen bekommen. Vor allem nicht, da sie bestimmt keinen anständigen Grund vorzuweisen hatte, warum sie einen Kampf mit einem völlig Fremden begonnen hatte, der ihr nichts getan hatte. Dafür gab es immerhin genug Zeugen. Dann schüttelte er sich und flankte über die Bar. Er wollte hier auch nicht erwischt werden. Also folgte er ihr kurzentschlossen; der Weg führte durch ein kleines, überfülltes Büro und eine Küche auf einen Hinterhof, von dem zwei schmale Gassen wegführten. Er konnte sie und ihren Hund noch in der Mündung von einer davon verschwinden sehen, also entschied er sich für die andere und rannte davon, so schnell es sein malträtierter Körper zuließ. Niemand hielt ihn auf. Der Regen hatte noch immer nicht nachgelassen und als er wieder am Motel ankam, war er bis auf die Knochen durchnässt, ihm war kalt und langsam tat ihm auch noch alles weh, als das Adrenalin abklang, vor allem seine Nase, von der ein stetiger Schmerz ausging. Hatte sie sie ihm doch gebrochen? Er wagte nicht, sich zu vergewissern. Das würde er Meredy überlassen, wofür hatten sie sie immerhin dabei? Aus dem Zimmer, dass er mit Gray und Happy teilte, drangen gedämpft Stimmen heraus. Anscheinend waren sie alle dort versammelt und er blieb stehen. Vermutlich sah er ziemlich mitgenommen aus. Vermutlich würden sie jetzt noch mehr darauf bestehen, dass er die Operation abbrach. Und er hatte immer noch keine guten Worte gefunden, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Denn jetzt, mehr denn je, war er entschlossen, nicht aufzugeben. Diese durchgeknallte Blondine hatte sich geschnitten, wenn sie glaubte, dass sie ihn erschreckt oder vom Weg abgebracht hatte. Stattdessen brannte er regelrecht auf die Chance für ein Rematch, diesmal hoffentlich ohne Hund, und darauf, noch näher an das Geheimnis heranzukommen – und damit an seinen Bruder. Entschlossen stieß er die Tür zu ihrem Zimmer auf und trat ein. Er konnte genau erkennen, wie Gray das Wort im Hals stecken blieb, als er ihn sah. Die anderen sahen nicht weniger überrascht aus und Happy fragte sofort: „Was ist passiert?!“ „Also wirklich, Natsu!“, beschwerte sich Erza. „Das ist nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu prügeln!“ „Ich habe mich nicht geprügelt!“, protestierte er sofort, ehe er nachdachte. Dann schränkte er ein: „Ich meine, ich habe mich geprügelt, aber es ist nicht meine Schuld. Diese Irre hat mich einfach angegriffen! Einen Moment lang haben wir noch geplaudert, im nächsten fällt sie mich an wie eine wildgewordene Verrückte!“ Darauf folgte eine Reihe von gleichzeitigen Ausrufen und Natsu fügte noch hinzu: „Und ihr Hund auch.“, aber der Kommentar ging im allgemeinen Wortschwall unter. Erza war es, die sich zuerst Gehör verschaffte, in dem sie „Ruhe!“ brüllte. Sofort verstummten alle und der eine oder andere zog sogar den Kopf ein. Niemand wollte ihre Wut auf sich ziehen. „Wir sollten dich zuerst mal verarzten.“, schlug Meredy vor und stand auf. „Ich hole den Erste-Hilfe-Koffer.“ Damit verließ sie das Zimmer. „Setz dich!“, forderte Erza und Happy rannte zu ihm, um die Arme um ihn zu werfen. „Geht es dir gut?“ Natsu erwiderte die Umarmung einfach und fühlte sich sofort besser. „Klar, Kleiner.“, versicherte er selbstbewusst. „Es braucht mehr als eine Irre mit einem Hund, um mich kleinzukriegen, keine Sorge!“ „Ein Hund?“, wiederholte Levy aufhorchend. „Ja, so ein richtiges Monster, die kaum in einen Kofferraum passen.“ Mit der Hand zeigte Natsu, wie groß in etwa. Dabei musste er noch nicht einmal übertreiben, damit es auch wirklich imposant aussah. Levy allerdings wirkte nicht sonderlich beeindruckt, eher nachdenklich. Er ignorierte sie fürs erste; sie würde schon sagen, was sie hatte, wenn sie soweit war. Levy konnte nie lange über eine interessante Entdeckung die Klappe halten. „Haben wir noch was zum Essen da? Ich sterbe vor Hunger!“ „Hier, wir haben dir etwas aufgehoben.“ Gray schob ihm ein paar der rechteckigen Packungen zu, die alle den Aufdruck des Chinarestaurants trugen. „Es ist jetzt allerdings schon kalt.“ Natsu zuckte mit den Schultern und griff danach, doch Erza schlug ihm auf die Finger und er zuckte überrascht zurück. „Erstmal erzählst du, was passiert ist. Deine Nase ist übrigens gebrochen.“ Automatisch zuckte seine Hand zu dem genannten Körperteil und er keuchte erschrocken auf, als Schmerz durch seinen Schädel schoss. Seine Nase jedenfalls fühlte sich sehr … schief an. Dabei hatte er das doch nicht austesten wollen! „Finger weg!“, schalt Lyon, der urplötzlich neben ihm aufgetaucht war und dann beherzt zugriff, als der Pinkhaarige überrascht zu ihm aufblickte. Mit einem Knirschen glitt der Knochen auf seinen Platz zurück und Natsu schrie vor Schmerz auf. Einen Moment später jedoch klang dieser ab, bis er nur noch zu einem dumpfen Pochen geworden war, besser als vorher. „Aua!“, motzte er. „Eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen.“ Doch der Weißhaarige grinste ihn nur mitleidig an und trat zurück, um seiner Freundin Platz zu machen. „Also?“, verlangte Erza mit verschränkten Armen, während Meredy begann, ihren Patienten wieder zusammenzuflicken. So gut es ging, versuchte Natsu, die Ereignisse des Abends zu rekonstruieren, von da an, als er die Bar betreten hatte. Da Meredy ihn teilweise etwas behinderte, ging das nicht so einfach, wie erhofft, aber die anderen hörten wenigstens schweigend zu, bis auf Happy, der hin und wieder Fragen oder einen Ausruf loswerden musste. „Damit ich das auch richtig verstehe“, begann Gray langsam, nachdem er geendet hatte. „du bist in eine Bar gegangen, um etwas Dampf abzulassen, wurdest von einer heißen Braut angeflirtet und dann hat sie dich plötzlich angefallen, ihr habt die halbe Bar zerlegt und dann seid ihr abgehauen, als die Polizei eintraf?“ „Genau. Diese Wächter sind alle völlig durchgeknallt.“ Natsu tippte sich an die Stirn um zu verdeutlichen, was er meinte. „Manchmal glaube ich, du bist durchgeknallt.“, antwortete Gray. „Jetzt mal ehrlich, wie schaffst du es immer nur, die Verrückten anzuziehen?“ Natsu warf ihm einen finsteren Blick zu, doch Erza schaltete sich ein, ehe er etwas sagen konnte: „Das bedeutet, dass wir ihnen auf die Füße treten.“ Ihre Stimme klang dabei etwas zu erfreut für seinen Geschmack, doch er zog es vor, nichts dazu zu sagen. „Wir kommen ihnen näher!“ Lyon hatte mehr Mut als Natsu und warf ein: „Ich weiß nicht, ob das so eine tolle Nachricht ist.“ Als Erza ihn mit einem mörderischen Blick zuwarf, hob er beide Hände und wich einen Schritt zurück. „Ich meine, mir wäre es echt lieber, wenn sie nicht wüssten, wo wir sind. Das würde uns die Sache echt leichter machen.“ Nachdenklich wandte die Rothaarige sich ab. „Vermutlich.“, gab sie zu. „Aber es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie uns entdecken, so nah an ihrer Homebase. Am Ende spielt es keine Rolle.“ „Ich widerspreche.“, sagte Natsu und deutete auf seine Nase, die inzwischen gut versorgt war. Zum Glück hielt Meredy es nicht für nötig, ihn in die Notaufnahme zu bringen, da dort auch nicht mehr getan werden konnte als das, was sie schon gemacht hatte. „Das hätte ich mir erspart.“ Erza wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. „Das heilt wieder.“ „Ja, aber im Moment tut es weh!“, beschwerte er sich. „Und sie hatte einen sehr großen Hund dabei?“, warf Levy plötzlich von der Seite ein und alle anderen Anwesenden blickten sie fragend an. Natsu nickte bekräftigend. „Das Biest hat mir fast ins Bein gebissen, wie könnte ich da irgendetwas durcheinanderbringen?“ Levy runzelte die Stirn; irgendetwas war ihr aufgefallen, das ihnen anderen entgangen war. „So…“, begann sie langsam und schaute von Erza zu ihm und wieder zurück. „Erinnert ihr euch an unseren Besuch bei Professor Van Dyke?“ Die beiden nickten und Natsu wollte verwirrt wissen: „Was hat das mit allem zu tun?“ „Nun ja…“, sie blickte in die Runde und fügte hinzu: „Dieses blauhaarige Mädchen? Mit dem großen Hund?“ Für einen Moment fragte sich Natsu, was sie meinte, aber Erza ging offensichtlich sofort ein Licht auf, denn sie zischte: „Ich wusste es!“ Damit stapfte sie mit heftigen Schritten zum Fenster hinüber um einen Moment hinaus zu starren. „Erza?“, hakte Gray vorsichtig nach und hob entschuldigend die Schultern, als sie herumfuhr und ihm ihren tödlichsten Blick zuwarf. Doch diesmal ließ er sich nicht so sehr davon beeindrucken, dass er nicht weiter auf sie eindringen würde. „Was ist los?“ Für einen Moment sah es aus, als würde sie ihm auf der Stelle den Kopf abreißen, dann atmete sie tief ein und riss sich sichtbar zusammen. „Nichts.“, erklärte sie mit beherrschter Stimme. „Mir wurde nur etwas bestätigt.“ „Wenn uns das später in die Quere kommt…“, begann Lyon und Erza zischte feindselig: „Für wie unprofessionell hältst du mich?“ „Nicht unprofessionell, nur im Moment etwas … äh … emotional?“ Lyon brachte ein halbherziges Lächeln zustande und Erza sah aus, als würde sie jeden Moment explodieren. „Also können wir davon ausgehen, dass die Wächter auch Van Dyke auf dem Gewissen haben?“, schaltete Meredy sich ein, ehe ihr Freund einen Kopf kürzer gemacht werden konnte. „Sieht so aus.“, gab Gray zu. „Das wird ja immer besser!“, schnaufte Levy wütend und empört zugleich. „Van Dyke hat niemandem etwas getan. Er war ein wenig verschroben und paranoid, aber er war ein lieber Kerl, der seine Forschungen liebte und keiner Fliege etwas zuleide tun konnte! Außerdem hat er nicht mal wirklich nach Atlantis gesucht! Er war … er war ein Fachidiot.“ Sie zog die Nase hoch und Happy legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter. „Nicht weinen.“ Sie erwiderte die Umarmung halbherzig. „Keine Sorge. Ich bin nur … Ich weiß nicht, enttäuscht? Ich …“ Sie lächelte unsicher in die Runde. „Irgendwie hatte ich immer diese romantische Vorstellung von den Wächtern, dass sie gar nicht so böse sind, wie man immer sagt. Immerhin beschützen sie nur ihr Heimatland, nicht wahr? Aber das ist wohl nur eine dumme Idee gewesen.“ „Die Realität hält solchen Idealvorstellungen selten stand.“, erklärte Erza, die sich wieder gefasst zu haben schien und im Moment in drohender Geste die Faust ballte. „Aber wir werden schon mit ihnen fertig!“ „Ganz genau!“, jubelte Natsu. „Ich bin… Warte, ‚wir‘? Heißt das, dass ihr auch dabei seid?“ Gray schnaubte. „Das hat ziemlich lange gedauert, bis dir das aufgefallen ist. Ja, wir sind dabei. Fürs Erste.“ „Erza hat uns überzeugt.“, erklärte Lyon. „Irgendwer muss Laxus ja helfen.“ Levy nickte bekräftigend und auch die anderen blickten entschlossen drein. Gray grinste ihn frech an und fügte hinzu: „Außerdem würdest du es schaffen, dich innerhalb von drei Sekunden umbringen zu lassen, wenn niemand deinen blöden Arsch aus den Schwierigkeiten herauszieht, in die du ihn immer bringst.“ ~~*~~♒~~*~~ Station 7 – Periwinkle, 23.06.X790 Periwinkle – ehemals Chivana-ada-Siokala, die Perle des Ozeans – war ein winziges Dorf, das teilweise direkt in die Klippen gehauen war. Es hatte eine Uferpromenade mit einem kleinen Hafen, einen Stadtkern, dem man das Alter ansah, komplett mit einem kunstvollen Brunnen in der Mitte und zahlreiche, adrette Häuser in dem typischen südländischen Stil, den man hier fand. Das alles konnten sie sehen, während sie hindurchfuhren um die kleine Pension zu erreichen, in der sie sich ein paar Zimmer gemietet hatten. Am Rande gab es ein kleines Wohnviertel moderner Bauart, anscheinend begann man, den Ort etwas zu vergrößern. Außerdem hatte er eine Wunde. Vor etwas mehr als zehn Jahren war anscheinend ein großer Teil der hohen Klippen, in und vor die der Ort erbaut worden war, heruntergekommen und hatte den ältesten Teil der Stadt unter sich begraben. Levy hatte auf dem Weg ein paar Artikel darüber gelesen, außerdem erinnerte sie sich an das Ereignis. Immerhin war es eine der größten Katastrophen gewesen, die Fiore je heimgesucht hatten, und hatte weit über dreihundert Menschenleben gekostet. Sie war ein Teenager gewesen, also hatte sie es durch die Nachrichten mitgekriegt. Noch immer waren die Spuren des Unglücks zu sehen, die zerstörte Klippe, die inzwischen überwachsene Stelle, die unter dem Fels begraben worden war, ein riesiges Mahnmal mit einem Engel direkt daneben, das die Namen aller Opfer listete. Selbst Happy wurde still, als sie später daran vorbeigingen. Außer diesem Jahre zurückliegenden Ereignis war Periwinkle ein idyllischer, beschaulicher Ort, ein kleines Paradies nahezu. Die Menschen waren freundlich und grüßten auf den Straßen sogar und einige der Gassen wurden von spielenden Kindern blockiert. Es roch nach sandigen Straßen, klarer Meeresluft und den Blumen, die überall verteilt waren, und ein kühler Wind wirkte gegen die Hitze der Sonne an. Die engen Gässchen mit ihren Treppen und den Pflastersteinen, die durch den Ort führten, die gewundenen, ebenfalls gepflasterten Straßen und die bunten Fensterläden trugen nur zu dem malerischen Eindruck bei. Akazien, Olivenbäume und Zypressen säumten die Straßen und die Hügelkuppen um den Ort herum und der Hibiskus stand in voller Blüte. Die Brunnenfigur auf dem Marktplatz stellte eine sich windende, drachenähnliche Seeschlange dar und Natsu brauchte unbedingt ein paar Fotos mit ihr. Ein Passant bot ihnen an, ein Gruppenfoto von ihnen allen zu schießen, was sie begeistert annahmen. Momentan fühlte sich die Reise ein wenig an wie Urlaub, auch wenn keiner von ihnen die Gefahr vergessen hatte, in der sie steckten. Happy und Natsu kletterten sogar auf den Brunnenrand, was zur Folge hatte, dass Happy beinahe hineinfiel. Danach kehrten sie in das kleine Café ein und setzten sich an zwei der Tische, die am Rand standen. Nachdem die Bedienung ihnen ihre Bestellungen gebracht hatten, nippte Erza an ihrem Kaffee und meinte: „So weit, so gut. Jetzt sind wir also hier. Wie gehen wir weiter vor?“ Levy holte eine Kopie von Zirkonis‘ Karte hervor und Lyon faltete eine Umgebungskarte von Periwinkle auf, um sie auf den Tisch zu legen, den sie rasch von Geschirr befreit hatten. „Jetzt finden wir unseren Eingang.“, erklärte Levy bestimmt, doch Erza wedelte mit der Hand. „Das meinte ich nicht genau.“ Sie blickte sich kurz um, doch niemand war in der Nähe – es war zu früh für Nachmittagskaffee, darum hatten sie die Tische hier beinahe für sich allein. „Ich meinte, was machen wir mit unseren Verfolgern?“ Sie warf Natsu und seiner gebrochenen Nase einen kurzen Blick zu. „Wir wissen, dass die Wächter uns an den Hacken kleben. Ich bezweifle, dass sie unsere Spur verloren haben. Außerdem scheinen wir die Gesellschaft auf uns aufmerksam gemacht zu haben. Früher oder später werden auch sie herausfinden, wo wir stecken. Und eigentlich habe ich keine Lust, dass denen auch nur eine Schraube aus Atlantis in die Hände fällt.“ „Ja, damit können die schon zu viel anstellen.“, gab Lyon zu und Gray nickte bekräftigend. „Wir sollten uns vielleicht erstmal bedeckt halten, was unsere Motive hier angeht.“ „Was erwarten wir eigentlich, hier zu finden?“, warf Meredy ein. „Atlantis? Das ‚letzte Schiff‘? Oder einfach weitere Hinweise?“ „Nun, der Text war nicht ganz klar in dem Punkt.“, gab Levy zu. „Oder ich habe etwas falsch gemacht. Ich glaube aber nicht, dass wir hier einen Eingang zu Atlantis selbst finden. Chivana-ada-Siokala ist höchstens eine Zwischenstation.“ „Wenn man bedenkt, wie kompliziert die Hinweise bis jetzt waren, könnte es durchaus sein, dass wir hier nur weitere finden.“, bemerkte Gray. Natsu kratzte sich am Kopf. „Erstmal müssen wir sie finden. Dann sehen wir schon, was es ist.“ „Deinen Optimismus möchte ich haben.“, knurrte der Schwarzhaarige. „Wir sollten uns beeilen.“, schlug Erza vor. „Je schneller wir das hinkriegen, desto schneller sind wir hier wieder weg. Vielleicht verpasst uns die Gesellschaft dann.“ „Na gut, was sagt die Karte?“ „Sie zeigt das alte Layout der Stadt, damals, als Zirkonis noch gelebt hat.“, erklärte Levy. Soviel wusste sie inzwischen schon. „Hier, das ist ein weiterer Ankhseramtempel. Langsam beginne ich zu glauben, dass er eine Verbindung zu Atlantis hat.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern. „Etwa zweihundert Jahre nach dem Entstehen dieser Karte brannte die ganze Ortschaft ab. Sie wurde ein weiteres Mal knapp fünf Jahrhunderte später durch ein Erdbeben völlig vernichtet und neu aufgebaut. Seitdem ist sie in ständigem Wandel.“ Sie deutete zu der zerstörten Klippe hinüber, die von hier gut zu sehen war. „Erst vor ein paar Jahren gab es einen sehr großen Einschnitt, wenn ich euch das nochmal klar machen kann. Ich habe keine Ahnung, wo dieser Tempel stand, das kann ich nur vermuten.“ Sie starrte die Karten mit gerunzelter Stirn an. Als sich das Schweigen in die Länge zog, blickte sie verwirrt auf und zuckte zurück, als sie bemerkte, dass alle sie anstarrten. „Wa…was ist?“ „Und?“, drängte Gray. „Was ist deine Vermutung?“, wollte auch Meredy wissen und Levy hob unsicher die Schultern. Sie drehte die alte Karte etwas, so dass die Küstenlinien parallel lagen. „Der Maßstab der modernen Karte ist etwas geringer. Hier ist das Stadtzentrum und wenn ich meinen Quellen glauben darf, hat sich das über die Jahre hinweg nicht verändert. Hier wäre dieser Berg, seht ihr? Und die Klippen.“ Sie zeigte ihren Kameraden, was genau sie meinte. „Und hier war der Tempel.“ Sie fuhr mit dem Zeigefinger über das Papier, bis sie das besagte Gebäude erreichte. „Das wäre auf dieser Karte das hier und für uns würde das bedeuten…“ Sie blickte sich um und deutete dann auf einen etwas außerhalb der Stadt befindlichen Hügel. Er war von Bäumen bewachsen und bot vermutlich einen weiten Blick über das Land. Das war gar keine so schlechte Vermutung, fuhr es ihr durch den Kopf, ein guter Platz für einen Tempel. „…dort.“ „Okay!“ Natsu sprang von seinem Platz auf. „Lasst uns…!“ Erza zog ihn am T-Shirtsaum wieder zurück auf seinen Platz, während alle anderen kicherten. „Immer langsam mit den jungen Pferden. Die Sonne geht gleich unter und ich habe keine Lust, im Dunkeln auf diesem Hügel herumzustolpern. Das letzte Mal hat mir gereicht! Diesmal kann uns niemand verbieten, dort herum zu stolpern.“ „Hast du nicht gerade gesagt, wir sollten uns beeilen?“ „Ich sagte nichts von überstürzen!“ „Außerdem müssen wir sowieso unsere Ausrüstung mitnehmen.“, warf Lyon ein, ehe es zu einem Streit kam. „Das Beste wäre es, wenn wir uns heute einen schönen Abend machen, uns vorbereiten und uns morgen in aller Frühe diesen Hügel ansehen.“, schlug Gray vor und bekam allgemeine Zustimmung zu hören, nur Natsu schmollte ein bisschen vor sich hin. Damit schien das Thema abgehakt zu sein. Sie packten ihre Karten wieder weg und kurz darauf waren alle in einzelne Gespräche vertieft. Nur Levys Blick wanderte immer wieder zu dem Hügel hinüber, den sie selbst ausgewählt hatte. Was würden sie dort wohl finden? Tatsächlich nur weitere Hinweise? Oder doch den Eingang zu etwas Größerem? Vielleicht den Außenposten, den die überlebenden Atlanteaner hier errichtet hatten, nachdem sie aus der Stadt entkommen waren? Vielleicht sogar das ‚letzte Schiff‘ – die berühmte Nautilus, wie Levy vermutete? Würden die Wächter von Atlantis sich ihnen in den Weg stellen? Würde die Gesellschaft der Wahren Morgendämmerung schnell genug sein, um sich auf ihre Spuren zu setzen? Würden sie überhaupt etwas finden? Auf keine dieser Fragen konnte sie jetzt eine Antwort geben, doch eines war sicher: auf jeden Fall würde es aufregend werden. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)