My Dear Brother 2 von ellenchain (The Humans) ================================================================================ Epilog: Umzug ------------- »Bist du dir sicher?« »Ja ...« »Wirklich?« »Ja-ha!«, stöhnte Jiro auf und verdrehte die Augen. Er stemmte sich etwas vom Bett ab und rutschte von der erhöh-ten Bettkante in den Rollstuhl, den Alexander für ihn bereit-hielt. »Nicht, dass du mir umkippst«, mahnte er seinen kranken Freund und nahm die Infusion vom Haken, um sie an den Rollstuhl zu klemmen. »Ich sag vorher Bescheid«, seufzte Angesprochener und rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Ich will einfach mal wie-der raus ... Die eine Woche Krankenhaus hat mir gereicht.« »Du hast viel Blut verloren ... und hast viele Wunden. Die können dich nicht einfach so wieder rausschicken. Außerdem ist dein Bein verstaucht.« Alexander öffnete die Tür des Zim-mers und schob Jiro vorsichtig auf den Gang, der bereits ge-dämmtes Licht zeigte. Es war früh am Abend, doch die Sonne war bereits untergegangen; so konnten sie entspannt in die äußere Welt gehen. »Wessen Schuld wird das mit dem Blut wohl gewesen sein, hm?«, platzte es aus Jiro raus, der sofort die Arme verschränk-te. »Ja, ja. Ich hab mich doch entschuldigt.« Alexander schmunzelte leise vor sich hin, während er Jiro in den Aufzug schob und mit ihm in die untersten Stockwerke fuhr. Vor einer Woche wurden sie von der Polizei am Strand ge-funden und sofort ins Krankenhaus gebracht. Alexander hatte viel von Jiros Blut getrunken und genau das hatte ihm das Le-ben gerettet. Die UV-Flüssigkeit hatte einige seiner Adern verödet und somit eine weitere Ausbreitung verhindert. Der Bauchraum wurde dann noch in der Intensivstation genäht. Als sie ihm Blut abnehmen wollten, wehrte er sich und ver-schwand schließlich spurlos aus dem Krankenhaus, während er Jiro noch da ließ. Der regenerierte sich zu seinem Leidwe-sen nicht so schnell wie Alexander. Dieser musste nur ein paar Liter Blut trinken, um seine Wunden zu schließen. Jiro hatte einige Quetschungen erlitten, viele Schnitte und blaue Flecken. Ein Schienenbein schien von einem Sturz ver-staucht gewesen zu sein. Vom Blutverlust mal ganz abgesehen. Sie nähten ihm alle Wunden ohne zu Fragen zu, als sei es das normalste der Welt, dass jemand mit zwei zahngroßen Lö-chern am Hals eingewiesen wurde. Die Polizei verhörte ihn am nächsten Tag über die vergan-gene Zeit. Jiro schilderte alles so genau er konnte, erklärte, worum es ging – natürlich ohne Vampire zu erwähnen. Dass der Mörder von der Party auch ihr Verfolger war und er mit seinen Freunden gezwungen war, gegen das Gesetz zu versto-ßen. Niemand wollte dabei jemandem schaden – nur sich sel-ber retten. Wie von Zauberhand, als hätte jemand im Hinter-grund ein paar Fäden gezogen, wurde die Anklage fallen gelas-sen, sodass Jiro und Alexander aus dem Spiel waren. Natürlich unterrichtete Jiro auch seine Mutter so weit wie nötig über die Geschehnisse. Sie ließ sich zwischendurch mal blicken und war heilfroh, dass es ihrem Sohn soweit gut ging. Jiro bestand darauf, Alexander vorzustellen, sodass die bei-den ebenfalls einander kennen lernten. Der sonst so großkot-zige junge Mann wurde auf einmal schüchtern und zurückhal-tend, sagte nichts und stand regelrecht wortlos neben Jiros Bett, während die Mutter nicht mehr aus dem Redefluss he-rauskam, was für ein toller Mann Alexander sei und Jiro end-lich mal einen anständigen Freund gefunden hätte. Natürlich schmeichelte das dem Vampir, wusste trotzdem genau, dass es auch mit seiner besonderen Aura zu tun hatte, dass Jiros Mut-ter ihn so toll fand. Alexander kehrte zu seiner Tante zurück und unterrichtete sie, was passiert war. Sie hatte großes Verständnis und schwor, seinen Eltern nichts von den Erlebnissen zu erzählen; soweit sie die Medien nicht schon genug darüber aufgeklärt hätten. Stattdessen unterstützte sie ihn, so gut sie konnte, in dem sie ihm weiterhin die Möglichkeit bot, bei ihr zu wohnen. Zumin-dest so lange, bis Jiro wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde und Alexander sicher gehen konnte, dass er wieder fit war. »Wie geht es deiner Tante?«, fragte Jiro leise, als er von sei-nem Freund aus der Klinik gefahren wurde. Die Laternen im kleinen Park vor dem Gebäude leuchteten sanft auf die Straße, sodass selbst Jiro gut sehen konnte, wohin es ging. »Gut, danke. Sie wünscht dir auch weiterhin gute Besse-rung«, antwortete Alexander ruhig und lächelte vor sich hin. »Habe ihr gesagt, dass du schon wieder frech zu mir bist. Da hat sie gelacht und gemeint, du wärst auf dem besten Weg der Besserung.« »Hey!«, rief der Mensch sofort aufgebracht und drehte sich in seinem Sitz um. »Das hast du hoffentlich nicht gesagt! Was soll sie denn von mir denken?!« »Genau das Richtige?« Alexander lachte laut los und zeigte seine perfekten Zähne. Auch sein legeres Langarmshirt, wel-ches mit einer eng sitzenden Jeans zusammen einfach nur per-fekt wirkte, ließ jede seiner Muskeln herausstechen und ihn makellos wirken. Jiros Blicke waren vielleicht etwas in Neid getunkt, je länger er auf den groß gewachsenen jungen Mann starrte. Wie gern hätte er auch so schnell wieder sein normales Aussehen zurückerlangt. Wie gerne wäre auch er so stark ge-wesen. So wie sein Freund. Als sie an einer kleinen Bank ankamen, hielt Alexander den Rollstuhl an, stellte ihn zu sich und setzte sich auf die Bank. Jiro blieb im Rollstuhl sitzen und lächelte Alexander an, der liebevoll seine Hand streichelte. »Danke ...«, murmelte Jiro schließlich leise, sah auf die blasse Haut und legte eine Hand auf Alexanders. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass du dich nicht mehr bedanken sollst ... für -«, begann Angesprochener, wurde je-doch von Jiro unterbrochen, der sanft seine Fingerkuppen auf seine Lippen legte. »Danke für ... deine Besuche. Dass du hier bei mir warst. Für das andere natürlich auch, aber ...«, lachte er dann leicht ner-vös auf, »... da haben wir uns ja wirklich auf ein Ende der Dankbarkeit geeinigt.« »Ich bin kein Held ... Es passt alles so, wie es ist.« Alexander schmunzelte, umschloss Jiros Hand und küsste seine Finger-kuppen. Der zog diese sofort weg und räusperte sich unange-nehm berührt. Er wurde sogar rot und sah zur Seite. Alexan-der tat diese seltsamen Dinge seitdem sie im Krankenhaus wa-ren. Ob Jiro das alles richtig verstand? Er lag eine Woche flach, konnte sich für einige Tage kaum bewegen und sehnte Alexanders Besuche regelrecht herbei. Jeden Abend kam er heimlich in das Krankenhaus geschlichen und brachte seinem Freund Süßigkeiten oder andere leckere Dinge, die er mochte, damit er die Stunden nicht alleine verbringen musste. Jiro war ihm so dankbar für all die Klei-nigkeiten, die er für ihn tat. Und hier und da ... küsste Aelxan-der ihn auf die Hand. Es war eine seltsame Geste, selbst für Jiro, der schon viel gesehen und miterlebt hatte. Eine Geste, die er nicht einschätzen konnte, ob sie ernst oder einfach nur liebevoll gemeint war. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Alexander eine weile lang sein Gesicht musterte. Es war fast ein beängstigen-des Starren, da er nicht aufhörte, selbst als Jiro seinen Blick erwiderte und nervös lächelte. Seit dem Biss und seitdem Jiro nun eindeutig bewusst geworden war, dass Alexander ein ech-ter Vampir war, fühlte er sich regelmäßig unwohl. Nein, es war kein unangenehmes Gefühl – es war ein Gefühl der Unsicher-heit. Er konnte Alexander nicht mehr einschätzen, egal, was er tat. Ein leichtes beängstigendes Gefühl schwang einfach in jeder seiner Handlungen mit. Trotzdem suchte er seine Nähe und ließ den Vampir tun und lassen, was er wollte. »Was ist?«, fragte Jiro vorsichtig, als das Starren immer noch anhielt. »Ich«, begann der schwarzhaarige und strich fast verloren über die Wangen seines Gegenüber, »finde dein Gesicht wirk-lich ästhetisch; so ohne das ganze Metall.« Jiro wurde schlagartig rot und entzog sich der liebevollen Berührung. Meinte Alexander das ernst? »Die Piercings werden nach den letzten Untersuchungen wieder rein gemacht! Darauf kannst du Gift nehmen!«, pruste-te der Punk raus, beachtete nicht weiter den ersten Teil von Alexanders Worten und strich sich verloren über seine Lippen. Ohne seine Piercings fühlte er sich leer, fast ein wenig nackig. Dass Alexander genau das schätzte, machte ihn nervös. Seit-dem die beiden mehr oder weniger alleine unterwegs waren, schien die Beziehung sich zu intensivieren und Alexander sag-te ständig seltsame Dinge. Jedenfalls war sich Jiro bewusst, dass es nicht normal für ihn war, Herzklopfen zu bekommen, wenn Alexanders Besuch anstand. Ganz im Gegenteil: Es machte ihn fast verrückt, wann immer er an den Vampir dach-te. Wann immer seine Gedanken um ihn kreisten, sehnte er sich nach seiner Anwesenheit. Es war das unsichere, sichere Gefühl, was er ihm gab; und was er mittlerweile brauchte. »Weißt du schon, wann du entlassen wirst?«, fragte Alexan-der leise und streichelte wieder über Jiros Hand. »Die Schwester meinte in ein paar Tagen. Vielleicht in 4 oder 5. Wenn sie sicher gehen können, dass meine Blutwerte wieder in Ordnung sind und mein Bein abgeschient werden kann.« Jiro sprach die Worte aus, als wäre nichts dabei, endlich ent-lassen zu werden; er freut sich natürlich auf die wiedererlangte Freiheit und fieberte regelrecht auf diesen Tag hin. Doch zugleich füllte sich sein Gemüt mit Wehmut. Der Tag seiner Entlassung wäre auch der Tag, an dem Alexander wie-der zurückreisen würde. Das hatte er bereits angekündigt. »Fährst du dann ...?«, murmelte Jiro leise und sah unsicher in die eisblauen Augen, die mehrmals blinzelten. »Ja, doch. Meine Eltern machen sich schon Sorgen, dass ich mich eine Woche nicht gemeldet und jetzt wie aus dem Nichts meine Reise um weitere zwei Wochen verlängert habe. Außer-dem geht die Schule wieder los ...« Alexander kichert kurz auf. »Auch wenn das eher ein Grund wäre, noch weiter hier zu bleiben.« Jiro lachte für einen kurzen Moment mit, beobachtete dabei Alexanders perfektes Lächeln. Schließlich verstummte er und presste die Lippen aufeinander. »Kommst du denn dann irgendwann... wieder?« Und als wäre er selber über die Frage erschrocken, zog er seine Hände von Alexander weg, schnaubte aus und ver-schränkte die Arme, um eine abwehrende Haltung zu sugge-rieren. »Ich meine... nur, damit ich dir endlich mal wieder eine reinhauen kann. Du weißt schon, unser Duell von vor dem Club ist noch lange nicht beendet! Ich ... bin nur kurz ange-schlagen... aber wenn's mir wieder besser geht – ja, dann!« Alexander lächelte nur und nickte. »Selbstverständlich. Das Duell muss doch ausgetragen werden.« Es war das erste Mal, dass er einen Menschen gerne immer um sich herum gehabt hätte. Sei es zum streiten oder zum lieb haben. Vincent hatte Jiro als sein Haustier beschimpft und schon öfter hatte sich Alexander bei dem Gedanken erwischt, dass er es wirklich gut fände, wenn dem wirklich so sei. Jiro einfach mitzunehmen, zu sich, in seine große Wohnung am Stadtrand, die ihm alleine zu einsam erschien. Der Mensch würde schon dafür sorgen, dass es nicht langweilig werden würde. Aber ihn aus reinem Vergnügen mitzunehmen, er-schien ihm nicht richtig. Er wollte sich ändern; er wollte Men-schen als echte Wesen sehen – nicht nur als Spielzeug. Jiro hatte ebenfalls ein Leben, er ging zu Schule und hatte Freunde. Nichts von dem konnte Alexander ersetzen. Es blieb für ihn also utopisch, den Menschen mitzunehmen. Von seiner sehr wahrscheinlich generellen Abneigung in den Norden zu ziehen mal ganz abgesehen. »... gut«, war alles, was Jiro noch über seine Lippen brachte, um die kurze Stille zu unterbrechen. Als noch weitere Sekun-den verstrichen, in denen kein Wort fiel, musste er grinsen. »Das fühlt sich irgendwie jetzt schon nach Abschied an.« »Ja.« Alexander wusste selber nicht so ganz, wie er mit der Situation umgehen sollte. Was sollte er sagen? Tun? Vorschla-gen? Nach der Aufregung der vergangenen Tage war er um ein wenig Ruhe bemüht. Oft kam er einfach nur zu Jiro, sie aßen zusammen – obwohl Alexander daneben saß – und sahen et-was fern. Sie redeten über belanglose Dinge, vermieden Stress-themen wie Vincent oder Vampire generell und genossen ein-fach die Zweisamkeit. Die Einsamkeit zu zweit. »Hast du 'ne Kippe?«, fragte Jiro dann wie aus dem Nichts und holte Alexander wieder aus seinen Gedanken. Der zuckte etwas überrascht zusammen, nickte sofort und holte eine schwarze Schachtel raus. »Oh, du hast Djarum Black gekauft? Rauchst du die jetzt auch?«, fragte der Mensch erneut und bewunderte die dunkle Schachtel mit den schwarzen Zigaretten. Doch Alexander hielt kurz inne. »Ich habe sie für dich gekauft. Aber jetzt, wo wir so über das Rauchen sprechen – du solltest damit aufhören.« »Wie bitte?« »Du sollst damit aufhören. Du kannst davon sterben.« »Das ist ja wohl ein schlechter Scherz!«, prustete Jiro los und lachte angeschlagen los, »Aber du darfst rauchen, ja? Vergiss es! Ich lass mir das bisschen Freude nicht nehmen!« Mit einer Handbewegung fuhr Jiro über Alexanders Arm und griff sich die Zigarettenbox, die noch in seiner Hand lag. Eine Geste, die der Vampir einfach mal geschehen ließ. »Mich bringt das Rauchen nicht um. Dich schon.« »Ach ja? Hm«, brummte Jiro, steckte sich eine Zigarette an und hielt seine andere Hand fordernd auf. Alexander zögerte für einen Moment, nahm sich ebenfalls eine Zigarette, kramte das Feuerzeug aus der Hosentasche und zündete Jiros Zigaret-te ohne zu Fragen einfach an. Die offene Handfläche zog sich wieder zurück, nahm den Glimmstängel und führte ihn aber-mals zu den feuchten Lippen. Jiro rauchte genüsslich aus und seufzte sogar, als ihn das Nikotinhigh einholte. Viel zu lange war die letzte Zigarette her. Im Krankenhaus sahen sie es nicht gerne, wenn er am Fenster rauchte. Und mit dem Auf-stehen hatte er so seine Probleme. »Du solltest vor allen Dingen erst mal wieder gesund wer-den, bevor du wieder anfängst Kette zu rauchen«, mahnte A-lexander seinen Gegenüber erneut und rauchte ebenfalls einige Züge, bevor er Feuerzeug und Zigaretten in Jiros langen Car-digan steckte. »Pass mal auf, Mama«, betonte Jiro redes einzelne Wort und sah Alexander mit hochgezogenen Augenbrauen an, »Ich bin alt genug. Ich weiß, dass Rauchen schädlich ist und dass ich noch am Rande der Existenz krieche. Aber ich finde, dass ich mich bisher außerordentlich gut geschlagen habe!« Ein sanftes Grinsen schlich sich über Alexanders Lippen, welches Jiro sofort erwiderte. »Du hast ja Recht. Ich denke nur immer daran ... wie zer-brechlich ihr Menschen seid.« »Ich bin nicht zerbrechlich. Ich halte einiges aus«, spaßte Ji-ro, überschlug die Beine und legte den geschienten Fuß auf die Sitzfläche der Bank, auf der Alexander saß. Der strich sofort sanft über das Fußgelenk und seufzte leise. »Aber eben nicht alles ...« Die Momente, in denen er um das Leben des Punks fürchten musste, brachten ihn fast um den Verstand. So gleichgültig, wie er ihm von vornherein war, so wichtig war er ihm jetzt. Wie das passieren konnte, war ihm unbegreiflich. Eigentlich verkörperte Jiro so alles, was Alexan-der ablehnte. Aber diese Differenzen schienen nur oberflächli-cher Natur zu sein. »Dann mach mich doch zu einem von euch«, sprach Jiro den Satz aus, den er schon die ganze Zeit dachte. Seitdem er im Krankenhaus aufgewacht war und Alexander völlig unversehrt neben ihm saß, war er neidisch auf seinen Lebensstil. Diese Unsterblichkeit, diese Anmut und diese Aura. Wie gerne wäre er auch wie Alexander gewesen. Oder wie sein Kumpel Hiro war… Tief in seinem inneren wusste er aber auch, dass es Gefahren mit sich bringt. Die letzte Woche hatte ihm zu genüge gezeigt, dass gerade die Sonne der größte Feind sein konnte, wenn man nicht richtig aufpasste. »Auf keinen Fall«, kam es wie aus der Pistole aus Alexanders Mund geschossen. Seine sonst so glatte Stirn legte sich schlag-artig in Falten und ein rügender Blick folgte. »Das will ich nicht noch einmal hören.« »Was ist das Problem?«, hakte Jiro nach, die Zigarette in die Höhe haltend. »Die Verwandlung fiel bei Hero doch nur fehl, weil er synthetisches Blut anstatt Vampirblut getrunken hat, oder hab ich das falsch verstanden?« »Ich werde dich nicht verwandeln. Punkt.« Alexanders Wor-te waren harsch, ja, vielleicht sogar ein wenig trotzig. Er wollte nicht darüber nachdenken, dass der zerbrechliche Mensch ein weiteres Mal unter ihm liegen würde; weinend und schmerzer-füllt, während er sich von seinem Blut bedienen würde. »Du willst mich nur irgendwann an Krebs sterben sehen, gib's zu.« »Wie kannst du so etwas sagen?«, raunte Alexanders los und sah in die verständnislosen grünen Augen, die ihn maßregelnd ansahen. »Ich will dich auf keinen Fall sterben sehen!« Jiros Wangen verfärbten sich wieder etwas rosa. Wieso musste er auch so eine dünne Haut im Gesicht haben? Trotz-dem versuchte er dem Blick stand zu halten und hielt die fins-tere Mimik bei. »Dann verwandel mich.« »Nein«, antwortete Alexander böse und rauchte schließlich auf. Schwungvoll schnippste er den Stummel auf den Schot-terweg des Parks. »Das geht vor allen Dingen nicht so einfach. Das weißt du.« »Ja, ja.« Jiro rauchte ebenfalls auf, warf die Zigarette nur zu Boden und trat sie mit dem am Boden stehenden Bein aus. Schließ-lich entzog er Alexander auch seinen geschienten Fuß und stellte beide Beine wieder auf den Rollstuhl. So lange Alexan-der keinen Antrag für Jiro bei der Academy stellen würde, konnte er eine Verwandlung vergessen. Und sein Freund schien noch stärker gegen die Unsterblichkeit zu sein, als ge-dacht. Vielleicht lag ihm die Erinnerung an seine eigene Ver-wandlung noch tief im Magen, weswegen er dieses Leid nicht weitergeben wollte. Aber selbst wenn, dachte Jiro, die paar Minuten Schmerz könnte er sicherlich überleben. Oder auch nicht, im wahrsten Sinne des Wortes. »Ich würde mir nur wünschen«, begann Jiro leise, als er Ale-xanders verkniffenes Gesicht sah, »dass ich, jetzt wo ich alleine hier im Süden sitze, mehr in deiner Welt teilhaben könnte, als jetzt. Sie sieht wirklich schön aus.« »Das ist sie aber nicht«, fiel Alexander ihm fast ins Wort und schnaubte aus. »Sie ist kaltherzig und miserabel. Es zählen nur Leistung und Ansehen, nichts weiter. Menschlichkeit gibt es nicht mehr. Abgestumpfte Wesen, die Tag ein, Tag aus ihr Dasein fristen. Das ist kein Leben. Das ist bloße Existenz.« Die Worte des Schwarzhaarigen stachen ein wenig in der Brust des Menschen. Jiro war jemand, der das Leben sehr schätzte, der gerne Feiern ging, der gerne viele Leute um sich hatte. Als Vampir könnte er das alles nicht mehr tun. Und nach Alexanders Worten waren alle anderen Vampire mit Müll gleichzusetzen. Jiro war sich sicher, dass Alexander gerne ü-bertrieb und vieles aus seinen Augen erzählte; trotzdem deck-ten sich die Erzählungen von Hiro mit denen von Alexander. So musste er wohl oder übel annehmen, dass die Mehrzahl der Untoten wirklich auch gefühlstechnisch tot waren. »Sag mir Bescheid, wenn du deine Meinung irgendwann ge-ändert hast«, schmunzelte Jiro und sah noch einmal in Ale-xanders Augen. Diese erwiderten den Augenkontakt und schienen nicht ein einziges Mal zu blinzeln. Die Ernsthaftig-keit war deutlich zu erkennen; auch der Entschluss, dass er niemals seine Meinung ändern wird. Wie gerne hätte Alexander dem Menschen stattdessen etwas anderes vorgeschlagen. Wenn er seine Welt so gerne mochte, könnte er mitkommen. Einfach mit in den Norden. Zu Hause auf ihn warten, vielleicht auch jobben gehen. Aber immer wie-der dachte er an Vincents Worte: Haustier. Jiro sollte kein Haustier werden. »Wollen wir wieder rein? Es wird langsam frisch«, begann Alexander und stand bereits auf, ohne eine Antwort abzuwar-ten. Das ganze Gespräch hinterließ eine unangenehme Stim-mung. »Gehst du schon?«, stellte Jiro eine Gegenfrage. »Du bist doch noch gar nicht so lange hier.« »Ich kann ja noch ein bisschen im Zimmer bleiben.« Ein sanftes Lächeln fuhr wieder auf die Lippen des Men-schen. »Gut.« Während er schweigend von Alexander durch den Park ge-schoben wurde, betrachtete er die Welt um das Krankenhaus. Ob Alexander ihn nur besuchen kam, weil er sich für ihn ver-pflichtet fühlte? Oder war die Freundschaft wirklich auf Ge-genseitigkeit? »Alexander? Darf ich dich was fragen?«, begann Jiro zöger-lich und drehte sich ein wenig zu seinem Schieber um. Nur die weißen Hände, die sachte auf den Griffen des Rollstuhls lagen und ihn schoben, blitzten durch das Mondlicht. »Seit wann fragst du, ob du fragen darfst?«, kicherte Alexan-der leicht über das zahme Verhalten von Jiro amüsiert. »Ist vielleicht eine persönliche Frage, deswegen frag ich lie-ber vorher.« »Persönlich? Schieß los.« »Hast du«, stotterte Jiro schon fast vor sich hin, räusperte sich und legte brav die Hände in den Schoß. »Hast du eigent-lich viele Freunde im Norden?« Alexander hob eine Augenbraue. Er hatte sich eine persönli-chere Frage vorgestellt. Doch vielleicht steckte die wirkliche Neugierde zwischen den Zeilen? »Nicht wirklich. Hier und da einige Leute, mit denen ich viel mache, aber Freunde würde ich das nicht nennen.« »Was nennst du denn einen Freund?« Jiro horchte regelrecht auf Alexanders Worte. Der überlegte kurz, schob den Rollstuhl dabei wieder in das Gebäude und drückte am Fahrstuhl den Knopf zum hochfah-ren. Da blickten sie sich wieder in die Augen. »Jemand, bei dem ich gerne bin. Dem ich alles erzählen kann und der mir zuhört. Das ist doch ein Freund, oder nicht?« Alexanders Unsicherheit ließ Jiro schmunzeln. Ob er verstand worauf er hinaus wollte? »Ja, schon. Es gibt ja auch Freunde, die man eher selten sieht und die man trotzdem mag.« »Wie gesagt: ich nenne nicht viele Leute meine Freunde.« »Bin ich denn dein Freund?« Jiro fühlte sich schlagartig in den Kindergarten zurückver-setzt, wo man diese Frage noch blauäugig stellte. Im nächsten Moment kam er sich ziemlich dumm vor, überhaupt ein sol-ches Thema angeschnitten zu haben. Auch Alexanders Augen weiteten sich ein Stück und schienen über die Frage überrascht zu sein. Der Fahrstuhl öffnete die Türen, sodass Alexander wieder nach Jiros Rollstuhl griff und ihn in den Aufzug zog. Er drückte auf die Etage von Jiros Station und beobachtete noch, wie die Türen sich schließen. »Doch, ja. Du bist mein Freund.« Die Worte klangen nervös, vielleicht auch unsicher. Ein sol-ches Gespräch war auch für Jiro neu. Normalerweise ergaben sich Freundschaften eben; oder wie in Hiros Fall waren sie seit klein auf dabei. Aber Zeiten ändern sich – Freundschaften kamen und gingen. »Cool«, kicherte Jiro, um die Situation etwas aufzulockern und zwinkerte Alexander zu, der wie eine Salzsäule neben sei-nem Rollstuhl stand. »Dann musst du mir deine Handynum-mer geben. Oder hast du Skype?« »Ich hab was?«, fragte Alexander nach und hob beide Au-genbrauen. »Skype.« »Was ist das?« Jiro seufzte und sah grinsend auf den sich öffnenden Fahr-stuhl. Das würde noch lange, lange dauern, dachte er. Alexan-der schien nicht von dieser Welt zu sein. Auch die Eigenheit, dass er nicht wusste, wie man den Kaffeeautomaten im Kran-kenhaus bediente, ließ Jiro immer wieder schmunzeln. Ob-wohl der Vampir sonst so perfekt wirkte, so schien er in alltäg-lichen Handlungen unbeholfen wie ein kleines Kind zu sein. »Da können wir schreiben. Und telefonieren. Und uns sogar dabei sehen, wenn du eine Webcam hast.« »Ist das die Kamera an Laptops?« Alexander nahm die Griffe wieder in die Hand und schob Jiro den Gang entlang. Noch immer war die Etage wie ausgestorben und mit gedämmten Licht versehen. Nur eine Schwester saß in ihrem Kabuff und las eine Zeitschrift. »Ja, das sind die Kameras an Laptops«, gab Jiro kichernd sei-nem Schieber Recht. Als sie beide das Zimmer erreichten – wo Alexander darauf bestand, dass es ein Privatzimmer werden sollte –, schloss er die Tür, schob Jiro an das Bett und half ihm auf die Beine. Er umfasste liebevoll seine Hüfte, hob ihn etwas an, sodass Jiro sich an seinen Schultern festhalten konnte. Mit nur wenig Kraftaufwand schwebte Jiro mit den Füßen in der Luft. »Hey ... ich bin nicht invalid. Ich hab nur einen verstauchten Fuß ...«, murmelte der Mensch und klammerte sich trotzdem an Alexanders breiten Schultern fest. Noch nie hatte ihn je-mand so bemuttert. Nicht einmal die eigene Mutter. »Ich helfe dir doch auch nur aufs Bett«, wisperte Alexander zurück und streifte mit einer Hand die Bettdecke zur Seite, um Jiro vorsichtig auf der Matratze abzusetzen. Die Momente, in denen Jiro dem Vampir so nah sein durfte, waren ihm besonders heilig. Alexander roch gut. Er duftete immer etwas herb. Männlich. Frisch gewaschen und gestylt. Ob er sich immer so herrichtete? Wie lange er wohl im Bad braucht? Und ob er sich nass rasieren oder trocken rasieren würde? All diese Dinge fragte sich Jiro aus purer Langweile tagtäglich, seitdem sie sich kannten. Aber fragen würde er die-se Dinge nie. Er wollte sie irgendwann selber herausfinden. Denn Alexander schien interessant zu sein. Interessant zu be-obachten. »Danke ... Mama«, spaßte Jiro, setzte sich auf die Bettkante und strich noch einmal vorsichtig über Alexanders Nacken, der sich wieder aufrichtete. Eine Geste, die den Vampir ange-strengt ausatmen ließ. »Setz dich zu mir«, bat der Punk und klopfte neben sich auf das Bett. Er wollte den Mann neben sich sitzen haben, nah bei ihm. Zwar hatte er das Händestreicheln genossen, aber jetzt wollte er eine andere Nähe. Alexander tat, wie von ihm verlangt, und setzte sich direkt neben Jiro. Vorsichtig legte er seine Hände in den Schoß und räusperte sich etwas unangenehm berührt. Erst als sein Nach-bar sich langsam zu ihm beugte, das Kinn auf der Schulter ab-legte und einen Arm um seinen schlang, seufzte Alexander auf. Er musste sich beherrschen, nicht wieder auf dumme Ge-danken zu kommen. Er roch Jiros Blut. Sein Herzschlag und all die Muskeln bewegten sich vibrierend. Der Mensch neben ihm machte ihn rasend. Doch Jiro blieb ruhig, genoss die Ruhe und die Nähe zu A-lexander. Was gab es schöneres? War das vielleicht schon …Liebe? Wann immer dieses Wort durch Jiros Kopf schweb-te, musste er sich selber ermahnen, dass das absoluter Quatsch war. Niemand verliebte sich in nur einer Woche in einen frem-den Mann, der auch noch das gleiche Geschlecht hatte. Und so sehr er die Ruhe um Alexander liebte, so nervös machte ihn auch sein Schweigen. Kein Herzschlag, manchmal sogar kein Atmen, ließen den Menschen stetig überlegen, ob er sich je-mals an solche Dinge gewöhnen könnte. »Was«, begann Alexander nach mehreren Minuten leise und streichelte abwesend über Jiros Handfläche, die auf seinem Bein lag. Wie würde das nur werden, wenn sie getrennt waren? Ob er genau das vermissen würde? »Was ist eigentlich mit den Zwillingen? Wann werden die entlassen?« »Pf!«, raunte Jiro auf und kniff die Augenbrauen zusammen. »Die sind schon draußen ...« Ein weiterer Grund, wieso Jiro ebenso gerne ein Vampir gewesen wäre. Alle um ihn herum waren Vampire. Alle um ihn herum schienen schneller gesund zu werden; selbst die, die es am schlimmsten getroffen hatte.               Als ich erwachte, sah ich auf eine kahle, weiße Wand und dachte im ersten Moment, ich sei im Himmel. Oder eben nur tot. Zumindest hatte ich nicht damit gerechnet auf der Intensivstation zu erwachen. An mir hingen mehrere Infusionen mit Blut, die mich nährten. Kein EKG, keine Salzlösung, nichts. Nur Blutpackungen hingen an mir dran und schienen meinen Genesungsprozess zu beschleunigen. Eine leichte Panik durchfuhr mich, als ich niemanden neben mir liegen sah. Der Raum war klein, weiß und nicht anders zu erwähnen: steril. Niemand, außer mir, war dort. Es roch klinisch, nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten. Ich hörte Stimmen auf dem Gang und mir wurde sofort klar: Das war die richtige Welt – kein Jenseits. Und sofort wurde mir das Herz schwer. Wieso lebte ich noch? Ich wollte doch zu ihm! Es dauerte einige Minuten voller Panik, bis ich einen Schwesternknopf fand, den ich sofort drückte und eine Frau sehnsuchtsvoll ansah. »Wo ist mein Bruder?!«   Die Angst, er wäre verstorben, so wie ich es in Erinnerung hatte, löschte sich schnell aus. Kiyoshi lag einfach in einem anderen Zimmer; Vater und Mutter hatten Einzelzimmer angeordnet. Wie sich herausstellte, hatte unser Autodiebstahl nicht nur Vincent und die Polizei auf unsere Fährte gelockt, sondern auch Mom. Sie hatte nach meinem letzten Telefonat mit ihr die Faxen dicke und hatte Dad angerufen und ihn über meine Drogenexzesse mit Kiyoshi aufgeklärt. Der verstand natürlich sofort, um was es wirklich ging – besonders, als sie die Kleinigkeit erwähnte, dass wir mit Alexander unterwegs waren. Denn als auch seine Eltern bemängelten, dass er sich nicht gemeldet hatte, wurde Dad nervös. Er telefonierte rum, fand durch die Academy raus, dass Vincent auf dem Weg in den Süden war und seinen Job vollenden wollte. Natürlich unterrichtete er Mom nur soweit wie nötig; also, dass der Mann, der hinter Kiyoshi her war, nun wieder aufgetaucht ist und alle um meinen Bruder herum versuchten ihn zu schützen. Dass letztendlich auch noch ein Mensch und ein anderer Vampir mit rein gezogen wurden, verschwiegen alle. Mom schob natürlich trotzdem wahnsinnige Panik und widersetzte sich dem Vorschlag Dads zu Hause zu bleiben und abzuwarten. Zu unserem Vorteil wohl gemerkt, denn sie war es, die uns am Strand fand. Sie fuhr uns nach, verfolgte die Nachrichten, in denen von uns berichtet wurde. Sie besuchte sogar den Brummifahrer im Krankenhaus und fragte ihn über unser Hergehen aus. Der erzählte ihr schwächlich, dass wir zum Strand wollten. Also fuhr sie ebenfalls zum Strand und suchte fast Tag und Nacht nach ihren verschollenen Söhnen. Denn niemals, so beschrieb sie, hätte sie Kiyoshi zugetraut ein Auto zu klauen und einen Mann zu verletzen. Mir schon, aber nicht meinem Bruder. Als sie Schüsse am Strand hörte, befürchtete sie das Schlimmste, parkte trotzdem auf einem großen Ferienparkplatz und rannte mutig los. Sie fand mich und Kiyoshi am Strand, als gerade die Sonne aufging und wir in Flammen aufgingen. Wie von der Tarantel gestochen, lief sie zurück, schnappte sich die Unfalldecke aus dem Wagen, rannte zu uns und erstickte die Flammen mit einer rettenden Umarmung. Ja, sie war unsere Lebensretterin. Meine Mom, die Sozifuzi-Frau, die sich sonst nur für Nobelmarken und Inneneinrichtungen interessierte. Die so viel mit mir mitgemacht hatte, Krankenhausbesuche erlebte und mich trotzdem abgöttisch liebte. Sogar ihren abtrünnigen, kranken Sohn, den sie seit seiner Geburt nicht mehr wieder gesehen hatte. Selbst um den weinte sie, als sie uns leblos und verbrannt auf ihrem Schoß liegen hatte und verzweifelt den Krankenwagen rief. Der sammelte uns schnell ein und fuhr uns in ein nahe gelegenes Krankenhaus; Vincents Leiche ließ man gekonnt verschwinden. Dad hatte sich sofort mit der Academy in Verbindung gesetzt, die ein Team runter schickte und die Teile von ihm einsammelte. Letztendlich verlor niemand mehr ein Wort darüber. Wahrscheinlich war jeder froh, dass er endlich ins Gras gebissen hatte. Natürlich, unnötig zu erwähnen, sah man es mir auch sofort nach, dass ich ihn umgebracht hatte. Niemand klagte mich an, niemand zog mich zur Rechenschaft. Vater tat das, was er immer konnte: Geheimnisse geheim bleiben lassen. Also war Vincent offiziell einfach unvorhergesehen verstorben. Im Krankenhaus wollte man mich und Kiyoshi Notoperieren; das tun, was man eben mit Menschen tun würde, doch Mom reagierte schnell. Sie informierte Dad, was passiert war, dass auch ich in Flammen aufgegangen sei und dass ihre Söhne nun verbrannt und tot auf den Liegen der Ärzte ruhen würden. Der telefonierte wieder einmal rum und fand einen Arzt in der Nähe des Ortes, der bereit war, sich unserer anzunehmen. In einem abgetrennten Bereich sorgte er dann für genügend Blutanschlüsse und Infusionen. Unnötig zu erwähnen, dass er selber ein Blutsauger war. Dad wollte eigentlich einreisen, um uns zu sehen, doch Mom verbat es ihm. Es sei zu gefährlich für ihn sein Territorium zu verlassen – besonders als Reinblütler in einer solch aufregenden Situation. Also blieb er im Norden, hielt die Stellung und telefonierte täglich mit Mom, die ihn über unser hergehen informierte. Schlussendlich wachte ich schwächlich auf und bekam alles von ihr erzählt; wenn auch sehr rügend und böse. Natürlich fluchte sie zwischendurch und fing sogar einmal wieder an zu weinen, da sie nicht fassen wollte, dass ich ebenfalls auf die dunkle Seite des Lebens übergetreten war. Außerdem rügte sie indirekt meine Selbstständigkeit, alles alleine regeln zu wollen. Das würde mich – und Kiyoshi – irgendwann in den Tod reiten. Doch dieses Mal war alles gut gegangen. Kiyoshi hatte es ebenfalls geschafft; er lebte. Meine, so wie ich dachte, unnütze Rettungsaktion mit Vincents Blut hatte seinem Körper zumindest die Chance gegeben, die Wunde im Gehirn zu schließen. Und ich erinnerte mich sofort an Kiyoshis Worte, dass Vampire auch einen Kopfschuss überleben könnten. »Hab ich dir doch gesagt«, kicherte er heiser, als ich an seinem Bett stand und seine Hand hielt. »Ja ... du bist wirklich nicht klein zu kriegen.« Vorsichtig strich ich immer wieder über seine kalten Wangen. Auch an ihm hingen mehrere Blutpackungen, die ihn nährten. Er sah noch recht schwach aus, trotzdem war er nach nur zwei Tagen bereits wach und konnte sich mit mir unterhalten; auch wenn einige Lähmungserscheinungen im Gesicht noch deutlich zu sehen waren. Aber auch das würde, so die Worte des Arztes, irgendwann verschwinden. Kiyoshi hatte viel eingesteckt, würde aber wieder heile werden. Mir ging es wesentlich besser; nur einige Brandwunden waren noch nicht geschlossen. Auch meine Haare hatten ein wenig gelitten, waren ein wenig abgeflämmt, sodass ich gezwungen war, sie wieder etwas kürzer zu schneiden. Kiyoshi hatte natürlich mit sowas wie immer mehr Glück als nötig gehabt: Seine Mähne blieb unberührt. »Wir standen echt in Flammen«, murmelte ich und versuchte mich an die furchtbar schmerzhafte Situation zu erinnern. »Du bist auch wirklich verrückt, das muss ich dir ja nicht sagen«, antwortete Kiyoshi leise und seufzte traurig. »Wie konntest du dich nur umbringen wollen?« »Ich hatte keine Alternative.« Ein vorsichtiges Lächeln ließ meine Mundwinkel hochfahren. Mein Bruder hingegen seufzte weiter und schüttelte den Kopf. »Du hättest dich verstecken können. Irgendwo ...« »Und dann?« »Weiß nicht, Mutter anrufen ... Vater oder irgendwen anders!« Ich schwieg nur noch und musterte meinen Bruder. Er wusste genau, was ich mit keiner Alternative meinte. Und trotzdem wollte er es nicht wahrhaben. Klar, mein Suizidversuch war nicht der Gelungenste, aber er zeigte deutlich, zu was ich fähig war, wenn Kiyoshi nicht mehr bei mir wäre. Es schmeichelte ihn; auf der anderen Seite erschreckte es ihn. »Wo ist eigentlich Mutter?«, säuselte Kiyoshi in meine Richtung, als ich nicht antwortete. Ich zuckte nur die Schultern. »Sicher auf der Arbeit. Oder mit Dad am streiten. Eins von beidem.« »Oder beides«, lachte mein Bruder beherzt auf und drückte meine Hand, welche noch immer auf seiner Brust ruhte. »Ich bin ja froh, dass sie alles für uns geregelt hat, aber sie ist wie immer etwas am Übermuttern«, seufzte ich. »Lass sie ... sie hat fast ihre beiden Söhne verloren. Sieh es ihr nach«, beschwichtigte mich Kiyoshi und ließ sich noch ein Stück weiter in die Kissen fallen. »Hat sich der alte Typ noch mal gemeldet?« »Der Brummifahrer?« »Ja, genau ...« Man merkte Kiyoshi an, dass es ihm noch immer im Mark lag, einen Menschen angegriffen zu haben. Niemals im Traume hätte er daran gedacht, den Mann umzubringen. Doch seine Kräfte unter Kontrolle zu bringen schien schwieriger für ihn gewesen zu sein, als gedacht. »Man hat ihn in den Knast gebracht«, seufzte ich und strich mit dem Daumen über Kiyoshis Handrücken, in der auch eine Infusion steckte. »Ins Gefängnis? Wie das?«, fragte er überrascht und hob beide Augenbrauen. »Er wurde von den Notärzten gerettet, man hat den Tatort überprüft, um uns auf die Spur zu kommen. Doch man hat bei ihm Kinderpornos gefunden; mit dem Verdacht, dass er uns entführen und sexuell missbrauchen wollte ... Tja, also wurde seine Anklage an uns fallen gelassen. Jetzt sitzt er.« »Kinderpornos? ... Wie eklig ...« »Ja. Fast so eklig wie wir beide«, scherzte ich und zwinkerte meinem Bruder kurz zu. »Jetzt hör aber mal auf! Das ist doch kein Vergleich!«, raunte mich Kiyoshi an, der gegen mein lautes Lachen anreden musste. Stimmte doch. Inzucht war auch eklig. Zumindest für andere Leute, die meine Liebe zu meinem Bruder niemals verstehen könnten. Die unsere Liebe niemals nachvollziehen könnten. Als ich mich wieder eingekriegt hatte und mir eine feuchte Träne von den Augen strich, die ich vor Lachen rausgedrückt hatte, ergriff Kiyoshi wieder das Wort. »Und die anderen beiden? Wie geht es denen?« »Jiro und Alexander? Ach ... Alexander ist wieder über alle Berge mit seinen Wehwehchen. Es wird wohl eine kleine Narbe am Bauch geben, so wie bei uns. Das UV-Zeug ist echt mies.« Vampire würden niemals Narben bekommen. Aber diese Flüssigkeit aus Vincents Patronen schien unsere Regenerierung zu verhindern – zerstörte Zellen –, sodass wir wohl doch kleine Narben bekommen würden. Aber wen interessierte das, solange wir am Leben waren? »Und Jiro? Den hat's wohl umgehauen, oder?« »Haha«, lachte ich los. »Alexander hat doch an ihm geknabbert. Der kann froh sein, dass es um Leben oder Tod ging, sonst hätte ich ihm noch die Fresse poliert.« Kiyoshis Augen weiteten sich. »Er hat wirklich von Jiro getrunken?« »Ja, war wohl ne ziemlich romantische Aktion. Jedenfalls klang es so, als die beiden es mir geschildert haben, während sie nebeneinander saßen und Händchen gehalten haben.« »...« Kiyoshi schwieg, sah mehr als überrascht in meine Augen und öffnete den Mund, sagte aber nichts. Ja, genauso habe ich auch reagiert, dachte ich und schmunzelte vor mich hin. »Da ist so was von was am laufen«, lachte ich gehässig und lehnte mich ein Stück auf der Bettkante zurück. Einige meiner Infusionen kniffen dabei in meiner Haut. »Meinst du?« »Total. Guck dir doch ihre Blicke an!« »Ja, aber ... Alexander doch nicht!« »Ich würde sagen: Jiro doch nicht! Aber ... hey, die beiden überzeugen doch gerade vom Gegenteil.« Natürlich hatte ich keinerlei Insiderinfos über ihre Beziehung. Vielleicht war es tatsächlich einfach nur eine platonische Liebe, weil sie sich gegenseitig das Leben gerettet hatten. Aber an Jiros anhimmelnden Blick, wann immer Alexander etwas sagte, konnte ich sehen, dass es zumindest von seiner Seite aus nichts mehr mit platonischer Liebe zu tun hatte. »Jedenfalls«, begann ich wieder und küsste Kiyoshis Handrücken, »bin ich mal gespannt, was Mom sagen wird, wenn wir hier raus sind und sie die ganze Geschichte noch einmal ans uns loslassen kann.« »Du meinst, weil du jetzt auch einer von uns bist?« »Ja ... Sie wird furchtbar enttäuscht sein.«   Und das war sie auch. Bereits nach vier Tagen wurden wir vom Spezialarzt aufgrund von leichter Unruhe im Krankenhaus entlassen, der uns noch weitere Blutpackungen mit auf den Weg gab, die wir regelmäßig einnehmen sollten, um auch die letzten Spuren des Giftes in unserem Körper zu neutralisieren. Als wir zu Hause ankamen und Kiyoshi anfing seine Sachen zu packen, packte ich mit. Ich musste. Dad rief an und unterrichtete mich über die Tatsache, dass er mir bereits einen Platz auf der Academy besorgt hatte. Ich könne nicht weiter im Süden bleiben; von der Sonnenaktivität mal ganz abgesehen. Mein Leben würde von nun an da geführt werden, wo von vornherein klar war, es für mich hingehen würde. Kiyoshi freute sich natürlich wahnsinnig, dass ich wieder bei ihm und Dad wohnen würde. Mom hingehen sah das alles ganz anders. Sie sprach kaum ein Wort mit mir, als wir heimkamen und regelte einzelne Sachen auf dem Esstisch. Darunter Rechnungen, Geburtsurkunde, Verträge und Versicherungen. Alles müsste sie nun kündigen oder auf mich umschreiben. Sie musste mich abgeben. Mich loslassen. Und das fiel ihr nach diesem grauenvollen Vorfall wahnsinnig schwer, das konnte ich sehen. Sie sprach auch nicht über die Tatsache, dass wir sie die ganze Zeit belogen hatten. Generell schien sie alles zu schlucken, was man ihr vorwarf. Als Kiyoshi noch eine Weile in meinem Zimmer saß und die Taschen wieder einmal umsortierte, weil ihm die Anordnung nicht gefiel, gesellte ich mich zu Mom ins Wohnzimmer. Die Aufbruchstimmung stand unangenehm in der Luft. »Mom?«, fragte ich zögerlich und stellte mich hinter einen Stuhl. Sie saß mir gegenüber und sortierte weiter irgendwelche Rechnungen. »Mom, kann ich mit dir reden?« »Natürlich, Schatz«, gab sie knapp zurück, ohne dabei aufzusehen. Ihre Worte waren lieb gemeint, aber sie klangen verdammt kalt. Erst, als ich mich ihr gegenübersetzte und vorsichtig nach ihren Händen griff, zuckte sie zusammen und sah auf. Ihr Blick war scheu und unangenehm berührt. Sie konnte ihre Augen nicht von meinem Gesicht nehmen; sie starrte regelrecht in meine Augen. Ich verstand, was sie so verstörte; was anders an mir war. Meine Haut war so rein, wie noch nie. Sie war glatt und glänzend. Meine Augen leuchteten regelrecht in jedem Licht und meine Lippen schienen jedes Wort wie ein Geschenk zu verpacken, bevor es auf die besinnliche Reise in das Ohr meines Gesprächpartners ging. Sie behielt ihre Hand in meiner, aber ich spürte, dass sie sie gerne weggezogen hätte. »Du weißt, dass ich gehen muss ... Und ich will, dass du weißt, dass es mir Leid tut. Wegen allem. Besonders, dass ich dir die Wahrheit verschwiegen habe.« Meine Worte klangen wie kurz vor dem Zusammenbruch. Ich quetschte sie regelrecht durch meine Zähne, als würde ich sie am liebsten nicht sagen wollen. Die Frau, die mir ein Leben geschenkt und mein Zweites gerettet hatte, wurde nun von mir verlassen. Ihr Blick fiel auf den Tisch. Sie nickte angespannt und seufzte schließlich traurig auf. »Schon okay. Ich dachte es mir ... eigentlich schon.« »Wirklich?« Überrascht zog ich beide Augenbrauen hoch. »Du hast kaum gegessen und warst nur am lügen... schon als du bei deinem Vater warst und mit mir telefoniert hast, hast du mich ja angeflunkert. Eine Mutter hört so etwas raus.« Ihre Mundwinkel zuckten kurz und zeigten ein liebevolles Lächeln. Das Lächeln einer Mutter. »Ich war noch nie ein guter Lügner ...«, gab ich ungeschoren zu und kratzte mich mit der freien Hand im Nacken. »Das stimmt.« Dabei zog sie eine Augenbraue hoch und sah mich tadelnd an. Sicherlich wollte sie hier die ganzen Drogenexzesse ansprechen, die ich hinter ihrem Rücken abgezogen hatte. Wieso dachten alle in meiner Umgebung, ich würde so viele Drogen nehmen? Das war vielleicht 2 oder 3 Mal passiert! »Hast du schon mit Dad gesprochen? Wegen dem Flug?«, lenkte ich das Thema wieder auf die eigentliche Sache, über die ich mit ihr reden wollte. »Ja ... er holt euch dann morgen am Flughafen ab.« Ihr Blick senkte sich wieder. Mit der freien Hand verschob sie Papiere auf die andere Seite des Tisches. »Ich gebe dir einen Ordner mit. Da wird alles wichtige drin sein, was du so brauchst.« Sie klang traurig und ernst. Wahrscheinlich überspielte sie ihre Trauer mit Kälte. »Du weißt ... ich würde lieber hier bei dir bleiben.« »Ja ...«, murmelte sie leise und hielt in ihrer Bewegung inne. Das wäre wohl auch in ihrem Sinne gewesen. Doch es ging einfach nicht; ich musste gehen. »Ich werde dich vermissen, Mom.« Diese Worte taten selbst mir weh. Und ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Ja, ich war kurz davor zu weinen. Mein Magen drehte sich um, als Mom hochsah und ihr verzweifelter Blick in mein Gesicht fiel. Sofort riss sie ihre Hand weg, fegte mit einer Handbewegung einen Papierstapel vom Tisch und schrie los. »Es ist nicht fair! Du warst hier, du warst glücklich! Wir waren glücklich! Und dann... dann kommt dein Bruder, beißt dich und du wirst ... wirst mir weggenommen!« Ihr Stimme brach hier und da weg, bis die erste Träne fiel. Sie sprang vom Stuhl auf und schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. »Ich war so froh, als ich einen gesunden Menschen geboren hatte! Du warst mein kleiner Sonnenschein; und jetzt? Muss ich dich vor der Sonne verstecken! Ich will dich nach allem, was passiert ist, nicht alleine lassen! Du gehörst hierher! Zu mir! Wir beide... waren doch immer ein Team! Hier warst du sicher!« Sie schluchzte auf, strich sich über ihre geschminkten Augen, die schwarze Tränen auf ihrer rosig geschminkten Haut produzierten. Kaum zu glauben, was passierte. Noch nie hatte ich sie so stark weinen gesehen. Natürlich fiel hier und da mal eine Träne, aber noch nie hatte sie einen solchen Gefühlsausbruch vor mir gehabt. Noch nie weinte sie so bitter, dass sie ihr Make-Up vergaß und tausendmal darüber strich. Noch nie hatte sie sich über Fairness im Leben beschwert. Überhaupt beschwerte sie sich selten über Dinge im Leben. Eher über mein ungezogenes Verhalten oder meine etlichen Dummheiten. Meine Faulheit oder meine Unfähigkeit im Haushalt zu helfen. Belanglose Dinge eben. Und jetzt? Weinte sie vor ihrem eigenen Sohn, den sie nun nach achtzehn Jahren aufopfernder Arbeit abgeben musste. An den Tod und an das triste Leben im Norden. Es war kein klassischer Auszug. Wäre ich einfach in meine eigene Wohnung gezogen, hätte sie es anders aufgenommen. Sie gab ihr geliebtes Baby in die Hände einer gefährlichen, korrupten und lieblosen Welt. Auch wenn Dad uns mit Rat und Tat zur Seite stehen würde – so wäre es nicht dasselbe. Sie stände auf einmal alleine hier. Ohne jegliches Wissen über meine Sicherheit. Oder über die Sicherheit von Kiyoshi. Vielleicht hatte sie auch Angst, wir würden sie wieder anlügen, wenn wir in Schwierigkeiten geraten würden. Ich stand fassungslos vor ihr, wusste nicht ganz, wie ich mich verhalten sollte. Sie sah nicht so aus, als würde sie eine vampirische Umarmung zulassen.   »Komm doch mit«, kam eine liebliche Stimme aus meinem Zimmer. »Wir haben genug Platz im Haus.« Kiyoshi stand mit einigen Badeartikeln im Arm am Türrahmen zu meinem Zimmer. Er legte die einzelnen Sachen ab und kam auf mich und Mom zu. Wie immer war er die Ruhe selbst. »Ja ...«, murmelte ich, als hätte mein Bruder überhaupt die Idee gehabt. Mom hingegen sah nur verstört auf, wischte sich hicksend weitere Tränen aus dem Gesicht. »Komm doch mit uns!«, wiederholte ich und lächelte aufbauend. »Vater hat sicher nichts dagegen!« »Ganz im Gegenteil«, kicherte Kiyoshi und lehnte sich an meinen Arm. Auch er lächelte Mom zu, als würde er seine Idee ebenfalls als die beste Lösung ansehen. »Er würde dich bestimmt gerne mal wieder ... beim Harfespielen als Modell haben wollen. Zum Malen ...« »H-Hüte deine Zunge!«, platzte es aus ihr raus. Doch es waren keine bösen Worte; eher Verzweifelte. Verzweifelt über die Tatsache, dass ihre Söhne ganz genau wussten, was sie mit Vater so getan hatte. Was ihre Hobbys waren und wie sie gemeinsam die Zeit verbracht haben. »Du hast doch schon einmal im Norden gewohnt. Du kennst das Haus. Komm doch wieder zurück!« Ich nickte abermals zusprechend, sah Mom aufgeregt an und lächelte glücklich. Doch sie schien nicht überzeugt von der Idee zu sein. »Ich... ich kann nicht einfach hier wegziehen«, begann sie mit zittriger Stimme. »Ich habe hier Arbeit und ... die Wohnung und -« »Du musst doch nicht arbeiten. Geld spielt keine Rolle bei uns«, gab Kiyoshi sofort zu verstehen und sah überrascht zu ihr; als würde er nicht ganz verstehen, dass die Arbeit ein Grund wäre, hier zu bleiben. »Mom liebt ihre Arbeit«, unterrichtete ich meinen Bruder und sah kurz zu ihm. »Sie blüht da regelrecht auf.« »A-Außerdem«, begann sie abermals stotternd und wischte sich ein letztes Mal über die Augen. »... Außerdem kann ich mich nicht einfach so bei eurem Vater einquartieren. Ich ... würde mir, wenn überhaupt, eine Wohnung suchen. Oder so.« »Also das ist wirklich unnötig!«, platzte es dann aus mir raus. »Dad wird dich mit Sicherheit gerne bei sich haben wollen!« »Hiro! Was wird das hier?«, schrie sie nun los, motzte mich wütend an, als wäre ich der Einzige im Raum, der sie von dieser Idee überzeugen wollen würde. »Weiß nicht! Verkuppeln oder so!«, lachte ich auf und nahm ihre bösen Worte nicht weiter ernst. »Alle Kinder sehen ihre Eltern gerne wieder zusammen ...« Da verschlug es ihr die Sprache. Sie sah zwischen mir und Kiyoshi hin und her, überlegte, seufzte, knibbelte an ihren Kunstnägeln. Als Kiyoshi sich bei mir einhakte und verliebt die Wange an meiner rieb, ergriff ich wieder das Wort. »Ich sehe nur Vorteile, Mom. So hast du uns zum Beispiel viel besser unter Kontrolle. Vier Augen sehen mehr als zwei«, zwinkerte ich ihr zu. Und als hätte ich ihr gerade das perfekte Fressen hingeworfen, verschränkte sie ihre Arme und schüttelte sofort den Kopf. »Ihr lasst schön die Finger voneinander!« »Vielleicht«, murmelte Kiyoshi, der mir sofort einen Kuss auf die Wange aufdrückte. »Ihr hört -« »Überleg's dir, Mom«, unterbrach ich ihre rügenden Worte und lächelte wieder sanft. »Wir alle würden uns freuen, wenn du bei uns im Norden wohnen würdest.«   Sie blieb den Rest des Abends eisern und tat so, als würde es überhaupt keine Alternative sein, weiterhin bei ihren Söhnen zu bleiben. Am Abend jedoch hörten wir leise Stimmen aus ihrem Zimmer kommen. Gerade, als ich Kiyoshis Kleidung auszog, hörte ich sie reden. »Telefoniert sie?«, flüsterte mein Bruder, der liebevoll seine Hände um meinen Nacken schlang und mich zu ihm auf den nackten Körper zog. »Wahrscheinlich ... ja. Mit Dad, schätze ich«, kicherte ich leise und küsste meinen Bruder auf die Lippen. Es war das erste Mal seit Tagen, dass wir uns wieder vereinen durften. »Glaubst du, sie kommt mit?« »Mit Sicherheit.« »Was macht dich so sicher?« »Die Tatsache, dass sie die Fotos von Dad hütet wie ein Schäfer seine Schafe. Und dass sie nur dumme Gründe nennt, hier zu bleiben. Scheiß auf diese hässliche Wohnung!« Mir wurde nach all diesen Begebenheiten auch klar, wieso es immer ein großes Wohnzimmer sein sollte. Denn das Wohnzimmer in der Villa war in der Tat sehr groß und bot einen schönen Raum zum Sitzen und Reden. Wahrscheinlich sehnte sie sich nach dieser ruhigen Zeit, in der sie stundenlang mit Dad im Wohnzimmer saß und mit ihm sprach. Sie wollte den Lebensstil nicht missen, den er ihr geboten hatte. Also gab sie viel zu viel Geld für Designerklamotten aus und suchte nach einer Wohnung mit großem Wohnzimmer und richtete es so ein, wie sie es in Erinnerung hatte. An den riesigen Fernseher  und der bonbonfarbenden Couch konnte ich mich zwar nicht erinnern, aber vielleicht würde das eine Neuerung in der Villa sein, die alle begrüßen würden. Alle, außer Dad natürlich – der schien sich ja recht streng gegen neue Technik einzusetzen. »Dann wohnen wir wieder alle zusammen ...«, grinste Kiyoshi und schlang die Beine um meine Taille. »Ja ... mal sehen, ob das funktionieren wird.« »Natürlich wird es das ... wir verstehen uns alle doch wunderbar!« »Mom alleine unter Vampiren?«, lachte ich los. »Mal sehen, ob das funktionieren wird!« »Vielleicht entscheidet sie sich ja auch irgendwann für uns...«   Mom ein Vampir?   »Ja, vielleicht«, murmelte ich, küsste Kiyoshis Lippen und strich über seinen wunderbaren Körper. Das Gespräch aus dem Zimmer von Mom hörte mit einem glücklichen Kichern auf. Sie lachte. Das war ein gutes Zeichen. »Hiro«, flüsterte Kiyoshi in mein Ohr, als er anfing an meinem Ohrläppchen zu knabbern. »Hm?«, brummte ich, während ich an seinem dürren Körper entlang fuhr. Die nächsten Tage würde ich ihn wieder zum Essen überreden, so viel stand fest. Auch wenn ich seine hagere Figur sehr schätzte, wurde mir sein Körper doch zu knochig. »Ich hab eine kleine Überraschung für dich«, säuselte mein Bruder lieblich. »Überraschung?«, wiederholte ich recht überrascht und schob die Augenbrauen zusammen. »Eine angenehme oder eine unangenehme?« Doch mein Bruder rutschte einfach nur genervt an mir vorbei und verdrehte die Augen. »Natürlich eine Schöne!« Etwas enttäuscht, dass er sich von mir löste, blieb ich nackig auf meinem Bett sitzen und beobachtete seine Bewegungen. Er ging zu seinem Koffer und machte ihn noch einmal an einer Seite auf. Dabei konnte ich genau auf seinen Hintern schauen. Und natürlich auf alles, was dazwischen war. »Muss ich deswegen auf Sex verzichten?«, jammerte ich fast schon traurig los, als er gar nicht mehr aufhörte in seinen Sachen zu suchen. »Ich weiß nicht?« Kiyoshi kicherte böse auf und warf mir einen zweideutigen Blicke zu. »Dann will ich die Überraschung nicht!«, pöhnte ich los. »Mach die Augen zu«, befahl er, meine Worte komplett ignorierend. Es dauerte einige Sekunden, in denen er mich auffordernd ansah und ich überlegte, ob ich seiner Bitte Folge leisten sollte, bis ich schließlich meine Augen schloss und auf Kiyoshis Tun wartete. Da hörte ich, wie er etwas aus dem Koffer zog und in den Händen quetschte. Es hörte sich seltsam an, quietschend, fast ein wenig unangenehm in meinen Ohren. Kiyoshi tätigte ein paar Schritte auf der Stelle, kam wieder auf mich zu und strich vorsichtig mit einer Hand über meine Schulter. »Du darfst wieder schauen«, säuselte er leise und stellte einen Fuß neben mich. Da spürte ich schon die glatte, weiche Oberfläche von seinem Bein an meiner Hüfte. Als ich die Augen öffnete, sah ich erst in sein zufriedenes Gesicht, dann auf die schwarzen Beine. Glänzende Lackstrümpfe zierten seine schlanken Beine und ließen sie gefühlte 2 Meter lang wirken. Ehrfürchtig und gleichzeitig sprachlos fuhr ich mit meiner flachen Hand über seinen Oberschenkel, wo die Strümpfe begannen. »Wie ... und wann?«, presste ich beeindruckt aus meinen Lippen und zog seinen Körper noch ein Stück näher an mich. Die Tatsache, dass mein Bruder nach allem, was er von diesen Strümpfen gehalten hat, sie trotzdem gekauft und sogar angezogen hatte, gab mir ein warmes Gefühl in der Brust. Er nahm meine Wünsche ernst und erfüllte sie, wenn es in seiner Macht stand. »Als du… gestern bei Jiro warst, bin ich doch kurz raus«, begann er und streichelte meinen Nacken, während er noch vor mir stand und mich sein Bein betatschen ließ. »Da bin ich schnell in die Mall gefahren und hab sie gekauft. Der Typ hinter der Kasse hat mich sogar wiedererkannt.« »Echt?«, stutzte ich und sah hoch. Errötete Wangen umspielten ein bezauberndes, wenn auch schüchternes Lächeln. »Hat gefragt, ob ich die für meinen Bruder kaufe«, kicherte Kiyoshi los. »Du hast ihm hoffentlich mit einem Nein geantwortet.« »…« Seine Lippen verformten sich zu einer strengen Linie. »Kiyoshi!«, mahnte ich ihn sofort. »Wir werden nie wieder in diesen Laden gehen können!« »Wieso? Er hat uns viel Spaß gewünscht! Der war voll nett!«, giftete er los und klatschte liebevoll, wenn auch bestimmend, gegen meine Wange, als wäre er im Recht, das Richtige getan zu haben. »Sei jetzt nicht böse auf mich, ich hab die Strümpfe an – so wie du wolltest!« Was konnte ich schon anderes tun, als Nachsicht zu zeigen? Seufzend rieb ich meine Wange an der glatten Oberfläche seines Beines. »Ja, und sie sehen bezaubernd an dir aus…« »Na ja«, murmelte Kiyoshi, während er sich wieder zu mir aufs Bett setzte. »Ich muss zugeben, dass sie recht angenehm zu tragen sind.« »Also wirst du sie öfter für mich anziehen?«, schmunzelte ich los und küsste liebevoll seine Lippen. »Mal gucken«, brummte er, setzte sich rittlings auf meinen Schoß, sodass ich sein halb erregiertes Glied spüren konnte. Als mich seine Hände streichelten und er sich rhythmisch gegen mich bewegte, war mir klar, dass das Thema vorerst beendet war. Immer wieder strich ich über seine bezaubernden Beine, küsste die Latexhaut und schmiegte mich an sie heran. Doch als ich einen rügenden Blick aufgrund von mangelnder Aufmerksamkeit bekam, beugte ich mich zu Kiyoshis Mund vor und küsste seine Lippen – anstatt die Strümpfe. Das ließ ihn sehnsüchtig aufseufzen. »Ich liebe dich«, flüsterte Kiyoshi in mein Ohr und lächelte mich glücklich an, als wir uns langsam einander hingaben. »Ich liebe dich auch ...«, antwortete ich leise und liebskoste seinen Hals. Ich war einfach heilfroh, dass wir wieder beisammen waren. In Ruhe ein neues Leben beginnen konnten. Lebend. Oder eben tot. Was auch immer es sein sollte, wir würden es zusammen erleben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)