Yasashikunai Mirai von Harulein (Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 12: [Koichi] Act 12 --------------------------- Ich verbrachte die erste Hälfte meines Nachmittags vor dem Fernseher und wartete. Wartete darauf, dass sich jemand bei mir meldete, und darauf, dass sich mein Leben, nachdem es in letzter Zeit anscheinend aus dem Fugen geraten war, von selbst wieder ordnete. Was es aber natürlich nicht tat. Ich tat mich schwer damit, einzusehen, dass es mir zurzeit einfach nicht so gut ging, und dass ich jetzt sogar schon bei der Arbeit geweint hatte, störte mich mehr, als dass es mir irgendeine weiterbringende Erkenntnis brachte. Jeder Gedanke an Mikan machte mich traurig, ich hatte ihr noch eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, doch sie antwortete einfach nicht. Ich hatte Angst, dass ich sie mit meiner Forderung, mich mehr als Mann wahrzunehmen, vor den Kopf gestoßen und überfordert hatte. Als dann irgendwann mein Handy klingelte, schreckte ich zusammen und sprang auf. Fischte es aus meiner Handtasche und hoffte halb, dass es Mikan war, die mich anrief. Aber es war Tsuzuku, der etwas von mir wollte, vielleicht ja, weil ich Meto heute Mittag vorgeschlagen hatte, dass wir irgendwas zu dritt machten. „Hey, Tsu“, meldete ich mich und hörte dabei selbst, dass ich alles andere als fröhlich klang. „Koichi“, sagte er, „Wie geht’s dir?“ Wenn Tsuzuku, der auf diese Frage ja so oft keine rechte Antwort wusste, sie stellte, ging ich immer davon aus, dass er es ernst meinte und wirklich daran interessiert war, wie es mir ging. „Nicht so wirklich gut“, antwortete ich, und allein, es auszusprechen, reichte aus, damit mir wieder Tränen in die Augen sprangen. „Warum?“, fragte er. „Willst du darüber reden?“ „Ich … weiß nicht …“ „Meto sagte mir eben, du wolltest mal wieder was zu dritt unternehmen …“, begann er, schwieg einen Moment und sagte dann: „Aber wenn es dir jetzt nicht gut geht … lassen wir das besser, oder?“ Ich nickte, was er aber ja nicht sehen konnte. „Ja … Ich bleibe wohl besser zu Hause.“ Meiner Stimme waren die Tränen schon anzuhören, und dann fing ich schon wieder an zu weinen, fühlte mich auf einmal entsetzlich einsam. „Weißt du was, Koichi, ich komme jetzt einfach mal zu dir“, sagte Tsuzuku. „Musst … du nicht …“ „Will ich aber. Du bist immer so lieb für mich da, dann will ich auch mal was für dich tun. Ich will auch mal für jemanden da sein.“ Es knackte in der Leitung, er hatte aufgelegt. War auf dem Weg zu mir. Ich legte das Handy beiseite, zog die Knie an, wickelte mich enger in meine Decke und weinte noch ein wenig, auch wenn ich nicht recht wusste, warum. Nur wegen Mikan? Oder war da noch etwas anderes in mir los, das ich nicht so richtig erkennen konnte? Auch davor hatte ich Angst. Dass ich depressiv wurde oder so was, und es schlimmer werden würde. Als es dann an meiner Tür klingelte, huschte ich noch schnell ins Bad und wollte meine rotgeweinten Augen noch ein bisschen schminken. Doch ein einziger Blick in den Spiegel reichte aus, damit klar war, dass das keinen Sinn hatte. Meine Traurigkeit war in diesem Moment nicht weg zu schminken. Ich ließ es also, ging zur Tür, öffnete sie und sah Tsuzuku vor mir im Treppenhaus stehen. Er sah sofort, wie verheult ich war, und umarmte mich einfach. Seine direkte und dabei zugleich liebe Art tat mir sofort gut und vertrieb meine Einsamkeit, zumindest ein wenig. Ich ließ ihn in meine Wohnung, die er erst zum zweiten Mal betrat, er war erst einmal hier gewesen, im Winter. „Soll ich Tee kochen?“, fragte ich. „Wenn du möchtest …“, war Tsuzukus Antwort. „Ich brauche nicht unbedingt was, aber wenn du was willst, trink ich ‘ne Tasse mit.“ Ich ging in die Küche und setzte eine kleine Kanne Tee auf, Tsu folgte mir und setzte sich auf einen meiner Küchenstühle, sah mich aufmerksam an. Während der Tee zog, fragte er: „Willst du drüber reden?“ Ich hob die Schultern, blickte an ihm vorbei, wusste nicht recht, ob ich das jetzt konnte, darüber sprechen. Ich wollte vor Tsuzuku nicht weinen, dachte daran, dass er in mir sonst immer den fröhlichen, stabilen, starken besten Freund sah, und befürchtete, ihn mit meiner Traurigkeit zu verunsichern. „Komm, sag“, sagte er, als ich nichts antwortete. „Wozu bin ich denn dein bester Freund, wenn nicht dazu, dass du mit mir reden kannst.“ Ich setzte mich ebenfalls und sagte dann: „Ich will nicht, dass du mich so siehst, wenn ich mich so traurig fühle. Weil ich nicht will, dass dich das irgendwie verunsichert.“ Tsu sah mich an, legte seine Hand auf meine und antwortete: „Das lass mal meine Sorge sein, Koichi. Ich kann, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht, selbst auf mich achten. Wenn dir nach Weinen ist, dann tu das, du musst keine Rücksicht auf mich nehmen.“ Und als hätten meine Tränen genau auf diese Worte gewartet, sprangen sie mir sofort wieder in die Augen. Tsuzuku stand auf, trat neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern, zog mich leicht zu sich, sodass ich sein schwarzes Shirt nassheulte. „Bist du sehr einsam?“, fragte er leise, seine Hand streichelte über meinen Rücken. Ich nickte, schniefte, lehnte mich an ihn. Und da ging es ganz leicht, das Reden darüber, was mit Mikan und mir war und mit meinem Gefühl, nicht als Mann erkannt zu werden. Ich wusste, so zu weinen war auch nicht gerade männlich oder so, aber ich konnte einfach nicht mehr. Und weil ich gerade sowieso am Reden war, sagte ich auch das. „Das ist kompletter Quatsch, Ko“, erwiderte Tsu darauf. „Sieh mal, ich fange doch viel eher an zu weinen als du, und tut es meiner Männlichkeit einen Abbruch? Nein. Ich fühle mich nicht femininer oder so, nur weil ich eben emotional bin. Also rede dir so was gar nicht erst ein.“ „Aber du bist doch eh schon männlicher als ich …“, weinte ich und kam mir jetzt wirklich komplett bescheuert vor. „Und außerdem hast du ‘nen Freund. Ich bin ‘n halbes Mädchen und kriege keine Frau ab …“ „Du weißt doch immer noch gar nicht, warum Mikan dich versetzt hat, oder? Vielleicht ist ihr nur irgendwas Wichtiges dazwischen gekommen oder ihr Handy ist kaputt oder was weiß ich …“ Tsuzuku drückte mich noch einmal leicht an sich, dann löste er sich von mir und hockte sich vor mir auf den Boden, sah zu mir hoch. „Aber jetzt lenken wir dich erst mal ein bisschen ab. Hast du irgendeinen Actionfilm oder so was da?“ Ich nickte. Ja, so was hatte ich auch im Regal. Tsu stand wieder auf, öffnete den Kühlschrank und blickte hinein, fand meine letzten beiden Bierflaschen. „Yeah, du hast sogar Bier da!“ Er nahm die beiden Flaschen aus dem Schrank und sagte lächelnd: „So, Koichi, wir machen uns jetzt ‘nen gemütlichen Männerabend.“ Und ich musste fast ein bisschen lachen, weil ‚Männerabend‘ angesichts meiner Gedanken und Gefühle so komisch klang … Wir setzten uns im Wohnzimmer auf meine Couch, ich trank noch eben meinen Tee aus und legte dann den Film ein. Dann machte Tsuzuku das Bier auf und ich bekam auf einmal richtig Lust auf ein bisschen Alkohol und einen entspannten Filmabend mit meinem besten Freund. Der Film war genau das, was ich gerade brauchte, mit viel Action, tollen Kampfszenen und einer nicht allzu aufdringlichen, eher hintergründigen Lovestory. Einen meiner sonstigen Kitschfilme hätte ich jetzt nicht gut vertragen. Aber so eine Heldengeschichte war vollkommen okay, und ich freute mich auch, dass Tsuzuku sichtlich seinen Spaß daran hatte. Er lachte viel und ich lachte irgendwann mit, das Bier und die dazu geholten Chips hatten ihre Wirkung und ich fühlte mich immer besser. In der Pause zwischen dem ersten und einem zweiten Film fing Tsuzuku an, in meinen Schränken herum zu suchen. „Was suchst du denn?“, fragte ich. „Hast du auch irgendwas Härteres an Alkohol da?“, fragte er zurück. „So’n Kokoszeug, ist so ähnlich wie Rum, da unten im Schrank.“ Ich deutete auf die entsprechende Schranktür. „Gläser sind da auch.“ „Geil!“ Tsu griff in den Schrank und kam dann grinsend mit der Flasche und zwei Gläsern zurück. Er wirkte so richtig gut gelaunt und ich hoffte sehr, dass seine Stimmung sich hielt und er nicht noch zusammenbrach. Den zweiten Film kannten wir beide schon und so wurde dieser irgendwann zu einer Art von Hintergrundgeräusch, weil wir mehr miteinander redeten und lachten, als zu schauen. Tsuzuku erzählte mir alles Mögliche und mit jedem Glas Kokosrum sprach er intimere Dinge aus, bis ich, davon angesteckt, ihm meine ganze Sehnsucht nach einem ähnlich erfüllten Liebesleben ebenfalls erzählte. Es wurde ein ziemlich eigenartiges und betrunkenes Männergespräch über Lust, Sex und Sehnsucht, und über Dinge, die wir noch nicht so recht voneinander gewusst hatten. Und obwohl Tsu ziemlich angetrunken und enthemmt war, redete er von Meto immer noch so liebevoll und wertschätzend, die Liebe leuchtete in seinen Augen. Ich kannte sonst niemanden, der selbst bei Worten wie „Und wenn ich in sein süßes Loch stoße und ihn so richtig nehme, das ist das geilste Gefühl auf der Welt!“ noch so liebevoll klang wie er. Irgendwann stellte ich den Film aus, der eh schon fast vorbei war, stand auf und merkte deutlich, dass ich doch recht viel getrunken hatte. Ich nahm die jetzt dreiviertel leere Flasche und stellte sie wieder in den Schrank, dann hielt ich Tsu meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen, wobei ich aber selber fast umkippte und er mich geradeso auffing. „Kommsu sso nach Hausse?“, fragte ich. „Geht schon“, antwortete er, klang auch weniger betrunken als ich, anscheinend vertrug er den Alkohol besser als ich. „Ko, wie geht’s dir jetzt?“ „Prima“, grinste ich, weil ich mich gerade wirklich gut fühlte. „Ruf mich morgen mal an“, sagte Tsuzuku. „Oder ich melde mich bei dir.“ Ich begleitete ihn noch bis zur Tür, er umarmte mich zum Abschied und ging dann, sodass ich wieder alleine war. Und sofort, als mir das klar wurde, brach meine Hochstimmung in sich zusammen und ich fühlte mich, was der Alkohol sicher noch verstärkte, wieder ganz furchtbar einsam. Kurz dachte ich daran, dass ich vorhin ja befürchtet hatte, Tsuzuku könnte zusammenbrechen, doch jetzt war ich es, dem wieder sehr nach Weinen zumute war. Und so zog ich mich aus und vergrub mich in meinem Bett, dachte an Mikan und heulte mich in den Schlaf. Furchtbare Kopfschmerzen waren das erste, was ich am nächsten Tag spürte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich an den Grund dafür erinnern konnte. An den ‚Männerabend‘ mit Tsuzuku, den Alkohol, das intime Gespräch, und dass ich dann, als er wieder weg war, schon wieder geweint hatte. Ich beschloss zuerst einmal, dass ich heute zu Hause blieb und nicht arbeiten ging. Mit solchen Kopfschmerzen und diesem fetten Liebeskummer hatte es keinen Sinn, ins Café zu gehen und auf fröhlich zu machen. Ich wollte auch gar keine Mädels sehen. Und so blieb ich noch eine ganze Weile im Bett liegen, bis ich schließlich Licht anmachte und mich langsam erhob, wobei mein Kopf dröhnte und summte wie ein durchgeknallter Bienenstock. Meine Schritte trugen mich in die Küche, wo ich als erstes gleich mal nach Kopfschmerztabletten suchte. Ich fand noch genau eine, die ich in einem Glas Wasser auflöste und mich dann daran erinnerte, was man bei einem Kater frühstücken sollte. Aber da ich sowieso noch keinen Hunger hatte, schlich ich erst mal ins Bad, wo mich wieder einmal ein rosahaariges Gespenst aus dem Spiegel anschaute. Ich sah dezent furchtbar aus und entschloss mich, erst einmal zu duschen und so zu versuchen, mich wieder in Normalzustand zu bringen. Nach dem Duschen fühlte ich mich schon ein wenig besser und machte mir ein bisschen Frühstück, bestehend aus Joghurt, verdünntem Zitronensaft und dem Kopfschmerztablettenwasser. Dann schnappte ich mir mein Handy und schrieb Satchan eine Nachricht, in der ich mich wegen Kopfschmerzen, deren Grund ich diplomatisch verschwieg, krankmeldete. Sie schrieb schnell zurück und wünschte mir ‚Gute Besserung‘. Ich beschloss, heute mal in Sachen Aussehen ganz schlicht zu bleiben, band meine Haare einfach nur zusammen und ließ jegliches Schminken ausfallen. Klamottentechnisch entschied ich mich für ganz bequeme Sachen und setzte mich dann erst einmal an meinen PC, um mich mal wieder ein wenig mit meinem Internet-Leben zu befassen. Ich hatte sowohl mein Blog als auch sämtliche sozialen Netzwerke in den letzten Tagen sehr vernachlässigt, und so war ich erst einmal damit beschäftigt, alles zu lesen, Bilder anzuschauen und selber die neuesten Fotos meiner Wenigkeit hochzuladen. Dabei fand ich, natürlich, wie sollte es auch anders sein, auch Bilder von mir und Mikan. Sofort klickte ich diese weg, bevor ich wieder traurig wurde, und dachte dann betont an Tsuzuku, an gestern Abend, daran, wie er mich wieder aufgebaut und mein Selbstbewusstsein als Mann zumindest teilweise wiederhergestellt hatte. Ich ließ das Bilder-Hochladen erst mal wieder sein und schrieb stattdessen die versprochene Nachricht an Tsu, jammerte ein wenig über meine Kopfschmerzen und fragte ihn dann, wie es ihm ging. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete, er lachte mich erst ein wenig aus und gab dann selber zu, einen ziemlichen Kater zu haben, schrieb, dass Meto arbeitete und er alleine zu Hause war. Ich fragte, was er denn gerade machte, und er erzählte mir, dass er sich übers Handy ein Fotoblog eingerichtet hatte und jetzt daran arbeitete, diesen mit den wenigen Bildern zu füllen, die er bisher hatte, und das Layout schön zu machen. Er schrieb mir den Namen des Accounts und ich suchte diesen gleich mal, wollte sehen, was für Bilder er da drin hatte. Und bekam sofort Herzchenaugen. Denn das erste, was mir auf dem Blog mit dem für ihn so bezeichnenden Nutzernamen ‚Tzk-sadislove‘ entgegenstrahlte, war eine Mini-Fotostrecke, auf der Tsu Meto umarmte und küsste und darunter eine absolut süße Liebeserklärung stehen hatte. Himmel, war das niedlich! Ich sah mir die anderen Bilder auch noch an, Selfies, geschminkt und ungeschminkt, denen man ansah, dass Tsuzuku von früher her Übung darin hatte, zu posen und sich selbst darzustellen. Und ich las mir auch seine stichpunktartige Selbstbeschreibung durch, in der er seinen Geburtstag, seinen Beruf und als Hobby ‚Lesen und Sport‘ angab. Dabei fielen mir zwei Worte auf, die zwar irgendwie ganz selbstverständlich dort standen, aber trotzdem einen unangenehmen Schauer über meinen Rücken schickten: ‚Borderline‘ und ‚Bulimie‘. Einerseits fand ich es irgendwie gut, dass er so offen damit umging, aber irgendwie machte mir das auch ein bisschen Sorgen. Ich trug den Blog in meine Favoritenliste ein, empfahl ihn auch an meine eigenen Abonnenten weiter und benannte Tsuzuku in meiner Freundesliste. Als ich gerade den Laptop wieder zuklappen wollte, blinkte bei meinen Nachrichten etwas auf: „Koichi, du hast 1 Nachricht von Mikan.“ Sofort fing mein Herz an zu rasen. Mit zitternden Händen klickte ich die Meldung an und schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus. „Koichi, was ist los? Wieso meldest du dich nicht mehr?“, stand da. Ich hatte mich nicht gemeldet?! Was sollte das denn jetzt?! Sie hatte mich doch versetzt und war nicht zu erreichen! Meine Finger zitterten, als ich die Antwort tippte: „Wieso ich? Du warst nicht da, du hast dich nicht gemeldet, du bist nicht zu erreichen! Nicht ich.“ Die Antwort kam mehr oder weniger sofort: „Ko, bei mir geht alles drunter und drüber. Meine Großmutter ist krank geworden, sehr krank, ich musste zu ihr, und dann ist mir auch noch mein Handy kaputtgefallen, das Display ist gesplittert. Und außerdem …“ „Was außerdem?!“, schrieb ich zurück und wusste, dass es sich ziemlich gereizt las. Jetzt ließ die Antwort recht lange auf sich warten. Ich saß vor dem Laptop und starrte auf die Anzeige, wartete, dass eine neue Nachricht kam. Irgendwie war ich zugleich ängstlich und ungehalten, aber auch ein bisschen froh, dass zumindest teilweise nicht ich die Schuld hatte, dass meine beste Freundin mich versetzt hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie durcheinander war und keine Zeit hatte, wenn ihre Oma, die sie sehr gern hatte, krank war, und ihr dann noch tatsächlich das Handy kaputt gegangen war. „Ko, du hast mich verwirrt. Mit dem, was du gesagt hast von wegen, dass du von mir mehr als Mann gesehen werden willst. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie du das meinst.“ Ich starrte auf den Bildschirm, wusste erst nicht, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich einfach fragen, was sie dachte, oder cool tun und ihr ganz ehrlich schreiben, dass ich es satt hatte, immer nur die, nur nebensächlich männliche, ‚beste Freundin‘ zu sein? Dabei würde dann ganz unweigerlich herauskommen, dass ich mehr von ihr wollte als Freundschaft und das wiederum wollte ich ihr, wenn überhaupt, persönlich und nicht schriftlich sagen. Meine Hände zitterten immer noch, als ich mich entschloss, die ganz direkte Antwort zu tippen: „Das meine ich, wie ich es sage. Ich will nicht mehr so das halbe Mädchen sein. Ich bin ein Mann, auch wenn ich eben nicht wie einer aussehe, und ich will, dass du das auch siehst.“ Wieder dauerte es etwas, bis die Antwort kam: „Koichi, wie genau meinst du das? Fühlst du dich von mir … verkannt oder so? Oder was willst du?“ Dieser Chat lief definitiv in eine Richtung, die nicht in einen Chat, sondern in ein echtes Gespräch unter vier Augen gehörte. „Komm her und wir reden drüber. Ich will das nicht online bereden“, schrieb ich und kam mir endlich wieder einigermaßen mutig vor. „Okay … Bin auf dem Weg.“ In der Zeit, während ich auf Mikan wartete, räumte ich ein bisschen meine Wohnung auf, öffnete die Jalousien und spülte das wenige Geschirr auf der Ablage. Und als sie dann vor meiner Tür stand und ich ihr öffnete, entstand zwischen uns eine eigenartig angespannte Stimmung. „Ko, tut mir echt leid, dass ich dich versetzt habe“, sagte sie und zog ihre Schuhe aus. „Bei mir ist alles so durcheinander gerade …“ „Schon okay“, sagte ich, einfach um die Situation nicht noch weiter anzuspannen. Wir gingen durch in mein Wohnzimmer und ich bot Mikan einen Platz auf meiner Couch an. Sie setzte sich und ich mich daneben, wobei ich, mehr versehentlich, ihr Parfum roch und den Duft ihrer Haare. Sie verwendete ein recht geschlechtsneutrales, aber sehr gut riechendes Parfum, das ich auch gerne trug, und ich atmete unwillkürlich tief ein. „Sag mal, seit wann stört dich das denn eigentlich, dass du halt irgendwie so meine ‚beste Freundin‘ bist?“, fragte Mikan. „Noch nicht lange. Eigentlich ist mir das erst vor ein paar Tagen so ansatzweise klargeworden.“ „Und warum? Also, wie bist du darauf gekommen?“ „Weiß ich gar nicht so genau. Jedenfalls … ich fühle mich zurzeit ziemlich einsam und auch irgendwie verkannt …“ Es war viel schwieriger, mit Mikan darüber zu sprechen, als mit Tsuzuku. Weil Mikan eine Frau und zudem diejenige war, auf die sich ein großer Teil meines Problems bezog. Doch ich wollte es sie wissen lassen, dass ich einsam war und auch, dass ich mich sehr nach einem erfüllteren Liebesleben sehnte. Mikan wandte sich mir ganz zu und legte ihre Hände auf meine Schultern. Ihre Berührung löste in mir Herzklopfen aus und ich spürte, dass ich rot wurde. „Koichi“, sagte sie und sah mir in die Augen. „Was willst du?“ Ich wich ihrem Blick aus, sah zur Seite und antwortete leise: „Na ja … wenn ich Tsuzuku und Meto so sehe, und das höre, was Tsu mir von der Beziehung erzählt, dann … will ich auch so was haben. Ich meine … ich hatte seit über zwei Jahren keinen richtigen Sex mehr …“ „Sex also …“ Mikan nahm ihre Hände von meinen Schultern und sah mich nachdenklich an. Ich wusste, es war nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Punkt, ihr zu sagen, dass ich nicht einfach Sex mit irgendwem wollte, sondern mit ihr. Und so fiel mein Blick wieder auf ihren Körper, ihre Brüste, die durch den BH unter dem T-Shirt so hübsch geformt aussahen und sich bestimmt wunderbar weich anfühlten. „Das meine ich, wenn ich sage, ich bin auch nur ein Mann. Ich brauche auch Sex, ich hab auch Sehnsucht. Ich bin keine Puppe und auch kein halbes Mädchen.“ „Und … na ja, was soll ich da machen? Ich meine, was soll ich denn tun, damit du merkst, dass ich dich als Mann ansehe?“, fragte Mikan und wurde mit jedem Wort röter. Ich konnte es ihr nicht sagen. Noch nicht. War noch nicht so weit, ihr meine Gefühle gestehen zu können. Also zuckte ich nur mit den Schultern. „Darf ich fragen … ob es da jemanden gibt, den du … so magst?“, fragte sie dann und ließ mein Herz noch mal wesentlich schneller klopfen. Sie lagen mir schon auf der Zunge, die Worte, dass sie, Mikan, es war, die ich mochte. Ich sah meine beste Freundin an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Jetzt, wo sie schon mal hier war, konnte ich sie schlecht einfach wieder wegschicken, also musste ich mir was anderes einfallen lassen. Nur was? „Koichi?“, fragte Mikan, als ich nicht antwortete. „Okay, du musst es mir nicht sagen, aber … es würde mich halt interessieren, wen du da magst.“ „Und warum interessiert dich das?“ Ich wusste nicht, warum ich wieder so gereizt klang. Vielleicht, weil ich einfach sehr nervös und aufgeregt war. „Na hör mal, ich bin deine beste Freundin! Da darf ich doch fragen, ob du in jemanden verliebt bist, oder?!“ „Tut mir leid … Ich will nicht mit dir streiten. Ich bin nur aufgeregt und hab ein bisschen Kopfschmerzen, weil ich gestern Abend mit Tsuzuku zusammen was getrunken habe und so …“ Zuerst entstand eine seltsame, unangenehme Stille zwischen uns, ich sah, wie Mikan errötete, und spürte selbst in mir den Zwiespalt dazwischen, ihr meine Gefühle gestehen zu wollen einerseits und es andererseits nicht zu können, weil ich Angst hatte, damit unsere Freundschaft kaputt zu machen. Schließlich blickte Mikan mit hochrotem Gesicht an mir vorbei und ich sah geradezu zu, wie sie mit einem Mal verstand. „Koichi …?“, fragte sie, ganz leise, und sah mich unsicher an. „Du … na ja, kann es sein, dass du … dass du mich meinst?“ Wie hätte ich sie da noch anlügen oder es verschweigen können? Sie kannte mich gut, hätte sicher sofort bemerkt, wenn ich ausgewichen wäre. Und nachdem ich mich wegen ihr und meinen Männlichkeitskomplexen die letzten Tage so schlecht gefühlt hatte, hatte ich das starke Gefühl, dass es jetzt Zeit wurde, das ganze Durcheinander aufzuräumen. Noch einmal wollte ich so bald nicht wieder vor Tsuzuku von meinem Liebeskummer rumheulen und mich dann deswegen betrinken, der Abend gestern sollte in der Hinsicht definitiv eine Ausnahme bleiben. „Was …“, begann ich unsicher, „… wäre denn, wenn dem so wäre?“ „Ich … weiß nicht … Ich hab nie drüber nachgedacht, ob du und ich …“, antwortete Mikan leise. „Und … würdest du das ändern wollen?“ Ich verspürte einen Hauch von … etwas, von dem ich glaubte, dass Mann es fühlte, wenn man gerade dabei war, die Frau seiner Träume für sich zu erobern. Endlich fühlte ich mich wieder einigermaßen als männliches Wesen und konnte mich selbst auch wieder als solches anerkennen. „Darüber nachdenken?“, fragte Mikan. Ich konnte ihr endlich wieder in die Augen sehen und sagte mit halbwegs fester Stimme: „Es tun.“ „Es? … Das?“ „Alles Mögliche. Was wir möchten. Nur … ich will, dass wir mehr als nur beste Freunde sind. Ich hab dich sehr lieb und ich bin nun mal keine Frau, verstehst du?“ Sie nickte. „Koichi … Lässt du mich darüber nachdenken?“ „Natürlich“, antwortete ich. „Wirst du lange brauchen?“ „Nicht zu lange. Ich muss jetzt nur ein bisschen alleine sein und überlegen und fühlen, ob ich dich auch so mag.“ Sie stand auf, streichelte mir kurz mit der Hand über die Schulter und dann ging sie. Und so war ich wieder alleine. Ich musste dieses Gespräch auch erst mal sacken lassen. Zwar hatte ich nicht ‚Ich liebe dich‘ zu Mikan gesagt, aber doch ziemlich klar gemacht, wie es mit meinen Gefühlen für sie aussah und was ich wollte. Ich hatte das Gefühl, dass sich gerade einiges geordnet hatte, und fühlte mich auch wesentlich besser als gestern. Langsam stand ich auf und ging in die Küche, wobei sich augenblicklich meine Kopfschmerzen wieder meldeten, goss mir ein Glas Saft ein und trank es in einem Zug leer. Dann überlegte ich, was ich mit dem Tag heute anfangen sollte. Mikan würde sich, so wie ich sie kannte, bestimmt frühestens heute Abend wieder bei mir melden, und bis dahin musste ich eine Menge Zeit rumkriegen, damit ich nicht zu sehr darüber nachgrübelte, was meine beste Freundin, beziehungsweise mein Love Interest, jetzt wohl von mir dachte. Zuerst einmal rief ich Tsuzuku an, um ihm zu erzählen, was passiert war, und um zu hören, ob es ihm immer noch gut ging. Er hob sehr schnell ab (woraus ich schloss, dass er sowieso gerade mit dem Handy zugange war) und als ich fragte, wie es ihm gerade ging, spürte ich sofort, dass da irgendwas nicht stimmte. Und es dauerte auch nicht lange, da sagte er mir auch schon, was los war: „Irgendein homophober Vollidiot hat mir gerade ‘nen ziemlich fiesen Kommentar auf mein Blog geschrieben.“ „Was?! Wegen dem Bild von Meto und dir?“ „Keine Ahnung, aber … Woah, ich hasse das so! Wieso können solche Leute mich nicht einfach in Ruhe lassen?!“ „Du darfst da nicht drauf hören und schon gar nicht reagieren. Die kennen dich nicht, haben keine Ahnung und wissen wahrscheinlich auch nichts von Liebe“, antwortete ich und spürte, wie ich sofort wütend wurde auf diese fremde Person, die es wagte, Tsuzuku einen Hasskommentar zu schreiben. Homophobie war etwas, das mich jedes Mal sehr aufregte und das ich irgendwie persönlich nahm, obwohl es mich ja nicht ganz direkt betraf. Aber in meinem Freundeskreis hatte es schon immer mal wieder homosexuelle Menschen gegeben und die verteidigte ich. Es ging einfach nicht in meinen Kopf rein, wie man etwas gegen die Liebe zwischen zwei Menschen haben konnte, nur weil diese dasselbe Geschlecht hatten. „Kannst du mich mal eben ablenken, Ko?“, fragte Tsu und klang schon leicht verzweifelt. Und so erzählte ich ihm von dem Gespräch mit Mikan eben und davon, wie ich mich jetzt fühlte. Ich spürte dabei relativ deutlich, dass ich Angst hatte, sie könnte sich doch gegen mich entscheiden. Vielleicht hatte ich es ihr zu früh gesagt, das alles, vielleicht hätte ich damit noch warten sollen. „Das kann ich dir nicht beantworten, Koichi“, antwortete Tsuzuku, als ich es ihm gegenüber aussprach. „Da musst du warten, bis Mikan fertig ist mit darüber-nachdenken.“ Er schwieg einen Moment und kam dann auf sein eigenes Thema zurück: „Was meinst du, soll ich den Kommentar löschen?“ „Kannst du machen. Dann kann da wenigstens kein anderer dazukommen und den liken und so.“ „Oder soll ich gleich den ganzen Account löschen? Weißt du, ich kann mit so was gerade nicht wirklich umgehen, dann sollte ich vielleicht gar nicht dort sein.“ „Nein!“, antwortete ich sofort. „Wenn du gleich alles löschst, tust du doch nur das, was solche Leute wollen. Den Triumph willst du diesen Idioten doch nicht gönnen, oder? Lösch den Kommentar, aber nicht den Account. Ich kann gerne ab und zu bei dir reinschauen, und wenn da noch mal jemand ist, der dir Probleme macht, dann überlass den mal mir.“ „Danke. Ich bin … so was einfach nicht mehr gewöhnt, dieses ganze Online-Zeug. Ich muss da erst wieder reinfinden …“ „Es zwingt dich aber ja keiner.“ „Ich will aber. Ich brauche das, so einen Ort, wo ich mich der Welt mitteilen kann.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann leiser fort: „Auch, wenn ich andererseits nicht mit solchen Kommentaren zurechtkomme …“ Einen Moment herrschte wieder Stille, dann fragte er: „Kann ich zu dir kommen?“ „Na klar. Wir können auch irgendwo hingehen“, antwortete ich. „Zum Meer?“ „Wie du möchtest.“ „Dann treffen wir uns da? Vor dem Schwimmbad?“ „Okay. Machen wir halt einen Strandspaziergang“, sagte ich. „Bin auf dem Weg.“ Ich machte den PC aus, zog Jacke und Schuhe an, nahm meine Handtasche und machte mich auf den Weg, fuhr mit der Bahn bis zur Strandpromenade und stieg beim Schwimmbad aus, wo ich mich auf eine Bank an der hübschen Promenade setzte und wartete. Es war ziemlich kalt und windig und ich kuschelte mich eng in meine Jacke, zog meinen Schal ein bisschen hoch und steckte meine Hände in die Jackentaschen. Mein Blick war auf die Straßenbahnstation gerichtet, wo die Bahn aus dem Viertel, wo Tsu und Meto wohnten, gleich ankommen musste. Als diese dann da war und ich Tsuzuku aussteigen sah, stand ich auf und ging auf ihn zu. Er sah recht müde aus, verkaterter als ich, aber als er mich sah, lächelte er. „Du hast es ihr also gesagt?“, fragte er, immer noch lächelnd. Ich nickte. „Aber jetzt muss ich halt warten, bis sie weiß, was sie will“, sagte ich und fügte leiser hinzu: „Ich darf da gar nicht so sehr drüber nachdenken, sonst kriege ich Angst, dass sie mich vielleicht doch nicht will.“ „Soll ich dich ablenken?“, fragte Tsuzuku. „Ja, das wäre schön.“ Wir schlugen den Weg runter zum Strand ein und gingen dort, nah am Wasser, über den grauen Sand. Tsuzuku fing an, mir Sachen zu erzählen, alles Mögliche, ab und zu fragte ich etwas und so wurde ein richtig schönes Gespräch daraus. Er sprach von seinen Plänen für ein neues eigenes Tattoo und davon, dass er Metos Tattoo gern fertig erweitern und färben wollte, erzählte mir allgemein viel von seiner Arbeit. Und dann, als das Thema ‚Arbeit‘ erschöpft war, fing er an, über Meto zu sprechen, und wie gestern Abend wurde es dann schnell recht intim und gefühlsbetont, weil er frei heraus von sexuellen Dingen und von Gefühlen sprach, die es zwischen ihnen beiden gab. „Wenn dich das Thema gerade nervt, musst du das sagen“, sagte er mittendrin auf einmal. „Ich will dich ja nicht damit an irgendwas erinnern und traurig machen.“ „Nein, nein, ist schon okay. Ich finde euch zwei ja süß, das geht schon.“ „Weißt du, ich habe so ein Bedürfnis, darüber zu reden … Ich will es … irgendwie teilen, dass ich Meto so sehr liebe und das alles. Es füllt mein Herz aus, macht mich glücklich und … dann muss ich einfach so offen darüber sprechen.“ „Ist ja kein Problem, ich hör dir gerne zu. Und das mit euch beiden ist so anders als das mit Mikan und mir, da fühle ich mich nicht dran erinnert.“ „Ich wünsche dir, dass sie ‚Ja‘ zu dir und deinen Gefühlen sagt, Ko.“ Tsuzuku lächelte. „Du bist so ein lieber Mensch, du hast das mehr als verdient.“ „Danke“, lächelte ich. „Du bist aber auch sehr lieb, dass du das sagst.“ Tsuzuku lachte laut auf. „Ja, hahaha, anscheinend bin ich das.“ „Du kannst dich selbst ruhig mal etwas positiver sehen“, sagte ich und knuffte ihn im Gehen spielerisch gegen die Schulter. „Mein Selbstbild ist halt auch komplett im Eimer …“, erwiderte er nur. „Wenn’s nicht in dein Gefühl reingeht, dann lernst du es halt auswendig: Du bist ein herzensguter, lieber Mensch, Tsuzuku. Und das wird dir jeder bestätigen, der dich richtig kennt.“ Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er es irgendwie verinnerlichen konnte, und anscheinend gelang es ihm zumindest ein wenig, denn er blieb stehen und umarmte mich plötzlich. Ganz kurz musste ich an das Wort ‚impulsiv‘ denken, aber gleich darauf war es mir wieder egal und ich freute mich einfach, dass mein bester Freund so glücklich war. Wir gingen noch ein ganzes Stück den Strand entlang, bis zu den riesigen Wellenbrecher-Mauern, dann drehten wir um und gingen die ganze Strecke wieder zurück, redeten noch ein bisschen über dies und das, und ein kurzes Stück rannten wir sogar, weil Tsuzuku auf einmal auf die Idee kam, mich wie ein verrückter Junge mit den auf dem Sand herumliegenden Resten einer gestrandeten, weißen Qualle zu jagen. Ich gab ein ziemlich unmännliches Quietschen von mir, als er meine Hand festhielt und mir das glibberige Stück Meerestier auf die Handfläche drückte, er lachte mich aus und war glücklich. Als wir wieder am Schwimmbad ankamen, fragte Tsu, ob wir nicht noch ein bisschen in die Innenstadt fahren wollten. Da sich Mikan noch nicht bei mir gemeldet hatte und Meto um diese Zeit sicher noch arbeitete, hatten wir ja auch nicht viel Besseres zu tun. Und so fuhren wir zusammen noch ein bisschen in die Stadt, gingen in den einen oder anderen Laden und probierten auch ein paar Teile an. Ich war bisher noch nicht mit Tsuzuku in Klamottenläden gewesen und ein wenig überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit er sich Sachen aussuchte, die ihm dann auch wirklich gut standen. Bei schwarzen Lacksachen war die Sache natürlich klar, aber mit derselben Stilsicherheit suchte er auch ganz normale Kleidung aus. Er schien sehr genau zu wissen, was er tragen konnte und was nicht. Ich dagegen experimentierte gerne herum und konnte mich dann oft nicht zwischen zwei Sachen entscheiden. Während Tsu schon mit einem grauen Pullover, einer schwarzen Jeans und einer ebenfalls schwarzen Lackstoffhose zur Kasse lief, stand ich noch mit einer sehr niedlichen Rüschenbluse und einem anderen, eher bunten Oberteil mit englischer Flagge drauf in den Händen vor dem Spiegel und wusste nicht, ob ich das eine oder das andere kaufen sollte. Tsuzuku bezahlte seine Sachen, kam dann zu mir zurück und tippte sofort auf das zweite, bunte Teil. „Nimm das da, das ist cool. Das andere ist zu mädchenhaft“, sagte er ganz direkt. „Okaay …“, sagte ich nur. Tsu grinste. „Du kannst doch nicht immer nur so eindeutige Frauenkleider kaufen. Die sehen zwar auch toll an dir aus, aber wenn du ‘ne Freundin willst, muss auch mal was Cooleres her.“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Und ich durfte wieder mal feststellen, dass er wirklich der passendste beste Freund war, den es für mich geben konnte. Also hängte ich die Rüschenbluse wieder weg und kaufte das andere Teil, erwischte mich dabei, wie ich hoffte, dass es dann auch eine Wirkung auf Mikan haben würde, wenn ich mich etwas weniger feminin kleidete. Auf dem Weg zurück dachte ich dann wieder mehr an Mikan, so lange, bis ich fast gegen eine Straßenlaterne gelaufen wäre und mein bester Freund mich darauf aufmerksam machte, dass ich reichlich abwesend wirkte. Er griff einfach meine Hand, hielt mich fest und fragte: „An was denkst du denn gerade?“ „Mikan, was sonst“, antwortete ich. „Ich hoffe einfach so sehr, dass sie … mich will.“ „Natürlich will sie dich.“ „Und wenn sie nur will, dass wir weiter Freunde sind?“, fragte ich und klang schon wieder leicht verzweifelt. „Dann warte auf sie. Irgendwann wird ihr klar werden, dass du ein Mann bist und der perfekte feste Freund für sie.“ „Meinst du wirklich?“ „Koichi, ich hab in meinem Leben genug Mädels gehabt, ich weiß, wie man die rumkriegt.“ „Ich will Mikan aber nicht rumkriegen! Ich will sie liebhaben!“, widersprach ich und blieb stehen, sah Tsuzuku an. Und dann wurde ich auf einmal Zeuge, wie er, wieder scheinbar aus dem Nichts, innerlich abstürzte: Sein Lächeln, eben noch breit und selbstsicher, verschwand, er sah einen Moment lang sehr, sehr nachdenklich aus, starrte ins Leere, und dann malten sich tiefe Traurigkeit, Schmerz und Schuldgefühle auf sein Gesicht. Ich musste nicht lange überlegen, was der Grund für seinen plötzlichen Stimmungsumschwung sein konnte, ich ahnte, dass es direkt mit seinen Beziehungen früher und seinem damaligen Lebenswandel zu tun hatte. Ich wusste, dass er vieles von damals jetzt bereute, das hatte er mir ja schon einmal erzählt. Ich sah, dass er weglaufen wollte, und griff einfach seine Hand, führte ihn ein Stück weiter zu einer Bank am Straßenrand und drückte ihn sanft darauf nieder. Er ließ mich machen, sah mich aber nicht an, sondern blickte starr zu Boden. „Vergiss, was ich gerade gesagt habe“, sagte er leise. „Ich hab absolut keine Ahnung von Frauen.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten, oder was ich tun sollte, außer neben ihm zu sitzen und abzuwarten, was er tun würde. „Ko, du hast ja keine Ahnung, wie ich damals war … Ich hab den Mädchen, die ich hatte, so weh getan. Die einen … hab ich einfach verlassen, weil ich keine Lust mehr hatte, und die anderen haben mich verlassen, weil sie mich nicht mehr ertragen haben. Und … Mama hat auch darunter gelitten. Sie dachte, dass ich, wenn ich so mit Mädchen umgehe, vielleicht vor ihr als Frau … auch keine Achtung hätte … Ich hatte sie so lieb, aber … ich glaube, ich hab ihr das damals nicht gezeigt. Als Kind schon, aber später … nicht mehr so. Ich …“ Er brach ab, konnte vor lauter Tränen nicht mehr sprechen, und begann wieder einmal, sich über die Unterarme zu kratzen. Ich griff rüber und hielt seine Hände fest, konnte es einfach nicht mitansehen, wie er sich selbst wehtat. „Tsu, das ist vorbei. Vergangenheit, verstehst du? Du kannst nichts mehr daran ändern. Du hast jetzt Meto und bist so lieb zu ihm, du hast dich geändert und würdest so was wie damals heute nicht mehr tun“, sprach ich und hielt dabei weiter seine Hände fest. „Aber … ich hab mich … doch erst geändert … als Mama schon tot war …“, widersprach er zitternd und versuchte, seine Hände aus meinem Griff zu befreien. „Sie sieht dich auch jetzt, Tsuzuku. Da bin ich mir ganz sicher.“ Ich lächelte ihn an, streichelte seine Hände und überlegte mit rasenden Gedanken, wie ich ihm helfen konnte. „Deine Mama sieht genau, dass du jetzt anders bist, und sie ist sicher nicht wütend auf dich oder so. Ihr geht’s bestimmt gut, da wo sie jetzt ist, und …“ Jetzt konnte ich nicht mehr weitersprechen, weil mir selbst die Tränen kamen. Die Vorstellung, dass Tsuzukus Mama aus dem Himmel (oder woher auch immer) hinunterschaute und dem Leben ihres einzigen Sohnes zusah, da konnte man doch nur weinen! „Ko, hör auf zu weinen, sofort!“ Tsu sah mich halb an, in seinen dunklen Augen blitzte eine Mischung aus Wut auf sich selbst und Hilflosigkeit. Ich blinzelte, schluckte, fuhr mir vorsichtig mit den Fingern über die Augen, bis mir einfiel, dass ich heute ja gar nicht geschminkt war und die Tränen ruhig richtig wegwischen konnte. „Wenn’s mir gut geht, kannst du gerne vor mir weinen, das ist okay, aber wenn ich mich … so fühle wie jetzt … dann ertrage ich das nicht … wenn jemand vor mir weint“, erklärte Tsu und kämpfte selbst wieder mit den Tränen. Ich blinzelte meine weg und lächelte leicht, zum Zeichen, dass ich mich wieder gut fühlte. „Ist gut“, sagte ich. „Nur vor dir weinen, wenn’s dir gut geht, merk ich mir.“ In dem Moment kam eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand an uns vorbei, das Kind sah uns fragend und leicht irritiert an. „Mama, ist das da ein Mann oder eine Frau?“, fragte die Kleine mit der ehrlichen Unschuld, wie sie nur eine etwa Fünfjährige zustande brachte, und deutete auf mich. Die Mutter sah mich unauffällig einmal kurz von oben bis unten an und flüsterte ihrer Tochter halblaut zu: „Manche Männer möchten heutzutage gerne wie Frauen aussehen, weißt du?“ Dann gingen die beiden weiter und ich sah zu Tsuzuku, der auf einmal wieder breit grinste und mir dann auf die Schulter klopfte. „Koichi, du Mädchen!“, lachte er, „Jetzt verwirrst du schon kleine Kinder!“ „Ey!“, protestierte ich. „Wie war das gestern von wegen Männerabend?!“ „Alles gut, Ko“, lächelte er. „Du weißt, ich finde so was lustig.“ Das war die andere, hellere Seite seiner Stimmungsschwankungen. So schnell es ihm abgrundtief schlecht gehen konnte, so schnell war seine Laune auch wieder gut und er lachte wieder. Wir blieben noch ein bisschen sitzen, bis Tsu sagte, dass er sich wieder einigermaßen stabil fühlte, dann machten wir uns auf den Weg zur Bahnstation, von wo aus Tsuzuku die Stadtbahn nach Hause nahm. Zum Abschied umarmte er mich und flüsterte: „Das kriegst du schon hin, das mit Mikan.“ Ich blieb noch ein wenig in der Innenstadt, aß dort in einem Restaurant zu Mittag und hoffte dabei, dass sich Tsu sich bei sich zu Hause ein bisschen was zu essen machte. Danach fuhr ich zurück in mein Viertel und lief zu meiner Wohnung, wo ich oben auf der Treppe überrascht stehen blieb, als ich Mikan dort vor meiner Tür sitzen sah. Sie schrieb irgendwas in ihr Handy und sah davon auf, als sie meine Schritte hörte. „Hey“, sagte sie leise. „Können wir reden?“ „Ja … ja klar“, antwortete ich, zugegebenermaßen ziemlich unsicher, zog meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür, Mikan folgte mir in die Wohnung, wo wir uns wieder ins Wohnzimmer hinsetzten. „Koichi, ich hab nachgedacht“, sagte sie, als wir einander gegenüber auf dem Sofa saßen. „Über uns und alles, und über das, was du gesagt hast. Du willst, dass ich dich als vollwertigen Mann ansehe und du … bist in mich … verliebt, hab ich das richtig verstanden?“ Ich nickte, mit klopfendem Herzen. „Und du bist traurig, weil du einsam bist und dich verkannt fühlst?“ Wieder nickte ich, konnte gar nicht sprechen, mein Herz raste. Mikan lächelte unsicher, und ich wünschte mir, zu wissen, was sie gerade dachte. Sie war manchmal so undurchschaubar, was mich einerseits faszinierte, auf der anderen Seite aber Situationen wie diese schwieriger machte. „Ich habe darüber nachgedacht. Du bist mir wirklich wichtig, Koichi, und ich hab dich sehr gern. Ich will nicht, dass du dich einsam fühlst. Und wenn du nicht mehr meine ‚beste Freundin‘ sein willst, dann höre ich auch damit auf, dich wie ‘ne Frau zu behandeln. Du hast ja wirklich Recht, du bist unter der Schminke und den Frauenkleidern ein Mann und ich hab das einfach irgendwann nicht mehr gesehen. Na ja, ich muss sogar zugeben, vor Jahren hab ich mal vermutet, dass du vielleicht doch schwul bist …“ Sie schwieg einen Moment, ihre Wangen leuchteten in einem unübersehbaren Rot und als sie weitersprach, war ihre Stimme ein ganzes Stück leiser. „Es ist einfach so … es gibt so wenige Männer, die so sind wie du. Man ist als Frau nicht dran gewöhnt, dass einer, der aussieht wie du, hetero ist, verstehst du?“ Die letzten Worte taten seltsam weh. Mikan sprach da nicht mehr und nicht weniger als den Grund an dafür, dass ich mich so einsam fühlte. Und auf einmal war da dieser Gedanke in meinem Kopf, dass ich sie davon überzeugen wollte, dass ich eben weder eine halbe Frau, noch schwul war, sondern ein heterosexueller Mann, und dass ich sie, genau sie, wollte. Eine oder zwei Sekunden lang war ich kurz davor, Mikan einfach in meine Arme zu nehmen und zu küssen, ihr zu zeigen, wer ich war und was ich mir wünschte. Es erschreckte mich ziemlich, wie stark dieser Wunsch war, und wie kurz davor ich war, ihn umzusetzen. Unbewusst starrte ich wieder auf Mikans Brust und erwischte mich erst dabei, als sie es ebenfalls bemerkte. „Und was … ist bei deinem Nachdenken noch rausgekommen?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Mikan blickte zu Boden, ihre Finger spielten mit den Fransen der auf dem Sofa liegenden Decke, und sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Koichi … ich hab dich lieb und das weißt du. Aber … ich weiß nicht, ob’s für ‘ne richtige … Beziehung ausreicht. Ich meine … wir können es versuchen … aber es kann sein, dass … es eben nicht reicht, dass meine Gefühle nicht genug sind.“ Wiederum fing mein Herz an zu rasen. Hatte Mikan gerade gesagt, dass sie es versuchen wollte mit mir?! Dass sie auch an eine Beziehung dachte, wenn auch nicht sicher?! Ja, hatte sie, ich hatte mich nicht verhört. „Wir versuchen es“, sagte ich, ohne wirklich zu spüren, dass ich das gerade wirklich sagte. Es kam einfach aus meinem Mund, fühlte sich fast schon nicht mehr real an. „Wir versuchen es und wenn es nicht reicht, sind wir eben wieder Freunde.“ Mein Hirn machte sich selbstständig, drehte völlig über, und in meinem Bauch flatterten die Schmetterlinge wild durcheinander. Mikan lächelte, strahlte mich an. „Du bist der beste, Koichi. Der allerbeste!“ Und dann beugte sie sich vor, legte ihre Hände auf meine Schultern, ihr Gesicht kam meinem immer näher, ich sah, was für schöne, dichte Wimpern sie hatte, und was für reine, glatte Haut. Als ihre Lippen meine berührten, fühlte es sich an, als setzte mein Herz für einen Schlag aus. Mein ganzes Empfinden konzentrierte sich auf meine Lippen und ich verlor für einen Moment die Beherrschung, erwiderte diesen ersten Kuss ein wenig zu sehnsüchtig und stürmisch, umarmte Mikan und zog sie nah an mich, sodass ich ihren aufgeregten Herzschlag spürte. „Ko!“, quietschte sie überrascht. Sofort ließ ich sie los, ging auf Abstand, atmete einmal tief ein und aus. „Sorry.“ Aber sie lächelte. „Hast ziemliche Sehnsucht gehabt, hm?“ Ich nickte und konnte nach diesem Kuss nicht anders, als ganz ehrlich zu sein: „Und habe ich noch. Ich will mehr von dir.“ „Wir machen schön langsam, okay?“ „M-hm.“ Sie blieb noch eine Weile bei mir, wir schauten einen Film und tranken Tee zusammen. Mikan saß neben mir auf dem Sofa und lehnte sich an mich, was sich für mich unheimlich gut anfühlte. Waren wir jetzt also zusammen? Eine Sowas-wie-Liebeserklärung und ein eindeutiger Kuss, bedeutete das, dass wir jetzt auf der Beziehungsebene waren? Ich wusste nicht recht, wie ich das einordnen sollte. Vielleicht war es nach der ganzen Sehnsucht auch einfach noch zu neu. Ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen. Als Mikan dann wieder ging, küsste sie mich zum Abschied etwas unbeholfen auf den Mund, und wieder reagierte ich ein wenig über, umarmte sie und drückte sie eng an mich. Sie ließ mich machen, aber dann ging sie, rief aber noch ein „Hab dich lieb, Ko!“ durchs Treppenhaus. Ich sah auf die Uhr. Neunzehn Uhr war eigentlich noch zu früh zum Schlafengehen, aber ich war so müde, dass mir mein Bett ziemlich verlockend erschien. Und so ging ich, nach einem kurzen Abstecher im Bad, jetzt schon schlafen. Ich zog mich bis auf die Shorts aus, kuschelte mich unter die Bettdecke und horchte kurz in mein Herz, ob das dunkle, kalte Loch noch da war. Doch es war nicht zu spüren, schien wieder verschwunden zu sein. Zu viel wollte ich nicht daran denken, aus Angst, dass es vielleicht zurückkam, und so konzentrierte ich mich auf meine anderen Empfindungen. Und da war die körperliche Sehnsucht ziemlich vornean. Ohne nachzudenken, begann ich, mich selbst zu streicheln, fuhr mit den Händen über meinen Körper und stellte mir dabei vor, dass es Mikans Hände waren, die mich streichelten und dabei von meiner Brust aus langsam tiefer wanderten. Mich anzufassen und dabei meine Gedanken nicht zügeln zu müssen, tat so unendlich gut und mir huschte ein Lächeln über die Lippen, als sich in meinem Bauch dieses eindeutige Kribbeln ausbreitete und mein verliebtes Herz begann, mein Blut in meine Körpermitte zu pumpen. Ich zerrte mir im Liegen die Shorts runter und umfasste mein heißes Glied mit der einen Hand, während ich mit der anderen weiter meinen Oberkörper streichelte, mir immer noch ein wenig vorstellend, dass es Mikans Hände wären. Ihr Name kam mir über die Lippen und ich fragte mich, wie sie wohl nackt aussah, ob ihre Brustwarzen eher hell oder dunkel waren, und ob sie viel Schamhaar hatte. Diese Gedanken fühlten sich umso besser an, wenn ich daran dachte, dass ich das alles irgendwann demnächst sogar erfahren würde. Sie hatte mich geküsst und gesagt, dass sie es mit mir versuchen wollte, bald würde ich sie in meinen Armen halten dürfen. Mein letztes Mal Sex war so lange her, dass ich mich an das Gefühl davon nicht mehr richtig erinnern konnte, und so war mein Kopfkino lückenhaft und strahlte nicht die Erregung aus, die ich erwartet hatte. Ich merkte recht genau, dass ich allein war, mir nur etwas vorstellte und mir dabei selbst einen runterholte. Und als ich mich dann mit einem kaum verhaltenen Stöhnen in meine Hand ergoss, fühlte sich das gleichzeitig gut und aber auch irgendwie traurig an, einen Moment lang spürte ich meine Sehnsucht überdeutlich, dann fiel sie in sich zusammen und mir sprangen Tränen in die Augen. Gerade noch so riss ich mich zusammen, stand auf und säuberte meine Hand mit einem Papiertaschentuch, legte mich dann wieder hin, rollte mich zusammen und schlief gottseidank bald ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)