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Yasashikunai Mirai

Tsuzuku x Meto
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und da ist es nun, Kapitel 24 ^^
Ich hab mir Mühe gegeben, Kyoto als Stadt ordentlich zu beschreiben, aber einiges musste ich ein wenig variieren, ich hoffe, das geht so okay ... Komplett anzeigen

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[Koichi] Act 24

[zwei Tage später]
 

Ich hatte mich mit Meto getroffen, recht früh am Morgen, und wir waren zusammen frühstücken gewesen in der Innenstadt. Tsuzuku war da noch nicht dabei, er hatte einen Termin in der psychiatrischen Klinik, es ging wohl um die Möglichkeiten von Notfallmedikamenten, und danach holten Meto und ich ihn von dort ab.
 

Gestern hatte ich bis tief in die Nacht hinein erst Webseiten gewälzt und dann hatten wir zu dritt lange gechattet, es ging um die bevorstehende Hochzeit der beiden, das ganze Drum und Dran, von der Kontaktaufnahme mit dem besonderen Tempel in Kyoto bis zu der Suche nach einem schönen Hotel und nicht zuletzt auch der Frage der Ringe und der hübschesten Kleidung für diesen möglichst schönsten Tag im Leben.

Meto tendierte in dem Punkt zwar zum Kleid, war sich aber auch noch nicht komplett sicher, und obwohl Tsuzuku sich für sich selbst ganz klar für einen dunklen Anzug ausgesprochen hatte, lohnte es sich doch, dass wir Kyotos teuren Shoppingmeilen einen Besuch abstatten würden. Schließlich waren ja beide (so wie ich eben auch) Anhänger des Visual Kei und da ließen sich sowohl ‚Kleid‘, als auch ‚dunkler Anzug‘ als Begriffe sehr weit fassen, es gab unzählige Möglichkeiten und die galt es zu konkretisieren.
 

Und so waren wir zu dem Schluss gekommen, heute einfach mal nach Kyoto hinzufahren, uns alles Notwendige genau anzuschauen, schon mal in dem Tempel vorzusprechen und einfach mal anzufangen, das Ereignis in die Wege zu leiten, auch wenn das genaue Datum noch nicht hundertprozentig feststand.
 

Meto hatte Ruana dabei und auf dem Weg zur Klinik unterhielt ich mich irgendwie ein wenig mit ihr, erfuhr, dass sie für Meto sowohl sein ‚Baby‘ als auch eine Art ‚Kindheitsfreundin‘ war, und dass wohl auch Tsuzuku für Ruana ein familiäres Gefühl entwickelt hatte.

„Irgendwie hast du ja zwei Babys, oder?“, fragte ich, sah Meto an und wies unauffällig auf die von mir aus rechte Seite seiner Brust, wo unter dem Ausschnitt seines Shirts ein Teil seines bunten Embryo-Tattoos herausschaute.

Meto lächelte, schüttelte aber den Kopf. „Nein, das bin ja ich, das Baby von dem Tattoo. Da ist Tsuzuku viel eher mein zweites Baby, zumindest dann, wenn er sich von mir füttern lässt …“

Ich lachte, aber es war nett gemeint. Denn so wirklich wunderten mich diese vielen kleinen, verrückten Details dieser Beziehung schon lange nicht mehr. Klar, ich sah, dass das alles nicht alltäglich war, dass sowohl Tsuzuku als auch Meto ausgeprägte Eigenheiten hatten, die ihnen bestimmt so schnell keiner nachmachte, aber in meinen Augen machte gerade das, die Kombination dieser beiden so ganz besonders besonderen Menschen mit ihren ganz eigenen Wesenszügen und Ideen, das Wunderschöne an ihrer Beziehung aus.

Dass Tsuzuku Meto so wahnsinnig liebte und Meto ihn seinerseits ganz so annahm, wie er war, wie sie einander so weit ähnelten, dass sie die Verrücktheiten des jeweils anderen weitgehend verstanden, und zugleich so verschieden waren, dass Meto Tsuzuku auch beschützen konnte … Ich konnte einfach nicht anders, als das unglaublich toll zu finden!
 

Wir erreichten die Klinik und ich sah schon von weitem, wie Tsuzuku in der Raucherecke vor dem Eingang saß, rauchte und auf uns wartete. Als wir näher kamen, stand er auf, und ich versuchte wie immer, in seinem Gesicht zu lesen, wie es ihm gerade ging.

Manchmal waren seine Augen fast wie ein offenes Buch für mich, dann war es ganz leicht, ihm Gefühle oder teilweise sogar Gedankengänge anzusehen und herauszufinden, wie er sich fühlte und was er brauchte. Manchmal aber auch nicht, dann verschloss er sich, vielleicht bewusst oder oft sicher auch ohne es selbst zu merken, und es fiel mir dann deutlich schwerer, ihn zu lesen.

Aber heute war sein Blick zuerst ganz offen und entspannt. Nachdem wir uns begrüßt hatten, wobei er mir einfach kumpelhaft auf die Schulter klopfte und Meto deutlich inniger berührte, wenn auch nur kurz, da wir uns in der Öffentlichkeit befanden und es eben leider immer noch auffiel, wenn man sich auf offenen Plätzen umarmte und küsste, machten wir uns auf den Weg zum Hauptbahnhof.
 

Am Bahnhof mussten wir ein wenig warten, bis der Shinkansen nach Kyoto einfuhr, wir holten die Tickets und setzten uns dann auf eine Bank am Bahnsteig. In der Wartezeit fragte ich Tsuzuku, wie sein Termin gelaufen war und ob er sich für irgendwas entschieden hatte, was Medikamente betraf.

„Ging ja jetzt nur um welche, die ich im Notfall nehmen soll …“, antwortete er. „Ich weiß es auch noch gar nicht … also, ob ich das will.“

„Kann doch eigentlich nur helfen, oder?“, hakte ich nach.

„Ja, weiß ich, soll es ja auch. Aber … weißt du, Koichi, ich hab meine Erfahrungen mit Glückspillen gemacht, früher, und ja, die waren meistens nicht gerade legal … Und seitdem ist mir die Vorstellung irgendwie nicht geheuer … Tabletten zu nehmen, damit ich mich anders fühle … Okay, ich rauche, ich trinke, ich bin nicht wirklich clean … Aber Tabletten … es fällt mir einfach schwer, mich da wieder drauf einzulassen …“

„Okay, das verstehe ich irgendwie …“, sagte ich. „Hast du denen in der Klinik das gesagt, also dass du Drogenerfahrungen hast?“

Tsuzuku nickte. „Gesagt hab ich das. Ich meine, viel war es nie, nur ab und zu, ich war achtzehn und ein Idiot. Ich bin da irgendwie wieder ganz gut von weg gekommen und darüber bin ich auch froh. Vielleicht will ich die Medikamente deshalb nicht, weil … dieser krasse Sprung, wenn man sich was einwirft und dann auf einmal ganz andere Gefühle hat, das kriegt mein Kopf auch von selbst hin, ohne solche Pillen, und das ist so schon schlimm genug, verstehst du? Ich will nichts nehmen, was dasselbe mit mir macht, auch wenn das dann der Sprung von Schmerz zu Glück ist. Weil ich will, dass es langsamer läuft, damit ich es selbst sehen kann, was in mir abgeht, diese Verwirrung tut mir immer so weh …“
 

„Aber, Tsu, ich glaube, das machen solche Medikamente gar nicht, diese schnellen Sprünge. Sind die nicht gerade dafür entwickelt worden, dass es ein bisschen langsamer läuft, damit du nicht mehr diese plötzlichen, starken Schwankungen hast?“, fragte ich weiter, merkte aber, dass wir gerade beide vorsichtig sein mussten.

„Selbst wenn …“, antwortete er, „Ich fühl mich bei der Vorstellung trotzdem nicht wohl.“

Wir ließen das Thema dann sein, ich sagte nichts mehr dazu und Tsuzuku wandte sich Meto zu, der zugehört und sich aber lieber mit Ruana beschäftigt hatte. Tsu kraulte das kleine Teddymädchen ein wenig hinter ihren Plüschöhrchen und bekam dafür von ihr ein Küsschen, das ließ ihn lächeln und ich sah, wie sich Metos tätowierte Hand auf Tsuzukus Oberschenkel stahl und dort, versteckt von Ruana, liebevoll streichelte.
 

Als dann der Zug für die Richtung Kyoto einfuhr, stiegen wir ein, suchten uns ein halbwegs ruhiges Abteil und saßen dann mit einem jungen Pärchen zusammen, ein Mann und eine Frau von etwa zwanzig Jahren, die uns aber kaum beachteten.

Die Fahrt dauerte ihre Zeit, irgendwann nahm ich mein Handy raus und schrieb kurz an Mikan, fragte sie einfach, wie es ihr ging und was sie machte. Und während ich dann eine Weile mit ihr schrieb, sah ich ab und zu auf und beobachtete, wie Tsuzuku und Meto sich aneinander lehnten und Meto einen Soundsplit-Adapter am Handy hatte, in dem zwei Paar Ohrhörer steckten, sodass die beiden gemeinsam dieselbe Musik hören konnten. Ich linste unauffällig auf das Display und da stand irgendwas von einem uralten Dir en grey-Album, wovon ich ja wusste, dass sie das beide gern hörten. Meins war Dir en grey nun nicht unbedingt, auch wenn ich die Band natürlich kannte und es auch Songs von ihnen gab, die ich ganz gern hörte. Zwar hörte ich selbst doch eher leichtere Musik, aber zu Tsuzuku und auch zu Meto passte dieser typische Visual Hard Rock hervorragend.
 

Der Zug erreichte den Hauptbahnhof von Kyoto und wir stiegen aus, wobei mir sofort auffiel, dass sich Kyoto irgendwie immer schon vom ersten Moment an anders anfühlte als unsere Stadt oder Tokyo. Zwar war der Bahnhof riesig und durchweg super modern, aber man spürte dennoch, dass hier eine andere Mentalität herrschte, diesen ganz leichten, aber eindeutig vorhandenen Hauch von Geschichte und Tradition, der einfach in der Luft hing und das Besondere an Kyoto ausmachte.
 

„Ich war lange nicht hier …“, hörte ich Tsuzuku hinter mir sagen. „Ist bestimmt schon über zehn Jahre her, war ne Klassenfahrt oder so was …“

Ich setzte einen Schritt zurück, sodass ich neben Tsu gehen konnte, und sagte: „Na, dann wird’s ja mal wieder Zeit für ein bisschen Kyoto-Feeling, oder?“

„Mit Fotos vor dem Kinkakuji und ner Flasche mit heiligem Schrein-Wasser, oder was?“ Tsuzuku lachte und fügte dann aber hinzu: „Nee, ohne mich.“

„Tsu, das war ein Scherz“, erwiderte ich, ebenfalls lachend, und fragte mich im Stillen, wie mein bester Freund wohl generell zu den Traditionen unseres Heimatlandes stand.

Ich wusste, dass er es ab und zu mit dem Buddhismus versuchte, und dass ihm die Symbolik der Kirschblüte gefiel, aber ansonsten waren diese traditionellen japanischen Dinge bisher irgendwie noch kein Thema gewesen, über das wir ausführlicher gesprochen hätten. Wir lebten beide eine Lebensweise, die sich doch eher an modernen, westlichen Maßstäben orientierte, gehörten wir eben dieser japanischen Jugend an, für die Kimonos und Samuraiwerte nur noch am Rande eine kleine Rolle spielten.
 

Wir brauchten tatsächlich eine Weile, bis wir die richtige Straßenbahnlinie gefunden hatten, die uns in das Altstadtviertel bringen sollte, in dem sich der Adresse und Wegbeschreibung nach, die wir uns gestern Abend ausgedruckt hatten, der Tempel befand, den wir suchten.

Zuerst nahmen wir eine ganz moderne, gewöhnliche Bahn, doch auf dem Weg in besagten Teil der Altstadt mussten wir auch einmal umsteigen, und die Straßenbahn, die wir dann nahmen, war eine ganz andere, sie machte, noch bevor die ersten alten Holzhäuser zu sehen waren, schon mal deutlich, dass wir uns in der Hauptstadt der japanischen Tradition und Kultur befanden.

Denn der Straßenbahnwagen, in dem wir dann saßen, schien einem Freilichtmuseum zu entstammen, einem an der Wand angebrachten Schild zufolge stammte er aus den 50er Jahren und gehörte tatsächlich zum Eisenbahnmuseum von Kyoto, und dennoch fuhr er seine Linie ganz genauso korrekt und pflichtbewusst ab wie eine moderne Straßenbahn.
 

Während der Fahrt sah ich Tsuzuku immer mal wieder an, er saß zwischen mir und Meto und blickte aus dem gegenüberliegenden Fenster, wo die Stadtlandschaft vorbeizog und sich langsam wandelte, von hohen, modernen Häusern zu kleineren Blöcken und vereinzelt dazwischen stehenden alten Holzhäusern mit nur einem oder zwei Stockwerken.

Hinter den Häusern sah man ab und zu die dicht bewaldeten Berge um die Stadt herum durchblitzen, und die Pagoden und Tempel, die am Stadtrand die Berghänge zierten, es war dieses typische Bild einer Mischung aus moderner Großstadt und dem alten Japan, und mir gefiel es.

Tsuzuku sah nachdenklich aus, und ich fragte mich, worüber er nachdachte, während er aus dem Fenster sah und dasselbe erblickte wie ich, die Symbole unserer Heimat Japan und damit unserer nationalen Identität …
 

„Es ist eigenartig …“, hörte ich ihn leise sagen und ich wusste erst nicht, ob er mich ansprach oder nur laut nachdachte, „… manchmal fühlt es sich so an, als ob ich gar kein richtiger Japaner bin …“

„Warum denn?“, fragte ich leise, um niemand anderen zu stören.

Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht … Na ja, ich denke eben, wenn man sich das alles so anschaut, was der Rest der Welt in unserem Land sieht und was den meisten Menschen hier wichtig ist und so … Ich weiß nicht, ob ich dem entspreche …“

„Was denn, zum Beispiel?“, hakte ich vorsichtig nach.

„Wie ich aussehe … und mich verhalte … Ich bin auffällig, unbeherrscht, chaotisch … In Tokyo kann man so sein, aber hier in Kyoto …? Ich fühle mich irgendwie … deplatziert?“

„Tsu, ich bin mir sicher, dass es hier in Kyoto genauso Menschen wie dich gibt wie in Tokyo oder in unserer Stadt“, widersprach ich ihm leise. „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und auch wenn Japan in manchen Punkten, die dich eben mit betreffen, da ein bisschen hinterherhängt, kann dir auch hier niemand vorschreiben, wie du zu sein hast.“

„Aber … bin ich nicht dann … na ja, eben nicht das, was die Welt von einem Japaner erwartet?“

„Ist denn das so wichtig, Tsuzuku? Du bist genauso Japaner wie ich oder der Typ im langweiligen Anzug da drüben oder dieser uralte Opa da in der Reihe hinter uns. Du bist hier geboren und deine Eltern ebenso, du hast braune Mandelaugen, eine schöne kleine Nase und schwarzes Haar, also bist du Japaner, mehr ist das doch gar nicht. Und was irgendwo Leute von dir erwarten, hängt doch auch immer damit zusammen, mit welchen Leuten du dich überhaupt umgibst und wessen Meinung dir wirklich wichtig ist.“
 

Und gerade, als ich selbst zu spät bemerkte, wie plötzlich Tsuzuku wieder einmal viel zu nahe an seine Selbstentwertung geraten war, ich sah den Ausdruck in seinen Augen, diesen eigenartigen, dunklen Schleier in seinem Blick, und dass er irgendwas auf meine Worte antworten wollte, was ihn seinem Selbsthass noch näher bringen würde, da saß auf einmal Ruana auf seinem Schoß, Meto hatte sie schnell dorthin gesetzt, und unter Ruanas Teddykörper halb versteckt erkannte ich wieder Metos Hand auf Tsuzukus Oberschenkel, beruhigend streichelnd.

„Tsu, komm, atmen … alles gut …“, hörte ich Meto flüstern, und tatsächlich schien Tsuzuku für einen Moment die Luft angehalten zu haben, unabsichtlich, vermutlich vor lauter Anspannung. Er atmete halblaut aus, unterdrückt, und doch hörte ich deutlich diese Spannung heraus, die sich so ungeheuer schnell in ihm aufbauen konnte.
 

Kurz darauf erreichte die Straßenbahn die Station, an der wir laut der Wegbeschreibung zum Tempel aussteigen mussten. Als wir wieder draußen auf der Straße waren und uns mithilfe des kleinen Straßenkartenausschnittes den Weg suchten, sah ich Tsuzuku immer mal wieder kurz und vorsichtig von der Seite an. Einfach, um sicher zu gehen, dass er sich von dem kleinen Gefahrenmoment zuvor jetzt wieder soweit erholt hatte, dass es überhaupt möglich sein würde, gleich in diesem Tempel über seine und Metos geplante Hochzeit zu sprechen und das Ereignis auf diese Weise Stück für Stück in die Tat umzusetzen.
 

Der Tempel, vor dem wir schließlich stehen blieben und an dessen hölzernem Tor auch der Name stand, den wir von der Webseite her kannten, war einer der eher unauffälligen, kleinen Sorte, einfach einer von den vielen, vielen kleinen buddhistischen Tempelchen, für die Kyoto so berühmt war.

Mir kam der Gedanke, dass es sich vermutlich auch nur so ein eher unbekannter, kleiner Tempel in unserem Land überhaupt leisten konnte, so etwas wie Hochzeiten für homosexuelle Paare anzubieten. Ein berühmterer Tempel hätte das möglicherweise aufgrund seiner Bekanntheit gar nicht durchsetzen können, da galt es auf einen ‚guten Ruf‘ zu achten und ich war mir leider doch ziemlich sicher, dass sich da der Staat doch irgendwo einmischte und in solche Ideen relativ vernichtend reinreden konnte.

Ich fand das doch ziemlich traurig und auch irgendwie arm, denn immerhin lebten wir doch im einundzwanzigsten Jahrhundert und in einer der führenden Industrienationen der Welt. Warum sperrte sich unser Staat ausgerechnet so sehr gegen die Ehe für alle Paare?! Was sollte an einer Liebe angeblich so falsch sein, nur weil die Liebenden zwei Männer oder zwei Frauen waren? Ich verstand es nicht, und ich wollte es auch gar nicht verstehen.
 

Für einen Moment, den wir wartend vor dem Tor gestanden hatten, nachdem ich den Türklopfer betätigt hatte, war ich sehr in meinen Gedanken versunken gewesen. Und so erschrak ich ganz schön, als ich auf einmal Metos dezent besorgte Stimme neben mir hörte, wie er an seinen Verlobten gewandt fragte: „Tsu? Hey, bist du okay? Was hast du?“

Ich sah mich um, schon ahnend, dass da wieder etwas nicht in Ordnung war, und tatsächlich stand Tsuzuku mitten auf der altmodisch gepflasterten Fußgängerstraße, hatte den Kopf gesenkt und den Oberkörper leicht gebeugt, sodass ihm die schwarzen, schulterlangen Haare ins Gesicht fielen, und er presste wieder einmal seine Hand auf sein Herz, machte so sichtbar, dass es ihm wieder wehtat. Sofort waren wir bei ihm, Meto auf der einen Seite und ich auf der anderen, wir führten ihn an den Straßenrand zu einer Bank, wo er sich setzen konnte.

„Was ist denn los?“, fragte ich ihn besorgt. War das jetzt noch ein Nachbeben von dem Moment zuvor in der Straßenbahn oder hatte sich in seinem Kopf und Herzen längst ein neuer, anderer Schmerz zusammengebraut? Das ging bei ihm immer so furchtbar schnell …
 

Tsuzuku antwortete nicht, reagierte zuerst nicht mal, dann schüttelte er nur den Kopf. Es war ganz offensichtlich, dass sein schmerzendes Herz nichts weiter war als ein körperlicher Ausdruck seines seelischen Leids und seiner Angst.

„… Geht gleich wieder …“, brachte er schließlich heraus, klang aber so gepresst und schmerzvoll, dass ich ihm das nicht mal ansatzweise glaubte.

„Tsuzuku, was ist los, jetzt sag schon!“, sprach ich und sah ihn direkt an.

Er schüttelte wieder den Kopf, und als ich meine Frage dennoch wiederholte, setzte er noch eins drauf: „Wirklich, ich bin okay! Ich brauch nen Moment, dann geht’s wieder, und dann gehen wir da rein und planen das alles mit der Hochzeit … Bitte, fragt jetzt nicht weiter, ich weiß es selbst nicht …!“

„Ist gut …“, sagte ich leise, mir blieb wohl nichts anderes übrig.
 

Wir blieben noch einen Moment sitzen, dann stand Tsuzuku von sich aus wieder auf und ging in Richtung der hölzernen Pforte vom Tempel, wo in diesem Augenblick eine Dame im Kimono auf die Straße hinaus trat und sich suchend umsah.

Ich sah, wie Tsuzuku seine Haltung straffte, durchatmete, und ihm war anzumerken, dass er eine Fassade hochzog, dann standen Meto und ich ebenfalls auf und gingen auf die Dame zu.

„Guten Tag. Haben Sie eben bei uns geklopft?“, fragte sie und verbeugte sich leicht.

Ich erwiderte die Verbeugung und antwortete: „Ja. Mein Name ist Niigata, ich hatte gestern eine Mail an Sie geschickt, wegen einer besonderen Hochzeit.“

„Ah, Sie waren das, gestern ganz spät am Abend?“, fragte die Dame höflich lächelnd und ich bejahte, woraufhin sie sich vorstellte: „Mein Name ist Iwajima, ich bin für die Koordination und Planung der Hochzeiten in unserem Tempel zuständig.“
 

Sie wandte sich an Tsuzuku und Meto und fragte mit demselben höflichen Lächeln: „Und Sie beide sind das Hochzeitspaar, nehme ich an?“

Da Meto sichtlich die Sprache wieder einmal versagte, übernahm wie so oft Tsuzuku die Kommunikation und antwortete mit einem „Ja, das sind wir“, wobei er, für mich als seinen besten Freund deutlich spürbar, eine Art emotionaler Maske trug, er verbarg seine Ängste und Unsicherheiten und spielte den sozial kompetenten Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit dem äußerlich gesehen alles okay war.

Dass er das konnte, so schauspielern, obwohl es in ihm drinnen gar nicht gut aussah, war in meinen Augen irgendwie ganz schön beeindruckend. Zwar konnte ich so etwas auch, aber bei mir war doch der Schmerz hinter der Fassade niemals so groß gewesen, wie das, was Tsuzuku tagtäglich durchmachte, er hatte so viel mehr zu ertragen und dennoch konnte er so spielen.
 

„Folgen Sie mir bitte“, forderte uns Iwajima-san höflich auf und verbeugte sich erneut.

Wir folgten ihr zur Pforte und in den Garten des Tempels, der so aussah wie alle Tempelgärten in dieser Stadt: Kleine Felder mit Steinen, graue und sehr ordentlich zurechtgehakte Sandflächen, kleine Bonsai-Gewächsen und hübsche Steinlaternen. Blumen gab es kaum, nur die Blüten an den Bäumen und Sträuchern, aber das war ja auch so üblich, ein Tempelgarten war kein Blumenbeet.

Ich hatte jedoch kaum einen Blick für diesen Garten, machte mir wieder viel zu große Sorgen um Tsuzuku und musste ihn immer wieder ansehen und versuchen, aus seinem Blick zu lesen. Doch es war schwierig dieses Mal, er hatte sein Innenleben gerade gut verschlossen.

Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie viel Kraft es ihn kostete, sich so zu verstecken, er war doch so ein extrovertierter, lebhafter Mensch, der sich der Welt so gern mitteilte, es musste ihm also ungeheuer schwer fallen, diese Fassade zu halten, und der Schmerz in ihm musste furchtbar sein, wenn er sich so zumachte.

Was tat ihm gerade nur so weh? Wir waren doch hier, um einen wichtigen und schönen Tag in seinem und Metos Leben zu planen … Oder war es am Ende genau das, was ihm das Herz schwer machte? Fürchtete er seine eigene Hochzeit, die er doch selbst initiiert und herbeigesehnt hatte, weil sie nun irgendwo auch wieder seine Angst vor dem Verlassenwerden weckte?
 

Ich hatte jedoch jetzt keine Gelegenheit, darüber weiter nachzudenken, und Tsuzuku wollte ganz offenbar gerade auch wirklich nicht, dass ich ihn danach fragte, also ließ ich das Thema sein und konzentrierte mich, als Iwajima-san uns durch den Garten und einen schmalen, hölzernen Gang zu einem kleinen Büroraum führte, auf die konkreten Fragen, die sie dort dann an uns richtete.
 

„Haben Sie schon Ideen, wie Ihre Zeremonie aussehen soll?“, fragte sie, an Tsuzuku gewandt.

„Nein, wir haben gerade erst mit der Planung angefangen“, antwortete er.

„Sie wissen aber, dass wir im Zen da sehr flexibel sind?“

„Ja.“

„Wir können das natürlich auch gemeinsam planen“, bot Iwajima-san an und ließ uns in den kleinen Raum, schloss dann hinter uns die hölzerne Schiebetür.

„Das wäre tatsächlich eine gute Idee“, antwortete Tsu darauf und wandte sich mit fragendem Blick an Meto. „Oder siehst du das anders, Baby?“

Meto schüttelte den Kopf und brachte leise und ein klein wenig heiser heraus: „Können wir … so machen … hier …“

Iwajima-san schien ein wenig verwundert, weil Meto so leise und unsicher sprach, und Tsuzuku bemerkte das. „Mein Verlobter ist … ein wenig schüchtern, er spricht nicht so gern. Es ist aber okay für ihn, dass ich so ein bisschen für ihn mit rede, das ist bei uns schon immer so. Mit mir allein spricht er sicherer.“

Ich stand daneben und hatte, so wie Tsuzuku Meto jetzt ansah, endlich wieder das Gefühl, dass Tsu sich halbwegs sicher fühlte. Irgendwas daran, so für Meto zu sorgen, schien ihm Sicherheit und Kraft zu geben, sein Blick war jetzt wieder offen und unverstellt.
 

Iwajima-san fragte mich noch, was denn meine Aufgabe in der ganzen Sache war, und ich antwortete, dass ich als der beste Freund des Hochzeitspaares gern mithelfen wollte, dass dieses Fest ein wirklich schöner Tag für die beiden wurde.

Wir setzten uns dann zusammen und redeten, über alles, was es bei einer buddhistischen Hochzeit zu bedenken gab. Tsuzuku und Meto waren sich beide einig, dass es nur eine kleine, weniger aufwändige Zeremonie werden sollte, und im Laufe des Gesprächs ergab sich, dass es wohl auch einen leichten westlichen Anstrich bekommen sollte, mit einer kleinen Rede zum Leben der beiden, und mit Eheringen und Hochzeitskuss.
 

„Was möchten Sie denn bei Ihrer Hochzeit tragen?“, fragte Iwajima-san danach.

„Wir sind noch am Suchen“, antwortete Tsuzuku. „Mein Freund mag gern süße Kleider, vielleicht ein weißes, da schauen wir noch. Und ich möchte einen Anzug tragen, aber keinen gewöhnlichen, da muss ich auch noch das Passende finden.“

„Wir gehen hier in Kyoto nachher noch zusammen in die Einkaufsstraßen“, sagte ich dazu.
 

„In Ordnung, sie melden sich dann, wenn es in dem Punkt noch Fragen gibt? Haben Sie denn auch schon ein Hotel gefunden?“, fragte Iwajima-san.

Tsuzuku schüttelte den Kopf.

„Falls Sie hier in der Stadt für diesen besonderen Anlass nichts finden, und falls Ihnen ein traditionelles Hotel mit Tatami und Futon zusagt, haben wir direkt vom Tempel auch ein Angebot für Sie: Wir haben, da mit der Zeit immer mehr homosexuelle Paare zu uns gekommen sind und diese Paare dann in Kyoto kein Hotel für die Hochzeitsnacht gefunden haben, selbst ein schönes Machiya-Haus angemietet, in dem wir unsere Hochzeitspaare unterbringen können. Es liegt ein bisschen außerhalb, sodass Sie beide dort dann ganz in Ruhe Ihre Zweisamkeit genießen können, ohne dass sich jemand daran stören wird.“

Tsuzuku schien die Idee zu gefallen, er lächelte und sah Meto an, der lächelte zurück und Tsuzuku fiel kurz aus seiner selbstauferlegten Ordnung und flüsterte Meto etwas zu, das ich ebenfalls hören konnte, weil ich nah daneben saß: „Nostalgisches Liebemachen, wie die alten Samurai, was sagst du dazu, Baby?“

Und anscheinend gefiel Meto diese Idee ebenso gut, denn da schlich sich mit einem Mal ein breites, süßes Lächeln auf seine Lippen und er nickte.
 

Iwajima wandte sich nun direkt an mich: „Niigata-san, wir wäre es, wenn Sie die Rede für die Zeremonie schreiben? Sie kennen das Paar gut, sind ein enger Freund der beiden, da wäre das doch eine gute Idee, oder?“

Ich nickte und bejahte, mir war diese Idee auch schon gekommen. Ich war zwar mit dem Schreiben lange nicht so begabt wie Tsuzuku, aber für eine kleine Rede reichte es sicher, mir würde schon etwas Schönes einfallen.
 

Wir sprachen dann noch über den genauen Termin, bei dem sich aber insbesondere Tsuzuku noch nicht ganz sicher war. Er sprach es nicht direkt aus in Iwajima-sans Gegenwart, aber ich merkte, er dachte dabei an seine unvorhersehbaren Stimmungen und wollte vermeiden, dass die Hochzeit ausgerechnet in eine seiner Tiefphasen fiel.

Und so machten wir erst einmal nur einen vorläufigen Vorschlag fest, der sich dann auf Ende Mai bezog, wenn es warm und schön war und eben noch vor der Regenzeit im Juni. Iwajima-san sagte, das sei kein Problem, es sei jetzt ja jetzt erst Anfang April und wir müssten uns einfach rechtzeitig noch mal melden, sie würde unseren vorläufigen Termin auch im Blick behalten.
 

„Wollen Sie sich das Hotel einmal ansehen?“, fragte sie dann und suchte dann in der wohlsortierten Visitenkartenbox auf dem Tisch nach dem entsprechenden Kärtchen mit der Adresse und Wegbeschreibung zu besagtem Hotel, welches sie mir als dem freiwilligen „Hochzeitsplaner“ mit beiden Händen überreichte.

„Ja, gerne“, antwortete Tsuzuku, schneller als ich, während ich das Kärtchen in meinem eigenen Etui verstaute.

Er hatte ganz offenbar Gefallen an der Idee gefunden, seine Hochzeitsnacht mit Meto in einem traditionell-japanischen Hotel zu verbringen, statt dass er, wie er einmal zuvor zu mir gesagt hatte, sich ein heißes Love Hotel mit allen Raffinessen für diese besondere Nacht wünschte. Vielleicht fand er die Abwechslung toll, aber ich traute ihm auch zu, dass er die Hochzeitsnacht mit dem Mann seines Lebens doch lieber romantisch als allzu sexspielzeug-lastig zelebrieren wollte.

So viel Sex, wie die beiden sowieso schon miteinander hatten, und der war ja, soweit ich wusste, auch gerne mal etwas experimentierfreudiger, da war es sicher auch mal schön, richtig romantischen Blümchensex zu haben …
 

„Melden Sie sich dort einfach an der Rezeption mit der Anmerkung, dass sie hier beim Tempel waren und ein Zimmer für eine Hochzeitsnacht ansehen wollen. Unser Portier kennt sich da aus“, sagte Frau Iwajima.

Ich fragte mich einen Moment lang, was diese Frau persönlich wohl davon hielt, in ihrem Beruf gegen den Konservatismus unserer Regierung anzugehen und verliebten Männerpaaren zumindest eine Hochzeit auf religiöser Ebene zu ermöglichen. Sie ließ sich wenig anmerken, und in diesem Fall war ihre Professionalität durchaus angenehm, ich hatte das Gefühl, dass sowohl Tsuzuku, als auch Meto, sich in diesem Gespräch als ‚normal‘ angenommen fühlten.
 

Wir verabschiedeten uns dann und machten uns auf den Weg zu dem Hotel. Ich bemühte, da ich mich in Kyoto nicht wirklich auskannte, mal Google Maps Satellite, um die Gegend zu finden, wo wir hin mussten, laut Iwajima-san lag das Hotel weiter draußen, in einem nördlichen Randbezirk von Kyoto, wo wir eine Weile würden fahren müssen.

Wir nahmen dann wieder die Straßenbahn zum Bahnhof und wollten von da mit einer anderen Stadtbahn in den Norden der Stadt fahren. Auf diese Anschlussbahn mussten wir eine Weile warten und dieses Mal war ich mehr der Zuschauer, während Meto sich an Tsuzuku wandte und ihn fragte, ob jetzt wieder alles okay sei.

„Ja … geht wieder.“ Tsuzuku lächelte leicht. Es waren immer seine Augen, an denen ich annähernd lesen konnte, wie es ihm ging, und in diesem Moment war sein Blick relativ offen.

„Hast du schon mal in so einem alten Haus geschlafen?“, fragte Meto. „Ich noch nicht, aber ich stelle mir das schön vor, irgendwie romantisch …“

„Ich hab das auch noch nie gemacht“, sagte Tsuzuku. „Aber ich würde schon gerne mal …“
 

Wir saßen zu dritt auf einer Bank am Bahnhof und Ruana durfte wieder auf Tsuzukus Schoß sitzen, um Metos darunter streichelnde Hand zu verstecken. Diese Lösung des Problems, dass Tsu oft viel Berührung brauchte und das aber in der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft sonst schwierig war, fand ich wie so vieles zwischen den beiden richtig schön und süß, es schien Ruanas Aufgabe in der Beziehung zu sein, sie war ein Schutz, ein Trost-Teddy und zugleich auch ein bisschen wie das Kind der beiden.

Die Fahrt in Kyotos Norden verlief dann ruhig, wir redeten nicht viel, aber zumindest ich hatte das Gefühl, dass es auch wirklich ruhig war, dass Tsuzuku, wie er da zwischen Meto und mir saß, wieder soweit entspannt war, dass nicht viel passieren konnte.
 

Wir hatten Glück, fanden das Hotel recht bald, es war von außen gesehen ein ganz normales Machiya-Haus, wie es sie in Kyoto in großer Zahl gab, da früher fast die ganze Stadt aus diesen mit viel Holz gebauten Reihenhäusern bestanden hatte.

Als wir es betraten, sah ich, wie Tsuzuku sich interessiert umschaute, vielleicht dachte er an die Geschichte, die in diesem Haus stecken konnte. Ich schlug einmal kurz auf die kleine Tischklingel an der Rezeption und aus einem dahinter gelegenen Raum kam ein etwas älterer Herr im schlichten Anzug, der sich höflich lächelnd verbeugte und fragte: „Sie wünschen bitte?“

„Wir waren eben beim Tempel, es geht um eine Hochzeit“, sagte ich, machte wieder den Sprecher und Hochzeitsplaner.

„Ah, ja … Moment, Sie waren bei Iwajima-san, ist das richtig?“

Ich bejahte und stellte Tsu und Meto kurz vor. Der Portier kam hinter seinem Tresen heraus und begrüßte die beiden in aller Form. Meto ging, seiner wohlhabenden Herkunft entsprechend, ganz gekonnt darauf ein, wenn auch recht leise, während Tsuzuku, bis eben noch in irgendwelchen Gedanken zugange gewesen, mit der Etikette und Höflichkeit, die der Portier aussandte, ein wenig überfordert zu sein schien und, als er sich vorstellte und verbeugte, ein wenig unbeholfen wirkte.
 

„Wir haben fünf Zimmer, die sich alle sehr ähnlich sind. Sie befinden sich oben“, sagte der Portier und deutete auf eine hölzerne Treppe ins Obergeschoss. „Bitte, immer nach Ihnen, meine Herrschaften.“

Neben der Treppe befand sich der Abstellbereich für die Schuhe und nachdem wir unsere ausgezogen hatten, gingen wir die Treppe hinauf.

Oben führte ein langer Gang zwischen fünf Türen entlang, an denen Nummern angebracht waren, wie es sich für ein Hotel gehörte. Es gab die Zimmer Nummer Eins bis Drei und zwei Zimmer mit den Nummern fünf und sechs. Die Zahl Vier fehlte, wie es traditionell üblich war, da sich ja „vier“ als „shi“ in der Sprache eben wie „Tod“ anhören konnte und die Nummer deshalb aus Aberglauben in Hotels und anderen Einrichtungen oft fehlte. Das Zimmer trug also einfach die Nummer Fünf und die eigentliche Fünf war dann entsprechend eine Sechs.
 

Der Portier öffnete die Schiebetür des Zimmers Nummer Eins und führte uns hinein.

Die Tatamimatten machten dieses altmodische, leicht raschelnde Geräusch, als wir sie betraten und uns in dem Zimmer umsahen. Es war wie eine kleine Suite, hatte einen Wohnraum, einen Schlafraum und ein Bad mit einer Ofuro-Badewanne für zwei Personen, alles zwar nicht sehr groß oder luxuriös, aber schön und sehr sauber.

Ich sah, wie sich ein kleines Lächeln auf Tsuzukus Lippen schlich, als er die altmodische Badewanne sah, und so, wie ich ihn kannte, stellte er sich jetzt schon vor, mit Meto zusammen darin zu baden.

„Hast Recht, Baby, das hier ist wirklich romantisch“, sagte er und legte seinen Arm um Meto.

„Hab ich doch gesagt.“ Meto lächelte.

Tsuzuku beugte sich ein wenig vor und flüsterte etwas in Metos Ohr, was ich nicht verstand, diesen aber eindeutig erröten ließ. Ich konnte mir denken, was wieder in Tsu‘s Kopf abging, und ich warf einen Seitenblick auf den Portier, den ich so einschätzte, dass ihm das verliebte Geturtel zweier Männer doch sicher irgendwie unangenehm war. Aber der lächelte nur leicht, denn wahrscheinlich hatte er, wo dieses Hotel doch bevorzugt von heiratswilligen homosexuellen Paaren genutzt wurde, in seiner Arbeit hier genug mit solchen Pärchen zu tun.
 

„Wir nehmen genau dieses Zimmer“, verkündete Tsuzuku dann, nachdem wir uns auch das Schlafzimmer angeschaut hatten, und Meto nickte bestätigend.

„Für welchen Zeitraum soll ich es Ihnen denn reservieren?“, fragte der Portier.

„Irgendwann Ende Mai. Wir haben das genaue Datum noch nicht“, sagte ich.

„Kein Problem, wir haben nicht so sehr viele Gäste, ich kann Ihnen das Zimmer für die Zeit von einer ganzen Woche reservieren, den Tag bestimmen dann Sie. Falls Sie etwas daran ändern oder es ganz absagen wollen, melden Sie sich einfach rechtzeitig.“

Nachdem das nun auch geklärt war, geleitete uns der Portier noch zur Rezeption zurück, wo ich ihm meine Visitenkarte da ließ, dann zogen wir unsere Schuhe wieder an und verließen das Hotel, um uns um die nächste wichtige Sache zu kümmern: Das, was Tsu und Meto am hoffentlich schönsten Tag ihrer Beziehung an Outfits tragen würden.
 

Kyoto war zwar nicht wie Tokyo, aber bestimmt gab es auch hier Filialen von h.Naoto und Angelic Pretty, wo ich einfach mal davon ausging, dass ersteres Label Tsuzuku eher gefiel, und bei zweiterem wusste ich, dass Meto dort gut ein Kleid für sich finden konnte.

Und so fuhren wir wieder in Richtung Shoppingmeile und Innenstadt. Die Kyoto-Tickets, die wir am Bahnhof gekauft hatten, wurden heute gut genutzt, so konnten wir uns in der ganzen Stadt bewegen.

Während der Fahrt war ich mit meinem Handy zugange und suchte darin nach den Adressen der örtlichen Visual Kei Stores und Lolita-Boutiquen, wurde auch fündig und wusste bald, wo wir hin mussten.
 

Wir waren noch nicht an der von meinem Handy bestimmten Haltestelle angekommen, da sprach Tsuzuku mich leise an: „Koichi?“

„Hm? Was ist?“

„Es ist schon seltsam, oder? Je mehr wir vorbereiten und planen und es fest machen, dass Meto und ich heiraten werden … umso unwirklicher fühlt es sich an, und umso mehr bekomme ich irgendwie Angst …“ Tsu’s Blick fiel gedankenverloren ins Leere, als er das sagte, er war deutlich sichtbar in seine Innenwelt abgetaucht.

„Angst, dass du an dem Tag dann nicht gut drauf bist?“, fragte ich nach.

Tsuzuku zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht … Das sicher auch …“

Ich sah zu Meto, der auf der anderen Seite neben Tsu saß und zuhörte, während seine Finger an Ruanas Teddyohren herumspielten.

Und irgendwie hatte ich auf einmal das ganz ungute Gefühl, dass Tsuzukus Angst, wie auch der kleine Schmerzanfall vorhin vor dem Tempel, diese berüchtigte Hochzeitspanik war, die sich bei ihm gefährlicherweise mit seiner großen Angst vor dem Verlassenwerden zu mischen drohte.
 

Ich wusste nicht so recht, was ich sagen oder tun sollte. Wollte Tsu jetzt darüber sprechen, oder war es besser, das Thema zu lassen? Würde es seine Angst verschlimmern, wenn wir jetzt darüber redeten, und wusste er das? Manchmal war es echt nicht so einfach, zu unterscheiden, ob er in sich sicher war und wirklich reden konnte, oder ob sein Ansprechen eines für ihn gefährlichen Themas vielleicht nur der Anfang seines immer wieder hochkochenden Selbsthasses war.

Ich entschied mich dazu, ihn genau das zu fragen, ehrlich mit ihm zu sein und so vielleicht besser herauszufinden, wie er funktionierte.

„Tsu? Sag mal … denkst du, es ist gut, wenn wir jetzt darüber sprechen? Wäre es nicht besser, wenn wir nachher reden, mit mehr Ruhe? Weil … na ja, ich hab ein bisschen das Gefühl, dass du dir mit diesen Fragen und der Angst wieder selber wehtust, verstehst du?“

Er sah mich kurz an, blickte dann zu Boden. „Ja … Kann sein … Ich weiß es nicht, ich hab Angst, ich will uns ja nicht den Tag verderben … Aber … na ja … Ko, verstehst du, es fühlt sich gerade alles so unwirklich an, richtig unecht, als ob es gar nicht passiert … Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Gefühl irgendwas entscheiden kann.“
 

In dem Moment erklang die Ansage, dass die Straßenbahn die Haltestelle erreichte, an der wir aussteigen wollten.

„Kannst du noch durchhalten und dann Bescheid sagen, wenn es zu schlimm wird?“, flüsterte ich Tsuzuku zu, als wir ausstiegen, und er nickte.

Auf dem Weg in Richtung des großen Ladens für vornehmlich schwarzen Visual Kei, den ich per Handy gefunden hatte, ging Tsu zwischen Meto und mir, und in dieser Gegend des sonst so traditionellen und eher strengen Kyoto liefen dann doch so viele junge Leute mit bunt gefärbten Haaren und szenebezogenen Outfits herum, dass Tsuzuku sich traute, mit Meto Hand in Hand zu gehen.
 

Wir kamen dann doch zuerst an einer Boutique von Angelic Pretty vorbei, und so wurde es als erstes für Meto ernst, was sein Hochzeitskleid betraf. Der Laden strahlte schon von weitem das Flair von rosa Zuckerwatte aus, wie ein lebensgroßes Puppenhaus voller furchtbar niedlicher Kleider für menschliche Puppen.

„So, rein da, ihr beiden!“, forderte ich das zukünftige Hochzeitspaar auf, da stand Meto auch schon vor dem Schaufenster neben der Tür und bewunderte einen wahren Traum in Rosa, ein Kleid, das mit unzähligen Erdbeeren und Kirschen auf rosa Grund bedruckt war. Es sah ein wenig seltsam aus, wie dieser junge Mann von zwanzig Jahren in seinem heute eindeutig männlichen Aufzug und der kurzen, leuchtend blauen Punkfrisur mit strahlenden Augen dieses kitschrosasüße Kleid anschaute, aber so war Meto eben, er hatte viele Gesichter.
 

Tsuzuku schien weniger begeistert von der Aussicht, mindestens eine Stunde in diesem so extrem rosa-lastigen Laden zu verbringen, er zog skeptisch die Augenbrauen hoch und sah doch recht deplatziert aus.

„Oder willst du dir schon mal selber was suchen? Der andere Laden ist hier gleich in der Nähe, müsste irgendwo da hinten sein“, fragte ich ihn, auch weil mir eingefallen war, dass es ja angeblich Unglück brachte, wenn der Bräutigam das Kleid seiner ‚Braut‘ vor der Hochzeit sah.

Tsu sah mich einen Moment lang abwägend an, dann nickte er. „Ihr kommt aber nach, oder?“

„Ja, sicher. Ich traue Meto zu, dass er schnell ein schönes Kleid findet.“

Und so ging Tsuzuku schon mal zu dem VKei-Laden vor, während ich mit Meto zusammen die Lolita-Boutique betrat.
 

Ich war doch recht selten in diesen reinen Lolita-Läden, selbst wenn ich mit Mikan Shoppen war, ging sie lieber in Boutiquen mit gemischterem Sortiment, weil es dort etwas günstiger war. Lolita war eine teure Angelegenheit und der Stil hatte zudem so viele Regeln und teils auch ziemlich elitäre Vorstellungen von Stil und Schönheit.

Meto wusste das sicher auch, aber er schien sich darum nicht zu kümmern. Die neugierig-irritierten Blicke der perfekt im Sortiment ihres Ladens eingekleideten Verkäuferin ignorierte er gekonnt und ging zwischen den goldfarbenen Kleiderständern entlang, zielsicher nach einem rein weißen Kleid Ausschau haltend. Er wusste genau, was er wollte, und hielt sich gar nicht erst damit auf, Sachen anzuschauen, die nicht seinen heutigen Kriterien entsprachen. Weiß sollte das Kleid sein, und nicht zu kurz, bunte Prints auf weißem Grund schienen ebenfalls nicht seiner Vorstellung vom perfekten Hochzeitskleid zu entsprechen, und richtige Ärmel sollte das Kleid auch haben. Ich stand mehr oder weniger nur herum und sah ihm genau zu, wie er systematisch suchte und schließlich fündig wurde.
 

Mit diesem himmlisch süßen, breiten Meto-Lächeln kam er auf mich zu, mit einem Kleid in den Händen, das schon auf den ersten Blick einfach perfekt zu ihm passte. Es hatte breiten Gummizug am Rücken, war ganz rein weiß und mit Schleifen, Spitze und Rüschen zwar detailverliebt, aber nicht zu überladen geschmückt, hatte süße Puffärmel, und es ging ihm, als er es sich vor einem Spiegel an den Körper hielt, bis über die Knie.

Mir hätte es wahrscheinlich nicht gepasst, ich war mit meinen 1,78 Metern viel zu groß gewachsen für solche Kleider, aber Meto war ja ein ganzes Stück kleiner als ich, und an ihm sah es einfach toll aus. Mit einer passenden Perücke und dem richtigen Make-up würde er darin die perfekteste, süßeste ‚Braut‘ abgeben, die Kyoto je gesehen hatte.
 

„Komm, zieh es an“, forderte ich ihn lächelnd auf.

Sogleich war die Verkäuferin mit der obligatorischen Schutztüte in der Hand zur Stelle und zeigte Meto die Umkleidekabinen. Sie schien zwar immer noch ein wenig irritiert, verbarg das jedoch unter so viel Höflichkeit, dass es weder Meto noch mich störte.

Während er sich umzog, suchte ich nach einer schönen Perücke, damit er das Kleid auch im richtigen Modus präsentieren konnte, und ich fand eine, die seiner blauen, gelockten sehr ähnlich war, diese reichte ich ihm durch den Seitenspalt des Vorhangs hinein.

Als er dann nach einer ganzen Weile aus der Kabine kam, war ich, obwohl ich ihn ja von unserer Arbeit her schon in solchen Kleidern kannte, dennoch überrascht, wie wunderschön Meto in so einem Kleid aussehen konnte. Von dem verrückten Punk, der er zuvor noch gewesen war, zeugten nur noch sein großes Tattoo und die Piercings, ansonsten hatte er sich in eine strahlend schöne, süße Prinzessin verwandelt, die niedlich vor dem großen Spiegel posierte und dabei so richtig, richtig glücklich aussah.
 

„Wow!“, entfuhr es mir. „Junge, du bist wunderschön!“

„Dankeschön, Koichi.“ Metos Stimme klang ein wenig heiser und rau, das brach das Bild ein wenig auf, machte ihn aber in meinen Augen nur noch süßer.

„Tsuzuku wird das so was von lieben!“

„Meinst du?“

„Ja. Er ist zwar selber absolut kein so mädchenhafter Typ, aber er liebt es total, wenn du solche Kleider trägst.“

Meto lächelte, dann schlich sich ein zartes Rosa auf seine Wangen und er sagte leise: „Ja, das weiß ich schon … Und vor allem liebt er es, mich später aus so einem Kleid wieder auszupacken …“

„Ja, so ist er, der Gute …“, sagte ich.

Tsuzuku nahm in Sachen seiner amourösen Vorlieben ja selten ein Blatt vor den Mund, und seine Formulierung „Meto ist wie mein persönliches Geschenk, und ich packe gern Geschenke aus“ war mir von unserem letzten diesbezüglichen Männergespräch noch sehr präsent.
 

Meto schien heute einen mutigen Tag zu haben, denn er sprach die Verkäuferin von sich aus an, sagte, dass er das Kleid mitsamt einer passenden Haarschleife und der Perücke auf jeden Fall kaufen wollte, und nachdem er sich wieder umgezogen hatte, suchten wir noch nach einem schönen Paar Schuhe. Schließlich ging es ja nicht, dass Meto dieselben niedlichen Schuhe, die er bei der Arbeit trug, auch an seiner Hochzeit an hatte.

Er entschied sich für ein Paar weiße, flache Teaparty-Schuhe, High-Heels waren seine Sache nicht, und nach der Auswahl von passenden Spitzenkniestrümpfen und ein bisschen Perlenschmuck waren wir dann auch fertig und bezahlten alles.
 

Als wir die Boutique wieder verließen, sagte Meto, dass er in diesem Fall sehr froh war, reiche Eltern zu haben, die ihm solche teuren Sachen ermöglichten. Ich wusste, dass das Leben, das er so mit Tsuzuku zusammen führte, die Wohnung und das alles, zur Zeit noch zum größten Teil auf dem Vermögen von Metos Eltern aufgebaut war, und ich freute mich für die beiden, dass Herr und Frau Asakawa dieser Beziehung und dem Wunsch der beiden, zusammen zu leben, so offen und fördernd gegenüber standen. War ja auch nicht selbstverständlich.

„Wissen deine Eltern eigentlich schon, dass du Tsuzuku heiraten wirst?“, fragte ich.

„Nein, noch nicht. Ich hab noch nicht den passenden Moment gefunden“, sagte Meto, schien sich aber darüber keine größeren Sorgen zu machen.

Na ja, man brauchte eben wirklich einen guten Zeitpunkt, um seinen Eltern zu sagen, dass man heiraten wollte, und wenn der Auserwählte dann eben auch noch ein anderer Mann war, dann war es eben so, dass der richtige Zeitpunkt vielleicht noch wichtig war, auch wenn die Eltern die Beziehung unterstützten.
 

Wir waren gerade auf dem Weg in Richtung des Visual-Stores, zu dem ich Tsuzuku schon mal vorgehen lassen hatte, da klingelte mein Handy und ich sah, als ich ranging, seinen Namen auf dem Screen.

„Tsu, wir sind doch schon auf dem Weg zu dir“, sagte ich.

Er antwortete erst nicht, ich hörte ihn nur atmen und irgendwie klang das nicht gut, viel zu schnell und aufgeregt.

„Bist du noch in dem Laden?“, fragte ich.

„… Ja …!“ Schon dieses kleine Wort klang so, als sei er wegen irgendwas ziemlich aufgebracht.

„Wir sind gleich bei dir, okay?“

Er antwortete nicht, legte einfach auf.

„Was ist los?“, fragte Meto neben mir besorgt.

„Keine Ahnung … Tsu klang grad ziemlich genervt oder so …“
 

Wir beeilten uns, zu dem Laden hin zu kommen, der hatte zwei Stockwerke und während das Erdgeschoss augenscheinlich den eher femininen Klamotten vorbehalten war, wies ein pfeilförmiges Schild an der Treppe auf die männlicheren Styles im ersten Stock hin.

Wir gingen also die Treppe rauf und da sah ich Tsuzuku auch schon, er saß auf einem Sitzplatz bei den Umkleiden und neben ihm türmte sich ein riesiger Stapel mit Klamotten auf. Er sah müde und genervt aus, lehnte mit dem Oberkörper rückwärts an der Wand hinter sich und hatte seine Hand wieder auf seinem Herzen liegen.
 

Meto war sofort bei ihm. „Tsu, mein Herz, bist du okay?“

Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Manchmal hasse ich Shoppen …“

„Wieso, was ist denn los?“, fragte ich.

„Ich weiß nicht … Ich finde nichts, kann mich nicht entscheiden …“ Er wies mit einer müden Handbewegung auf den Klamottenstapel neben sich. „Ich wollte nur einfach ein interessantes Outfit finden, das halt zu mir passt und so, aber irgendwie … ich glaube, ich bin mir gerade selbst abhandengekommen …“ Mit einem Mal sprang er auf, dann setzte er sich wieder, wirkte ziemlich unruhig. „Mist, verdammter!“

„Tsuzuku, wir kriegen das hin, okay?“, sagte ich. „Wir suchen jetzt zu dritt diesen Stapel durch und da ist ganz bestimmt was dabei.“

Aber er schien das gar nicht wirklich zu hören. Denn statt darauf einzugehen, wurde er wieder laut und sprang erneut auf. „Wisst ihr, vielleicht soll das auch alles gar nicht sein …! Vielleicht soll ich nicht heiraten, nicht glücklich sein, passt doch auch gar nicht zu mir … Ich bin doch kaputt, total gestört und krank, wozu sollte man mich heiraten?!“

Meto sah ihn reichlich entsetzt an. „Tsu …“
 

Ich sah, wie sich etwas weiter weg ein paar Leute zu uns umdrehten, aber ich sagte nichts. So ein ‚Sei still, die Leute gucken schon‘ würde Tsuzuku nur unnütz wehtun, und das wollte ich wirklich nicht.

„Tsuzuku, du weißt, dass ich dich will“, versuchte Meto, die Situation auf seine Weise in den Griff zu bekommen. „Das hatten wir doch letztens erst, und ich kann dir nur immer wieder sagen, dass ich dich mit allem will und liebe, was du bist. Ich hab zu deinem Antrag ‚Ja‘ gesagt, und dabei bleibe ich, weil du alles bist, was ich will.“

„Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!“

Meto sagte nichts weiter dazu. Die Leute weiter hinten schauten immer noch zu uns rüber, und Meto sah es auch, und vielleicht tat er das, was er dann tat, genau deshalb: Er griff wortlos Tsuzukus Hand und zog ihn nah zu sich, der ließ sich überrascht mitziehen, und dann küsste Meto ihn, vor allen Leuten, mitten auf den Mund und absolut eindeutig.
 

„… Und das wird immer meine Antwort sein, Tsuzuku, das und nichts anderes, für den Rest meines Lebens, mein Herz“, hörte ich ihn sagen und sah, wie er liebevoll Tsu’s Gesicht in seinen Händen hielt und ihm in die Augen sah. „Auch, wenn es dir gerade Angst macht, dass wir heiraten werden, andererseits willst du es so sehr. Und diese andere, glückliche Seite von dir, die mich heiraten und für den Rest unseres Lebens das Bett mit mir teilen will, auf diese Seite hören wir jetzt, ja?“

Tsuzuku nickte nur, hatte Tränen in den Augen.
 

Meto ging zu dem Stapel Klamotten hinüber und begann, da ein wenig Ordnung hinein zu bringen, und Tsu stand einfach daneben und sah zu. Er schien zwar immer noch in sich unsicher zu sein, aber dafür vertraute er Meto offenbar so weit, dass er diesen seinen Anzug aussuchen ließ.

„Was für Schuhe willst du anziehen?“, fragte Meto und hatte dabei eine dunkle, lange Hose in der Hand, die halb nach VKei und halb nach einem eleganten, hübschen Anzug aussah. Sie war teils aus glänzend schwarzem Jersey-Samt und teils aus ebenso schwarzem Nadelstreifenstoff gefertigt und hatte ein paar Bänder und Schnallen dran.

„Weiß nicht, vielleicht die roten?“

Meto warf einen abschätzenden Blick auf die Hose und dann auf Tsu, dann nickte er. „Okay, dann die roten Schuhe mit dieser Hose?“

Tsuzukus Blick war zwar ein wenig skeptisch, es war sicher nicht einfach für ihn, gerade in diesem Moment der ‚Selbstbild-Blindheit‘ herauszufinden, ob ihm diese Hose für sein Hochzeitsoutfit wirklich gefiel, aber schließlich nickte er. „Ja, das kann ich mir vorstellen.“
 

So ging es dann noch ein wenig weiter, zu der Hose gab es dann eine passende Jacke und ein dunkles, leicht rüschenbesetztes Hemd, dazu noch ein bisschen silbernen Schmuck. Die Schuhe hatte Tsuzuku ja schon zu Hause, und auf diese dunkelroten Anzugschuhe hatten die beiden den Rest des Outfits jetzt fest abgestimmt.

„Du wirst so wunderschön aussehen, mein Herz“, sagte Meto, als wir den Laden mit vollen Einkaufstüten verließen.

Tsuzuku lächelte. „Du bestimmt auch, Baby.“

„Aber du darfst mich erst dann in dem Kleid sehen“, bemerkte Meto und wandte sich an mich: „Ko, du musst gut auf das Kleid aufpassen.“

„Na klar“, sagte ich und war einfach froh, dass die kleine Krise vorhin nicht schlimmer geworden war.
 

Eigentlich hatte ich im Stillen noch gehofft, wir würden nach dem Shoppen noch ein wenig Sightseeing machen, so ein kurzer Blick auf den Kinkakuji und ein kleiner Spaziergang im Geisha-Viertel Gion hätte mir schon gefallen, aber ich sah ein, dass Tsuzuku darauf jetzt keine Lust hatte und Meto auch ziemlich erschöpft war.

Aber wahrscheinlich würde sich das sowieso noch ergeben, wenn die beiden hier in Kyoto heirateten, dass ich dann meine Sightseeing-Tour mit Mikan machen konnte.

Wir machten uns dann auf den Rückweg, nahmen die Straßenbahn zum Hauptbahnhof, und von dort wenig später den Zug nach Hause. Am Bahnhof hatten Meto und ich uns je ein Bento gekauft und während der Fahrt wurde ich dann Zeuge, wie Tsu seinen Anteil davon abbekam, Meto ließ es sich trotz der Öffentlichkeit um uns herum nicht nehmen, seinen Schatz zu füttern. Es schien schon ein kleines Ritual zwischen den beiden zu sein, und vielleicht zeigte es ja bald Wirkung und Tsuzuku würde ein wenig zunehmen.
 

In unserer Stadt angekommen, begleitete ich die beiden noch nach Hause. Metos Kleid war gut in einer blickdichten Hülle verpackt. Und nachdem wir noch ein bisschen gesessen und geredet hatten und ich sicher war, dass es beiden nach diesem Tag gut ging, machte ich mich mit dem Kleid im Gepäck auf den Weg zurück in mein eigenes Zuhause. Ich würde gut darauf achtgeben, war ich doch sozusagen ‚Trauzeuge‘ dieser Beziehung und derjenige, der versuchte, von außen her auf ihrer beider Liebe aufzupassen.

Den Rest des Abends verbrachte ich vor dem Fernseher, das Kleid hing sicher in meinem Schrank und ich schaute wieder koreanische Liebesfilme an, weil ich einfach romantisch gestimmt war.

Irgendwann später schrieb ich noch mal mit Mikan, wir schickten Herzchen und Küsschen hin und her und sagten uns dann ‚Gute Nacht‘, ich ging dann auch gleich ins Bett.
 

Es dauerte eine Weile, bis ich einschlafen konnte, denn zuerst gingen mir von irgendwoher Tsuzukus Worte von seinem leichten Anfall im Klamottenladen noch mal durch den Kopf: ‚Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!‘

Es machte mich traurig, dass er manchmal so blind für sich selbst zu sein schien. Er war so ein liebevoller, wunderbarer und nebenbei auch noch sehr attraktiver Mensch, aber es schien oft so, als könnte er das selbst gar nicht erkennen. Es war schon ein merkwürdiger Gedanke, dass gerade er, der sogar in meinen Hetero-Augen ein auffallend schöner Mann war, sich vielleicht manchmal kaum im Spiegel anschauen konnte, weil er sich so verzerrt wahrnahm, dass er entweder nichts sah oder sich vielleicht sogar hässlich fand.

„Ach Tsuzuku …“, sprach ich leise in die Dunkelheit und hoffte, dass er gerade glücklich in Metos Armen lag. „Was machen wir nur mit dir, hm?“
 

Ich drehte mich auf die andere Seite, zog meine Bettdecke hoch und war dann zum Glück bald eingeschlafen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Als nächstes gehts dann wie immer nach Koichis Sichtweise mit Tsuzukus weiter, es wird stechend, emo as always und wahrscheinlich auch wieder ganz schön heiß ... XD

bis dann ^^//
eure Haru Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: daietto_usagi
2018-04-03T21:44:11+00:00 03.04.2018 23:44
*usagi grad emotional bissl aufgewühlt ist*
*eben die letzte Live DVD von Mejibray angesehen hat*
*so schnell nicht mehr ansehen will*
*innerlich leer fühlt*
*Stimmung dringend ändern will*
*eilig in Haru's Fanfic stürmt*
*noch nicht gelesenes Kapitel grad perfekt dafür ist*
*usagi sich freut*
*anfängt zu lesen*

Hallo Harulein. Alles gut bei dir?
Ich bin grad so froh, das ich noch ein Kapitel habe, was mich jetzt von der Live DVD ablenkt. ^^°
Und in den ersten paar Sätzen kann ich Tsu auch schon wieder ganz gut verstehen. Er will nicht wirklich Tabletten nehmen. Er will nicht das er sich dadurch von der Stimmung so krass ändert. Als ich das las, dachte ich ein wenig an mich. Koichi hat hier ja so ein wenig alles runtergeredet. Das die Tabletten einen ja helfen sollen und das sicher nicht so schlimm und heftig wirkt und alles und da dachte ich an mich, wie ich mich immer rechtfertigen muss bei manchen Leuten, das ich zum Beispiel kein Alkohol zu mir nehmen will. Klar kommt von Leuten dann: "Probier ruhig, ein Glas ist harmlos. Das macht schon nichts mit dir! Das hebt deine Stimmung." Aber nein. Ich will es einfach nicht. Ich will gar nicht erst in das Risiko kommen, das es mir, also das Alkohol trinken, gefallen könnte. Ich will in keinster auch nur noch so kleinen Weise etwas zu mir nehmen, was mich verändert, auch wenn alle sagen, das es einen ja lockerer und fröhlicher macht. Aber ich will immer und überall absolute Kontrolle über mich selbst haben und nichts zu mir nehmen, was das irgendwie beeinflusst. Wer sagt mir das ich bei wenig Alkohol nicht schon "anders" bin? Keiner? Darum will ich es einfach nicht, genau wie Tsu hier. Tabletten beeinflussen einen auch in gewisser Weise. Gut meistens nehmen sie einen für eine Weile den Schmerz, je nachdem was man einnimmt, aber ich verstehe Tsuzuku dennoch sehr gut, das er da seine Bedenken hat, gerade wenn er damals solche Pillen zu sich genommen hat. Koichi wiederum versteh ich auch, aber... ach ich versteh irgendwie alle. XD Ist immer kompliziert.

...schönes, kleines Gespräch in der Bahn über Japaner, das Gefühl von Deplatzierung und so... wollt ich nur nebenbei mal sagen...äh schreiben... find ich gut.

Ach schön. Ich kann mir das ganze Gespräch mit der Dame über die Hochzeit echt gut vorstellen. Tsu und Meto, die sich immer wieder ein wenig ansehen. Tsu der langsam wieder etwas offener wird als wenige Minute zuvor auf der Straße. Und Koichi der kleine Hochzeitsplaner. ^^ Ach süß. Bei den Sätzen, wo es ums Hotel ging und Tsu und Meto nun doch ein traditionell-japanisches Hotel nehmen und kein Love Hotel mit allen Raffinessen XD ... da musste ich an meine FF denken mit Tsu und Koichi *hust* (die du sicher immer noch nicht zu Ende gelesen hast, stimmts? XD) Denn daaaa kommt dann doch mal so ein Hotel vor. XDD Also schön, wenn Tsu hier das Traditionelle wählt mit Meto. ^u^b

Uh, ist das mit der Zahl "Vier" also "shi" echt so, das es die in Hotels nicht gibt in Japan? Wusst ich noch gar nicht, aber klingt auch logisch. Interessant. O.o Man lernt immer wieder was dazu.

Huii Meto kauft sich ein Kleid. <3 Naaaw ich kann es mir richtig gut vorstellen, wie er da so vor Koichi steht und selbst einen rosa Schimmer auf die Wangen bekommt und sich schon vorstellen, wie Tsu ihn zur Hochzeitsnacht wieder liebevoll aus diesen Kleidchen... auspackt. ~.^ Voll süß. Aber.. oh weh... was ist mit Tsu? Der Anruf? *schnell weiterles* O.O
Ahh okay, Tsu hat Probleme mit der Wahl des Anzuges. Ja ich hasse Shoppen selbst RICHTIG hart. Aber das liegt dran, das die meisten Sachen in meiner Größe oder generell Klamotten hier sehr...langweilig aussehen... und nicht richtig passen. >.> Aber Tsu hat nen göttlichen Körper, aber ich glaube er war eh schon in so einer seltsamen Stimmung, das er deswegen sich auch nichts richtig an sich vorstellen konnte. Am besten wäre vielleicht gewesen, an einen anderen Tag woanders nochmal nach Klamotten zu schauen. Wenn man einmal in der Stimmung ist, das man sich in nichts richtig gefällt, dann bleibt das meist ne Weile und es bringt nichts weiter zu suchen, wenn man schon voll genervt ist von allen. Aber Meto konnte denke ich gut helfen. Hoffen wir einfach, das Tsu sich in den ausgewählten Sachen später doch noch gut findet. ^u^ Auf jeden Fall find ich es gut, das Koichi auf das Kleid jetzt aufpassen muss. So kommt Tsuzuku nicht in die Versuchung Zuhause danach zu stöbern, wenn er sich unbeobachtet fühlt. >u<v Also schon besser, wenn Koichi das Kleid bei sich daheim aufbewahrt.

Und da ist das Kapitel auch schon vorbei. Koichi war heute viel die Begleitperson für die beiden, aber auch gut, das er dabei ist, so als bester Freund und so. ^^ Das Kapitel tat auf jeden Fall gut, ich wurde etwas von der DVD abgelenkt und kann besser gelaunter ins Bett gehen. Danke dafür. ^3^ Und keine Sorge, du hast Kyoto echt sehr schön beschrieben. Hatte es durch deine Wortwahlen deutlich vor Augen und man hat Lust bekommen dahin zu gehen. ^-^/

Also dann Harulein.
Danke für das Kapitel, das Ablenken dadurch und ich freu mich schon sehr auf das nächste Kapitel. <3
Ganz zuckerwattenweiche Grüße vom usagi~ \^3^/ *flausch*
Antwort von: Harulein
04.04.2018 07:33
Na, Hasilein ^^

Ich glaube, ich werde mir diese letzte DVD gar nicht kaufen. Ich hab No Mouth Slivers noch nicht mal fertig geschaut und Hangman hab ich auch noch nicht mal gekauft ...

Ja, das mit den Tabletten ist keine einfache Frage. Ich nehme jetzt seit nem Monat wieder welche, hatte vorher versucht, die abzusetzen, aber hat nicht so geklappt ... Eigentlich mag ich die auch immer noch nicht gerne nehmen, aber ich muss, weil ich ohne die teils echt unausstehlich sein kann .__.
Es ist echt schwer, das abzuwägen und zu entscheiden, ob man auf dem Wege einen chemischen Stoff so ins eigene Gefühlsleben eingreifen lässt, und genau das ist Tsu hier auch nicht geheuer.
Aber ich seh halt auch Koichis Sicht, er macht sich Sorgen, dass Tsuzukus Gefühlsachterbahn noch mehr außer Kontrolle gerät und so, und denkt, so wie bei mir halt meine Eltern und Hilfen, dass es vielleicht hilft, Medikamente da mit einzuschalten, damit bisschen Ruhe reinkommt.
Ich hab schon mal drüber nachgedacht, doch auch Alkohol zu trinken oder, als ich mal mit einer zu tun hatte, die so "Glückspillen" genommen hat, halt so was zu probieren, weil ich dachte, vielleicht macht es mich lockerer ... Aber ich habs nicht gemacht. Vor Alkohol hab ich richtigen Ekel, ich hasse den Geruch von dem Zeug, und diese Pillen sind mir jetzt auch unheimlich.

Ja, das war auch schön zu schreiben. Tsu macht sich viele Gedanken, fragt sich halt diese Fragen "Wer und wie bin ich?" und "Wo passe ich hin?" und so was, mache ich auch oft, weil diese Frage, wer man eigentlich ist, sich immer wieder aufdrängt, wenn man in sich so unsicher ist ...

Ich hab in Sachen Hochzeitsnachthotel echt hin und her überlegt, eigentlich wollte ich auch so Love Hotel und mit allem und heiß und so ... Hab dann ne Liste angelegt mit Pro und Contra und dabei ist rausgekommen: Eine Hochzeitsnacht muss romantisch sein, und Gelegenheit, so richtig heiß und geil ins Love Hotel zu gehen, haben die beiden noch oft genug. Also gibts jetzt Futon und Tatami statt Lacklaken und Sextoys ^.~

Das mit der 4 ist auf jeden Fall in Krankenhäusern so, sagen meine dicken Japan-Bücher, und in Hotels halt manchmal auch, besonders in denen, wo es traditioneller zugeht. Ist wie mit der 13 bei uns, da gibts ja manchmal auch Einrichtungen, die kein Zimmer Nummer 13 haben.

Meto muss ja wohl auch n süßes Kleid tragen, wenn schon Hochzeit, dann in weiß XD Schön mit Schleifchen und Rüschen, eben wie ein Geschenk für Tsuzuku, was der dann später voller Freude auspacken und vernaschen darf <3
Tsu hat zwar nen göttlichen Körper, aber halt ein schwaches Selbstbild und zugleich hohe Ansprüche an sich. Er will nen Anzug, der darstellt, wie er selbst ist, aber in dem Moment kann er das halt gar nicht sehen, wer und wie er eigentlich ist und so, und das gibt dann diese Krise, weil man sich, wenn man halt da dran stößt, dass man nicht genau weiß, wer man eigentlich ist, oft dann sehr leer und unfähig fühlt *aus eigener Erfahrung sprech*

Ich muss ja gestehen, ich hab bei Koichi ab und an ein bisschen Schwierigkeiten, ihn richtig zu schreiben. Mir gehen in Bezug auf ihn selber irgendwie immer schnell die Ideen aus, ich habe immer das Gefühl, wenn ich ihn schreibe, dass ich ihn nicht richtig rüberbringe ... ._.
Deshalb hole ich dann halt immer sehr Tsuzuku in den Vordergrund, weil der mir einfach so viel leichter von der Hand geht ...

Ich bin bei dem nächsten Kapitel ja schon mittendrin, da gehts schon heiß her ... <3
Bis dann, mein Lieblingshasi <3
*chuchu*
Haru


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